Читать книгу Ferne Berührung - Volker Dittrich - Страница 10

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Ach Marleen, seufzte die Kundin mit den leicht heruntergezogenen Mundwinkeln an einem Dienstagmorgen. Tu mir die Haare fussig färben, der Kerl spricht schon vierzehn Tage kein Wort mit mir. Aber diesmal mach ich nicht noch einmal den Anfang. Kannst du mir eine schöne Geschichte erzählen?

Marleen überlegte kurz, lächelte die Kundin an, kämmte ihr die Haare langsam zurück und dachte, die kannst du haben meine Gute. Bloß mit den schönen Geschichten von deiner Marleen ist es endgültig zu Ende. Und sie begann:

Seit dem Streit vor vierzehn Tagen schwieg er, wie immer nach Auseinandersetzungen mit ihr. Vierzehn Tage waren eine lange Zeit. So lange hatte sie es noch nie ausgehalten, auf sein Schweigen nichts zu erwidern. Das beunruhigte ihn, aber was sollte er tun. Er konnte nur warten.

Der Streit war von beiden Seiten sehr heftig geführt worden. Von Mal zu Mal war eine Steigerung zu beobachten, denn immer wieder ging es um das eine. Er hatte ihr noch einmal klipp und klar seinen Standpunkt dargelegt. Er sprach betont, laut und deutlich. Für jeden Satz spannte er den Bogen bis zur Spitze und feuerte Pfeil für Pfeil gezielt ab, so dass ihr keine Möglichkeit blieb, noch etwas zu entgegnen. Es war einfach alles gesagt. Während er sprach, fühlte sie ein dumpfes Schweigen in sich aufsteigen. Er ergriff sie mit seinen Worten und trug sie fort. Seine Hände fuhren vor ihren Augen auf und nieder, um auch noch die letzten Zweifel an seinen Worten auszuräumen. Er begann, ihren Körper zu kneten und zu formen. Als sie nichts mehr erwiderte, wandte er sich erbost von ihr ab. Er hasste es, wenn sie versuchte, ihn schweigend anzuklagen. Die wird schon wieder kommen, dachte er, und knallte die Tür hinter sich ins Schloss. Vierzehn Tage hatte sie es noch nie ausgehalten. Vielleicht dachte sie, dass dieses Mal ganz offensichtlich er zu weit gegangen war und deshalb nachgeben müsste. Wenn es so ist, sagte er sich, dann kann ich auch noch ein paar Tage drauflegen. Wenn sie sich zufällig in der Wohnung begegneten, sah sie ihn mit großen, erwartungsvollen Augen an. In ihrer Nähe hatte er das Gefühl, vor einem glühenden Herd zu stehen. Samstag war der achtzehnte Tag. Er saß am Schreibtisch. Drehte sich nicht um. Das tat er nie. Er kostete das Vorspiel bis zum letzten aus. Sie trat neben ihn und schrie so laut, dass das Haus zu bersten drohte:

Und willst du nicht sprechen, so brauch ich die Pfanne!

Er zuckte zusammen und sah, wie sie die große gusseiserne Pfanne über seinen Kopf schwang. Es ertönte ein dumpfer, lauter Schlag. Er stöhnte kurz auf, sackte zusammen und fiel zu Boden.

Mit einem verschwörerischen Schmunzeln sah die Kundin durch den Spiegel zu Marleen und stupste ihr den Ellenbogen leicht in den Bauch. Als sie ging, drückte sie Marleen lange und fest die Hand und belohnte sie mit einem großzügigen Trinkgeld.

Marleen prustete vor Lachen, als sie auf dem nächsten Foto die dicke Frau von gegenüber sah wie sie sich ein großes Stück Torte in den Mund schob und ihr Mann ihr angewidert dabei zusah. Nur einmal hatte sie kurz mit ihr gesprochen, als die Postbeamten gestreikt hatten, und sie dringend auf ein Paket vom Otto-Versand gewartet hatte. Darin sollte eine Bluse sein, die sie am nächsten Tag bei einer Hochzeitsfeier tragen wollte. Genau so, mit einem riesigen Stück Kuchen, hatte Marleen sich die Nachbarin an der Kaffeetafel vorgestellt. Als Kinder durften sie nur zu den drei Mahlzeiten essen. Es war ihnen strengstens verboten, an die Schränke in der Küche zu gehen. So suchten sie ihre Auswege, klauten Zucker, soviel sie konnten, zerschnitten sich unreife Stachelbeeren, Rhabarber, Äpfel und Birnen und schlangen das Gemisch gierig hinunter. Oder Marleen ging zu ihrer Freundin auf den Bauernhof. Deren Großmutter buk jeden zweiten Tag frisches Weißbrot. Sie brachen sich etwas ab, strichen sich Marmelade darauf und konnten nicht genug davon bekommen. Wenn die Großmutter schimpfte, ignorierten sie es. Vor ihr hatten sie keine Angst, wurden sie erwischt, stopften sie sich den Mund voll und liefen davon. Marleen aß noch heute heimlich, obwohl sie allein lebte. Sie kaufte Kekse, Schokolade und Nüsse, verteilte sie in der ganzen Wohnung, im Küchen- und Wohnzimmerschrank, in der Nachttischschublade. Holte sie eine Tasse aus dem Schrank und sah eine angebrochene Schokolade, brach sie schnell einen Riegel ab, sah sich prüfend um und stopfte ihn in den Mund. Einmal klingelte es im gleichen Moment. Sie verfärbte sich. Es war Richard, ihr Freund. Ein Jahr lang hatten sie versucht, zusammen in einer Wohnung zu leben. Jetzt lebten sie schon seit zwei Jahren getrennt, schafften es aber beide nicht, sich voneinander zu lösen. Er fragte, als er eintrat, warum sie ihn so provozierend ansähe. Sie grinste, und er wurde ärgerlich. Ob er unpassend komme, fragte er gereizt, ob schon Besuch da sei. Misstrauisch sah er sich in der Wohnung um. Der Riegel Schokolade baute sich immer größer zwischen ihnen auf. Er schien das Gefühl zu haben, sie verheimliche ihm etwas, wurde immer schweigsamer, in Erwartung, sie würde ihm nun das Unangenehme eröffnen. Von Minute zu Minute entfernte er sich mehr. Sie streichelte ihn wieder zu sich, weil sie seine Ablehnung nicht ertragen konnte. Sie gingen in ein Restaurant. Er bekam sein Essen als erster. Noch ehe er sich sein Besteck genommen hatte, fuhr Marleen mit der Gabel auf seinen Teller, sagte, ich darf doch, angelte ein Stück herunter und ließ es auf der Zunge zergehen, bestätigte ihm, dass er eine gute Wahl getroffen habe. Noch ehe er antworten konnte, pickte sie mit der Gabel ein zweites Mal auf seinem Teller. Mit einem kurzen oh zog sie sie schnell zurück und hielt sich die Hand vor den Mund:

Durfte ich das nicht?

Nicht mit dieser Selbstverständlichkeit. Du hättest fragen können.

Sein Blick wurde eisig, und sie kicherte hilflos. Die Kellnerin brachte jetzt auch ihr Gericht. Schweigend aßen sie.

Sehr gesellig mit dir, versuchte sie ihn zu provozieren.

Er aß weiter, ohne ein Wort zu sagen. Sie stellte mehrere Fragen, auf die er mit Ja oder Nein antwortete, bis sie ihr Besteck auf den halbvollen Teller fallen ließ und sagte:

Mir ist der Appetit vergangen.

Mir auch, antwortete er bissig und kaute lustlos weiter.

Das wars dann wohl, versuchte sie in die Offensive zu gehen.

Ich glaube schon, entgegnete er und rief die Kellnerin, um zu zahlen.

Er musste merken, wie sie ihn fixierte, trotzdem sah er nicht auf.

Sei doch nicht so blöd. Sie legte ihm die Hand auf den Arm.

Mit angewidertem Gesichtsausdruck entzog er sich, nestelte in seinem Portemonnaie herum, zahlte als erster und verließ schnell das Lokal.

Die Kellnerin lächelte sie milde an. Ein eiskalter Stein drehte sich in Marleens Magen.

War es denn wirklich so schlimm? Ich weiß gar nicht, was ich getan hab. Es tut mir sehr leid, ich wollte es wirklich nicht, redete sie auf ihn ein, als sie ihn eingeholt hatte und sich bei ihm unterhakte. Du bist schon so weit weg, verschwinde nicht wieder ganz, es war wirklich nicht so gemeint. Ich bin nun mal so, das weißt du doch inzwischen.

Schon gut, sagte er knapp. Aber kokettiere nicht noch mit deinen Frechheiten. Du wühlst nicht noch einmal in meinem Teller herum. Sonst war es unser letztes gemeinsames Essen.

Was ist denn so schlimm daran, wenn ich mal probiere? schmiegte sie sich an seine Schulter.

Probieren, sagte er entrüstet und stotterte vor Erregung. Du, du, demonstrierst damit deine Macht. Du bestimmst nicht nur wie, wann und wie oft wir zusammen schlafen, du willst mir auch noch beim Essen zeigen, dass du dir alles nehmen kannst, wann du es brauchst. Und dass du dann etwas gibst, wenn du es für richtig hältst. Deine Reste schiebst du mir hin. Wehe ich biete dir etwas an, falls ich denn überhaupt dazu komme, und du nicht bereits mit deinem Speer zugestochen und mir das Beste entrissen hast. Dann lehnst du mit entrüsteter Geste ab.

Sie juchzte laut auf bei seiner Formulierung und wusste, als er sein Grinsen nicht verbergen konnte, dass sie ihn zurückgewonnen hatte. Sie sah ihn schmachtend an und dachte, jetzt möchte ich mit ihm schlafen. Sie zog seine Hand auf ihren Schenkel, küsste ihn und flüsterte ihm ins Ohr:

Ich bin ganz warm, komm lass uns gehn.

Sie fuhr sein Bein hinauf und fühlte, dass seine Hose sich spannte.

Was ist das denn? grinste sie.

Ich hasse es, so von dir abhängig zu sein, schrie er, umarmte sie und kniff ihr so fest in den Po, dass sie kreischte.

Bist du wahnsinnig geworden, du Berserker!

Ich fürchte schon, seufzte er, fing an zu rennen und zog sie hinter sich her.

Als sie im Bett lagen, drückte sie mit der flachen Hand gegen seine Brust, zog die Nase kraus und sagte:

Waschen wäre auch nicht schlecht gewesen, mein edler Ritter, unter deiner Rüstung stinkts.

Mit einem verzerrten Grinsen zog er sie an sich. Sie wand sich aus seiner Umarmung.

Du bist so geil, das kann ich nicht ertragen.

Er ließ sich auf den Rücken fallen.

Er schnellte hoch, sprang aus dem Bett, zog sich hastig an, und sie schaute ihm, reglos auf dem Bett liegend, dabei zu. Als er die Wohnungstür öffnete, packte sie ihn mit beiden Armen und zog ihn zurück.

Nun hab dich doch nicht so. Sei nicht so empfindlich. Du darfst nicht weglaufen. Das ertrage ich nicht. Immer läufst Du weg. Sie fing an zu schluchzen. Du musst mich nicht erziehen. Immer versuchst du, alles auf mir abzuladen. Die Kleine ist nicht ganz richtig im Kopf, schön und einfach für dich. Ich möchte, dass wir auch mal über dich reden. Du denkst wohl, du hättest mit allem gar nichts zu tun, was?

Ach, lass mich doch! Du würdest mit jedem vögeln, der dich ablehnt, um ihn für dich zu gewinnen, weil du es nicht aushalten kannst, wenn jemand Marleen, den Sonnenschein, blöd findet und ablehnt. Aber meine Zuneigung bedroht dich, schnürt dir Hals und Möse zu. Meiner Liebe misstraust du. Du hast panische Angst, dass meine Zuneigung nicht dir, sondern nur deinem Körper gilt. Ich hasse es, mich jedes Mal im Bett von dir treten zu lassen, nur damit du mich danach wieder zurückgewinnen und besiegen kannst.

Satz für Satz wurde seine Stimme leiser und ruhiger. Sie umschlang ihn, drückte ihren Schoß gegen ihn. Er ließ sich ohne Gegenwehr auskleiden. Sie küsste seinen Hals, fuhr ihm durch das Haar, stöhnte leise in sein Ohr, zog ihn ins Schlafzimmer aufs Bett und bestätigte ihm in aller Heftigkeit seine Sätze. Und er half ihr dabei.

Ferne Berührung

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