Читать книгу Ferne Berührung - Volker Dittrich - Страница 11

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Auf dem nächsten Dia hatte er die Übungswiese des Golfplatzes von der Straße aus fotografiert. Oben auf dem Hügel standen die Spieler und nahmen Stunden bei den Golflehrern. Der Golfplatz lag mitten im Wald. Trautmar war vielleicht acht Jahre alt, als er mit seinen Eltern und seiner Schwester an einem Sonntagnachmittag spazieren ging. Sie trafen Mr. Miller, der sie freundlich grüßte und in seinem breiten amerikanischen Akzent ein paar Worte an sie richtete. Die Eltern waren kurz angebunden. Nicht nur, weil er etwas Besseres war. Er hatte die Hälfte des Waldes gekauft, dieser Mr. Miller, wie er in der Siedlung genannt wurde. Jetzt mussten sie einen Weg am Zaun entlang nehmen. Ihr Rundweg lag nun zum Teil auf dem Gebiet, das in den nächsten Monaten zu großen Flächen planiert wurde, aus denen kurze Zeit später der Rasen spross. Hier verdiente Trautmar bald sein Taschengeld. Während der gesamten achtzehn Bahnen überlegte er, wieviel Geld er bekommen würde. Beobachtete, wie und über was die Spieler miteinander sprachen, dachte daran, was für ein Auto sie fuhren, hörte, was für ein Unternehmen sie hatten, welche Geschäfte sie machten, womit sie handelten.

Die Balljungen, die den Golfspielern die schweren Taschen mit den Schlägern schoben, wurden von den Spielern Caddy genannt. Es dauerte nicht lange, da gab es einen Caddy-Meister, damit die Jungen und Mädchen die Spieler nicht selbst ansprachen. Außerdem teilte er die Kinder bei den Wettspielen an den Wochenenden ein, an denen die Reichen der gesamten Bundesrepublik, die das Golfspiel als angemessene Freizeitgestaltung für sich entdeckt hatten, mit ihren großen Autos vorfuhren. Auf der Höhe stand das weißgestrichene Clubhaus, am Ende der achtzehnten Bahn, das die Caddys nach vier bis fünf Stunden Arbeit herbeisehnten. Von dort gingen sie erfreut oder enttäuscht mit den Golfschlägern zurück zum Caddy-Meister, der kontrollierte, ob sie die Schläger auch gewaschen und getrocknet hatten. Es gab A, B und C-Caddys, je nach Alter, aber auch nach Qualifikation. Wer wusste, welcher Schläger zu welcher Zeit benötigt wurde oder sogar dem Spieler beratend zur Seite stehen konnte, der gehörte in die A-Kategorie, hatte Anspruch auf mindestens vier Mark, im Gegensatz zu drei Mark und zwei Mark der B und C-Caddys. Trautmar hasste viele von den Bonzen, besonders diejenigen, die es bei Turnieren nicht für nötig hielten, nach der Hälfte der Strecke eine Flasche Cola zu spendieren. Dann blieb ihm nur, weil er es mit der Frau des Caddy-Meisters, die dort verkaufte, gut konnte, das Getränk anschreiben zu lassen und später bei ihrem Mann zu bezahlen. Manche Spieler ließen aber noch nicht einmal das zu. Machten selbst keine Pause und schickten die Caddys sofort auf die Anhöhe, wo sie hinter einem Baum Deckung nehmen mussten, wenn ihr Herr oder ihre Dame den harten Kautschukball von dem dafür vorgesehenen Platz aus abschlugen. Oft droschen sie ihn von dort aus rechts oder links in den Wald, und ein guter Caddy musste den weißen Ball auch noch im Heidekraut oder in einem Kaninchenloch finden.

Bei Wettspielen reichte die Anzahl der Caddys nicht aus. Wer stark genug war, zwei der großen ledernen Golftaschen zu schieben, lief mit beiden Wagen von einem zum anderen, durfte aber keinen der Spieler bevorzugen. Günstig war es, wenn die Geldgeber sich zum Schluss absprachen, und sie versuchten, sich an Gutherzigkeit und sozialer Fürsorge für die Kinder aus der Siedlung zu übertreffen. Dabei waren die Caddys im Vorteil, die ihrem Aussehen und ihrer adretten Kleidung nach den Vorstellungen der Herrschaften am ehesten entsprachen.

Fast niemand der Caddys wollte zu der Frau mit dem blauen VW-Käfer, mit ihren glänzend roten Lippen und dem gleichfarbigen Baumwollpullover mit V-Ausschnitt. Darunter trug sie meistens eine weiße Bluse, Lastexhose und derbe schwarze Schuhe mit einer hellen losen Kappe darüber. Sie war braungebrannt und schwärmte von Mallorca; ihre Mitspielerin, die ihren Wagen allein zog, nur wenige Schläger in der Tasche hatte, war entzückt von Rimini.

Caddy, du bist desinteressiert, sagte die VW-Fahrerin mit spitzem Mund.

Es war bereits das Ende der fünfzehnten Bahn. Er hatte sich nicht dagegen wehren können, ihr vom Caddy-Meister zugeteilt zu werden. Auch ein langer Aufenthalt auf der Toilette neben den Pferdeställen hatte es ihm nicht ersparen können.

Einmal bist du auch dran, hatte der Caddy-Meister gesagt, als er wiederkam, drückte ihm den Wagengriff der Schlägertasche in die Hand und forderte ihn auf, er solle schnell hinterherlaufen, die Damen seien schon vorgegangen.

So wie es begann, mit einer Bemerkung der VW-Fahrerin, so sollte es auch enden. Caddy, du bist desinteressiert, hatte sie gesagt. Desinteressiert! Das Wort drang tief in ihn ein, suchte mit seiner scharfen Spitze den Weg vom Kopf in den Magen. Desinteressiert! Was sollte das heißen? Sie hatte sehr schlecht gespielt. Er suchte mehr den Wald ab, als dass er auf der Golfbahn ging. Zwei Bälle waren verschwunden. Das würde sie ihm von seinem Geld abziehen, hatte sie gedroht. Drei andere Bälle fand er, aber die Mitspielerin hatte aufgepasst, wusste, dass es nicht ihre waren. Die VW-Fahrerin forderte von ihm, dass er ihr die drei Bälle aushändigte. Er wollte sie aber selbst beim Caddy-Meister abgeben. Sie waren unbeschädigt, und für die Rückgabe gab es eine Prämie, denn der Caddy-Meister hatte für solche Funde, die neu sehr teuer waren, seine Abnehmer.

Desinteressiert! Wollte sie ihm zeigen, wie dumm er war? Ihm ein Wort an den Kopf schleudern, das er nicht verstand? Das Wort kreiste in seinem Magen, bahnte sich langsam den Weg wieder nach oben, ließ seine Hände zittern, als er ihr den Schläger gab, mit dem sie den Ball aus dem künstlich angelegten Sandloch schlagen wollte. Auch nach dem dritten Versuch flog nur der Sand durch die Luft. Der Ball blieb liegen. Sie sah nicht hoch, prüfte den Schläger. Die Mitspielerin lächelte Trautmar mild an.

Lesen kannst du wohl auch nicht, Caddy, giftete die VW-Fahrerin und gab ihm den Schläger zurück.

Er hatte ihr, anstatt des besonders breiten Eisens für Schläge aus dem Sand, die ähnlich aussehende Nummer Neun gegeben.

Desinteressiert! Nur noch drei Bahnen. Er reichte ihr den Schläger.

Und dann noch so trotzig gucken! Ich werde mich über dich beim Caddy-Meister beschweren, sagte sie mit Blick zu ihrer Mitspielerin.

Desinteressiert! Diese dumme Kuh! Sein Gesicht schwoll an, das giftige Gas in seinem Körper dehnte sich aus, riss seine Lippen auseinander und explodierte:

Ziehen Sie Ihre Scheißkarre doch allein, hörte er sich schreien. Drehte sich schnell um, damit sie seine Tränen nicht sehen konnte.

So eine Frechheit, rief sie ihm hinterher, als er in den Wald lief. Er schrie vor Wut über das verlorene Geld, schlich sich zu seinem Fahrrad und fuhr nach Hause. Drei Stunden umsonst, brüllte er die Pferde an und ließ seine Mutter kurze Zeit später seine Wut spüren.

Wenn sie auf der Fahrt nach Rügen in seinem Heimatort haltmachen würden, ginge er gegen Abend mit ihr in den nahen Wald, um ihr den Golfplatz zu zeigen. Alles würde leer sein, und sie könnten Bahn für Bahn ablaufen. Mit den Gerüchen und Stimmen des Waldes kämen seine Erinnerungen. Er würde sich mit ihr auf eines dieser kurzgeschnittenen Grüns legen, die meist erhöht waren, mit der Fahnenstange in der Mitte, die in dem Loch steckte, das Ziel der Golfbälle am Ende einer Bahn. Sie könnten sich lachend über den Rasen rollen, vielleicht das erste Mal sich näher kommen, sich küssen. Nicht auszudenken, im Halbdunkel nackt auf einem dieser geheiligten Grüns der Bonzen zu liegen, ohne angehaltenen Atem, um ihre übertriebene Konzentration nicht zu stören, sondern laut, so laut, dass die Eichelhäher krächzend ihre Zustimmung gäben.

Ferne Berührung

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