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2.5 Der Wortbegriff der Lexikologie
Оглавлениеdas Lexem
Vor dem Hintergrund der besonderen Ausformungen, die das Konzept Wort auf den unterschiedlichen Beschreibungsebenen annehmen kann, kann das Wort als Gegenstand der Lexikologie jetzt etwas schärfer gefasst werden. Ein lexikologisches Wort – man spricht auch von Lexem – stellt die Menge aller morphologischen und syntaktischen Wörter dar, die (1.) einen größtmöglichen gemeinsamen materiellen Bestand aufweisen und die (2.) derselben Wortart angehören. So sind die morphologischen Wörter Herz und Herzen als Vertreter eines lexikologischen Wortes Herz zu interpretieren, da beide hinsichtlich ihres morphologischen Materials weitgehend, d.h. bis auf die Endung -en, übereinstimmen und beide als Substantive zu klassifizieren sind – dies im Unterschied zu herzen in Sie herzte ihren Kater, das dann natürlich als ein eigenes Wort gilt. Auch die syntaktischen Funktionen, die sich mit den Formen Herz und Herzen verbinden, bilden ein zusammengehöriges Paradigma – das syntaktische Wort ist gewissermaßen nur die Rolle, in die ein und dasselbe Lexem je nach Satzzusammenhang schlüpfen kann.
das Lexem als semantische Einheit
Das lexikologische Wort bzw. Lexem setzt das morphologische und syntaktische Wort zwar voraus, es ist damit aber noch nicht ausreichend bestimmt. Neben die Übereinstimmung im materiellen Bestand und in der Wortart muss auch so etwas wie eine semantische Übereinstimmung als weitere Eigenschaft des Lexems treten – denn selbstverständlich drücken Wörter Bedeutungen aus. An dem Beispiel Herz zeigt sich allerdings, dass die Bestimmung eines gemeinsamen inhaltlichen Bestandes nicht immer eine einfache Angelegenheit ist. Herz bezeichnet nicht nur das lebenswichtige Organ von Mensch und Tier, es kann auch allgemein für den Mittelpunkt, den innersten Bereich von etwas verwendet werden (Göttingen ist das Herz Südniedersachsens, die Praline hat ein Herz aus Marzipan). Dass die genannten Bedeutungen irgendwie zusammengehören, dass Herz trotz dieser Verschiedenheiten eine semantische Einheit darstellt, ist intuitiv kaum zu bezweifeln. Ebenso ist unmittelbar einzusehen, dass die grundlegenden Bedeutungen der Wortform Bank ‚Sitzgelegenheit‘ vs. ‚Geldinstitut‘ wesentlich weiter auseinanderliegen als die Bedeutungen von Herz; im Fall von Bank wird man daher eher von zwei unterschiedlichen Lexemen 1Bank und 2Bank ausgehen wollen – zumal der Plural nicht identisch ist (Bänke vs. Banken).
Polysemie und Homonymie
Mit den Beispielen Herz und 1Bank/2Bank haben wir ein wichtiges Oppositionspaar eingeführt, mit dem wir uns noch ausführlicher zu befassen haben, nämlich das Gegensatzpaar Polysemie vs. Homonymie (zu griech. polýs ‚viel‘ und sēma ‚Zeichen‘ bzw. homós ‚gleich‘ und ónoma ‚Name‘). Von Polysemie spricht man, wenn eine inhaltliche Gemeinsamkeit zwischen den Interpretationen einer Wortform konstruiert werden kann. Dies ist auch bei dem Beispiel Herz der Fall. Hier besteht insofern eine Ähnlichkeitsrelation zwischen den Bedeutungen, als der ‚Mittelpunkt, der innerste Bereich von etwas’ mit dem Organ ‚Herz‘ als dem lebenswichtigen Zentrum des menschlichen Körpers in eine sinnvolle Vergleichbeziehung gesetzt werden kann. Für die Bedeutungen, die mit dem Ausdruck Bank verbunden sind, kann hingegen keine Relation postuliert werden, welche die Bedeutungen ‚Geldhaus‘ und ‚Sitzgelegenheit‘ miteinander verbindet. Hier spricht man daher von Homonymie. Dass 1Bank ‚Sitzgelegenheit‘ und 2Bank ‘Geldhaus‘ in Bezug auf ihre Herkunft eng miteinander verwoben sind – bei 2Bank ‚Geldhaus‘ handelt es sich um eine mittelalterliche Entlehnung aus ital. banca/banco ‚Tisch der Geldwechsler‘ –, spielt für die Entscheidung, ob Polysemie oder Homonymie vorliegt, keine Rolle. Das Gegensatzpaar Polysemie versus Homonymie bezieht sich strikt auf das in einem bestimmten Zeitabschnitt (typischerweise einer Generation) zur Verfügung stehende Alltagswissen von Sprechern. Diese Unterscheidung ist daher nur in synchroner Perspektive sinnvoll.
Wenn man das Kriterium der vorhandenen bzw. fehlenden Nähe zwischen den Bedeutungen einer Wortform als entscheidend für den Gegensatz zwischen Homonymie und Polysemie ansieht, begibt man sich allerdings auf unsicheres Gelände. Es bleibt noch zu klären, wie diese Nähe in nachvollziehbarer Weise bestimmt werden kann (s. dazu Kap. 4). Vorläufig genügt die Feststellung, dass im Fall von Polysemie einer Wortform (genauer gesagt: einem Wortformenparadigma) mehrere verwandte Bedeutungen entsprechen, während bei Homonymie einer Wortform mehrere nicht verwandte Bedeutungen gegenüberstehen. Für die Definition des Lexems ist dies insofern relevant, als im Fall von Polysemie ein Lexem mit zwei (oder mehr) Bedeutungen vorliegt, während bei Homonymie zwei Lexeme angesetzt werden.