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1.3.2 Die Beratungssituation

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Wenn man versucht, die Situation der Beratung idealtypisch zu erfassen, also in größtmöglicher Allgemeinheit und ohne die mannigfach denkbaren Variationen und Modifikationen, zeigt sich folgendes:

Damit eine gegebene Situation überhaupt als Beratung aufgefasst und verstanden werden kann, sind zunächst drei Komponenten erforderlich: mindestens zwei Personen, die jeweils komplementäre (also wechselseitig ineinander verschränkte) Rollen einnehmen (Ratsuchender – Ratgeber/Berater – Klient) und ein Problem, für dessen Lösung der Ratsuchende derzeit realiter, d. h. aktional, auf der Handlungsebene also, keine Alternative zur Verfügung hat: er weiß nicht, was er tun soll. Das ist die Ausgangslage, die nun allein mit kommunikativen Mitteln zu bearbeiten versucht wird, im Medium der Sprache: Zwei Personen sprechen über »etwas«. Wie jede Kommunikation ist auch die Beratung demnach triadisch strukturiert, wobei die dritte Komponente, das »Etwas«, das Problem markiert: ohne Problem keine Beratung. Insofern liegt es nahe, den Kern der Beratung im Sinne des Pragmatismus mit dem Schema einer problemlösenden Handlung zu erfassen (vgl. dazu Schmitz/Bude/Otto 1989, S. 139 f.). Dieses pragmatische Schema hat folgende Gestalt: Der Handlungsfluss eines Akteurs wird unterbrochen, wodurch es zu einer Handlungshemmung kommt; sie zwingt den Betroffenen dazu, aus der Einstellung natürlicher Selbstverständlichkeit in die Einstellung der Reflexion zu wechseln. Als Folge davon ergibt sich ein spezifischer Prozess, der mehrere Stadien durchläuft: Zunächst werden im Rahmen einer Datensammlung die bedeutsam erscheinenden Aspekte des Problems erhoben, die sodann einer Interpretation unterzogen werden; danach sind in kreativer Variation Handlungsentwürfe zu suchen; aus ihnen wird einer ausgewählt, was vom Ratsuchenden eine definitive Stellungnahme verlangt, also eine Entscheidung, eben bestimmtes zu tun und anderes zu unterlassen. Dieser Schritt bildet die Voraussetzung dafür, dass es zu einer Reorganisation des Handlungsflusses kommen und wieder in die Einstellung natürlicher Selbstverständlichkeit zurückgekehrt werden kann. Das folgende Schaubild zeigt diesen Prozess in verdichteter Form.

Aus dieser graphischen Darstellung lassen sich zwei weitere Einsichten gewinnen.

Zum einen kommt in aller Deutlichkeit zum Vorschein, dass als Kern der Beratung ein gleichsam auf mehrere Schultern verteilter, gewissermaßen verdoppelter Reflexionsprozess bestimmt werden kann, der externalisiert wird (die Beteiligten sprechen ja und denken laut über das nach, was ihnen zu dem Problem alles in den Sinn kommt) und somit in Form eines typischen Gesprächsmusters Gestalt gewinnt. Man kann diesen Sachverhalt, wenn man will, in die folgende Formel fassen: B (Beratung) = R (Reflexion) x 2 (Personen).

Zum anderen wird noch etwas erkennbar: Dem Schema der Problemlösung ist eine zeitliche Abfolge eingeschrieben. Das kommt zum Vorschein, wenn man den mittleren Teil der Graphik, also die Stufen des Reflexionsprozesses, einmal um 90º dreht und auf einer Zeitachse abbildet. Dann zeigt sich: Erst kommt die Sammlung der Daten (all die Gesichtspunkte und Überlegungen, die bei der Lösung eine Rolle spielen könnten), dann müssen eben diese in der Interpretation verstanden und gewichtet werden, bevor man sich überlegen kann, was konkret zu tun wäre, also Handlungsentwürfe entwickelt; und schließlich muss man verbindlich Stellung beziehen, also sich für etwas Bestimmtes entscheiden (und das dann auch wirklich tun). Ob diese Stadien in jedem Fall in dieser Abfolge durchlaufen werden, ist eine andere Frage. In der Praxis der Beratung gibt es natürlich


Abb. 8: Beratung als »problemlösende Handlung«

Sprünge und Wiederholungen. Gleichwohl wird dieses basale Schema stets zu erkennen sein. Und das ist der Grund dafür, dass in allen Beratungsansätzen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, immer (mehr oder weniger deutlich und mit unterschiedlichen Begriffen belegt) ein Phasenmodell enthalten ist.

Die jeder Beratungssituation eingeschriebene eigentümliche Form der Kommunikation lässt sich präziser bestimmen, indem die beteiligten Akteure und der Dialog, der sich zwischen ihnen entwickelt, betrachtet werden. Aus der komplementären Rollenverteilung (einer ist von Ratlosigkeit betroffen, der andere nicht) ergibt sich als weiteres wesentliches Merkmal eine spezifische Asymmetrie der Kommunikation. Denn wie jede soziale Situation folgt auch die Beratung, handlungstheoretisch formuliert, einem verdecktem Skript, einer Art von Drehbuch also, das festlegt und aus dem sich ergibt, wie gesprochen wird (vgl. Schmitz/Bude/Otto 1989, S. 125 ff.). Der Ratsuchende hat hinsichtlich seines Problems ein prinzipielles Darstellungsrecht, ja mehr noch, ein Darstellungsmonopol; dem entspricht auf der anderen Seite eine Pflicht zum aktiven, empathisch-verstehenden Zuhören, aber auch ein die Beraterrolle kennzeichnendes Frage- und Dialogsteuerungsrecht, dem wiederum eine eigentümliche Art von Antwortpflicht des Klienten gegenübersteht. Das Wechselspiel von Darstellung, Fragen und Nachfragen, Antworten und Erläuterungen führt schließlich zu punktuellen Analysen oder bilanzierenden Zusammenfassungen, Einschätzungen oder Beurteilungen des Beraters, in denen sein Deutungsmonopol zur Geltung kommt; dem wiederum entspricht ein prinzipielles Entscheidungsmonopol des Klienten: Was er letztlich tun oder wofür er sich am Ende entscheiden wird, das ist allein seine Sache!


Abb. 9: Das implizite Skript der Beratung

Beide Akteure, Ratsuchender wie Ratgeber, handeln als autonome Subjekte. Die Autonomie des Ratsuchenden ist allerdings, durch das Problem bedingt, situativ partiell eingeschränkt; sie stellt sich jedoch am Ende, dann also, wenn entschieden und gehandelt werden muss, wieder vollständig her. Insofern liegt »das entscheidende Problem für die Inszenierung der Beratung … in dem Umgang mit der lebenspraktischen Autonomie des Ratsuchenden« (ebd., S. 124). Dieser Gesichtspunkt weist zudem darauf hin, dass Klient nur sein kann, wer prinzipiell als uneingeschränkt handlungsfähig gilt, also autonom über das verfügen kann, was sich am Ende einer Beratung als Lösung oder Entscheidung ergibt. Das Autonomiegebot der Beratung verlangt darüber hinaus, dass Klienten sich ohne jeden Zwang, also ohne Einschränkung ihrer Freiheit, in eine Beratungssituation begeben (und sie auch zu jedem Zeitpunkt aus freien Stücken sanktionsfrei wieder verlassen können). Anders gesagt: Zur Beratung kann man keinen zwingen. Allenfalls kann man ihn verpflichten, eine solche besondere Situation aufzusuchen. Was dann allerdings geschieht, lässt sich durch Zwang nicht bestimmen (die Praxis der Schwangerschaftskonfliktberatung wäre hierfür ein instruktives Beispiel). Deswegen kann es zwar Beratung in Zwangskontexten geben, zum Beispiel im Gefängnis, nie aber erzwungene Beratung. Denn Klienten müssen beratbar sein, also prinzipiell zustimmungsbereit. Und sie müssen schließlich über das für diese Form der Kommunikation notwendige Sprach- und Reflexionsvermögen verfügen (was zum Beispiel die Beratungsarbeit mit Migranten häufig sehr erschwert oder unmöglich macht).

Der Beratbarkeit eines möglichen Klienten steht die Beratungswilligkeit und Beratungsfähigkeit des Beraters gegenüber. Wie immer man seine Kompetenzen auch im Einzelnen beschreiben mag, das wesentliche Merkmal dieser besonderen Rolle ist Nicht-Betroffenheit; der Berater darf nicht Teil des Problems sein, um das es geht, sonst kann er nicht zu einem Element der Lösung werden. Nur so ist es möglich, dass er sein Potential ungehindert entfalten, es dem gemeinsamen Reflexionsprozess zur Verfügung stellen und damit dem Ratsuchenden nützlich sein kann.

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