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1.3.4 Beratung und Emotion

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Ratlosigkeit ist, wie jeder weiß, kein angenehmer Zustand. Wenn in einem bestimmten Lebensbereich oder in Hinsicht auf ein besonderes Problem »natürliche Selbstverständlichkeit« nicht mehr gegeben ist, macht sich Verunsicherung breit: man ist irritiert, die Gedanken kreisen immer wieder um dieselbe Frage, man sucht nach Lösungen, erwägt jenen Schritt und verwirft einen anderen, spielt mögliche Szenen durch, überlegt, wer einem helfen oder wen man fragen könnte, schiebt Gedanken oder Befürchtungen, die sich aufdrängen, beiseite oder versucht es zumindest, phantasiert sich in angenehmere Zustände, und in der Regel dauert es eine Weile, bis andere von diesen inneren Prozessen erfahren oder in sie eingeweiht werden. Kurzum: das Rat suchende weil ratlose Selbst ist von Gefühlen der Verunsicherung bestimmt. Je nach dem, worum es geht, können diese Gefühle mehr oder weniger stark sein, sie variieren, anders gesagt, mit dem Typ des Problems. Es macht einen Unterschied, ob man sich damit beschäftigt, ein neues Handy oder ein neues Fahrrad zu erwerben, ob man wirklich mit dieser Gruppe in die Ferien fahren möchte, ob es nicht besser wäre, das Studienfach zu wechseln, ob diese langjährig durchgehaltene Beziehung wirklich auf Dauer tragfähig ist und den eigenen Bedürfnissen entspricht oder auch was man tun sollte, wenn sich diese unheilvolle medizinische Diagnose, von der unlängst die Rede war, wirklich erhärtete. Emotionen haben die Funktion, unmittelbar, ohne großes Nachdenken, in der Realität zu orientieren, und deswegen ist es kein Wunder, dass ihnen gerade in Beratungen ein besonderer Stellenwert zukommt.

Aus diesem Grund wird in allen theoretischen Konzepten gerade dem umsichtigen Umgang mit der emotionalen Dimension des Beratungsgeschehens besondere Beachtung geschenkt (vgl. z. B. Fuhr 2003). Hierfür lassen sich zwei Gründe anführen: Zum einen, denkt man an die oben eingeführte Kategorie der Sachprobleme, erzeugen problematische Situationen mit der damit einhergehenden (faktisch gegebenen und/oder innerpsychisch erlebten) Einschränkung der Handlungsfreiheit kognitive Dissonanz, verunsichern dadurch in emotionaler Hinsicht das von Ratlosigkeit heimgesuchte Selbst und können so seine Kohärenz mehr oder weniger stark bedrohen. Aus diesem Grund sind akzeptierende, empathisch-verstehende und unterstützend-beruhigende Formen der beraterischen Intervention notwendige Bedingungen dafür, dass der Beratungsprozess überhaupt voranschreiten kann und sich produktiv zu entwickeln vermag. Denn nur dann, wenn Ratsuchende ein Gefühl der Sicherheit erleben, können sie ihre Denkfähigkeiten ungehindert entfalten und für den Reflexionsprozess nutzbar machen.

Zum anderen, und das gilt vor allem für die Kategorie der Lebensprobleme, sind problematische Situationen häufig durch emotionale Schwierigkeiten, durch bestimmte Gefühle also, verursacht. Gefühle und starke Affekte können die kognitiven Fähigkeiten auf spezifische Weise beeinflussen, sie gleichsam »einfärben«: Trauer, Wut, Hass, Ärger, Freude oder Liebe hinterlassen im Denkprozess selbst eigentümliche Spuren und können ihn auf je spezifische Weise verzerren. Luc Ciompi hat hierfür den Begriff der Affektlogik geprägt und diese Phänomene in zahlreichen Studien untersucht (vgl. z. B. Ciompi 1997). Solange diese Affekte verschlossen oder eingekapselt bleiben, behindern sie den Reflexionsprozess und erschweren damit die Problemlösung. Das Denken hiervon zu befreien oder gleichsam zu reinigen, ist der Sinn kathartischer Interventionen, von denen John Heron (2001) spricht.

Vermutlich sind es gerade diese emotionalen Aspekte der Beratung, die dazu führen, die Unterschiede zwischen therapeutischen und beraterischen Handlungsformen zu verwischen, so dass der Eindruck entsteht, es handele sich eigentlich um dieselbe Sache. Und vielfach wird ja sogar von »Beratung« als »kleiner Psychotherapie« gesprochen, wie ohnehin zahlreiche Beratungskonzepte als Anwendungen psychotherapeutischer Modelle verstanden werden (denkt man z. B. an das Konzept der »Personenzentrierten Beratung«, das unmittelbar auf Annahmen der »Klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie« aufbaut). Dass es Grauzonen und Übergangsbereiche gibt, soll hier nicht bestritten werden. Wenn man sich aber primär für die Differenz der Handlungsformen interessiert und diese in idealtypischer Weise zum Vorschein zu bringen versucht, dann erweist sich nicht zuletzt die emotionale Dimension der Beratung als ein zentrales Kriterium der Unterscheidung (die hiermit verbundenen Fragen werden an späterer Stelle ausführlicher behandelt ( Kap. 1.4.4).

Dem hier zugrunde gelegten Modell entsprechend ist für jede Beratungssituation ein rationaler Kern wesentlich, in dem sich das Problem einer möglichen Entscheidung verdichtet: was soll man tun? Und die Beratungsinteraktion hat den Zweck, dazu beizutragen, genau diese Frage so zu beantworten, dass neu entschieden und anders gehandelt werden kann als vorher. Damit dies mit Aussicht auf einigen Erfolg vernünftig bearbeitet werden kann, darf die Handlungsfähigkeit des Klienten nur maßvoll und nicht über Gebühr beeinträchtigt sein. Nur dann kann die Beratung alle drei Ebenen des Lernens mit einbeziehen, nämlich das rational-kognitive, das emotionale und das aktionale Lernen (vgl. Dietrich 1983, S. 80 ff.), weil alle drei sowohl für die Entstehung eines Problems als auch für dessen Bearbeitung von Bedeutung sind oder, zumindest der Möglichkeit nach, sein können: Man weiß z. B. sehr genau, was zu tun wäre (rational-kognitiv), aber man tut es nicht (aktional), vielleicht weil man sich irgendwie unsicher fühlt (emotional). Auf allen drei Ebenen nach Spielräumen zu suchen, ist ein wesentliches Merkmal der Beratung. Die emotionalen Aspekte eines Problems stehen also aus dieser Perspektive nicht als solche im Mittelpunkt, sondern nur jeweils dann für eine gewisse Zeit im Vordergrund der Beratungsinteraktion, wenn sie die Suche nach Lösungen auf den anderen beiden Ebenen nachhaltig einengen, sie behindern und blockieren. Lassen sich diese emotional bedingten Blockaden mit beraterischen Mitteln nicht auflösen, dann, so der schlichte Schluss, ist vermutlich eine andere Handlungsform angezeigt, buchstäblich gesprochen also not-wendig.

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