Читать книгу MITTELSCHICHT FÜR ALLE - Volker Schmitz - Страница 14
Phase 3: Die Arbeit wird verteilt
ОглавлениеDie Diskussionen dauern an, die Langzeitarbeitslosigkeit steigt weiter. Einige Staaten beschränken die offizielle wöchentliche Höchstarbeitszeit, um die Arbeit breiter zu verteilen. Je mehr die Arbeitszeit begrenzt wird, desto stärker werden die gesellschaftlichen Kontroversen. Im Niedriglohnbereich erreichen viele Gehälter trotz erhöhter Stundenlöhne kaum das Sozialhilfeniveau. Die Gruppe mit mittleren Einkommen beschwert sich über finanzielle Einbußen, Spitzenkräfte mit Topeinkommen wollen ihre Verdienstchancen nicht opfern. Sie verweisen darauf, dass gesellschaftlich wichtige Aufgaben unerledigt bleiben, weil es nicht ausreichend hochqualifiziertes Personal für die Arbeit gibt, die sie früher mit ihren 50-Stundenwochen abgearbeitet haben. Unternehmen klagen über Arbeitskräftemangel bei Spezialkräften, über Lohnsteigerungen und ihre sinkende internationale Wettbewerbsposition. Alle Angestellten bemängeln die soziale Ungerechtigkeit gegenüber den Selbstständigen, die ihre Berufe zeitlich unbeschränkt ausüben dürfen. Sukzessive wird die Arbeitszeitregulierung von Ausnahmen durchlöchert, am Ende meist aufgegeben. Die Einkommen werden immer ungleicher verteilt. Was nicht in die Unternehmensgewinne fließt, sammelt sich mehr und mehr bei den Erwerbstätigen mit Topeinkommen.
Die Umweltbelastung hat inzwischen katastrophale Ausmaße erreicht: Die globale Erwärmung führt regional zu langen Trockenperioden, Wüsten breiten sich aus, der Meeresspiegel steigt und überschwemmt küstennahe Wohn- und Wirtschaftsgebiete. Die westlichen Industrieländer können diese Konsequenzen ohne allzu große wirtschaftliche Belastung auffangen. Wenn technische Sicherungsmaßnahmen nicht helfen, werden die betroffenen Bevölkerungsteile umgesiedelt. In Folge dieser Belastungen steigt die internationale Migration, regionale Konflikte in und zwischen den besonders betroffenen ärmeren Staaten nehmen zu. Dies löst weitere Migrationswellen aus. Die europäischen Sozialstaaten stehen vor einem Dilemma. Ihre humanitäre Hilfsbereitschaft kollidiert mit der Erfahrung, dass ihre gesellschaftlichen Systeme größere Einwanderungswellen nur schwer verarbeiten können. Die Sozialetats sind ohnehin schon extrem belastet. Europa versucht, diesen Konflikt durch verstärkte wirtschaftliche und technische Unterstützung vor Ort zu mildern. Es finanziert Sicherungs- und Umsiedlungsmaßnahmen sowie die Aufnahmebereitschaft von Nachbarstaaten aus betroffenen Regionen. Andere wirtschaftlich erfolgreiche Staaten reagieren ähnlich. Die Migration bleibt vor allem ein Problem der ärmeren Weltregionen.
Doch auch die Industrienationen spüren die Folgen dieser Entwicklungen. Die Umweltzerstörung, die Natur, Gesellschaften und Politik destabilisiert, kommt so nahe wie nie zuvor. Was zunächst die vorausschauende Warnung einer Avantgarde war, dann zur weitverbreiteten Sorge wurde, ist nun in die kollektive Angst umgeschlagen, dass es zu spät sein könnte. Umweltschädliche Produktionsverfahren und Produkte werden gesetzlich weiter eingeschränkt, verteuert und besteuert, ein Umgehen der Gesetze scharf sanktioniert – mit dem Ergebnis weiterer Arbeitsplatzverluste. Als Ausgleich werden zum wiederholten Mal staatlich geförderte umweltschutzorientierte Forschungs- und Investitionsoffensiven gestartet. Sie sollen Innovationen fördern und die Wirtschaft noch mehr auf alternative Energien und digitale Produkte ausrichten, die nicht die Umwelt belasten.