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WELTMASCHINE, HALT!
ОглавлениеAllerorten wird ein Neustart beschworen. Sollte man nicht zuvor die Fahrtrichtung festlegen?
Was ich gelernt habe: dass einer Pandemie menschliche Meinungsverschiedenheiten egal sind, in ihrer Vorhersehbarkeit eventuell sogar todlangweilig. Wobei: Das harmlose Wort »Meinungsverschiedenheit« trifft es nicht ganz. Die Bannflüche, Justament-Standpunkte, Expertisen und Gegenexpertisen, die akut von allen verfügbaren Kanzeln im Glaubenskrieg des 21. Jahrhunderts verkündet werden, lassen die Vermutung zu, dass neben Covid-19 noch ein zweites Virus grassiert, das vorrangig Gehirnzellen angreift. Die einen orten es in Menschenschlangen, die erwartungsfroh vor Baumärkten in Reih’ und Glied stehen. Das sind eher die harmloseren Fälle. Die anderen ordnen es Kassandrarufern zu, die lautstark das dicke Ende kommen sehen, aber die Implikationen genauso verdrängen (müssen) wie ihre vermeintlichen Widersacher. Ich frage Sie: Sitzen wir nicht alle im selben Boot? Es leckt gewaltig, so viel ist sicher.
Was ich noch gelernt habe: Der Götze unserer Zeit ist »die Wirtschaft« – etwas, das ich bislang für ein eher banales Mittel zum Zweck hielt. »Ziel der Wirtschaft«, schlage ich umgehend in Gablers Wirtschaftslexikon nach, »ist die Sicherstellung des Lebensunterhalts und, in ihrer kapitalistischen Form, die Maximierung von Gewinn und Lust mithilfe unternehmerischer Freiheit, zugleich die Erzeugung von Abhängigkeit, ob von Anbietern oder Produkten, bis zum – nicht unbedingt gewünschten, aber erwartbaren – Kollaps des Systems.« Na bitt’-schön. Das klingt jedenfalls nicht nach einem Werbefuzzi der Wirtschaftskammer. Wenn der Kollaps eines Systems »erwartbar« ist – und man muss jetzt weder Bill Gates, den Club of Rome, Naomi Klein oder Greta Thunberg bemühen –, dann sollten wir den Warnschuss, den die Menschheit gerade abbekommen hat, doch nicht ungehört verhallen lassen. Sofern man überhaupt an einen glücklichen Ausgang der Geschichte glaubt. Wenn die Wiedergeburt eines schwer rekonvaleszenten Patienten darin besteht, dass er in den nächsten Konsumtaumel verfällt, darf man ruhig daran (ver)zweifeln. Aber vielleicht hilft ja frisch geernteter Spargel mit Schmierspuren virulenter Profitgier über die nächste Depression.
Was ich weiters gelernt habe: Menschen lösen sich nicht von ihren kleinlichen Problemchen, Psycho-Defiziten und Sichtweisen, selbst wenn ringsum die Welt untergeht. Zu wenig persönlicher Freiraum beim strikt lebensnotwendigen Fitnesslauf im Schlosspark? Skandal! Unvollständig ausgefüllte Formulare im Kampf mit der Krisen-Bürokratie? Abmahnung! Immer noch Autos, die in den weithin leeren Begegnungszonen der Gegenwart unterwegs sind? Sofort das Waffenrad gesattelt! Selbst die Warnrufe der ewigen Kämpfer für das Wahre, Gute, Schöne (und die perfekte Demokratie sowieso) bekommen mitunter einen schneidenden Ton. Das Falter-Abo bleibt trotzdem aufrecht!
Was ich nicht gelernt, aber geträumt habe: dass Gsellmanns Weltmaschine – bitte googlen, wenn Ihnen das gar nichts sagt – das perfekte Kunstwerk und Sinnbild für unser Dasein ist. Die Maschine läuft nie rund, man kennt ihren Zweck nicht, ihr Erbauer hat sich längst absentiert. Sie produziert auch nichts. Aber das Ding lässt uns ahnen, dass jemand einst einen Plan hatte. Er ist verloren gegangen.