Читать книгу Hitlers Double. Tatsachenroman - Walter Laufenberg - Страница 10
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ОглавлениеEs scheint nicht viele Deutsche oder Österreicher zu geben, die sich in unsere Welt verlaufen haben. Bisher habe ich nur von einem einzigen gehört. An der Theke, in harmloser Blabla-Recherche. Der Mann sammelt Schlüssel. Seine Überzeugung: Wer alle Schlüssel der Welt hat, dem steht die ganze Welt offen. Nein, das sei kein Hobby, hatte er sich verteidigt, das sei ihm ein Bedürfnis. Im übrigen auch nicht so teuer wie ein Hobby. Es liegen doch überall Schlüssel herum, die nicht mehr gebraucht werden. In jeder Wohnung. Man muß nur herumfragen. „Denn Schlüssel haben ein längeres Leben als Schlösser“, hat er mich bierselig aufgeklärt. „Meist tun die Schlösser es schon bald nicht mehr. Schlüssel sind das, was von uns übrigbleibt, und nicht die Schlösser. Ist das nicht beruhigend?“ Als sein innerer Bierpegel die Hochwassermarke erreicht hatte, verriet er mir, daß er jahrelang gesessen habe.
„Damals. Daheim. In Österreich.“
„Aha, dann bedeutet einem ein Schlüssel natürlich viel.“
„Viel? - Quatsch viel. - Alles, Mann. Denn Schlüssel heißt Freiheit.“
Wann er gesessen habe, wollte ich wissen. - Im Krieg. - Wirklich im Krieg und nicht nach dem Krieg?
„Quatsch nach dem Krieg. Da waren wir doch befreit. Plötzlich waren die Wachmannschaften weg. Und die Amerikaner haben das Lagertor ganz weit aufgemacht. Sperrangelweit aufgemacht.“
Ein Naziopfer also. Das kann ich jetzt nicht brauchen. Ich suche Täter, nicht Opfer. Ist doch immer dasselbe: Wen interessieren schon die Opfer. Die Täter sind die tolleren Figuren. Ich werde weiter herumfragen.
Und heute Abend gehe ich zu Fuß über die Pontonbrücke zum Westufer des Sees. Ein Spaziergänger, das ist unverfänglich. Nein. Das geht nicht. Das wäre die allerauffälligste Art, mich dem Haus des Deutschen zu nähern. Wer geht schon zu Fuß? Aber mit meinem Wagen möchte ich auch nicht hinfahren. Da könnte sich jemand meine Autonummer merken oder zumindest den Typ und die Farbe. Aber so einen roten alten Ford haben doch viele Leute. Trotzdem schlecht.
Am frühen Abend bin ich bei einem Rollerverleih. Ich habe meine alte Lederjacke an und einen Fotoapparat vor dem Bauch hängen, kriege vom Geschäftsführer des Unternehmens einen Integralhelm übergestülpt und setze mich auf den Motorroller. Wie ein Tourist fahre ich langsam und mit vielem Hin- und Herschauen die Benvoulin Road hoch, biege dann nach links ab in die Harvey Avenue und bin gleich drauf auf der Pontonbrücke. Drüben am Hang kann ich das Haus schon sehen, das mir meine Kneipenbekanntschaft beschrieben hat. Das da, das muß es sein. In halber Höhe, mit herrschaftlichem Blick über den Okanagansee. Das habe ich bisher nie bewußt wahrgenommen. Dabei ist es ein Haus, das so wenig in diese Gegend paßt, wie ein Kamel ins Polareis. Ein schweres, weit über die Hauswände hinausgezogenes Dach, mit Holzschindeln gedeckt, auf denen einzelne Felssteine liegen. Ein stumpfwinkliger, behäbiger Giebel, unten weiß getüncht, oben aus dunklem Holz, mit zwei Reihen Balkons übereinander, die über die ganze Breite gehen. Eine Balkonverkleidung aus schnörkelig geschnitzten senkrechten Brettern. Und alles voller Blumenkästen, aus denen eine offenbar liebevoll gepflegte Blütenpracht weiß und blau überquillt.
Bayerischer Stil, so hat er das genannt, mein Mann an der Theke. Bayerischer Stil. Na, meinetwegen. Seinen Namen habe ich schon vergessen. Er hat sich den falschen Namen, den ich ihm genannt habe, hoffentlich auch nicht gemerkt. Wäre eine nutzlose geistige Investition gewesen.
„Das Haus hat sich ein Einwanderer in den frühen zwanziger Jahren gebaut. Der hatte so einen komischen Geschmack“, hatte mein Mann noch zu berichten gewußt. Das ging voll daneben. Der Bauherr konnte noch kein alter Nazi sein. Ich brauchte einen, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hierhergekommen ist. Ich wollte schon die Gaststätte wechseln - neues Spiel, neues Glück -, da rückte er endlich mit der eigentlich aufregenden Information heraus: „Das Haus ist im Jahre 1947 aufgekauft worden, von einem Deutschen - kann auch ein Österreicher gewesen sein, wer schaut da durch? -, nachdem es etliche Jahre lang leergestanden hatte. Sah schon sehr schäbig aus. Der Mann muß einen besonderen Narren gefressen haben an diesem bayerischen Stil. Denn er hat das Haus für viel Geld in der alten kuriosen Art restaurieren lassen. Und er wollte nur dieses Haus haben, kein anderes. Obwohl da noch andere Objekte am Hang standen, die zu verkaufen waren. Viel schönere.“
Mehr wußte mein Informant nicht zu berichten. Schade. Aber vielleicht ist das schon Gold wert, was er mir gesagt hat. Ich hätte ihm noch ein zweites Bier ausgeben sollen. Erledigt. Nun bist du selbst dran, William Harrison.
Ich fahre am Ufer ein wenig hin und her, auch mal die eine oder andere Straße ein Stückchen hoch. Ein Tourist, der den optimalen Blick auf den See sucht. Immer wieder verstellen einzelne Häuser und Bäume die Sicht. Ich schaue da und dort durch die Kamera und tue so, als ob ich abdrückte. Ein ernsthafter Hobbyfotograf. Dabei immer nur mit dem einen Gedanken beschäftigt: Wie komme ich auf die unauffälligste Weise ran an den Mann? Es wird mir nichts anderes übrigbleiben, als zu dem bayerischen Haus hochzufahren und an der Tür zu klingeln. Ich könnte nach einer Frau Allenby fragen, die dort einmal gewohnt hat. Behaupte ich einfach. Elizabeth Allenby. Ob der Hausherr mir vielleicht mit einem Hinweis weiterhelfen könne, wo die Dame abgeblieben ist. Ich bin ihr Neffe.
An der Tür steht der Name des neuen Hausherrn: Jakob Wagner. Okay, das ist ein deutscher Name. Obwohl Jakob, das ist doch ein jüdischer Vorname. Das klingt nicht nach einem alten Nazi, eher nach einem von den Nazis Verfolgten. Aber dann hätte er nicht nach dem Krieg, sondern vor dem Krieg hierherkommen müssen. Wird sich alles noch klären. Denn eine Klingel ist auch da. Sie klingelt schrill, sogar draußen deutlich zu hören. Keine Reaktion im Haus. Geduld, Geduld und es noch einmal versucht. Doch nichts tut sich. Links an der Wand die Kachel mit dem komischen Hundebild und der Beschriftung „cave canem“ soll wohl eine besonders witzige Warnung vor dem Haushund sein. Schade, daß ich kein deutsch kann. Das putzige Hundchen mit den krummen Beinen hätte ich gern kennengelernt.
Ich kann hier nicht ewig vor der Tür herumstehen. Ich muß weg hier und die Sache vertagen. Oder ich gehe sie von einer anderen Seite her an. Nachbarn haben manchmal viel übereinander zu sagen. Die räumliche Nähe bringt es mit sich, daß man den anderen nicht leiden kann und ihn nur zu gern schlechtmacht. Also fahre ich an die Villa heran, die etwas unterhalb des bayerischen Hauses an derselben Straße steht.
„Verzeih’n Sie die Störung. Aber ich suche meine Tante, Frau Elizabeth Allenby. Sie muß bis vor kurzem in dem Haus dort oben gewohnt haben. Aber dort ist niemand, der mir Auskunft geben kann.“
„Dort ist schon jemand. Aber der läßt sich nicht sprechen. Ich bin sicher, der ist zuhause. Ein Fremder, ein Einsiedler beinahe. Der läßt keinen Menschen an sich heran. Außer der indianischen Haushälterin, die zweimal die Woche zu ihm ins Haus kommt. Und Ihre Tante, die wohnt da nicht. Die hat dort auch nicht gewohnt. Müßte ich doch wissen. Ich bin hier schon über fünfundzwanzig Jahre.“
„Und der Mann, dieser Jakob Wagner, der wohnt ganz allein in dem großen Haus?“
„Sag’ ich doch. Nur zwei Hunde hat er. Denen muß er wohl die Schnauzen zuhalten, wenn einer klingelt. Ja, die Hunde, die leben mit ihm in dem Haus. Wer sonst will in so einer häßlichen Jahrmarktsbude wohnen? Haben Sie die schweren Felssteine gesehen, die er auf das Dach gelegt hat. Damit es ihm nicht davonfliegt. Der Mann muß wohl viel Wind machen. Ob er sonst noch was macht, das weiß kein Mensch. Wird schon nichts Rechtes sein. Und jetzt entschuldigen Sie mich. Ich habe keine Zeit. Und ich spreche auch nicht über andere Leute.“
„Ich danke Ihnen“, steige ich wieder auf meinen Roller. „War sowieso nicht reich, meine gute alte Tante.“ Plötzlich habe ich es eilig. Denn da ist mir eine Idee gekommen: Du mußt überprüfen, ob man dieses bayerische Haus von drüben sehen kann. Vom gegenüberliegenden Hang aus. Von der Straße Nr. 33, die zum Big White Mount hinaufführt, wo ich in zwei Monaten wieder skilaufen werde. Und schon bin ich wieder der Tourist, der sich mit seinem Motorroller und mit neugierigem Kopfdrehen durch die Stadt schlängelt. Nur gerade raus aus dem Verkehr und ein kurzes Stück in den Hang hinein, hinauf in den Kiefernwald. Das ist die Stelle. Hier hat der Mann gestanden, als es ihn erwischt hat. Ich drehe und steige ab und stehe neben der Fahrbahn und sehe hinüber zum Westufer des Okanagansees und sehe das Haus mit der Blumenpracht. Mit einem guten Feldstecher wäre von hier aus gut zu beobachten, was sich da drüben tut. Wer ein und aus geht und zu welchen Uhrzeiten. Die meisten Menschen haben ja was Regelmäßiges an sich, was sie verwundbar macht. Bei dem Gedanken meine ich schon zu spüren, wie mir ein kleines Loch in den Hinterkopf geschossen wird. Nur weg von hier. So nicht, so will ich ihn nicht kennenlernen, den Mörder des unbekannten Mannes, der ein Nazijäger war.