Читать книгу Hitlers Double. Tatsachenroman - Walter Laufenberg - Страница 13
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ОглавлениеDas Jogging sollte ich beibehalten. Tut mir irgendwie gut. Und daß die Leute drüben am Hang sich an den Jogger gewöhnen, kann auch nicht schaden. Vor allem für den menschenscheuen Alten, diesen Jakob Wagner, und für seine beiden Hunde werde ich mit der Zeit so selbstverständlich, daß man sich allmählich menschlich näherkommen könnte. Muß doch herauszukriegen sein, ob der Mann ein alter Nazi ist, ob vielleicht sogar Adolf Hitler persönlich. Das wäre die Weltsensation. Das Alter des Mannes könnte stimmen. Die Handhaltung stimmt. Und ein Hundefreund war Hitler auch. Aber auch wenn er ihn nur nachahmt, wenn der Mann bloß Hitler spielt, wäre das ein toller Fall. Heute, beim dritten Mal, daß wir uns treffen, hat er mein „Guten Morgen“ mit einem leichten Kopfnicken beantwortet. Wenn das so weitergeht, mache ich in zwei Monaten mit ihm eine Flasche Whisky leer. Auf seinem Blumenbalkon mit weitem Blick über den Okanagansee. Jede Wette.
Nach dem Laufen sofort heim und unter die Dusche. Und so erfrischt, schnell gefönt und mit Deo unter den Armen in meine Reporterkluft gestiegen, die immer die schwierige Balance zwischen salopp und teuer halten muß, und ab zum Sender. In der Redaktionskonferenz ahnt kein Mensch, daß ich schon seit zwei Stunden tätig bin.
Kaum hat die Konferenz begonnen, sagt Pineladder: „Mister Harrison und Mister Anthony werden uns mal wieder für drei Tage verlassen. Sie fahren nach Osoyoos und versuchen, etwas herauszukriegen über Schmuggler, die über die grüne Grenze Rauschgift aus den USA zu uns hereinbringen. Oder auch illegale Arbeiter. Notfalls tut es schon das typische Gespräch mit dem Sheriff. Wenn da aber nichts drinsteckt, dann machen Sie eine Chose über den Tagestourismus an unserer Südgrenze, soher und soher. Falls Sie auch da nichts Brauchbares finden, sollten Sie auf jeden Fall einen stimmungsvollen Bericht aus der Wüste mitbringen. In der Art: Pocket Desert ist immer eine Reise wert. Also mit allem, was dazugehört. Sand, richtige Sanddünen, Eidechsen und Schildkröten und Klapperschlangen und Kakteen, und darüber kreist ein Geier. Das muß den Leuten ans Herz gehen. Sind schließlich die einzigen Wüstenflecken, die wir in Kanada haben.“
Ein Dreitageauftrag, da brauche ich nicht gleich aufzuspringen und die Sitzung zu verlassen. Ich kann bis zum Ende sitzen bleiben. Ich muß mit Pineladder sprechen. Als ich mit ihm in sein Büro gehe, scheint er das für selbstverständlich zu halten. Er hat also schon damit gerechnet, daß ich ihn zur Rede stellen werde.
„Sie schicken mich in die Wüste, Mister Pineladder.“
„Ja, so könnte man das auch ausdrücken.“
„So auch? Wie denn sonst noch?“
„Ich nehme Sie aus der Schußlinie.“
„Bangemachen gilt nicht.“
„Sie sind ein verfluchter Dickkopf, Harrison. Wenn ich Ihnen gesagt habe, Sie sollten das lassen - Sie wissen, was ich meine -, dann war das schon mehr als eine Dienstanweisung. Das war ein väterlicher Rat.“
„Väter wissen durchaus nicht immer alles besser.“
„Ich bin Ihnen keine weitere Erklärung schuldig. Aber ich gebe Sie Ihnen trotzdem. Weil ich nicht will, daß Ihnen was passiert. Sie sind ein guter Reporter - und noch so jung, da kann ...“
„Zu einem guten Reporter gehört, daß er nicht losläßt, wenn er den Gauner am Mantelzipfel hat.“
Dieses Doggengesicht, wie es sich verdüstert. Wie ihm die Lefzen noch weiter herabhängen als gewöhnlich. Und dieser Hundeblick, auf den ich hereinfallen soll. „Harrison, der Fall ist zu groß für Sie. Etliche Nummern zu groß. Ich habe von oben, von unseren Eignern, eine eindringliche Ermahnung erhalten, Sie so zu verdonnern, daß Sie auch nicht einen einzigen Schritt weitergehen in der Sache.“
„Was Sie hiermit getan haben. Besten Dank - und auf Wiedersehen. Ich mache mich auf den Weg in die Wüste.“
Väterlicher Rat. Daß ich nicht lache. Pineladder sollte als Abteilungsleiter das Format haben, daß er nicht bei jedem kleinen Furz seiner Oberen in die Hose macht. Wenn ich diese Story im Kasten habe, dann werde ich sein Chef. Aber die nächsten Tage wird Jakob Wagner mich entbehren müssen. Und seine Schäferhunde werden dumm gucken, wenn ich nicht da bin. So habe ich wenigstens Zeit zum Nachdenken. Das muß ganz cool durchdacht werden. Wenn der Mann Hitler wäre, dann müßte er wenigstens noch annähernd so aussehen wie Hitler. Das tut er jedoch nicht. Diese komische Nase. Andererseits - ein anderes Aussehen anzunehmen und nicht nur eine andere Identität, das dürfte für einen totalitären Herrscher kein Problem sein. Schon Siegfried, dieser sagenhafte Held der Deutschen, ist im Nibelungenlied unter fremdem Namen aufgetreten. Von einer Tarnkappe gedeckt. Aber - das ist bloß Literatur, es gibt bis heute keine Tarnkappen. Daß die Nazis auch die Tarnkappe entwickelt hätten, davon habe ich nie gehört. Aber wer weiß. Zuzutrauen ist den Burschen ja alles.
Der „Calgary Observer“, den ich mir ausnahmsweise gekauft hatte, brachte vor einigen Tagen eine kurze Notiz, daß die westdeutsche Regierung in Bonn eine Prämie für die Aufdeckung des Mordes mittels Kopfschuß im Wald bei Kelowna ausgesetzt hat. Da geht es um meinen Mann, ganz sicher. Nur sonderbar, daß im „Kelowna Morning“, den ich jeden Tag lese, davon nichts gestanden hat. Fünfzigtausend amerikanische Dollars als Prämie, das ist doch kein Pappenstiel. Das ist das Sümmchen, das mir gerade noch zu meinem Glück fehlt. Dann mache ich Maggy zu meiner Frau und residiere in einem Büro, doppelt so groß wie das von Pineladder. Ja, dieser Fall ist die Chance meines Lebens. - Ich hoffe nur, daß ich sie überlebe, anders als der bedauernswerte Emissär von Simon Wiesenthal.
Eigentlich unverständlich, daß nicht eine Sonderkommission gebildet wurde. Nichts dergleichen. Ist ja üblich, daß man als Reporter den Kriminalisten ins Gehege kommt. Aber daß sie überhaupt nicht zur Jagd blasen - sonderbar. Eindeutig ein Mord, aber absolute Funkstille. Und trotzdem soll es für mich gefährlich sein, weiter zu recherchieren? Wer sonst kann denn an diesem Fall ein Interesse haben? - Klar, eine Nazi-Organisation. Wer sonst? Vielleicht so was wie das berüchtigte „Netzwerk Odessa“. Und diese Nazi-Organisation ist so stark, daß ihr Arm sogar in unseren Sender hineinreicht. Und in den Zeitungsverlag. Dann muß ich mich erst recht um die Aufklärung dieses Falles kümmern. Unser freies Land Kanada ist von einer Nazi-Organisation bedroht. Die alten Nazis wollen uns in den Griff kriegen. Nie und nimmer darf ihnen das gelingen!
Ich bringe die Drei-Tage-Tour mit Fred Anthony in bester Haltung und mit wenig Geduld hinter mich. Immer den Stetson auf dem Kopf, das rote Halstuch um und die Sonnenbrille nur selten abgesetzt. Ich sehe trotzdem nichts von Schmugglern. Anthony will sie wohl gar nicht sehen. Das mit der grünen Grenze ist im übrigen ein Witz. In beiden Richtungen kein Problem, sie zu überschreiten. Und Touristen? Dafür interessieren wir uns beide nicht. Fred Anthony regt sich darüber auf, daß ich an meinen Fingernägeln herumschnippel, wenn ich irgendwo warten muß, herumstehen oder herumsitzen. Wofür habe ich das große Klappmesser in der Hosentasche, wenn ich damit nicht meine regelmäßig notwendige Kosmetik betreiben darf? Das krächzt für ihn so, daß er es nicht aushalten kann. Er hält sich die Ohren zu. So ein Quatsch. Ich schneide mir fein säuberlich die Fingernägel ab wie eine Brotrinde. Anschließend an eine Hauswand rantreten und die Schnittkanten auf dem Rauhputz glattfeilen. Ist doch besser als diese Kauerei an den Fingernägeln. Erst als ich Anthony bei dieser infantilen Gewohnheit ertappe, als ich ihm großzügig mein Messer anbiete, damit er von seinem Knabberkomplex loskommt, gibt er Ruhe.
Trotz allem, als Ausbeute bringen wir einen schönen Wüstenfilm mit. Tiefblauer Himmel und die haushohe Staubwolke hinter unserem Wagen. Das Flimmern in der Luft, daß man unwillkürlich meint, das Hemd weiter aufknöpfen zu müssen. Und ins Leere greift: Wo ist meine Cola?
Am vierten Tag mache ich wieder mein Jogging, lasse ich Jakob Wagner mir wieder zunicken, sehe ich die beiden Schäferhunde an wie alte Freunde. Sie wissen schon, daß sie nicht hinter mir her rennen dürfen. Sie bleiben brav an der Seite des Alten. Diesmal habe ich mir das Gesicht des Alten ein bißchen genauer angesehen. Hoffentlich war das nicht zu auffällig. Jedenfalls konnte ich nichts Bekanntes in seinem Gesicht entdecken. Was ich mir von den Hitlerfotos eingeprägt hatte, die markante Nase und die waagerechten Augenbrauen, zur Nasenwurzel hin viel buschiger als außen, davon war nichts zu sehen. Beides ganz anders als auf den Fotos. Liege ich also völlig falsch mit meinem Verdacht?
Ich sitze wieder brav in der Redaktionssitzung und übernehme den Bericht von einem Wettbewerb der Schnupfer. Komisch ernsthafte Leute, die sich den Schnupftabak wie Schießpulver in einer langen Spur auf den Handrücken und den Arm hinauf legen, ihn dann aber nicht anzünden, sondern mit geblähten Nüstern dran entlangstreichen, kräftig die Luft reinziehen, wie ein Staubsauger, und anschließend jeden Krümel auf die Feinwaage legen, der auf der Hand geblieben oder aus der Nase gefallen ist. Herrliche Schnupferporträts. Immer wieder groß hinein in die Nasenlöcher. Volles Akkulicht drauf, daß man glaubt, man würde in eine Kohlengrube einfahren.
Am fünften Tag bin ich so früh auf wie gewöhnlich. Ich ziehe wieder meinen Trainingsanzug und die Laufschuhe an. Heute werde ich Jakob Wagner ansprechen. Ich werde einfach bei ihm stehenbleiben und etwas über das Wetter sagen. Das ist immer unverfänglich. Und jeder macht gern mit, hat dazu auch selbst was zu sagen. Ich gehe zum Fenster, um festzustellen, wie das Wetter ist. Da sehe ich, wie ein Mann in Joggeranzug und Laufschuhen in meinen Wagen steigt und unterm Armaturenbrett herumfummelt, um die Zündung kurzzuschließen. Verdammt! Ein Dieb! Ich renne los, zwei Treppen runter. Doch in dem Moment, da ich aus der Tür springe, gibt es eine gewaltige Detonation. Mein Wagen ist nur noch ein riesiger Feuerball.
Mich hat es in den Hausflur geworfen. Mein Fahrrad, das im Flur an der Wand stand, ist auf mich gefallen. Ich rappel mich auf. Mir tut alles weh, aber ich bin offenbar unverletzt. Nur ein paar Blutergüsse wird das geben, tröste ich mich und drücke die Haustür zu. Von innen. Dieser miese kleine Dieb, der mit meinem alten Wagen abhauen wollte. Er ist atomisiert. Während ich schwerfällig nach oben gehe, ist mir, als wäre ich gerade neugeboren. Noch ein bißchen benommen, noch ein bißchen fremd in dieser Welt. Aber soviel weiß ich schon: Das galt mir, und deshalb muß ich fort. Und zwar sofort und ohne Gepäck. Durch den Hinterausgang. Dieser miese kleine Dieb hat mir eine neue Chance gegeben. Tot zu sein und dabei fröhlich vor sich hin zu leben, das ist das Beste, was einem passieren kann.