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Der Mann kann ja nicht vom Mond gefallen sein. Und einer aus dem Okanagantal war er nicht, das hatten die von der Presse schon eruiert. Alle Hotels und Pensionen hatten sie abgefragt. Da wurde kein Gast vermißt. Also bleibt die Frage: Wie kommt einer anders hierher als mit dem Wagen?

Im Büro von Mark Evans, dem Starreporter der Regionalzeitung Kelowna Morning, fühle ich mich beinahe wie zuhause. Zumindest rede ich mir das ein. Um nicht allzu unsicher zu sein. Wer bin ich denn? Ich bin einer von ihnen. Ein Reporter wie dieser Mark Evans, nur noch nicht ganz so lange in den schnellen Stiefeln. Gerade erst ein paar Monate. Aber dafür habe ich mehr jugendlichen Elan als Evans, der offensichtlich nicht mehr der jüngste ist. Dagegen ich mit meinen dreißig Jahren. Und mit meinem Aussehen. Alle Frauen fliegen auf mich. Na, sagen wir, fast alle. Ich bin einfach der Typ der Zeit, groß dunkelhaarig und mit wachen Augen. Okay, die etwas zu sehr abstehenden Ohren. Dafür bin ich früher viel ausgelacht worden. Aber das war früher. Dazu sagt kein Mensch mehr was. Kann auch keiner was sagen. Ich bin ein Reporter. Der Typ der Zeit, der die Zeit selbst im Griff hat. Ja, bei uns in den Redaktionszimmern, da sieht es nicht viel anders aus als hier. In der Hochburg der Ereignisse. Nein, der Berichterstattung. Könnte man das so nennen? Dieses aufregende Durcheinander von Papieren und Schreibmaschinen, von Telefonen und Kameras, Blitzlichtgeräten, Tonbändern, Diktiergeräten, auf dem Boden gestapelten Büchern, durchgesessenen Sesseln, vollen Aschenbechern. Und dazwischen der zappelige Mann, schon leicht ergraut, mit den Augen, die einen ansehen, als versuchten sie, mit einem Blick den ganzen persönlichen Hintergrund aufzuhellen.

Daß ich das sehr zu schätzen wüßte, daß er Zeit hat für mich, den Anfänger, sage ich ihm. „Zur Sache, Mann“, ist seine Antwort. Berufsmäßige Schnoddrigkeit. Das kann mich nicht irritieren.

„Sie wissen, es geht um den unbekannten Toten neben der Straße Nr. 33. Wie kommt einer anders her, Mister Evans, um sich hier erschießen zu lassen, als mit dem Wagen? Hat dann aber weder einen Wagen noch Papiere noch einen Wagenschlüssel bei sich.“

„Um sich hier erschießen zu lassen, ist gut gesagt.“

„Na, ich meine nur so.“

„Vielleicht meinen Sie gerade das Richtige. - Könnte doch sein, daß der Mann damit gerechnet hat, hier erschossen zu werden.“ Dabei kramt Evans in den Zeitungsstößen auf dem Boden neben seinem Schreibtisch und zieht die Meldungen von damals heraus. Ich wage nicht, etwas zu sagen. Sein Gesicht ist so spitz geworden wie ein Hundegesicht, das einen bekannten Geruch entdeckt hat.

„Vielleicht wußte der Mann von seiner Gefährdung und war deshalb nicht allein. Habe ich ja auch so geschrieben. Hier ist es. Es wartete vermutlich noch jemand im Wagen in seiner Nähe.“

„Und der fährt dann seelenruhig ab, mit der Brieftasche des Toten, und läßt den Mann einfach im Wald liegen? Spricht ja nicht für eine allzu herzliche Verbindung.“

„Gratuliere, Mister Harrison, Sie sind auf der richtigen Spur.“

„Sie meinen, es kann sich nicht um ein Familienmitglied gehandelt haben, nicht einmal um einen Freund.“

„Genau.“

„Vielleicht um einen Geschäftspartner?“

„Vielleicht.“

„Der seinen Sozius mit einem Schuß erledigt und sich schnell heim begibt, weil das Geschäft ruft? - Wäre schon möglich. Aber es sind ja keinerlei Spuren gefunden worden. Der Tote war allein.“

„Als Toter ja. Aber vorher nicht unbedingt. Der Mann ist nicht aus der Nähe, nicht mit einer Pistole, sondern mit einem Gewehr erschossen worden. Mit einer speziellen Scharfschützenmunition. Der Schütze kann also über hundert Meter weit weg gewesen sein. Da sind die Spurensucher der Polizei überfordert.“

„Das haben Sie schon rausgekriegt?“ Ehrliche Bewunderung zeigen. Mal sehen, ob ein Mann wie Mark Evans sich hinreißen läßt, mehr zu verraten als er eigentlich verraten möchte.

„Nicht nur das. Opfer und Begleiter waren weder Verwandte noch Geschäftspartner. Sie gehörten bloß ein und derselben Organisation an.“

„Das haben Sie in Ihrem Artikel aber nicht gebracht.“

„Stimmt.“

„Und - darf man wissen, warum nicht?“

„Sie dürfen, junger Freund. Obwohl - eigentlich sind Sie zu jung, um Kopf und Kragen zu riskieren. Ich kann Sie nur warnen.“

„Ein kurzes, aber erfolgreiches Leben ist doppelt soviel wert wie ein langes Leben voller Langeweile. - Also bitte! Warum hat ein bekannter Mann wie Mark Evans, dem alle Türen offenstehen und der immer für eine Sensation gut ist, den Schwanz eingezogen?“

Er zuckt kaum merklich zusammen, bleibt aber ganz der überlegene Star. „Wenn Sie es so sehen wollen, nun gut. Mein Verleger hat mich ultimativ aufgefordert, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Keine weiteren Recherchen oder aber Rauswurf!“

„Genau das ist mir gesagt worden.“

„Dann wissen Sie ja, wo Sie dran sind.“

„Nein, das weiß ich erst, wenn Sie mir sagen, um was für eine Organisation es sich handelt.“

„Kein Kommentar - und Gott mit Ihnen, junger Freund!“ Damit geleitet der Starreporter den jungen Fernsehmann zur Tür. „Den Weg hinaus kennen Sie ja.“

Verflucht. Wenn jetzt schon die Reporter das dumme Gerede der Politiker - kein Kommentar - übernehmen, wie sollen wir dann noch weiterkommen. Apropos Politiker. Na klar. Es handelt sich um was Politisches. Deshalb die Angst der Bonzen.

Schon in der halbgeöffneten Tür: „Jedenfalls besten Dank. Ich sehe Licht am Ende des Tunnels. Was Politisches, nicht wahr? Darf ich gelegentlich wieder auf Sie zukommen, Mister Evans?“

„Nein, Mister Wiesenthal - eh pardon, Mister Harrison. Lieber nicht.“

Er hat sich nicht einfach versprochen. Ein Mann wie Mark Evans verspricht sich nicht. Was der sagt, ist druckreif. Der weiß doch, daß es auf jedes Wort ankommt. Das war ein versteckter Hinweis. Er wollte mir was sagen, was er mir nicht sagen durfte ...

„Du spinnst mal wieder herum“, ist alles, was Maggy dazu zu sagen hat.

Warum nur immer dieser Abstand, wenn ich neben ihr sitze? Warum können wir nicht auf derselben Wellenlänge senden und empfangen?

„Du hast so einen wunderschön geformten Kopf. Du hast so hellwache Augen, Maggy, so süße kleine Öhrchen, doch ist das für mich alles wie ein Vorwurf. Als ob es nur an mir liegen könnte, daß wir uns nicht verstehen.“

„Das verstehe ich jetzt aber nicht.“

„Mensch, Maggy, er hat mich Wiesenthal genannt. Das muß doch was zu bedeuten haben. Wiesenthal, Wiesenthal, das ist ein typisch jüdischer Name. Ich bin aber kein Jude, das steht fest. Und kein Mensch hat mich bisher für einen Juden gehalten. Ich hätte ja nichts dagegen. Wäre fast so was wie ein Kompliment. Denn an Intelligenz sind diese Leute uns meist weit überlegen.“

„Wiesenthal - ist das nicht der Name von dem Mann, der den deutschen Nazi Eichmann in Argentinien aufgespürt hat? Den er dann dem israelischen Geheimdienst in die Hände gespielt hat. Den die dann in Jerusalem aufgeknüpft haben. Ich habe doch mal so was in einer Magazinsendung gesehen.“

„Ja, das ist es! Maggy, du bist eine Bombe. Jetzt brauche ich was zum Nachschlagen. Ich bin weg, Maggy, zur Stadtbibliothek. Wenn Pineladder nach mir fragt, sagst du ihm, daß ich mich über Verbesserungsmöglichkeiten des Regionalverkehrs informiere.“

Simon Wiesenthal, österreichischer Publizist, ehemals Architekt, bekannter Nazijäger. 1908 geboren, von den Nazis seit 1941 in verschiedenen Konzentrationslagern gefangengehalten, überlebte als einziger einer großen Familie den Genozid, wurde 1945 von den alliierten Truppen aus dem Konzentrationslager Mauthausen befreit, gründete dann zusammen mit anderen Naziopfern zunächst 1947 in Linz, dann neu 1961 in Wien ein Dokumentationszentrum über die Verbrechen der nationalsozialistischen Herrschaft in Europa. War maßgeblich beteiligt an der Entdeckung Adolf Eichmanns in Argentinien, hat 1961 ein Buch veröffentlicht „Ich jagte Eichmann“.

Und wieder unterwegs in dem Wagen mit den stolzen Schriftzügen Kelowna TV. Zu einer Straßeneinweihung diesmal, unten bei Keremeos. Gestern war es die Zuchtschau der Kaninchenzüchter von Kelowna. Vorgestern ein Veteranentreffen in Armstrong. Na und? Was mir erst so wichtig war, was mich beinahe atemlos stolz machte, das ist mir jetzt schon lästig. Das immer andere und doch immer gleiche Bild der Aktualität. Wie kann man nur für die Aktualität leben? Wie können sich die Leute nur für die Aktualität erwärmen? Was heute wichtig zu sein scheint, ist morgen kalter Kaffee. Da kann ich es doch gleich heute als kalten Kaffee abtun. Aber nein, das ist interessant, sagen die Leute. Das ist alles so interessant, was Ihr da bringt. Ja, so wird einem allmählich klargemacht, daß interessant kein Lob ist, sondern im Gegenteil - ein Schimpfwort. Was keine Bedeutung über den Tag hinaus hat, das ist für die Leute interessant. In den Mülleimer damit!

Aber ich bin wer. Ich bin Fernsehreporter. Ich bin einer von den wichtigen Zeitgenossen, ein Mann von heute. Wie war das noch mit der Zeit? Da hat doch ein kluger Mensch mal gesagt: Die Presse mit ihrem tagesaktuellen Klimbim, die ist wie der Sekundenzeiger auf der Uhr: immer am schnellsten, immer in Bewegung, dafür aber auch nie genau gehend.

Die Sonnenflecken, wie sie über die Wälder hinstreichen, die auch. Die sind wie wir Reporter des Alltäglichen. Aber was sonst könnte ich sein? Etwa die Sonne selbst? Das heißt genauer hinsehen, unverwandt hinstarren, allen Wolken zum Trotz Licht ins Dunkel bringen, Sümpfe austrocknen, Gehirne beinahe zum Verdampfen bringen ... Wenn der Tote Simon Wiesenthal gewesen wäre, das wäre nicht unentdeckt geblieben. Darüber hätte die ganze Welt berichtet. Weil der eine Berühmtheit ist. Also hieß der Mann nicht Simon Wiesenthal. Was aber hatte er dann mit diesem Namen zu tun? - Oh ja, Mark Evans, hat er nicht was von einer Organisation gesagt? Das heißt, daß dieser Wiesenthal eine Organisation von Nazijägern gegründet hat. Und der Mann mit dem Loch im Hinterkopf ist einer seiner Jäger. War. Der andere, der mit dem Auto und seinen Papieren abgehauen ist, war ebenfalls ein Nazijäger. Ist es noch. Aber wenn die von Wien kommen, dann kommen die nicht mit einem eigenen Fahrzeug hierher. Dann können sie nur nach Calgary geflogen sein. Das ist von Europa aus nicht so weit und nicht so teuer wie nach Vancouver. Und von Calgary sind sie mit einem Mietwagen herübergekommen. Das ist ein recht bequemer Weg. Nicht gerade Luftlinie zwar, und über die Rocky Mountains muß man rüber, aber immerhin. Einfach auf dem Trans-Canada-Highway Nr. 1 durch den Banff-Nationalpark, durch den Glacier-Nationalpark und den Revelstoke-Nationalpark und runter auf die 97 A nach Enderby. Noch ein paar Meilen, und schon war der Mann am See, konnte gerade noch feststellen: Wie schön es hier ist. Und war mit seinem Leben am Ende. So ein kleines Loch im Hinterkopf, aus dem das Leben ausgelaufen ist. Wie ein ausgesaugtes Hühnerei, dieser Kopf. Das winzige Loch, aber sonst noch alles ganz. Der Mann war gut angezogen, hatte saubere Fingernägel und das Haar ordentlich gescheitelt. Einfach aus der Vertikalen in die Horizontale gebracht wie nur kurz abgelegt. Und das war ein Nazijäger? Was sonst.

Wenn ich über den Toten was erfahren will, muß ich also bei Simon Wiesenthal in Wien nachfragen. Notfalls hinfliegen. Mir von denen alles ausführlich berichten lassen. Klar, das ist das Naheliegendste. Aber dann muß ein Mann wie Mark schon vor mir auf diesen Gedanken gekommen sein. Der hat vermutlich längst bei Wiesenthal angerufen. Das wäre als erstes festzustellen.

„Mister Evans, Entschuldigung, hier ist noch einmal William Harrison. Nur eine einzige Frage noch: Hat es Sinn, daß ich in Sachen Mord an der Straße Nr. 33 zu Simon Wiesenthal nach Wien fliege, oder wissen Sie schon alles von ihm?“

„Ich hatte Ihnen gesagt, Sie sollten die Finger davon lassen. Und Sie sollten mich nicht weiter damit belästigen, denn ...“

„Pardon, Mister Evans, aber wenn es um ein so teures Flugticket geht, da möchte man doch vorher wissen, ob sich die Investition lohnt.“

„Die lohnt sich auf gar keinen Fall. Von Simon Wiesenthal werden Sie kein Sterbenswörtchen erfahren. Der Mann baut seine eigenen Knüller auf. Der rückt mit seinem Wissen erst heraus, wenn er eine Bombe platzen lassen kann. Und jetzt Schluß mit diesem Thema. Ich wünsche Ihnen einen schönen Feierabend.“

Ich nehme zwei Tage Urlaub - einfach erholungsreif, sage ich - und fahre heimlich nach Calgary. Wann kommt unsereins schon dorthin? Richtige Hinterwäldler sind wir. Was sollte einen auch sonst noch reizen können, wenn man am Okanagansee aufgewachsen ist, dort wohnt und arbeitet. Okay, viele Menschen halten ihre Heimat für die schönste Weltecke. In meinem Fall ist das anders, da ist das sogar ein objektives Urteil. Nicht mal Maggy Fry habe ich gesagt, wohin ich fahre. Nur wieder die Recherchen wegen der Verbesserungen der Verkehrsverhältnisse rund um den See. Maggy hat mir zwar weitergeholfen mit ihrer Erinnerung an Simon Wiesenthal, den Nazijäger. Aber daß sie meine Freundin, meine Vertraute wäre, das kann ich wohl immer noch nicht sagen. Sie steckt mit zu vielen beim Sender unter einer Decke. Was ich nicht richtig, mitkriege. Das liegt an dieser Arbeitsweise. Jeder macht seinen Bericht, jeder sitzt mal neben ihr, im Schummerlicht, redet wohl auch ein bißchen nebenher mit ihr. Aber keiner ist dabei, wenn ein anderer dran ist. Und wie sie zu denen oben steht, da sieht man nicht durch. Als ich mich bei ihr darüber beschwert habe, daß die Bonzen offensichtlich mehr wissen, die bei der Zeitung wie die bei uns, weswegen sie einem rotes Licht geben, da hat sie mich ausgelacht. „Mußt du halt sehen, daß du selbst Bonze wirst“, hat sie mich abgetan. Nun, das laß ich mir nicht zweimal sagen. Maggy wird sich noch wundern. Ich gehe einfach über die Funktion als Sekundenzeiger hinaus, ich werde der Minutenzeiger sein, der ist genauer, oder sogar der kleine beinahe Unbewegliche. Der immer unterschätzt wird. Aber gerade der sagt, was die Stunde geschlagen hat. - Ich werde es euch allen noch zeigen. Ich, William Harrison.

Hitlers Double. Tatsachenroman

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