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Vor zwei, nein, vor drei Jahren war ich das letzte Mal in Calgary. Im Juli. Zur Calgary Stampede. Okay, hatte ich mir gesagt. Den Rummel muß man gesehen haben. Hat sich auch gelohnt. Einfach großartig das Rodeo. Und die Western-Stadt und die Parade, das Planwagenrennen. Da hat’s vielleicht gestaubt. Meine Eltern hatten mich zwar schon als Kind einmal hierhin mitgeschleppt. Aber da habe ich nicht viel mitgekriegt. Nur daß man Schlange stehen mußte an den Eisbuden, das weiß ich noch. Ich hatte mich schon wieder angestellt, als ich das Eis noch gar nicht ganz aufgeschleckt hatte. Damit die Pausen nicht so groß werden. War doch so eine Hitze. Ein guter Trick, fand ich. Doch beim dritten Mal hat Mutter mir die Sache vermasselt. „Keinen Cent mehr für Eis“, entschied sie. Und Vater gehorchte wie immer.

Jetzt ist es schon zu spät im Jahr für solche Erlebnisse. Zum Glück. Ich habe anderes zu tun. Einen Autoverleih nach dem anderen aufsuchen. Zuerst die am Flughafen, selbstverständlich. Aber das bringt mich nicht weiter. Gleich beim ersten ein Mensch mit dem Charme eines Bulldozers. Der läßt sich alles lang und breit erklären, um mir dann zu sagen:

„Was soll ich Ihnen sagen, Mann, wenn Sie mir keine genaueren Angaben machen können?“

„Aber ich habe doch das genaue Datum.“

„Wir verleihen jeden Tag Wagen, an 365 Tagen im Jahr, und wenn das Jahr 366 Tage hat, dann ...“

„Zwei Personen waren das. Und zwar Österreicher.“

„Wer kann hier schon einen Österreicher von einem Deutschen oder Niederländer oder Schweizer unterscheiden? Die sprechen alle englisch. Und das ist auch richtig so. Die sollen sich nur nicht einfallen lassen, uns mit französischem Gerede zu kommen. Auf dem Ohr sind wir taub.“

„Aber in dem Vertrag, den Sie mit ihnen machen, da steht außer dem Namen auch die Heimatadresse und das Geburtsdatum und der Geburtsort und sogar die Passnummer.“

„Und wenn schon.“

„Wenn schon, dann möchte ich bitte einmal in Ihren Ordner mit den Verträgen der letzten Wochen hineinschauen. Das haben Sie doch alles in Ordnern abgeheftet, oder?“

„Ja.“

„Na, dann bitte.“

„Sind Sie von der Polizei? Und haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?“

„Nein, ich bin Reporter. Fernsehen, wissen Sie.“

„Na, dann danke“, läßt der unverschämte Kerl mich einfach stehen.

Die Autoverleih-Rundfahrt wird zu einem einzigen Desaster. Ich spreche bei einem Dutzend Firmen vor, stelle immer wieder die gleichen Fragen, allmählich immer besser formuliert. Aber vergebens. Kein Mensch ist zu einer Auskunft bereit. Als ob sie alle nur immer mit Gangstern zu tun hätten. Wo gibt es denn noch einen Rest von Vertrauen, so von Mensch zu Mensch? Wo ist sie geblieben, die gutnachbarliche Hilfe? Waren hier doch alle einmal Pioniere, einer auf den anderen angewiesen. - Na ja, was nützt das Räsonieren? Wenn ich einmal hier bin, und dazu ganz vergebens, dann kann ich auch gleich ins McMahon-Stadion gehen und mir ein Footballspiel der Calgary Stampeders gegen eine Mannschaft aus Kalifornien ansehen. Eine tolle Truppe. Und kein Gedanke mehr an den Mann mit dem kleinen Loch im Hinterkopf. Kein Ärger mehr mit Autoverleihern.

Nach dem Spiel - natürlich haben die Calgary Stampeders gewonnen, so kräftig wie wir geschrieen haben - nach Chinatown und gut essen. Einfach irgendwo hinein. Denn das haben sie alle zu bieten: Ente, kross gebraten und mit brauner Soße. Hinterher weiß man es besser: War doch nicht der ideale Laden. Der Reis war etwas zu klumpig. Als ob es in die Küche reingeregnet hätte. Manchmal wohl ein Glück, daß man nicht in die Küchen hineinsehen kann. Danach auf die Stephen Street und hinein in den englischen Pub mit Guinness-Bier. Und hinein in ein unverbindliches Biergeplauder. Nur so zur Ablenkung. Ich kann doch keinem Menschen erzählen, was mich umtreibt. Zum Glück brauche ich das auch nicht zu sagen. Überhaupt kaum was. Der Mann neben mir an der Theke erzählt. Ein Kraftfahrzeugtechniker. Und auch sonst ein wahrer Techniker. Sein zweites Kind sollte unbedingt ein Sohn sein, erklärt er mir dreimal. Na, wenn schon.

„Habe ich so gesteuert, daß es tatsächlich ein Sohn wurde.“

„Ja, ja, das ist ein alter Traum der Menschheit.“

„Ich habe nicht geträumt, ich habe die Sache eiskalt durchdacht und dann konsequent gehandelt.“

„Also der berühmte Sprung vom Schlafzimmerschrank auf die Frau, bei Vollmond um Mitternacht, einen Eierbecher in der Hand, das Wort Sohn auf den Lippen?“

Darauf geht er nicht ein. Darüber kann er nicht einmal lachen. Ich bin kein guter Witzeerzähler.

„Man weiß ja seit langem schon“, beginnt er mich aufzuklären, „daß in Kriegen und überhaupt in Krisenzeiten mehr Söhne als Töchter geboren werden.“

„Davon habe ich gehört. Ein gesunder Ausgleich der Natur dafür, daß in den Kriegen die Männer abgeschlachtet werden.“

„Daß dann mehr Jungen als Mädchen gezeugt werden, das liegt an der mangelhaften Ernährung des Mannes. Vor allem fehlt in schlechten Zeiten eiweißreiche Nahrung.“

„Ja?“

„Also bin ich hingegangen und habe meine Eßgewohnheiten geändert. Monatelang fast ganz ohne Eiweiß.“

„Kann man aushalten. Immer noch besser als sich freiwillig zum Kriegseinsatz zu melden, irgendwo auf der Welt ist ja immer Krieg.“

„Krieg? - Viel zuviel action. Aber dann geht es noch um den Moment der Zeugung. Wir mußten genau den Tag des Eisprungs treffen. War gar nicht so schwierig, weil meine Frau recht regelmäßig ist und seit ihren Mädchenjahren brav ihren Kalender führt. Gesagt, getan, und neun Monate später hatten wir unseren Sohn.“

Was für Sorgen die Leute haben. Ich habe noch nicht einmal eine Frau. Und ob Maggy jemals - weiß der Teufel. Dafür müßte ich erst wer sein. Die Frau stellt Ansprüche. Kann sie ja auch, so wie sie aussieht. Und wen sie mit diesen Händen streichelt, der muß schon ein Glückskind sein. Bin ich meistens. Aber beim Sender, da bin ich noch der Neue, der Unerfahrene, der Anfänger. Doch wenn ich diesen Mordfall, vor dem sie alle kuschen, aufgedeckt habe, dann habe ich einen Namen. Dann kann ich vor Maggy hintreten und -.

Da liege ich nun hier im Bett, in diesem billigen Motel - ein Minizimmer mit einem Minischrank, einem Minitisch und -stuhl und einem Minibad, liege in dem zu kurzen Bett und überlege doch wieder, wie es weitergehen soll. Jedenfalls fahre ich morgen heim und suche dort weiter nach dem Namen des Opfers, nach seinem Mörder und nach dem Grund für diesen feigen Mord aus dem Hinterhalt. Die Perfektion der Tat spricht eigentlich für einen gedungenen Mörder. Also ein Berufskiller. Der kostet aber Geld, viel Geld sogar. Wer gibt soviel Geld aus für einen Mord?

Hoppla, die Frage ist anders zu stellen: Wer kann ein Interesse daran haben, einen Nazijäger zu ermorden oder ermorden zu lassen? Ja, so könnte die Frage weiterführen. Denn ganz klar ist: Nur ein Nazi kann daran interessiert sein, einen Nazischnüffler zu beseitigen. Nur ein Nazi gibt dafür viel Geld aus. Aber vermutlich nicht einer von den Jungnazis, die wir hier in Kanada ja auch haben. Keiner von diesen Nachahmern, diesen armen Irren. Hinter denen ist kein Nazijäger her. Also, da ist nicht dran zu rütteln, es muß sich um einen alten Nazi handeln. Immerhin ein erstes Ergebnis. Diese alten Nazis haben sich ja überallhin abgesetzt. Warum nicht auch hierhin? Wenn so ein Fossil sich am Okanagansee eingegraben hat, dann muß es auch zu finden sein. Ich werde den Mann finden, der den Scharfschützen beauftragt hat.

Spät eingeschlafen und trotzdem recht ausgeschlafen, lasse ich mir das Frühstück schmecken. Immerhin besser als das, was ich mir in meiner Bude jeden Morgen zumute. Weil ich meist nicht daran denke einzukaufen. Immer zuviel zu tun. Und jetzt erst recht. Die Fahrt nach Calgary hat nichts gebracht. Von den Autoverleihern erfahre ich nichts. Dann kann ich mir die Fahrt nach Vancouver, wo sie auch angekommen sein können, die beiden Österreicher, gleich sparen. Da würde ich genauso abblitzen.

Maggy hat nichts Neues zu berichten. „Die üblichen Filmchen“, sagt sie.

„Und hat Pineladder nach mir gefragt?“

„Klar hat er nach dir gefragt. So wichtig wie du bist. Beinahe hätten wir das Dia ‘Bildstörung’ schalten müssen, nur weil du uns gefehlt hast.“

„Mir würde schon reichen zu hören, daß ich dir gefehlt habe.“

„Sorry, Tonstörung.“

„Maggy, nun sei doch mal ein bißchen ernsthaft.“

„Mann, du siehst doch, daß ich zu tun habe.“

„Ja, schon gut. Nur noch eins: Hast du Pineladder gesagt, daß ich diese Verkehrsverbesserungen recherchiere?“

„Klar habe ich ihm das gesagt.“

„Und er war damit zufrieden?“

„Ja, aber nun laß mich endlich zufrieden mit deinen Eskapaden.“

Das Wort Eskapaden gibt mir noch zu denken, als ich schon unterwegs zum ersten Pub bin. Eskapaden, hat sie gesagt. Das gibt mir Hoffnung. Offenbar glaubt Maggy, daß ich eine Verabredung mit einer anderen Frau hatte, und das ärgert sie. Das ist ja auch ein gutes Ergebnis. War also doch nicht ganz falsch, nach Calgary gefahren zu sein. Und auch die Pubtour, die ich jetzt starte, verdanke ich dem Ausflug nach Calgary. Der Eiweißstratege, der unbedingt einen Sohn haben wollte, der hat mich erst darauf gebracht. An der Theke muß ich stehen. Ich muß den Leuten zuhören, die einfach kein Bier runterkriegen, ohne ihr ganzes Leben auszuplaudern. Die alten Nazis, die brauchen doch auch ihr Bier. Jeden Abend ein anderes Lokal, das ist jetzt mein Arbeitsprogramm. Und selbst nichts sagen, nur zuhören, zuhören. Und hin und wieder mit einer vorsichtigen Frage das Gequatsche dahin lenken, wo es aufschlußreich werden könnte.

Hitlers Double. Tatsachenroman

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