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Die ominöse Stelle an der Straße Nr. 33 ist zu weit weg von dem bayerischen Haus, überlege ich auf der Heimfahrt. Ich besorge mir kein Fernglas. Viel zu gefährlich. Wer dort observiert, wird entdeckt und umgelegt. Ich muß näher ran an das Haus. Am nächsten Morgen bin ich schon kurz nach Sonnenaufgang mit meinem Wagen am Westhang des Sees. Ein einheimischer Wagen ist am wenigsten verdächtig. Und daß ein Jogger aussteigt, in Trainingsanzug und Laufschuhen, und daß er da herumläuft, wo die städtische Bebauung zuende geht, das ist ja nur natürlich. Gesundheitsbewußtheit, Fitness erklärt alles. Ich laufe so, daß ich immer wieder einen Blick auf das Haus von Jakob Wagner werfen kann. Wenn er wirklich so menschenscheu ist, wie der Nachbar sagte, dann muß er sehr früh am Morgen oder sehr spät am Abend herauskommen aus seinem Bau. Denn die beiden Hunde brauchen ja ihren Auslauf. Das Grundstück ist zu klein, hat keinen Garten, der für die Hunde groß genug wäre.

Wenn überhaupt, dann muß er hier hoch gehen. Zu diesem Hügel hin, wo genug freies Gelände für die Tiere ist. Also ist die kleine Kuppe daneben genau der richtige Platz für mich. Hohes Gebüsch, das mir Deckung gibt.

Während ich noch in bester Joggerart herumlaufe und meine Atmung zu kontrollieren versuche - warum nur arbeitet das Herz heute so wild? - kommt er tatsächlich aus seinem Haus. Ein alter Mann, nicht allzu groß, in einer graubraunen langen Joppe und einer schwarzen Hose. Er ist fast kahl, mit einem schütteren weißen Haarkranz um den Hinterkopf, und glattrasiert. Eine sonderbar hochgebogene, schmale Nase, ein dünnlippiger Mund. Unvermeidlich, daß wir uns begegnen. Auf mein hechelndes „Guten Morgen“ reagiert er nicht. Er muß seine beiden Hunde zur Ordnung rufen, damit sie nicht hinter dem Jogger herlaufen. Deutsche Schäferhunde. Typisch für einen alten Nazi. Die Hündin hört auf sein energisches „Blondi!“ und geht brav an seiner Seite. Der jüngere Hund, ein Rüde, wohl der Abkömmling der Hündin, hört nicht so vorbildlich aufs Wort. Jakob Wagner muß ihn dreimal rufen. Wolf heißt das Tier.

Ich verschwinde aus seinem Blickfeld und komme auf einem Umweg zu meinem Beobachtungsplatz. Da sehe ich ihn auf dem Hügel nebenan stehen. Regungslos. Den Kopf leicht angehoben, das Kinn vorgeschoben. Mit versteinerter Wichtigtuermiene steht er da. Als gehörte ihm das ganze Land, das er überschaut. Die beiden Schäferhunde wie Portallöwen zu beiden Seiten neben ihm. Sie sitzen auf den Hinterpfoten und recken die Köpfe aufmerksam hoch. Die Zunge vor dem Maul. Sie schwitzen. Sie müssen schon eifrig gerannt sein. Ich kann es ihnen nachfühlen. Ein Glück, der Wind kommt von ihnen zu mir herüber. Sonst wären sie sicher schon bei mir, hätten mich mit wildem Gebell aus dem Gebüsch aufgestöbert wie ein Stück Wild. So wie der Wind dreht, wird der Jäger zum Gejagten. Der Mann hat die Arme vor sich herabhängen und hält mit der rechten Hand das linke Handgelenk fest. Er steht da in einer Pose, als wollte er eine Rede halten. Als wartete er nur noch, daß endlich Ruhe ist. Dabei ist kein Mensch in der Nähe. Er könnte nur den Pflanzen und dem Kleingetier sagen, was er zu sagen hat. Aber er tut den Mund nicht auf, erhebt nicht mahnend den Zeigefinger. Bleibt regungslos. Die Rechte hält die Linke.

Hoppla, diese Haltung kenne ich doch. Die habe ich schon oft auf alten Fotos aus der Nazizeit gesehen. Ja, das ist sie, die typische Nazi-Pose.

Das reicht für den frühen Morgen. Schon bin ich auf dem Weg zu meinem Wagen - die Hunde haben mich nicht bemerkt -, und schon unterwegs zum Druckhaus des „Kelowna Morning“. Die Printkollegen haben ein Bildarchiv, da kann unser Sender nicht mithalten. Dafür sind wir noch nicht alt genug. Und ich kenne den Archivar. Hanson, der alte Hanson, wie er nur immer genannt wird, er hat mir schon mit Bildmaterial - „Aber nur zur Ansicht“ - geholfen, als ich noch Student war. Da wurden mir die verwickelten Verhältnisse gerade der jüngeren Geschichte wie von selbst klar.

„Worum geht’s denn diesmal, William?“ empfängt der alte Hanson mich. Ein Denkmal seiner selbst in diesem engen Regal-hinter-Regal-Ambiente, zu dem der Staub gehört wie Patina. Läßt er doch erst wertvoll werden, was einmal banale Alltäglichkeit war.

„Darum geht’s diesmal.“ Dabei baue ich mich vor ihm auf wie eine Statue, schiebe das Kinn vor, schaue entschlossen in die Ferne, das heißt aus dem Fenster, und halte mit der rechten Hand das linke Handgelenk. „Wer bin ich?“

Hanson sieht mich eine Weile schweigend an. Dann meint er nachdenklich: „Nun, der bist du zum Glück nicht, mein Junge, aber so stand Adolf Hitler gern da.“

„Adolf Hitler?“

„Ja.“

„Nur der? Oder standen alle Nazis so da?“

„Möglich, daß der eine oder andere seiner Paladine aus Begeisterung für den Führer ihm diese Pose nachgemacht hat. Aber eigentlich ist das die für Hitler typische Haltung.“

„Das wäre ja das Allertollste.“

„Man sagte, Hitler habe Schwierigkeiten mit dem linken Arm gehabt. Ein ständiges leichtes Zittern, weswegen er nicht die Hände vor dem Bauch gefaltet hat, wie man das so tut, wenn man dasteht und die Hände nicht braucht, sie aber auch nicht in die Hosentaschen stecken kann. Hitler hat immer mit der Rechten die Linke festgehalten. Das ist aufgefallen, weil er die Hände niemals andersherum gehalten hat, also nie so, daß die Linke die Rechte hielt. Nie, wie ein cleverer Reporter eines Tages festgestellt hat. Ein Brite natürlich. Diese Leute achten noch auf so was.“

Dabei hat er ein wenig herumgekramt und ist schon fündig geworden. Er legt eine ganze Reihe von Hitlerfotos vor seinem Besucher aus. Ich stürze mich etwas zu gierig auf die Bilder. Tatsächlich: Wenn er nicht gerade gestikuliert, steht Adolf Hitler in dieser sonderbaren Haltung da. Und die anderen alten Nazis, die auf den Fotos zu sehen sind? Wenn sie nicht gerade den rechten Arm zum Hitlergruß erhoben haben, stehen sie mit den Händen an der Hosennaht da. In Habachtstellung. Diese nachdenklichselbstsichere Haltung jedoch, mit den Händen vor dem Bauch, ist nur bei Hitler selbst zu sehen.

„Das ist überzeugend“, sage ich und hätte das lieber nicht gesagt und hoffe, daß Hanson nicht nachfragt, was ich meine. Um ihn gar nicht erst zu einer Frage kommen zu lassen, werfe ich gleich selbst eine hin wie einen Köder: „Ist das vielleicht typisch für die deutschen Herrscher, daß sie Schwierigkeiten mit einem Arm haben? Der letzte Kaiser, das war doch auch so einer?“

Daß er lacht, der alte Hanson, das ist ja in Ordnung. Aber daß er sich gar nicht wieder einkriegen will vor Lachen, das wäre nicht nötig. „Das hätte Hitler gefallen“, kommt es schließlich prustend, „ihn so zum Erben des preußischen Königtums und des deutschen Kaisers zu erklären. Dafür hätte er dir einen Orden verliehen, William, den schönsten Orden, den er hat.“

„Man kann ja mal einen Scherz machen“, wehre ich mich. Viel zu kleinlaut.

Was mir einen weiteren Lacherfolg einbringt: „Ein Scherz, ein guter Scherz, ja.“ Doch als er sich endlich beruhigt, tut es ihm offensichtlich leid, daß er mich ausgelacht hat. „Die ganze Geschichte“, sagt er, plötzlich sehr ernsthaft, „was ist sie anderes als ein dummer Scherz. Nur daß wir, die kleinen Leute, dabei nichts zu lachen haben. Allenfalls die Historiker, die können beim Blick zurück über die Verrücktheiten der Vergangenheit lachen. - Sag mal, William, wolltest du nicht Historiker werden? Hast du nicht Geschichte studiert?“

„Ja, das habe ich. Und ich bin auch noch lange nicht fertig mit der Historie. Immer noch spannend. Jedenfalls besten Dank für die Fotos. Diesmal brauche ich sie nicht mitzunehmen. Ich weiß auch so Bescheid.“

Hitlers Double. Tatsachenroman

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