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„Ein einziges Mal nur durfte ich Führers Geburtstag mit dem Führer selbst erleben. Und das war nicht doll. War ja auch kein runder Geburtstag, der sechsundfünfzigste. Seit Tagen rollte die russische Großoffensive mit etlichen Millionen Mann auf Berlin zu. Es war zu befürchten, daß die Stadt eingekesselt würde. Dazu Tag und Nacht die Luftangriffe der Alliierten Bomberverbände. Man kam einfach nicht mehr zum Luftholen. Die Stadt wurde zu einer einzigen Trümmerlandschaft. Wenn ich zwischen zwei Bombardierungen nachhause lief, hieß das über Schuttberge klettern, an brennenden Häusern vorbei, immer auf der Hut vor herabhängenden Drähten, herabfallenden Balken. Und mein Zuhause war auch nur noch ein Luftschutzkeller. Da hockten nur Frauen und kleine Kinder und ein paar Greise und beteten und horchten auf die Einschläge und sagten: ‘Das war ganz in der Nähe’ oder ‘Als nächstes sind wir dran.’

Schön, meine Mutter freute sich jedesmal riesig, daß ich noch lebte. Sie fühlte sich so alleingelassen. Mein Vater war irgendwo an der Westfront. Sie war seit Wochen ohne jede Nachricht von ihm. Er hatte sich freiwillig zum Militärdienst gemeldet. Das konnte sie nicht verstehen. ‘Er hat gesagt, er muß das Leben von Frau und Tochter verteidigen’, jammerte sie mir jedesmal vor, ‘und wo ist er jetzt, unser Verteidiger? Wo ist dein Vater, wenn die Russen kommen und über dich herfallen, dir die Unschuld rauben?’

Aber im Führerbunker war die Stimmung auch nicht viel besser. Zwar traten noch einmal etliche von den Goldfasanen auf, wie wir sie nannten, weil sie so prächtige Uniformen hatten, an ihrer Spitze natürlich Feldmarschall Hermann Göring. Der Propagandaminister Goebbels und Bormann waren sowieso im Bunker. Aber der Architekt und Rüstungsminister Speer kam wieder zu Besuch, auch Ley, der Chef der Deutschen Arbeitsfront, Ribbentrop, der Außenminister, und der Hitlerjugendführer Axmann und ein paar hohe Tiere von der Wehrmacht kamen. Und alle gratulierten. Das war am späten Mittag. Weil Hitler ja nie vor elf Uhr aufstand. Er machte die Nacht zum Tage. Hitler nippte bei der Gratulationscour mal an seinem Sektglas. Er trank ja keinen Alkohol. Dann hielt er ein paar kurze Ansprachen, so hörten wir. Er soll noch einmal ganz gut draufgewesen sein.

Wir sahen ihn dann hinaufsteigen in den Garten. Langsam und mit schleppenden Schritten. Aber diesmal nicht in der Strickjacke und dunklen Hose, wie in den letzten Tagen. Da sah der Führer schon recht heruntergekommen aus. Essensreste auf der Jacke und so. Jetzt aber war er wieder in voller Montur. Den Kragen des grauen Uniformmantels hochgeschlagen, die Uniformmütze mit dem blinkenden Schirm tief ins Gesicht gezogen. Er hatte einen besonders großen Mützenschirm, weil seine Augen so empfindlich waren. So betrat er noch einmal die Ruine der Neuen Reichskanzlei. Im trümmerübersäten Garten waren ein paar Hitlerjungen angetreten, die hatten mit ihren Panzerfäusten ein paar russische Panzer zerstört, so hieß es. Dazu eine Abordnung der SS-Division Frundsberg. Die begrüßte der Führer einzeln, lobte sie. Er tätschelte den kleinen Jungen die Wangen und dekorierte sie mit dem Eisernen Kreuz. Und Kameraleute waren dabei und hielten Hitlers verquältes Lächeln fest. Ja, verquält. Er war ja so enttäuscht, daß er keine Reserveregimenter mehr zur Verfügung hatte. Diese Kinder, das war seine letzte Reserve für die Verteidigung der Reichshauptstadt. Und hinter dem Führer stand ein strahlender Reichsjugendführer, dieser Axmann, der die Kinder verheizte. Ob wohl einer von diesen Jungen mit den begeistert leuchtenden Kinderaugen den Krieg überlebt hat? Hitler hat ihnen was gesagt vom Sieg, der bald kommen werde, und daß sie später ihren Kindern sagen könnten, sie hätten daran teilgehabt. Uns war der Führer vorgekommen, als ob ein Geist aus der Grube aufsteht. Er war auch schnell wieder in seinem Loch verschwunden. Den Angetretenen hatte er zum Abschied noch zugerufen: ‘Heil Euch!’ Doch darauf wußten sie keine Antwort. War einfach unüblich, so ein Gruß. Man wünschte doch nur immer Hitler Heil. So blieben sie stumm. Dafür war das Grollen von der Front unüberhörbar, die nur noch dreißig Kilometer entfernt war, wie uns ein Offizier sagte. Da konnte ja keine Geburtstagsfröhlichkeit aufkommen.

Wir hatten alle gehofft, Hitler würde nun befehlen, daß die ganze Restbesatzung seines Bunkers sich reisefertig macht, daß wir auf die wartenden Lastwagen verfrachtet werden. Ab nach Bayern. Und er mit uns. Nichts wie weg, solange noch eine freie Straße aus Berlin hinausführt. Aber nichts da. Keine Anweisung zum Rückzug. ‘Der Führer bleibt in seiner Hauptstadt’, hieß es nach der Lage am späten Nachmittag. ‘Und sein Stab und alles an Personal bleibt mit ihm im Führerbunker.’ Nur Reichsmarschall Göring und die übrigen Besucher verließen noch am selben Tag die Stadt. Himmler, Ribbentrop, Speer und hohe Offiziere. Das hieß: Wir konnten mit unserem Leben abschließen. Ich war doch nur eine kleine Schreibkraft, aber jetzt plötzlich als eine von Hitlers engster Gefolgschaft auf Gedeih und Verderb an den alten Mann gebunden, dem keiner mehr eine Chance gab. Und die Russen vor der Tür.

Am nächsten Morgen war schon früh der Teufel los. Hitlers Kammerdiener Heinz Linge, so erfuhren wir, hatte schon um halb zehn an Hitlers Schlafzimmertür gerappelt und dem Führer mitgeteilt, daß russische Artillerie auf Berlin schießt. Eine russische Batterie war am Morgen in Marzahn in Stellung gegangen. Das war nur noch wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Und unsere schweren Geschütze vom Zoobunker konnten die russische Artillerie nicht zum Schweigen bringen. Der Führer war in ständigem Telefonkontakt mit seinen Generälen, und er gab immer wieder neue Befehle, wie die gegen die Russen vorgehen sollten. Aber die konnten entweder nicht oder sie wollten nicht. Es fehlt an Luftunterstützung, hörten wir, und an Sprit und an schweren Waffen. Und nirgends eine Spur von der neuen Wunderwaffe.

Am Tag drauf, am Sonntag, war dann auch der innere Verteidigungsring Berlins durchbrochen. Der Artilleriebeschuß hatte so stark zugenommen, daß wir kaum noch aus dem Führerbunker rauszugehen wagten. Jeder im Bunker fragte jeden, was es Neues gebe. Die Gerüchte schwirrten uns so wild um die Köpfe, daß wir gar nichts mehr wußten. Und als wir hörten, Hitler habe die Absicht geäußert, sich zu erschießen, hielten wir das für frei erfunden. Aber von den Adjudanten der Generäle erfuhr man dann, daß die Militärs den Führer umgestimmt hätten. An diesem Sonntag hatten alle Geschäfte geöffnet. Und vor den Läden bildeten sich trotz Artilleriebeschuß lange Schlangen. Denn es gab eine Sonderzuteilung für die tapfere Berliner Bevölkerung. Ein Pfund Fleisch gab es pro Kopf, und ein halbes Pfund Reis, dazu Hülsenfrüchte, ein Pfund Zucker und dreißig Gramm echten Bohnenkaffee. Wenn man sich in den Straßen umsah, dann wußte man auch, warum dieses vorgezogene Weihnachten. Da hingen aus vielen Fenstern weiße Tücher. Und SS-Kommandos gingen mit brutaler Gewalt gegen Berliner vor, die die weiße Fahne gehißt hatten. Sie wurden auf der Stelle erschossen. Doch die weißen Flecken vor den kaum noch bewohnbaren Häusern wurden damit nicht weniger.

Wir kriegten Zuwachs im Bunker. Dabei war es so schon eng genug. Hitler hatte seinen Propagandaminister, den Doktor Goebbels, gebeten, mit seiner ganzen Familie in den Bunker überzusiedeln. Die Frau und die sechs netten Kinder wurden meine direkten Zimmernachbarn. Die Goebbelskinder waren wirklich eine Freude, zwischen vier und dreizehn Jahre alt, so neugierig und fröhlich und sicher, daß sie bald wieder draußen spielen dürften.“

Hitlers Double. Tatsachenroman

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