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VOLTAIRE

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*Im Fegefeuer

PFARRER: Was ist mit Ihnen los? Sie schreiben wie besessen. Wollen Sie ein Buch schreiben, etwa über Ihre Diesseitseindrücke? Glauben Sie, dass sich hier jemand dafür interessiert?

VOLTAIRE: O nein. Ich hasse inzwischen das Schreiben.

PFARRER: Aber Sie können es doch nicht lassen.

VOLTAIRE: Das ist es ja: Dieser verflixte Zwiespalt: ich möchte nicht mehr schreiben und muss es doch.

PFARRER: Wieso müssen Sie?

VOLTAIRE: Man hat mir auferlegt, meine Texte zu verbessern. Das Schlimmste dabei ist, seine eigenen Texte wieder lesen zu müssen. Mit meinen Texten habe ich mir drunten viele Freunde und hier oben viele Feinde gemacht.

PFARRER: Waren Sie Schriftsteller?

VOLTAIRE: *Er nickt. Ein Schreibverbot wäre mir lieber gewesen.

PFARRER: Ja, was man ein Leben lang getan hat, kann man nicht mehr lassen.

VOLTAIRE: Wie ich nur auf diese Idee kommen konnte, Sätze zu schreiben, über die sich die Menschen ärgern sollten.

PFARRER: Mir geht es ebenso: Vieles, was ich einmal gesagt habe, würde ich jetzt auch nicht mehr sagen.

VOLTAIRE: Ich hatte nie geglaubt, dass es so schwer ist, meinem ‚L’Evangile de la raison’ eine vernünftige Fassung zu geben.

PFARRER: Sie haben ein ‚Evangelium der Vernunft’ verfasst? War Ihnen das christliche Evangelium nicht vernünftig genug?

VOLTAIRE: Als ich noch drunten war, glaubte ich das.

PFARRER: Man hätte drunten wissen sollen, was man jetzt weiß.

VOLTAIRE: Wie finden Sie den Satz: „Wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden?“

PFARRER: Originell ist dieser Satz. Aber wer hätte Gott erfinden können?

VOLTAIRE: Sie haben Recht, ohne ihn gäbe es ja auch keine Menschen.

PFARRER: Wenn man über heilige Dinge lästert … Die hiesige Zensur lässt so etwas nicht durchgehen.

VOLTAIRE: Ich wollte nie über Gott, sondern über sein Zerrbild lästern. Ich habe diesen Satz jetzt geändert: könnte man Gott erfinden, wäre er kein Gott.

PFARRER: Gegen diese Formulierung wäre theologisch nichts einzuwenden.

VOLTAIRE: Sind Sie Pfarrer?

PFARRER: Ja. – Und ich entnehme Ihrer Aussprache, dass Sie Franzose sind?

VOLTAIRE: Pardon, habe ich mich noch nicht vorgestellt? Francois-Marie Arouet

PFARRER: Sie sind Voltaire? Das überrascht mich, dass Sie hier sind… ich wollte sagen…

VOLTAIRE: Sie hatten mich einige Stockwerke tiefer vermutet. Man sollte mich nicht bei den Atheisten einreihen, nur weil ich die Gläubigen mit meinen Sprüchen reizte.

PFARRER: Sie sind ein Spötter.

VOLTAIRE: Spotten hat mir einfach Spaß bereitet. Man hat mir hier sogar bescheinigt - darauf bin ich stolz - dass meine Ironie witzig und geistreich war.

PFARRER: Trotzdem müssen Sie hier warten.

VOLTAIRE: Seit 1778. Das sind 226 Jahre. Das ist eine lange Zeit. – Man hat mir übel genommen, dass es nichts gab, was ich ernst genommen habe. Über alles andere hätte man hinweggesehen.

PFARRER: Sie haben natürlich durch Ihre Spottsucht, manchen Gläubigen verwirrt oder gar vom Glauben weggebracht.

VOLTAIRE: Ihnen scheint es ja in Ihren Predigten auch nicht gelungen zu sein, die Gläubigen im Glauben zu stärken, sonst wären Sie nicht hier. Für mich ist es beruhigend, dass ich mich hier in der Gesellschaft eines Pfarrers befinde.

PFARRER: Man hat mir gesagt, ein guter Prediger sollte sich anstrengen, seine Zuhörer nicht anzustrengen. - Leider konnte ich diesen Einwand nicht ausräumen.

VOLTAIRE: Ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass man über alles so genau Bescheid weiß. Es gibt ja kein Wort und keine Tat, die nicht festgehalten wurde. Ich glaubte immer, dass das, was man getan hat, auch vergangen ist.

PFARRER: Man hat mir vorgehalten, dass ich als Hirte oft vergessen habe, dass auch ich ein Schaf bin. Leider war keiner aus meiner Gemeinde bereit, für mich einzutreten.

VOLTAIRE: Das ist bitter.

PFARRER: Kein einziger. Im Gegenteil. Alle klagten nur über meine zu langen Predigten, die endlosen Wiederholungen und die lähmende Langeweile, die ich verbreitet haben soll.

VOLTAIRE: Schriftsteller und Prediger sollten sich immer an den Grundsatz halten: lang und gut ist gut, kurz und gut ist sehr gut. Aber kurz und schlecht ist schlecht, und lang und schlecht ist sehr schlecht.

PFARRER: Mir war das gar nicht bewusst, dass man mit Predigten und Vorträgen Menschen quälen kann.

VOLTAIRE: Ja, Vorträge und Predigten sind Marterinstrumente. - Bei mir hat man anerkannt, dass ich sehr unterhaltsam zu schreiben verstand, aber leider war der Inhalt daneben. Die einen beherrschen das Erzählen und vernachlässigen die Wahrheit, und die anderen sind im Besitz der Wahrheit, haben aber nicht das Zeug, gefällig darüber zu reden.

PFARRER: Man hat mir vorgehalten: Wenn meine Predigten so kurz gewesen wären wie mein Gebet, mein Gebet so andächtig wie das Zeitunglesen, meine neu verfassten liturgischen Texte so reif wie die alten, meine Firmvorbereitung so gewissenhaft wie das Zählen der Kollekte, meine Äußerungen so zurückhaltend wie die Krankenbesuche und meine Spenden so großzügig wie meine Reisespesen, wäre ich ein guter Seelsorger gewesen.

VOLTAIRE: Das hat man Ihnen vorgeworfen?

PFARRER: Das hat man mir vorgeworfen, nach über 40 Dienstjahren.

VOLTAIRE: Ich glaube erst an die Gerechtigkeit, wenn einer, der die Leute mit atheistischen Sprüchen so gereizt hat, dass sie anfangen nachzudenken, nicht strenger bestraft wird als einer, der die Menschen mit frommen Sprüchen so gelangweilt hat, dass sie das Nachdenken aufgegeben haben.

PFARRER: Ich finde das ungerecht, dass das Langweilen genauso viel wiegt wie das Provozieren!

VOLTAIRE: Sie waren so inkonsequent wie ich.

PFARRER: In Ihrem Leben waren doch Widersprüche viel gravierender.

VOLTAIRE: Gravierender? Pfarrer handeln oft anders als sie reden, und wir Schriftsteller reden oft anders als wir handeln. Was ist da der Unterschied?

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