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FRANZ STELZHAMER 1802–1874 Der gefeierte Mundartdichter bediente gefährliche Klischees

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Für Oberösterreich ist Franz Stelzhamer der bedeutendste Mundartdichter des 19. Jahrhunderts und Schöpfer der Landeshymne. Übersehen wird, dass er viele Jahre seines Lebens – vor allem seine Studienzeit und die letzten 18 Jahre seines Lebens – in Salzburg verbringt, in Henndorf stirbt und dort begraben liegt. Seine zärtliche Schilderung der Innviertler Heimat und seine behutsame Annäherung an die kleinen Dinge des Lebens dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er in seinem familiären Dasein rücksichtslos und in seinen politischen Anschauungen als grausamer Antisemit auftritt.

Stelzhamer wird am 29. November 1802 im Weiler Großpiesenham im Innviertel als Sohn der Kleinhäuslerfamilie Johann und Maria Stelzhamer geboren. Dem Wunsch seiner Eltern gemäß soll er Priester werden und wird deshalb an das Gymnasium zu St. Peter (heute: Akademisches Gymnasium) nach Salzburg geschickt. Bereits seine zwei älteren Brüder studieren dort ohne entsprechenden Erfolg. Franz aber erweist sich rasch als Primus der Klasse und darf als „Informator“ seinen Mitschülern Nachhilfe erteilen, was als Auszeichnung gewertet wird. Als sein Bruder Peter wegen „Teufelsbündelei“ im Peterskeller der Schule verwiesen wird, kommt es jedoch zu einem raschen Leistungsabfall. Dazu dürfte auch seine Liebe zu der Kaufmannstochter Antonie Nicoladoni beigetragen haben, die er in seinem in Hochdeutsch verfassten Gedichtzyklus „Liebesgürtel“ verherrlicht. Er betätigt sich auch als Mitbegründer der „Rhetoriker“, einer Vereinigung dichtender Gymnasiasten, die später von der Polizei verboten wird. Nach der letzten Gymnasialklasse verlässt er Salzburg und beginnt in Graz, wo sein Bruder Peter inzwischen lebt, das Studium der Rechtswissenschaften, das er dann in Wien fortsetzt.

Da ihn die Not plagt und er immer wieder erkrankt, versucht er sich als Hauslehrer und beginnt, Gedichte in Mundart zu schreiben. Als die Gedichte durch seinen Freund Eduard Zöhrer vertont werden, wird er in Oberösterreich sehr rasch populär. Den literarischen Durchbruch schafft er 1837 mit seinem Band „Lieder in obderenns’scher Volksmundart“, die von der literarisch interessierten Öffentlichkeit in Oberösterreich begeistert aufgenommen werden. Am bekanntesten ist das Gedicht „s’Hoamatgsang“, das ihn zum gefeierten Heimatdichter werden lässt und 1952 im oberösterreichischen Landtag zur oberösterreichischen Landeshymne erkoren wird: „Hoamatland, Hoamatland/di han i so gern/wiar a Kinderl sein Muader/a Hünderl sein Herrn […]“

1838 kehrt er nach Oberösterreich zurück und wird in Linz als Journalist tätig. Wegen der Popularität seiner Mundartgedichte kann er ab 1842 Vortragsreisen durch Österreich und Bayern absolvieren und wird in den Münchner Künstler- und Adelskreisen gefeiert. 1845 heiratet er die aus Böhmen stammende Näherin Betty Reis und übersiedelt mit ihr nach Ried im Innkreis. Aus dieser Ehe geht die Tochter Carolina hervor. Als die Revolution 1848 ausbricht, ist er wie die meisten Zeitgenossen ein begeisterter Verfechter, wendet sich jedoch bald davon ab. Von nun an gelingt es ihm nicht mehr, im österreichischen Literaturbetrieb zu reüssieren. Da die Familie von Geldsorgen geplagt wird, verlegt er seinen Wohnsitz nach München, weil er dort bessere Einkommenschancen sieht.

In München schreibt er das „Bunte Buch“ (1852), das neben anderen sehr reaktionären Texten auch den Essay „Jude“ enthält. Einem fiktiven Erzähler unterschiebt er darin seine politische Zielvorstellung von der Vernichtung der Juden:

„In alle Welt zerstreut, schlingt er [Anm. d. Verf.: der Jude] sich, ein Riesenbandwurm, um die Ernährungsorgane eines jeden kultivierten Staatskörpers […] Die Völker ringen um Vorrang und Macht, die Völker wetteifern in Kunst und Wissenschaft, in Entdeckung und Erfahrung, die Völker opfern Gut und Blut für Fürst und Vaterland; der Jude sieht zu, zufrieden, dass er heute oder morgen, da oder dort seinen Bandwurmrüssel, gleichviel, an die offene Wunde, oder an die Errungenschaft anlegen kann und – saugen“ (zit. nach Laher).

Er kritisiert das angebliche jüdische Schmarotzertum und bedient sich einer hetzerischen Propaganda, wie sie später von den Nationalsozialisten betrieben wird. Das Buch widmet er dem bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig von der Pfordten. Für den oberösterreichischen Autor Ludwig Laher ist dies das wüsteste antisemitische Pamphlet aus der Feder eines Schriftstellers des 19. Jahrhunderts. Stelzhamer schwelgt nicht etwa in den Vorurteilen seiner Zeit, sondern er ist ein geistiger Vorläufer des Antisemitismus. Dadurch wird das durchaus beachtenswerte Talent, das großartige Gedichte in der Innviertler Mundart geschrieben und seine Heimat mit poetischen Bildern verherrlicht hat, in seiner literarhistorischen Bedeutung empfindlich geschmälert. Stelzhamers Text ist allerdings kein singulärer Ausdruck des im Christentum jahrhundertelang tief verankerten Judenhasses. Denn zwei Jahre zuvor veröffentlicht der Komponist Richard Wagner unter Pseudonym sein Pamphlet „Das Judenthum in der Musik“ (1850).

Stelzhamer hat bewusst verdrängt, dass das von ihm angeprangerte jüdische Schmarotzertum von ihm selbst gelebt wird, denn einer seiner großzügigsten Förderer in seiner Wiener Zeit ist der aus Böhmen stammende Jude Ludwig August Frankl. Für Laher steht Stelzhamer deshalb „für die Unbegreiflichkeit menschlicher Abgründe“.

Nach seiner Rückkehr nach Salzburg stirbt seine Frau Betty im Alter von 38 Jahren. Im selben Jahr beginnt der 54-jährige Dichter Stelzhamer eine Beziehung zu Hermine Tremml, der Tochter seiner Jugendliebe Antonie Nicoladoni. Die letzten 18 Lebensjahre verbringt Stelzhamer überwiegend in Salzburg und Henndorf. 1866 erleidet er einen Schlaganfall, was für ihn jedoch kein Hindernis darstellt, die um 34 Jahre jüngere Salzburger Lehrerin Therese Böhm-Pammer zu heiraten. Sie wohnt mit ihrem unehelichen Sohn Luzian in Henndorf. Die nicht legalisierte Beziehung zu Stelzhamer hat schon bisher zu Ärgernissen in der kleinen Dorfgemeinde geführt. Stelzhamers letztes Gedicht, welches er seiner in Henndorf verbliebenen Familie widmet, – „Uebern Anger bin ih ganga“ – verfasst er zwei Monate vor seinem Tod.

Am 14. Juli 1874 stirbt der Dichter in seinem Wohnhaus Henndorf Nr. 84 und liegt auf dem Henndorfer Friedhof begraben. Es gibt wohl kaum einen anderen österreichischen Dichter, dem so viele Denkmäler erbaut wurden und der in seinem Heimatland Oberösterreich als Säulenheiliger verehrt wird. Im Jahr 1900 huldigt Hermann Bahr in seinem Theaterstück „Der Franzl“, das in fünf Szenen das Leben Stelzhamers schildert, dem Mundartdichter. Heute wird die Bedeutung des Oberösterreichers mit seinen teils kitschigen und trivialen Versen einem neuen kritischen Diskurs unterzogen, etwa durch die Germanistin Silvia Bengesser.

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