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JOSEF WESSICKEN 1837–1918 Schloss-Baumeister des Pinzgaus und Gestalter des Manhattans der Alpen
ОглавлениеDer Architekt Josef Wessicken hinterlässt im Bundesland Salzburg deutliche Marksteine seines Schaffens im neugotischen Baustil. Zu seinen wichtigsten Werken zählen der Bau der Andräkirche, die Neugotisierung des Turms der Franziskanerkirche in Salzburg und die beinahe gesamte architektonische Silhouette des weltberühmten Kurortes Bad Gastein. Im Salzachpongau dominiert die zweitürmige Dekanatskirche auf der Terrasse des St. Johanner Obermarkts als „Pongauer Dom“ die Landschaft zwischen Schwarzach und Bischofshofen. Aber auch im Pinzgau hat er prägende architektonische Wahrzeichen hinterlassen. So kann er als der „Schloss-Baumeister“ des Pinzgaus bezeichnet werden, zählen doch das Schloss Fischhorn in Bruck an der Glocknerstraße und das Schloss Grubhof bei Lofer zu seinen planerischen Meisterleistungen.
Josef Wessicken wird als ältestes von acht Kindern des gleichnamigen Salzburger Tischlermeisters in der Salzburger Griesgasse geboren. Die Familie entstammt einer westfälischen Tischlerdynastie. Nach der Ausbildung im Realgymnasium absolviert er noch eine Tischlerlehre im väterlichen Betrieb und besucht anschließend die Modellier- und Zeichenschule München. Schließlich studiert er an der Wiener Akademie der bildenden Künste bei den Professoren August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll, den beiden Erbauern der Wiener Staatsoper. Erstmals kommt er für einen zweiwöchigen Ferienaufenthalt zwischen 27. August und 5. September 1859 nach Bad Gastein, wo sein Onkel Alois als Pfarrer tätig ist. Der Wiener Dombaumeister Friedrich von Schmidt nimmt ihn nach Studienabschluss unter seine Fittiche und beschäftigt ihn bei der Planung des fürsterzbischöflichen Liechtenstein’schen Schlosses Fischhorn in Bruck.
Von der topografischen Position an der Schnittstelle zwischen dem Zeller Becken und dem Salzachtal ist Schloss Fischhorn nicht als eine Burg im Sinne einer Befestigungsanlage konzipiert, sondern seit jeher als Schloss. Erstmals gibt es eine urkundliche Erwähnung eines Ulricus de Vischarn um 1233, im Jahr 1273 sodann eine Beurkundung von „Vischarn“ durch den Bischof Heinrich von Chiemsee. Im Bauernkrieg von 1525/26 wird das Schloss von den aufständischen Bauern angezündet. 1859 gelangt es im Versteigerungswege an den Postmeister Embacher von Taxenbach, bis es schließlich von Sophie Fürstin Löwenstein, einer geborenen Prinzessin Liechtenstein angekauft wird. Sie ist es auch, die den Wiener Dombaumeister von St. Stefan, Friedrich von Schmidt, beauftragt, das Schloss im neugotischen Stil umzubauen. Schmidt holt sich den Architekten Josef Wessicken, der die Detailpläne anfertigt und später auch das Ökonomiegebäude nördlich des Schlosses errichtet. Im September 1862 beginnt Wessicken mit der Bestandsaufnahme des Schlosses und den Vermessungen.
Da aber Preußen im Jahr 1866 Österreich den Krieg erklärt, muss der Bau des Schlosses unterbrochen werden und wird erst in den frühen Siebzigerjahren wieder fortgesetzt. Das Schloss Fischhorn ist in der von Wessicken ausgeführten Form zwar eine neu konzipierte, aber dem neugotischen Stil angepasste mittelalterliche Burg, die zu Wohnzwecken für eine fürstliche Familie errichtet wird. Fürstin Sophie und ihr Gatte, Fürst Carl zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, erweitern ihren Besitz ständig, sodass daraus schließlich der damals größte private landwirtschaftliche Besitz des Landes Salzburg entsteht.
Im Jahr 1920 wird das Schloss durch einen Brand bis fast auf die Grundmauern zerstört. In der Folge verliert die Fürstenfamilie Liechtenstein das Interesse an dem Schloss und verkauft es an die Familie Gildemeister. Heinrich Gildemeister, geboren in Peru, ist zwischen 1931 und 1942 Botschafter der Republik Peru in Deutschland. Er lässt Fischhorn durch den Architekten Karl Wolters wieder aufbauen. Damit geht aber der von Josef Wessicken praktizierte neugotische Baustil weitgehend verloren, weil viele architektonische Formmuster vereinfacht werden. Als im Jahr 1942 die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Peru abgebrochen werden, verlassen die Gildemeisters das Gut Fischhorn und reisen nach Peru. Die Nationalsozialisten beschlagnahmen nun das Schloss und unterstellen es den Parteiorganisationen der NSDAP. Es wird ein SS-Remonte-Amt, um Jungpferde zur Ergänzung des militärischen Pferdebestandes auszubilden. Es wird auch als eines der zwei Pinzgauer Nebenlager des KZ Dachau verwendet, wofür 150 Häftlinge für Bauarbeiten herangezogen werden. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wird das Schloss als Beutelager für die Kunstschätze Hermann Görings, die unter Federführung des Pinzgauers Kajetan Mühlmann in Polen und der Ukraine geraubt wurden, herangezogen. Darunter befindet sich auch ein wertvolles Kreuz aus Limoges, das sechzig Jahre nach dem Krieg durch einen Zufall auf einem Müllsammelplatz des Zeller Stadtteils Thumersbach gefunden wird. Lange Zeit geistert auch das Gerücht durch den Pinzgau, das berühmte Bernsteinzimmer aus dem Schloss Königsberg sei im Bereich des Schlosses Fischhorn versteckt worden. Nicht weniger ereignisreich, aber von geringeren Phantasmen umnebelt, ist die Geschichte des Schlosses Grubhof in St. Martin bei Lofer. Im Jahr 1890 wird Josef Wessicken als der damals herausragendste Architekt des Landes Salzburg beauftragt, Schloss Grubhof architektonisch neu zu gestalten. Das Schloss wird urkundlich erstmals um 1300 als „Hof zu Grub in der Louer“ als erzbischöfliches Lehen erwähnt. Später gelangt es dann in den Besitz des königlich-bayerischen Hauptsalzamtes in Reichenhall, bis es im Jahr 1868 von der Familie des Josef Faistauer erworben wird. In diesem Schloss erblickt der berühmte österreichische Maler Anton Faistauer im Jahr 1887 das Licht der Welt. Die Faistauers verkaufen den großen Ansitz jedoch im Jahr 1890 an den deutschen Kunstdüngerfabrikanten Hermann Schmidtmann. Schmidtmann, als Sohn armer Eltern im thüringischen Schmalkalden geboren, hat in den USA durch die Produktion von Kunstdünger ein Vermögen erwirtschaftet und kann damit nicht nur den alten Adelssitz Schloss Grubhof, sondern auch zahlreiche Bauerngüter in den Hohlwegen bei Saalfelden und in Hinterthal bei Maria Alm ankaufen (s. Kap.: Hermann Schmidtmann).
Schmidtmann beauftragt nun den in Salzburg mittlerweile äußerst gefragten Architekten Wessicken und den Baumeister Jakob Ceconi, den Ansitz im Stil einer überdimensionierten Gründerzeitvilla umzubauen.
Dieses in einem großen Park gelegene Schloss wird allerdings in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts durch touristische Apartementhäuser völlig zugebaut. In den Achtziger- und Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts wird Josef Wessicken zum Gestalter des mondänen Weltkurortes Bad Gastein, das lange Zeit als das „Monte Carlo der Alpen“ oder als „Wolkenkratzerdorf in den Bergen“ gekrönte Häupter und berühmte Künstler sowie das reiche Wiener Bürgertum zu den heilenden Thermalquellen anlockt. Wessicken wird in Zusammenarbeit mit dem Salzburger Bauunternehmer Angelo Comini zum prägenden Gestalter der Hoteltürme und privaten Villen rund um den berühmten Wasserfall. Comini ist ursprünglich ein Schüler Wessickens, der dessen handwerkliche Qualitäten beim Bau des Schlosses Fischhorn kennengelernt hatte. Der aus dem Friaul stammende Comini kann sich mehr als 40 Jahre als bevorzugter Baumeister Bad Gasteins etablieren und beschäftigt in der Glanzzeit des Baugeschehens bis zu 400 friulanische Maurer. Die Kombination von wildromantischer alpiner Naturkulisse mit modernsten Hotelbauten ist der Grund für die touristische Faszination des Kurortes. In den Jahren 1880 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges prägen die Arbeiten des Zweigespanns Wessicken-Comini das historistische Antlitz Bad Gasteins, eine Form der „Dekorationsarchitektur“ im Stil der Gründerzeit.
Zu den Glanzstücken der Hotelbauten Wessickens zählen das Hotel de l’Europe, der Elisabethhof Alois Windischbauers (heute: Arcotel), der im Jahr 1867 mit nur 60 Gulden in der Tasche nach Bad Gastein kam und sich dort ein Hotelimperium baut, sowie das „Haus am Wasserfall“ der Familie Straubinger. Den Kontakt zur Familie des Bürgermeisters Carl Straubinger hatte der rührige Architekt bereits während seiner Zeit als Dombaumeister von Mainz geknüpft, als er für drei Wochen in Gastein zur Kur weilte. Weitere Hotelbauten Wessickens sind das Kurhotel Austria, das Hotel Weismayr, das Kurhaus Quisisana, das Hotel Mühlberger und das Kurhaus Goldeck.
Aber auch die wohlhabenden Gasteiner Bürger und bevorzugt die gut bemittelten Kurärzte bedienen sich Wessickens als Gestalter ihrer noblen Villen. Die Kurärzte Dr. Anton Wassing, Dr. Eduard Schider und Dr. Josef Weingerl lassen sich ihre Privathäuser im Wessicken-Stil erbauen, der sich durch die charakteristischen Wessicken-Türmchen auszeichnet. Bei den Hotelbauten verzichtet Wessicken auf dieses architektonische Beiwerk. Die von Wessicken konzipierten Villen erzeugen alle den Eindruck einer Mischung von Burg- und Landhausstil.
Vom Grafen Rudolf von Czernin bekommt Wessicken gleich zweimal den Auftrag, ein Jagdschlösschen in Böckstein neben der Wallfahrtskirche zu planen. Da das erste Schlösschen sehr bald durch einen Brand zerstört wird, erhält Wessicken ein zweites Mal den Planungsauftrag.
Die Monumentalbauten der Gründerzeit zwischen 1880 und 1910 finden allerdings nicht die Zustimmung aller Zeitgenossen, da sie die romantische Topografie rund um den Wasserfall und das ländliche Idyll des Gasteinertals zum Großstädtischen hin verändern. So klagt der damalige Volksschullehrer Wilhelm Winkler, dass bis auf den Pfarrhof fast alle Häuser dem Erdboden gleichgemacht und durch den dem alpinen Baustil völlig unangepassten großstädtischen Architekturstil ersetzt worden seien. In seinem Buch „Bad Gastein“ bedauert der Gasteiner Badearzt Karl Gager den Verlust des „eigentümlichen und urwüchsigen Zaubers von Gastein […] Für Maler und Naturfreunde ein schmerzlicher Abbruch“.
Josef Wessicken heiratet 1916 Rosina Buchta, geborene Bühlmayr, deren Vater ein berühmter Vergolder in der Biedermeierzeit war. Seine Frau bringt fünf Kinder (3 Söhne, 2 Töchter) in die Ehe mit. Zwei der Söhne werden von Wessicken adoptiert, um seinen Namen zu erhalten.
Wessicken stirbt am 19. Oktober 1918, also wenige Tage vor dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie. Er wird in der Familiengruft am Salzburger Kommunalfriedhof begraben. Sein Name ist in der Erinnerung der Pongauer Bevölkerung weitgehend vergessen, der Pongauer Dom, die Gasteiner Wolkenkratzer-Silhouette, das Schloss Fischhorn bei Bruck und das Schloss Grubhof in St. Martin bei Lofer bleiben aber als seine besonderen architektonischen Wahrzeichen bestehen.