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IRMA VON TROLL-BOROSTYÁNI 1847–1912 Die Vorkämpferin der Frauenemanzipation in Salzburg

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Irma von Troll-Borostyáni ist im stockkonservativen Salzburg der Jahrhundertwende, insbesondere für die patriarchal dominierte Männerwelt, ein Schreckgespenst. Schon ihre äußere Erscheinung ist im klerikal-konservativen Salzburg eine Herausforderung.

„Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben, muss wirken und streben und pflanzen und schaffen, erlisten, erraffen, muss wetten und wagen, das Glück zu erjagen. Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder und herrschet weise im häuslichen Kreise.“

So schreibt Friedrich Schiller in seiner Ballade „Das Lied von der Glocke“, das Generationen von Schulkindern auswendig lernen müssen. Während der Philosoph, Ökonom und Politiker John Stuart Mill in seinem 1869 erschienenen Werk „The Subjection of Women“ (Die Hörigkeit der Frau) keine der damals festgestellten Unterscheidungen in Wesen und Verhalten von Frauen und Männern als naturgegeben ansieht, da das meiste ein Produkt von Erziehung und gesellschaftlichen Strukturen sei, herrscht im übrigen Europa noch die vormoderne Gesellschaftsstruktur. „Gut erzogen galt damals bei einem jungen Mädchen für vollkommen identisch mit lebensfremd, und diese Lebensfremdheit ist den Frauen jener Zeit manchmal für das ganze Leben geblieben […] Durch diese lebensfremde Erziehung von vornherein bestimmt, in der Ehe dann willenlos vom Manne geformt und geführt zu werden, schreibt Stefan Zweig in seinem Erinnerungsbuch „Die Welt von Gestern“.

Irma von Troll-Borostyáni hingegen trägt Männerkleidung und einen Kurzhaarschnitt, Hemden mit Stehkragen und Masche und raucht in der Öffentlichkeit Zigarren. Sie polemisiert gegen die weibliche Erziehung und den damals einzig möglichen Beruf der Frau als Gattin. Sie fordert eine bestmögliche Ausbildung für Mädchen als Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben und kämpft gegen die Prostitution. Einer ihrer Kernsätze ist: Ich fühle mich unfähig, weiblich zu sein.“ Ihr maskulines Gehabe sorgt bei der spießigen Bürgerschaft der Kleinstadt Salzburg für gehörige Erregung.

Marie von Troll (so ihr Geburtsname) wird als jüngstes von vier Kindern des Zollbeamten Otto Ritter von Troll und seiner Frau Josefine von Appeltauer am 31. März 1847 im Baumeister-Rauscher-Haus in der Griesgasse 4 in Salzburg geboren. Da es für Mädchen keine Ausbildung in Gymnasien oder an der Universität gibt, bleibt nur das Benediktinerinnenkloster am Nonnberg als Ausbildungsstätte. Nach zwei Jahren im klösterlichen Ausbildungsbetrieb erkrankt das Mädchen an einem heftigen Nervenfieber. In ihrer Ablehnung des stockkonservativen weiblichen Rollenbildes lässt sie sich nun die Haare kurz schneiden und trägt fortan Männerkleidung. Sie nennt sich nun Irma, um sich von ihrem bisherigen Dasein radikal zu distanzieren. Als der Vater 1866 plötzlich stirbt, hat Marie die Wahl zwischen einer Heirat oder dem Leben als Gouvernante. Sie will Schauspielerin werden, was jedoch von ihrer Mutter und ihren Brüdern abgelehnt wird. So lässt sie sich in Wien zur Pianistin ausbilden. Neben ihrer musikalischen Ausbildung verfasst sie in der Bundeshauptstadt unter den Pseudonymen Leo Bergen oder Veritas Skizzen und Essays für diverse Tageszeitungen.

Da sie sich besonders für die Situation unterprivilegierter Frauen interessiert, geht sie in Männerkleidern und in Begleitung eines Freundes in die Wiener Prostituiertenviertel, um die Situation der Sexarbeiterinnen aus eigener Anschauung kennenzulernen. Die Prostitution ist für sie Zeichen bürgerlicher Doppelmoral und männlicher Herrschaft. Die Prostituierten rekrutieren sich vor allem aus Arbeiterinnen, die sich vor dem Verhungern retten wollen.

„Die wirtschaftliche Lage der arbeitenden Klassen im Allgemeinen und die noch ungünstigere der arbeitenden Frau führen der gewerbsmäßigen Prostitution ihre Opfer zu. Nicht ihre angeborene Lasterhaftigkeit, nicht ihr freier Wille, sondern die Peitsche des Hungers treibt sie auf die Straße, um dem nächstbesten Vorüberziehenden für ein Abendessen ihren Leib zu verkaufen“ (Die Prostitution vor dem Gesetz, zit. nach Gürtler, 196).

Ihre essayistische Arbeit steht deutlich im Vordergrund, während ihre literarische Tätigkeit vorwiegend der Popularisierung ihrer sozialpolitischen Bestrebungen und dem Gelderwerb dient. Sie ist eine der radikalsten Denkerinnen, die nicht nur für die Gleichstellung der Frau kämpft, sondern sie verlangt grundsätzlich eine Erziehung der Kinder durch den Staat und außerhalb der Familie, weil die familiäre Struktur der Familien sehr unterschiedlich ist und nur wohlhabende Familien sich die Erziehung der Kinder durch Hauslehrer und gebildete Gouvernanten leisten können.

In Budapest lernt Irma den Journalisten Nandor Borostyáni kennen, den sie heiratet. Der Ehe entstammt eine Tochter, die allerdings nach drei Jahren an Diphtherie stirbt. Da ihr Gatte beruflich sehr viel in Paris engagiert ist, entwickelt sie sich zunehmend zu einer streitbaren Vertreterin der Frauenemanzipation. Im Jahr 1878 erscheint ihr erstes Buch „Die Mission unseres Jahrhunderts – eine Studie über Frauenfragen“.

In diesem Hauptwerk stellt sie fünf Forderungen für eine humanere Form der Gesellschaft auf: Sie drängt auf die politische und soziale Gleichstellung der Geschlechter, die vollkommene und unbedingte Lösbarkeit der Ehe, die Abschaffung der Prostitution, die Reform der Jugenderziehung beider Geschlechter und die Erziehung der Kinder in staatlichen Institutionen:

„Selten dringt ein Schmerzensschrei des Weibes an die Öffentlichkeit. Die Frau hat es gelernt zu lächeln, während erstickte Tränen ihr das Herz zusammenpressen. An wen sollte sie sich mit ihren Klagen wenden? An die Frauen? Die haben nicht die Macht, ihr zu helfen. An den ritterlichen Schutz des Mannes? Der Mann erweist der Frau nur dann gern Gefälligkeiten, wenn er als deren Lohn sich durch die Frau Vorteil oder Genuss verschaffen kann. An den Staat? Ach, der Staat ist es ja eben, der die Gesetze schuf, welche die Frau der Gewalt des Mannes überliefern“ (Die Mission unseres Jahrhunderts, 58).

Zusätzlich tritt sie vehement für das Wahlrecht für Frauen ein. Sie fordert auch eine Reform der Frauenkleidung in ihrem Pamphlet „Das Weib und seine Kleidung“. Darin lehnt sie das „Panzermieder und die zu engen Schuhe als Verstümmelung der Füße ab: „In der Geschichte der menschlichen Verstandesschwäche gebührt dem Kapitel der weiblichen Kleidung eine hervorragende Stelle.“

In Ergänzung und zur Untermauerung ihrer Forderungen schreibt sie neben ihren sozialpolitischen Texten Romane und Novellen. Insgesamt erscheinen von ihr zu Lebzeiten 19 Bücher. In ihren erzählerischen Werken tritt ganz deutlich ihre Liebe und Sorge für die Entrechteten und Ausgebeuteten zutage. Bekannt wird sie einer breiteren Leserschaft vor allem durch ihren Roman „Aus der Tiefe“ (1892).

Troll-Borostyáni hat auch mit zahlreichen Schriftstellerinnen und Frauenrechtlerinnen engen Kontakt. Mit der Friedennobelpreisträgerin Bertha von Suttner und den Frauenrechtlerinnen Auguste Fickert, Adelheid Popp und Rosa Mayreder hat sie jahrelang regen Briefkontakt. Bertha von Suttner nennt ihre „Gesinnungsschwester“ eine der „tiefsten Denkerinnen aller Zeiten“.

Nach zwölf Jahren kehrt Irma von Troll-Borostyáni im Jahr 1882 nach Salzburg zurück, da ihre Mutter sterbenskrank ist. Irma zieht gemeinsam mit ihrer ebenfalls feministisch engagierten Schwester Wilhelmine in das Haus Riedenburgstraße 7 ihrer drei künstlerisch begabten Freundinnen Helene, Johanna und Maria Baumgartner ein, wo sie bis zu ihrem Tode wohnt. Alle fünf Frauen sind mit ihrer Wohngemeinschaft und ihren künstlerischen, feministischen und sozialpolitischen Engagements gesellschaftliche Außenseiterinnen in der Stadt. Zu Irmas Freundinnen zählen auch die künstlerisch tätigen Schwestern Esinger, die in ihrem Haus am Mönchsberg in ähnlicher Art ihr alternatives Lebensmodell zu der herkömmlichen bürgerlichen Art verwirklichen. Ihren Mann dürfte sie nie mehr getroffen haben.

Eine Zeitlang ist Irma von Troll-Borostyány auch Mitglied der im Jahr 1897 gegründeten Künstlergruppe PAN, zu der auch der Musiker August Brunetti-Pisano und Georg Trakl gehören. Die Vereinigung setzt sich zum Ziel, die kulturkonservative Struktur der Stadt aufzubrechen.

Die Troll-Schwestern Wilhelmine und Irma sind aber auch begeisterte Bergsteigerinnen, die es wagen, den Großglockner zu bezwingen. Doch im Jahr 1900 erleidet Irma einen schweren gesundheitlichen Rückschlag mit Herzbeschwerden, Atemnot und einem Nervenleiden. Ausschlaggebend dafür dürften existenzielle finanzielle Sorgen gewesen sein. Als ihr Mann Nandor im Herbst 1902 stirbt, bessert sich die Lage. Sie kann nun Kuraufenthalte in Hofgastein und am Gardasee absolvieren. Im Alter von 65 Jahren stirbt die kämpferische Frauenrechtlerin am 10. Februar 1912. Auf ihrem Grabstein steht: „Die tapfere Bahnbrecherin der Frauenbewegung“. Das Grab auf dem Salzburger Kommunalfriedhof ist jedoch aufgelassen und seit vielen Jahren von einer anderen Salzburger Familie belegt. Seit 1995 vergeben Land und Stadt Salzburg für frauenrechtliches Engagement den Troll-Borostyáni-Preis.

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