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Albury Australien 1943

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Plötzlich, wie seltsam, trug mir der Wind die Klänge erhabener Musik zu. Zwischen sanften braunen Hügeln und über Steppengras, wo Känguruhs weideten, war ich an jenem Sommertag in Alburys Hinterland zu den Ufern des Murray gelangt, und dort, im Schatten der Trauerweiden, erkannte ich, was ich hörte – Beethovens Eroica. Ich ging den Klängen nach, sie führten mich zu einem Pfad, der vom Fluß durch Unterholz in eine Lichtung mündete. Da sah ich ihn mit dem Rücken gegen den Stamm eines Eukalyptusbaumes vor einem schlichten Holzhaus sitzen, neben sich eines jener alten Grammophone mit Trichter und Handkurbel, ein »Die-Stimme-seines-Herrn«-Grammophon – selbst der kleine Hund fehlte nicht. Nur daß dieser Hund nicht wie der auf dem Firmenzeichen war, sondern ein Spitz. Der junge Mann war blaß für einen Australier vom Lande, mit schmalen Schultern, langarmig und langbeinig, und wie er da saß, wirkte er kränklich, überaus sensibel, verletzlich auch – Augen voller Sanftheit, ein zu weicher Mund und Haar so seidig, jeder Windhauch bewegte es. Er sprach mit sanfter Stimme. Was er zur Begrüßung sagte, hat sich mir eingeprägt, auch, wie er es sagte. Sein Name sei Colin Cartwright, und es bedeutete ihm viel, daß ich kannte, was er da auf dem Grammophon spielte. Noch mehr bedeutete es ihm, daß ich aus dem Land der Geburt jenes großen Tonmeisters stammte, dazu noch im Rheinland nicht weit von Bonn aufgewachsen war. Von Hitlerdeutschland schien er nur begrenzte Vorstellungen zu haben – man hatte dort zum Krieg gerüstet und nun war er ausgebrochen. Von den Verfolgungen, die dem Krieg vorangegangen waren, konnte wenig zu ihm gedrungen sein. War nicht auch Menuhin Jude und Bruno Walter, und musizierten sie nicht noch in Deutschland? Nicht mehr, schon lange nicht – er nahm das zur Kenntnis und es stimmte ihn bedenklich. Als ich erfuhr, daß er zuweilen an der Lokalzeitung als Korrektor aushalf, wunderte ich mich über seine Weltfremdheit. Begriff er denn nicht, was er da korrigierte? Doch schon, versicherte er, aber vom Weltgeschehen sei da nicht viel zu finden und es verlange ihn auch nicht danach. Was er erführe, genüge ihm und ich, der an dem Schicksal meiner Eltern litt, an den Nachrichten von Verschleppung und Mord, und jeder Kunde vom Verlauf des Krieges nachging, brachte dafür wenig Verständnis auf. Gleichzeitig aber erweckte seine Hingabe an deutsche Musik Sehnsucht in mir, Vorstellungen von einem Deutschland, das ich nie gekannt hatte. Es tat mir gut, wie er die Namen Bach, Beethoven, Brahms sprach, und später, als ich erfuhr, daß er unheilbar krank sei, verstand ich sehr wohl, warum er Einsichten über den Ort des Schreckens, der Deutschland in jenen Jahren war, nicht in sich aufkommen ließ. Bach, Beethoven, Brahms – seit jener Begegnung traf ich niemand mehr, dem jene Musik ein solcher Born von Hoffnung war. Denke ich an Colin Cartwright, höre ich, wie damals an den Ufern des Murray, Beethovens Eroica und folge im Geiste dem Pfad, der mich zu ihm führte.

Die Zeit berühren

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