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Wallstraße Berlin 1979

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Es war behaglich in der Wohnküche, Gespräche flossen dort leichter, dieses aber kam nur zustande, weil wir unter vier Augen waren – und es hat mich erschüttert.

War ich auch Deutschen meiner Generation stets mit Vorsicht begegnet, Johannes R. nicht. Seiner Offenheit, seines freundlichen Wesens wegen hatten sich die Grenzen zwischen uns schnell aufgehoben. Ich mochte ihn, war ihm zugetan, auch vom Äußeren war er mir angenehm – ein mittelgroßer Mann mit dichtem grauen Haar, hoher Stirn und buschigen Brauen über tiefliegenden blauen Augen, die aufmerksam, dabei nicht ohne Schalk, in die Welt blickten. Er galt als ein Graphiker, der mit sparsamsten Strichen zum Wesentlichsten vorzudringen verstand und allen Büchern, die er ausstattete, einen besonderen Glanz verlieh. Zu einem Zusammenwirken zwischen uns aber war es nie gekommen. In seinen Zeichnungen lag meist etwas Humoriges, oft auch Komisches, das zu meinen Arbeiten nicht passen wollte. Im Leben aber paßten wir gut zusammen, waren gleichermaßen gesellig und den Künsten aufgeschlossen. Auch liebten wir beide das Meer und verbrachten manch gemeinsame Woche dort.

Natürlich war er, wie fast alle Männer seines Jahrgangs, im Krieg gewesen. Nie aber hatte ich ihn mir im Einsatz vorstellen können, und seine Erinnerungen an Franzosenmädchen und norwegische Bauernfamilien, die ihn, den jungen Soldaten, wie einen Sohn aufgenommen hatten, waren mir glaubhaft erschienen – er wird auch damals schon gesellig gewesen und mochte sehr wohl in die Haut eines Franzosen geschlüpft sein, der Zivilkleider und eine Baskenmütze trug, oder in die eines rustikalen Norwegers in Kordhosen und kariertem Hemd.

An jenem Abend aber, Angesicht zu Angesicht in der Wohnküche, sah ich ihn plötzlich breitbeinig in Stiefeln vor mir, Johannes R. in Wehrmachtsuniform, neunzehn Jahre jung und mit der Maschinenpistole im Anschlag – und zwanzig Meter vor ihm stürzen Männer, Frauen und Kinder in die Gräben von Babi Jar.

Warum beichtet er, preßt er sich, aschfahl im Gesicht, jene grauenvollen Erinnerungen von der Seele, und warum hat er in all den Jahren geschwiegen?

Die Fragen stehen mir in den Augen und er erkennt sie.

»Weil ich nicht länger schweigen kann«, beteuert er. »Und du sollst wissen, ich war nicht freiwillig dort, es war Befehl. Aber keiner konnte mir befehlen, daß ich irgendwen töte. Glaub mir das! Meine Kugeln gingen über die Köpfe.«

Wenige Wochen später verstarb Johannes R. an Krebs im Krankenhaus – und hat meine Zweifel an seinen Worten mit in den Tod genommen.

Die Zeit berühren

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