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4. Kapitel

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Sarah starrte in die Grube unter der größten Platane im Garten hinunter. Das kleine hölzerne Kreuz, das sie in aller Eile aus Zweigen zusammengebunden hatte und das jetzt auf der Schachtel mit Susan Birchs Kopf lag, war beinahe ein Hohn. Eilig und mit beiden Händen schob Sarah die Erde zurück in die Mulde und drückte sie fest, bis kein Unterschied mehr zu sehen war.

Schließlich sprach sie ein leises Gebet.

In der Ferne schlug die große Glocke des Big Ben. Sie erschrak. Bald würde Margret auftauchen. Auch ihr Vater würde nicht ewig wegbleiben. Sie fröstelte. Nebelfetzen waberten durch den Garten und Sarah stellte sich unwillkürlich vor, dass Susans Geist plötzlich vor ihr stand und anklagend auf sie zeigte.

Rasch schüttelte sie den Gedanken ab - für Spukgeschichten hatte sie jetzt keine Zeit!

Sie eilte zurück in den Schuppen, säuberte die Säge und die Messer, streute Sägemehl auf die Stellen, die sie vorher sorgfältig gereinigt hatte. Dann rannte sie in die Praxis. Zum Glück hatte Susan nicht stark geblutet. Der Hammer war schnell gereinigt.

Da Sarah bei einer Geburt gewesen war, würde es nicht weiter auffallen, dass ihre Kleider voller Blut waren. Aber sie beschloss, dass es das Beste wäre, das Kleid, die Strümpfe und auch die Leibwäsche zu verbrennen. Sie wollte diese Sachen nie mehr tragen. Sonst würde sie vielleicht dadurch an den Mord erinnert werden.

Schnell zog sie sich aus, warf die Kleidung auf einen Haufen und wollte nackt in ihr Zimmer, als ihre Tante plötzlich vor ihr stand.

»Um Himmels Willen, Sarah! Wie siehst du aus?«

Sarah betrachtete sich. Ihre Arme waren voller Blut und Dreck. Ihre Tante stürzte auf sie zu.

»Es war wohl eine schwere Geburt?«

Sarah atmete unhörbar auf.

»Ja, Tante Margret, es lag falsch, ich musste in Helen greifen und es drehen.«

»Kind, du bist so tapfer! Komm, ich bereite dir ein Bad. Das wirst du nötig haben. Und das da«, sie zeigte mit dem Kinn auf die Kleider, »das verbrenne ich. Sauber krieg ich das nicht mehr.«

Sarah nickte. Sie war erschöpft. Dankbar ließ sie sich wenige Minuten später in das heiße Wasser gleiten und dämmerte langsam hinüber, als die Stimme Margrets sie wieder wach werden ließ.

»Heiliger Georg! Fast hätte ich es vergessen. Francis ist zurück, er war bei deinem Vater. Aber ich frage mich, wo die beiden sind.«

Als habe Andrew O’Leary nur auf sein Stichwort gewartet fiel in diesem Moment die Eingangstür ins Schloss. Margrets Gesicht hellte sich auf.

»Ah, da ist er ja!«

Eilends verließ sie das Bad und Sarah hörte, wie ihre Tante die Treppen hinunter ging. Was sie dabei in aufgeregt-fröhlichem Ton plapperte, konnte die Rothaarige nicht verstehen. Trotz ihrer Müdigkeit quälte Sarah sich aus der Badewanne und trocknete sich ab, schlüpfte in ihr Nachthemd und einen seidenen Morgenmantel. Sie wollte unbedingt noch heute mit ihrem Vater sprechen.

Seine und Margrets Stimmen klangen gedämpft aus dem Arbeitszimmer und Sarah klopfte an, bevor sie ebenfalls eintrat. Die beiden verstummten sofort, sahen sie mit großen Augen an. Margret presste beide Hände vor den Mund und stürzte dann aufschluchzend an ihr vorbei aus dem Raum.

Sarah hätte eigentlich so tun müssen, als wüsste sie noch nichts von der schlimmen Nachricht, aber sie hatte einfach nicht mehr die Energie dazu und sah ihren Vater nur mit ausdruckslosem Gesicht an. Andrew kannte seine Tochter gut genug, um dies richtig zu deuten. Er sank ein wenig in sich zusammen.

»Du weißt es schon.«

Sarah nickte.

»Ja. Ich bin vorhin nach Hause gekommen, als du mit Francis in der Praxis warst. Ich habe gelauscht.«

»Oh Liebling, es tut mir so leid!«

Andrew überwand den Abstand zu seiner Tochter und nahm sie in die Arme, drückte sie an sich.

»Ich weiß, es tut weh, aber du wirst jemanden finden, den du ebenso sehr liebst wie Francis.«

»Ich möchte die Verlobung nicht lösen!«

Für ein paar Sekunden war es totenstill im Raum und Andrew glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Er wich von seiner Tochter ab und hakte mit gerunzelter Stirn nach:

»Was hast du gesagt?«

»Ich möchte die Verlobung nicht lösen,« wiederholte Sarah, sah ihrem Vater fest und mit einer Entschlossenheit, die O’Leary nur zu gut kannte, in die Augen. Er bemühte sich, eine strenge Miene zu machen.

»Sarah, es kommt gar nicht in Frage, dass du ihn heiratest! Du weißt selbst sehr gut, wie ansteckend diese widerliche Seuche ist!«

»Ich habe auch nicht vor, ihn zu heiraten … nicht, bevor ich nicht herausgefunden habe, wie man die Syphilis heilen kann.«

Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch und trotz der Erschöpfung in ihren Augen lag Leidenschaft in ihren Worten. Andrew sah sie entgeistert an.

»Liebling, es beschäftigen sich Wissenschaftler weltweit mit der Heilung, doch bisher hat niemand ein sicheres Mittel gefunden!«

Sarah zuckte mit den Achseln.

»Vielleicht übersehen sie etwas. Vielleicht haben sie auch nur nicht die geeigneten Versuchskaninchen. Im East End laufen die Syphilis-Kranken in Scharen herum. Ich werde verschiedene Therapien an ihnen ausprobieren. Dann sehe ich, was am wirksamsten ist, was vielleicht sogar heilen oder zumindest die Ansteckungsgefahr mindern kann.«

Der Arzt war entsetzt.

»Sarah, du kannst diese Menschen doch nicht so benutzen!«

»Ich habe nicht vor, sie zu benutzen! Ich werde ihnen frei und offen sagen, was ich vorhabe und sie dafür bezahlen. Für ein paar Shilling würden diese Leute doch dem Teufel ihre eigene Seele verkaufen und die ihrer Kinder noch dazu.«

Noch immer war Sarahs Stimme ruhig und so bestimmt, dass Andrew einsehen musste, dass sie ihre Entscheidung schon längst getroffen hatte. Darüber hinaus musste er sich auch noch eingestehen, dass ihr Plan so übel gar nicht war! Sarah küsste ihn auf beide Wangen.

»Ich gehe jetzt ins Bett, Papa. Morgen möchte ich mit Francis reden, wenn es dir recht ist.«

O’Leary konnte nur nicken. Wozu widersprechen? Er kannte den Dickkopf seiner Tochter schließlich zur Genüge. Mit einem Lächeln und einem »Gute Nacht« verschwand sie aus seinem Arbeitszimmer.

Die O´Leary Saga: Engelsklinge

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