Читать книгу Die O´Leary Saga: Engelsklinge - Werner Diefenthal - Страница 17

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»Polly, hast du ihm die Syphilis angehängt?«

Sarahs Stimme klang scharf wie ein Peitschenknall durch den Raum. Die Angesprochene hob mit nur mäßigem Interesse den Kopf von ihrem Glas. Sie hatte sich so lange geweigert, sich von Sarah untersuchen zu lassen, bis diese ihr eine Flasche Whisky hatte bringen lassen, und zwar nicht gerade das übelste Gesöff, sondern etwas Anständiges.

Auf die gestellte Frage hob die Frau nur die Schultern.

»Weiß ich nicht. Hab ich das? Ich kriege manchmal so roten Ausschlag.«

Sie hatte nicht nur das. Ihre Schamlippen waren schon unnatürlich verformt und vernarbt, weil sie immer wieder große, nässende Geschwüre dort gehabt haben musste. Sarah drehte sich der Magen um bei dem Gedanken, dass Männer trotzdem mit ihr verkehrt hatten!

Mit einer heftigen Bewegung zog sie Pollys Rock nach unten.

»Ja, das hast du! Du bist mindestens im zweiten Stadium, das Dritte hat vielleicht schon angefangen! Polly, du musst aufhören, mit Männern zu schlafen! Du steckst sie an!«

Wieder ein Achselzucken.

»Das ist mir doch egal … die verdienen es doch nicht anders! Wenn denen der Schwanz steht, können sie nicht mehr denken. Und wovon soll ich leben, wenn ich das nicht mehr mache, hä?«

Wenn du nicht saufen würdest wie ein Fisch, könntest du vielleicht einer halbwegs geregelten Arbeit nachgehen, lag es Sarah schon auf der Zunge, und die Wut schnürte ihr fast die Kehle ab. Frauen wie Mary Ann Nichols waren es, die dafür sorgten, dass die Seuche sich immer weiter und weiter verbreiten konnte. Frauen, denen es einfach egal war, ob sie andere mit in den Tod rissen. Susan Birch hatte ihr fast haargenau dasselbe gesagt, bevor der Hammer ihr Leben beendet hatte. Die Arzttochter musste tief durchatmen, um sich wieder zu beruhigen.

»Ich nehme dich in meine Forschung auf«, schlug sie halbwegs beherrscht vor. »Dann bekommst du fünf Shilling in der Woche und musst nicht mehr für irgendwelche Kerle die Beine breitmachen!«

»Und lasse mich langsam von dir vergiften!« Polly schüttelte heftig den Kopf. »Kommt nicht in Frage!«

Am liebsten hätte Sarah sie gepackt und geschüttelt, beherrschte sich aber gerade noch. Wie konnte man nur so stur sein, fragte sie sich.

»Dann kommst du eben in die Kontrollgruppe«, knurrte sie. »Du musst nichts weiter tun, als dich jeden Montag von mir untersuchen zu lassen. Ich werde dich nicht behandeln, mir nur den Verlauf deiner Krankheit anschauen. Und danach kommst du mit mir zur Bank und kriegst dein Geld.«

Mit jedem Wort war die verwahrloste Betrunkene aufmerksamer geworden.

»Wirklich? Mehr muss ich nicht tun?«

»Versprochen!«, bekräftigte Sarah und nahm ihr Notizbuch zur Hand. »Jetzt lass mich nochmal deinen Unterleib sehen … ich möchte zeichnen, wie er zu Beginn der Untersuchung aussieht.«

Polly griff grinsend nach der Whisky-Flasche und hob gleichzeitig den Rock.

»Lass dir nur Zeit … ein guter Tropfen will schließlich genossen werden.«

Es war schon nach Mittag, als Sarah und Horatio Whitechapel verließen. Sarah war erschöpft und Horatio froh, dass er den Knüppel nicht hatte verwenden müssen. Er brachte Sarah nach Hause, wo Margret schon wartete.

»Na, junges Fräulein, dann machen wir wieder einen Menschen aus dir. Mal sehen, ob du dir Läuse oder Flöhe eingefangen hast«, bekam sie zur Begrüßung zu hören.

Mit einem Mal schlug Sarah sich an den Kopf. Sie musste sich beeilen, war sie doch mit Francis zum Tee verabredet.

»Ja Tante Margret. Und ich habe Hunger wie ein Wolf.«

Margret lachte. Sie hatte sich letztlich damit abgefunden, dass ihre Nichte die Samariterin spielen wollte. Und sie dachte, dass Sarah dafür wohl einen Platz im Himmel sicher hätte.

Horatio verabschiedete sich, auch er hatte noch einiges zu tun. Er musste noch einmal nach Whitechapel. Er wollte unbedingt herausfinden, wer dieser Polizist war. Wer am helllichten Tag eine Frau, und war es auch die übelste Nutte, verdrosch, der hatte vielleicht auch mal anderswo zu stark zugeschlagen.

Inspector Frederick G. Abberline saß an seinem Schreibtisch und grübelte. Dieser Fall passte ihm überhaupt nicht. Eine Leiche ohne Kopf war so ziemlich das Übelste, was er sich vorstellen konnte. Er ahnte, dass er diesen Fall niemals würde aufklären können. Aber war es wirklich ein Mord gewesen? Das galt es, zu klären. Er rief einige seiner Beamten zu sich.

»Folgendes: Ich will, dass ihr alle Leichenhäuser der Stadt abklappert. Fragt nach Leichen, die auf seltsame Weise verschwunden sind. Konzentriert euch dabei vor allem zunächst auf die Universitäten. Die haben manchmal Leichen zu Übungszwecken. Fehlt da eine? Am Ende haben sich irgendwelche gelangweilten Studenten einen makabren Scherz erlaubt.«

Er kratzte sich am Kinn.

»Dann geht ihr auf die Friedhöfe. Sucht nach Gräbern, die seltsam aussehen. Vielleicht hat jemand einen Toten ausgegraben. Auch dort fangt ihr in der Nähe der Universitäten an. Fragt bei den Bestattern, ob es seltsame Vorfälle gab. Nutzt eure Kontakte, nehmt jeden Informanten, den ihr habt.«

Die Männer murrten, aber ein eisiger Blick ihres Vorgesetzten ließ sie verstummen und sie trollten sich. Nur einen hielt Abberline zurück.

»Miller, warten sie kurz. Schließen Sie die Tür.«

Miller, ein etwas dicklicher Mann mit schütterem Haar und blassblauen Augen Anfang fünfzig, tat, wie ihm geheißen und sah den Inspector an.

»Haben Sie was von Gordon gehört?«

»Noch nicht, Chef.«

»Kontaktieren sie ihn. Auf die übliche Weise. Ich muss mit ihm reden.«

Miller sah seinen Chef entsetzt an. Auf die übliche Weise hieß, er musste ihn unter einem Vorwand verhaften. Das würde Horatio Gordon nicht gefallen. Der einzige Weg, dieser Prozedur zu entkommen wäre, wenn Horatio von sich aus auftauchen würde. Damit war nicht zu rechnen, und Miller, der sich langsam auf seinen Ruhestand vorbereitete, dachte nicht im Traum daran, sich Abberline zu widersetzen und seine Pension zu riskieren.

»Geht in Ordnung, Inspector. Ich bringe ihn her.«

Er verließ das Büro. Abberline ging zum Fenster, starrte hinaus. Seine Gedanken waren unheilschwanger. Er hoffte, dass nicht mehr Leichen auftauchen würden.

Sarah war schon an der Tür, bevor Francis die Glocke betätigen konnte. Bereits seit einer halben Stunde stand sie in ihrem Zimmer am Fenster und wartete auf seine Ankunft, und als sie ihn durch das Eingangstor kommen und den Kiesweg zum Haus hinaufgehen sah, raffte sie ihre Röcke und lief hinunter, um ihn einzulassen.

Am Spiegel an der Garderobe blieb sie noch kurz stehen und prüfte ihr Erscheinungsbild. Sie trug ein leichtes Hauskleid in einem hellen Grün, das ihre Figur sowie die Haare gut zur Geltung brachte und ihre Augen strahlen ließ.

Sarahs Herz klopfte bis zum Hals, als sie hinter der Tür ein paar Momente wartete, nachdem die Türglocke erklungen war – er sollte nicht wissen, dass sie ihn so sehr erwartet hatte. Syphilis oder nicht, sie konnte es kaum erwarten, ihn zu sehen.

Der Tisch zum Tee war ausnahmsweise in ihrem Zimmer gedeckt, damit sie allein sein konnten. Es war keine Anstandsbegleitung notwendig. Selbst Margret hatte keinen Zweifel daran, dass Sarah sich unter den gegebenen Umständen nie mit Francis auf irgendetwas Unschickliches eingelassen hätte.

Schließlich war Sarah der Meinung, es sei Zeit genug verstrichen, sie öffnete die Tür und strahlte ihren Verlobten an.

»Francis … ich freue mich, dich zu sehen. Komm doch herein.«

Gewohnt galant küsste er ihr die Fingerknöchel und musterte sie wohlgefällig.

»Ich danke dir für die Einladung – du siehst hinreißend aus.«

So selbstsicher und souverän Sarah war, wenn sie ihre Patienten betreute, so schnell brachte sie das Kompliment des Mannes, den sie liebte, aus der Fassung. Errötend senkte sie den Kopf.

»Vielen Dank. Komm mit, der Tisch ist in meinem Zimmer gedeckt.«

Neugierig folgte Francis ihr hinauf. In ihrem Zimmer hatten sie bisher nicht viel Zeit verbracht. Nur einmal waren sie zusammen dort gewesen, als er ihr den Heiratsantrag gemacht hatte. Sonst hatte Sarahs Tante peinlich genau darauf geachtet, dass sie niemals miteinander allein hinter geschlossenen Türen waren. Francis verfluchte die alte Matrone noch immer dafür. Wenn er damals nur mehr Zeit mit Sarah gehabt hätte, vielleicht wäre alles anders gekommen. Aber nun war es zu spät, sich darüber Gedanken zu machen.

Er hob überrascht die Brauen, als seine Verlobte die Zimmertür schloss.

»Was hast du vor?« Ein Grinsen konnte er sich nicht verkneifen. »Doch hoffentlich keinen Selbstversuch?«

Trotz ihrer Verlegenheit platzte Sarah da unwillkürlich mit einem ungläubigen Lachen heraus und schürzte die Lippen.

»Francis, ich liebe dich, aber ich bin nicht lebensmüde! Und selbst wenn ich es wäre, würde ich mir sicher nicht eine so widerliche und langwierige Methode aussuchen, um mein Leben zu beenden! Aber ich gehe davon aus, dass du nur einen Scherz gemacht hast.«

Schnell, bevor es noch peinlicher werden konnte, sprach die junge Frau weiter, spürte, wie ihre Wangen mit jedem weiteren Wort röter wurden.

»Dennoch muss ich dich bitten, die Hosen auszuziehen.«

Francis starrte sie an wie vom Donner gerührt.

»Du musst mich um WAS bitten?«

Sarah kicherte nervös.

»Zieh die Hosen aus! Ich habe heute Morgen meine ersten Forschungspatienten rekrutiert und möchte ihren Zustand mit deinem vergleichen. Stell dich auch darauf ein, mir Model zu stehen. Ich werde deine männlichste Stelle zeichnen!«

Francis dachte zuerst, sie habe einen Scherz gemacht. Doch dann wurde ihm klar, dass Sarah mit so etwas nie scherzen würde. Er seufzte. Jetzt wollte sie seine Männlichkeit sehen! Er musste sich zusammennehmen, um seine Gedanken nicht herauszuschreien. »Hättest du mal vorher meine Hosen runtergezogen! Dann wäre uns das hier erspart geblieben!«

Doch er schwieg, biss die Zähne zusammen und ließ folgsam die Hosen herunter. Er hoffte nur, sie würde ihn nicht auch noch anfassen. Dann könnte er womöglich für nichts mehr garantieren.

Sarah musste sich zusammenreißen, um eine neutrale Miene zu machen, als Francis endlich die Hosen herunterließ. Sie hielt die Luft an, war einerseits schrecklich neugierig auf das, was er dort unten mit sich trug, und hatte andererseits entsetzliche Angst davor, eine weit fortgeschrittene Krankheit, Geschwüre oder Narben zu sehen. Sie atmete auf, als nichts davon zu sehen war. Was immer ihr Vater ihm zur Behandlung des juckenden Ausschlages gegeben hatte, es schien geholfen zu haben. Sie sah nur ein paar blassrötliche Flecken – und das Instrument, dass sie gerne unter anderen Umständen gesehen hätte.

Sarah hoffte, dass ihre Wangen nicht so rot waren, wie sie sich anfühlten, als sie eine schnelle Skizze und ein paar Notizen machte und ihn mit einer Stimme, die nur ein klein wenig heiser klang, fragte, ob er zur Zeit Beschwerden hätte, welcher Art sie seien und womit ihr Vater ihn bisher behandelt hätte.

Francis betrachtete Sarah von oben, wie sie vor ihm kniete. Genau so hatte die andere Frau auch gekniet, als sie …

Er dachte schnell an etwas anderes, bevor sein Glied ihn verraten würde. Endlich war Sarah fertig und er konnte die Hosen wieder anziehen. Sarah kicherte auf einmal nervös.

»Was ist denn so lustig daran, einen Mann mit runtergelassenen Hosen zu sehen?«, fragte er leicht pikiert.

»Stell dir nur vor, meine Tante wäre JETZT hier reingeplatzt!«

Darüber musste auch Francis lachen. Alleine die Vorstellung, dass dieser alte Drache vielleicht in Ohnmacht gefallen wäre, ließ einen Schauer der Freude durch ihn hindurchlaufen. Doch er beherrschte sich.

»Sarah, wie geht es weiter? Ich meine, mit uns? Glaubst du, dass du mich heilen kannst?«

Die O´Leary Saga: Engelsklinge

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