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5. Kapitel

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Am nächsten Morgen saß Francis am Themseufer. Es war Ebbe, das Wasser floss in Richtung Meer. Einige kleinere Boote tanzten auf den Wellen.

Er seufzte. Er wusste, sein Traum von einer Karriere in der Royal Navy war ausgeträumt. Er würde zu seinen Vorgesetzten gehen und ihnen die Sache beichten müssen. Danach würde er wohl ausgestoßen werden. Syphilis wurde nicht geduldet. Sie war ein Zeichen von Unmoral, von Verfall, von Disziplinlosigkeit. Und das ließ man einem Offiziersanwärter nicht durchgehen.

Gleichzeitig war auch der Traum von Sarah zu Ende gegangen. Er würde niemals in ihren Armen liegen. Er würde niemals in den Armen einer standesgemäßen Frau liegen. Und er würde niemals ein Kind, das seinen Lenden entsprungen war, in den Schlaf wiegen.

Flussaufwärts war die Baustelle der neuen Brücke. Sie sollte ein Wunder der Technik werden. Etwas, was es auf dieser Welt noch nie gegeben hatte. Francis dachte, er könne vielleicht dort Arbeit finden. Er wollte nicht zu Hause sitzen, die stummen Vorwürfe der Mutter ertragen und das eisige Schweigen des Vaters.

»Hier bist du, hab ich mir doch gedacht.«

Die Stimme seines Bruders riss ihn aus den Gedanken.

»Horatio. Was willst du von mir?«, brummte Francis. Gleichzeitig tat es ihm leid, dass er seinen älteren Bruder so anbrummte. Sein Stiefbruder war fast das Gegenteil von Francis. Während der jüngere Bruder von Kindesbeinen an sehr diszipliniert gewesen war, so war Horatio immer der Ungezügelte gewesen. Er war größer als Francis, seine Augen waren immer voller Ironie, sein Lächeln sarkastisch. Sein Dreitagebart ließ ihn verwegen aussehen.

»Na, kleiner Bruder, wenn du dich jetzt hier in die Themse stürzen willst: Nur zu! Ich halte dich nicht auf. Ist auch ne Art, seine Probleme zu lösen. Der Alte wird wahrscheinlich dann zwei Flaschen Gin auf deiner Beerdigung saufen, wenn man dich denn jemals findet. Und Mom, nun, die wird weiterheulen.« Horatio sah seinem Bruder in die Augen. »Falls du das nicht vorhast, dann können wir reden.«

Francis klopfte neben sich auf den Boden. Horatio setzte sich zu ihm, gemeinsam warfen sie Steine ins Wasser, wie sie es schon getan hatten, als sie noch Kinder waren.

»Also, Francis, was ist passiert? Wie konnte die Ausgeburt an Disziplin, die Keuschheit in Person, der Stolz seines Vaters und der Navy; wie konnte dir DAS passieren?«

»Ach, wie schon? Indien. Es war heiß. Der Kapitän hatte Rum genehmigt, dazu Ausgang.«

Horatio pfiff leise.

»Du und Rum?«

Francis nickte.

»Ja. Dazu die Schwüle. Wir gingen an Land. Einige der anderen zogen mich auf, ich wäre noch Jungfrau, ich würde wohl zwischen den Schenkeln einer Frau nicht liegen, sondern mich setzen und wegrudern. So kam eines zum anderen. Am nächsten Morgen wurde ich wach, neben mir eine der Nutten.«

Er seufzte.

»Und dann, nach einiger Zeit, fing das Jucken an. Der Ausschlag. Ich dachte erst an Ungeziefer. Aber leider …«

Er beendete den Satz nicht. Horatio sah ihn verblüfft an.

»Moment mal Bruderherz. Willst du mir etwa sagen, dass du bis zu diesem Tag wirklich noch Jungfrau warst?«

Francis nickte mit rotem Kopf.

»Hol mich der Teufel! Du hast nie mit Sarah …?«

»Sie wollte es nicht und wir wollten bis zur Hochzeit warten.«

»Heiliger Georg, bewahre mich vor eisernen Jungfrauen und dämlichen Brüdern! Sie hat dich auf große Reise gehen lassen, ohne es mit dir zu treiben?«

Francis wurde wütend.

»Ja. Wir waren keusch!«

Horatio schüttete sich aus vor Lachen.

»Keusch? Dämlich passt eher.«

Francis wurde jetzt weiß vor Wut.

»Ach! Und was ist mit dir? Nach dem, was ich gehört habe, da warst du auch nicht gerade schlau.«

Horatio grinste nur. Sein Stiefvater hatte ihn seinerzeit vor die Wahl gestellt. Navy oder Kavallerie. Da Horatio nichts von Schiffen hielt und er schon immer mit Pferden zu tun gehabt hatte, war ihm die Wahl nicht schwergefallen. So war er zur Kavallerie gegangen, doch seine Disziplinlosigkeit war ihm immer im Weg gewesen. Als er dann mit der Frau seines Vorgesetzten erwischt worden war, da hatte man ihn direkt hinausgeworfen. Francis bohrte nach.

»Mit der Frau seines Vorgesetzten zu schlafen ist ja wohl mehr als nur dämlich.«

»Geschlafen? Meine Güte, wir haben alles, aber nicht geschlafen. Ich hab ihr das Hirn rausgevögelt!«

»Du bist eklig!«

»Ach, aber ich hab mir nicht die Syphilis geholt.«

Francis nickte.

»Du hast Recht, Horatio. Aber merkst du was? Wir fangen schon wieder an, uns zu zerfleischen.«

Horatio nickte.

»Ja. Schön blöd, oder?«

»Stimmt.«

»Du sag mal, wie geht das mit dir und Sarah jetzt weiter?«

»Wie soll es weitergehen? Ich habe die Verlobung gelöst. Ich kann nicht mit ihr zusammen sein.«

»Ach, wer sagt das?«, ertönte eine Stimme hinter ihnen. Die Brüder fuhren herum. Sarah stand dort, sah von einem zum anderen.

Wie immer, wenn sie das Haus verließ, trug sie schlichte Kleidung, die eher zu einer Magd als zu einer Arzttochter passte, und die langen roten Locken wogten offen und ungezähmt um ihr hübsches Gesicht. Francis wurde abwechselnd rot und bleich und stolperte auf die Füße.

»Sarah … was machst du denn hier? Ich habe geglaubt, dass du mich nie wieder sehen willst.«

Zögernd kam er ihr näher, seufzte tief:

»Es tut mir so leid, was ich dir … uns … angetan habe. Ich hätte so gerne eine Familie mit dir gegründet.«

Sarah lächelte nur.

»Nun, vielleicht kannst du das ja noch. Ich habe nicht vor, die Verlobung zu lösen. Ich werde nach einer Heilung für die Syphilis suchen und ich werde dir helfen. Auf keinen Fall werde ich so einfach aufgeben.«

Horatio blieb der Mund offen stehen. Es war das erste Mal, dass er Sarah sah. Er hatte zwar schon gehört, dass sie eine Schönheit wäre, aber das hatte er nicht erwartet. Er stand auf, legte den Kopf schief und reichte Sarah die rechte Hand, welche sie zögerlich ergriff. Während sie von Francis einen Handkuss gewöhnt war, schüttelte Horatio ihre Hand mit sanftem Druck und hielt sie einen Moment länger fest, als es schicklich war.

»Horatio Gordon, Miss Sarah. Oder darf ich einfach Sarah sagen?«

Er blickte ihr erwartungsvoll in die Augen. Sarah wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Zuerst wollte sie diese plumpe Vertraulichkeit brüsk zurückweisen, doch etwas in ihr hielt sie davon ab.

»Aber nur, wenn ich Horatio sagen darf.«

Horatio lachte.

»Das ist wohl das Mindeste.«

Er ließ endlich ihre Hand los.

»Und du denkst, du kannst Francis heilen?«, fragte er sie. Sarah schüttelte den Kopf.

»Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn heilen kann. Ich sagte nur, ich werde ihm helfen und versuchen, ein Mittel zu finden.«

Horatio staunte. Diese junge Frau war nicht das, was er erwartet hatte. Zu Francis hätte eher eine der vornehmen Damen gepasst, ein »Rühr - mich - nicht - an« der oberen Gesellschaft. Doch diese junge Frau strotzte geradezu vor Selbstbewusstsein und Energie. Er musste sich auf die Zunge beißen, beinahe hätte er gesagt, dass sie ihm besser vorher geholfen hätte. Dann wäre er vielleicht nicht ins Bordell gegangen. Aber ihm war klar, er würde bestenfalls eine Ohrfeige von Sarah und schlimmstenfalls eine Rauferei mit seinem Bruder riskieren. Und das war ihm die Sache nicht wert. Trotzdem, Sarah reizte ihn ungemein. Horatio hatte nie viele Skrupel besessen, wenn es um die Angebeteten seiner Freunde ging. Mehr als eine hatte er heimlich besucht. Aber seinen Bruder betrügen?

Er wischte die Gedanken schnell beiseite. Ihm wurde klar, dass er gerne in der Nähe dieser jungen Frau sein würde. Und da blieb nur eines, wie er das bewerkstelligen konnte.

»Nun, Sarah. Wenn das so ist, stehe ich selbstverständlich auch zur Verfügung. Wenn ich etwas tun kann, sag mir Bescheid. Ich kann und werde meinen Bruder nicht im Stich lassen.«

Sarah war erstaunt. Sie hatte immer nur am Rande von Horatio gehört. Vor allem seine Frauengeschichten und Affären waren bei den jungen Frauen in aller Munde. Francis hatte nie viel über ihn geredet, daher kam ihr dieses Angebot seltsam vor. Doch sie würde ihn nicht zurückweisen. Sie würde des Öfteren nach Whitechapel gehen müssen. Da wäre es nicht schlecht, einen Mann mitzunehmen.

»Es würde mich freuen, Horatio. Ich nehme dein Angebot sehr gerne an.«

Nun wandte sie sich zu Francis, der immer noch mit offenem Mund dastand.

»Und du, mein Lieber, lass dir eines gesagt sein: Bilde dir bloß nicht ein, dass es leicht wird. Das wird es für mich auch nicht.«

Francis zog den Kopf ein. Er rechnete mit einer wilden Szene, mit Vorwürfen, mit Ohrfeigen. Doch alleine schon, dass Sarah ihm helfen wollte, das war mehr, als er erwartet hatte. Und mehr, als er ertragen konnte. Sie lächelte ihn freundlich an.

»Bei Gelegenheit komm einmal bei Vaters Praxis vorbei, damit ich mir anschauen kann, in welchem Stadium die Krankheit ist. Vielleicht kann ich dir schon Linderung verschaffen, ohne dich gleich mit Quecksilber zu vergiften, ich habe da ein paar Dinge gehört, die man ausprobieren kann.«

Dann wandte sie sich übergangslos an Francis‹ Bruder.

»Und dich, Horatio, erwarte ich morgen früh pünktlich um neun Uhr an unserem Haus. Ich brauche jemanden, der mit mir nach Whitechapel geht. Alleine ist mir das zu unsicher. Kann ich mit deiner Führung rechnen?«

Horatio konnte nur nicken. Diese Frau verblüffte ihn. Sie lächelte beiden noch kurz zu, dann verschwand sie wieder und ließ die Brüder zurück. Horatio pfiff durch die Zähne.

»Mein lieber Bruder, du hast mir nie gesagt, was für eine Schönheit deine Braut ist.«

Francis wusste nicht, ob er sich geschmeichelt fühlen sollte. In ihm wuchs Eifersucht.

»Ich hatte meine Gründe!«

Horatio lachte.

»DAS glaube ich dir gerne. Aber denkst du wirklich, ich hätte versucht, sie dir auszuspannen?«

Francis sah ihn an.

»Ja!«

Horatio lachte lauthals.

»Du weißt wirklich nicht viel über Frauen, oder? Wenn sie sich hätte ausspannen lassen, dann, mein lieber Bruder, hätte sie nichts getaugt. Es gehören immer zwei zu diesem Spiel.«

Francis starrte ihn an. Er hatte sofort richtig vermutet, sein Bruder hätte es versucht. Am liebsten wäre er auf ihn losgegangen. Mühsam hielt er sich zurück. Aber Horatio gab einfach keine Ruhe.

»Ich verstehe dich nicht. Dieses Wesen hätte ich mit allem, was mir zur Verfügung stand, versucht in mein Bett zu bekommen. Und du? Da liegst du nachts in deiner Koje und spielst mit dir selber. Und dann, was noch schlimmer ist, fickst du ne billige Hafennutte.«

Francis wurde rot.

»Ja, das hättest du getan. Du weißt ja, wie man das macht.«

Horatio grinste breit. Er musste sich vergewissern, dass das stimmte, was er vorhin gehört hatte.

»Ist nicht wahr, oder? Du warst wirklich noch Jungfrau?«

Francie wurde wieder rot.

»Wie oft willst du mich das noch fragen, hat dir meine erste Antwort nicht ausgereicht? »

Die Gesichtsfarbe von Francis glich mittlerweile der eines überreifen Apfels. Horatio kugelte sich fast vor Lachen.

»Mensch, warum bist denn nicht zu mir gekommen? Ich hätte dir was in dein Bett gelegt. Aber was Sauberes, nicht so ne abgetakelte Fregatte, die mit halb Australien gevögelt hat.«

Im gleichen Moment bemerkte er seinen Fehler. Francis hatte Indien, nicht Australien gesagt, und er erwartete einen hefigen Widerspruch, der nicht kam. Das verwunderte ihn. Francis hatte ihn immer korrigiert, wenn er etwas falsch wiederholte. Aber es wurde noch seltsamer. Er sah in das Gesicht seines Bruders. Da war etwas, was er nicht zuordnen konnte. Er hatte mit einem Wutausbruch gerechnet. Oder mit einer Verteidigung. Oder eben jener Korrektur. Horatio wurde misstrauisch.

»Sag mal, nur aus Neugier: Warst du der Einzige, der sich was gefangen hat?«

In Horatio wuchs ein Verdacht. Francis druckste herum.

»Ja … nein … ich weiß nicht …«

»Wie du weißt nicht? Du willst mir erzählen, du und deine Kameraden habt gemeinsam die Hafennutten gefickt und erzählt euch nicht, dass ihr Ausschlag an euren Schwänzen habt? Was hat denn der Schiffsarzt gesagt?«

»Ich war nicht bei ihm.«

»Wie? Du warst nicht bei ihm?«

Horatios Verdacht wuchs immer mehr. Das war mehr als ungewöhnlich. Die Kapitäne der Navy legten großen Wert auf Hygiene, vor allem bei langen Seereisen. Ungeziefer wie Läuse oder Flöhe wurden rigoros bekämpft. Und wenn auch nur einer seiner Kameraden ebenfalls angesteckt war, hätte es auffallen müssen. Ein Infizierter könnte sich vielleicht verstecken, aber nicht mehrere. Er musste der Sache auf den Grund gehen. Wenn das, was er vermutete, wahr wäre, dann war die ganze Angelegenheit schlimmer als befürchtet.

»Ich verstehe das nicht. Warum warst du nicht bei ihm? Und deine Kameraden?«

Francis sah seinen Bruder trotzig an.

»Was geht dich das an, ob meine Kameraden sich was geholt haben? Und ob ich beim Schiffsarzt war?«

Horatio nickte.

»Nun gut. Vielleicht hast du Recht. Aber vergiss nicht, ich habe deiner Braut versprochen, ihr zu helfen. Da solltest du mir die Wahrheit sagen.«

»Du kennst sie. Ich war in Indien bei ner Hafennutte. Die hat mich entjungfert und umgebracht. Mehr gibt es nicht zu sagen.«

Er wandte sich ab. Horatio wusste, er würde im Moment nicht mehr erfahren. Also beließ er es dabei, aber er würde seine Fühler ausstrecken.

»Komm, kleiner Bruder. Wir waren nie die besten Freunde. Aber wir haben das gleiche Blut, wir haben die gleiche Mutter. Und ich werde alles tun, um dir zu helfen. Und ich verspreche dir: Ich lasse die Finger von Sarah!«

Francis drehte sich wieder zu ihm um.

»Das würdest du tun?«, fragte er mit einem bemitleidenswerten Gesicht. Nur sah es für Horatio nun wie eine Maske aus. »Wirklich?«

Horatio nickte.

»Ja! Bei meiner Seele! Und jetzt werden wir unseren alten Herrschaften beibringen müssen, dass sich im Hause Gordon einiges ändern wird.«

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