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8. Kapitel

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Constable George W. Peppard stand am Themseufer. Mit einem missmutigen Gesicht starrte er auf das Wasser, auf dem mehrere mit Polizisten und Zivilisten bemannte Boote langsam hin - und herfuhren. Mit langen Stangen suchte man unter dem trüben Wasser nach weiteren Teilen der Leiche, die man am Vortag gefunden hatte.

Peppard war nicht nur missmutig, weil er diesen langweiligen Dienst versah. Er war eigentlich immer schlecht gelaunt, seit ihn seine Frau vor einem halben Jahr verlassen hatte.

»Ich halte es mit dir nicht mehr aus«, hatte sie ihn angebrüllt, ehe sie mit ihren Siebensachen das Haus verlassen hatte. Dabei war er sich keiner Schuld bewusst. Die Backpfeifen, die er ihr verpasst hatte, wenn er mal betrunken aus dem Pub gekommen war, die waren doch nicht so schlimm. Oder doch? Er kratzte sich zwischen den Beinen. Es juckte schon seit Tagen. Was war denn das?

»Wie sieht es aus, habt ihr was gefunden?«, rief er den Männern zu.

»Nur allen möglichen Müll, Constable«, rief einer zurück.

Peppard nickte. Etwas anderes hatte er auch nicht erwartet. Und er hoffte, dass man nichts fand. Denn falls doch, dann müsste er ellenlange Berichte schreiben, den Fund zum Gerichtsmediziner bringen, noch mehr Berichte schreiben. Er kratzte sich erneut.

»Verdammt, dieses Jucken bringt mich um«, fluchte er.

»Dann waschen Sie sich!«

Peppard fuhr herum. Inspector Frederick G. Abberline stand hinter ihm. Sofort nahm er Haltung an.

»Sir!«

»Und, Peppard, was gefunden?«

»Nein Sir.«

Abberline nickte.

»Weitersuchen. Bis etwas gefunden wird.«

»Ja Sir.«

»Und Peppard, Sie sollten sich nicht in aller Öffentlichkeit zwischen den Beinen kratzen. Sie sind Angehöriger der Polizei, kein Straßenjunge. Wie sieht das aus, wenn Sie sich vor allen Leuten am Sack kratzen?«

»Ja Sir.«

Peppard wäre am liebsten im Boden versunken. Dass ausgerechnet Abberline ihn dabei erwischt hatte, machte es noch schlimmer. Er wollte etwas erwidern, doch Abberline war schon wieder verschwunden. Peppard überlegte. Wie hieß die Nutte, bei der er vor einiger Zeit gewesen war? Ob die ihm was angehängt hatte? Er beschloss, sie sobald es ginge aufzusuchen und herauszufinden, ob sie ihn mit etwas angesteckt hatte. Und wenn ja, dann Gnade ihr Gott.

»Was glaubst du eigentlich, mit wem du hier redest?«

Sarah fauchte Horatio an wie eine Katze und ihre grünen Augen schienen dabei Blitze zu schleudern.

»Ich bin nicht deine Küchenmagd und auch keins der naiven Dummchen, denen du sonst so den Kopf verdrehst! Ich bin nicht zum ersten Mal in dieser Gegend, ich kenne viele Leute hier, und den meisten von ihnen habe ich schon einmal geholfen. Dich habe ich mitgenommen für den Fall, dass ich irgendwo einmal allein durch eine dunkle Gasse gehen muss. Solange viele Menschen um mich herum sind, brauche ich dich nicht, denn für jeden Halunken, der mir den Hals durchschneiden will, sitzen da unten drei, die ihn daran hindern werden.«

Er holte Luft, um etwas zu antworten, aber die Rothaarige schnitt ihm wutentbrannt das Wort ab.

»Du kritisierst meine Vorgehensweise? Dann erkläre mir, du Genie, wie ich sie sonst dazu bringen soll, mit mir zusammenzuarbeiten! ›Oh, guten Tag liebe Freunde, darf ich euch möglicherweise tödlichen Behandlungen aussetzen in der Hoffnung, dass meinem Verlobten nicht der Schwanz abfault?‹ Meinst du, so funktioniert es? Hier regieren nur Geld und Schnaps und Geld FÜR Schnaps! Aber falls es dich beruhigt, ich werde nicht säckeweise die Münzen mit mir herumschleppen, sondern jeden Montag mit meinen Patienten zu deinem Vater gehen, der ihnen ihren Lohn von meinem Mitgiftkonto auszahlen wird. Ich habe längst mit ihm gesprochen! Findet das Gnade in deinen gestrengen Augen, oder hast du sonst noch etwas auszusetzen? Ich gebe dir jetzt die Möglichkeit, dich zu entscheiden, ob du das hier mit mir durchziehst, um deinem Bruder zu helfen, oder wie ein Feigling den Schwanz einzuziehen. Ich werde unter Garantie einen anderen finden, der mitmacht, und wenn ich den auch noch bezahlen muss!«

Horatio musste grinsen. Diese Frau war eine Katze, die gerade ihre Krallen ausfuhr. Sie hatte, wie er es immer auszudrücken pflegte, Pfeffer im Arsch! Und das gefiel ihm. Aber es wurde Zeit, ihr die Krallen ein wenig zu stutzen.

»Jetzt hörst du mir mal zu, junges Fräulein! Ich habe dir gesagt, dass ich dir helfen werde. Und das werde ich. Aber es gibt ein paar Dinge, die du dir vielleicht auch einmal überlegen solltest. Und wir sollten ein paar Regeln aufstellen.«

Sarah starrte ihn an.

»Die da wären?«, entgegnete sie.

»Ganz einfach: Du sagst mir VORHER, was du vorhast. Dann kann ich mich darauf einstellen und eventuell Vorsorge treffen, damit wir nicht in böse Überraschungen stolpern. Wenn du einen Deppen willst, der dich nur begleitet und die Prügel für dich einsteckt, bitte. Dann such dir unten einen von den hirnlosen Idioten aus. Aber wenn du einen Partner willst, einen Kerl, der hinter dir steht, dir den Rücken freihält und dich vor Ärger bewahrt, dann bin ich dein Mann. Aber nur, wenn du endlich mal von deinem hohen Ross runterkommst und mir sagst, was du vorhast. Geht das in dein hübsches Köpfchen? Es hilft Francis keinen Deut, wenn du mit dem Gesicht nach unten in der Themse treibst oder mit gespreizten Beinen in einem Hinterhof endest. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass einer von denen, die du als deine »Helfer« bezeichnest, einen Finger für dich rührt, wenn ein anderer ihnen einen Shilling mehr zahlt als du?

Du sagst, du kennst dich hier aus? Einen Scheißdreck kennst du dich aus. Als Beispiel der Wirt, ich kenne ihn. Er ist freundlich zu dir, ja. Aber nur, weil du ihm Gäste anlockst. Jeder, der sich hier von dir behandeln lässt, der lässt auch Geld hier. Davon lebt Freddie. Und die Medikamente, die du manch einem hier gibst, die tauscht er bei Freddie gegen Schnaps ein. Und der gute Freddie verhökert dann deine Pillen und Salben.«

Er holte tief Luft. Er fragte sich, ob er sich das wirklich antun sollte. Aber dann fiel ihm ein, dass er herausfinden musste, woher Francis die Seuche wirklich hatte. Er glaubte nicht mehr an die Geschichte mit dem Bordell in Indien. Er beruhigte sich und fuhr fort.

»Sarah, ich will euch beiden wirklich helfen. Wir sind nicht immer einer Meinung, aber er ist mein Bruder! Doch wenn ich dir vertrauen soll, dann musst du auch mir vertrauen. Wenn du mich nicht einweihst, wie soll ich dir dann eine Hilfe sein?«

Horatio sah, dass ihre Augen noch immer wild funkelten und sie ihm gerne eine scharfe Antwort an den Kopf geworfen hätte, aber dann atmete sie tief durch und zwang sich dazu, ruhig zu werden.

»Pass auf«, fing Sarah an. »Ich weiß, du hältst mich für dumm. Ich weiß durchaus, dass sehr viele Leute die Medikamente, die sie von uns bekommen, gegen Alkohol eintauschen. Wir tun das, was wir tun, auch nicht für diese Leute. Wir tun es für Leute wie Rosie Evans. Leute, bei denen noch nicht alles zu spät ist, die vielleicht noch eine Zukunft haben. Es kann sein, dass ich naiv bin, weil ich an so etwas glaube, aber dann bin ich es eben. Ich tue, was ich kann. Und wenn es hier keinem hilft, nun, dann komme vielleicht wenigstens ich in den Himmel, oder es war dafür gut, dass mich jetzt genug Menschen kennen und mir vertrauen, dass ich vielleicht eine Chance habe, Francis zu retten.«

Als sie den Namen seines Bruders aussprach, bemerkte Horatio den wehmütig-sehnsüchtigen Ausdruck in Sarahs Gesicht. Horatio nickte. Ihm war klar, dass sie ihn liebte. Und er fürchtete, dass die Wahrheit, wenn es denn stimmte, was er vermutete, ihr wohl das Herz endgültig brechen würde. Sie schien ihm diesen Fehltritt zu verzeihen.

»Was für eine Frau«, dachte er bei sich und nickte nur. Es fiel ihm nichts ein, was er sagen konnte.

Sie sah ihn an und bemühte sich um ein Lächeln.

»Tut mir leid, dass ich nicht zuerst mit dir gesprochen habe. In Zukunft werde ich das tun. Ich schätze, ich habe nicht viel Erfahrung mit Männern außer Patienten und Dienstboten. Verzeih, dass ich dich wie einen Angestellten behandelt habe und nicht wie einen Verbündeten. Es wird nicht noch einmal vorkommen.«

Im Schankraum saß Mary Ann Nichols, von den meisten Polly genannt, und stürzte einen Schnaps hinunter. Sie grinste vor sich hin.

»Versuchskaninchen, pah«, murmelte sie. »Am Ende soll ich noch aufhören, mir Freier zu suchen.«

Schwankend erhob sie sich. Obwohl es noch früh war, zumindest für ihre Verhältnisse, war sie schon betrunken. Der letzte Freier war erst gegen Morgen bei ihr gewesen und sie brauchte unbedingt etwas zum Nachspülen. Aber jetzt war es Zeit für ein wenig Schlaf. Sie torkelte aus dem Gasthaus und wandte sich nach links, um zu ihrem Schlafplatz zu kommen. Doch bereits nach wenigen Yards wurde sie aufgehalten.

»Polly, du verdammte Schlampe, hast du mir was angehängt?«

Sie blinzelte und starrte den Mann an.

»Ah, Constable Peppard. Wieder Druck auf der Flöte?«

»Halt den Mund. Was hast du mir angehängt?«

»Ich dir was angehängt? Was soll ich dir denn anhängen?«

Peppard wurde wütend und packte sie am Arm, zerrte sie in eine Seitengasse, drückte sie an eine Hauswand. Sein Gesicht näherte sich dem ihren.

»Hör zu, du elende Nutte. Wenn du mich mit Syphilis angesteckt hast, dann dreh ich dir den Hals um.«

Polly lachte.

»Ihr Kerle seid alle gleich. Gleich dumm, gleich geil. Wer wollte denn ficken? Ich hab dir gesagt, komm, ich blas ihn dir. Aber wer wollte denn seinen Schwanz in mich stecken? Selber schuld, du blödes Arschloch.«

Polly war zu betrunken, um sich zusammennehmen zu können. Peppard sah rot. Er holte aus und schlug Polly links und rechts ins Gesicht. Es klatschte laut, ihr Kopf wurde von einer Seite zur anderen geworfen. Der dritte Schlag folgte, als Polly endlich aus ihrer Starre erwachte und laut anfing zu brüllen.

»HILFE! SO HELFT MIR DOCH! DER SCHLÄGT MICH TOT!!«

Doch auf der Straße, nur wenige Yards entfernt, wollte niemand etwas hören oder wissen. Gewalt war hier an der Tagesordnung, man mischte sich nicht ein. Doch auf einmal hörte man eine Frauenstimme, die aus einem Fenster oberhalb der Gasse erklang.

»Horatio, schnell, hilf ihr.«

Horatio polterte die Treppe herunter. Mit einem Blick aus dem Fenster hatte er die Situation erkannt. Es ging ihm nicht um die Hure, die dort Schläge bekam. Aber der Schläger war eindeutig ein Polizist. Und das konnte Horatio nicht dulden. Wenn sich das herumsprach, dann wäre jeder Polizist hier in Lebensgefahr, denn die Zuhälter würden es sich nicht bieten lassen, dass der Arm des Gesetzes ihre Pferdchen verdrosch.

Als er jedoch in der Gasse ankam, war der Mann bereits verschwunden. Auf dem Boden lag Polly, die aus Mund und Nase blutete. Zwei andere Männer waren ihm gefolgt, sie hoben Polly hoch und trugen sie in das Zimmer, in dem Sarah wartete.

Sie kannte die Frau. Polly war schon mehrfach zu ihnen zur Behandlung gekommen und Sarah wusste, dass sie zu jenen Menschen gehörte, die Horatio erwähnt hatte. Polly machte wirklich alles zu Geld, was man irgendwie verkaufen konnte, und dann zu Alkohol. Inklusive sich selbst. Auch wenn Sarah nicht nachvollziehen konnte, wie jemand der plump aussehenden Frau, die die 40 schon überschritten hatte und ihre Haare immer unvorteilhaft kurz trug, weil sie sogar die einem Perückenmacher verkaufte, Geld dafür zahlte, dass sie die Beine spreizte.

Dennoch hatte sie es nicht verdient, auf diese Art behandelt zu werden, noch dazu von einem Polizisten, der eigentlich dafür bezahlt wurde, die Schwachen zu beschützen.

Sarahs Empörung darüber kannte keine Grenzen und sie schimpfte beständig vor sich hin, als sie das Gesicht der Hure untersuchte. Dieser Dreckskerl hatte nicht nur mit der flachen Hand zugeschlagen, sondern die Fäuste benutzt.

Polly hatte Glück gehabt, zumindest was man in ihrer Situation so als Glück bezeichnen konnte. Ihre Kiefer- und Wangenknochen waren nicht gebrochen, auch wenn man es von dem schnell anschwellenden Gesicht hätte glauben können. Bei der Nase sah das wieder anders aus. Ob sie die fünf fehlenden Zähne jetzt gerade eingebüßt hatte oder sie die schon länger vermisste, war nicht festzustellen, dazu hatte sie zu viel Blut im Mund, und auf Sarahs Fragen stöhnte sie nur. Dass sie nicht klar bei Bewusstsein war, konnte in diesem Moment nur von Vorteil sein. Sarah betastete die Nase vorsichtig, um dann kräftig zuzugreifen und sie in die richtige Position zu bringen.

Das nun weckte Polly nachhaltig. Mit einem Aufschrei fuhr sie in die Höhe.

»WILLST DU MICH UMBRINGEN?«

»Willst du aussehen wie ein Boxer?«, hielt Sarah dagegen und hielt Polly davon ab, mit beiden Händen an ihre Nase zu greifen und die gebrochenen Knochen vielleicht wieder zu verschieben. Sie nickte Horatio zu.

»Holst du mir bitte ein paar Gipsbinden aus meiner Tasche?«

Wenig später war die Nase der Frau geschient. Sie sah immer noch erbärmlich aus, das Gesicht leuchtete in verschiedenen Blau- und Rottönen.

»Hast du den Mann erkannt, Polly?«, wollte Sarah nun wissen. »Das war doch ein Polizist, oder? Wieso hat er dich geschlagen?«

Polly schüttelte den Kopf.

»Keine Ahnung«, nuschelte sie. »Vielleicht wollte er, dass ich ihm den Schwanz lutsche, aber ich habe davon letzte Nacht genug gehabt. Und zahlen wollen die auch nie. Die denken immer, ihr ›Schutz‹ sollte uns Lohn genug sein.«

Horatio betrachtet Polly, während sie redete. Es war ihm klar, dass sie log. Sie wusste genau, wer sie geschlagen hatte und auch den Grund dafür. Und ein schrecklicher Verdacht keimte in ihm auf und es gab nur eine Möglichkeit, Gewissheit zu bekommen.

Er nahm Sarah beiseite.

»Du solltest sie mal untersuchen.«

»Hab ich doch gerade.«

Sarah verstand nicht, was er meinte. Was wollte Horatio von ihr? Sie sah ihn an, in ihren Augen blitzte es. Sie wollte ihn gerade scharf zurechtweisen, dass er sich aus ihrer Arbeit herauszuhalten hatte, da sah sie, wie sein Zeigefinger in Richtung seines Unterleibes wies.

»Nein, ich meine richtig. Unten.«

Sarah starrte ihn an, dann ging ihr ein Licht auf.

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