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Teil 1

London, Mai 1887

1. Kapitel

Sarah war aufgeregt. Wie sie erfahren hatte, sollte bald das Schiff, auf dem Francis seit über achtzehn Monaten seinen Dienst tat, wieder einlaufen. Nach den letzten Berichten war sie schon auf dem Weg in den Ärmelkanal. Bald würde sie ihren Geliebten wieder sehen und in die Arme schließen können.

»Und dann ist bald Hochzeit«, murmelte die Rothaarige.

»Sarah Florence O´Leary! Was faselst du da wieder?«

Ihre Tante Margret stand auf einmal hinter ihr. Aber als Sarah sie ansah, wusste sie, dass es nicht böse gemeint war. Im Gegenteil! Ihre Tante war mit der Wahl des Bräutigams mehr als zufrieden. Auch wenn sie es nicht zugab, sie freute sich bereits auf die Hochzeitsvorbereitungen.

»Ach Tante Margret. Er war so lange unterwegs.« Sie ließ sich in einen Sessel fallen. »Denkst du, er liebt mich noch? Oder hat er mich am Ende gar vergessen? Was meinst du?«

Margret trat zu ihr und strich ihr über die Haare.

»Kindchen, wenn er dich nicht mehr liebt, dann sollte er besser lernen, wie man sich gegen mich zur Wehr setzt.«

Sarah musste lachen. Sie stellte sich vor, wie ihre Tante hinter Francis herrannte, mit der Bratpfanne in der Hand auf ihn eindreschend. Doch schnell wurde sie wieder ernst.

»Ich habe Angst, Tante. Was, wenn er nicht mehr daran denkt, was er mir versprochen hat?«

Sie erinnerte sich an jenen abend im Sommer 1885. Er hatte ihr eröffnet, dass er auf einem Schoner der Marine auf große Fahrt gehen müsse. Die Ziele waren Indien, Hongkong und Australien. Von dort aus wieder zurück. Sarah hatte sich eine Karte angesehen und war erschrocken gewesen über die riesigen Wassermassen, die ihr Geliebter überqueren musste. Aber er hatte noch eine Überraschung. Aus dem Uniformrock, den er getragen hatte, zog er eine kleine Schachtel hervor.

Dann hatte er sich vor sie gekniet, ihr die Schachtel dargereicht und sie geöffnet. Sarah hatte vor Schreck keine Luft mehr bekommen, als sie den Ring mit einem kleinen Diamanten gesehen hatte.

»Sarah Florence O´Leary. Möchtest du meine Frau werden?«

Sie hatte die Hände vor den Mund geschlagen, die Tränen waren nur so aus ihren Augen gestürzt.

»Francis Gordon …«, hatte sie geflüstert. »Du bist ein verrückter Kerl. Aber ich liebe dich! Und ja, ich will.«

Sie hatte sich umgesehen und noch schnell hinzugefügt: »Aber du musst meinen Vater fragen. Ich bin noch nicht volljährig!«

»Ich werde ihn fragen. Aber ich wollte erst wissen, was du sagst, bevor ich zu ihm gehe.«

Sarah war verblüfft gewesen. Francis war, trotz seiner manchmal steifen Art, recht progressiv. Normalerweise hätte er nur ihren Vater fragen müssen. Hätte er sein Einverständnis gegeben, dann wäre sie vielleicht gefragt worden.

Sie hatte sich vorgebeugt, ihn geküsst. Und er hatte den Kuss erwidert. Doch dieses Mal nicht so unschuldig, so sanft wie sonst. Er hatte sie drängender geküsst, mit Leidenschaft. Und Sarah hatte verstanden, was Elizabeth gemeint hatte. Sie hatte gespürt, wie ihr Widerstand schmolz. Doch dann, als sie seine Hand auf ihrem Knie gespürt hatte, wie sie sich langsam nach oben getastet hatte, da war sie erschrocken gewesen und hatte ihn von sich geschoben.

»NEIN!«

Francis hatte sie angesehen.

»Liebster, du weißt doch, ich habe dir gesagt, ich werde jungfräulich in die Ehe gehen. Das habe ich dir versprochen, das habe ich meiner Mutter am Grab versprochen, als ich zur Frau gereift bin. Ich will, dass du der Erste und der Einzige sein sollst.«

Sie hatte ihm in die Augen gesehen.

»Wirst auch du auf mich warten?«

»Ja, Liebste.«

Seine Stimme hatte heiser geklungen, sie hatte sich eingebildet, Enttäuschung zu hören. Doch bevor sie darauf hatte eingehen können, war er aufgestanden und hatte ihr den Ring übergestreift.

»Sarah, ich möchte, dass du diesen Ring trägst. Wenn ich von der Reise zurückkehre und du mich dann noch willst, dann werde ich offiziell deinen Vater um deine Hand bitten.« Und mit einem Blick auf die Tür hatte er hinzugefügt: »Und deine Tante!«

Dann hatte er sie noch einmal geküsst, sich formvollendet von ihrer Tante verabschiedet und war verschwunden.

Am nächsten Morgen hatte ihre Tante sofort den Ring entdeckt. Doch zu Sarahs Überraschung war Margret nicht böse geworden, sie hatte nur schelmisch gelächelt.

»Ah, eine heimliche Verlobung. So viel Romantik hätte ich deinem Offizier gar nicht zugtraut.«

Sie hatte Sarahs Hand genommen und den Ring betrachtet.

»Und Geschmack hat er auch.«

Dass Francis ihre Ringgröße mit Margrets Hilfe herausbekommen hatte, das hatte Sarah erst viel später erfahren.

»Und er muss auf große Fahrt?«, hatte Margret gefragt.

»Ja, Tante. Für mehr als achtzehn Monate.«

Ihre Tante sah auf.

»Sarah! Du musst SOFORT zum Hafen. Hat er dir nicht gesagt, dass sie heute auslaufen?«

Sarah war aufgesprungen und war in Richtung Themse gerannt. Zum Hafen, das war ihr klar geworden, hätte sie es nicht mehr geschafft. Doch als sie zum Ufer gekommen war, da war nur das Heck des Schiffes zu sehen gewesen. Doch oben auf der Reling, da hatte er gestanden. Er hatte sie sofort gesehen und ihr zugewunken. Und sie hatte am Ufer gestanden, mit tränenüberströmtem Gesicht. Der Wind hatte ihr noch sein »Ich liebe dich, Sarah« an ihr Ohr getragen. Leise hatte sie geflüstert: »Und ich liebe dich, Francis.«

Und jetzt kam er endlich heim! Ihre Gedankengänge wurden durch ein heftiges Klopfen an der Tür unterbrochen. Margret rümpfte die Nase. Wenn es etwas gab, was sie hasste, dann war es, wenn jemand fast die Tür einschlug. Sie ging trotzdem, um zu öffnen. Meist waren es Patienten, die dringend zum Arzt wollten.

Wenige Augenblicke später rief sie allerdings laut nach Sarah, die sofort angelaufen kam. Vor der Tür stand ein kleiner, schmutziger Junge, den Sarah sofort als James Sherman erkannte. Dem Kleinen liefen die Tränen über die Wangen und er schluchzte erbärmlich.

»Was ist denn, James? Ist etwas mit deiner Mutter?«

Seine Mutter stand, wie Sarah wusste, kurz vor der Niederkunft. Erschwerend kam noch hinzu, dass ihr Mann vor kurzem auf der Arbeit verunglückt und gestorben war. Er war so stolz gewesen, dass er bei dem Bau der neuen Brücke endlich wieder eine Arbeit gefunden hatte. Doch das Schicksal hatte es nicht gut gemeint. Er war bei den Arbeiten an einem der Pfeiler in die Themse gestürzt und ertrunken. Seine Leiche hatte man einige Meilen flussabwärts gefunden. Seitdem kämpfte die kleine Familie ums Überleben.

»Meine Mom … sie hat arg Bauchweh … sie schreit …«, stammelte der Junge.

Sarah schnappte sich die Arzttasche, die immer griffbereit im Flur stand, nahm den Jungen an die Hand und rannte mit ihm los. Margret sagte kein Wort.

Hatte sie sich am Anfang noch gesträubt, als Sarah bei ihrem Vater mit der Ausbildung begonnen hatte, so war doch nach und nach ein gewisser Stolz in ihr gewachsen. Sarah hatte wirklich bewiesen, dass Medizin ihr Leben war. Und als die ersten Frauen Margret erzählt hatten, wie gut Sarah sie behandelt hatte, da ließ ihr Widerstand langsam nach. Endgültig gebrochen hatte ihn dann der Umstand, als Margret im letzten Winter eine sehr schlimme Grippe gehabt und Sarah sie gesund gepflegt hatte. Da war der strengen Frau klargeworden, dass es für Sarah nur eines gab: Menschen zu helfen. Mittlerweile war die Rothaarige bei fast allen Geburten dabei, die es in der näheren Umgebung gab. Und alle Frauen berichteten übereinstimmend, dass sie noch nie eine bessere Ärztin und Hebamme gehabt hätten. Nur eines konnte Margret nicht verstehen. Immer wieder ging Sarah nach Whitechapel. Dort half sie den Armen. Als Margret sie darauf angesprochen hatte, bekam sie zur Antwort, dass Sarah dies als Akt der Nächstenliebe ansähe. Auch Andrew ging regelmäßig nach Whitechapel, um zu helfen. Und sein Argument hatte Sarah übernommen: Als Christenmensch hätte man die Pflicht, denen zu helfen, die in Not wären. Dem hatte sich auch Margret nicht verschließen können. Nur bestand sie darauf, dass Sarah danach jedes Mal heiß badete. Ihre Sachen wurden in kochendem Wasser gewaschen und Sarahs ganzer Körper nach Läusen oder Flöhen untersucht. Doch auch hier konnte Margret nicht umhin, ihr Respekt zu zollen. Von verschiedenen Seiten war ihr zugetragen worden, dass man sie allgemein als »Engel von Whitechapel« verehrte. Margret schloss die Tür. Mit Francis war noch nicht zu rechnen, da war sie sich sicher. Mit einem Blick auf die große Uhr stellte sie fest, dass es an der Zeit war, sich um das Abendessen zu kümmern. Wenig später kam Andrew nach Hause. Margret erzählte ihm, dass Sarah zu den Shermans gegangen war, weil das Baby wohl käme. Andrew nickte stolz. Er wusste, dass seine Tochter das auch ohne seine Hilfe schaffen würde. Als es langsam dunkel wurde, klopfte es erneut.

»Wer ist denn das noch? Um diese Zeit!«, entrüstete sich Margret.

Doch als sie die Tür öffnete, begann sie zu strahlen.

»Mr. Gordon! Sie sind schon da?«

»Ja, Miss Margret. Der Wind hat es gut mit uns gemeint.«

Sie zögerte.

»Es tut mir sehr leid, aber Miss Sarah ist zurzeit nicht zu Hause.«

Sie war ein wenig über das bedrückte Gesicht des jungen Mannes verwundert. Als sie erwähnte, dass Sarah außer Haus war, hellte es sich ein wenig auf.

»Oh, nun ja, aber ich wollte ohnehin zuerst mit Mr. O´Leary sprechen.«

»Aber sicher, kommen Sie. Er ist im Arbeitszimmer.«

Margret glaubte zu wissen, warum er gekommen war. Heute würde er förmlich um Sarahs Hand anhalten.

»Danke, Miss Margret. Ich finde den Weg.«

Das wiederum war seltsam. So barsch und ungehobelt kannte sie den jungen Francis nicht. Doch er ließ sich nicht beirren und klopfte schon an der Tür des Arbeitszimmers.

»Herein«, erklang die Stimme des Hausherrn.

Francis betrat das Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich. Andrew war erfreut, den zukünftigen Mann seiner Tochter zu sehen.

Er wusste natürlich über die heimliche Verlobung seit langem Bescheid, aber er war zu taktvoll, um dies zu erwähnen.

»Francis! Sie sind schon da?«

»Ja, Dr. O´Leary.«

»Das wird Sarah aber freuen. Kommen Sie, setzen Sie sich. Möchten Sie vielleicht etwas trinken? Einen Sherry?«

»Nein danke, Dr. O´Leary. Ich hätte etwas mit Ihnen zu bereden.«

Jetzt passiert es, dachte Andrew. Heute gebe ich meine Tochter einem anderen Mann.

»Aber sicher. Geht es um Sarah?«

Der junge Mann druckste etwas herum.

»Nein. Oder doch … irgendwie schon.«

Andrew war verwirrt. Was würde das werden?

»Es ist eher … ein medizinisches Problem, weswegen ich hier bin.«

»Oh. Was kann ich für Sie tun?«

Andrew sah, wie unsicher der junge Mann war.

»Seit einiger Zeit habe ich seltsamen Ausschlag. Zuerst …«, er zeigte nach unten, »jetzt aber im Mund und am Bauch.«

Andrew stutzte. Das hörte sich nicht gut an.

»Kommen Sie, wir gehen in die Praxis.«

Er ging voraus, wusch sich gründlich die Hände.

»Zeigen Sie mal.«

Der Arzt besah sich den Ausschlag, nahm noch eine Lupe zu Hilfe. Dann musste Francis die Hosen runterlassen. Auch die Genitalien untersuchte Andrew genau. Dann seufzte er, wusch sich erneut gründlich die Hände.

»Francis, was haben Sie getan?«

»Was … was meinen Sie, Dr. O´Leary?«

Andrew sah ihn ernst an. Soeben war für ihn eine Welt zusammengebrochen und er wagte es gar nicht, sich auszumalen, was Sarah empfinden würde, wenn sie dies erführe.

»Junger Mann. Sie haben die Syphilis.«

Die O´Leary Saga: Engelsklinge

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