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6. Kapitel

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Margret und Andrew saßen bereits am Frühstückstisch, als Sarah ins Esszimmer hinunter kam. Eigentlich war sie beim Frühstück immer pünktlich, weil es im Hause O’Leary das friedlichste Mahl war, höchstwahrscheinlich aus dem Grund, dass sich jeder hinter einem Teil der Tageszeitung verschanzte und außer »Reichst du mir bitte den Tee« keine Konversation stattfand.

Es war das erste Mal, dass Sarah zu spät erschien, was Margret gleich zu einem ungnädigen »Geben Madame sich auch endlich die Ehre?« befleißigte.

Sarah reagierte nicht darauf. Sie hatte schlecht geschlafen und war deshalb später als sonst erwacht. In der Nacht war sie, wie seit einer Woche schon, mehrfach von Albträumen heimgesucht worden, die sie immer wieder hatten hochschrecken lassen, aber sofort aus ihrem Gedächtnis geflossen waren wie Wasser durch die hohlen Hände.

Schweigend setzte sie sich auf ihren Platz, aber Margret war noch nicht fertig.

»Wie siehst du überhaupt aus? Wie eine Küchenmagd!«

»Ich gehe heute nach Whitechapel«, verkündete die Rothaarige und griff nach der Hafergrütze, die sie großzügig mit Zimt und Zucker bestreute.

Andrew hob überrascht den Kopf.

»Was, heute? Ich kann dich nicht begleiten, Kind, ich habe ein paar sehr wichtige Termine!«

»Das brauchst du auch nicht«, erklärte Sarah mit vollen Backen. »Horatio Gordon wird mit mir kommen. Man erzählt sich, dass er sich in dem Viertel sehr gut auskennt.«

Sie hatten das Treffen mehrfach verschieben müssen. Sarah hatte sich erst umfassend informiert und jeden Artikel, den sie über die Krankheit finden konnte, regelrecht verschlungen. In ihrem »Heilungstagebuch«, wie sie es nannte, hatte sie alle wichtigen Details notiert. Sie hoffte, dass am Ende wirklich eine Heilung stand. Aber heute musste sie mit der praktischen Arbeit beginnen, auch wenn sie noch nicht wusste, wie diese aussehen würde.

»Ja,« Margret schnaubte verächtlich. »Vor allem überall, wo dem Glücksspiel gefrönt wird! Das ist doch kein Umgang für dich, Sarah!«

Die junge Frau blieb ruhig und ungerührt.

»In einem Viertel wie Whitechapel ist es besser, wenn ich jemanden bei mir habe, der von den Menschen dort als ihresgleichen akzeptiert wird. Ich werde bei Horatio sicherer sein als bei jedem Gentleman der hohen Gesellschaft. Außerdem war er bei der Kavallerie und weiß sich zu wehren.«

Auch Andrew war nicht begeistert von den Plänen seiner Tochter.

»Also Sarah, ich weiß nicht. Horatio Gordon hat nicht den besten Ruf, was Frauen angeht … ich will nicht, dass du dich allein mit ihm herumtreibst!«

Entrüstet sah Sarah ihren Vater an.

»Papa, also bitte … wir werden am helllichten Tag in einem der belebtesten Viertel Londons unterwegs sein, was soll da schon passieren? Außerdem ist er wohl ehrenvoll genug, sich nicht an der Verlobten seines Bruders zu vergreifen!«

Die Diskussion wäre an dieser Stelle sicher noch nicht beendet worden, wenn Margrets Aufmerksamkeit nicht von einem Artikel in der Zeitung abgelenkt worden wäre.

»Oh, wie grauenvoll«, entfuhr es ihr, und noch bevor man sie dazu auffordern konnte, las sie den Artikel laut vor:

»In den frühen Morgenstunden des 11. Mai 1887 wurde in der Themse bei Rainham ein Sackleinen-Paket gefunden, welches den Unterleib einer toten Frau enthielt. Oberkörper, Beine, Arme sowie der Kopf konnten bisher nicht gefunden werden, aber es wurde bereits eine weiträumige Suche mit Booten auf der Themse eingeleitet, um den Rest des Körpers zu finden. Zeugen, die etwas Verdächtiges gesehen haben oder eine Frau im Alter zwischen 25 und 30 Jahren vermissen, melden sich bitte unverzüglich bei Constable Stock in … Sarah, geht es dir nicht gut, Kind?«

Die Rothaarige reagierte gar nicht. Sie war kreidebleich und starrte vor sich ins Leere, der Löffel in ihrer Hand zitterte.

Plötzlich waren die Bilder der nächtlichen Albträume wieder sehr präsent, sie erinnerte sich an jedes Detail, auch an die Tatsache, dass diese Träume keine Träume waren.

Sie erinnerte sich an ein scharfes Messer, dass durch Susan Birchs Haut, Fleisch und Sehnen schnitt, das Glieder aus Gelenken löste, ihre Panik, als die Säge im Schuppen nicht scharf genug gewesen war, um den Rumpf in zwei Teile zu trennen. Erst mit der Knochensäge ihres Vaters, die sie eilends aus der Praxis geholt hatte, war ihr die Zerteilung gelungen.

»Sarah?«

Erst jetzt bemerkte Sarah, dass Andrew und Margret sie besorgt ansahen, und riss sich zusammen, lächelte verlegen.

»Entschuldigt … ich war in Gedanken. Aber jetzt muss ich auch langsam los.«

Ihre Hafergrütze blieb fast unberührt auf dem Tisch zurück, als Sarah mit wackligen Knien in ihr Zimmer ging, um sich etwas zu beruhigen, bevor sie das Haus verließ. Sie stellte sich ans Fenster und starrte hinaus in den Garten. Unwillkürlich kehrten ihre Gedanken zu jener Nacht zurück, in der sie Susan umgebracht hatte.

Vier Pakete hatte sie binden müssen, damit es nicht zu sehr auffiel, wenn sie die Leiche wegschaffte. Trotzdem war es ein Wunder gewesen, dass niemand sie gesehen hatte, als sie sich, jeweils ein Sackleinen-Bündel in den Armen, viermal auf den Weg zur Themse gemacht hatte, um die Leichenteile hineinzuwerfen. Der Nebel war ihr Freund gewesen, hatte sie und das Geräusch ihrer Schritte verschluckt. Trotzdem war das Platschen, mit dem die Pakete ins Wasser gefallen waren, ihr unnatürlich laut vorgekommen, und das Geräusch verfolgte sie bis in ihre Träume.

Die Türglocke riss Sarah aus ihren Gedanken. Horatio war gekommen.

Die O´Leary Saga: Engelsklinge

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