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Kapitel IX: Der erste Blick

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Das Erste was Arwed beim Marsch den Berg hinauf auffiel, war, dass die Tore an einem Weg lagen, der links an den Wällen entlang lief. Daneben ging es recht steil den Hang hinab. Dies bedeutete nichts anderes, als dass ein Mann, der rechts sein Schwert in der Hand hielt und somit seinen Schild in der Linken, ungedeckt war. Die Verteidiger hätten ein leichtes Spiel. Er versuchte sein Erstaunen, ja seine Bewunderung über diese sinnvolle Bauweise sich nicht anmerken zu lassen. Dass sie ihn zu Fuß und nicht auf seinem Pferd den Weg nehmen ließen, war ihm sogar recht. Denn somit hatte er mehr Zeit, alles – und wie er hoffte unauffällig – betrachten zu können.

Die Wälle selbst bestanden aus Bruchsteinen, die von senkrechten Holzbalken unterbrochen wurden. Beides ragte in doppelter Mannshöhe vor ihm auf. Am oberen Ende befanden sich Querbalken, hinter denen er ab und zu Männer stehen sah, die ihn misstrauisch beäugten und wohl am liebsten ihre Speere auf ihn geschleudert hätten. Der Weg bog vom Rand der Bergkante ab und mündete in einen Hohlweg, der nun zu beiden Seiten befestigte Wälle besaß.

Ein angreifendes Heer würde von beiden Seiten beschossen werden, dachte Arwed nüchtern und sah, dass der Weg zu einem Tor führte, das von einem Übergang bewacht wurde, auf dem mehrere Krieger standen und ihn mit finsteren Blicken empfingen. Arwed war sich sicher, dass er längst tot gewesen wäre, hätte ihn nicht der Reitertrupp begleitet, der stumm vor und hinter ihm ritt. Niemand sprach auch nur ein Wort. Sie passierten das Tor, das sich ohne Befehl öffnete und den Blick auf die Ebene dahinter freigab.

Er sah Felder, darin verstreut vereinzelte Scheunen und andere Gebäude, von denen er annahm, dass sie als Lager oder Werkstätten dienten. Denn sie machten nicht den Eindruck, dass sie bewohnt waren. Mehr als drei Dutzend Männer und Frauen arbeiteten dort und warfen nur gelegentlich Blicke auf den Trupp. Als sie allerdings erkannten, wer da inmitten einer Horde Krieger ging, stellten sie ihre Arbeit ein und verfolgten jeden seiner Schritte.

Arwed wandte sich ihnen zu und gab sich Mühe, einen freundlichen Ausdruck im Gesicht zu tragen. Schließlich musste er die Rolle des Händlers überzeugend spielen. Ein griesgrämiges oder ängstliches Gesicht passte nicht zu einem Händler, der auf ein gutes Geschäft hoffte. Nach der halben Strecke zum nächsten Wall erhob er seine freie Hand und winkte den Leuten zu. Niemand erwiderte den Gruß.

Der Durchgang am zweiten Wall verlief wie bei dem zuvor. Doch der Anblick dahinter unterschied sich in einigen Punkten von dem der ersten Ebene. Er sah Ziegen und Schafe weiden, dazwischen etliche Obstbäume und mehrere Wohnhäuser. Ein geschäftiges Treiben ging vonstatten und nur wenige nahmen Notiz von dem Trupp. Nur die unmittelbar am Weg arbeitenden Menschen verhielten sich wie jene eine Ebene tiefer. Sie warfen ihm Blicke zu, die wohl, je nach Charakter, Neugier, Zurückhaltung oder Misstrauen ausdrückten. Aber allen war eines gemeinsam: eine unterschwellige Angst, die er sich nur schwer erklären konnte.

Arwed wusste, dass sein Volk noch nicht so weit in den Süden vorgestoßen war, als dass es zu größeren Auseinandersetzungen hätte kommen können. Allerdings wusste er auch, dass es bald dazu kommen würde. Schließlich war er genau aus diesem Grund hier.

Der Germane blieb dort stehen, wo man ihn dazu aufgefordert hatte. Vier Krieger umringten ihn, zwei davon noch immer auf ihren Pferden. Die beiden anderen standen zu beiden Seiten ein wenig hinter ihm. Arwed war klar, dass er nicht einmal die Hand an seinen Schwertgriff hätte legen können, ohne schon eine Klinge in seinem Leib zu haben. Der Anführer des Trupps – Wolfried, wie er sich nun erinnerte –, war mit mäßigem Tempo vorausgeritten, sicher, um dem Fürsten der Stadt Nachricht zu bringen. Denn dass diese Befestigung einen Fürsten als Herrn besitzen musste, lag auf der Hand. Es dauerte nicht lange, da hatte sich eine Gruppe Menschen um sie versammelt, die nicht weniger finster dreinblickte als die Wachen auf den Wällen.

Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte Arwed und verlegte sich darauf, ein leichtes Lächeln aufzusetzen und mit scheinbar kaufmännischer Berechnung seine potentielle Kundschaft zu betrachten und deren Kaufkraft zu taxieren.

Er war nahe daran, einige Worte an die Umstehenden zu richten und anzufangen, seine Ware anzupreisen, als Bewegung in die mittlerweile ansehnliche Menge kam. Die Bewohner der Stadt wichen an einer Stelle auseinander, hinter der er in einiger Entfernung das größte Gebäude aufragen sah. Sicher der Wohnsitz des Fürsten.

Tatsächlich ritt ein Mann vor dem Anführer des Reitertrupps, der auch auf Arwed Eindruck machte. Mindestens so groß wie er, mit mächtigen Zöpfen die Brust herabhängend. Allerdings stammten die Zöpfe vom Barthaar des Mannes. Sie waren ebenso weiß gefärbt wie die Kopfhaare, die eine stachelige Krone bildeten, die keinerlei Schmuckes bedurfte, um die herausragende Stellung dieses Mannes zu unterstreichen. Dies tat eine goldene Kette, an der geheimnisvolle Dinge hingen, die Arwed auf diese Entfernung nicht erkennen, geschweige denn deuten konnte. Hinter den beiden folgte der Rest der Reitergruppe, die ihn am Fuße des Berges in Empfang genommen hatte.

Schließlich blieb der Fürst mit seinem Gefolge eine Pferdelänge vor Arwed stehen und musterte ihn von oben bis unten. Arwed wunderte sich nicht wenig über die Tatsache, dass der Fürst zu ihm kam und er nicht umgekehrt zu diesem geführt wurde.

Wirklich ein seltsames Volk, dachte er und senkte den Kopf ein wenig – nicht zu viel – zum Gruß.

»Ich grüße Euch, Herr dieser Kelten«, begann er und bemerkte, dass sein nicht perfektes, aber doch anständiges Keltisch bei diesem Mann keinerlei Verblüffung hervorrief. »Mein Name ist Arwed. Ich handele mit Bernstein und hoffe hier auf zahlreiche«, er lächelte ein wenig breiter, »… und zahlungskräftige Kundschaft.«

»Ich grüße Euch auch … Germane«, antwortete der Mann und schien auf einen Widerspruch zu warten, der aber nicht kam. »Ich bin Alaric, der Fürst von Menosgada, dieser Stadt. Wir können nicht gerade behaupten, dass wir erfreut sind, einen Germanen zu sehen. Nicht, dass wir keinen Gefallen an Bernstein hätten … es ist nur so, dass wir bisher keine guten Erfahrungen mit Germanen machen durften. Gerade in letzter Zeit kam es zu einigen Verletzten … und Toten.«

Arwed vermutete, dass ein Spähtrupp sich zu weit vorgewagt hatte und nun die Haltung dieser Leute verständlich machte.

»Nun, das ist bedauerlich, Fürst Alaric, Herr von Menosgada. Wie Ihr seht, bin ich allein und keine Streitmacht.«

»Ihr seid gut bewaffnet für einen Händler.«

»Das hörte ich schon einmal, Herr. Es ist ärgerlich, wenn man weite Wege mit kostbarer Ware macht und sich nicht zu schützen weiß. Also führe ich ein paar Waffen mit mir. Bisher konnte ich mir damit meine Ware … und meinen Hals bewahren«, antwortete er und machte eine kaum wahrnehmbare Verbeugung.

»Wenn Ihr hier bei uns Geschäfte machen wollt, dann soll es mir recht sein … Arwed. Allerdings werdet Ihr Eure Waffen ablegen«, er deutete auf den Anführer des Reitertrupps neben ihm, »und diese Wolfried übergeben. Wenn Ihr uns verlasst, erhaltet Ihr sie wieder.«

»Und wer garantiert für meine Sicherheit und Ware, während ich praktisch nackt hier verweile?«

Alaric wirkte nur für einen Augenblick verärgert, dann bequemte er sich zu einer Antwort. »Ich, wer sonst? Euch wird kein Haar gekrümmt werden … und auch Eure Ware ist sicher. Wir sind keine Diebe.«

Als Arwed mit einem Nicken die Bedingungen akzeptierte und mit spitzen Fingern begann seine Waffen auszuhändigen, drehte sich der Fürst grußlos herum und ritt mit dem Großteil seines Gefolges davon. Die Menge zerstreute sich nur langsam und einige besonders Neugierige blieben stehen und verfolgten jede Bewegung Arweds.

Dann erschien eine Frau mit zwei Dienerinnen und einem Mädchen an der Hand, dahinter zwei Keltenkrieger als Eskorte. Die Gaffer rückten respektvoll zur Seite und machten unterwürfige Gesten der Begrüßung.

Arwed hatte in seinem Leben schon einige Schönheiten gesehen, darunter auch exotische aus fremden Ländern. Aber diese Frau stellte sie alle in den Schatten. Schlank gewachsen, die Haltung nicht anders als königlich zu bezeichnen; Rundungen an den richtigen Stellen, die jeden Mann in Begeisterung verfallen lassen konnten. Dazu ein Gesicht, das wie das helle Abbild des Bernsteins wirkte, den er mit sich führte: strahlend und geheimnisvoll zugleich. Das kastanienbraune Haar wallte lang und lockig herab. Ihre Augen versprachen tiefgründige Leidenschaft, ihre Lippen schienen danach zu gieren, geküsst zu werden. Das Mädchen an ihrer Hand war ein Abbild dieser Göttin auf Erden.

Doch beide trugen einen traurigen Ausdruck mit sich, der ein wenig die überragende Wirkung auf den Germanen dämpfte.

Welches Leid tragen die beiden nur mit sich?, schoss es Arwed durch den Kopf und er fühlte, wie er seine Waffen vermisste. Er wollte sie bei sich haben, die beiden beschützen, gegen wen oder was auch immer.

Als die Frau sich ihm zuwandte und ihn ansprach, hörte er nur den glockenhellen Klang ihrer Stimme. Der Sinn der Worte entging ihm völlig. Er konnte sie nur anstarren.

»Habt Ihr mich nicht verstanden, Händler?«, drang es endlich zu ihm durch und er musste sich zusammenreißen, um nicht wie ein völliger Idiot dazustehen.

»Doch, ich verstehe Eure Sprache gut … Herrin«, brachte er einigermaßen flüssig heraus. »Äußert einen Wunsch und ich sehe in meinen Beständen nach, ob ich ihn erfüllen kann.« Ein wenig – nein: sehr – ärgerte er sich darüber, dass er in den Tonfall eines Händlers verfiel, anstatt …

Ich muss meine Rolle spielen, ob ich nun will oder nicht.

»Dann sucht darin nach etwas, was meiner Tochter gefallen könnte. Vielleicht sollte ich es nicht sagen, aber es ist mir egal, was Ihr dafür verlangt. Hauptsache, es macht sie glücklich.«

»Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um Euch glücklich zu machen …«, sagte er ohne nachzudenken und erntete von ihr einen verwirrten Blick aus ihren dunkelbraunen Augen. Dann wurde ihm klar, dass er es todernst mit seinen Worten meinte und spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg.

Sie bemerkte es natürlich und sah ihm lange in die Augen. Als hätte sie darin einen Funken Hoffnung gefunden, huschte ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht.

»Ich bin Brianna, Gemahlin von Alaric und Fürstin dieses Stammes. Dies hier ist meine Tochter Kyla. Es genügt, wenn Ihr sie glücklich macht.« Sie sah ihm noch einmal in die Augen und schien darin etwas zu suchen … und zu finden. »Ihr werdet müde von der Reise sein. Ich werde Euch in einem leeren Haus ein Nachtlager bereiten lassen und eine Wache davor postieren. Seid also unbesorgt. Morgen werden wir Euch und Eure Ware genauer in Augenschein nehmen.«

Entweder war es der Schein der untergehenden Sonne, der sich auf ihrer Haut spiegelte oder es entsprang seiner Einbildung, dass er dort einen Hauch von Rot wahrzunehmen glaubte. Dann war sie davon und ihm blieb nicht mehr, als ihr nachzustarren.

Dabei entging ihm völlig, dass außer einigen anderen auch ein Druide die Unterhaltung verfolgt hatte. Arwed bemerkte auch nicht, dass der Druide ihn so lange im Auge behielt, bis er die Hütte betrat, die man ihm zuwies.

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