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Kapitel IV: Ein Hirsch, zwei Jäger

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Die beiden Männer, die vorsichtig durch den Wald stapften und sich dabei erstaunlich umsichtig bewegten, hätten nur auf einen flüchtigen Zuschauer wie Krieger gewirkt, wie sie viele ansässige Stämme besaßen. Erst auf den zweiten Blick offenbarten sich Einzelheiten, die einen einheimischen Beobachter überrascht hätten; gelinde ausgedrückt. Aber es war niemand in unmittelbarer Nähe, den die großen Gestalten in Verwunderung hätten versetzen können. Nur wenige Dinge an ihnen glichen bekannten Gegenständen; das meiste war einfach … fremd.

Auf dem Rücken trugen beide Bogen, dazu prall gefüllte Köcher. Ein Kelte hätte daraus geschlossen, dass sie Jäger waren. Denn Fernwaffen waren aus keltischer Sicht feige Waffen, die man eben nur zur Jagd auf scheues Wild einsetzte. Auch Schilde und Schwerter besaßen die beiden nicht. Stattdessen trugen die Männer Streitäxte, der eine in der linken, der andere in seiner rechten Hand. Abgenutzte Griffe und gut sichtbare Scharten zeugten von regem Gebrauch. Dennoch machten die schimmernden Schneiden einen scharfen Eindruck. Die Innenseiten ihrer Beinkleider waren abgewetzt und glänzten speckig. Mit ziemlicher Sicherheit waren sie also Reiter; trotzdem gingen sie zu Fuß. Vielleicht hatten die Männer die Pferde samt Schwertern und Schilden irgendwo hinter sich gelassen und bewegten sich nun auf eigenen Beinen durch den Wald, der wild und undurchdringlich vor ihnen lag.

Die Krieger liefen hintereinander und bogen mit den freien Händen dünnere Äste und Zweige zur Seite. Nur an den unwegsamsten Stellen schlugen sie Hindernisse mit den Äxten so leise wie möglich ab. Dabei achteten sie darauf, die Bruchstellen wieder mit Laub zu verbergen. Bei dickeren Ästen – die die Waffen wohl locker bewältigt hätten – verzichteten sie aber ganz auf deren Einsatz und gingen lieber darum herum. Es war klar, dass sie weder eine deutliche Spur noch laute Geräusche verursachen wollten.

Der Linkshänder ging voran. Seine Augen blickten glasklar und blau in das dämmrige Licht des dichten Waldes. Das dunkelblonde Haar wehte leicht über die breiten Schultern, wenn sein Besitzer den Kopf zur Seite und wieder zurück nach vorne schwenkte.

Sein Begleiter ging drei Mannslängen hinter ihm und schien sich ausschließlich auf ihre Flanken zu konzentrieren. Die Axt in seiner Rechten war größer und hatte eine rundere Klinge als die seines Freundes. Dabei wirkte sie wie ein Spielzeug in seinen Händen, für die die Bezeichnung Pranken ebenso zutreffend gewesen wäre. Seine flachsblonden Zöpfe standen im harten Kontrast zu seinem dunkleren Bart und den steingrauen Augen, die sich scheinbar mühelos im Halbdunkel zurechtfanden.

Plötzlich blieb der vordere Mann stehen und drehte seinen Oberkörper gezwungen langsam so zur Seite, dass ein vor ihm stehender Baum beinahe vollständige Deckung bot. Sein Hintermann reagierte sofort und folgte diesem Beispiel. Für einen langen Moment verharrten sie lautlos, dann hob der Linkshänder seine freie Hand und machte eine seltsame Geste Richtung Süden: Er zeigte dem anderen Mann die zur Faust geballte Rechte und spreizte dann den Daumen und den kleinen Finger ab. Danach schob er die Hand wie eine Gabel nach vorn und ein wenig nach oben. Dennoch blieben beide stehen und lauschten.

Etwa zwanzig Herzschläge später trat ein Hirsch – ein Achtender – zwischen den Bäumen hervor; vielleicht fünfundzwanzig bis dreißig Schritte entfernt. Er hatte die Männer bisher nicht gesehen. Und weil der ohnehin schwache Wind aus seiner Richtung blies, konnte er die beiden auch nicht wittern.

Der beginnende Herbst hatte die Blätter schon verfärbt. Zahlreich lagen sie am Boden und bildeten von Tag zu Tag eine immer bunter und dichter werdende Schicht. Der Morgennebel und ein Regen vom Vortag hatten dem Laub für kurze Zeit die Geschmeidigkeit des Frühlings zurückgegeben. Jetzt ermöglichten sie Mensch und Tier ein nahezu unhörbares Vorankommen.

Der Hirsch senkte seinen Kopf und schob mit der Schnauze die Blätter auseinander. Dann hob er ihn wieder auf halbe Höhe und witterte. Als seine Nase keine fremden Gerüche ausmachen konnte, machte er sich über die Kastanien her, die reif und aufgeplatzt im Laub lagen und ein Festmahl versprachen.

Der nur wenig ältere Mann mit der größeren Axt hatte sich wie ein Geist bewegt und stand nun Schulter an Schulter bei seinem Vordermann.

»Du oder ich?«, hauchte er so leise, dass ihn sein Partner kaum hören konnte.

»Du«, kam es ebenso gedämpft zurück und der Linkshänder trat langsam zwei Schritte nach hinten, um dem anderen seine bessere Position zu überlassen.

Der Blonde steckte behutsam seine Axt in den breiten Gürtel und holte sich Bogen und einen Pfeil vom Rücken. Mit unglaublicher Ruhe legte er an und spannte seinen Bogen. Zwei Mal atmete der Schütze ruhig und kontrolliert ein und aus.

Dann hielt er den Atem an …

Mitten in einer Kaubewegung brach der Hirsch zusammen. Doch kein Pfeil hatte ihn niedergestreckt, sondern ein Speer, der eines seiner Schulterblätter durchbohrt hatte. Die beiden Krieger sahen die Überraschung in den Augen des Tieres und hatten einen ganz ähnlichen Ausdruck in den eigenen. Noch während eine Handvoll unsichtbarer Männer Freudengeheul anstimmte und aus mehreren Richtungen durch das Gewirr des Waldes brach, legte der verhinderte Schütze neu an. Sein Partner hielt die eigene Axt mit fester Hand. Beide verfluchten still die Tatsache, dass sie außer zwei Bäumen keine weitere Deckung nutzen konnten. Ausgerechnet an dieser Stelle gab es weder Büsche, von Sturm und Alter ausgerissenes Wurzelwerk oder umgestürzte Stämme.

Fünf halbnackte Männer mit Speeren sprangen aus einem Dickicht, gefolgt von einem unbewaffneten Mann und einem Jungen, der dem mutmaßlichen Werfer wie aus dem Gesicht geschnitten schien. Sie jubelten und klopften dem erfolgreichen Jäger auf die Schulter, dem aber von Augenblick zu Augenblick die Freude aus dem Gesicht wich, als hätte man ihm eiskaltes Wasser über den Kopf gegossen.

Er hatte die beiden Fremden fast sofort gesehen.

Auch wenn dies die erste Begegnung zwischen den beiden Germanen und den keltischen Jägern war, so wussten beide Parteien doch gleich, wem sie gegenüberstanden.

Die Fremden waren groß gewachsen, beide langhaarig und blond, trugen raue Bärte mit Zöpfen, dazu Pfeile, Bogen und Axt als Bewaffnung. Ihre Kleidung bestand aus wollenen Umhängen mit Lederbesatz. Ihre Ausrüstung beschränkte sich auf Waffengürtel und Vorratsbeutel auf ihren Rücken. Ihre Schilde und Schwerter hatten sie wohl irgendwo zurückgelassen. Alles schrie ihre Mission als Kundschafter, die sich rasch bewegen wollten, regelrecht hinaus.

Die Kelten dagegen leicht bekleidet, an vielen Stellen bemalt und mit Narben geschmückt, die Haare weiß gekalkt und nur mit Speeren für die Jagd bewaffnet. Dazu einen Knaben, der wohl in die Kunst der Hirschjagd eingeführt werden sollte.

So standen sie sich für einen schrecklichen Augenblick des gegenseitigen Abschätzens gegenüber. Zwei starke und besser Bewaffnete gegen eine Überzahl an Kriegern, diese aber nur mit wenigen Waffen versehen.

Niemand sprach auch nur ein Wort. Blicke von beiden Seiten zeigten nur zu deutlich, was gleich passieren würde.

Jede Seite sah sich im Vorteil.

Keine Chance auf Rückzug.

Keine Chance auf Verhandlungen.

Keine Zeit für auch nur einen vernünftigen Gedanken.

Mit Schreien, die auf eine grausame Art gleich klangen, stürmten die Gegner aufeinander zu. Selbst der Knabe stimmte in das Gebrüll mit ein und beugte seinen Wurfarm zurück, um seinen Speer dem ersten Germanen in die Brust zu schleudern. In diesem Fall war das jedoch ein Fehler.

Der Linkshänder der beiden Germanen warf sich mit seiner Axt nur einige Schritte nach vorn, um sich als Ziel für die heranstürmenden Kelten anzubieten. Er wusste, dass die erfahreneren Krieger ihre Waffen nicht wie der Junge vergeuden würden und darauf bauten, die Länge der Speere ausnutzen zu können. Unvermittelt blieb er stehen und holte mit der Rechten einen Pfeil aus seinem Köcher. In der Linken wartete die Axt auf Arbeit.

Sein Partner war stehengeblieben und hatte mit kalter Berechnung Bogen und Pfeil im Schutz seines Vordermannes angelegt. Sein erster Pfeil drang in die Kehle des Kelten, der sich an die Spitze seiner Kameraden gesetzt hatte. Mit einem überraschten Gurgeln sank er nieder und bildete ein Hindernis, das die beiden dicht darauf folgenden Krieger gerade noch überspringen konnten.

Der Speer des Jungen zischte zu schwach geworfen und ungenau gezielt an beiden Germanen vorbei. Mit eiskaltem Blick revanchierte sich der Bogenschütze und schoss dem jetzt mit aufgerissenen Augen sich zur Flucht wendenden Knaben ins Genick. Der Junge lag noch nicht am Boden, als der Germane schon nach einem dritten Pfeil griff.

Jetzt waren die beiden Kelten an dem wartenden Germanen angelangt, der die erste Speerspitze, die rasend schnell auf ihn zu zuckte, zur Seite schlug und dem Kelten den Pfeil in einen Oberschenkel stieß. Dem Stoß des Zweiten konnte er aber nicht völlig ausweichen und musste einen Schnitt an der Seite hinnehmen. Doch anstatt zurückzuweichen, machte er zwei Schritte nach vorn und spaltete dem Kelten mit der Axt den Schädel.

Der am Bein Verletzte sah das Tor zur Anderswelt sich schon öffnen, da war der Rest seines Trupps endlich heran. Zwei Speerspitzen stachen dem Germanen durch Hals und Bauch. Noch im Niederfallen versuchte er, dem verwundeten Kelten die Axt in die Gedärme zu schlagen. Doch die beiden Jäger ließen ihrer Beute keine Chance. Sie rissen ihre Klingen zurück und stachen erneut zu. Der Mann mit der Axt brach bluttriefend zusammen, nur wenige Fingerbreit von dem Verletzten entfernt.

Der zweite Germane nahm den Tod seines Kameraden äußerlich regungslos hin und verschoss seinen dritten Pfeil, traf aber nicht, weil er sich bewegen musste, um dem erfolgreichen Jäger auszuweichen, der sich einen Stein gegriffen hatte und sich anschickte, ihm damit den Schädel einzuschlagen. Also ließ er den Bogen fallen und zog seine Axt. Gerade noch rechtzeitig. Mit einem fürchterlichen Schlag von unten trennte er Stein, Hand und Arm vom Rumpf des Jägers.

Die beiden unverletzten Kelten wichen endlich auseinander und nahmen den Germanen in die Zange. Die Schmerzensschreie des Amputierten und des anderen Verwundeten schienen sie aufzustacheln und ließ sie ihre Speerspitzen wie Schlangenköpfe nach vorne zucken. Der Germane konnte nicht alle Stöße abwehren und fing sich eine Wunde nach der anderen ein. Mit jedem Treffer steigerte er sich aber in eine Wut, die das aus ihm schießende Blut aufzuwiegen schien. Schlussendlich sah er aber seine Niederlage kommen.

Mit dem Ruf »Odin!« auf den Lippen hackte er wie ein Wahnsinniger um sich und konnte einem der Gegner die Brust aufschlitzen; nicht tief, aber schmerzhaft. Dann verließen ihn seine Kräfte und er starb mit zwei Speeren in der Brust.

Schwer atmend torkelte der einzige Kelte ohne Wunden auf den Mann mit dem abgeschlagenen Arm zu. Er kam gerade noch zurecht, um zu sehen, dass der die Augen schloss und der Blutstrom von heftigen Schüben in ein Rinnsal überging und langsam versiegte.

Die beiden anderen mit Pfeil im Bein und aufgeschnittener Brust hatten sich auf den Boden gesetzt und begannen damit, sich um ihre Wunden zu kümmern.

»Götter!«, begann der, der noch stand und misstrauisch den Wald beobachtete. »Was war das denn? Sechs erfahrene Jäger können sich nicht gegen zwei Germanen behaupten?«

»Fünf«, verbesserte der Mann mit dem Pfeil, zog diesen mit unterdrücktem Stöhnen heraus und warf ihn mit Verachtung von sich. »Du kannst Perdedur nicht voll mitzählen. Ein Stein gegen eine Axt? Lächerlich.«

»Wir haben uns behauptet«, warf der mit der Brustverletzung ein. »Wir drei leben noch …«

»Was bist du denn für ein Hohlkopf?«, protestierte der Unverletzte und drückte ein Stück Stoff auf die Wunde seines Freundes. »Sind drei tote Krieger und ein toter Junge ein Beweis dafür, dass wir uns behauptet hätten? Wenn sie in gleicher Zahl gekommen wären, würden wir jetzt alle den Wald mit unserem Blut tränken.«

»Wir waren nur schwach bewaffnet …«, wagte der erste noch mal einen Einwand.

Aber was tun wir, wenn sie in ganzen Scharen kommen?, dachte der Unverletzte und half seinen Freunden auf die Beine. Was, wenn die Götter unsere Opfer nicht annehmen und uns im Stich lassen?

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