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Kapitel II: Feidlim

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Feidlim hatte vor einem Jahr seine Ausbildung mehr oder weniger abgeschlossen, fühlte sich aber immer noch … unfertig. Sicher hatte der unerwartete Tod seines Meisters seinen Anteil daran. Aber da war noch etwas anderes.

Im Alter von fünf Jahren hatten ihn seine Eltern an den damals schon alten Druiden übergeben. Ihn selbst hatte man nicht gefragt. Die ersten Jahre waren rasch im Rausch von ständig neuen Unterweisungen vergangen. Dazu kam, dass sein Lehrmeister viel ordentlicher im Umgang mit allen Dingen war als seine eigene Familie. Regelmäßige Nahrung, harte Disziplin während der permanenten Ausbildung, die Übungen mit verschiedenen Waffen – als Kind eher spielerisch, mit zunehmendem Alter ernst- und schmerzhafter – hatten aus ihm einen Mann gemacht, dem man vorsichtige Beachtung schenkte. Seine Eltern hätten ihn höchstens zu einem Bauernleben geführt. Und dennoch …

Er fühlte sich einfach nicht wie ein Druide. Äußerlich entsprach er durchaus dem allgemeinen Bild, das sich die einfachen Leute machten. Aber mit den meisten Belangen der Heilkunde – und erst recht in magischen Dingen – sah er sich selbst als Stümper; anders konnte er es nicht benennen.

Sein Meister musste sein mangelndes Talent schon früh bemerkt haben. Anstatt ihn wieder wegzuschicken, hatte er die Schwerpunkte seiner Ausbildung auf die kleineren Aufgaben gelegt: Heilung einfacher Krankheiten, Zeremonien, insbesondere Hochzeiten, Beistand bei Beratungen der Fürsten und Edlen, ein wenig Vermittlung in Streitfällen, aber nicht mehr. Sein Kontakt zu den Göttern beschränkte sich mehr auf fadenscheinige Selbstdarstellungen und Opferrituale, denn auf eine wirkliche Vermittlertätigkeit.

Er hatte seinen Lehrmeister oft dabei beobachtet, wie dieser in völliger Konzentration und Entrücktheit mit verschiedenen Gottheiten Zwiesprache gehalten hatte. Ihm war dieses Kunststück noch kein einziges Mal gelungen.

Versager, schalt er sich stumm und blickte über den nordwestlichen Wall ins Tal des Menos hinab. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis mir ein Fehler unterläuft.

Seine Stirn furchte sich dabei wie ein Spiegelbild der Wolken, die rasch über den Himmel fuhren und das ganze Tal mit einer grauschwarzen Masse überzogen, die gleich ihre Pforten öffnen würde.

Wahrscheinlich werde ich der erste Druide sein, der von seinem Stamm davongejagt wird, wenn nicht Schlimmeres! Als es donnerte, sah er dies als Bestätigung durch Taranis an. Wird mich mein Status vor Verachtung und Verbannung schützen? Er erschauerte und zog seine Kapuze tiefer ins Gesicht. Oder gar vor dem Tod?

Die Alternative wäre ein Leben in Einsamkeit. Denn Feidlim war davon überzeugt, dass es keinen Sinn machte, sich nach einem, in seinen Augen unausweichlichen Fehler einfach davonzumachen und bei einem anderen Stamm neu zu beginnen. Andererseits hatte er auch keine Lust, sein Druidendasein so mir nichts dir nichts aufzugeben. Weder die Plackerei als Bauer oder Handwerker – von der er in beiden Fällen ohnehin nichts verstand –, noch ein mitunter kurzes Leben als Krieger erschienen ihm verlockend.

Als es noch einmal donnerte und ihn erste Tropfen trafen, raffte er seine Kutte enger um sich und drehte sich den Häusern zu, die ungerührt das Unwetter erwarteten. Nur sehr wenige Menschen liefen noch zwischen ihnen herum; meist nur Wachen, die rasch ihren überdachten Posten zustrebten und ihn nur kurz mit einem Wink grüßten.

Wieso sollten sie mich auch mit mehr Respekt als nötig beachten?, fragte sich Feidlim bitter und machte sich auf den Weg zu seiner eigenen Behausung. Ich kann Taranis nicht daran hindern, zum zehnten Mal hintereinander das Land mit Regen zu überziehen. Erst habe ich ein Huhn opfern müssen, um Regen herbeizubitten und jetzt hört er nicht mehr auf.

Dann schob sich ein neuer Gedanke in den Vordergrund. Außerdem sollten wir froh sein, dass er damit die Zisterne bis an den Rand füllen wird. Das erspart uns die Wasserschlepperei von den Quellen bis auf den Berg. Wieder donnerte es und der Regen wurde stärker. Ich höre schon jetzt das Gejammer der Bauern, die um ihre Ernte bangen. Sie haben immer einen Grund zur Klage. Wahrscheinlich werden sie mich bitten, eine Ziege oder irgendetwas anderes zu töten, um die Fluten wieder schwinden zu lassen. Als ob sich Götter mit solchen Kleinigkeiten beschäftigen würden.

Nur ganz am Rande seiner Grübeleien spukte ihm die Frage durch den Kopf, wie sein Meister wohl in dieser Situation gehandelt hätte. Feidlim schüttelte sich erneut und stand plötzlich vor einem dunklen Schatten, den er mit halb gesenktem Kopf und zunehmenden Regenschauern beinahe übersehen hätte.

»Alaric … mein Fürst«, sagte er überrascht und sah jetzt auch, dass das Stammesoberhaupt nicht allein war. Seine Tochter Kyla stand neben ihm, eine Hand in der Rechten ihres Vaters. Beide störte der Regen augenscheinlich nicht besonders.

»Feidlim, gut, dass wir dich treffen«, begann der kräftige Mann und nickte zum Haus des Druiden. »Wir sollten hineingehen, bevor wir nass bis auf die Haut sind. Wir brauchen deinen Rat … deine Hilfe.«

Feidlim war doppelt verblüfft. Tatsächlich trug der Fürst ihres Stammes einen Ausdruck im Gesicht, der ihm vermittelte, dass er, Feidlim, ihm helfen würde; wobei auch immer. »Es geht um Eure Tochter«, sprach er das Offenkundige aus und versuchte seiner Stimme einen prophetischen Klang zu verleihen.

»Ja, Druide«, kam es zwar nicht überrascht, aber hoffnungsvoll zurück.

Feidlim nahm sich die Zeit, Vater und Tochter jeweils für die Dauer eines Herzschlages intensiv – und, wie er hoffte, beeindruckend – in die Augen zu schauen, dann wandte er sich um, ging die wenigen Schritte zur Tür seines kleinen Gebäudes und öffnete sie. Weil es drinnen finster war, ging er voraus und hatte schon zwei Kerzen entzündet, bevor Alaric und Kyla ihm tiefer in den einzigen Raum folgen und hinter sich die Tür schließen konnten.

Mit raschen Blicken versicherte Feidlim sich, dass es einigermaßen ordentlich aussah. Wenigstens dies hatte er von seinem Lehrmeister erfolgreich übernommen. Mit einer Geste bot er dem Fürsten den einzigen Stuhl an und zog für sich selbst einen kleinen Hocker heran, der es ihm ermöglichen würde, dem Kind Auge in Auge gegenüber zu sitzen. Die Kleine musste stehen bleiben.

Noch einmal sah er Kyla intensiv an, doch sie machte nicht den Eindruck, dass sie ihn fürchtete. Vielleicht war sie mit den Gedanken auch ganz woanders. Innerlich verärgert sah er zu ihrem Vater.

»Also, mein Fürst: Was kann ich für Euch tun?«

»Meine Tochter … Kyla«, begann Alaric äußerlich ruhig, schien aber nicht zu wissen, wie er beginnen sollte, »sie hat Träume … keine guten Träume.«

»Ich weiß, Herr. Ich konnte ihre Schreie hören. Ich wusste, dass Ihr als fürsorglicher Vater zu mir kommen würdet«, log er und war für die mitfühlenden Worte einer anderen Mutter dankbar, die ihm erst vor zwei Tagen erzählt hatte, dass die Fürstentochter unter Albräumen litt. Feidlim drehte sich wieder dem Kind zu und legte seine Hände sachte auf dessen Schultern.

»Deine Träume, Kind: sind sie verschieden oder ist es stets der gleiche Traum?« Er versuchte ein Lächeln, aber an der Reaktion der Kleinen sah er, dass es wohl nicht besonders warmherzig ausgefallen war.

Kyla sah ihm, ihrem Vater und dann wieder Feidlim in die Augen und antwortete erst, als Alaric zustimmend nickte. Feidlim entging nicht die Ungeduld im Blick des Fürsten.

»Es sind immer die gleichen Bilder, die ich sehe«, begann sie und er konnte förmlich verfolgen, wie sich ihre Augen weiteten und sich Traum und Realität zu mischen begannen. »Ich bin im Wald, erkenne aber die Stelle nicht«, fuhr sie fort. »Ich sehe seltsame Bäume, die weiß und grau gefleckt sind. Ich renne … stolpere.« Sie hielt inne, versuchte ihre Hände vors Gesicht zu heben, stieß aber an seine Unterarme.

»Weiter, sprich nur! Du bist hier in Sicherheit. Dein Vater und ich sind bei dir.«

Zu seinem eigenen Erstaunen zeigten seine Worte Wirkung, obwohl er noch nie ein besonders gutes Verhältnis zu Kindern – und schon gar nicht zur Tochter des Fürsten – gehabt hatte.

»Ich falle in Lachen aus Blut …«

»Im Wald?«, unterbrach er sie. »Von wem stammt das Blut? Vor dir? Verletzt du dich irgendwo?«

»Es ist Menschenblut«, antwortete sie leise und ließ es zu, dass er ihre Hände in die seinen nahm. Sofort drücke sie fester zu und er spürte ihre kleinen Fingernägel auf seiner Haut.

»Bist du sicher? Könnte es nicht das Blut eines Tieres sein?«

»Nein!«, stieß sie hervor und bohrte ihre Nägel tiefer in sein Fleisch. »Männer tauchen auf … sie tragen Waffen in ihren Händen.«

So klein sie auch war, sie hatte Kraft und zeigte es dadurch, dass ihre spitzen Nägel sich wie kleine Dolche in seine Haut drückten. Feidlim empfand Schmerz und sah mit einem kurzen Blick, dass kleine Rinnsale von seiner Hand hinabrannen. Alaric schien es nicht zu bemerken oder wagte es nicht, seine Tochter oder den Druiden zu unterbrechen.

»Sie versuchen mich zu packen …«

Feidlim war nun selbst gebannt von der Szene und wagte keinen Einwand mehr. Er sah, dass das Mädchen Angst empfand, aber nicht um sich selbst. Als sie nicht mehr weiter sprach, riskierte er doch noch eine Frage.

»Kannst du die Männer beschreiben?«

»Sie tragen ihr Haar lang …«

Feidlim hatte ihr noch ein paar weitere Fragen gestellt und zwischendurch erleichtert seine Hände aus ihren Krallen befreit, aber nichts mehr Wesentliches in Erfahrung bringen können. Er war ein wenig stolz darauf, dass es ihm gelang, so zu tun, als würden seine Wunden nicht schmerzen und trug ein wenig Heilsalbe auf. Dann hatten Alaric und er die Kleine einer völlig durchnässten Sklavin übergeben, die wie von Zauberhand aufgetaucht, aber ergeben draußen stehen geblieben war, bis Alaric sie hereingerufen hatte. Sie würde Kyla nach Hause bringen.

Noch bevor Alaric ihn fragen konnte, erhob sich der Druide, trat an die Feuerstelle in der Mitte des Raumes heran und schob mit einem starken Ast die Schicht Asche zur Seite, die die Glut geschützt hatte und blies vorsichtig hinein. Zwei, drei Mal wiederholte er es, bis endlich eine kleine Flamme aufloderte und er dünne Äste nachlegen konnte. Als das Feuer zuverlässig brannte, wandte er sich seinem Gast wieder zu. Natürlich hätte es des Feuers trotz des anhaltenden Regens zu dieser Jahreszeit nicht unbedingt benötigt, aber er hatte die kurze Zeitspanne genutzt, um nachdenken zu können.

»Herr, warum seid Ihr zu mir gekommen, wenn Ihr die Antwort schon kennt? Ihr wisst, wer diese Krieger sind, nicht wahr?«

Alaric kniff Augen und Stirn ein wenig zusammen, weil ihm der Ton des Druiden nicht zu behagen schien. Feidlim hatte immer mehr den Eindruck, dass seinem Fürst die ganze Angelegenheit nicht wirklich interessierte und er es wohl für eine vorübergehende und daher harmlose Sache hielt. Alaric fuhr in einem Tonfall fort, der Feidlim zeigte, dass sein Fürst sich mit dieser Einschätzung aber wohl doch nicht so sicher war. »So wie sie die Männer beschreibt, können es eigentlich nur Germanen sein. Niemand aus unserem Stamm hat schon einmal einen germanischen Krieger vor Augen gehabt, aber die Beschreibung passt zu Schilderungen anderer Stämme weit nördlich von uns.«

»Wir wissen seit langem von ihrem Herannahen«, antwortete Feidlim. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie auch zu uns stoßen. Die Geschichten über ihre Gräueltaten sind schneller als ihre Pferde oder Füße.«

»Dies war der Grund dafür, dass ich die Wälle ausbessern und verstärken ließ, Druide«, antwortete Alaric ungehalten. »Dies war der Grund dafür, dass ich Vorräte anlegen ließ, die Jäger öfter in die Wälder schickte, um Wild zu erlegen. Und dies war auch der Grund, warum ich Speere, Äxte, Schwerter und Schilde, Pfeile und Bogen anfertigen ließ, in einer Zahl, wie sie uns noch nie zuvor sinnvoll erschien.«

Feidlim nickte. Er hatte all dies gesehen und die Vorkehrungen seines Stammesfürsten als richtig betrachtet. Nur nicht als … beruhigend. Auch andere Stämme hatten sich in ähnlicher Weise auf das Vordringen der Barbaren aus dem Norden eingestellt. Geholfen hatte es ihnen nicht. Die Nachricht von schrecklichen Kämpfen, ja regelrechten Massakern, hatte viele in Angst und Schrecken versetzt. Gut möglich, dass Fetzen solcher Erzählungen bis an das Ohr der Fürstentochter gelangt waren und diese nun von Vorahnungen heimgesucht wurde. Feidlim überlegte für einen Moment, ob Kyla seherische Fähigkeiten besaß oder nur das im Traum verarbeitete, was unvorsichtige Mäuler ihr zugetragen hatten.

»Eure Vorkehrungen sind zu bewundern, Herr, ohne Zweifel. Doch hat dies andere Stämme nicht vor ihrem Untergang bewahrt. Es wäre sicher von Nutzen, wenn wir uns mit anderen Stämmen vereinigen könnten, um unsere Streitmacht zu verstärken. 300 Mann unter Waffen scheinen wohl nicht genug zu sein, gegen Horden von Berserkern …«

»Berserker …«, wiederholte Alaric und stieß das Wort wie einen Fluch aus. »Manche von ihnen tragen Felle von Bären … und sollen kämpfen wie diese. Dazu sind sie groß gewachsen und tragen Waffen, die selbst unsere stärksten Krieger nicht lange schwingen könnten. Was soll ich tun gegen eine solche Armee?«

Er machte eine kurze Pause, dann knirschten seine nächsten Worte so, als hätte er Sandkörner zwischen den Zähnen.

»Du weißt ganz genau, dass es nur einen einzigen Stamm in der weiteren Umgebung gibt, der uns zwar nicht gerade freundlich, aber zumindest neutral gegenübersteht. All die anderen sind nur neidisch auf unsere Befestigung und ihre Position. Wie viele Kämpfe haben wir schon überstanden? Wie oft wurden wir schon angegriffen und konnten sie immer wieder zurückschlagen?«

»Auch hier habt Ihr mit jedem Wort Recht, mein Fürst. Doch ändert es nichts daran, dass die Germanen kommen werden. Vielleicht nicht heute oder morgen … aber sie werden kommen!«

Nun machte Feidlim eine Pause, erhob sich und trat Alaric gegenüber. »Warum also seid Ihr hier, mein Fürst? Ich kann Eurer Tochter die Träume nicht nehmen, wenn ständig neue Nachrichten ihre Ängste schüren …«

»Befrage die Götter, warum sie nicht um sich selbst fürchtet!«, befahl Alaric und atmete dabei schwer. »Befrage die Götter, warum sie weint, wenn sie mich ansieht! Kann sie meinen Tod sehen?«

Der Stammesfürst war hier Vorbild und Abbild seiner Tochter zugleich. Seine Fragen zeugten nicht von Angst um sein eigenes Leben, sondern um das seiner Familie. Er schien die angedeutete Rettung seiner Tochter den Göttern schon jetzt zu danken, doch musste ihn die Angst um Frau und Sohn innerlich zerfetzen, als hätten ihn die Klingen von mehreren Feinden schon getroffen.

»Ich werde die Götter befragen, mein Fürst, so wie Ihr es wünscht … befehlt.« Feidlim überlegte schon die ganze Zeit, was er danach als Rat der Götter würde mitteilen können, ohne sich gleich selbst in Gefahr zu bringen. »Natürlich verlangen die Götter ein Opfer … wie immer. Es sollte ein großes Opfer sein«, fügte er hinzu.

Alaric nickte und ging wortlos hinaus. Der Regen hatte noch an Heftigkeit zugenommen und stob jetzt – unterstützt durch ebensolche Böen – weit in den Raum hinein.

Feidlim trat rasch an die Tür und schloss sie, bevor Wind und Regen sein Feuer in Bedrängnis bringen konnten. Mit Gänsehaut trat er an die Flammen heran und stierte hinein, als könne er dort die Antworten finden, die sein Fürst … und er zu finden hofften.

Die Götter, spottete er innerlich. Es gibt keine Götter!

Feidlim war nicht bewusst, dass es genau dieser Unglaube war, der ihm den Kontakt zu ihnen verwehrte. Und noch etwas anderes war ihm nicht bewusst …

Es gab noch andere Mächte, die sich seiner Wahrnehmung entzogen.

Dunkle Mächte.

Menosgada

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