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Kapitel XII: Kniefall

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Ich verstehe nicht, warum Fürst Alaric den Germanen nicht sofort hat töten lassen, grübelte Feidlim und folgte dem Tierwechsel hinab zum Fluss Menos. Sieht er denn nicht, dass dorthin, wo ein Germane geht, viele andere folgen werden?

Er wich einem Busch aus, aus dem es hundertfach summte und brummte. Der Druide wusste, dass es ein Wespennest war und keines von Bienen. Sonst hätte er längst einen Bauern darauf aufmerksam gemacht und den Honig einsammeln lassen. Honig war in seinen Augen Götternektar. Und wenigstens diesen wollte er mit den Göttern teilen.

Tränen der Götter nennen sie den Bernstein. Dass ich nicht lache. Da wäre Honig weitaus besser geeignet … süß und köstlich … eben göttlich. Und dann der Junge … angeschleppt von einem Germanen!

Er, Feidlim, hatte sofort erkannt, dass die Wunde nur von einem Schwarzen Krieger stammen konnte. Einen Augenblick hatte er mit dem Gedanken gespielt, den Händler trotzdem des Mordes zu bezichtigen. Doch es war ihm kein schlüssiges Argument oder Motiv eingefallen. Und die Wunde sprach für sich.

Mehrere Nächte hatte er wachgelegen und darüber nachgedacht, wie er sich verhalten sollte. Wie er den Jungen und den Händler für sich nutzen konnte. Aber in beiden Fällen versagte er genauso wie bei seinen Versuchen, mit den Göttern zu kommunizieren. In diesen Nächten fand er wenig Schlaf, schrak immer wieder auf, wenn die Fürstentochter aufschrie, als wolle sie ihm eine Botschaft zukommen lassen.

Und dann kam eine Botschaft von ganz anderer Seite.

Erst zaghaft und wie ein leiser Hauch.

Feidlim lag mit offenen Augen im Dunkeln und starrte durch den Rauchabzug zu den Sternen empor. Er verschwendete einen Gedanken über die Ungerechtigkeit der Götter, dass sie es so eingerichtet hatten, dass im Winter der Himmel zwar oft klar, die Nächte aber eiskalt waren. Dies zwang ihn für Beobachtungen ins Freie und ließ ihn immer vor Kälte zittern. Ging er in sein Haus, verhinderte der Rauch aus dem Feuer einen Blick in die Sterne. Und jetzt, kurz vor Beginn des Winters, hatte er zwar noch kein Feuer an und störte kein Rauch, doch war der Himmel nur selten klar. Die Regenwolken der vergangenen Wochen hatten sich durch Wolken abgelöst, die so aussahen, als würden sie bald Schnee von sich geben. So wie in dieser Nacht. Aber er konnte nicht auf eine wolkenfreie Nacht warten. Irgendetwas lockte ihn, ja, trieb ihn.

Finstere Schleier schoben sich vor den Mond und die großen Sterne. Die kleineren waren ohnehin nicht zu sehen. Immer dann, wenn sich eine Wolke entfernte, schob sich die nächste heran.

Von einem Augenblick zum anderen verharrte einer dieser Schleier und bewegte sich nicht mehr. Feidlim hatte vielleicht keinen echten Glauben an die Götter, wusste aber, dass der Himmel immer in Bewegung war. Unweigerlich konzentrierte er sich auf die Erscheinung und tief in seinem Inneren glomm die Hoffnung auf, nun endlich, nach all den Jahren, einen echten Kontakt zu den Göttern gefunden zu haben.

Aber es war kein Gott.

Eine unhörbare und ferne Stimme flüsterte ihm Worte zu, die weder seine Ohren noch sein Verstand erfassen konnten. Er war sich sicher, eine männliche Stimme zu hören, die ein Versprechen mit sich trug, das ihn von der ersten Silbe an gefangen nahm. Feidlim atmete schwer, so als hätte er einen Berg erklommen. Kaum hatte er diesen Gedanken, als ein undeutliches Bild sich aus dem Schleier vor ihm schälte; langsam … verstohlen … verheißungsvoll.

Der Druide hob beide Hände und wollte das Bild festhalten, aber es verflüchtigte sich sofort. Enttäuscht ließ er die Hände auf sein Lager sinken und ein Seufzer der Entsagung entfuhr seinem Mund. Plötzlich hatte er unsäglichen Durst. Doch er fand nicht die Kraft sich zu erheben, eine Kerze zu entzünden und sich einen Schluck Wasser zu holen.

Die Stimme bannte ihn auf sein Lager.

Ein letzter Funke klaren Verstandes ließ ihn die Augen schließen und sich weit, weit weg von hier zu wünschen. Doch der Schleier blieb auch mit geschlossenen Augen vor ihm bestehen. Also öffnete Feidlim die Augen, nein, er riss sie auf und saugte sich förmlich an dem Schemen fest. Zu seiner Überraschung bescherte ihm die Anstrengung ein etwas klareres Bild.

Ich kenne diesen Berg … über den Fluss Menos. Auf der anderen Seite des Tals.

Am nächsten Morgen trat Feidlim mit einem Sack in der Hand aus seinem Haus und blieb für einen Moment in der Morgenkälte stehen. Es konnte sich nur dunkel daran erinnern, mitten in der Nacht in einen Stall eingedrungen zu sein, ein Lamm und mehrere Hühner erwürgt und in diesen Sack gesteckt zu haben. Warum er dies getan hatte, wusste er nicht mehr. Doch er wusste, dass er den Sack brauchte.

Dichte Nebel lagen auf der Stadt und ließen alles nur schemenhaft erkennen. Die Schwaden verharrten so behäbig, dass er sich mit jedem Schritt wie ein Geist zwischen ihnen bewegte und dafür sogar dankbar war. Ihm stand jetzt nicht der Sinn nach Begrüßungen anderer Frühaufsteher, von denen es mehr als genug gab. Wachen tauschten ihre Plätze, Bauern strebten ihrem Vieh entgegen und auch die Bäcker waren schon fleißig bei der Arbeit. Nur die Schmiede und andere Handwerker würden noch ein wenig mit ihrem Gehämmer und Lärm auf sich warten lassen.

Feidlim raffte seine Kutte enger um sich und machte sich mit eiligen Schritten auf zum innersten Tor der Stadt. Wenigen Worten mit den müden Wachleuten konnte er nicht entgehen und musste sich zwingen, in ihrer Nähe nicht von schnellem Gehen in verdächtiges Rennen zu verfallen. Die Stimme aus der Nacht klang in ihm nach wie ein beständiges Echo, das drängender wurde mit jedem Augenblick, den er auf dem Tafelberg verbrachte. Nachdem er die unterste Wallmauer durch das Tor verlassen hatte und einige Krieger kopfschüttelnd zurückließ, die sich wohl fragten, was er zu dieser Stunde außerhalb Menosgadas zu suchen hatte, begann er wirklich immer schneller zu laufen. Das von Bewuchs befreite Gelände, das sowohl als freies Schussfeld als auch als Weide für vielerlei Vieh diente, ermöglichte es ihm zu rennen. Allerdings stolperte er zwei Mal und konnte sich gerade noch fangen, bevor ihm dann bei einem dritten Fehltritt in ein Erdloch schier die Beine unter dem Leib weggerissen wurden. Er stürzte der Länge nach auf die nasskalte Wiese. Mit Flüchen und verdreckter Kutte erhob er sich wieder und verlegte sich auf ein weniger hastiges Vorankommen.

Es dauerte nicht lange und er hatte den Menos erreicht. Für einen Wimpernschlag wusste er nicht, wie er den sicher eiskalten Fluss überwinden sollte, weil er weder ein Pferd noch ein Boot sein eigen nannte und auch kein Boot fand, das ein Fischer zurückgelassen hatte. Also marschierte er zur einzigen Furt in der näheren Umgebung. Mit einer Hand raffte er seine Kutte über die Knie, mit der anderen warf er den Sack auf den Rücken. Er stieg in die Fluten, zuckte nicht wenig vor der Kälte des Wassers zurück und verfluchte noch einmal die Tatsache, dass er kein Pferd besaß.

Wieder ein Beweis meiner Armseligkeit. Ein Gaul hätte mir den Weg verkürzt und kalte Füße erspart.

Die nächste Stunde marschierte und kletterte er den Berg hinauf, der Menosgada auf dieser Seite des Tals gegenüberlag aber nicht dessen Höhe erreichte. Die nächtliche Stimme war verstummt, das leise Echo verklungen, doch das Bild des Berges und eine bestimmte Stelle standen ihm klar vor Augen. Wie dies sein konnte und was es bedeutete, entzog sich ihm. Er wusste nur, dass er dorthin musste. Er zerschliss sich die einfachen Sandalen und warf die Fetzen mit wütender Geste in ein Gebüsch, das sich ihm in den Weg stellte. Hier erleichterte ihm kein Tierwechsel mehr den Weg. Stattdessen standen Büsche und Gestrüpp immer dichter, zwangen ihn zu Umwegen, zerrissen kleine Dorne und Stacheln seine Beine. Mehrmals hielt er an und tupfte sich mit dem Saum seiner Kutte das Blut von den Füßen und Waden. Längst hatte er seinen Wasserschlauch mit gierigen Schlucken geleert, die letzten Tropfen aber über die schlimmsten Schrammen rinnen lassen. Doch er konnte nicht umkehren.

Je näher er der Bergkuppe kam, desto unwirtlicher wurde die Gegend. Die Bäume sahen krank aus, die Stämme mit dreckig-weißen Flecken und schimmligen Stellen. Ihre Äste trugen so gut wie kein Laub, nur braune, verkümmerte Blätter. Er sah auch keine Tiere, weder am Boden noch in der Luft. Für einen Augenblick hielt er keuchend an und quetschte seinen Wasserschlauch, aber es kam nur ein einziger Tropfen, den er gierig mit seinen trockenen Lippen aufnahm, der aber keine Linderung brachte. Er ließ den Schlauch einfach auf den Boden fallen.

Der Boden … bedeckt mit abgestorbenen Pflanzen, vermoderten Ästen und Zweigen, mit schmierigen Schwämmen und ekligen Pilzen überzogen, die er nie und nimmer für eine Mahlzeit gesammelt hätte. Dann fiel sein Blick auf eine Stelle, an der es wimmelte. Seine Augen sogen sich daran fest, als wäre dieses Zeichen von Leben seine Rettung. Aber es waren Asseln und Würmer, hässliche Spinnen und nackte Schnecken, die sich wohl um den längst verdorbenen Pilzschleim stritten. Angewidert verzog er das Gesicht und machte einen weiten Bogen um die Stelle. Mit zusammengebissenen Zähnen nahm er neue Risse in sein Fleisch hin, als er ein Dickicht mit großen Dornen durchquerte, nur um nicht in das Gewusel treten zu müssen, womöglich auf dem Schleim auszurutschen und hineinzufallen. Als er endlich die Kuppe erreichte und einer freien Stelle zustrebte, atmete er erleichtert auf …

… und stürzte in ein Loch.

Er schlug im Fall mehrmals mit den Armen und Schultern an Steine und altes Wurzelwerk. Instinktiv riss er die Hände nach oben und schützte Gesicht und Kopf. Dann folgte ein kurzes Stück freier Fall und ein heftiger Aufprall an einem Vorsprung. Es trieb ihm die Luft aus den Lungen, und wieder fiel er ein Stück. Dann traf er mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden auf, den Göttern oder dem Schicksal gedankt auf einem Berg aus verrotteten Blättern und von Termiten zermahlenem Holz.

Seinem Mund entrang sich ein Stöhnen. Er brauchte einige Augenblicke, um wieder Luft in seine Lungen zu bringen und sog kalten, verbraucht riechenden Brodem ein. Trotzdem erschien ihm jeder Atemzug wie eine Verheißung.

Dann lag er still und lauschte seinem eigenen Atmen.

Als würde er eine der letzten Nächte erneut erleben, riss er die Augen auf und starrte in die Dunkelheit.

Er hörte jemanden – oder etwas – atmen.

Und sprechen.

»Bist du also endlich gekommen.«

Feidlim erkannte sofort die Stimme an ihrem Klang wieder. Und jetzt verstand er jedes Wort! Für einen letzten Moment glomm der Gedanke in ihm auf, dass er verloren war, wenn er auch nur noch einen Herzschlag in dieser Höhle bliebe. Wenn er auch nur noch eine einzige Silbe dieser entsetzlichen Stimme hören würde … Doch der Moment verging, ohne dass sich Feidlim bewegt hätte. »Ja.« Mehr vermochte er nicht mit seinen trockenen Lippen zu sagen.

»Hast du mir etwas mitgebracht?«

»Ja … Meister.« Feidlim tastete im Dunkeln nach seinem Sack, der ihm beim Sturz entfallen war. Zu seiner Freude fand er ihn fast sofort und zog ihn zu sich.

»Dann gib uns zu essen!«

Feidlim glaubte in der Finsternis ein leises Zischeln zu hören, war sich aber nicht sicher. Er nestelte unbeholfen an der Schnur, mit der der Sack verschlossen war und öffnete ihn. Mit schnellem Griff langte er hinein, entnahm ein Stück des Inhalts und hielt es in die Dunkelheit. Fast sofort spürte er ein Tasten von dünnen Fingern, die sich eher wie dürre Äste anfühlten.

Dann begriff er.

Diese Hand besteht nur nacktem aus Gerippe. Kein Fleisch …

»Leg meiner Freundin auch etwas hin!«

Noch einmal fasste Feidlim in den Sack und nahm etwas heraus. Mit zitternden Fingern legte er ein totes Huhn zu Boden und stieß es mit einer Fußspitze in Richtung des Zischelns.

»Gut.«

Das Zischeln verklang. Dafür nahm sein Gehör ein Schlucken und Würgen wahr, das aus zwei unterschiedlichen Richtungen kam. Feidlim hatte in seinem Leben noch nie etwas Schrecklicheres vernommen. Er erwartete schon, dass die Stimme weitere Nahrung fordern würde, doch dann glommen in einigem Abstand zwei kleine Punkte vor ihm auf. Sie flimmerten und schienen noch schwach zu sein.

»Mehr!«

Der Druide nahm den Sack und schüttete den Rest auf den Boden. Nach einem Zeitraum, der nach seinem Empfinden auch Tage hätten sein können, verstummte das Mahlen von Zähnen, das Splittern von kleinen Knochen und trockene Schlucken. Dafür waren die Lichter ein wenig größer geworden. Mit nicht wenig Grauen verfolgte Feidlim, wie sich die Lichter auf die Höhe eines stehenden Mannes erhoben. Dabei klirrte verhalten Metall und schlugen Knochen an Eisen.

»Wie ist dein Name, Sklave?«

»Feidlim … Meister.«

»Dann knie dich nieder, Feidlim und nimm meine nächsten Befehle entgegen! Diese Nahrung war gut, aber nicht von der Art, die mir am besten schmeckt. Du wirst mir mehr davon bringen … aber lebend! Fleisch für Fleisch.«

»Ja, Meister.«

»Und du wirst nicht nur Tiere töten. Ich brauche Seelen, um wieder völlig auferstehen zu können. Je mehr, desto besser. Je jünger, desto besser. Je blutiger, desto besser. Hast du das verstanden, Feidlim?«

»Ja, Meister, ich habe verstanden. Ich tue, was du befiehlst.«

Menosgada

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