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Kapitel XI: Gastfreundschaft und Gänsehaut

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Die Sonne hatte gerade ihren Höchststand erreicht gehabt, als Arwed, frisch gewaschen und gekleidet, dazu einen kleinen Beutel in der Hand, vor dem Haus der Fürstenfamilie angelangt war. Vier Wachen waren davor gestanden, hatten ihn aufgehalten, einen Blick in seinen Beutel geworfen und ihn nach Waffen durchsucht.

Nun verschwand einer im Inneren des deutlich größten Gebäudes auf dem Plateau und kam kurz darauf wieder heraus. Mit einem stummen Nicken forderte er Arwed auf einzutreten. Zwei der Wachen folgten und postierten sich seitlich von ihm. Arwed blieb stehen und sah sich ungeniert um. Es würde ihm niemand verübeln, wenn er offene Neugier zeigte, schließlich war er ein Fremder.

Das lang gezogene Gebäude bestand aus einem einzigen Innenraum, den man aber durch einige Behänge aus Stoffen und Fellen geschickt unterteilt hatte. Von seiner Position aus konnte der Germane den hintersten Teil nicht einsehen, vermutete daher dort die Schlafstätten der Fürstenfamilie. Zwei mit reichen Verzierungen ausgestattete Sitze dominierten den Raum. Mächtige Rückenlehnen aus massivem Holz dienten wohl nicht nur der Stütze, sondern auch als Schutz vor Meuchelmördern. Fürst Alaric und seine Gemahlin Brianna saßen darauf und ließen ihm Zeit sich umzusehen.

Vor den beiden war ein Tisch aufgestellt, an dem mehr als zehn Personen Platz gehabt hätten, an dem jetzt aber nur noch zwei Kinder saßen. Ihre Tochter Kyla und ein etwas jüngerer Knabe, der sicher der Sohn der beiden war, denn er war Alaric wie aus dem Gesicht geschnitten.

Zu beiden Seiten stützten Holzpfosten das Dach. An jedem waren Halter mit Kerzen angebracht, die ein überraschend helles Licht in der Mitte des Raumes verbreiteten. Arwed sah auch zwei große Feuerstellen, eine direkt vor ihm und eine weitere, die er zwischen den Herrscherstühlen hindurch erkennen konnte. Sie würden den Raum gut wärmen können, waren aber jetzt nicht entzündet.

An den Wänden hingen mehrere Schilde, Speere, Äxte und Schwerter. Alles blitzte und schimmerte und zeugte von reger Pflege … und sicher auch vom Gebrauch. Schwere Truhen säumten die Wände und kündeten vom Reichtum des Herrschers und seiner Frau.

Arwed hätte noch länger seinen Blick schweifen lassen können, weil er noch viele Dinge sah, die er gerne genauer betrachtet hätte, aber er wollte nicht unhöflich sein. Er verbeugte sich deutlich, aber nicht zu tief und wandte sich an das Paar.

»Es erfüllt mich mit großer Freude, Fürst Alaric und Fürstin Brianna, dass Ihr mir die Ehre erweist, mit Euch ein Mahl einnehmen zu dürfen, da ich nur ein einfacher Händler bin.« Er warf einen Blick auf den reichlich gedeckten Tisch, auf dem eine riesige Schüssel stand, aus der es dampfte und verführerisch duftete. Brot, Käse und Krüge mit unbekanntem Inhalt warteten auf Zugriff und erst jetzt nahm er vier junge Mädchen wahr, die sich im dämmrigen Bereich hinter den Pfosten und Kerzen still verhalten hatten und nun auf ein geheimes Zeichen hin einen Schritt vortraten. Jede hatte eine Platte mit weiteren Speisen in den Händen.

»Wir haben nicht oft Gelegenheit … Gäste zu uns an den Tisch einladen zu können, Bernsteinhändler«, begann Alaric und schien seine Schroffheit vom Vortag abgelegt zu haben. Er wies ihm mit einer Geste einen Platz am Ende der Tafel zu. »Es sind unruhige Zeiten und oft genug muss ich … Ankömmlinge mit Eisen in den Händen begrüßen. Somit ist die Freude auch auf unserer Seite, jemanden in unserer Stadt und unserem Haus zu empfangen, der sich mit schönen Dingen beschäftigt … und nicht mit Streit und Blut.«

Brianna verzog bei diesen Worten fast unmerklich den Mund, aber Arwed war es trotzdem aufgefallen, weil er sich Mühe geben musste, sie nicht unentwegt anzustarren und dem Herrn der Kelten den ihm gebührenden Respekt zu zollen. Arwed nahm auf dem Stuhl Platz, auf den der Fürst deutete und nickte dabei seinem Gastgeber zu. Dann warf er einen kurzen Blick auf die Kinder.

»Da Ihr es ansprecht, möchte ich mich erkundigen, ob Ihr Euch schon einen Reim auf … meinen Fund machen konntet?« Er hätte es nicht gewagt in Anwesenheit der Kinder die Sprache darauf zu bringen. Aber wenn ihr eigener Vater damit offenbar kein Problem hatte, warum sollte er sich dann zurückhalten? »Seid Ihr der gleichen Meinung wie der Anführer Eurer Reiter, dieser Wolfried?«

»Ich würde es begrüßen, wenn wir dieses Thema nach dem Essen behandeln würden«, warf Brianna rasch ein und bedachte ihren Mann mit einem tadelnden Blick. »Lasst uns die Speisen und Getränke genießen. Die Kinder brennen darauf, das Haus zu verlassen und endlich wieder die Sonne genießen zu können.«

Arwed sah, dass Alarics Blick auf seine Frau nur wenig dessen Unmut verbergen konnte. An seinen Gast gewandt, sagte er aber:

»Brianna hat recht, Händler. Essen wir zunächst.«

Geraume Zeit und einen vollen Bauch später sah Arwed den beiden Kindern nach, die mit einer Zofe und einer Sklavin das Haus verließen. Kyla mit einem neuen Armband aus einem Dutzend länglicher Bernsteine an der rechten Hand. Das Kind hatte sich wirklich über die Kette gefreut, dabei aber keinen unbeschwerten Ausdruck gezeigt, wie man es von einem reich beschenkten Kind hätte erwarten können.

»Ich danke Euch, Fürst und Fürstin von Menosgada für Speise und Trank und den großzügigen Betrag für das Armband.« Er wandte sich Brianna zu. »Es tut mir leid, dass es Eure Tochter nicht gänzlich glücklich macht. Ich hätte noch wertvollere Stücke mit mir nehmen sollen. Aber dies ist meine erste Reise in dieses Land und daher wählte ich meine Ware wohl mit zu viel Bedacht.«

»Es liegt nicht an Eurem Schmuck, Händler Arwed«, entgegnete die Fürstin und ließ sich von einer Sklavin nachschenken. »Er ist wunderschön und es dauert sicher eine Weile, bis die Tränen der Götter Kylas Gemüt erwärmen.« Sie nahm einen Schluck und zeigte wieder den traurigen Ausdruck, den sie schon bei ihrem ersten Treffen erkennen ließ. »Meine … unsere Tochter leidet unter Visionen …«

»Träumen, Frau.«

»Visionen!«

Anstelle darauf einzugehen, wandte sich Alaric an Arwed. »Zu welchem Germanenstamm gehört Ihr, Händler?«

»Zu den Friesen, Herr«, log er. »Wir leben an der Küste zum Nordmeer und pflegen regen Handel mit den Rus. Von ihnen stammt der Bernstein, den unsere Handwerker zu Schmuck verarbeiten.«

»Eure Geschäfte führen Euch weit weg von der Heimat. Und dazu noch ganz allein«, fuhr Alaric fort, leerte seinen Krug und lehnte ab, als eine Sklavin ihn wieder füllen wollte. »Dazu seid Ihr eben Germane … die mit vielen Kelten nicht gerade in allerbester Freundschaft stehen.«

»Nun, mein Stamm und natürlich ich selbst schon, Herr. Und wie Ihr sagt … mit vielen Kelten … aber nicht mit allen! Ich hörte, dass auch germanische Siedlungen ihre Probleme mit einfallenden Keltenstämmen hatten … und haben.« Dann versuchte er sich an einem verschwörerischen Lächeln. »Außerdem macht man gerade dort die besten Geschäfte, wo noch kein anderer war.«

»Damit mögt Ihr Recht haben, Händler.« Alaric schien für einen Augenblick mit sich zu ringen, dann traf er sichtlich eine Entscheidung. »Nun, wir haben auch unsere Schwierigkeiten mit einigen unserer Nachbarn. Nicht mit jedem Stamm erheben wir die Krüge.«

»Es kommt also auch unter den Kelten zu kriegerischen Handlungen, Herr«, resümierte Arwed. »Das überrascht mich nicht. Soweit ich gehört habe, scheinen sich hier Kelten und Germanen ähnlicher zu sein als die Römer.«

»Es ist lange her, seit die Römer versucht haben, in dieses Land einzudringen. Bisher ist es ihnen nicht gelungen. Und auch Römer sind vor Verrat und Streitigkeiten nicht gefeit. Kaiser steigen und fallen durch Mord aus den eigenen Reihen, sogar aus der eigenen Familie.«

Das letzte Wort stieß er so heftig hervor, dass sich Arwed fragte, ob Alarics Abscheu dem Meuchelmord an sich oder dem Verrat innerhalb der Familie galt. Wahrscheinlich beidem. Und in beidem musste er ihm zustimmen.

Aber du bist nicht meine Familie, dachte der Germane. Unweigerlich fiel sein Blick auf die Gemahlin des Fürsten. Die missverstand seinen Blick als Aufforderung.

»Ich bewundere Euren Mut, Arwed. Nicht nur, dass Ihr allein durch ein fremdes Land reist, bepackt mit wahren Schätzen. Dazu umgeben von Völkern und Stämmen, die euch töten könnten, bevor Ihr auch ein Wort erheben könntet. Nein, Ihr wagt euch sogar mit der Leiche eines Kindes zu uns!« Sie warf einen kurzen Blick zu ihrem Mann, dann fügte sie hinzu: »Dabei habt Ihr die verräterische Spur an der Wunde übersehen … und schon gar nicht deren Bedeutung gekannt. Oder irre ich mich?«

Endlich kommen wir zur Sache.

»Weder das eine noch das andere. Und zu meinem Mut kann ich nur wiederholen, was ich Wolfried antwortete: Es macht keinen Sinn, die Kinder seiner Kundschaft abzuschlachten, nicht wahr?« Als beide nicht darauf reagierten, wagte er die Frage, die ihm beinahe schon die Zunge verbrannte. »Was hat es mit den Schwarzen Kriegern auf sich, die Wolfried erwähnte? Zu welchem Volk gehören sie?«

Er musste das wissen. Denn es wäre unklug - nein: sträflich nachlässig - gewesen, sich in einem fremden Land zwischen die Fronten zweier Feinde zu begeben. Vor allem dann, wenn man von dem vermutlich Gefährlicheren noch nie ein Wort vernommen hatte.

»Zu jedem und keinem Volk«, antwortete Alaric geheimnisvoll. »Das sind uralte Geschichten. Es ist nicht bewiesen, dass der Junge von einem Schwarzen Krieger getötet wurde.«

»Und wie erklärst du dir dann das verbrannte Gewebe? Ich kenne weder Kelten, noch Römer … noch Germanen, die mit flammenden Schwertern kämpfen, mein Gemahl!«

»Erzählt mir von dieser Geschichte, Fürst Alaric. Vielleicht sollte ich bei meiner Abreise um Euren Geleitschutz bitten.«

»Das wird nicht nötig sein, Händler. Es sind wirklich nur alte Legenden.«

»Dann will ich sie erst recht hören. Ich liebe alte Legenden.«

Alaric senkte den Kopf, winkte nun doch einer Schanksklavin und hielt ihr seinen Krug entgegen. Das Mädchen trat vor und kam dabei in das Licht der Kerzen. Jetzt sah Arwed, dass sie nicht unbedingt einen keltischen Eindruck machte. Sie wirkte eher wie eine Gallierin, sicher war er aber nicht. Sie hatte dunkelbraunes Haar und zwei Grübchen in den Mundwinkeln. Der Fürst nahm einen tiefen Schluck und wartete, bis das Mädchen wieder im Halbdunkel verschwand.

»Lange bevor der Vater meines Vaters über diese Stadt herrschte«, begann er, »überzog eine Horde finsterer Krieger jeden Weiler, jedes Dorf mit Schrecken und Vernichtung. Menosgada wurde nicht allein wegen feindlicher Stämme befestigt. Anfangs waren es nur vereinzelte Berichte, die von Männern auf Rössern kündeten, beide schwarz wie die Nacht. Dabei soll es sich aber nicht um dunkel gekleidete Krieger und Rappen gehandelt haben, sondern um Wesen, die zu Kohle verbrannt waren …«

»Verbrannt … also tot?«

»Das ist nicht gewiss. Manche sagen, dass die Krieger nach Asche und Rauch rochen und nicht klar zu erkennen waren.«

»Also gab es Überlebende.«

»Nur wenige … manche behaupteten, dass aus den Augen der Krieger Flammen stoben, diese ihre Klingen in Brand setzten und die tödlichen Streiche Wunden hinterließen, als hätte ein glühendes Eisen Haut und Fleisch versengt.«

»Wie bei dem Jungen«, fügte Brianna hinzu.

»Ihr sagtet gerade, dass diese Krieger schon lange verschwunden seien. Nun scheint wenigstens einer wieder aufgetaucht zu sein«, schloss Arwed und konnte sich eines leichten Grusels nicht erwehren. »Wie lange waren sie fort? Und wo sind sie die ganze Zeit geblieben?« Er spürte, dass da noch mehr dahinter steckte.

»Einem meiner Vorfahren gelang es, die Quelle dieses Übels unter großen Verlusten gefangen zu nehmen …«

»Nicht sie zu vernichten?« Arwed sah zwar die Verstimmung im Gesicht des Fürsten ob der erneuten Unterbrechung, es schien ihm aber kein Anlass zu sein, der Sache nicht auf den Grund zu gehen.

»Man kann den Schwarzen Druiden nicht töten. Nur sein Geschmeiß, das er ständig um sich scharte und von Tag zu Tag vermehrte. Mein Urahn schloss ihn in einen Berg ein, ließ den Eingang einstürzen und in harten Kämpfen die noch herumstreifenden Schwarzen Krieger vernichten. In dieser Zeit gab es keine Händel zwischen den Keltenstämmen weit und breit. Der Kampf gegen diesen Abschaum aus den finstersten Tiefen der Welt einigte alle …«

Irgendwie hatte Arwed den Eindruck, dass Alaric sich sogar wünschte, diese Bedrohung existierte wirklich und könnte die keltischen Stämme wieder vereinen.

»Hmm… ein schwarzer Druide also.«

»Nein, der Schwarze Druide«, korrigierte Brianna. »Es gab und wird immer nur einen geben.«

»Wenn Euer Vorfahr nun nicht alle dieser Krieger erwischt hat … kann es sein, dass einer davon nun aufgetaucht ist und den Tod seiner Kameraden und die Niederlage seines Herrn rächen will?«

»Unmöglich! Die Schwarzen Krieger würden sich niemals zurückziehen. Sie sind beständig auf der Suche nach Menschen, die sie töten können. Das ist ihre Natur. Ihre einzige Aufgabe. Für ihren Herrn.«

»Aber er ist weg.«

»Aber nicht tot!«, grummelte Alaric und nahm einen tiefen Schluck. »Man nennt ihn auch den Alten vom Berg … den Seelenfresser …«

»Den was?«

»Er ernährt sich von den Seelen der Getöteten«, fuhr die Fürstin fort. »Je mehr Menschen sterben, desto mächtiger wird er. Ganz besonders, wenn es noch sehr junge Menschen sind …«

»Der Junge«, schloss Arwed und fühlte tatsächlich Gänsehaut aufsteigen.

Menosgada

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