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Kapitel I: Schatten im Kopf

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Im Jahr 54 v. Chr.

Die abgrundtiefe Finsternis des Traumes lag wie ein bleierner Mantel auf dem Kind. Die reale Dunkelheit, die es umgab, schien sich mit der irrealen zu einem schwarzen Verlies verschmelzen zu wollen. Das Mädchen krallte seine kleinen Finger in das weiche Lager. Zu anderen Bewegungen war es offensichtlich nicht in der Lage. Nur seine Augäpfel vollführten unter den zuckenden Lidern einen wilden Tanz.

Der kleinere Bruder des Mädchens lag dicht neben ihm, schlief tief und fest. Die Eltern der beiden ruhten nur wenige Schritte entfernt, die Frau an die Brust des Mannes geschmiegt. Keiner der drei vernahm die leisen Geräusche, die das Mädchen mit seinen Händen verursachte.

Nur der schlanke, noch sehr junge Hund, richtete seine Ohren auf und blickte für einen Augenblick zu dem Mädchen, dessen Brust sich jetzt in raschem Tempo hob und senkte. Als es den Mund öffnete und scharf die Luft einsog, erhob er sich und ging mit lautlosen Schritten zu ihm. Behutsam legte er seine Schnauze auf eine im Moment flach auf das Lager gepresste Hand und fiepte so leise, dass man den Laut auch einer Maus zugetraut hätte.

Fast sofort atmete das Mädchen wieder ruhiger und ließ auch beide Hände bewegungslos auf dem Lager aus sauberen Heubündeln und gepflegten Fellen liegen. Sogar die unter den Lidern huschenden Augäpfel kamen ein wenig zur Ruhe. Doch der Hund blieb dicht bei ihm und behielt seine Augen offen.

Für mehrere Herzschläge lag das Mädchen still, entspannte sich aber nicht wirklich. Dunkle Schatten jagten es durch einen Wald, den nur es selbst sehen konnte. Es kannte jeden Winkel der Wälder in der Umgebung, doch entweder war es zu weit gegangen oder hatte tatsächlich eine Stelle erreicht, die es noch nie zuvor betreten hatte. Die Bäume trugen eine seltsame Farbe, obwohl ab und an Sonnenlicht durch die Wipfel auf den Waldboden fiel, der übersät war mit bunten Blättern. Beinahe hätte es im Schlaf gelächelt, doch plötzlich verwandelten sich die roten Blätter in blutige Pfützen, die ineinander liefen und immer größer wurden.

Kyla war zwar erst acht Jahre alt, aber sie hatte schon Dinge gesehen und erlebt, die dazu führten, dass sie nun wieder mit den Händen nach Halt suchte. Ihre Rechte fand im Nacken des Hundes Zuflucht und krallte sich so fest hinein, dass es dem Tier wehtun musste. Doch der hagere Hund, der bald schon mit ihrem Vater auf die Jagd gehen sollte, wehrte sich nicht, noch jaulte er.

Kyla rannte nun durch den Wald und ihre hellbraunen Haare flogen hin und her, weil sie nicht wusste, wohin sie fliehen könnte. Aus den wenigen Lichtstrahlen wurden Pfeile, die knapp an ihr vorbeizischten und zitternd im Boden stecken blieben. Büsche verwandelten sich in Gestalten, die sich erhoben und Äxte und Schwerter schwangen und mit langen Armen nach ihr griffen. Sie ließ das Fell des Hundes los, bog und krümmte sich im Traum, um den fremden Kriegern auszuweichen und ihr echter Körper tat es auf ihrem Lager nach.

Drudwyn hatte mittlerweile die Ohren angelegt und seine Schnauze längst aus der Nähe ihrer ins Leere greifenden Hand gebracht. Trotzdem blieb er immer noch an ihrer Seite, weil sie Teil der Familie war, die er liebte und selbst mit seinen gerade mal eineinhalb Jahren schon beschützen wollte. Er fletschte die Zähne und seine Augen schienen dem Beispiel des Mädchens zu folgen. Aber er fand keine Gegner, auf die er sich hätte stürzen können.

Die Tochter des Stammesfürsten war nun von dunklen Gestalten umringt, die langsam, aber unaufhaltsam auf sie zuschritten. Ihre Körper waren größer als die eines jeden Menschen, den sie je gesehen hatte. Ihre Haare waren lang und nicht weiß gekalkt wie bei keltischen Kriegern. Meist blaue, aber auch graue und wenige hellbraune Augen blickten sie mordlüstern an und zwangen sie allein mit ihren finsteren Blicken nieder. Bei ihrem geistigen Körper gelang es ihnen sogar. Sie stolperte über einen großen Ast und fiel in eine der roten Lachen, die einmal bunte Blätter gewesen waren. Sie glitt darin aus und verschmierte sich von oben bis unten mit Blut, von dem sie wusste, dass es keltisches Blut war. Sie schlug um sich, versuchte die gierigen Hände abzuwehren, aber gegen diese muskelbepackten Pranken hatte sie keine Chance. Als einer der Krieger seinen Mund aufriss, harte Laute ausstieß und seine riesige Hand gleich ihre Kehle erreichen würde, schrie sie gellend auf.

Alaric und ihre Mutter Brianna wurden gleichzeitig wach. Der Fürst der Kelten hatte sein Schwert schon in der Hand, als seine Frau sich noch aus seiner Umarmung löste. Mit wenigen Schritten waren sie am Lager ihrer Tochter und fanden keine Ursache für ihre anhaltenden Schreie, die von Mal zu Mal beängstigender wurden.

Von draußen waren Schritte und fragende Rufe zu hören. Mindestens eine der Wachen musste aufmerksam geworden sein. Vielleicht auch jemand aus benachbarten Häusern.

Jetzt hatte Drudwyn die Ohren angelegt und tänzelte dabei von einem Bein auf das andere. Es war offensichtlich, dass er zu unerfahren und erschrocken war, und Gefahr bestand, dass er wahllos um sich beißen würde. Alaric senkte sein Schwert, nachdem sich ihm kein Feind entgegenstellte und brummte dem jungen Hund beruhigende Worte zu.

Brianna indes kniete zu Kyla nieder und versuchte eine ihrer herumwedelnden Hände zu erwischen. Doch die kämpfte gegen unsichtbare Wesen und fast hätte Brianna Stolz empfunden, wie vehement ihre kleine Tochter sich wehrte. Von einem Moment zum anderen riss Kyla die Augen auf. Zwei dunkle Flecken in übergroßem Weiß. Anstelle ihrer Mutter sah sie immer noch den Fremdling über sich, grausam den Mund verzogen. Ihr erneuter Schrei drang sicher durch ganz Menosgada.

»Kyla!«, rief Alaric unwirsch, und Hund und Kind zuckten vor seiner Stimme gleichermaßen zusammen.

Drudwyn legte sich auf den Boden, sein Blick galt nun dem Mann vor ihm. Aber er hatte sich weder einen Schritt von Kyla entfernt, noch seinen Schwanz eingekniffen. Der Fürst bemerkte dies sehr wohl. Alaric beugte sich zu ihm hinunter, weil er sah, dass sich seine Frau um ihre Tochter kümmerte und murmelte dem jungen Tier zu: »Du bist ein Prachtkerl, kleiner Drudwyn. Aus dir wird bald ein hervorragender Jagdhund werden.«

»Kyla«, wiederholte seine Frau deutlich sanfter. »Kyla, wach auf! Es war nur ein Traum.«

»Mama«, kam es zurück und Brianna sah förmlich, wie Geister und Ungeheuer vom Leib ihrer Tochter abfielen und sich deren Blick klärte.

»Du hast geträumt, Liebes. Du bist Zuhause und in Sicherheit«, flüsterte die Fürstin und nahm Kyla in ihre Arme. »Was geht nur in deinem Kopf vor? Das war nun schon das dritte Mal, dass du im Traum geschrien hast. Waren es wieder diese fremden Krieger?«

»Ja«, kam es leise zurück. »Aber es ist seltsam … so sehr sie mir auch Angst machen … ich weiß, dass ich nichts von ihnen zu befürchten habe. Es ist nur all das Blut, was mir Angst macht.« Dabei blickte sie zuerst zu ihrem Vater hinüber, danach ihrer Mutter in die Augen, und plötzlich vergoss sie Tränen, die ihr in schneller Folge über die Wangen liefen.

Brianna drückte den Kopf ihrer Tochter an die Brust und hob den eigenen zu ihrem Mann.

»So geht es nicht weiter, Alaric. Du musst mit ihr zum Druiden gehen …«

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