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Junggesellenfreuden

Mit Hermann in Kanada

Ich weiß nicht mehr, was überwog: War es »Heimweh« oder wollte ich Hermann mit meiner zweiten Heimat beeindrucken? Auf jeden Fall reisten Hermann und ich 1971 nach Amerika.

Zuerst besuchten wir Tante Mina auf Long Island. Wir wohnten jedoch bei ihrer Tochter Martha und deren Mann Bob, Banker von Beruf. Martha und Bob hatten zwei Kinder, Glenn und Joan, eine »American Beauty«. Wenn sie mit uns zum Strand ging, zog sie, braun gebrannt im knappen Bikini und langem blondem Haar, die Blicke vieler männlicher Badebesucher auf sich. Das gefiel uns als Begleiter nicht schlecht. Martha und Bob gingen mit uns in noble Steak- und Fischrestaurants, sie wussten, wo man gut essen kann. Auch in diesen edlen Restaurants, wo die Bedienungen bewundernswert freundlich sind, war es üblich, dass man sich die Speisereste einpacken ließ und mit nach Hause nahm. Unsere Gastgeber fuhren außerdem mit uns nach Manhattan und zeigten uns die schönsten Plätze und Ecken.

Dann flogen wir weiter nach Kelowna, British Columbia, dem neuen Zuhause von Rolf und Friedel. Als wir aus dem Flugzeug stiegen, herrschte brütende Hitze. Ja, auch in Kanada kann es richtig heiß werden, vor allem in dieser Gegend, einem beliebten Urlaubsziel für Kanadier und Amerikaner. Früher gab es an den Hängen zum See viele Obstplantagen, vor allem Äpfel und Pfirsiche gediehen hier prächtig. Inzwischen aber ist das Tal berühmt für gute Weine und interessante Weingüter, die es auch schon zu internationalen Auszeichnungen gebracht haben.

Mit Rolf und Friedel besuchten wir einige der Weingüter, die meist mitten in den Weingärten liegen. Fast immer gehört ein gutes Restaurant mit Blick auf den See dazu. Hermann und ich, beide Söhne von Weingärtnern, gaben uns natürlich als Experten aus und taten so, als ob wir viel vom Wein verstehen würden. Interessant war, dass die meisten dieser Weingüter von deutschen und österreichischen Auswanderern gegründet worden waren und daher hauptsächlich deutsche Rebsorten, wie Riesling, Sylvaner und auch Muskateller angepflanzt hatten. Am südlichen Zipfel des Sees besuchten wir ein interessantes neues Weingut, welches von Indianern betrieben wurde.

Am 1. August 1971 feierte Rolf seinen 40. Geburtstag. Dazu lud er seine besten Freunde ein, allesamt deutsche Einwanderer. Da waren zum Beispiel Gerhard und Irma, die aus der Nähe von Nürtingen kamen und hier erfolgreich ein Friseurgeschäft führten. Irma sprach ein besonders amüsantes Englisch mit schwäbischem »Sound«. Für kanadische Ohren klang es vermutlich wie bestes Kabarett. Reinhard und Ria waren die ältesten Freunde von Rolf, sie lebten zunächst wie Rolf und Friedel in Winnipeg. Karl und Elvira stammen aus Stuttgart, waren aber schon lange kanadische Staatsbürger. Bob und Brigitte hingegen waren aus Lörrach ausgewandert, wo sie ein Möbelhaus geführt hatten. Zuletzt gab es noch Erwin und Irene. Erwin hatte zuvor im Neckartal eine gut gehende Kanalreinigungsfirma, die er gewinnbringend verkaufte, bevor sie nach Kanada auswanderten.

Mit diesen Freunden wurde zunächst im Garten meines Bruders gefeiert. Abends zogen wir für das Dinner weiter zum deutschen Club. Wir unterhielten uns meist auf Deutsch, vermischt mit englischen Wörtern. Das klang manchmal lustig. Die Deutsch-Kanadier sagten niemals Auto, Telefon, Friseur, Küche oder Kühlschrank, sondern stattdessen Car, Phone, Hairdresser, Kitchen und Fridge.

Am liebsten unterhielt ich mich mit Erwin. Er war politisch sehr interessiert und wollte genau wissen, was in Deutschland geschah. Erwin hatte das schönste und größte Haus des Freundeskreises. Es war im Tudor-Stil erbaut, innen mit viel schwerem Holz ausgestattet und bot einen schönen Blick über den See. Er wohnte dort mit seiner Frau und zwei Söhnen, die schon aufs College gingen. Bei einem späteren Besuch in Kelowna hatten sie es bereits verkauft und sich ein neues Haus zugelegt, inmitten einer Apfelplantage. Erwin richtete sich in der Garage eine Brennerei ein. Eines Tages stand sie in Flammen. Das brachte ihm eine gehörige Strafe ein, denn er besaß keine Lizenz für die Schnapsbrennerei.

Rolf und Friedel mit ihren drei Kindern Jeff, Rod und Linda machten mit uns noch eine Autotour durch die Rocky Mountains. Rolf hatte einen Pontiac Caravan, in dem wir zu siebt genug Platz fanden. Auf dem Anhänger war das Zelt der Familie verstaut. Als echte Kanadier macht man unterwegs natürlich Camping. Die Campingplätze, vor allem entlang dem Trans-Canada-Highway, waren großzügig, beinahe luxuriös. Für jeden Camper gab es ein separates Gelände mit Feuerstelle, Tisch und Bänken und einen Wasser- und Stromanschluss. Bei der Einfahrt in den Platz, den wir ansteuerten, sagte der Wärter: »Passt auf, hier gibt es Bären. Seid nett zu ihnen, wenn ihr sie trefft.«

Scherzhaft fragte mein Bruder zurück: »Und wenn es Grizzlies sind?«

Die Antwort: »Dann seid besonders nett zu ihnen!«

Die Familie schlief im Zelt auf dem Anhänger, für Hermann und mich wurde ein separates kleines Zelt aufgestellt. In der Nacht wachte ich auf und spürte, wie etwas an der Zeltwand vorbei streifte. Mir war sofort klar, das ist ein Bär. Ich verhielt mich mucksmäuschenstill, in der Hoffnung, dass er weiterzieht. Kurz darauf gab es einen lauten Krach, und Rolf rief nach uns. Hermann und ich krabbelten vorsichtig aus dem Zelt und sahen den riesigen Kerl, der sich bereits über Lebensmittel hermachte, die aus einer Kühlbox stammten. Diese stand zum Glück außerhalb der Zelte in einem Holzkasten an der Anhängerkupplung. Jetzt lagen Schinken, Brot und andere Lebensmittel schön verstreut auf dem Boden. Er hatte die Kühlbox einfach aufgebrochen. Wir wollten den Braunbären mit Steinen verjagen, doch der ließ sich nicht weiter stören. Wenn er sich aufrichtete, konnten wir erst erkennen, wie groß er war. Wir beschlossen, ihn weiter unsere Vorräte fressen zu lassen, so ließ er zumindest uns in Ruhe. Rolf entzündete eine Kerze, die er auf den Tisch stellte. Lichtflackern mögen Bären nicht besonders. Daher gingen wir davon aus, dass er nach seiner Mahlzeit weitertrotten würde. Mit dem geruhsamen Schlaf war es aber vorbei.

Hermann und ich genossen noch für ein paar Tage unseren Urlaub in Kanada, bevor es wieder zurück nach Deutschland und an die Arbeit ging, für Hermann an der Uni Mannheim, für mich bei Daimler.

Das Junggesellenleben in Stuttgart

Durch Georg lernte ich andere Daimler-Mitarbeiter in meinem Alter kennen. Es gab eine Gruppe von Jungingenieuren, die zusammen in Köln studiert hatten. Dazu gehörten Willi Müller, die Kölsche Frohnatur, Jörg Hochgeschwender von der hessischen Bergstraße, Werner Ludwig aus Bonn, Carlos Höller mit spanischen Wurzeln und Hans Schömann-Finck von der Mosel, der als einziger schon verheiratet war. Er und seine Frau Anita hatten ein entzückendes dreijähriges Töchterchen, Susanne.

Die neuen Freunde waren – außer Carlos – auch Gründungsmitglieder der Weinwandergruppe, von der im Vorwort schon die Rede war. In diesem Kreis wurde ich freundlich aufgenommen. Wir gingen zusammen zum Kegeln und trafen uns auch sonst zu verschiedenen Anlässen. Geburtstage, zum Beispiel, wurden ausgiebig gefeiert. Mir oblag dabei die »ehrenvolle« Aufgabe, dazu die passenden Gedichte auf den Jubilar zu machen und vorzutragen. Dabei mussten die Geehrten auch manche Spitze ertragen, die man lyrisch viel besser als in Prosa neben den ganzen Lobhudeleien unterbringen kann.

Stuttgart ist eine Stadt der Besenwirtschaften. Es dauerte nicht lange, bis ich die meisten von ihnen ganz gut kannte. Im »Besen« schenken Weingärtner ihren eigenen Wein aus und dazu gibt es kleine »Besen-Gerichte«, gute Hausmacherkost. Da die Besenwirtschaften sehr beliebt sind und nur an bestimmten Tagen des Jahres geöffnet haben, geht es oft sehr eng darin zu. Reichen Stühle und Bänke nicht aus, stellt der Wirt manchmal sogar Obstkisten als Sitzgelegenheit dazu.

Sonntagvormittags ging ich mit Georg und Hans gerne ins Mineralbad Berg, eine Stuttgarter Institution, zwar schon in die Jahre gekommen, bei Stammkunden aber äußerst beliebt. Neben Schwimmen im prickelnd kalten Mineralwasser war bei uns immer Tischtennis im Garten des Bads angesagt. Anschließend kehrten wir im jugoslawischen Restaurant »Kronprinz« ein.

Skilaufen im Montafon und eine Bekanntschaft

Nach meiner Rückkehr aus Kanada gönnte ich mir zusammen mit Hermann zum ersten Mal einen Skiurlaub in Bartholomäberg bei Schruns im österreichischen Montafon. Hermann konnte schon ganz gut Ski fahren. Ich meldete mich bei einem Skikurs für Anfänger an. Auf der Piste lernten wir eine junge Dame kennen. Sie hieß Ingeborg. Wir verabredeten uns zu einem Tanzabend. Mir gefiel Ingeborg. Beim Tanzen musste ich allerdings feststellen, dass sie lieber bei meinem Freund Hermann in den Armen hing. Das war natürlich enttäuschend und ärgerlich, zumal Hermann nur wenig Interesse zeigte. Mit seinen vollen schwarzen Haaren war er aber, wie ich zähneknirschend zugeben muss, der Attraktivere von uns beiden. Gleichwohl, wir trafen uns ein paarmal mit ihr im Ferienhäuschen, in dem sie mit ihren Eltern während der Ski-Ferien wohnte. Es waren heimelige Abende am Kamin, wenn Papa seine Klampfe hervorkramte und wir zusammen alte Volks- und Berglieder sangen.

Mit Ingeborg, die am Bodensee bei den Eltern wohnte, traf ich mich später noch öfter, doch meine Avancen blieben letztendlich erfolglos. Sie hatte sich für einen anderen entschieden. Pech für mich. Doch blieb ich der Familie noch lange verbunden, vor allem mit Ingeborgs Schwester Uschi. Ich wurde Taufpate ihrer beiden ersten Söhne.

Skifreizeit im Wallis

Beim Stöbern durch alte Unterlagen fand ich ein kleines Notizbüchlein, das ich im Jahr 1973 als Tagebuch verwendete. Stichwortartig schrieb ich darin auf, was gerade los war. Dort entdeckte ich etliche Namen von jungen Frauen, die längst aus meinem Gedächtnis verschwunden sind. Man feierte öfter mal eine Party oder man ging zusammen essen. Mehr lief aber auch nicht.

Laut Eintrag in dieses Tagebuch fuhr ich mit Georg am 3. März 1973 zu einer Skifreizeit des CVJM Stuttgart nach Saas-Almagell im Wallis. Auf den berühmten Skihängen von Saas-Fee gab es Skikurse verschiedener Schwierigkeitsgrade. Ich stellte mich gar nicht so ungeschickt an und konnte gute Fortschritte erzielen. Die Abfahrten am Felskinn erwiesen sich als ziemlich schwierig, und es ging nicht ohne Stürze ab. Sie machten aber großen Spaß, auch wenn das sogenannte Kanonenrohr einem alles abverlangte. Abends war immer etwas los in unserer bunt gemischten Gruppe. Wir aßen Fondue, spielten, tanzten, tranken und machten Blödsinn. Unter den weiblichen Teilnehmern war eine junge hübsche Dame aus Reutlingen namens Mechthild. Ich achtete darauf, dass wir in der gleichen Gruppe unseren Skikurs machten, denn wir konnten uns gut leiden. So vergingen zwei schöne Wochen.

Wieder zuhause, telefonierten wir, besuchten uns gegenseitig und schrieben uns Briefe. In einem der Briefe teilte sie mir mit, dass sie schon einen festen Freund habe. Ich war wieder mal traurig, trug ihr das aber nicht nach. Wir trafen uns trotzdem ab und zu, ich lernte auch ihren Freund kennen. Eckhart war angehender Assistenzarzt in der Klinik in Reutlingen, wo sie als Krankenschwester arbeitete. Ich lud den sympathischen Eckhart später auch ein, an unseren Weinwanderrungen teilzunehmen, was er gern tat. Nach einigen Jahren jedoch hatte er Schwierigkeiten mit dem Tempo unserer Wandergruppe und schied wieder aus. Er war nämlich, nachdem er Mechthild ehelichte, etwas in die Breite gegangen, und dazu noch ein starker Raucher – als Arzt, der sich schon längst mit einer eigenen Praxis selbständig gemacht hatte.

Darum in die Ferne schweifen

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