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Mein Job bei Daimler-Benz

Ende der Sechzigerjahre herrschte in Deutschland wirtschaftliche Hochkonjunktur. Ich begann am 1. November 1968 bei der Daimler-Benz AG in der Stuttgarter Zentrale meine Tätigkeit im Export-Zentral-Kundendienst. Damit gehörte ich zu der Abteilung, die für die Herstellung und den Vertrieb von Werkstatt- und Kundendienst-Literatur in den verschiedensten Landessprachen zuständig war. Unsere Gruppe bestand aus etwa zehn Damen und Herren. Wir kümmerten uns um die Distribution der umfangreichen Serviceliteratur, wie Werkstatt-Handbücher und Betriebsanleitungen für PKW und LKW, sowie der regelmäßigen Service-Anleitungen in Papierform oder auf Microfiches an die weltweite Daimler-Benz-Serviceorganisation. Der Schriftverkehr mit den Niederlassungen und Auslandsvertretungen erfolgte überwiegend in englischer Sprache. Meine Englischkenntnisse kamen mir sehr zugute.

Unser Gruppenleiter, ich nenne ihn mal Herr H., war schon älter und hatte ein Einzelbüro mit Sekretärin, während seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in drei größeren Büroräumen untergebracht waren. Zwei Schreibtische standen sich jeweils gegenüber. Das Telefon lag jeweils in der Mitte auf einem ausziehbaren Gestell, damit es hin- und hergeschoben werden konnte. Ich hatte nette, meist junge Kollegen. Die neue Arbeit und der Schriftwechsel mit der ganzen Welt machten mir Spaß.

Eines Tages wurde ich beauftragt, in die USA zu fliegen, um mit Kollegen der Niederlassung in New Jersey einen Plan zur besseren Lieferlogistik auszuarbeiten. Ansonsten beschränkte sich meine Reisetätigkeit auf Besuche der deutschen Niederlassungen und Großhändler, wenn es irgendwelche Probleme bei der Distribution unserer Service-Literatur gab oder Neuerscheinungen vorzustellen waren.

In Stuttgart schaute ich mich nach einer kleinen Wohnung um und wurde im Stadtteil Heumaden fündig. In einem Neubau bezog ich eine Anderthalb-Zimmerwohnung mit Einbauküche und Bad. In die Wohnung unter mir zog ein anderer junger Daimler-Mitarbeiter ein, Georg Wiemer. Er hatte in Köln Ingenieurwesen studiert. Wir wurden bald gute Freunde, eine Freundschaft, die bis heute anhält. Er arbeitete, im gleichen Stockwerk wie ich, ebenfalls im Export-Zentral-Kundendienst. Seine Aufgabe bestand in der Bearbeitung von Kunden-Reklamationen. Im gleichen Bürozimmer wie er saß der Ingenieur Jürgen Schrempp, ein freundlicher junger Mann, der allerdings wegen seines ausgeprägten Ehrgeizes von den Kollegen belächelt wurde.

»Ich will Vorstand beim Daimler werden«, verkündete er selbstbewusst. Wie bekannt, wurde er sogar Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG (und später von DaimlerChrysler).

In der Abteilung EXZK fühlte ich mich auch deshalb wohl, weil wir einen äußerst netten Chef als Abteilungsleiter hatten. Rolf Lenk war verständnisvoll und fair und konnte gut mit Menschen umgehen. Er organisierte Wanderungen mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich erinnere mich an eine besonders schöne Tour, die uns am Rande der Schwäbischen Alb zum Filsursprung (Quelle der Fils) führte. Auf dem ziemlich langen Marsch trug Herr Lenk einen großen Rucksack. Als es Zeit für das Picknick war, stellte sich heraus, dass ein gar nicht kleines Bierfässchen im Rucksack steckte. An der jungen Fils wurde das Bier gekühlt. Das Picknick war entsprechend gelungen.

Nur einmal erlebte ich Herrn Lenk verärgert, und das völlig zu Recht: Zur Volksfestzeit auf dem Cannstatter Wasen war es Usus, dass Daimler-Mitarbeiter zum Mittagessen in eines der Bierzelte pilgerten. Biergutscheine waren immer vorhanden. So zogen auch ein paar meiner Kollegen und ich, und zuvorderst Herr H., der Gruppenleiter, ins Dinkelacker-Bierzelt, um ein schönes Hähnchen zusammen mit ein, zwei Maß Bier zu verzehren. Die Mittagszeit ging zu Ende, doch im Steinkrug war noch Bier. Außerdem liefen stattliche Bedienungen im tief geschnittenen Dirndl herum und verkauften verschiedene »Wässerchen«. Wer kann da schon Nein sagen? Am wenigsten unser lieber H. Ich drängte zum Aufbruch, doch die anderen waren der Meinung, dass man wenigstens das erste Stück der nun aufspielenden Musikkapelle mitnehmen sollte. Dabei blieb es nicht. In meinem übermäßigen Diensteifer ging ich als einziger zurück ins Büro. Dort angekommen, konnte ich nur noch das Waschbecken ansteuern, um mich zu übergeben. Dann schlief ich am Schreibtisch ein. Ich hätte den Enzianschnaps sein lassen sollen. Der Tag war für mich gelaufen, während sich Gruppenleiter und Kollegen einen schönen Nachmittag auf dem Cannstatter Wasen machten. Herr Lenk hatte derweil ein paar Mal angerufen und feststellen müssen, dass keiner im Büro war. Für die feuchtfröhliche Runde gab es eine ordentliche Abmahnung.

Es waren die fetten Jahre bei Daimler wie insgesamt für die deutsche Wirtschaft. Zum Beispiel gab es einen Friseur mitten im Firmengelände, den man während der Arbeitszeit aufsuchen konnte, nach dem Motto: Die Haare wachsen ja auch bei der Arbeit. Man sollte sich nur an der Stechuhr abmelden.

Ein Jahr später wurde H. von seinem Posten abberufen. Herr Lenk schlug mich als neuen Gruppenleiter vor, obwohl ich der an Dienstjahren Jüngste unter den Kollegen war. Ich empfand die Beförderung als eine schöne Anerkennung, wenngleich es, bedingt durch einen Umzug in ein Großraumbüro, für mich kein Einzelzimmer und keine Sekretärin mehr gab. Die Arbeitszeiten waren damals noch fest geregelt, Gleitzeit ein Fremdwort. Die Bürozeit war von 8 Uhr bis 16: 40 Uhr und wurde auch meist prompt eingehalten. Als Gruppenleiter hatte ich manchmal länger zu tun. Für mich Junggesellen stellte das aber kein Problem dar.

Schwierigkeiten gab es bisweilen mit zwei älteren Mitarbeitern, Herr Berner und Herr Gerber. Sie waren schon lange bei Daimler und hatten damit einen fast unkündbaren Arbeitsplatz, sofern sie keine goldenen Löffel stahlen. Den lockeren Arbeitsstil bei ihrem früheren Gruppenleiter gewohnt, nahmen sie es mir übel, dass ich die Zügel etwas anzog. Sie wollten anfangs nicht einsehen, dass der Schlendrian aufhören musste und trauerten ihrem Ex-Chef nach.

Ich selbst hatte ihre etwas »freizügige« Art frühzeitig kennengelernt: Kurz nachdem ich bei Daimler angefangen hatte, machten Herr Berner, Herr Gerber und ich eine Visite in unserem Literatur-Außenlager, ein paar Kilometer vom Büro entfernt. Auf dem Rückweg fuhr Herr Berner nach Bad Cannstatt und hielt vor einem Mehrfamilienhaus. Ich hatte keine Ahnung, was sie dort wollten, bis im dritten Stock eine Dame mittleren Alters ihre Wohnungstür öffnete, uns mit ihren beiden weißen Pudeln freundlich begrüßte und in ihre kuschelige Wohnung hereinbat, wo die Tür zum Schlafzimmer weit offen stand. Meine neuen Kollegen wollten mir wohl eine Freude machen, indem sie mir ein Schäferstündchen bei dieser Dame spendierten. Glücklicherweise wehrte ich spontan ab. Unverrichteter Dinge verließen wir dieses Etablissement. Auf der Rückfahrt ins Büro dachte ich: Vielleicht hätte ich es doch machen sollen, von der Dame hätte ich dazulernen können! Als ich Gruppenleiter und damit Chef dieser beiden Herren wurde, war ich froh über die damalige barsche Ablehnung. Sie hätten den Vorfall leicht gegen mich verwenden können.

Zum Ausgleich vom Bürostress machte ich nach Feierabend mit Georg öfter mal Freizeitsport. Die Firma hatte eine Sporthalle, wo wir Tischtennis oder Badminton spielten. Mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ging es alle 14 Tage zum Kegeln. Beim anschließenden Zusammensein in der Kegler-Gaststätte konnte man sich zwanglos über die Arbeit austauschen. Da waren die Leute eher bereit, mir zu sagen, wo sie der Schuh drückte.

Darum in die Ferne schweifen

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