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Die Stilz-Familie

Mein Vater Robert Stilz wurde 1905 als sechstes von sieben Kindern des Weingärtners und Bauern Gottlob Stilz und dessen Frau Martha geboren. Gottlob, mein Großvater, stammte aus dem kleinen Weindorf Schnait im Remstal. Weinbau und Landwirtschaft warfen zu damaliger Zeit keine Reichtümer ab, die meisten dieser Kleinbauern hatten gerade genug zum Überleben. Der Hauptgrund für das eher armselige Leben war die in Württemberg praktizierte Erbteilung: Der Besitz der verstorbenen Eltern, Weinberge, Äcker und Wiesen, wurde unter allen Nachkommen – und das waren zu jener Zeit nicht wenige – mehr oder weniger gerecht geteilt. In der Folge schmolz der Grundbesitz für die einzelnen Erben immer mehr. Manchmal zahlte einer der Söhne seine Geschwister aus, um den kleinen Hof als Ganzes übernehmen zu können. Dazu musste er sich in der Regel Geld durch Kredite und Darlehen besorgen und auf lange Zeit verschulden. Im 19. Jahrhundert versuchten daher viele Schwaben, wie auch die Badener und Pfälzer, ihr Glück und ein auskömmliches Leben durch Auswanderung, hauptsächlich nach Amerika, zu finden.

Gottlob schlug einen anderen Weg ein. Er verließ schon früh sein Heimatdorf und bewarb sich in Stuttgart erfolgreich als Weingärtner für das städtische Weingut. Ob es seine imposante Erscheinung, Charme oder einfach Glück war, weiß ich nicht, doch er fand im Stuttgarter Vorort Sillenbuch die Frau fürs Leben. Dass Martha, aus dem florierenden Elektrogeschäft Löffler stammend, eine ordentliche Mitgift in das eheliche Glück einbrachte, gereichte dabei nicht zum Schaden. In Sillenbuch bezog das junge Ehepaar eine städtische Mietwohnung. Dort kamen auch ihre Kinder zur Welt.

Als fleißige und sparsame Leute schafften Gottlob und Martha es, sich in Schorndorf eine eigene Existenz mit einem stattlichen Bauernhaus, einem Weinberg, Äckern und Wiesen aufzubauen. Mit der Zeit wurde es ein ordentliches Anwesen, das sich sehen lassen konnte. Großvater beeindruckte nicht nur durch seine stattliche Erscheinung. Er konnte auch gut reden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass er schon bald der Ortsbauernführer von Schorndorf wurde.


Familie Gottlob und Martha Stilz, um 1920. Die Kinder, von links:

Paul, Martha, Anna, Ottilie, Friedrich, Mina und Robert

Er war aber auch ein jähzorniger Mensch und gegenüber seinen Kindern oft ein brutaler Vater. Friedrich, der älteste Sohn, ließ es sich nicht sehr lange gefallen und verließ schon in jungen Jahren das Elternhaus, was den Vater erst recht in Rage brachte. Friedrich kam bei der Stuttgarter Straßenbahngesellschaft unter, erst als Hilfsarbeiter, später als Straßenbahnfahrer, und wurde schließlich verbeamtet.

Mina, die älteste Tochter, verschlug es schon bald nach Amerika, wo sie bei entfernten Verwandten in Brooklyn, New York, eine Stelle als Hausmädchen bekam. Sie heiratete Christian Kies, der wie sein Schwiegervater aus Schnait stammte. Aus ihnen wurden gute Amerikaner. Ihre drei Kinder erhielten typisch amerikanische Vornamen: Warren, William und Martha.

Die Zwillinge Ottilie und Martha versuchten ebenfalls ihr Glück in Amerika, angezogen von der älteren Schwester. Doch beide kehrten später nach Schorndorf zurück, heirateten und gründeten ihre eigenen Familien. Die vierte Tochter, Anna, blieb am längsten bei den Eltern im Bauernhaus. Sie war für alle Arbeiten zu gebrauchen. Später hatte sie das Glück, einen »feschen Nationalsozialisten« zu ehelichen. Als Leiter der örtlichen Molkerei war er während des Krieges unabkömmlich und durfte bei seiner Familie bleiben. Sein ältester Sohn, Karl, hatte das zwiespältige Vergnügen, bis zum Zusammenbruch des »Tausendjährigen Reiches« in die Nationalpolitische Lehranstalt, kurz Napola, geschickt zu werden, die Eliteschule für künftige Nazigrößen.

Mein Vater Robert war das zweitjüngste Kind in der Familie. Seine schulischen Leistungen waren schlecht, was jedoch auch dem Umstand geschuldet war, dass er von seinem Vater von Anfang an als billige Arbeitskraft missbraucht wurde. Wenn er von der Schule kam, gab es nach dem Mittagessen sofort Arbeit für ihn im Weinberg, im Viehstall oder auf dem Acker. Am späten Abend war es für Hausaufgaben zu spät. Völlig übermüdet, schlief er häufig darüber ein. Nach der Schulzeit verwehrte sein Vater ihm die Möglichkeit, eine Lehre anzutreten. Als Knecht war er für ihn nützlicher. Später erzählte mein Vater häufig, wie er seinen Vater eines Tages um eine Entlohnung gebeten hatte, worauf dieser barsch erwidert hatte: »Du hast dir noch nicht mal deine Windeln verdient!«

Diese Demütigung vergaß mein Vater sein Leben lang nicht. Um zu etwas Geld zu kommen, verdingte sich Robert neben der Arbeit bei seinem Vater als Jugendlicher und junger Mann als Hilfsarbeiter auf dem Bau. Auch beim Kiesbaggern im Flüsschen Rems, das am elterlichen Haus vorbeifloss, konnte er etwas verdienen.

Der jüngste Sohn, Paul, war ein richtiger »Rackerer«, wie man auf Schwäbisch sagt: Er konnte nicht genug von der Arbeit bekommen und war deswegen der Liebling seines Vaters. Aus diesem Grund sollte er den Hof erben. Dazu kam es aber nicht. Paul blieb auf dem Schlachtfeld des schrecklichen Krieges.

Darum in die Ferne schweifen

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