Читать книгу Darum in die Ferne schweifen - Werner Stilz - Страница 8
ОглавлениеParkinson 1
Erste Begegnung mit Morbus Parkinson
Gudrun war eine begnadete Hobby-Malerin. Ihre Aquarelle, die sie bei gelegentlichen Vernissagen ausstellte, meist Stillleben mit Schwerpunkt Blumen, gefielen mir ausgesprochen gut. Auch ich begann vor etlichen Jahren, nachdem ich im Ruhestand war, hobbymäßig mit der Aquarellmalerei und bevorzugte die gleiche, lockere Stilrichtung wie Gudrun. Doch ich wollte malen, und sie konnte es!
Ich lernte Gudrun im Fitnessstudio kennen. Ein- bis zweimal in der Woche ging ich zur Gymnastik der »Best Ager«, womit diskret angedeutet ist, dass die Mitglieder ihre besten Jahre hinter sich haben. Die für uns Rentner anspruchsvolle Gymnastik konnte Gudrun schon lange nicht mehr mitmachen. Sie blieb an den Geräten. Die Übungen gelangen ihr nur unter größter Mühe. Die Gewichte, die sie sich auflegen ließ, wurden immer leichter. Doch Gudrun war zäh, sie ließ sich nicht unterkriegen. Selbst als sie sich von ihrem Freund Peter im Rollstuhl zum Fitnesscenter fahren lassen musste, war sie stets bei der Kaffeerunde nach der Übungsstunde dabei. Ihre Bewegungen waren mehr und mehr eingeschränkt, das Reden fiel ihr immer schwerer. Die böse Krankheit beherrschte ihren Körper vollkommen. Eines Tages hatte Morbus Parkinson obsiegt, wir nahmen Abschied.
Das war vor etwa sechs Jahren. Natürlich verschwendete ich damals noch keinen Gedanken daran, dass es mir selbst einmal ähnlich gehen könnte. Doch nun ist es sicher und amtlich: Auch ich habe Parkinson.
Wie fing das alles an? Im April 2017 bekam ich eine starke Erkältung. Ich fühlte mich damals ziemlich elend, wachte nachts schweißgebadet auf, stellte mich bei allem, was ich tat, ungeschickt an, war müde. Meine Hausärztin verschrieb mir ein Antibiotikum, eine große Tablette, von der ich drei Stück pro Tag nehmen sollte. Nach etwa einer Woche ging es mir wieder besser. Ich wagte mich aus dem Haus und auch wieder ins Fitnessstudio. Gerhard, ein Sportfreund, fragte mich unter der Dusche: »Hast du abgenommen?«
Ich schaute auf meinen Bauch und antwortete nur: »Schön wäre es!«
Doch die Waage gab dem Sportfreund recht: Sie zeigte fünf Kilogramm weniger an. Ich konnte mir diesen raschen Gewichtsverlust nicht erklären. Meine Hausärztin maß dem keine große Bedeutung bei. Doch mir ließ der große und plötzliche Gewichtsverlust keine Ruhe. Mein erster Gedanke war: Du hast Krebs! Ich wusste von einer Bekannten, wie sie festgestellt hatte, dass ihr Mann an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt war. Sehr plötzlich hatte er Gewicht verloren. Außerdem waren drei meiner Cousins an dieser fürchterlichen Krebsart gestorben.
Die Alarmglocken klingelten sofort bei mir. Ich wandte mich erneut an meine Hausärztin. Sie blieb weiterhin gelassen: »Es kann schon mal passieren, dass das Gewicht runtergeht, vor allem nach der Einnahme von Antibiotika. Also bitte keine Panik!«
Natürlich ist es ihre Pflicht als Ärztin, ihre Patienten zu beruhigen. Doch bei mir gelang es ihr nicht so recht. Ich bestand darauf, dass sie mich zu einer Magen- und Darmspiegelung überwies. Als diese keinen Befund ergab, atmete ich auf. Auch die folgenden CT- und MRT-Untersuchungen brachten keine Hinweise auf eine ernsthafte Erkrankung, nur die Lunge zeigte einen kleineren dunklen Fleck. Also alles okay!
Zweifel blieben dennoch. Ich fühlte mich weiterhin matt, schlief schlecht. Oft war mir schwindelig. Außerdem fing meine linke Hand zu zittern an. Die Gymnastik-Übungen mit meinen »Best-Agern« im Fitness-Studio musste ich sein lassen. Nur an den Geräten fühlte ich mich noch sicher.
Allmählich verfestigte sich in mir eine bedrohliche Ahnung: Alzheimer oder Morbus Parkinson. Es folgte ein erster Besuch beim Neurologen. Er untersuchte meinen Kopf, machte ein paar Tests – wie den bekannten Uhrentest – und schickte mich wieder weg: »Sie sind nicht dement.«
Weder er noch meine Hausärztin kamen auf die Idee, dass es Parkinson sein könnte. Doch mir schien dieses Krankheitsbild immer mehr als das wahrscheinlichste. Ich verlangte eine erneute MRT-Untersuchung. Diese bestätigte meinen schrecklichen Verdacht. Die Hausärztin schickte mich zu einem anderen Neurologen. Er erkannte sofort, was Sache war.
Zunächst fasste er meinen linken Unterarm und bewegte ihn vorsichtig auf und ab.
»Ganz lockerlassen«, forderte er mich auf, schnappte sich den rechten Arm und wiederholte die Bewegungen. Dann ließ er mich auf dem Gang vor seinem Arztzimmer drei-, viermal auf- und abgehen. Zuletzt erklärte er mit fester Stimme, was ich eigentlich schon wusste: »Es besteht kein Zweifel. Sie haben Morbus Parkinson.«
Er verschrieb mir das Arzneimittel Levodopa. Ich sollte morgens, mittags und abends erst eine halbe, später eine ganze Tablette einnehmen. Inzwischen sind es zwei. Diese Arznei zeigte zunächst keine Nebenwirkungen. Ich schien sie gut zu vertragen. Beim zweiten Besuch verschrieb mir der Neurologe zusätzlich Pramipexol. Davon sollte ich eine Tablette einnehmen. Für die Nacht kam noch eine Levodopa-Retard-Tablette dazu. Beide Medikamente sollen das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen.
Auch wenn die Prognose Morbus Parkinson nicht schön klingt, war ich doch irgendwie erleichtert, dass ich endlich aus Expertenmund erfuhr, woran ich war. Meine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich zumindest nicht. Ich war weder an (fast immer tödlichem) Bauchspeicheldrüsenkrebs noch an Leberkrebs erkrankt.
Im Laufe der Zeit habe ich einen häufig genannten Satz verinnerlicht: An Parkinson stirbt man nicht! Dabei verdränge ich nicht die Tatsache, dass die Krankheit oft die Ursache für schwere Stürze ist – mit den bekannten Folgen.
Was ist eigentlich Morbus Parkinson?
Im Jahr 1817 beschrieb der britische Arzt Dr. James Parkinson in seiner »Abhandlung über die Schüttellähmung« zum ersten Mal die unheilbare Krankheit, die nach ihm benannt wurde. Sie beginnt im Gehirn, wo sich die Nervenzellen mithilfe von bestimmten Botenstoffen verständigen. Für Morbus Parkinson ist Dopamin der entscheidende Botenstoff. Er sorgt dafür, dass die Nervenzellen die Bewegungen der Muskeln miteinander abstimmen. Bei der Parkinson-Krankheit sterben die Gehirnzellen, die Dopamin herstellen, nach und nach ab. Ohne Dopamin können die Nervenzellen die Bewegungsabläufe nicht mehr richtig koordinieren. Parkinson-Patienten fällt es zusehends schwerer, ihre Bewegungen zu steuern, die Kontrolle über die Muskulatur geht verloren. Warum die Nervenzellen absterben, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Die Symptome sind klar erkennbar: Betroffene bewegen sich zunehmend langsamer. Es fällt ihnen immer schwerer, eine Bewegung zu beginnen. Außerdem werden die Muskelbewegungen kleiner. Die Arme schwingen weniger mit, die Schritte werden kürzer. Die Schrift wird kleiner und unleserlicher, die Stimme leiser und undeutlicher. Mit der Zeit wird schließlich das Gesicht immer ausdrucksloser. Man redet vom Botox-Gesicht.
Weitere Symptome treten hinzu: Schlafstörungen, schwindender Geruchssinn, Veränderung von Körperfunktionen wie Blutdruck, Blasen- und Darmtätigkeit, Schluckbeschwerden, Schwindel oder gestörte sexuelle Funktionen. Auch Vergesslichkeit und Erinnerungslücken sind oftmals auf Morbus Parkinson zurückzuführen.
Diese einfache und laienhafte Beschreibung umfasst natürlich nicht die ganze Vielfalt der Symptome und möglicher Krankheitsverläufe. Auch scheint es bei jedem Patienten andere Schwerpunkte zu geben. Nur eines ist sicher: eine Heilung gibt es bis heute nicht.
In der Parkinson-Klinik, Mai 2018
Bald nachdem die Diagnose feststeht, melde ich mich bei der Deutschen Parkinson Vereinigung e.V. als Mitglied an. Von dort erhalte ich eine Liste der Parkinson-Kliniken in Deutschland. Schließlich erteilte mir die Parkinson-Klinik Wolfach die Zusage für einen zweiwöchigen Aufenthalt.
Ich möchte schnellstmöglich wissen, wie es um mich steht. Ausführliche Untersuchungen und Gespräche mit den Ärzten sollen mir helfen, mehr über mein Krankheitsbild zu erfahren. Vielleicht können die angebotenen Therapien sogar eine Verbesserung herbeiführen? Vor allem aber erwarte ich mir eine psychologische Betreuung, um über meine depressive Phase hinwegzukommen. Auf die Gespräche mit anderen Betroffenen bin ich gespannt. Ich erhoffe mir ganz praktische Hilfe, wie ich mit Morbus Parkinson umgehen muss.
Anfang Mai 2018 fahre ich mit meiner Frau Margret nach Wolfach. Die Klinik liegt idyllisch am Hang mit einem schönen Garten, wo gerade die Rhododendren blühen. Die Aufnahme in meinem Zimmer erfolgt durch den Stationspfleger Arno, ein freundlicher Einheimischer mit alemannischem Dialekt. Er notiert genau, zu welchen Zeiten ich welche Medikamente einnehme.
Nachdem sich Margret verabschiedet hat, schaue ich mich im Haus um. Außer Speisesaal und den Therapieräumen entdecke ich einen Fernsehraum und eine Bibliothek, die aber auf den ersten Blick nur verstaubte Bücher zu bieten hat, Mario Simmel, Agatha Christie und andere. Nach viel Abwechslung sieht das nicht gerade aus. Eine gewisse Tristesse schleicht sich bei mir ein. Für einen Spaziergang ist es zu spät, da der Ortskern in einiger Entfernung liegt. Außerdem ist es draußen nass und kalt. Ich bin müde und lege mich gleich in mein Krankenhausbett.
Das erste Abendessen. Es wird mir ein Tisch zugewiesen, an dem schon drei Männer sitzen. Der Jüngste, Herr Engel, etwa 45 Jahre alt, zittert stark mit der rechten Hand. Er kommt aus Nöttingen, ein Ort ganz in meiner Nähe. Mit ihm unterhalte ich mich über den FC Nöttingen, der in der letzten Saison noch in der hochklassigen Fußball-Regionalliga spielte, jetzt aber in die Oberliga abgestiegen ist.
Herr Dr. Schubert sitzt mir gegenüber. Seine Haltung ist stark gebückt. Zum Gehen benötigt er einen Rollator. Er erzählt, dass er bereits öfter gestürzt ist. Das verraten auch seine Narben im Gesicht. Er ist mir sympathisch, nicht zuletzt, weil er als Einziger offen über seine Probleme redet. Wir sind beide Jahrgang 1943. Allerdings muss ich mich anstrengen, ihn zu verstehen, weil er sehr leise spricht. Der dritte Tischnachbar, Herr Braun, an dem ich den bekannten »Schüttelkopf« bemerke, ist ebenfalls kaum zu verstehen. Aber er verhält sich meist still. Innerlich stelle ich fest: Mit meiner Schwerhörigkeit werde ich Probleme haben, ordentliche Unterhaltungen zu führen.
Nach dem Essen verabschieden sich alle sehr schnell. Obwohl wir unter der gleichen Krankheit leiden, werden wir uns in den nächsten zwei Wochen nicht wirklich näherkommen. Wir sind Fremde, die etwas gemein haben: den Verfall des eigenen Körpers. Meist reden wir über Belangloses. Das Wichtigste, unsere Krankheit, klammern wir lieber aus.
Als ich nach meinem ersten Abendessen in der Klinik in mein Zimmer zurückkehre, liegt dort der Patienten-Tagesplan für die nächsten Tage. Morgen, am Samstag, stehen ein Vortrag über Pflegeversicherung und Gruppengymnastik mit Bällen auf dem Programm. Ansonsten tut sich am Wochenende wenig.
Ein normaler Patienten-Tagesplan sieht dann ungefähr so aus:
7: 00 Uhr bis 7: 25 Uhr: Schellong-Blutdruckmessung
Zwischen 10: 00 Uhr und 10: 35 Uhr: Visite, in aller Regel durch den Oberarzt und drei Assistenzärzte; sie kommen ins Zimmer, schauen mich an, kontrollieren die Handgelenke, lassen mich ein paar Schritte gehen und fragen nach meinem Befinden. Dann unterhalten sie sich untereinander und machen Notizen in der Patienten-Kladde. Ohne weitere Erklärungen rauschen sie wieder aus dem Zimmer.
10: 40 Uhr bis 11: 05 Uhr: Ergotherapie, unter anderem Übungen mit meiner linken, schwachen Hand. Kneten ist angesagt. Das ist ganz schön anstrengend.
12: 30 Uhr bis 12: 55 Uhr: Feinmotorik-Gruppe, in der wir kleine Bälle rollen oder große Streichhölzer sortieren.
13: 00 Uhr bis 13: 25 Uhr: Gruppengymnastik.
15: 00 Uhr bis 15: 25 Uhr: Sprachtherapie in der Gruppe.
Sprachtherapie und Gymnastik werden auch für einzelne Patienten angeboten.
Während meines Aufenthalts in der Klinik führe ich auf persönlichen Wunsch ein Gespräch mit einem Psychiater zur Krankheitsbewältigung. Dabei erwähne ich auch meine depressiven Phasen. Mein freundliches Gegenüber hört mir aufmerksam zu und macht sich Notizen. Konkrete Vorschläge hat er nicht für mich.
Hilfreicher ist ein Gespräch mit der Sozialarbeiterin. Sie erklärt mir, wie man beispielsweise einen Schwerbehindertenausweis oder – was bei mir hoffentlich noch lange nicht eintritt – Pflegestufen beantragt.
Mein Blutdruck variiert stark: Am Morgen sehr niedrig (bis 90 SYS abfallend), am Abend sehr hoch (bis 165 ansteigend). Zur besseren Kontrolle erhalte ich ein 24-Stunden-Messgeerät, das mir um den Hals gehängt wird. Das automatische Aufpumpen am Oberarm ist lästig. An Schlaf ist nicht mehr zu denken.
Mein Medikamentenplan vergrößert sich enorm. Vor meinem Klinikaufenthalt nahm ich drei verschiedene Parkinsontabletten, eine halbe Schilddrüsen-Tablette, eine Blutdruck- und eine Prostata-Tablette gegen den Harndrang ein. Jetzt sind es insgesamt neun Tabletten, die ich zu sechs verschiedenen Uhrzeiten nehmen muss. Die erste um 6: 30 Uhr (Schilddrüse), die letzte um 22 Uhr (Levodopa 100/25 Retard). Was mich besonders verwundert: Schon am zweiten Tag meiner Anwesenheit in der Klinik haben die Ärzte die Zahl der Parkinson-Medikamente verdoppelt. Konnten die so schnell wissen, was bei mir zu ändern war?
Nur einmal in den zwei Wochen meines Aufenthalts lässt sich der Chefarzt bei einer Visite sehen. Auch er beantwortet meine Fragen ausweichend und ist rasch wieder aus dem Zimmer. Andererseits: Im Gespräch mit einem anderen Patienten, bei dem sich nebenbei herausstellt, dass wir Kunden seiner Rollladenfirma in Ettlingen sind, wird der Chefarzt sehr gelobt. Dieser Patient kommt jährlich mindestens einmal in die Klinik, um sich vom Chef persönlich behandeln zu lassen, mit offensichtlichem Erfolg. Ihm sieht man seine Krankheit nicht an.
Glücklicherweise gibt es auch erquickende Momente. Wie sich herausstellt, spielt Herr Schubert gerne Schach. Schon haben wir eine gute Abendunterhaltung. Allerdings hält er seinen Kopf so weit unten und überlegt so lange, dass ich manchmal denke, er ist jetzt eingeschlafen. Wir sind ungefähr gleich stark (oder eher gleich schwach), so dass uns das Schachspiel Spaß macht.
Dreimal besuche ich das Städtchen Wolfach. Die Kinzig fließt mitten durch den Ort und prägt das idyllische Stadtbild. An einem Sonntag fahre ich mit der Bahn in die Nachbarstadt. Dort, so habe ich gelesen, befindet sich eine große Modell-Eisenbahn-Ausstellung. Der Ausflug lohnt sich. Eine Strecke der Schwarzwaldbahn ist naturgetreu nachgebildet. Ich kann mich kaum sattsehen.
Als mich meine Frau am Schluss der Kur abholt, bin ich erleichtert. Ich habe weniger neue Erkenntnisse gewonnen, als ich mir erhofft hatte.
Die Parkinson-Gymnastik
Daheim nehme ich weiterhin einmal pro Woche an der Gymnastik einer Parkinson-Selbsthilfegruppe teil, zu der ich mich im Oktober 2017 angemeldet hatte. Den Hinweis darauf entnahm ich dem örtlichen Amtsblatt. Wir sind eine Gruppe von zehn bis zwölf Patienten, zur Hälfte männlich und weiblich. Während der Gymnastik sitzen wir auf Stühlen im Kreis. Angeleitet von einer Übungsleiterin, machen wir Dehn- und Streckübungen, im Stehen und Sitzen. Die Übungen sind einfach, damit alle Anwesenden sie mitmachen können, ganz unabhängig davon, wie weit die Pechkrankheit schon fortgeschritten ist. Außerdem marschieren wir viel auf der Stelle. Einmal im Monat gehen wir zusammen in ein nahegelegenes Restaurant zum Mittagessen. Leiter der Gruppe ist Berthold. Er ist von Anfang an dabei, nicht als Betroffener, sondern als Angehöriger. Seine Frau litt sieben lange Jahre an der Krankheit. Er betreute sie liebevoll und leitete gleichzeitig die Parkinson-Gruppe. Auch nachdem seine Frau inzwischen verstorben ist, macht er weiter. Neulich erwähnte er, dass er selbst Prostatakrebs hat, wegen seines hohen Alters – er ist 83 – aber nicht mehr operiert wird. Ein herzensguter Mensch, der über seine eigenen Probleme nicht groß redet.
Bei einigen von uns muss man genau hinsehen, um Parkinson-Symptome zu entdecken. Andere sind bereits gezeichnet, wie zum Beispiel Manfred, der im Pflegeheim wohnt, in dem die Gymnastik stattfindet. Er sitzt im Rollstuhl und kann Arme und Beine nur wenig bewegen. Trotzdem ist er jedes Mal dabei. Bei Herbert, erst 60 Jahre alt, ist das Sprechvermögen stark eingeschränkt. Vor einem halben Jahr stürzte er fatal und zog sich einen Oberschenkelhalsbruch zu. Auch er ist seitdem an den Rollstuhl gefesselt. Bei sich zu Hause hat er einen Treppenlift einbauen lassen.
Doris ist regelmäßige Teilnehmerin. Ihr Mann, den sie begleitete, verstarb vor ein paar Jahren. Drei weitere Teilnehmerinnen sind keine Betroffenen, begleiten aber ihre Männer zu unseren Treffen. Wobei natürlich auch die Ehegatten auf ihre Art Betroffene sind.
Neulich erst kam ein Ehepaar zum »Schnuppern« in die Runde. Es waren Josef und Helga, zwei alte Bekannte aus meinem Dorf. Josef und ich waren lange Jahre im Gesangverein Etzenrot aktiv. Beide wussten wir nicht voneinander, dass wir von der gleichen Krankheit betroffen sind. Statt der gemeinsamen Leidenschaft für das Singen führt uns nun ein gemeinsames Leiden zusammen. Ein Leiden, das uns auf beklemmende Weise gleichmacht. Mehr und mehr bemerke ich, wie wichtig es ist, meine Individualität zu behaupten.