Читать книгу Darum in die Ferne schweifen - Werner Stilz - Страница 19
ОглавлениеZurück in Deutschland
In Schorndorf kam es mir vor, als hätte sich in den vier Jahren meiner Abwesenheit nichts verändert. Meine Eltern aber, inzwischen schon 64 und 63 Jahre alt, waren froh, dass einer der Söhne wieder zuhause war und das eine oder andere für sie regeln konnte. Mein Vater hielt sich weiterhin am liebsten in seinem Weinberg auf. Statt mit dem Leiterwagen war er nun mit seinem Goggomobil, Modell Sportcoupé, zum Weinberg unterwegs.
Beruflich war er für die Fruchtsaftkellerei Ricker tätig. Scherzhaft nannten wir ihn den »Pressechef«: An der Apfelpresse schüttete er zusammen mit anderen Arbeitern die zerkleinerten Äpfel in ein sackartiges Tuch, legte darüber ein flaches Holzgerüst und schüttete in das nächste Tuch eine weitere Ladung Äpfel. So ging es Lage auf Lage, bis die Presse voll war und eine große Metallspindel von oben die Äpfel zerdrückte und unten der köstliche Saft herauslief.
Saison für Saftherstellung ist erntebedingt der Spätsommer und der Herbst. Dann stand er täglich an der Presse. Die restliche Zeit des Jahres war er im Lager tätig, manchmal auch als Beifahrer im Lkw bei der Auslieferung der Ware an Getränkehandlungen in ganz Süddeutschland. Daneben bearbeitete er auch den kleinen Weinberg des Saftfabrikanten.
Fantis Geschichte
Im alten Teil des Hauses, in der früheren Wohnung meiner Großmutter, die während meiner Zeit in Kanada verstorben war, wohnte inzwischen eine griechische Familie, Johann und Domna mit Töchterchen Efanthia, genannt Fanti. Sie waren typische Gastarbeiter, fleißig am Fließband arbeitend und sparsam. In der griechischen Heimat hatten sie längst ihr Häuschen gebaut. Einmal im Jahr ging es auf Heimaturlaub, wegen der umfangreichen Mitbringsel mit dem Bus. Sie putzten ihr Haus und richteten es wieder her. Johann reparierte die kleinen Schäden, die innerhalb eines Jahres an einem unbewohnten Gebäude unvermeidlich auftreten. Sie beabsichtigten, eines Tages für immer in dieses Haus einzuziehen, sobald sie in Deutschland genug verdient hätten. Wie bei so vielen anderen Gastarbeitern kam es aber nicht dazu. Sie blieben für immer in Deutschland.
Da ihre Eltern tagsüber arbeiteten, wurde Fanti nach der Schule von meiner Mutter betreut, ihrer Ersatzoma. Nach dem schwäbischen Mittagessen fuhr »Opa Robert« sie im Goggomobil dreimal wöchentlich zur griechischen Schule. Abends kochten Fantis Eltern gut und kräftig Griechisch. Die Folgen waren nicht zu übersehen. Fanti wurde mit der Zeit ein Dickerchen. In der Schule kam sie gut zurecht und zählte zu den Klassenbesten. Während ihre Eltern, vor allem ihr Vater Johann, sich mit der deutschen Sprache lange Zeit schwertaten, absolvierte Fanti nach Beendigung der Realschule eine Ausbildung bei der Volksbank, und wurde später – längst eine hübsche, schlanke junge Frau – Leiterin einer Volksbank-Filiale. Seit einigen Jahren betreibt sie ihre eigene Firma für Finanz- und Versicherungsberatung in Schorndorf mit zwei oder drei Angestellten. Meine Eltern verfolgten Fantis Entwicklung stets aufmerksam. Sie war schließlich als Kind ein Teil der Familie.
Der Lebensabend meiner Eltern
Die Spuren eines harten, arbeitsreichen Lebens waren bei meinem Vater unverkennbar. Das Gehen fiel ihm zusehends schwer. Dabei blieb es auch mit den künstlichen Hüftgelenken auf beiden Seiten. Im Weinberg jedoch, sagte er häufig, spürt er keinen Schmerz. Bei schweren Arbeiten, wie dem Spritzen der Reben gegen allerlei Laubkrankheiten, ging ich ihm samstags zur Hand. Es mussten Schläuche für die Spritzflüssigkeit gelegt und durch die Reihen der Rebstöcke gezogen werden. Dazu brauchte es mehr als zwei Hände. Für das Spritzen benutzte er einen Motor, der aber manchmal nicht anspringen wollte.
Ein schönes Erlebnis war in jedem Herbst die Weinlese. Dabei fehlte es nie an freiwilligen Helfern. Weil der Weinberg klein war und die Helferschar groß, war die Lese der süßen Trauben bald beendet. Ein zünftiges Vesper mit ausreichend Rot- und Weißwein vor oder im Weinberghäuschen war in jedem Jahr der Höhepunkt des fröhlichen Treibens. Auch einige Familienangehörige aus der väterlichen Verwandtschaft, mit der er viele Jahre lang wegen der Erbstreitigkeiten verfeindet gewesen war, kamen gerne in den Weinberg zur Lese. Inzwischen hatten sich alle wieder versöhnt. Abends holte ein befreundeter Weingärtner mit seinem Traktor den Anhänger mit den Zubern ab, jeweils einen für die Trollinger- und einen für die Riesling-Trauben.
In der Kelter der Weingärtnergenossenschaft werden die Trauben in eine Raspel geschüttet, welche die Stiele entfernt. Das ist nochmals richtig schwere Arbeit, vor allem, wenn man vorher genüsslich dem Wein zugesprochen hat! Danach wird die süße Maische auf zwei Arten gemessen. Einmal wird das Gewicht in Kilogramm gewogen, zum anderen wird mit der Öchsle-Waage der Zuckergehalt bestimmt, der die Güte der Trauben anzeigt. Je höher der Öchslegrad, desto höher fällt später die Vergütung an die Genossenschaftsmitglieder aus. Diese Auszahlung findet in der Regel drei Jahre später statt, weil auch die erzielten Verkaufserlöse der Weine eine wesentliche Rolle spielen. Mein Vater ließ sich seine Vergütung zu einem Teil als »Rücklieferungswein« auszahlen.
Finanziell ging es meinen Eltern zufriedenstellend. Von ihrem Ersparten kauften sie zwei kleine Eigentumswohnungen, die sie gut vermieteten. Andererseits waren sie zu gutgläubig. Eines Tages erfuhr ich, dass dubiose Handwerker das Dach des Hauses neu decken wollten. Sie hatten an der Haustüre geklingelt und behauptet, schädliche Dachplatten von der Straße aus gesehen zu haben. Mein Vater glaubte ihnen und unterschrieb einen Arbeitsauftrag mit einem horrend hohen Festpreis. Sie wollten schon am nächsten Tag anfangen. In letzter Minute konnte ich die Gauner stoppen und vertreiben.
Ich werde Weinbergbesitzer
Adolf Stilz, Bundesbahnhauptsekretär und ein weitläufiger Verwandter, hatte seinen kleinen Weinberg neben dem meines Vaters. Er bereitete sich auf den Vorruhestand vor, um sich noch mehr seinem Hobby widmen zu können. Er sah, dass meinem Vater die Arbeit in seinem Wengert (schwäbisch für Weinberg) immer schwerer fiel, und unterstützte ihn beim Spritzen und anderen schwierigen Arbeiten. Durch meinen Beruf – davon gleich mehr – hatte ich leider inzwischen wenig Zeit, meinem Vater zur Hand zu gehen.
Adolf war am Erwerb des Wengerts meines Vaters sehr interessiert. Nach langer Bedenkzeit kam es Mitte der Siebzigerjahre zu folgender Übereinkunft: Meine Eltern schenkten ihren Weinberg den Söhnen Rolf und Werner zu gleichen Teilen. Rolf konnte im fernen Kanada mit dem Weinberg natürlich nichts anfangen. Er verkaufte ihn an Adolf. Der Grafenberg, auf dem die Rebstöcke standen, war Naturschutzgebiet und damit von einer Bebauung ausgeschlossen. Entsprechend war der Verkaufserlös nicht hoch. Rolf freute sich trotzdem über die überraschende Überweisung des vereinbarten Betrags. Von meiner Hälfte verpachtete ich den mit Reben bepflanzten Teil zu einem symbolischen Pachtzins an Adolf. Die untere Hälfte, auf dem das Wengerthäuschen stand, in welchem die lustigen Partys nach der Weinlese stattfanden, behielt ich und pflanzte später ein paar Apfelbäumchen darauf. Ich wollte es als Wochenendgrundstück nutzen.
Schon etliche Jahre vorher hatten sich meine Eltern vom hinteren Teil des großen Gartens beim Haus getrennt. Unser Nachbar, Heinz Heim, betrieb eine Gärtnerei für Bonsaibäume und Gartensträucher aller Art. Er benötigte Platz für eine Erweiterung seines Schaugartens. Dafür bot sich unser Grundstück bestens an. Der Kaufvertrag wurde bereits 1970 geschlossen. Vor allem meine Mutter war erleichtert und schränkte den Gemüseanbau ein. Doch auf ihre Blumenbeete und vor allem auf ihre schönen Rosen verzichtete sie noch lange nicht.
Im alten Teil des Hauses wohnte inzwischen ein griechisches Ehepaar mit drei Söhnen. Einer von ihnen zog in die Dachwohnung um. Ich schrieb in den Mietvertrag die Bedingung, dass er regelmäßig das Gras mähen muss, als Gegenleistung für einen geringen Mietzins. Er kam dieser Verpflichtung mehr oder weniger gut nach. Für meinen Vater war das eine weitere Entlastung, denn Anfang der Achtzigerjahre ließ seine Gesundheit sichtbar nach. Er bekam Probleme mit der Prostata und musste operiert werden.