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In die weite Welt

Der Alltag in meinem neuen Job

Im Jahr 1978 war ich erstmals in den wichtigen Märkten Singapur, Malaysia, Indonesien, Thailand und Philippinen unterwegs, um unsere Auslandsvertretungen kennenzulernen. In Singapur und Malaysia hatte Bosch eine eigene Regionalvertretung. Ich besuchte auch wichtige Kunden, die Großhändler im Kfz- Ersatzteilgeschäft, um mir ein Bild der jeweiligen Märkte zu verschaffen. In den meisten Fällen erlebte ich engagierte und überaus kooperative Händler.

Interessant ist in dem Zusammenhang zu erwähnen, dass fast alle Händler in dieser Branche chinesischer Abstammung sind. Dies trifft auf Singapur, Malaysia, Philippinen, Thailand und auch Indonesien zu. Meist ist es die dritte oder vierte Generation von Auswanderern, die einst in die umliegenden Länder aufgebrochen waren, um sich neue Existenzen dort aufzubauen. In den meisten Fällen stammten sie aus der bitterarmen Provinz Fuchian, deren Menschen als besonders fleißig und erfinderisch gelten.

In der neuen Heimat erwiesen sich die Chinesen in der Regel erfolgreicher als die Einheimischen, waren aber oft der Willkür und Benachteiligung durch die jeweiligen Regierungen ausgesetzt. In Thailand und Indonesien mussten sie ihre chinesischen Namen ablegen und einheimische Nachnamen annehmen. In Indonesien verübte die einheimische Bevölkerung vereinzelt sogar Pogrome gegen die chinesischen Einwanderer. Gleichwohl hielten und halten diese Menschen bis heute an ihrer ursprünglichen Identität fest. Noch immer schicken sie ihre Kinder, wenn es irgendwie geht, in chinesische Schulen und leben auf chinesische Art, am besten in Chinatown.

Ich baute ein gutes Verhältnis zu diesen Kunden auf. Traf ich bei Besuchen in Manila ein, luden mich einige der großen Händler sogleich zu einem opulenten chinesischen Begrüßungsessen ein. In Thailand war es ähnlich, nur wurde ich dort zum Abschluss fürstlich bewirtet. Man könnte nun annehmen, dass sie dies nur mit dem Hintergedanken machten, um geschäftliche Vorteile dadurch zu erreichen. Sie hätten aber bald gemerkt, dass sie bei mir damit auf Granit beißen würden. Mein schwäbischer Spar- und Gerechtigkeitssinn kam mir ganz eindeutig zugute.

Mit der Regionalgesellschaft Singapur/Malaysia und mit den Auslandsvertretungen in den anderen Ländern gestaltete sich die Zusammenarbeit sehr zufriedenstellend. Die Ansprechpartner waren damals größtenteils Bosch-Mitarbeiter, die als Verkaufsleiter oder Serviceleiter die Geschäfte für die Vertretungen betrieben. Preisverhandlungen und Zielvereinbarungen über Umsatz- und Absatzzahlen wurden dadurch jedoch nicht einfacher, im Gegenteil: Die dortigen Bosch-Kollegen setzten sich vehement für das Wohl ihrer Firma ein, zu der sie entsandt wurden und für deren Erfolg sie verantwortlich zeichneten. Die Verträge für solche Auslandseinsätze waren meist auf drei bis fünf Jahre begrenzt.

In den Philippinen wurden wir durch die schweizerische Handelsgruppe F. E. Zuellig vertreten. Verkaufsleiter war Bosch-Mann Gerhard Seeler, den ich aber in dieser Zeit erst kennenlernte. Er wollte mir wohl imponieren und bereitete mir einen außerordentlichen Empfang bei der ersten Visite. Das fing schon damit an, dass er mich bei der Ankunft in Manila direkt am Flugzeug abholte, mir einen Blumenkranz um den Hals hängen ließ und mich an den üblichen Kontrollen vorbei zum Auto brachte. Im noblen Mandarin Hotel hatte er ein Superior Zimmer für mich bestellt, das allerdings um die Mittagszeit, als wir ankamen, noch nicht gerichtet war. Das bedeutete für ihn einen herben Schlag in seinem Bestreben, mich zu beeindrucken. Er veranstaltete einen kleinen Aufstand an der Rezeption und bestand darauf, dass er und sein Gast so lange in der Bar kostenlose Drinks zu sich nehmen, bis das Zimmer bezugsfertig ist. Ich gebe zu, dass mir der Singapore Sling und der Mai Tai hervorragend schmeckten, auch wenn mir das übertriebene Getue meines Gastgebers peinlich war. Doch war dies nicht der einzige Fall, bei dem ich erlebte, wie sich Expats – wie die die ins Ausland entsandten Manager genannt wurden – gegenüber der einheimischen Bevölkerung daneben benahmen. Viele hielten sich für etwas Besseres und schauten auf die Leute herab, bei denen man doch eigentlich zu Gast, ja, ein »Gastarbeiter« war.

Übrigens: Als das Zimmer bezugsfertig war, lagen auf dem Schreibtisch edles Briefpapier und Leder-Kofferanhänger, jeweils mit meinem Namen in Goldschrift darauf. Später erfuhr ich: Herr Seeler war nebenbei der Präsident des Deutschen Clubs in Manila, welcher öfter mal im Mandarin tagte. Daher meinte er, gewisse Privilegien zu besitzen.

Zur Ankurbelung der Umsatzzahlen waren Verkaufswettbewerbe mit Incentive-Reisen nach Deutschland und andere europäische Länder für die Kunden mit den besten Verkaufszahlen ein zugkräftiges Mittel. Gern nahm ich die Aufgabe wahr, zusammen mit Reisebusunternehmen geeignete Routen auszuarbeiten und die Kunden bei diesen Reisen zu begleiten.

Unsere Abteilung Verkauf Übersee (KH/VUB) veranstaltete zudem regelmäßig Konferenzen in unterschiedlichen Ländern, zu denen wir Inhaber, Verkaufsleiter und andere Manager unserer Vertretungen aus ganz Südostasien und Ozeanien einluden. Bei diesen Konferenzen referierten wir über die Ziele und Pläne unseres Geschäftsbereichs, stellten neue Produkte vor und zeigten neue Wege in Werbung und Verkaufsförderung auf. Dabei wurden auch Workshops eingerichtet, in denen die Teilnehmer mitzuarbeiten und zu verschiedenen Themen ihre Beiträge zu leisten hatten. Die Vorbereitung solcher Konferenzen brachte für mich und meine Kollegen viel Arbeit mit sich, die sich bis zur Hotelbuchung, den Einladungen und sogar der Erstellung entsprechender Logos für die einzelnen Tagungen erstreckte. Diese großen Konferenzen, für die natürlich auch ein buntes Abendprogramm ausgearbeitet wurde, waren das Sahnehäubchen unserer Arbeit.

Manchmal veranstalteten wir diese Marketing-Meetings auch in Deutschland, einmal sogar im Winter am schönen Schliersee. Ein Teil der Gäste aus den tropischen Ländern Südostasiens war begeistert vom Schnee, der andere Teil war dem »Erfrieren nahe«. Da halfen auch nächtliche Fackelwanderungen mit Hütteneinkehr wenig – trotz reichlich Jagertee und Glühwein zum Aufwärmen.

Besonders im Gedächtnis blieb eine Konferenz, die unsere Abteilung Übersee zusammen mit der Exportabteilung Europa in Paris veranstaltete. Höhepunkte waren eine nächtliche Lichterfahrt auf der Seine und eine Tour durch die Stadt mit Besuch des Eiffelturms und der vielen anderen Sehenswürdigkeiten. Am Abend gab es ein vorzügliches Varieté-Programm, in dem ein Zauberer unseren Abteilungsleiter Europa, Otto Oesterle, von der Bühne verschwinden ließ. Sekunden später stieg er von einer weit entfernten Treppe fröhlich herab. Herr Oesterle gab das Geheimnis dieses »Tricks« nicht preis. Er hatte es dem Zauberer versprochen. Selbst der Genuss etlicher Gläser Champagner konnte ihn nicht umstimmen.

In Surabaya, Indonesien

Zu meiner Länderverantwortung in Südostasien gehörte auch Indonesien. Unsere dortige Auslandsvertretung Eldimo Primo hatte ihren Sitz in Surabaya auf der Insel Java, mit Niederlassungen in Jakarta und auf Bali. Der Inhaber der Firma war Hari Hartono, ein erfolgreicher und reich gewordener Auslandschinese, der seinen Laden mit harter Hand führte. Seine Angestellten mussten viel arbeiten, hatten aber nichts zu sagen. Er allein hielt die Fäden in der Hand. Das führte natürlich auch mit uns zu gewissen Spannungen, da er manchmal meinte, unsere Vorgaben ignorieren zu können. Er war aber ein wichtiger Kunde, da er über exzellente Kontakte zum Militär verfügte. Für die Militärfahrzeuge lieferten wir zahlreiche Bosch-Erzeugnisse, hauptsächlich Ersatzteile für Diesel-Einspritzpumpen.

In Hartonos Firma herrschten organisatorische Defizite. Mein Abteilungsleiter bat mich, vor Ort einige Dinge in Ordnung zu bringen, die unsere Zusammenarbeit betrafen. 1982 ging ich für einige Monate nach Surabaya. Für asiatische Verhältnisse war diese Stadt ansehnlich, modern und sauber. Die Menschen dort, wie überhaupt in ganz Indonesien, waren unglaublich freundlich und schienen den ganzen Tag gute Laune zu haben, wenn man ihr Lächeln als Maßstab nimmt. Es machte mir Spaß, mit ihnen umzugehen.

Während meines Aufenthalts in Surabaya war ich in einem Gästehaus von Hartono untergebracht. Es lag am Stadtrand neben grünen Reisfeldern. In der Nähe war eine Schule. Kamen die Schülerinnen und Schüler am Morgen in ihren schicken Schuluniformen an meinem Haus vorbei, lachten sie mich, den Fremden aus Europa, freundlich an und versuchten, ihre Englischkenntnisse anzubringen, indem sie mit mir auf Konversation machten.

Das indonesische Essen ist etwas Besonderes. Es gibt viele einfache Gerichte, die trotzdem wunderbar schmecken, weil sie besonders gut gewürzt sind. In noblen Restaurants wurden bis zu acht Gänge serviert! Kellnerinnen in traditionellen Kleidern marschierten dann hintereinander in den Speiseraum, die Speiseteller graziös auf ihren Händen balancierend. Hartono hielt es eher mit chinesischer Kost. Wenn ich bei ihm in seiner Villa zum Essen eingeladen war, wurden schüsselweise große Garnelen serviert.

Während meines Aufenthalts in Hartonos Firma lernte ich Thomas Müller kennen, ein Ingenieur aus dem Servicebereich von Daimler-Benz, der ebenfalls zu einem Einsatz in Surabaya von seiner Firma delegiert wurde. Hartono war auch der Vertreter der Daimler-Benz AG für Indonesien. Das war schön für uns beide, denn wir konnten uns erstens über geschäftliche Dinge austauschen und zweitens an den Wochenenden zusammen etwas unternehmen. Die Umgebung der Stadt war außerordentlich interessant. In den nahen Bergen liegt ein Ort namens Tretes, der über Quellen mit Thermalwasser verfügt. Dort gingen Thomas und ich gerne zum Schwimmen ins herrlich kühle Thermalbad. Welch ein Unterschied zur Hitze in der Stadt! Einmal unternahmen wir einen Ausflug zum 2.300 Meter hohen Mount Bromo, ein immer noch aktiver Vulkan, der ständig Magma speit. Die erste Etappe bewältigten wir mit einem Kleinbus, ehe wir auf Eselsrücken und zu Fuß zum Kraterrand hinaufpilgerten. Das Vulkaninnere, in das wir hinabschauten, beeindruckte uns ebenso sehr wie die Bergwelt ringsum. Auch dem prächtigen buddhistischen Tempel Borobudur statteten wir einen Besuch ab. Bei brütender Hitze kletterten wir die Stufenpyramide hinauf und wieder hinunter. Es lohnte sich.

Hartono blieb ein schwieriger Kunde. Auch von mir ließ er sich nicht gerne etwas sagen. Da nur er wusste, was für seine Firma das Richtige war, beharrte er meist stur auf seinem Standpunkt. Einmal saß ich bei ihm im Büro bei einer kontroversen Unterhaltung. Ich spürte wie mein Stuhl vibrierte. Ich dachte bei mir: Reg’ dich bloß nicht auf. Du musst ganz cool bleiben. Doch es handelte sich um ein kleines Erdbeben, das da gerade zu spüren war. Nichts Aufregendes für die Einheimischen!

Nach intensiven Bemühungen konnte ich den einen und anderen Arbeitsablauf wenn nicht optimieren, so zumindest verbessern. Unsere geschäftlichen Beziehungen brachten es mit sich, dass ich auch die Familie von Mr. Hartono kennenlernte. Er hatte zwei Kinder, eine Tochter, 25 Jahre alt, und den Sohn Rudy, 22. Rudy wäre der natürliche Nachfolger, der das Geschäft des Vaters einmal übernehmen hätte können. Aber er war ein vom strengen Vater eingeschüchterter junger Mann. Hatte sein Vater einmal mehr Gäste in sein Haus eingeladen, hielt er sich am liebsten versteckt. Daher nahm Hartono seine Tochter in seine Firma auf und übertrug ihr einige Aufgaben. Rudy durfte am Rande mitmischen.

Nach drei Monaten fern der Heimat freute ich mich auf meine eigene Familie. Zufrieden und um einige viele Erfahrungen reicher, verließ ich Indonesien.

Ein Jahr nach meinem Einsatz in Surabaya erhielten mein Chef und ich eine offizielle Einladung zur Hochzeit von Mr. Hartonos Tochter, die im Ball Room im Hilton Hotel in Surabaya stattfinden sollte. Hochzeiten werden bei wohlhabenden Asiaten bekanntermaßen immer im großen Stil gefeiert. Den Eltern kommt es aus Prestigegründen darauf an, wichtige Personen des öffentlichen Lebens und viele Geschäftsfreunde einzuladen. Wenn darunter noch ein paar »Langnasen« sind, ist das umso besser fürs Image. Bei den honorigen Gästen handelt es sich oft um für das Brautpaar völlig fremde Menschen. Doch unabhängig davon, dass wir seine Tochter und den Bräutigam kaum kannten, wollten wir Hartono nicht die Freude bereiten und durch unsere Anwesenheit sein Image aufpolieren. Mit dem Ausdruck allergrößten Bedauerns und aus vorgeschobenen Zeitgründen lehnten wir ab. Dennoch galt es, ein angemessenes Hochzeitsgeschenk zu finden. Nach einigem Hin und Her entschieden wir uns für eine Uhr für die neue Wohnung des glücklichen Brautpaars. Bei Juwelier Christ erstanden wir eine schöne, nicht ganz billige Standuhr für die Kommode, die mir auch für mein eigenes Zuhause gut gefallen hätte. Das golden glänzende Stück wurde als Geschenk unserer Firma nach Surabaya geschickt. Ein Dankschreiben erhielten wir überraschenderweise nicht. Bei meinem nächsten Besuch in Surabaya erkundigte ich mich vorsichtig, ob das Hochzeitsgeschenk angekommen sei. Ja, sagte die junge Frau, und vielen Dank. Euphorisch klang das nicht. Nachdem ich mit anderen darüber gesprochen hatte, erkannte ich, dass wir einen schlimmen Lapsus mit diesem Geschenk begangen hatten. Wer einem Chinesen eine Standuhr schenkt, wünscht ihm, nach verbreiteter (abergläubischer) Meinung, Unglück. Schließlich kann eine Uhr stehen bleiben. Den weiteren Geschäftsbeziehungen schadete unser Fauxpas nicht. Hartono war pragmatisch. Außerdem wusste er, dass die« Langnasen« anders ticken.

Ich zog noch eine ganz andere Lehre aus dem Vorfall um das missglückte Geschenk. Unser beliebtestes Werbemittel war ein Schweizer Taschenmesser mit Bosch-Logo. Es zu verschenken, war aber nicht mit chinesischer Konvention vereinbar. Denn auch hier gilt: Wenn du ein Messer verschenkst, willst du ihm Böses antun. Also verkaufte ich es für ein paar Groschen, anstatt es als Präsent an die Händler zu überreichen. (Frei von allen Vorbehalten bedienten sich die Zöllner bei der Einreise gelegentlich in unserem Vorrat an Werbegeschenken. Die Messer erfreuten sich dabei einiger Beliebtheit.)

Andere Länder, andere Sitten

»Burma, was wollen Sie in Burma machen? Goldene Pagoden besichtigen? «, fragte mich mein Vorgesetzter, als ich eine Reise in dieses verschlossene Land vorschlug.

»Natürlich – und nebenbei auch den Kfz-Markt sondieren«, erwiderte ich.

Was mein Vorgesetzter angedeutet hatte, traf ohne Zweifel zu. Burma war damals für uns uninteressant. Der ausgesprochen geringe Bedarf an Autoersatzteilen wurde über das Nachbarland Thailand gedeckt. Die Militärdiktatur hatte das Land wirtschaftlich ausbluten lassen. Für Importe fehlte es an Devisen. Manchmal erreichten uns dennoch Briefe aus Burma, in denen nach Ersatzteilen für Bosch-Einspritzpumpen gefragt wurde. Auf dem veralteten Eisenbahn-Netz, einst von den britischen Kolonialbeamten aufgebaut, verkehrten uralte Henschel-Lokomotiven, die mit Dieselmotoren ausgestattet waren. Die Diesel-Einspritzpumpen stammten von Bosch.

Nach Besprechungen bei F. E. Zuellig in Bangkok flog ich im Herbst 1983 am späten Abend nach Rangun. Beim Start betrachtete ich vom Fenster aus das glitzernde Lichtermeer von Thailands Hauptstadt. Als das Flugzeug zur Landung in Rangun ansetzte, waren überhaupt keine Lichter zu sehen. Erst auf der Rollbahn wurde es etwas heller. Die Beamten der Passkontrolle waren in Wickeltücher gehüllt, wie ich es von Indien kannte. Das Leben hier folgte einem ganz anderen Rhythmus als in Bangkok.

Ein Fahrer mit blauem Turban brachte mich vom Flugplatz ins gebuchte Strand-Hotel. Mein Zimmer und das Badezimmer im altehrwürdigen Kolonialgebäude waren riesig, die Zinkbadewanne stand mitten im Badezimmer. Im Speisesaal wurden die Gäste von barfüßigen Männern in langen weißen Gewändern bedient.

Am nächsten Morgen holte mich ein Mitarbeiter von Zuellig im Hotel ab. Wir besprachen den Ablauf meines Besuchsprogramms. Dann fuhren wir zur Straße, in der die Autoteilehändler ihre Geschäfte betrieben. Einige Läden boten Zündkerzen und Wischblätter von Bosch an, vor allem aber Bosch-Hörner. Lautes Hupen ist in Entwicklungsländern mit chaotischem Verkehr lebensnotwendig! Die Waren wurden über die thailändische Grenze ins Land eingeführt. Der Fahrzeugbestand war beeindruckend: Nirgends zuvor hatte ich so viele uralte Autos und Schrott-Busse auf den Straßen bemerkt wie hier in Burmas Hauptstadt. Die wenigen Fahrzeuge jüngeren Datums waren Pickups und stammten aus japanischer Fertigung. Für Bosch ergaben sich daher in diesem Sektor nur geringe Marktchancen. Doch darauf war ich vorbereitet. Ich suchte wie geplant die Büros der staatlichen Eisenbahngesellschaft auf, um herauszufinden, welchen Bedarf an Ersatzteilen es für unsere Diesel-Einspritzpumpen gab. Hier war ich als Repräsentant der Firma Bosch höchst willkommen. Man hatte sehr viele technische Fragen an mich, die ich leider nicht beantworten konnte. Ich notierte mir alles in ein kleines Notizbüchlein und versprach baldige Antwort. Erstaunlicherweise sprachen die Leute meist ein gutes Englisch, trotz der vielen Jahre Isolation. Auf der anderen Seite wunderte ich mich über die rückständige Organisation bei den staatlichen Einrichtungen: Leitzordner waren wohl noch unbekannt, Schriftstücke wurden in Bündeln durch Schnüre zusammengehalten und füllten ganze Regalwände. Die Sachbearbeiter hatten unter ihren einfachen Schreibtischen kleine Klingeln, mit denen sie ihre Untergebenen riefen, ganz gleich, ob Tee aufgesetzt oder ein Schriftstück vom einen zum anderen Büro weitergereicht werden sollte. Einem dieser Sachbearbeiter war ein Brillenglas gesprungen, doch damit hatte er offenbar wenig Probleme. Ein kleiner Streifen Tesafilm hielt das Glas notdürftig zusammen.

Auf einer Landfahrt fuhren wir ein Stück an einem Fluss entlang. Bei einer Rast am Ufer sah ich, wie Männer in Wickeltüchern an langen Seilen Frachtschiffe zogen, die gegen die Strömung unterwegs waren. Mir war zumute, als würde das vorindustrielle Zeitalter wieder lebendig. Auch in Deutschland hatte es einst »Treidelpfade« entlang der Flussufer gegeben.

Aufmerksam betrachtete ich bei anderer Gelegenheit das Straßenbild von Rangun. Einst beeindruckten die Häuser aus der britischen Kolonialzeit durch ihre Größe und Pracht, jetzt eher durch ihr morbides Aussehen. Für einen Farbanstrich fehlte offenbar das Geld. Die wenigen Autos waren, wie schon erwähnt, uralt und klapprig, die Busse trotzdem alle überfüllt. Bei einem Spaziergang durch die Stadt konnte ich einen Bauern beobachten, der mit etwa sechs Ziegen und einer großen Schelle durch die Straßen zog. Kaum war die Schelle im Einsatz, kamen Leute mit Kannen aus den Häusern. Milch gelangte vom Euter direkt zum Kunden.

Doch ich durfte auch ein Gebäude von atemberaubender Schönheit bewundern: Die Schwedagon-Pagode mit der vergoldeten Stupa ist nah an der Vollkommenheit. Sie steht mitten in der Stadt auf einer kleinen Anhöhe und ist wegen ihrer ausgewogenen Formen und beachtlichen Größe eine große Touristen-Attraktion. Doch auch die Birmanen sieht man dort in großer Zahl. Sie beten, meditieren und opfern oder drapieren neues Blattgold auf die bereits vorhandenen Schichten. Auch die vielen anderen Pagoden mit ihren stehenden oder liegenden Buddhas sind eine Reise in dieses Land wert.

Inmitten dieser eigenartigen Mischung aus Armut, Zerfall und zeitlos schöner Architektur zog vereinzelt die Moderne ein: Zufällig bekam ich mit, wie die erste Rolltreppe Burmas in einem dreistöckigen Warenhaus mit viel Trara und Prominenz in schönen Uniformen eingeweiht wurde.

In einem abgeschotteten Land wie Burma, das inzwischen längst Myanmar heißt, und erst recht in seiner Hauptstadt Rangun, das in Yangon umgetauft wurde, sprach es sich schnell herum, wenn der Vertreter einer ausländischen Firma zu Besuch war. Auch die deutsche Botschaft war über meine Anwesenheit informiert. Ich erhielt einen Termin beim Wirtschaftsattaché, einem noch recht jungen Diplomaten. Er gab mir brauchbare Ratschläge und Informationen über die Wirtschaft und Politik Burmas und lud mich zum Grillfest im Garten der Botschaft ein, das aus Anlass eines deutschen Feiertags gegeben wurde. Welcher Feiertag zelebriert werden sollte, weiß ich nicht mehr. Small Talk mit dem Botschafter, dessen Name ich ebenfalls vergessen habe, und den anderen Gästen, feine Steaks vom Grill, eine angenehme Temperatur und jede Menge Becks Bier, welches zur Kühlung in einer großen Zinnbadewanne mit viel Eiswürfeln aufbewahrt war. Das sind meine Erinnerungen an diesen Tag.

Wieder daheim im Büro, gab ich die technischen Anfragen an unsere versierten Spezialisten in der Serviceabteilung oder an den Produktmanager weiter. Ihre Antworten leitete ich nach Burma weiter. Mit den burmesischen Bahnbehörden hatte ich vereinbart, dass sie ihren Bedarf an Ersatzteilen an uns melden sollten. Ich veranlasste, dass Pro-forma-Rechnungen erstellt und verschickt wurden. Nach internationalen Gepflogenheiten besorgt sich der Kunde daraufhin über sein Kreditinstitut ein Akkreditiv, eine Zusicherung zur Zahlung des Rechnungsbetrags, sofern vom Lieferanten die entsprechenden Verschiffungsdokumente vorgelegt werden. Nicht unerwartet für uns kam es dazu allerdings nicht. Der Devisenmangel verhinderte den Handel. Daher blieb es dabei, dass sich Zuellig, nunmehr verstärkt, auch um den Markt Myanmar kümmern sollte, der von seiner Niederlassung in Bangkok aus deutlich effizienter operieren konnte.

Anfang 1984 kam ein neuer Kollege in unsere Abteilung, Uwe Glock. Er hatte gerade seine duale Ausbildung bei der Berufsakademie abgeschlossen und begann nun bei Bosch KH/VUB seine Berufslaufbahn. Ich hatte die Aufgabe, ihn einzuarbeiten. Schnell bemerkte ich, dass er ein fleißiger und gescheiter junger Mann war, der es bei Bosch zu etwas bringen kann. Bevor er seine erste Geschäftsreise nach Indien machen sollte, musste er auf Anweisung unseres Geschäftsleiters eine ausführliche Analyse des indischen Marktes erstellen. Nachdem er diese Aufgabe mit meiner Unterstützung gut gelöst hatte, durfte er reisen. Er blieb in unserer Abteilung für etwa ein Jahr, dann wechselte er als Junior-Produktmanager in die Marketingabteilung. Dort war er verantwortlich für den Produktbereich Scheinwerfer. Später wurde er Verkaufsleiter in Singapur, einem unserer Schwerpunktmärkte in Asien. Bei den einheimischen Mitarbeitern war er außerordentlich beliebt. Unter seiner Leitung florierte das KH-Geschäft in Singapur. Nach etlichen weiteren Stationen rückte er in den Vorstand des Geschäftsbereichs Security Systems in München auf und wurde schließlich der Vorsitzende. Wir, seine ehemaligen Kollegen bei KH/VUB, freuten uns mit ihm und hofften insgeheim, dass er irgendwann einmal als der Chef unseres Geschäftsbereichs nach Karlsruhe zurückkehren würde.

Einmal um die Welt

Ich jedoch verharrte gern in meiner Position als Länderreferent. Durch eine Umschichtung in der Verantwortung war ich jetzt auch für die Märkte Australien, Neuseeland und Ozeanien zuständig. In Australien war Bosch schon seit langem mit einer Regionalgesellschaft mit Fertigungsstätten für Autoersatzteile vertreten. Im Management von Bosch Australien saßen etliche Bosch-Mitarbeiter, sodass die Zusammenarbeit im Großen und Ganzen problemlos verlief. In Neuseeland war die Situation ganz anders. Dort hatten wir gleich zwei Auslandsvertretungen, eine auf der Nordinsel, die andere auf der Südinsel. Bei meinen Aufenthalten dort gab es neben der Arbeit im Büro und Ortsterminen bei Händlern an Wochenenden auch die Gelegenheit zum Sightseeing.

Sowohl Australien als auch Neuseeland haben für Reisende viel zu bieten. Einmal wurde ich vom Verkaufsleiter der Südinsel Neuseelands zum Skifahren eingeladen. Es gibt dort wunderschöne Skigebiete. Interessanterweise kamen die meisten Gäste aus dem fernen Japan. Manche Liftanlagen gehörten sogar japanischen Firmen. Auf der gleichen Reise besuchte ich auch die Südsee-Inseln Neukaledonien und Tahiti. Das waren zwar winzige Märkte für uns, doch hatten wir auch dort unsere Auslandsvertretungen, die Anspruch auf einen persönlichen Kontakt erhoben. Französische Fahrzeuge dominierten, denn beide Inseln gehören zum französischen Überseeterritorium und damit auch zur EU. Einfuhren aus Deutschland sind also zollfrei. Bemerkenswerterweise bestand die Taxiflotte ausschließlich aus großen Mercedes 300-Limousinen. Da schon lange kein Bosch-Repräsentant auf den beiden Inseln gewesen war, genoss ich die große Gastfreundschaft unser Geschäftspartner. Man lud mich auch zu einem Helikopter-Flug über die Insel Tahiti ein. Wenn der Pilot bei plötzlich auftretendem dichtem Nebel zwischen steilen Bergspitzen flog, durchstand ich Todesangst. Die Wolken verschwanden meist so schnell wie sie gekommen waren.

Der Heimflug führte in östlicher Richtung über Los Angeles nach Deutschland. Es war das erste und einzige Mal, dass mich eine Geschäftsreise rund um den Globus führte. Einige Jahre später wurde die Marktverantwortung für ganz Polynesien an unsere Regionalgesellschaft in Australien übertragen.

Vertretungsweise besuchte ich in dieser Zeit auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Wiederum entdeckte ich eine ganz andere Welt. Mir erschien sie reich und protzig. In Riad traf ich mich zu Besprechungen mit der dortigen Vertretung Juffali, die auch für Daimler-Benz in Saudi- Arabien geschäftlich aktiv war. Ich kam aus dem Staunen kaum heraus. In der Zentrale dieser Firma herrschte purer Prunk. Beim Höflichkeitsbesuch im Büro des Firmenchefs wurde der Tee von männlichen Bediensteten in weißen Gewändern aus goldglänzenden Kannen serviert. Im ganzen Haus sah ich keine einzige Person weiblichen Geschlechts. Während der Verhandlungen mit unserem zuständigen Verkaufsleiter, einem Manager aus Palästina, und seinen Mitarbeitern passierte es des Öfteren, dass die Gesprächspartner plötzlich verschwanden, um sich zum Gebet auf ihre Gebetsteppiche niederzulassen.

Alkohol war überall verboten, auch im mondänen 5-Sterne-Hotel. Das störte mich nicht, denn es gab wunderbare frischgepresste Säfte. Auch das Essen – viel Lammfleisch, Reis und einer Vielzahl von Gemüsesorten – war ausgesprochen schmackhaft. Meine Karlsruher Sekretärin Stella, sie stammte von den Philippinen, hatte eine Schwester, die in einem Krankenhaus in Riad arbeitete. Stella gab mir ein Geschenkpaket mit, das ich der Schwester übergeben sollte. Im Krankenhaus fragte ich bei der Anmeldung nach besagter Krankenschwester, um das Päckchen zu übergeben. Wie ich schon ahnte, konnte ich sie nicht von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Ich musste das Päckchen an der Rezeption hinterlassen.

Dass das Autofahren für Frauen in Saudi-Arabien bis vor kurzem absolut verboten war, ist hinlänglich bekannt. Trotzdem erlebte ich bei meinem Besuch, dass sich Frauen ans Steuer setzten. Der Verkaufsleiter in Jeddah hatte zwei Töchter, studiert und gescheit. Arbeiten durften sie damals noch nicht. Er lud mich zu einem Picknick am Meer ein, zu dem auch einige in Jeddah stationierte amerikanische Soldaten, mit denen er befreundet war, erwartet wurden. Für das amerikanische Personal gab es von den Kasernen zum »amerikanischen Strand« eine besondere Straße, die für die Öffentlichkeit gesperrt war. Auf dieser exterritorialen Straße galt amerikanisches Recht. Prompt setzten sich die beiden Töchter meines Gastgebers ans Steuer. Sie verspürten unverkennbar eine diebische Freude, den unbarmherzigen Gesetzen des wahhabitischen Königreichs ein Schnippchen schlagen zu können.

Ich werde Pate

Anfang 1984 erhielt ich Post von unserem größten Händler in Philippinen, Rufo Qua. Er bat mich, Pate seiner kleinen Tochter zu werden.

Das ist aber nett, sagte ich mir und fühlte mich geschmeichelt. Doch der Verstand sagte: Das kannst du nicht akzeptieren. Du bringst dich in eine gewisse Abhängigkeit, wenn Rufo eines Tages mit besonderen Wünschen auf dich zukommen sollte.

Bevor ich eine Entscheidung traf, bat ich den Verkaufsleiter unserer Auslandsvertretung, Joe Yao, um seine Meinung. Er war der Nachfolger von Gerhard Seeler. Er sah die Sache anders als ich und meinte, ich könne nicht absagen, da Rufo dadurch sein Gesicht verlieren würde. Verpflichtungen ergäben sich nicht für mich, außer einer Glückwunschkarte zum Geburtstag. Auf den Philippinen haben Kinder nicht nur einen, sondern gleich mehrere Paten. Und wenn das kleine Mädchen namens Jackelyn später mal mit einem deutschen Patenonkel prahlen könne, sei das gut fürs Image (siehe Hartono).

Davon überzeugt, sagte ich zu und nahm die Patenschaft an. Das Kind war sowieso schon getauft, ich musste deswegen nicht extra zu den Philippinen reisen. Bei der nächsten Geschäftsreise wurde ich dann ins Haus der Familie eingeladen, wo es schon drei größere Schwestern von Jackelyn gab. Die ganze Familie war versammelt. Bisher kannte ich nur den Vater. Ich erblickte mein Patenkind in den Armen einer Frau. Das ist die Mutter, dachte ich, und gratulierte zu diesem wunderbaren Kind. Gelächter kam auf, denn die vermeintliche Mutter war das Kindermädchen, und die Mama stand irgendwo dazwischen.

Die älteren Schwestern schickten mir in regelmäßigen Abständen Briefe mit schönen Bildern meines Patenkindes. Zu Weihnachten und ihrem Geburtstag erhielt sie von mir kleine Geschenke. Später korrespondierte ich mit Jackelyn gelegentlich per E-Mail.

Der Kontakt besteht noch heute. Da Rufo noch immer der größte Kunde ist, gewinnt er auch häufig Tickets für Incentive-Reisen nach Deutschland und Europa. Dabei begleiten ihn seine Frau und Jackelyn. Wenn Sie die dann zu Bosch nach Stuttgart oder Karlsruhe kommen, treffen wir uns regelmäßig. Das letzte Mal war dies im Oktober 2018 in Baden-Baden.

Darum in die Ferne schweifen

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