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Bosch

Zurück auf die Schulbank

Mein Privatleben entwickelte sich erfreulicher als das Berufsleben. Inzwischen war ich schon sechs Jahre bei der Daimler-Benz AG. Meine Arbeit als Gruppenleiter im Exportkundendienst wurde mit der Zeit etwas öde, ich fühlte mich unterfordert. Nicht länger Serviceliteratur, sondern glitzernde Mercedes-Autos wollte ich verkaufen, doch meine internen Bewerbungen blieben erfolglos. Offenbar gab es für Gruppenleiter im Bereich Export keine offenen Stellen. Herr Lenk, mein Abteilungsleiter, stellte mir zwar eine zusätzliche Personalverantwortung durch die Eingliederung eines zweiten Teams und damit die Schaffung einer Hauptgruppe in Aussicht, doch ich hatte meine Entscheidung schon getroffen. Ich kündigte im Jahr 1974, auch weil ich das Gefühl hatte, dass ich als Vorgesetzter nicht wirklich geeignet war.

Nachdem ich bei Daimler ein gutes Gehalt bekommen hatte und davon einiges ansparen konnte, fiel es mir nicht schwer, eine Auszeit zu nehmen. Ich drückte noch einmal die Schulbank. Der Deutsche Gewerkschaftsbund bot ein zweijähriges betriebswirtschaftliches Studium mit dem Abschluss »staatlich geprüfter Betriebswirt« an. Ich meldete mich und wurde aufgenommen. Das Studium war nicht übermäßig schwer. Zudem konnte ich, wie auch viele meiner Mitschüler, bereits praktische Erfahrung vorweisen. Außer mit Rainer Gansert, meinem Nebensitzer, blieb mein Kontakt zu meinen Mitschülern begrenzt. Rainer war ein uriger Typ aus Ravensburg, mit dem ich einmal seine schöne Heimatstadt besuchte. Sein Vater hatte dort eine kleine Lackfabrik, die er später übernehmen sollte. Er besaß ein schnelles Motorrad der Marke Honda. Eines Tages lud er mich zu einer Spritzfahrt um Stuttgart herum ein, die ich so schnell nicht vergaß. Er fuhr rasant und schnell. Mir wurde auf dem Rücksitz angst und bange. Als ich endlich wieder auf festem Boden stand, sagte ich zu ihm: »Mit dir bin ich zweimal gefahren – das erste und letzte Mal«.

Dann war da noch Erika, eine zurückhaltende junge Dame, die jedoch die besten Noten schrieb. Sie lud mich einmal zum Essen in ihre geschmackvoll eingerichtete Wohnung ein. Es war ein netter Abend. Da auch ich zurückhaltend war, blieb es dabei. Ich hatte mich schon für Margret entschieden.

Die Studienkosten für dieses »Schmalspurstudium« waren nicht hoch. Überdies gab es Zuschüsse zu den Lebenshaltungskosten vom Arbeitsamt. Im Unterrichtsfach Deutsch war einmal die aktuelle »Nelkenrevolution« Aufgabe einer schriftlichen Abhandlung. Ich hatte mich intensiv mit diesem großartigen und fast unblutigen Umsturz in Portugal beschäftigt und so kam mir das Thema wie gerufen. Umso perplexer war ich, als der Lehrer mir eine schlechte Benotung für meinen Aufsatz gab. Auf meinen Einwand hin meinte er: »Diese Gedankengänge können nicht von Ihnen stammen, sie haben von Zeitungen abgeschrieben.«

Das stimmte nicht, ich hatte ausführlich recherchiert. Von diesem ignoranten Lehrer ließ ich mir die Herabwürdigung nicht gefallen. Schließlich konnte er nicht anders, als mir doch eine Eins zu geben.

Abgesehen von diesem Vorfall gab es nur am Schluss noch Grund zum Widerspruch. In der Endabrechnung der Schule stellte ich fest, dass mehr Unterrichtstunden berechnet als tatsächlich gegeben wurden. Es gab Unterrichtsausfälle aus verschiedenen Gründen, meistens wegen Krankheit der Lehrer. Aus einer alten Gewohnheit heraus hatte ich mir während der ganzen zwei Jahre die Unterrichtszeiten notiert. So konnte ich leicht nachweisen, wie viele Stunden ausgefallen waren. Entsprechend kürzte ich die Zahlung der ausstehenden Gebühren. Der Deutsche Gewerkschaftsbund schickte Mahnungen, ich legte Widerspruch ein. Die Gegenseite wollte aber nicht nachgeben und schaltete ihre Anwälte ein. Ich war mir meiner Sache so sicher, dass ich meinerseits auf einen Anwalt verzichtete, als der DGB eine Klage einreichte. Der Fall wurde in Abwesenheit der Streitparteien verhandelt. Ich gewann den Prozess, nicht zu 100 Prozent, aber immerhin zu 80 Prozent. Dies war eine Genugtuung, und ich will den Stolz, den ich empfand, nicht verhehlen. Für mich war es ein Beweis, dass unser Justizsystem funktioniert.

Ansonsten verlief das Studium, soweit ich mich entsinnen kann, ohne Probleme. In dieser Zeit fühlte ich mich gut und meine Minderwertigkeitskomplexe schienen einigermaßen Vergangenheit zu sein.

Sorgenfrei genoss ich das Zusammensein mit Margret. Wenn sie Frühdienst hatte und die Schule beendet war, gab es auch unter der Woche reichlich Zeit für gemeinsame Unternehmungen. Ich ging in ihre Wohnung, bereitete eine kleine Mahlzeit vor und wartete auf sie. Ich hatte auch Muße, ein bisschen lyrisch tätig zu sein und schrieb kurze Gedichte für sie. Herrenbesuche waren offiziell nicht erlaubt, doch es gab keine Kontrollen. Hin und wieder blieb ich über Nacht.

Seit ein paar Jahren war ich Mitglied im Gesangverein in Heumaden, jetzt verstärkte auch Margret mit ihrer schönen Sopranstimme den Chor bei den wöchentlichen Proben und gelegentlichen Auftritten. Nach den Chorproben saßen wir in der »Rose« mit den anderen Chormitgliedern zu einem oder zwei Gläsern Wein zusammen. Wenn sie keine Frühschicht hatte, blieb Margret über Nacht bei mir in Heumaden.

Georg war inzwischen mit einer anderen jungen Frau, Hannelore, verbandelt. Da sich die beiden Damen auf Anhieb gut verstanden, unternahmen wir an Wochenenden gern etwas gemeinsam. Im Winter fuhren wir zusammen nach Ehrwald oder ins Tannheimer Tal in Tirol zum Skifahren. Auch mit meinen anderen Daimler-Kumpels pflegte ich weiter die Kontakte.

Mein neuer Job bei Bosch

Nach den Jahren meines Studiums der Betriebswirtschaft hieß es, auf Arbeitssuche zu gehen. Ich hatte zwei Angebote in der engeren Wahl. BMW in München bot mir eine Stelle im Bereich Marktforschung an, von Bosch hatte ich ein Angebot, als Länderreferent im Geschäftsbereich Kraftfahrzeug-Ausrüstung Handel (intern KH) für die Exportabteilung Verkauf Übersee mit der internen Bezeichnung KH/VUB zu arbeiten. München und BMW reizten mich, doch ich entschied mich schließlich, im Ländle zu bleiben.

Im November 1976 begann ich meine Arbeit in der neu erbauten Zentrale der Robert Bosch GmbH auf der Schillerhöhe bei Stuttgart. Ich war für eine Reihe von Märkten in Südost- und Südasien zuständig. Dazu gehörten Indien, Sri Lanka, Thailand, Malaysia, Singapur, Indonesien, Taiwan und Philippinen. In diesen Ländern hatte die Firma entweder eigene Niederlassungen oder eigenständige Auslandsvertretungen. Die wichtigsten Produkte, die in diese Märkte verkauft wurden, waren Startermotoren und Generatoren, Scheinwerfer, Zündkerzen, Batterien, Wischblätter, Bremsbeläge, Keilriemen, Hörner und die Ersatzteile für Diesel- und Benzin-Einspritzpumpen. Die Erzeugnisse wurden an die schon erwähnten Bosch-Niederlassungen oder an die Auslandsvertretungen geliefert und im Land an Großhändler, Einzelhändler und Werkstätten weiterverkauft. Ich nahm an einigen Produktschulungskursen teil, bei denen ich mir die wichtigsten Kenntnisse aneignen konnte. Als technisch eher unbedarfter Mensch fiel mir dies manchmal nicht ganz leicht. Es war von Vorteil, dass die Büros der jeweiligen Experten, die sogenannten Produktmanager, nicht weit entfernt lagen.

Zu den wesentlichen Aufgaben der Länderreferenten gehörten die Preisgestaltung für die einzelnen Produkte und Ersatzteile, Verhandlungen mit den ausländischen Partnern über Umsatz- und Absatzziele sowie die Erstellung von Businessplänen. Die Korrespondenz fand ausschließlich auf Englisch statt. Es wurde auf Schallplatten diktiert. Die Platten gingen in ein zentrales Schreibbüro. Die fertigen Schriftstücke enthielten hin und wieder einen Tippfehler. Nur eine der Schreibdamen blieb stets fehlerfrei. Als ich einmal eine dringende Sache im Schreibbüro zu klären hatte, lernte ich die Damen kennen. Und siehe da, die Mitarbeiterin, die fehlerlos schrieb, war blind.

Zu meinem neuen Job gehörten regelmäßige Besuche vor Ort. Meine erste Geschäftsreise führte mich nach Indien, Sri Lanka, Pakistan und Bangladesch. Ich erlebte einen Kulturschock. Im Flugzeug unterwegs in der Business Class, untergebracht in luxuriösen Fünf-Sterne-Hotels, wurde ich konfrontiert mit bitterster Armut, sobald ich mich außerhalb der Hotels befand. Schon bei der Fahrt vom muffig riechenden Flughafen Bombay in die Stadt wurde ich an jeder roten Ampel von Bettlern umringt. Die Fahrt führte vorbei an elenden Slums. In den anderen Ländern war es nicht viel besser. Das musste ich erst einmal verarbeiten.

In Indien war die Firma Bosch schon seit den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts aktiv und betrieb ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem indischen Partner. Die Motor Industries Company Limited (Mico) fertigte für den lokalen Markt große Mengen Zündkerzen und Diesel-Einspritzpumpen. Das Geschäft für unsere Bosch-Erzeugnisse hielt sich noch in Grenzen, hatte aber durchaus Potenzial, nachdem immer mehr europäische Fahrzeuge auf den indischen Markt kamen. In den anderen Ländern, Sri Lanka, Pakistan und Bangladesch, waren unsere Marktpotenziale gering. Meine Besuche dienten hauptsächlich der Kundenpflege mit den dortigen Auslandsvertretungen und Händlern. Der Job in meiner neuen Funktion gefiel mir, zumal ich viele Freiräume für eigene Ideen bekam.

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