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Margret tritt in mein Leben

Es war purer Zufall: Margret wollte eines Tages im Jahre 1973 meinen Kumpel Georg anrufen, der eine Etage unter mir wohnte. Georg war nicht da, und so wählte sie meine Nummer, damit ich ihm etwas ausrichten kann.

Im Nachhinein erscheint es mir nicht als Zufall. Es war das Schicksal, das an meine Tür klopfte. Ich musste es nur hereinlassen.

Margret hatte an der Ski-Freizeit in Saas Almagell ebenfalls teilgenommen, war aber meinen Blicken regelrecht entgangen, da sie ihren Skikurs in einer anderen Gruppe hatte und ich hinter Mechthild her gewesen war. Jetzt plauderten wir eine Weile am Telefon und beschlossen, dass wir uns treffen sollten. Aus einen Treffen wurden mehrere. Wir kamen uns näher. Margret war Kinderkrankenschwester im Olga-Krankenhaus (genannt »Olgäle« ) im Stuttgarter Westen. Sie wohnte im Schwesternwohnheim und hatte dort ein kleines Apartment. Als die zarten Bande stärker wurden, war ich ein häufiger Gast in ihrem gemütlichen Zuhause.

Margrets Heimatstadt ist Kirchheim/Teck, etwa 35 Kilometer von Stuttgart entfernt. Ihr Vater war ein paar Jahre zuvor an Bronchialkrebs verstorben. Er wurde nur 63 Jahre alt. Mutter Helene war noch sehr rüstig. Sie wohnte in ihrem Zweifamilienhaus zusammen mit der Familie ihrer Tochter Sieglinde. Werner, der Jüngste der drei Geschwister, wohnte mit seiner Verlobten Gerlinde ebenfalls in Kirchheim. Ich verstand mich mit ihnen recht gut. Wir stammten alle aus dem gleichen akademikerfernen Milieu. Margrets Vater hatte wie vor ihm sein Vater das Eisengießer-Handwerk erlernt und war daher während des Kriegs unabkömmlich gestellt. Er war in der Rüstungsindustrie beschäftigt und musste helfen, Waffen für das Nazi-Regime herzustellen. Dabei war er beinahe von Jugend an ein Kommunist. Er hatte Glück, während der Hitlerdiktatur nicht denunziert zu werden, hörte er doch BBC und hielt mit seinen Meinungen nicht zurück. Vermutlich auch wegen seiner kritischen Haltung zum Naziregime wurde er nach dem Krieg in den Polizeidienst übernommen.

Margret hatte wie ich die Mittelschule besucht und war nach der Mittleren Reife für eine Zeit lang von zu Hause weggegangen. Sie verdingte sich in einem Kinderheim in Wyk auf Föhr, für sie eine ganz neue Erfahrung. Danach machte sie ihre Krankenschwester-Ausbildung in Ludwigsburg und arbeitete anschließend in Krankenhäusern in Hamburg, Stuttgart und in Reutlingen in unterschiedlichen Bereichen, bevor sie als Kinderkrankenschwester zum »Olgäle« kam.

Meine Eltern waren sichtlich erleichtert, als ich endlich einmal mit einer festen Freundin nach Schorndorf kam. Sie vermuteten schon, ich bliebe ein ewiger Junggeselle. Margret fanden sie gleich sympathisch – umso mehr, als sie nicht so auffallend geschminkt war wie Rolfs ehemalige Bekanntschaft.

Unbeschwerte Tage, Wochen, Monate folgten. Margret war kulturell interessiert und führte mich in die Welt der Konzerte und des Theaters ein. An Angeboten fehlte es in Stuttgart nicht. Zweimal waren wir im Staatstheater, als das Stuttgarter Ballett, damals berühmt geworden unter dem 1973 verstorbenen Choreographen John Cranko, auftrat. Schwanensee und Romeo und Julia gefielen auch mir blutigem Laien.

In der Urlaubszeit unternahmen wir angenehme Reisen. Eine davon führte uns das Rhone-Tal hinunter in die traumhaft schöne Camargue und zu den Kulturstädten Arles, Orange, Nîmes und Avignon. Wir konnten uns an den römischen Ruinen und Amphitheatern, an den alten Kirchen und Palästen der Kirchenfürsten kaum sattsehen. Margret war in Geschichte belesener als ich und klärte mich über manche historische Begebenheit auf. Hin und wieder blätterten wir zusätzlich im DuMont-Reiseführer, den wir vorsichtshalber mitgenommen hatten. Die kleine Stadt Aigues Morte konnte man von der alten Stadtmauer aus bestens überschauen. Das morbide Flair dieses Städtchens beeindruckte uns so nachhaltig, dass wir dort in einer einfachen Pension übernachteten, damit wir am nächsten Morgen noch einmal auf die Stadtmauer klettern und durch die engen Gassen flanieren konnten.

Auf unserer weiteren Fahrt kamen wir an die Côte d’Azur. Eine andere Welt voller Glanz und Glitzer tat sich plötzlich auf. Unsere Geldbeutel sendeten uns aber ein klares Signal: Das Casino von Monte Carlo ist für uns nur zum Schauen und Staunen da! Wir hatten ein Zelt dabei, was den Aufenthalt preiswerter, aber auch romantischer machte. Baden im Meer kostete ohnehin nichts. Einmal blieb mein Mercedes allerdings völlig im Sand stecken, als wir wieder einmal wild an einem einsamen Strand gezeltet hatten. Nur mit viel Mühe und zerfetzten Fußmatten, die wir in der Not unter die Hinterreifen legten, kamen wir aus dem sandigen Untergrund wieder heraus.

Im Jahr darauf besuchten uns Martha, meine amerikanische Cousine, und ihr Mann Bob. Wir fuhren mit ihnen bis nach Venedig. Schon die Überquerung der Alpen, meistens auf Nebenstraßen, war ein aufregendes Erlebnis. Wir überwanden Pässe, die es in sich hatten. Manchmal waren wir uns nicht sicher, ob und wie die Straße weiterging.

Venedig ließ uns ins Schwärmen geraten: Der Markusdom, der Markusplatz mit seinen unzähligen Tauben, der Dogenpalast mit der Campanile, eine Gondelfahrt auf dem Canal Grande, unter pittoresken Brücken hindurch und vorbei an prächtigen herrschaftlichen Häusern – das alles sind Eindrücke, die man nie mehr vergisst. In Erinnerung blieb aber auch der überteuerte Kaffee, den wir uns auf dem Markusplatz gönnten, um das venezianische Flair auf uns wirken zu lassen. Venedig ist und bleibt eine Stadt, wie es sie kein zweites Mal gibt. Wobei uns die vorgelagerten Inseln wie Murano oder die Friedhofsinsel mit ihrem besonderen Charme nicht weniger gut gefielen. Von der Friedhofsinsel aus betrachteten wir einen grandiosen Sonnenuntergang über dem stillen Wasser.

Bob hatte sich einen Schrittzähler gekauft, den er an seinem Gürtel befestigte. Er staunte nicht schlecht, wie viele Kilometer Wegstrecke er in Venedigs Gassen zurücklegte. Zuhause in den USA setzt man sich schon ins Auto, wenn das Ziel mehr als ein Häuserblock entfernt ist. Bob, der erfolgreiche Banker, war nicht nur ein humorvoller und netter Zeitgenosse, sondern auch sehr anspruchsvoll. In unserem Vier-Sterne-Hotel, das Margret und mir sündhaft teuer erschien, verschaffte er seinem Unmut lautstark Luft und zerschnitt voller Wut seine Diners Card, weil man diese nicht akzeptieren wollte. Andererseits war er eher belustigt, als wir auf dem Hinweg in Oberitalien, da wir nichts Besseres fanden, in einem schäbigen Zimmer übernachteten, bei dem die »Toilette« sich als übelriechendes Plumpsklo auf dem Flur offenbarte.

Ohne Margret, die arbeiten musste, unternahm ich mit den beiden nach unserer Rückkehr noch eine Spritztour an die Mosel. Wir fuhren über Ludwigshafen, um Hermann Rühle und seine Freundin Claudia abzuholen. Er hatte nach seinem Abschluss als Diplom-Betriebswirt ein Studium der Psychologie in Mannheim begonnen. Hermann, Martha und Bob kannten sich bereits seit unserem Besuch auf Long Island. An der schönen Mosel erfreuten wir uns an den beeindruckenden Steillagen auf beiden Seiten des Flusses, an denen die Rebstöcke wuchsen. Martha und Bob fanden immer mehr Gefallen an dem süffigen, feinherben Moselriesling, unsere Stimmung war prächtig. Ein Abstecher galt einem Weingut in Zeltingen, das von einem Cousin meines Freundes Hans geführt wurde. Hans hatte mich förmlich dazu gedrängt. Cousin Martin bot uns eine exklusive Weinprobe. Zum Glück war unser Hotel nur einige Meter vom Weingut entfernt. Wir hatten den verschiedenen guten Tropfen nämlich kräftig zugesprochen und waren froh, dass wir uns schnell ins Bett fallen lassen konnten. Die Reise ging weiter moselaufwärts bis Trier, der alten Römerstadt, wo wir die Porta Nigra, den jüdischen Friedhof und das Geburtshaus von Karl Marx besichtigten.

Darum in die Ferne schweifen

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