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Vom Muckefuck zur Schaumschlägerei

Aus der Welt der Kaffeerituale

LANGE BEVOR ICH MEINE ERSTE TASSE Kaffee trank, war ich gründlich vor diesem Getränk gewarnt worden. »C-a-f-f-e-e, trink nicht sovie-hiel Ca-haf-fee«, sangen wir in der Grundschule. Der kanonische Rundgesang lehrte, der »Türkentrank« mache, ganz wie es das Gesetz des Reimes verlangt, tüchtig »krank«. Zum Schluss mahnte das Lied sehr deutlich: »Sei doch kein Muselmann, der ihn nicht lassen kann!« Was ein Muselmann war, wusste ich überhaupt nicht, sang das Wort aber gern. Vielleicht hatte er etwas mit Pampelmusen zu tun? Die waren auch gerade ganz neu in mein Leben gerollt: Pampelmusen. War der geheimnisvolle Herr Muselmann ganz aus Musen zusammengepampelt? Und konnte er deshalb die Finger nicht vom Kaffee lassen? Es war alles höchst rätselhaft.

Bei der Großmutter väterlicherseits gab es sogenannten Kinderkaffee. Hierbei handelte es sich um Ersatzkaffee aus Gerste oder Malz. Dieser Caro Kaffee war ganz offensichtlich ein Überbleibsel aus schweren Jahren und schlechten Zeiten. Das Pulver wurde auch Muckefuck genannt, ich fand das Wort lustig, aber es war eher abschätzig gemeint. Mit nahezu ehrfürchtigem Timbre, gewissermaßen mit Ausrufungszeichen, wurden dagegen die Worte »echter Bohnenkaffee« ausgesprochen. Das war eine Kostbarkeit, die man sich nur selten leistete und gönnte. Bei der Großmutter mütterlicherseits durfte ich den schwarzen Sud mit viel Milch und Zucker probieren. Er duftete verlockend, der Reiz des Verbotenen tat das Seine zur Magie hinzu. Ich wurde aber nicht süchtig und bin bis heute kein Pampelmuselmann.

In unschöner Erinnerung geblieben sind mir spätere Kaffee-und-Kuchen-Rituale an Geburtstagen; da hatten ganz offenbar die Erwachsenen etwas nachzuholen. Die bloße Tatsache, dasitzen, mehrere Stücke Kuchen und Torte aufessen und dazu soviel Bohnenkaffee trinken zu können, wie man nur wollte, erfüllte die Tantenrudel mit sichtlicher Genugtuung. Der Kaffee-und-Kuchen-Terror war ein Wert an sich. Der Genuss bestand darin, sich ihn leisten zu können.

Der Kaffee selbst war scheußlich: vakuumisiertes Zeug, das einen sauren Geruch wie von Achselnässe verströmte. Dieses Malodeur blieb dem Getränk auch nach der Zubereitung voll erhalten; »Verwöhn-Aroma« hieß und heißt das in der Werbung. Aus der man lernt, dass Mühe allein nicht genügt: Ohne die von führenden Giftmischern zusammengepresste »Krönung« wird man den Gipfel der Abscheulichkeit niemals erfolgreich erklimmen.

Von »Filter-Frio-Verfahren« und dergleichen Halunkereien mehr war zu jener Zeit die Rede; getrunken wurde die Kaffeebrühe mit Kondensmilch, die in feineren Haushalten aus der Blechbüchse in ein Sahnekännchen umgefüllt wurde. Kondens war Konsens, im Reklamefernsehen wurde die Marke »Glücksklee« angepriesen, ein infantiles »Nichts geht über Bärenmarke, Bärenmarke zum Kaffee« abgesungen oder mit holländischem Akzent für »B&B«-Kondens­milch geworben: »Dröpche voor Dröpche Qualiteit.«

Da lag Flucht nahe. In alternativ sich empfindenden und gerierenden Milieus war Kaffee verpönt. Hier blieb der Dreck der Welt im Teesieb oder Teenetz hängen, hier galt als gut, wer tiefer schürfte oder doch wenigstens schlürfte. Wer Tee trank, hatte Zeit, und der Gedankengang käme dann von ganz allein – man musste nur daran glauben und eintauchen in den Dampf der Suggestion. Die Verwertungsstrategen des Konsumismus wurden auch im Teetrinkersektor zielgruppentherapeutisch tätig. »Father and Son« von Cat Stevens, eine zeitgenössische Kopf­wacklerhymne, wurde für die Teewerbung um­getextet: »Wenn der Teekessel summt und der Gold-TeeFix duftet, hat man’s gut, hat man’s gut, ja dann hat man’s wirklich gut, ja dann, dann hat man’s gut...«

Mit Menschen, die fünfmal am Tag gedehnt »Willsten Tee?« oder, noch teeiger, »Magsten Tee« fragen, ist es nicht auszuhalten. Also gab es wieder Kaffee. Überall im Land prötterten Kaffeemaschinen den Filterkaffee durch, der dann stundenlang auf der Warmhaltekonsole simmerte, eindampfte und vor sich hin verbitterte, bis er vollends nach gegerbtem Leder schmeckte. Die Rettung kam aus Italien und hieß Espresso, von vielen Landsleuten Expresso genannt. Sie zogen auch die Variante mit Haube oder Kapuze vor – Capuccino, also Caffè mit heißer oder aufgeschäumter Milch. Im deutschen Café wurde als Capuccino allerdings Maschinenkaffee mit Sahne serviert, die manchmal geschlagen wurde, meist aber Sprühkunststoff aus der Flasche und weit besser zum Rasieren geeignet oder als Dichtungsmasse beim Fenstereinbau zu verwenden war.

In italienischen Eiscafés oder Restaurants dagegen standen gewaltige Espressomaschinen, schimmernde, gewienerte, liebevoll geblitzblankte Monster, fauchend und dampfend wie der Drache Smaug und so groß und so kostspielig wie ein Kleinwagen. Aus diesen Getümen kam das schwarze Destillat, das zum Wachwerden, Wachbleiben oder zum Abschluss einer Mahlzeit zu sich genommen wird, also eigentlich immer. Endlich war die Kaffeezivilisation in Deutschland angekommen.

Und ist, weil ungeliebt, auch gleich schon wieder weg. Schaum heißt der Schaum der Tage, es gibt nichts, das nicht aufgeschäumt würde in den Küchen des Landes. Jägersoßencapuccino? Bitte sehr, und auch der Kaffee wird in macchiatisierter Form zu sich genommen, aufgeschäumt, fluffig und gehaltfrei wie die Gehirne der Menschen vom Stamme Macchiatio.

Die Duzbuden, in denen die Macchiaten hocken oder ihren »Coffee to go« bestellen, also Kaffee zum Davonlaufen, sind hochliterarisch benannt, nach Honoré de Balzac oder nach Starbuck, einer Figur aus Herman Melvilles »Moby Dick«. Der eigene literarische Ausstoß der Kaffeehöker ist eher esoterischer Sondermüll, abgefasst in aufgeschäumter Sprache:

»Willkommen im Starbucks Coffee House! Ein ganz besonderer Ort – speziell für Sie. Viele Menschen kommen in ein Starbucks Coffee House, um den besten Kaffee der Welt zu genießen. Andere kommen, um nachzudenken, mit Freunden zu plaudern, Musik zu hören oder um an lokalen, sozialen Projekten teilzunehmen. Das sind nur einige von tausend Gründen, warum Menschen ein Starbucks Coffee House besuchen. (…) Mehr als 117.000 Menschen arbeiten für Starbucks. Diese Menschen – unsere Partner – sind die Grundlage unseres Erfolges. Und gerade weil wir ihrem Einsatz und ihrer Leidenschaft so viel verdanken, ist es für uns besonders wichtig, ihnen zu zeigen, wie sehr wir sie schätzen und respektieren. Daher befassen sich die ersten zwei Prinzipien unseres Mission Statements mit unserer Verantwortung gegenüber unseren Partnern. Wir schaffen uns ein großartiges Arbeitsumfeld und behandeln uns mit Respekt und Würde. Wir sehen Vielfalt als wesentlichen Bestandteil der Art und Weise, wie wir unser Geschäft betreiben.«

Rundum dufte ist die Starbucks-Mission-Statement-Welt: alles wird angepartnert, alles ist großartig. Genauer nennt man das so altmodisch wie zutreffend Kapitalismus und Ausbeutung. Die weichgebrabbelten Kaffeekonsumenten aber sitzen in der Schaumgummizelle, zeigen Milde-Sorte-Gesichter vor und rufen immerzu den eigenen Namen: »Macchiato! Macchiato!« Oder, weil sie nicht einmal ihren eigenen Namen richtig aussprechen können: »Matschiato! Matschiato!« Haben die noch alle auf der Latte? Die Warnung »C-a-f-f-e-e, trink nicht sovie-hiel Ca-haf-fee« befolgen sie jedenfalls ganz brav: Macchiaten trinken nicht Kaffee, sie löffeln Schaum.

Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen?

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