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So viele Mollakkorde da draußen

Josh Ritters »The Animal Years«

ES GIBT GUTE NACHRICHTEN aus Moskau – allerdings handelt es sich dabei um die Stadt Moscow im US-Bundesstaat Idaho. Hier wurde am 27. Oktober 1978 Josh Ritter geboren. Der Sohn eines Neurologieprofessorenehepaars spielte als Kind Violine, erlebte seine musikalische Initiation aber erst im Alter von 17 Jahren, als er die Musik von Bob Dylan und Johnny Cash entdeckte. Seine erste eigene CD veröffentlichte er 1999 unter dem Titel »Josh Ritter«, auf eigene Faust und eigene Kappe; jeweils zwei Jahre später folgten die Alben »Golden Age of Radio« und »Hello Starling«.

Schritt für Schritt erarbeitete sich Josh Ritter den Ruf als außergewöhnlich großes Talent im Reich jener Damen und Herren, die der Welt nur mit sich, ihren Wörtern und ihrer Musik entgegentreten – um sie sich begreiflich und zu eigen zu machen, und ihr, wenn es gelingt, etwas von der Schönheit und Klarheit zurückzugeben, die sie neben anderem ja auch großzügig verströmt. Dass die Welt ein Ort größtmöglicher Wunder und gleichzeitig vollständig zum Abgewöhnen ist – dieser Widerspruch hat schon manche empfindungsfähige Seele zer­schreddert. Das Medikament dagegen heißt Liebe. Man kann auch Poesie und Musik dazu sagen.

Mit seinem vierten Album »The Animal Years«, erschienen im März 2006, greift Josh Ritter hoch. Seine Vorbilder, zu denen außer Dylan und Cash hörbar auch Nick Drake, Neil Young, der junge Bruce Springsteen und Lloyd Cole gehören, hat Ritter sich einverleibt und zeigt in den elf Liedern eine große Bandbreite lyrischer und musikalischer Möglichkeiten. Mit dem ersten Stück, »Girl in the War«, steigt er gleich groß ein: Im Zwiegespräch zwischen den Aposteln Peter & Paul heißt es lakonisch: »But now talking to God is Laurel begging Hardy for a gun.« Mit Gott sprechen ist, als ob Stan Laurel ausgerechnet Oliver Hardy um eine Knarre an­flehte? Ein stimmigeres, komischeres und eigen­sinnigeres Bild für vollständige Vergeblichkeit habe ich lange nicht vor mir gesehen. Auch über Macht weiß Ritter Bescheid: »The keys to the Kingdom got lost inside the Kingdom.« Es hilft also nichts, auf die Dämlacks zu vertrauen, die innerhalb des Reiches sitzen.

Josh Ritter hat nicht nur seinen musikalischen Idolen gut zugehört und sie wohldosiert in sein eigenes Universum eingespeist. Auch eine der wahrhaftesten, tiefsten Zeilen von Joachim Ringelnatz ist ihm zumindest intuitiv bekannt: »Alles, was lange währt, / Ist leise.« Ritters Poesie verzichtet auf schweres Geschütz, er malt seine Bilder behutsam und zart, ohne jemals den Kern der Sache zu verfehlen. In »One more Mouth« beschreibt er eine spröde Geliebte: »You treat every hungry kiss like one more mouth to feed.« Musik und Stimme sind dabei zum Erschrecken filigran.

Zum Glück für Ritter und seine Hörer aber ist Zerbrechlichkeit nicht sein alleiniges Stil- und Ausdrucksmittel; ein ungebremster Enthusiasmus, wie man ihn von Mike Scott und den frühen Waterboys kennt, ist Ritter ebenso zueigen. Die Vielfalt seiner Möglichkeiten macht einen Teil seines Reichtums aus; die Unterschiedlichkeit der Kompositionen wirkt nicht unentschieden, sondern zeigt im Gegenteil, ohne jede technische Musiker-Angeberei, was der Mann alles sieht, fühlt, hört und in zeitlos schöne Songs verwandelt. Wenn Ritter »so many minor chords out there« moniert, so viele menschliche Mollakkorde da drau­ßen, weiß er, wovon er singt, ohne Teil der Flenn­suserei zu werden.

In Irland ist Josh Ritter spätestens seit »Hello Starling« ein vielgehörter Sänger – mit »The Animal Years« dürfen ihn auch die Deutschen für sich entdecken, zum Beispiel mit diesen Zeilen aus dem Song »Wolves«: »Your face was simple, your hands were naked / I was singing without knowing the words.« Die Trommelstöcke fegen über die Schlagzeugfelle wie die Pfoten jagender Wölfe über den gefrorenen Schnee, die Orgel treibt sie alle voran, auch den eben nicht jaulenden, sondern singenden Wolf namens Josh Ritter. Singen, ohne die Wörter zu kennen: Der Mann weiß, was das ist und wie man das macht.

Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen?

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