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Sich selbst nicht als Feind sehen

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Du trägst beide Seiten in dir: das Potenzial für absolute Klarheit und vollkommene Liebe ebenso wie die Neigung, dir und anderen das Leben immer wieder schwer zu machen. Wie kannst du nun dir selbst näher kommen und dich entwickeln?

Die wichtigste Voraussetzung ist ein ehrliches Interesse an dir. Es äußert sich zunächst in der Bereitschaft, dich dir selbst liebevoll zuzuwenden.

Bisher geht es dir vermutlich wie den meisten Menschen: Du beurteilst dich häufig. Immer wieder glaubst du, dass du etwas nicht gut genug machst oder, schlimmer noch, dass du nicht gut genug bist: Wieder einmal bist du zu spät aufgestanden, deine Wohnung sieht unmöglich aus, du vernachlässigst deinen Partner und meditierst zu selten. Mit einer solchen Salve an Urteilen kannst du dir im Handumdrehen den Tag verderben. Und kommst vielleicht zu dem Schluss: Ich werde es nie lernen. Ich bin einfach nicht gut genug. Mit mir stimmt etwas nicht.

Beurteilungen blockieren Entwicklung.Überlass solchen Gedanken und selbstschädigenden Einflüsterungen nicht das Feld! Bewertungen blockieren liebevolles Verständnis – die Voraussetzung für Entwicklung.

Der Schlüssel, so formuliert es der kalifornische Psychologe John Welwood1, liegt darin, dass wir unsere Persönlichkeitsstruktur nicht als Problem oder Feind sehen. Das ist ein sehr wichtiger Gedanke: Du musst deine Persönlichkeit nicht beurteilen, reparieren oder sogar auslöschen.

Versuch dir stattdessen mit einer Haltung von Interesse, Aufmerksamkeit und Mitgefühl zu begegnen. »Schwächen« sind in Wirklichkeit keine Schwächen. Wenn du deinen augenblicklichen Entwicklungszustand als »Schwäche«, »Unfähigkeit« oder »Versagen« bezeichnest, nimmst du eine Wertung vor und wertest deine eigene Bedürftigkeit ab. Damit machst du dir das Leben noch schwerer. Wäre es nicht sehr erleichternd anzuerkennen, dass dir bestimmte Sachen einfach (noch) nicht möglich sind und dass du auch überhaupt nicht perfekt sein musst? Bestimmte Dinge nicht zu können ist etwas vollkommen Natürliches!

Gelegentlich bin ich mit meiner Großnichte Amalia im Auto unterwegs. Sie ist noch ein kleines Kind und dementsprechend sitzt sie hinten auf der Rückbank in ihrem Kindersitz. Stell dir vor, nun würde jemand sagen: »Lass doch die Amalia auch mal fahren!« Würdest du das für eine gute Idee halten? Angenommen, dieser Jemand würde auf seinem Vorschlag beharren: »Wie, das kann sie nicht? Was für ein unbegabtes Kind!« Würdest du dem zustimmen?

Wir sind uns vermutlich einig: Amalia muss noch nicht Auto fahren können, denn sie ist noch ein Kind. Eines Tages wird sie Auto fahren (und lesen, schreiben und rechnen) können, aber zurzeit braucht sie noch besonders viel Unterstützung und muss zum Beispiel in den Kindergarten gefahren werden. Ihre Bedürftigkeit betrachten wir nicht als Makel, sondern als ihrem Alter angemessen.

Wenn du deine »Unvollkommenheit« und Bedürftigkeit genau so gütig betrachten kannst wie die eines Kindes auf der Rückbank im Auto, wird das sehr befreiend wirken. Mehr noch: So wird Entwicklung erst möglich.

Im nächsten Schritt kannst du dann auch die » Schwächen« deines Partners oder deiner Partnerin auf diese Weise betrachten.

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