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Vor dem Anwesen von Raju und Barbara Sharma steht der Lastwagen, der ihren Hausrat bringt. Auf diesen Augenblick haben sie lange warten müssen, denn das Schiff, das ihre Möbel und Gerätschaften von Hamburg nach Indien brachte, ist länger unterwegs gewesen, als ihnen gesagt worden ist. So haben sie die Zeit in ihrem kahlen indischen Haus unsagbar bescheiden, mit dem notwendigsten zubringen müssen, das Raju bei Verwandten und Bekannten zusammengebettelt und geliehen hatte.

Das hat jetzt ein Ende, die Leihgaben können wieder an ihre Besitzer zurückgegeben werden, denn jetzt wird alles verfügbar sein, woran sie gewöhnt waren und was ihr Leben erleichtert und angenehm macht.

Im Nu war das halbe Viertel zusammengekommen, als der Lastwagen vor dem eisernen Tor hielt; Frauen, Männer und Kinder drängten palavernd und gaffend und wurden aufdringlich, so dass die Möbelträger sie wegjagen mussten. Das half kaum, nach wenigen Augenblicken war der Umzugswagen wieder umlagert, und einige wagten sich bis in den Hof vor, wo Raju laut schimpfend auf sie losging und wieder auf die Straße scheuchte. Sogar ein Mädchen mit seiner Ziegenherde tauchte auf, ein zerlumptes und verdrecktes und wild aussehendes Kind, das seine Herde vergaß, zwei Finger in den Mund steckte und gaffte, während die Ziegen in den Hof eindrangen und sich über das wenige Grünzeug, das hier gepflanzt worden war, hermachten.

Im Haus läuft Barbara von einem Zimmer ins andere und dirigiert die Möbelträger an die Stellen, wo sie dieses oder jenes platziert haben möchte. Sie ist so aufgeregt, dass sie zwischendurch immer wieder auf die Toilette muss, die sich in der oberen Etage befindet. Von hier kann sie Rajus Stimme von der Straße hören, der versucht, die Neugierigen fortzuschicken, der den Trägern Anweisungen gibt oder mit ihnen scherzt. Raju klingt erleichtert und ebenso fröhlich wie sie.

An ihnen und ihrem Haus hatten bisher nur wenige Menschen Interesse gezeigt. Nun aber kamen aus der Nachbarschaft die Leute zusammengelaufen, Frauen und Kinder, aber auch Männer, um zu sehen, was diesem indischen Herrn und seiner weißen Frau in ihr feudales, herrschaftliches Haus getragen wird. Viel gibt es nicht zu sehen, denn alles ist verpackt in Decken und Kisten. Aber wenn sie etwas erkennen können, dann kichern sie und palavern und versuchen, hinter den Möbelträgern unbemerkt aufs Grundstück und ins Haus zu schlüpfen. Barbara muss aufpassen und sie vertreiben, weil sie fürchtet, dass sie manche Dinge nicht nur ansehen. Wenn der Lastwagen entleert und alles im Haus ist, muss Raju das breite eiserne Tor verschließen, so dass sie in Ruhe Kartons und Kisten auspacken können.

Zu Barbara sagt er, es müsse ein Hund her; bei manchem Dörfler wäre die Neugier so groß, dass er über die Mauer klettern könnte, dass er nicht nur das Grundstück erkunden und durch den Garten strolchen, sondern sich sogar bis ins Haus wagen würde; nur ein Hund könne ihnen solche ungebetenen Gäste vom Halse halten.

Barbara bezweifelt das und seufzt, sie hätte noch nie in ihrem Leben ein Tier um sich gehabt.

Zu allererst geht sie daran, die Betten herzurichten und zu beziehen. Auf ihre vertrauten Betten freuen sich beide. Das Schlafen auf dem harten indischen Bett, dem Charpoy, empfand nicht nur sie, sondern auch Raju als Qual und sie sehnten den Tag herbei, an dem sie sich in ihre alten, bequemen europäischen Betten legen könnten. Unten singt Raju ein indisches Lied. In Deutschland hat er so etwas nie gesungen, da sang er vielleicht etwas, das er im Radio gehört hatte – hier singt er das, was wohl viele Menschen dieses Landes singen, wenn ihnen danach zumute ist und ihnen das Herz überläuft. Barbara schaut in den Garten: Ja, hier kann nichts anderes als Indisches gesungen werden. Solche Melodien, solche Art zu singen, die kommen aus all dem Fremden, das sie in ihrem Garten sieht: Aus dem Nimbaum, aus Mangobaum und Akazie, aus all den seltsamen Gewächsen und Blumen, dazu das Stimmengewirr der Vögel, und die anschwellenden, gellenden Rufe eines ihr unbekannten Vogels. Diesen Vogel nahm sie sofort wahr wie die Hitze, wie den Staub, den Lärm auf den Straßen. Raju hat ihr auch den Namen dieses Vogels sagen müssen, doch den hat sie gleich wieder vergessen. Sie ist zu eifrig gewesen, zu begierig, sie hat zu viel gefragt und sich alles merken wollen, womit sie es in ihrer neuen Heimat zu tun haben wird. Dann plötzlich bricht Raju mit dem Singen ab und sie hört ihn in seiner Muttersprache sprechen. Er ruft sie nach unten; in der Halle steht eine indische Frau, von der Barbara ehrfurchtsvoll nach Art des Landes gegrüßt wird.

Das wäre Ninu, sagt ihr Mann; er hätte sie für die Hausarbeit angeworben. Ninu wohne nicht weit von hier, sie käme regelmäßig alle Tage, um zu putzen und alle Arbeiten zu erledigen, die sie verrichten könne, außerdem käme sie auch außerhalb der vereinbarten Zeit, wenn es nötig wäre. Jetzt ist sie da, um beim Auspacken und Einräumen zu helfen. Denn, er legt seinen Arm um Barbaras Schulter, wer ein solches Haus bewohnt, der brauche Personal! Bevor Raju an seine Arbeit geht, gibt er Ninu in seiner Sprache Anweisungen, worauf sie sich wiederum ehrerbietig verneigt. Lächelnd steht sie da und sieht die Hausfrau erwartungsvoll an. Und als Barbara auf eine Kiste mit Geschirr zeigt, die sie auspacken möge, lächelt Ninu nur noch breiter – denn sie versteht kein Wort. Wieder muss Raju kommen und der Frau erklären, was sie zu tun hat. Barbara dämmert’s, dass es mit dem Personal schwierig werden wird. Es versteht weder Deutsch noch Englisch, und sie kann kein Bengali. Wenn das Haus eingerichtet ist, das nimmt sie sich vor, dann wird sie sich nach einem Bengalilehrer umsehen.

Es ist dunkel geworden, Ninu hat ihren Lohn eingesteckt und ist gegangen. Morgen, in aller Frühe, das sagte sie, werde sie wiederkommen.

Barbara liegt endlich unter einem Moskitonetz in ihrem vertrauten, bequemen Bett. Ohne sich zu rühren, schläft Raju neben ihr, bewegungslos wie ein Baumstamm. Sein Atem geht gleichmäßig und tief. Von einem guten Leben in Indien – davon haben sie in den letzten Jahren wieder und wieder geträumt: Indien, Rajus Heimat, das sollte auch ihre Heimat werden. Hier, am Hugli, wo Raju aufgewachsen ist, da wollten sie sich niederlassen. Von dieser Stadt hat Raju in seinen ersten Jahren in Deutschland fortwährend erzählt. Und mit seinem Erzählen hat er bei Barbara den Wunsch geweckt, in diesem Land, in der Nähe des Hugli, an Rajus Seite die verbleibenden Jahre und schließlich ihr Leben zu beschließen.

Alle zwei Jahre sind sie nach Kolkata geflogen, um Verwandtenbesuche und Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung zu machen und Eindrücke von ihrer künftigen Heimat zu sammeln. Dabei haben sie fast jedes Mal eine prachtvolle Bootsfahrt über den Hugli genossen, Fahrten im Kreise älterer europäischer Frauen, die mit einem Inder verheiratet waren, und die die letzten Jahre im Land ihrer Männer zuzubringen gedachten und hier begraben werden wollen.

Jetzt ist Barbara hier. Jetzt hat sie alles, was sie zum Leben braucht, in ihrem prächtigen Haus untergebracht. Obwohl sie am Abend zum Umfallen müde war – jetzt will sich kein Schlaf einstellen. Eine geraume Zeit liegt sie wach im Bett, dann steht sie auf und schleicht aus dem Zimmer.

Barbara ist ins Wohnzimmer hinunter gegangen, wo sie ein Fenster gegen die Moskitos und andere Quälgeister mit Gaze gesichert haben. Das Fenster war gekippt, sie öffnet es weit, um den Geruch dieser Stadt, um die Nachtkühle zu spüren. Der Garten ist stockdunkel; die gekalkte Mauer, die ihr Anwesen umschließt, wirkt wie Nebelstreifen zwischen dem Gesträuch und den Baumstämmen. Leise, um Raju oben im Schlafzimmer nicht aufzuwecken, zieht sie einen Flechtsessel ans Fenster, denn sie will hier sitzen bis der Schlaf sich einstellt. Doch diesmal, das weiß sie, wird sie lange warten müssen.

Nach und nach stürmen Bilder auf sie ein, die weit zurückliegen. Auf dem Rückflug ihrer ersten Indienreise hat sie Raju kennen gelernt, er war an Bord des Jumbos ihr Sitznachbar für die vielen Stunden bis Amsterdam. Sie kamen ins Gespräch, und als Barbara ihm von ihren touristischen Stationen, auch von einem dreitägigen Aufenthalt in Kolkata erzählte, zeigte er sich nicht nur hocherfreut – bei ihm war Interesse an dieser couragierten, an der schlanken, blonden Frau geweckt. Bevor sie von Bord gingen, haben sie Visitenkarten ausgetauscht und Raju hat versprochen, dass er sich bei ihr melden werde. Es sind Monate vergangen, und Barbara hatte den freundlichen, den gut aussehenden Inder vergessen – da kam in der Frühe eines Spätsommertags sein Anruf. Er wäre in ihrer Nähe und würde sie gerne treffen, sagte er.

Und sie trafen sich.

Raju erwartete sie in der vereinbarten Gaststätte; er saß im Gartenlokal unter einer ausladenden Linde vor einem Glas Selters. Bis in den späten Abend waren sie beisammen, der indische Ingenieur Raju Sharma und die Universitätsbibliothekarin Barbara Oberländer. Natürlich erzählten sie von Indien, sie erzählten aus ihrem Leben und in welchem Beruf sie arbeiteten, welche Interessen sie haben ... Von da an ergab es sich, dass Raju öfter in ihrer Nähe zu tun hatte. Aus den kurzen Treffen wurden überschwängliche und glückliche Wochenenden, und nach gut einem halben Jahr haben sie in Deutschland geheiratet.

Später hat Raju ihr von seinem Ärger mit dem Vater erzählt. Der alte Arzt Doktor Sharma hatte wohl schon seit langem eine indische Braut für seinen jüngeren Sohn im Auge, und er wartete voller Sehnsucht darauf, ihn verheiraten zu können, wenn er nach Kolkata käme. Die Nachricht, dass Raju sich ohne sein Wissen, ohne seine Billigung mit einer Europäerin verheiratet habe, brachte den Alten in Wut und ließ ihn wild und unerträglich werden, wie Rajus Mutter später erzählte. Er trug lange daran; bei der ersten Begegnung Rajus und Barbaras mit den Eltern zeigte Doktor Sharma dem Sohn und der Schwiegertochter die kalte Schulter. Wenn er mit den jungen Leuten sprach, dann richtete er das Wort nur an den Sohn. Er sprach Bengali, obwohl er wie Barbara auch des Englischen mächtig war. Und an seinem Ton war zu hören, dass er sich beherrschte, nicht wieder laut und grob zu werden. Doktor Sharma wurde älter, das Alter setzte ihm zu, und nach und nach zeigte er nicht nur Gelassenheit, er zeigte Milde, und schließlich sogar Freundlichkeit gegen den Sohn und gegen die ausländische Schwiegertochter.

Anders verhielt sich Rajus älterer Bruder Rahul. Unverhohlen zeigte er Ablehnung, gar Hass, nicht nur gegen die Schwägerin, auch gegen seinen Bruder. Viele Tage saß er stundenlang mit seiner schönen, müßigen Frau bei den Eltern in der engen Wohnung, wo sie sich von der Mutter bedienen ließen, Tee tranken und aßen und über Rajus Ehe mit der Ausländerin sprachen. Rahul ist Arzt geworden wie sein Vater, er hat im Zentrum Kolkatas eine gut besuchte Praxis mit zwei Helferinnen; und seit längerer Zeit steht ihm mit Veena eine umsichtige und couragierte, eine tüchtige und bewährte medizinisch-technische Assistentin zur Seite. Diese Frau ist verlässlich und hat in vielem Erfahrung sammeln können, so dass Rahul ihr nicht nur für Stunden, sondern auch für einen Tag die Praxis überlässt. Wenn er nicht bei den Eltern sitzt, dann trifft er sich mit Freunden, um mit ihnen zu trinken; und gelegentlich, wenn er ausreichend Geld hat, besucht er einen Salon, in dem schöne, gebildete Damen musizieren, die die Kundschaft mit Gesang, mit Getränken und anderen Lustbarkeiten unterhalten. Es kommt vor, dass er sich in solchen Etablissements eine ganze Nacht hindurch ergötzen kann und erst im Morgengrauen nach Hause kommt. Danach ist er den Tag über nicht anzusprechen, er sieht nicht einmal nach, wie es in der Praxis steht, da wirkt Veena, die fähige Assistentin, die ihn in unbedeutenden Dingen vertritt und die Patienten auf den nächsten Tag vertröstet. Savita, seiner schönen, seiner müßigen Frau kam zu Ohren, wo ihr Mann manche Nacht verbrachte und großzügig sein Geld ausgab, doch sie schwieg dazu und ließ ihn gewähren.

Wenn Barbara nach Besuchen bei den Schwiegereltern mit Raju von dem sprach, was sie dort erfahren und er ihr erzählt hatte und wie sie sich selbst, in ferner Zukunft, ihr Leben vorstellte, lachte Raju nur:

„In Deutschland leben wir gut! Hier ist das Leben nicht eng und eingeschnürt wie in den indischen Familien. Glaube mir, ich bin nur von der Hautfarbe her ein Inder. Hier drinnen, in meiner Brust, da bin ich ein überzeugter Deutscher. – Und sollten wir trotzdem einmal nach Indien ziehen, dann, Bärbel, dann muss es sehr weit weg von Kolkata sein. In indischen Familien lebt es sich anders als in Europa. Eine indische Frau hat alle indischen Männer der Sippe über sich, dazu die Schwiegermutter und die älteren Schwägerinnen!“

Das schrecke sie nicht, hat Barbara ihm geantwortet. Sie sei überzeugt, dass man von ihr, einer Frau aus dem Westen, keinen Gehorsam, keine Unterwerfung erwarte. Außerdem wisse sie sich zu wehren und sie rechne mit seinem Beistand, hatte sie hinzugefügt. Wenn Raju sich eindeutig und unmissverständlich an ihre Seite stelle, dann habe sie weder seinen Vater, noch seinen Bruder oder seine Mutter zu fürchten. Im Übrigen kämen seine Eltern ihr überaus freundlich entgegen, wenn sie in Kolkata sind, hatte sie gemeint.

Ja, das mag so sein, wie sie sage. Aber er verlasse Deutschland nur ungern, hatte Raju ihr darauf geantwortet. An alles hätte er sich in den vielen Jahren, die er hier lebe und arbeite, gewöhnt, sogar an das unfreundliche Wetter und an die vielen mürrischen Gesichter in den vollgestopften Straßen. Er lebe gerne hier und würde bis an sein Ende in diesem Land bleiben; einen besseren Ort könne er sich nicht vorstellen, schon gar nicht in Indien. Doch wenn es einmal so weit ist, dann könne die ganze Sache neu überlegt werden. Egal, wie die Entscheidung ausfallen werde – „Bärbel, ich denke, es wird ein Schritt in die richtige Richtung sein!“

Vor zwei Jahren ist diese Entscheidung gefallen, als für Barbara nur noch eine Zeit von gut eineinhalb Jahren bis zum Ruhestand blieb. Sie haben errechnet, dass sie von dem Altersgeld, das sie beziehen wird, beinahe fürstlich in Indien leben können. Raju erhoffte sich noch kleine Nebenverdienste in einem Ingenieurbüro, von denen es nicht wenige in Kolkata geben soll, wie er sagte. Und so sind sie in diese Stadt gereist und haben sich nach einem geeigneten Grundstück umgesehen. Rajus Vater, der alte Doktor Sharma, der um Hilfe gebeten worden war, hat Verwandte und Freunde eingeweiht und einige Objekte ausfindig machen können; und es hat nicht lange gedauert, bis sie auf dieses Grundstück gestoßen sind und sich dafür entschieden haben. Barbara ist daraufhin allein nach Deutschland zurückgeflogen, während Raju in Kolkata geblieben ist und mit dem Bau dieses Hauses begonnen hat.

Ihr Haus, das sie sich seit heute einrichten und in dem sie auf den Schlaf wartet – es ist geradezu ein Palast zu nennen, weit draußen am Rande Kolkatas, in einer abgelegenen, wenig besiedelten Gegend, umgeben von alten Bäumen, in die sich manchmal neben absonderlichen Vögeln sogar Rhesusaffen verirren. Dieses Haus ist nicht vergleichbar mit dem schlichten Reihenhaus in der alten Heimat, der sie den Rücken gekehrt haben, weil sie an eine gute und glücklichere Zukunft für sich und für Raju in diesem Land glaubt.

Mit Raju ist sie übereingekommen, nach etwa einem Vierteljahr, wenn alles an seinem Platz steht und das Haus nach ihren Vorstellungen eingerichtet ist, seine alten Eltern, die in einer engen, herabgekommen Wohnung weit unten im südlichen Bezirk hausen, zu sich zu holen. Für die Alten haben sie in der ersten Etage zwei Zimmer vorgesehen, dazu ein eigenes Bad und eine von den indischen Toiletten, an die sie gewöhnt sind. Hier unten, am Rande Kolkatas hat der alte Doktor Sharma einmal viel Land und ein Haus im englischen Stil besessen, bis Raju nach Deutschland gegangen ist. Von dem Moment an betrachtete Rajus älterer Bruder sich als alleiniger Erbe. Rahul beschaffte den Eltern in der Stadt eine enge und dunkle Wohnung, damit er sie besser erreichen könne – wie er sagte – eine Wohnung, die von der alten Mutter nicht mehr sauber gehalten werden konnte und bald vor Schmutz und Ungeziefer strotzte. Rahul verkaufte Land und Haus, verkaufte auch seine Praxis an einen Kollegen und fuhr für Monate nach Nordindien in die Berge, wo er und seine schöne, müßige Frau ein luxuriöses Leben führten. Erst als seine Barschaft zusammenschmolz, als seine Frau nicht mehr wusste, wie ein Hausstand zu führen ist, ließ Rahul sich wieder bei den Eltern blicken, ließ sich von ihnen durchfüttern und beklagte, dass ihm die gut gehende Praxis abgeluchst worden wäre und er fürchte, in einigen Jahren mittellos zu sein.

Und eines Tages waren Rahul und Savita wieder verschwunden, und niemand wusste, wohin. War Savita mit ihm gegangen? Hatte er sich von ihr getrennt und sie zu ihren Eltern zurückgeschickt? Sind sie in einen Ashram gezogen? Ja, lebten sie überhaupt noch? Solche Gedanken beunruhigten die alte Frau Sharma sogar in den Träumen. Nur Doktor Sharma wollte an so etwas nicht glauben. Rahul wäre ein gescheiter Mann, sagte er. Der hätte nie etwas Unüberlegtes getan. Der wird ins Ausland gegangen sein, wie er es bei seinem jüngeren Bruder gesehen hat. Als Arzt, das wüsste er, könne man auch in Amerika oder Europa Karriere machen. Geld besäße Rahul genug – Ja, die alte Mutter seufzte, das wollte sie auch glauben.

Unter dem Fenster schnüffelt ein Tier, und als Barbara das hört, fängt sie mit einem Schlage an zu frieren, als wäre sie mit eisigem Wasser übergossen worden. Nein, müde ist sie noch immer nicht, aber sie braucht Wärme, braucht Rajus immer glühenden Körper neben sich. Leise schließt sie das Fenster, und sofort hört das Tier mit seinem Schnüffeln auf. Barfuß steigt sie die Treppe nach oben, immer eine Stufe auslassend.

So, wie Raju sich am Abend ins Bett gelegt hat, so liegt er noch. Er bewegt sich nicht einmal, als sie sich, zitternd und durchgefroren, an ihn schmiegt. Lange wird sie nicht mehr schlafen können, weil in aller Frühe Ninu kommt. Sie kann die Räume, in denen die Möbel schon an ihrem Ort stehen, reinigen. Später soll sie Gläser und Geschirr, Besteck und die Töpfe spülen, denkt Barbara, so dass ich alles an seinen Platz räumen kann. Damit hat Ninu erst einmal genug zu tun.

Langsam durchzieht Rajus Wärme auch ihren Körper. Ein wohliges Gefühl überfällt sie, und es dauert nicht lange, da ist Barbara müde geworden. Im Halbschlaf glaubt sie Geräusche auf der Fensterbank draußen zu hören. Doch jetzt, da sie sich an Rajus Körper schmiegen kann und ihren Hausstand um sich hat, hat sie keine Angst. Ihr ist, als würde alles,

was sie nach Indien mitgebracht hat, Sie wie eine Schutzmauer umgeben. Aber das wirklich Beruhigende, das ist Raju, denkt sie.

Raju und Barbara

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