Читать книгу Raju und Barbara - Wilhelm Thöring - Страница 8
5
Оглавление„Raju, dein Bruder Rahul hat angerufen, er will uns bald besuchen!“
„Wie schön! – So, da ist er also wieder aufgetaucht! Und wann will er kommen?“
„In der nächsten Woche. Und seine Frau Savita bringt er auch mit, sagt er.“
„Das ist weniger schön!“
„Die wenigen Stunden können wir sie wohl ertragen, Raju“, sagt Barbara, die vor dem Gerätehaus steht, wo sie ‚Himbeere’ kurz angebunden hat, um ihn zu baden. Ashim hilft ihr, er trägt Wasser heran, reicht ihr Seife und Tücher und wundert sich im Stillen, was diese Frau mit einem Hund anstellt. Mit eingekniffenem Schwanz, zitternd wie ein dünner Zweig im Wind, lässt ‚Himbeere’ die Prozedur über sich ergehen. Als er frei kommt, schüttelt er sich ohne Ende und wälzt sich erst einmal gründlich im Staub. Brombeere ist nicht so geduldig, er jault und reißt an der Leine, dreht und wehrt sich, dass Ashim ihn festhalten muss; und nach dem Bad macht er es ebenso wie Himbeere: Er wälzt und schiebt sich ausgiebig durch den Dreck.
„Ich hoffe nur, es gefällt ihr nicht allzu sehr bei uns“, ruft Raju ihr zu. „Sie kann auf einem Stuhl festkleben wie Fliegendreck, wir werden sie nicht wieder los!“
„Sie wird doch wissen, wohin sie gehört.“
„Ich bin mir nicht so sicher und hoffe, dass mein Bruder sie auf das, was schicklich ist, hinweist. – Allzu freundlich dürfen wir nicht zu ihr sein, Bärbel. Wir dürfen sie nicht bitten, uns noch einmal zu besuchen.“
„Sollte Savita zu anhänglich werden, dann könnte es ihr wie Brombeere ergehen, sieh her ...“
Sie gießt einen Topf Wasser über den Hund und lacht so laut, dass der zusammenzuckt und zitternd vor Schreck sich auf den Boden drückt.
„Ganz zufällig könnte auch ihr eine Ladung Wasser über den Balg geschüttet werden ...“
Auf der Treppe erscheint die Mutter, und obwohl sie Deutsch nicht versteht, bricht Barbara erschreckt ab. Neugierig kommt die alte Frau näher. Was die Schwiegertochter mit den Hunden treibt, dass kann sie nicht verstehen. Eine Weile sieht sie schweigend zu, dann wendet sie sich an den Sohn und der erklärt ihr, warum Bärbel das macht, und dass in Deutschland die Hunde, die im Haus leben, hin und wieder gebadet werden. Und hier, wo es nur so staubt, da wäre ein Bad öfter nötig. Die alte Frau schüttelt fassungslos den Kopf und geht. Von der Veranda sieht sie noch einmal herüber, und als sie ins Haus zurückgeht, hören Raju und Barbara sie kichern.
Rahul ist sehr zeitig mit seiner Frau Savita gekommen. Er begrüßte zuerst die Eltern, indem er seine Handflächen aneinander legt und sich über ihre Füße beugt und eine Berührung andeutet, danach begrüßt er den Bruder, zuletzt streckt er Barbara die Hand hin; ihr erklärt er, sie hätten sich deshalb so früh auf den Weg gemacht, um nicht durch die Hitze fahren zu müssen. Stumm und alles eingehend betrachtend, lässt er sich von seinem Bruder durch’s Haus führen. Darüber, dass Fremde in jedes Zimmer gehen, ist der Riesenschnauzer derart aufgebracht, dass er weggesperrt werden muss. Barbara meint am Abend zu ihrem Mann, Brombeere hätte ein feines Gespür für unerwünschte Gäste, denn er hätte zu bellen und zu knurren angefangen, als Savita das eine oder andere angefasst hätte.
Nachdem sie alles in Augenschein genommen hatten, lässt Rahul sich wie erschöpft in einen Sessel fallen und verlangt einen Whisky.
„Ich habe keinen Whisky, Bruder.“
„Ja, ich vergaß, dass dies kein echtes gehobenes indisches Haus ist. In Häusern unseres Ranges, da wirst du auch Whisky finden ...“, bemerkt Rahul; für alle, die Englisch verstehen, sagt er es in dieser Sprache. Daraufhin zieht Barbara sich in die Küche zurück, und Savita folgt ihr. Schließlich kommt auch die alte Mutter hinterher. Der Koch muss ihr einen Stuhl holen, da sitzt sie und strengt sich an zu verstehen, was die beiden Frauen sich in der fremden englischen Sprache zu erzählen haben.
„Die Eltern waren sehr in Sorge“, beginnt Barbara. „Ihr habt lange Zeit nichts von euch hören lassen.“
Savita zupft an ihrem Sari, als hätte sie nichts gehört. Interessiert sieht sie zu, wie Barbara und der Koch Fleisch und Gemüse in die Teigtaschen füllen.
„Du bereitest Samosas? Ich dachte, bei euch käme nichts Indisches auf den Tisch ...“
„Wir leben in Indien, Savita, und meistens kochen wir, was hier gegessen wird. Doch hin und wieder müssen wir beide etwas anderes haben, sogar unser Koch. An einige deutsche Speisen hat er sich schon gewöhnt ...“
„Ja, ja, ich hab’s gehört: die Dienstboten sitzen mit euch am Tisch“, sagt Savita belustigt. „Die Eltern wundern sich sehr darüber! Sind das deutsche Sitten?“
„Nein, nur hier bei uns“, antwortet Barbara, dann sagt sie noch einmal: „Auch Raju war beunruhigt, weil er nichts von euch gehört hat.“
Savita lacht auf. „Raju? Beunruhigt? Rahuls Praxis war eine Fundgrube, die so viel Geld abgeworfen hat, dass sich die Kollegen danach gedrängt haben. Ohne Mühe hat er sie dem Meistbietenden verkaufen können, und wir hörten, dass der sich auch zurückgezogen hätte. – Zu großer Zulauf, viel zu nervenaufreibend. – Und das hat Rahul Jahr um Jahr ertragen, sein halbes Leben lang! Wir haben es uns mit dem Geld gut gehen lassen, sind durch Indien gereist, vom Süden, von Madurai bis hinauf in den Norden, ja, bis nach Nepal, Kathmandu ...“
In Erinnerung an diese Zeit schließt Savita die Augen, sie lächelt ein wenig verklärt vor sich hin, dann besinnt sie sich und wendet sich in Bengali an die Schwiegermutter, die ihr aufmerksam zuhört.
Barbara lacht die alte Frau und die Schwägerin offen an und nickt zu dem, was sie in der unverständlichen Sprache reden, auch als sie wahrnimmt, dass beide über sie reden, dass die Mutter die Stirn runzelt und einmal verärgert mit der Hand auf den Tisch patscht. Immer wieder einmal schaut sie zu Barbara auf, und als sie deren Lächeln bemerkt, wird sie unsicher und schweigt schließlich. Die Schwägerin jedoch plappert munter weiter, dabei sieht sie sich ungeniert in der Küche um, streckt sich vor, um Barbara und den Koch bei der Zubereitung der Samosas besser zusehen zu können.
Auch Pran runzelt die Stirn und schielt zu der geschwätzigen Frau hin. Manchmal bewegt er die Lippen, als führe er ein Selbstgespräch.
Als Barbara den Tisch deckt und mit Pran das Essen aufträgt, steht eine Whiskyflasche auf dem Couchtisch, Raju hat Kali geschickt, für den älteren Bruder zu kaufen, was er verlangte. Beide Männer haben schon reichlich getrunken, sie haben gerötete Augen, sind erregt und laut geworden. Die Schwägerin und die alte Mutter möchten in der Küche essen, wie es in Indien Brauch wäre, sagt Savita, aber Barbara besteht darauf, dass sich auch die Frauen zu den Männern an den Tisch setzen; die Schwiegermutter äße, seitdem sie in diesem Haus lebe, immer am Tisch; würde sie es heute lassen, dann wäre Raju nicht nur verwundert, er würde sich darüber ärgern, sagt sie, und so gesellen sich die beiden Frauen dazu. Nur Pran bleibt für sich, diesmal isst er am Küchentisch.
„Warum hast du Whisky holen lassen“, fragt Barbara, als sie zu fortgeschrittener Stunde in ihrem Bett liegen. „Hast du vergessen, dass er Alkoholiker ist?“
„Rahul hat danach verlangt. Ich wollte mich nicht von ihm, dem älteren Bruder, aufziehen lassen.“
„Das war unklug von dir, Raju. Davor kann er nicht weglaufen, auch nicht, wenn er bis nach Nepal fährt. Das hängt an ihm wie eine Verkrüppelung. Ich sage dir: Er wird wiederkommen, und seine nervtötende, geschwätzige Frau auch. Sie, die nicht einmal weiß, wie man Tee kocht oder einen Topf spült, die sitzt voller Hochmut und Abneigung da, als wäre sie zufällig in die Nähe eines Chamar geraten, der inmitten seiner Kadaver sitzt.“
„Jetzt, da die Eltern bei uns wohnen, werden sie wohl öfter kommen. Bärbel, ich kann sie nicht daran hindern. Und das Tor absperren, das geht auch nicht ...“
Barbara ist still geworden. Ja, das haben sie sich bis in die letzte Konsequenz nicht recht überlegt. Er, Raju, hat ausdrücklich nicht in diesen Flecken Indiens ziehen wollen, weil hier seine Eltern und viele alte Freunde leben. Die Freunde haben ihn bis jetzt in Ruhe gelassen, aber wie lange noch? Früher oder später werden die Studienkameraden, werden auch Freunde kommen, um dem Herrn dieses Hauses und seiner Frau ihre Aufwartung zu machen und sich darin umzusehen und die fremde Frau kennen zu lernen. Und danach, das weiß Raju, werden sie wiederkommen, immer öfter, sie werden lästig werden, denn so sind die Menschen hier. Er hätte Bärbel eindringlicher auf diese Schwierigkeiten hinweisen sollen, als sie darauf bestand, nach Kolkata zu ziehen.
Weil sie immer noch schweigt, tastet seine Hand nach ihr. Sie hat sich in ihre Decke fest eingerollt, als wollte sie sich einmauern und ihn aussperren. Behutsam streichelt er ihren eingepackten Körper, der mit einem Male leicht zu zittern anfängt. Raju deutet dieses Zittern falsch – er will zupacken, aber die Frau an seiner Seite weint still in ihr Kissen.
„Ich will mich bemühen, alles so zu halten, Bärbel, wie wir es in Deutschland gehalten haben.“ Und nachdem er nachgedacht hat, fügt er hinzu: „Es wird nicht leicht sein, und es wird mir auch nicht gleich gelingen – aber ich will mir Mühe geben und es immer wieder versuchen. Du musst mir vertrauen und ein wenig Geduld aufbringen. Es wird seine Zeit brauchen, aber alles wird gut werden. Wenn es besonders schwierig wird, dann sollten wir es einmal mit Brombeere versuchen: Der Hund mag Savita nicht. Wenn der wie zufällig in die Wohnung gestürmt kommt, sie ankläfft, vielleicht anspringt, dass sie Angst bekommt – dann werden sie so schnell wie es ihnen möglich ist verschwinden wollen und hier nicht wieder aufkreuzen ...“
Die Frau in ihrer Verpuppung bebt plötzlich noch stärker; sie bebt, weil sie sich bei der Vorstellung, wie der Hund über die Schwägerin herfällt, vor Lachen ausschütten kann.