Читать книгу Crazy Horse - Das Leben & Vermächtnis eines Lakota Kriegers - William B. Matson - Страница 20
7. Kapitel Der Krieg bricht aus
ОглавлениеIm Sommer des Jahres 1854 reiften die Wildkirschen spät. Wie ein Glutofen lag die Hitzewelle über Fort Laramie, als sich unsere Leute wieder einmal aufmachten, um dort ihre jährlichen Zuwendungen oder „Geschenke“ abzuholen.
Wir kamen eigens später im Sommer, denn wir hatten gehofft, wir müssten dann nicht so viel Zeit verschwenden, um auf unsere Geschenke zu warten. Doch obwohl wir extra später gekommen waren, standen unsere Geschenke noch immer nicht bereit und die Soldaten konnten uns auch keine Auskunft geben, wann sie endlich eintreffen würden. Wir waren zunehmend besorgt, denn unser Volk litt bereits Not, da es um das Fort herum nicht mehr viel Wild gab und wir nach dem, was im letzten Jahr geschehen war, nicht mehr wagten, einen größeren Jagdtrupp auszusenden. Während unserer langen Wartezeit näherte sich eines Tages ein Treck mit Einwanderern unserem Dorf. Gerade als sie an unserem Lager vorbeifuhren, brach eine ihrer Kühe aus und rannte mitten in unser Dorf. Die Weißen sahen von ihren Planwagen aus zu, wie die verängstigte Kuh durch unser Lager rannte und unsere Tipis und Kochgestelle niedertrampelte.
Während die wildgewordene Kuh große Verwüstung in unserem Lager anrichtete, waren die Leute in den Planwagen wie erstarrt und fürchteten, dass unsere Leute ihnen etwas antun könnten. Nicht einer von ihnen näherte sich unserem Dorf, um die Kuh zurückzuholen oder uns für all die Zerstörungen zu entschädigen. Hätten sie uns darum gebeten, hätten unsere Leute ihnen die lästige Kuh nur zu gerne zurückgegeben. Stattdessen setzten die Planwagen ihren Weg nach Fort Laramie einfach fort, während die Kuh weiterhin in unserem Dorf wütete.
Als er sah, dass die Siedler einfach weiterziehen wollten, beschloss ein Minnikojou-Krieger namens High Forehead63, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Er nahm sein Gewehr und erschoss die Kuh. Dann nahm er sie aus, kochte sie, und teilte das Fleisch mit dem ganzen Dorf, um den ärgsten Hunger zu stillen. Die Kuh war sehr mager, und das Fleisch roch und schmeckte längst nicht so gut wie unser Büffelfleisch.
Conquering Bear, der weiterhin unser Mittelsmann zu den Soldaten war, machte sich Sorgen, wie diese reagieren würden, wenn sie erfuhren, dass unsere Leute ein Tier des Weißen Mannes getötet hatten. Doch unsere Leute glaubten, dass er sich deswegen grundlos sorgte, weil die Einwanderer ja nicht einmal um die Rückgabe der Kuh gebeten hatten.
Conquering Bear wusste jedoch, dass die weißen Menschen bezüglich ihrer Besitztümer sehr empfindlich waren, und weil sie ihn zu unserem „Oberhäuptling“ ernannt hatten, wusste er auch, dass er der Hauptverantwortliche sein würde, wenn es zu irgendwelchen Missverständnissen käme.
Deshalb schickte er einige seiner Jungen nach Norden zum Lagerplatz unserer Familie am Kettle Butte64, um Crazy Horse und unsere Familie zu bitten, ihn im Hauptlager zu verstärken, falls es zu Kämpfen mit den Soldaten käme.
Crazy Horse nahm die Sache sehr ernst, weil er selbst erlebt hatte, wie unberechenbar die Amerikaner sein konnten. Außerdem mochte er Conquering Bear.
Im Jahre 1854 war unser Lager durch den Zuzug von Corns Leuten, aber auch durch die vielen Angehörigen von Black Buffalo stark gewachsen. Unser Lager am Kettle Butte lag etwas mehr als zwanzig Meilen, also einen Ritt von etwa zwei Stunden, von Conquering Bears Lager entfernt.
Conquering Bear hatte in der Tat einen guten Grund, besorgt zu sein, denn als der Treck Fort Laramie erreicht hatte, erfuhren wir, dass die Einwanderer sich bei Fleming, dem neu ernannten Kommandanten des Postens, beschwert hatten. Sie baten ihn sogar darum, ihnen zu helfen, ihre Kuh aus den Bäuchen unserer Leute zurückzuholen. Fleming war derjenige Soldat, der seine Männer ein Jahr zuvor in unser Dorf geführt und zwei unserer Leute getötet hatte. Wir wussten, dass er ein Mensch war, der keine Skrupel kannte und es wieder tun würde.
Angesichts dieser Tatsache suchte Conquering Bear diesen Fleming am späten Nachmittag in Fort Laramie auf. Er wollte versuchen, die Missverständnisse wegen der Kuh auszuräumen und über eine friedliche Lösung zu verhandeln. Als er erfuhr, dass die Einwanderer über die Sache mit der Kuh aufgebracht waren, bot ihnen Conquering Bear mehrere Pferde aus seiner eigenen Herde als Entschädigung für die Kuh an.
Die Soldaten schienen jedoch mehr daran interessiert zu sein, uns eine Lektion zu erteilen, als die Sache in Ordnung zu bringen, und so kehrte Conquering Bear tief besorgt in unser Dorf zurück. Als unsere Leute erfuhren, was los war, fingen auch sie an, sich Sorgen zu machen.
Spät in der Nacht traf Crazy Horse mit unserer Familie ein und schlug sein Lager zwischen einer Baumgruppe, ein paar hundert Meter abseits vom Hauptlager auf. Am nächsten Morgen führten Can-Oha, Little Hawk und zwei andere Jungen aus unserer Familie ihre Pferde zum Fluss, um sie zu tränken. Crazy Horse schickte den sechsjährigen High Horse mit ihnen und gab Can-Oha die Anweisung, ein Auge auf seinen jüngeren Bruder zu haben.
Nach einer Weile begannen die Jungen ein Spiel zu spielen, bei dem sie versuchten, mit einem Wildkirschenstab untereinander Coups zu zählen, während sie auf ihren Pferden ritten.
Um die Bitte seines Vater nicht zu vernachlässigen, ritt Can-Oha während des Wettkampfes zusammen mit seinem kleinen Bruder auf einem Pferd, sodass er ihn besser im Auge behalten konnte. Obwohl sein Pferd dadurch etwas schwieriger zu lenken war, nahm er die Herausforderung an und bewies in diesem spielerischen Gefecht seine Geschicklichkeit.
Etwas später am Tag schickte Fleming, der Kommandant von Fort Laramie, einen seiner besten Männer namens Lt. John L. Grattan sowie neunundzwanzig seiner Soldaten mit einem Planwagen zu unserem Hauptlager, um High Forehead wegen der getöteten Kuh festnehmen zu lassen. Sie führten zwei Kanonen mit sich, um uns zu zeigen, dass sie es ernst meinten. Sie brachten auch einen Dolmetscher namens Auguste mit, den keiner von uns mochte, weil er ein Säufer war.
Eines unserer geachtetsten und friedliebendsten Stammesoberhäupter namens Old Man Afraid Of His Horses65 ritt zu Grattan und versuchte ihn vom Betreten unseres Lagers abzubringen, aber Grattan ignorierte seine Warnung, denn offensichtlich wusste er, dass Fleming mit heiler Haut davongekommen war, als er unser Dorf im Jahr zuvor aufgesucht hatte.
Aber auch wir erinnerten uns an diese Geschichte und machten uns bereit. Can-Oha und die anderen Jungen konnten von einem Hügel aus beobachten, wie Grattan und seine Männer in unser Dorf ritten und ihre Kanonen so aufstellten, dass sie auf uns gerichtet waren.
Conquering Bear, der als heiliger Mann keine Waffe bei sich trug, ging auf Grattan zu, um mit ihm zu sprechen, denn er hoffte, den Frieden bewahren und die Situation so gut es ging entschärfen zu können. Grattan aber bestand auf der Herausgabe des Kriegers, der die Kuh erschossen hatte, oder es würde keinen Frieden mehr geben.
Allerdings kam es zu Missverständnissen, weil der Dolmetscher betrunken und mehr damit beschäftigt war, uns Beleidigungen an den Kopf zu werfen, als für seinen Vorgesetzten zu übersetzen. Wir hassten diesen Mann wirklich. Aus sicherer Entfernung behielten unterdessen einige der Krieger von Crazy Horse die Soldaten im Auge.
Schließlich gab Grattan seinen Soldaten einen Befehl, und als wir sahen, dass sie sich für einen Kampf bereit machten, folgten wir ihrem Beispiel.
Dann wurde ein Schuss abgefeuert, dem mehrere andere folgten. Auch die Kanonen wurden mehrfach abgefeuert, wobei Conquering Bear tödlich verwundet wurde. Dann war plötzlich die Hölle los. Can-Oha hielt High Horse die Augen zu, denn er wollte nicht, dass der kleine Junge den blutüberströmten Körper von Conquering Bear sah.
Er sagte Little Hawk und den anderen Jungen, sie sollten High Horse und die Pferde zum Fluss zurückbringen und seinem Vater erzählen, was hier gerade geschah.
Die Jungen ritten eilig davon, während Can-Oha entschied zu bleiben und eine günstige Gelegenheit abzuwarten, um sich an den Kämpfen zu beteiligen. Er war entschlossen, in die Rolle des Kriegers zu schlüpfen, um zu helfen, für unsere Lebensweise zu kämpfen. Sein Vater Crazy Horse aber wusste längst, was geschehen war, und hatte unsere Krieger bis zu einem Sumpf geführt, der hinter einer Gruppe an Wildkirschbäumen und Büschen, welche unser Dorf durchzogen, versteckt lag. Kurz nachdem die ersten Schüsse gefallen waren, stürzten unsere Krieger bereits von allen Seiten auf die Soldaten los. Die Soldaten gerieten in Panik und versuchten, entlang des Sumpfes in Deckung zu gehen. In diesem Moment brachen Crazy Horse und seine Krieger aus dem Morast hervor und schnitten ihnen den Weg ab. Die Soldaten konnten in keiner Richtung mehr entkommen und wurden komplett niedergemetzelt.
Als Can-Oha sah, wie die Soldaten vernichtet wurden, war sein Wunsch am Kampf teilzunehmen, so groß, dass er seine eigene Sicherheit vergaß und mit schussbereitem Bogen in die Schlacht ritt.
Doch sobald Crazy Horse seinen Sohn bemerkte, hielt er ihn sofort zurück. „Was tust du da? Wo sind High Horse und die Pferde?“, fragte er Can-Oha aufgebracht.
Als er den Zorn in der Stimme seines Vater vernahm, fühlte sich Can-Oha schuldig und beschämt. Er hatte leichtsinnig angenommen, dass die Kinder in Sicherheit wären.
„High Horse ist noch jung und hilflos! Du solltest ihn beschützen!“, tadelte ihn sein Vater. „Es sind die Schwachen, für die wir leben und kämpfen!“, mahnte er erneut.
Als Can-Oha zu unserem Lager zurückritt, sah er, dass die Soldaten tatsächlich einige unserer Kinder getötet hatten, und erinnerte sich an die Worte seine Vaters. Von da an achtete er bis zum Ende seines Lebens stets darauf, dass unsere Schutzbedürftigen in Sicherheit waren, ehe er selbst in die Schlacht zog.
Er beobachtete, wie der blutigverschmierte Körper von Conquering Bear auf eine Decke gebettet wurde. Er war noch am Leben, und Can-Oha sah die klaffenden Löcher in dem Körper und verstand nicht, wie es möglich war, dass der Mann noch atmete. Kurze Zeit später ging Conquering Bear auf die andere Seite hinüber. Sobald Can-Oha das Tipi unserer Familie betrat, war er erleichtert, Little Hawk, High Horse und die anderen Jungen zu sehen. Er war überglücklich, dass sie unversehrt waren.
Nach dem Kampf verlegten wir unser Lager wieder zurück in die Black Hills, um etwas Abstand zwischen uns und den Soldaten zu haben. Das Gefecht mit Grattan war der Kampf, mit dem der Krieg mit den Weißen begann, ein Krieg, der 23 Jahre dauern sollte. Das Tragische daran ist, dass der Anlass dazu eine alte, abgemagerte Kuh war.
63Hohe Stirn
64Kesselberg
65Alter Mann, der Angst vor seinen Pferden hat … Eigentlich: Die Feinde fürchten sogar seinen Hund