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8. Kapitel Hemblecha – Die Visionssuche

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Can-Oha hatte schlechte Träume. Immer wieder erschien ihm das Bild von Conquering Bears grausig zugerichtetem Körper.

Die Ahnen von der anderen Seite schlichen sich in seine Träume, um ihn daran zu erinnern, dass die Soldaten solch schreckliche Dinge tun konnten. Sie mahnten Can-Oha, wachsam zu bleiben und zu lernen, unser Volk zu beschützen. Als Can-Oha seinem Vater von diesen Träumen berichtete, wusste Crazy Horse, was zu tun war. Er erklärte Can-Oha, dass er ihn begleiten solle, um mit ihm zu beten. So brachen sie gemeinsam mit einer kleinen Schar von Medizinmännern auf und schlugen ihr Lager in der Nähe eines Ortes auf, der heute Sylvan Lake genannt wird und der sich in South Dakota befindet.

Crazy Horse beschloss, dass er und sein Sohn ihr Hemblecha auf der Geisterwand durchführen würden, die sich zwischen dem See und einem Berg, der in unserer Sprache als Paha Tokah oder First Hill66 bekannt ist, entlangzieht. Die Amerikaner nennen diesen Berg „Harney Peak“. Die Geisterwand ist ein langer Grat mit steilen Felsklippen, der damals noch von dichtem Wald umgeben war.

Crazy Horse brauchte zwei Plätze für die Visionssuche, einen für seinen Sohn und einen anderen, von dem aus er seinen Sohn sehen und selbst auf Visionssuche gehen konnte.

Nachdem er seinen Sohn zur Geisterwand geführt hatte, wurde es schwierig, einen guten Platz für die Visionssuche zu finden, weil die Bäume das Sonnenlicht verdeckten. Ein Helfer aus dem Tierreich, ein Rotschwanzbussard, bemerkte ihr Problem. Er flog über ihre Köpfe hinweg, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, und als er sie hatte, führte er sie zu einem guten Platz.

Can-Oha entdeckte eine Stelle, wo morgens die Sonnenstrahlen auf ihn scheinen würden, und Crazy Horse fand eine geeignete Stelle näher an Paha Tokah, von wo aus er seinen Sohn sehen konnte, während er selbst fasten und mit der heiligen Pfeife beten würde. Can-Oha hatte noch keine Pfeife.

Während seiner Hemblecha betete Can-Oha für die Büffelkalbpfeifen-Frau, für unsere Vorfahren, die bereits auf die andere Seite gegangen waren, für unsere Leute, die noch auf der Erde wandelten, und für unsere Familie. Als der Schöpfer ihm zuhörte, wusste er, dass er einer Vision würdig war, und schenkte ihm eine.

Can-Ohas Vision, welche sich durch die Wolken hindurch offenbarte, zeigte ihm, dass er ein Beschützer unseres Volkes sein würde. Der Schöpfer gab ihm die Anweisung, sorgfältig auf die Lehren seines Vaters und seines Onkels Hump zu achten, sodass er von ihnen lernen würde, ein großer Krieger zu sein.

Wenn ein Mann unseres Volkes den Wunsch hat, unsere spirituellen Wege zu erlernen, dann muss er vier Jahre lang einmal im Jahr sein Hemblecha durchführen, das in der Regel vier Tage dauert.

Während Can-Oha sich auf die heiligen Lehren unseres Volkes konzentrierte, fand etwa einen Tagesritt weiter südlich ein schreckliches Ereignis statt.

Die Soldaten machten keinen Hehl aus der Tatsache, dass sie über den Tod von Lt. Grattan und seinen Männern wütend waren. Sie sannen auf Rache und schickten daher General William S. Harney und etwa sechshundert Soldaten aus, um unser Volk zu bestrafen.

Im September 1855 entdeckten die Soldaten eines unserer Dörfer, in dem die Menschen nur in Frieden leben wollten. Das Oberhaupt dieses Lagers war Little Thunder67. Sein Dorf befand sich entlang des Blue Water Creek68 in Nebraska, in der Nähe des Ortes, der heute Ash Hollow State Park genannt wird. Da sie ein friedfertiges Leben führten, glaubten die Menschen in Little Thunders Dorf, dass die Soldaten dies respektieren würden, und sahen keine Notwendigkeit, vor ihnen zu fliehen. Als sie ihren Irrtum erkannten, war es bereits zu spät.

Die Soldaten griffen das Dorf an und schlachteten mitleidlos Alte, Frauen und Kinder ab. Obwohl weder Crazy Horse noch Can-Oha dort waren, verbreitete sich die Nachricht über das Massaker in Windeseile unter unserem ganzen Volk. Als Can-Oha davon erfuhr, wurde sein Wunsch, ein wahrer Krieger zu werden, um unser Volk zu beschützen, immer größer.

Im Jahre 1856 wurden sein Vater und Red Leggins mit einem weiteren Sohn namens Bear Pipe69 gesegnet. Dieses wunderbare Ereignis bestärkte Can-Oha in seinem Drang, ein guter Krieger und seinem neuen kleinen Bruder ein Vorbild zu werden, denn die Familie stand für ihn an erster Stelle. 1858 war das vierte und letzte Jahr in Can-Ohas Reise, zu einem vollkommenen spirituellen Krieger zu werden, und es war auch das letzte Jahr im Zyklus seiner vier Visionssuchen.

Als sein Vater an seinem gewohnten Hemblecha-Platz auf der Geisterwand betete und fastete, streifte sein Blick über seinen Sohn. Er sah, wie Can-Oha während seiner Visionssuche mit überkreuzten Beinen mit einem Ältesten sprach, der seitlich neben ihm stand. Crazy Horse befürchtete, dass tatsächlich jemand vorbeigekommen war und seinen Sohn störte, während er etwas so Heiliges wie ein Hemblecha durchführte. Also beendete er sein Gebet und ging zu seinem Sohn, um nachzusehen.

Und wieder war es der Rotschwanzbussard, der Crazy Horse durch ein Meer von Bäumen an die Stelle führte, wo sich sein Sohn gerade aufhielt. Auf dem Weg dorthin konnte Crazy Horse durch eine Lichtung in den Bäumen einen Blick auf Can-Oha erhaschen.

Er konnte es kaum glauben, denn er sah Can-Oha im Gespräch mit der schönen, heiligen Büffelfrau. Plötzlich stieß der Rotschwanzbussard über seinem Kopf einen schrillen Schrei aus. Crazy Horse blickte kurz auf, um nachzusehen, warum der Bussard schrie, und als sein Blick wieder zu der Stelle zurückkehrte, wo die schöne, heilige Büffelfrau gestanden hatte, war sie nicht mehr da.

Als Crazy Horse seinen Sohn erreicht hatte, bemerkte er, dass er weinte und eine heilige Ratspfeife in den Händen hielt. Crazy Horse fragte sich, wie sein Sohn zu der Pfeife gekommen war. Pfeifenkopf und Stiel hatten zusammen eine Länge von 86 Zentimetern. Die genaue Länge ist deshalb bekannt, weil diese Pfeife immer noch im Besitz unserer Familie ist und in einem heiligen Bündel aufbewahrt wird.

Der Pfeifenkopf war wie eine Zuckerstange mit einem Streifen aus Silberpapier umwickelt. Diese Spirale aus Silber war das Symbol, dass Can-Oha der Beschützer des Volkes sein und es vor Schaden bewahren würde.

Als Crazy Horse ihn nach der heiligen Büffelfrau fragte, erzählte Can-Oha seinem Vater, dass sie ihm die heilige Ratspfeife gebracht und ihm gesagt habe, dass die Pfeife einen Geist in sich hätte, der ihn schützen würde.

Er zeigte seinem Vater auch etwas, das eine weiße Eule ihm während seiner Visionssuche geschenkt hätte. Es war eine Medizin, die aus einem kleinen Stein gemacht war, der einem grauen Kristallfelsen ähnelte. Diese Felsmedizin vom Weiße-Eule-Volk hätte die Fähigkeit, sein Leben zu verlängern. Und die weiße Eule hatte ihm auch gesagt, dass er niemals durch feindliche Pfeile oder Kugeln verletzt werden könnte, wenn er diese Medizin bei sich trüge.

Diese Medizin bewahrte er in seinem heiligen Bündel auf und benutzte sie nur dann, wenn er in die Schlacht ritt.

Er trug sie in einem kleinen Lederbeutel, welchen er an seinem Gewehr, seinem Bogen, seiner Kriegskeule oder was auch immer er an diesem Tage als Waffe benutzen würde, befestigte.

Der Schöpfer zeigte Can-Oha, wie er sich als Krieger schmücken sollte, wenn die Zeit gekommen war, unser Volk und zugleich sich selbst zu beschützen. So sollte er aus Respekt für den Rotschwanzbussard zwei Federn dieses Raubvogels im Haar tragen, denn dieser hatte ihn zu dem heiligen Hemblecha-Platz geführt. Zudem sollte er einen roten Blitz von der Mitte seiner Stirn bis zum äußeren Rand des linken Auges ziehen, dann im Zickzack nach unten bis zum linken Nasenflügel, weiter zum Rand seines Mundes und schließlich zum unteren Mittelteil seines Kinns.

Ferner sollte er drei seiner Finger in eine spezielle weiße Farbe tauchen und die verwundbarsten Stellen seines Körpers mit drei weißen Flecken betupfen.

Wenn die weiße Farbe getrocknet wäre, so hatte es ihm der Schöpfer gesagt, dann würde sie seinen Körper hart wie Hagelkörner machen, sodass Kugeln und Pfeile ihn nicht durchdringen könnten. Während seiner Hemblecha war Can-Oha weit nach Westen geführt worden, wo die Wakinyan, die Donnerwesen, leben. Dort hatte er von der heiligen Büffelfrau seine heilige Ratspfeife erhalten. Seine Vision führte ihn auch in den Süden. Nach unserem Lakota-Glauben reisen wir nur ein Mal in den Süden – wenn wir sterben.

Dann wird unser Körper zunächst auf einem Gerüst aufgebahrt und vier Tage später in der Erde begraben, doch brachten unsere Vorfahren Can-Oha lebendig zurück. Sie zeigten ihm, wo alle unsere Familienmitglieder begraben worden waren, und baten ihn, ihre Gebeine vor der Entweihung durch irgendwelche Eindringlinge zu schützen.

Außerdem hatten sie ihn ein Lied gelehrt, das die Geschichte erzählt, wie er nach Süden und wieder zurück, sowie nach Westen und wieder zurückgeführt worden war. Heute ist dieses Lied als unser „Tashunke Witko Song“ bekannt und kann gelegentlich bei unseren Zusammenkünften gehört werden. Can-Oha trug die heilige Ratspfeife sein ganzes Leben bei sich.

Wenn er sie nicht im Gebet benutzte, trennte er den Pfeifenkopf vom Stiel und gab damit die zuvor herbeigerufenen Geister frei, damit sie wieder auf die andere Seite gehen konnten. Umgekehrt, wenn er betete, dann fügte er Kopf und Stiel wieder zusammen, um die Ältesten von der anderen Seite zu rufen, sodass sie ihm mit seinen Gebeten helfen könnten.

Wenn wir unseren traditionellen spirituellen Wegen gefolgt sind, haben sie uns immer ermöglicht, mit denen zu kommunizieren, die bereits auf die andere Seite hinübergegangen waren. Dies ist eine der Segnungen, Lakota zu sein.

Als es sich unter unseren Leuten herumsprach, dass Can-Oha nach Süden gegangen und ihm eine Medizin gegeben worden war, unser Volk zu beschützen, sahen unsere Ältesten und Krieger in ihm etwas Besonderes.

66Erster Hügel

67Kleiner Donner

68Blaues-Wasser-Bach

69Bärenpfeife

Crazy Horse - Das Leben & Vermächtnis eines Lakota Kriegers

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