Читать книгу Wyatt Earp Paket 2 – Western - William Mark D. - Страница 11
ОглавлениеDie Straße war menschenleer, und über dem gelben Sand waberte die Hitze. Die Sonnenglut wurde von den weißgetünchten Adobewänden zurückgestrahlt und warf unter die Farbe der hölzernen Häuserfronten große Blasen.
Es war Mittag.
Und es war seine Stunde. Die Stunde des Mannes, der sich selbst ›König von Arizona‹ nannte. Er war groß, breitschultrig und hatte ein hartes, kantiges tiefbraunes Gesicht. Er sah absolut nicht wie ein König aus und war auch keineswegs so gekleidet. Sein Hemd mußte vor langer Zeit einmal weiß gewesen sein; jetzt jedenfalls war es graugrün. Das schreiendrote Halstuch vermochte an diesem Zustand auch nichts zu ändern. Die leuchtendbraune, boleroartige Lederweste war zerschlissen. Zerschlissen wie die graue Hose und unansehnlich wie seine hochhackigen verstaubten Stiefel. Die großen Sternradsporen allerdings blinkten in der Sonne. So, wie auch die beiden Revolverknäufe blinkten, die er rechts und links tief über den Oberschenkeln in unten offenen Halftern trug. Nicht einmal der Hut konnte eine eindeutige Farbe aufweisen. Seine Krempe war zerfranst und die Schale von dunklen Schweißstellen durchsetzt. Unten aus den Hemdsärmeln blickten schwere erdbraune, stark behaarte Fäuste, die die abgegriffenen Zügelleinen hielten. Der Sattel jedoch war wie die Waffen und die Sporen beste Arbeit und gepflegt. Ausgezeichnet sogar war das Pferd, ein hochbeiniger, starkknochiger Rapphengst, der dem Kenner sofort seine besondere Klasse verriet.
Unter fast weißblonden Brauen blickten die Augen des Mannes in die breite, leere Straße. Offensichtlich war er zufrieden mit dem, was er sah. Er griff mit der Linken in die Westentasche und nahm eine der dort herauslugenden langen, dünnen Virginias heraus, steckte sie zwischen seine gelben Zähne und riß ein Zündholz am vom Lasso rauhgewetzten Sattelknauf an.
Dieser Mann war Ike Clanton, ein Cowboy aus dem Blue Valley, vierundzwanzig Meilen von Tombstone entfernt. Sein Vater hatte dort eine Ranch, die aber ebensoviel einbrachte, wie darauf geschafft wurde. Und die Clantons hielten seit jeher nichts von ehrlicher Arbeit. Vor allem nichts von einer Arbeit, die Schweiß kostete und doch nur wenig einbrachte. Da war der älteste der Clanton Brothers, eben dieser Isaac Clanton, den seine Freunde Ike nannten, so sehr frühzeitig auf den Gedanken gekommen, sich auf andere Weise Geld zu verschaffen: Er war mit seinem Bruder Phin, mit seinen Freunden, den beiden McLowerys (zwei berüchtigte Rowdies, die im ganzen Cochise County gefürchtet waren) und anderen jungen Burschen über die nahe Grenze Mexikos geritten und hatte dort von den kleinen Herden der Hazienderos Rinder weggetrieben und sie diesseits der Grenze oben bei Prescott verkauft. Man hätte sagen können, er war ein Rustler, aber das stimmt nicht. Ein Rustler überfiel keine Postkutschen, hielt in der Savanne keine Planwagen an und zog nicht mit einer Bande schießwütiger Männer durch die Gegend, um sich an der Furcht der Bevölkerung zu freuen.
Ike Clanton war ein Bandit. Auch, wenn es heute Leute gibt, die das nicht wahrhaben wollen. –
Jetzt hielt er am östlichen Eingang der Allenstreet seinen Rapphengst an. Er schob die Virginia von dem rechten Mundwinkel in den linken und stützte sich in einer für ihn charakteristischen Manier mit beiden Händen aufs Sattelhorn, wobei er den Kopf tief in die Schultern zog. An dieser Haltung hätte ihn jeder Mann im County auf eine dreiviertel Meile erkannt. Er benahm sich ganz so, als ob er allein wäre. Aber er war nicht allein; hinter ihm hielten sieben Männer auf ihren Pferden und blickten wortlos auf seinen breiten Rücken.
Und hinter den Reitern kam eine Viehherde, die von wild schreienden Treibern nur mühsam in die Straße gezwängt werden konnte.
Die sieben Reiter hinter ihm ritten nebeneinander, und zwar so, daß sie die ganze Breite der Straße ausfüllten.
Die Tombstoner waren an dieses Bild längst gewöhnt. Und der Mann, der oben an der dritten Straße im Sheriffs Office saß, schien um diese Stunde immer zu schlafen. Und es gab auch niemanden in der Stadt, der den Hilfs-Sheriff Jonny Behan gerufen hätte, um ihn darauf hinzuweisen, daß eine Rinderherde durch die Stadt getrieben wurde, was ja verboten war. Vor allem gab es niemanden, der Behan darauf aufmerksam gemacht hätte, daß es Ike Clanton war, der die Herde durch die Stadt trieb; daß es also eine gestohlene Herde war, die da ganz offen mitten am hellichten Tag durch die Hauptstraße der Stadt getrieben wurde.
Ike Clanton hatte schon fast hundert Yards hinter sich, als plötzlich ein Mann aus einer Seitengasse kam und mitten auf der Straße stehenblieb.
Es war ein großer, breitschultriger Mann, der etwas an sich hatte, daß sogar den ›König von Arizona‹ zwang, sein Pferd anzuhalten: Der Mann hielt ein großes Schrotgewehr im Anschlag.
Sonst war eigentlich nichts Besonderes an ihm. Er war vielleicht einsfünfund-achtzig hoch, hatte dunkles Haar, ein kantiges wetterbraunes Gesicht und helle blaue Augen. Sein Hut war schwarz, ebenso seine Hose. Das graue Kattunhemd war am Hals offen, und auf der linken Seite der kurzen schwarzen Weste trug er einen fünfzackigen Stern im Kreis.
Ach ja, richtig. Es gab ja noch einen U.S. Deputy Marshal in Tombstone. Da das von der Regierung so seit langem angeordnet war, hatte man sich in Tomb-
stone mit der Tatsache abgefunden.
Der Mann mit dem Stern war Virgil Earp, der älteste der fünf Earp-Brüder.
Ike stützte sich aufs Sattelhorn, senkte den Kopf und fixierte den Sternträger.
Eine lange Minute des Schweigens kroch durch die Tombstoner Hauptstraße.
Da sprangen die schmalen Lippen des Desperados auseinander. »Was soll das werden, Earp?«
Der U.S. Deputy Marshal stand reglos da. »Treib die Herde zurück, Ike!« Virgil hatte es nicht sehr laut gesagt, und er erinnerte in seiner nervenlosen Ruhe den Banditen plötzlich unangenehm an den berühmtesten der Earp-Brüder: an den Dodger Marshal Wyatt.
»Es ist ganz sicher besser für dich, Earp, wenn du nach Hause gehst, deinen Gaul holst und ein bißchen um die Stadt reitest, um nach Leuten Ausschau zu halten, die die Bundesgesetze übertreten.«
Virgil entgegnete gelassen: »Damit bin ich eben beschäftigt, Ike.«
In den Augen des Outlaws blitzte es auf. Mit einem Ruck richtete er sich hoch. Seine rechte Hand schwebte vom steifangewinkelten Arm dicht über dem Revolverkolben.
Da fuhr das knackende Gräusch des Gewehrhahns über die Straße.
Kein Muskel zuckte in Virgil Earps Gesicht. »Du treibst die Rinder zurück, Ike.«
Langsam rutschte der Desperado aus dem Sattel und machte fünf Schritte nach vorn. »Wir werden das gleich hier klarstellen, Earp.« Damit schnallte er den Waffengurt ab und ließ ihn neben sich in den Straßenstaub fallen.
Virgils Augen durchforschten das Gesicht des Verbrechers einen Herzschlag lang, dann entspannte er das Schrotgewehr, brachte es hinüber und lehnte es an die Vorbaukante des Crystal Palaces. Dann schnallte auch er seinen Waffengurt ab und kam langsam auf die Straßenmitte zurück.
Drei Yards der Tombstoner Mainstreet trennten den Gesetzesmann jetzt noch von dem Banditen.
Da stürzte plötzlich eine hagere Frau mit blassem Gesicht aus der Seitenstraße, rang die Hände und schrie: »Virgil! Nicht! Das kannst du nicht tun! Du darfst dich nicht mit ihm einlassen! Siehst du nicht, daß er ein Dutzend Leute hinter sich hat?«
Der Sternträger wandte den Kopf. Das Blut schoß ihm bis zum Haaransatz. »Geh nach Haus, Dora«, sagte er rauh.
Die Frau blieb stehen. »Virg, denk an die Kinder!«
Da grub sich eine steile Falte zwischen die Brauen des Mannes, Schroff entgegnete er: »Ich habe gesagt, du sollst nach Hause gehen!«
Da wandte sich die Frau an den Desperado: »Was wollen Sie, Ike? Er ist allein. Sie haben mit Ihren Treibern mehr als ein Dutzend Leute hinter sich!«
»Dora!«
Die Frau sah ihren Mann an. Dann nickte sie müde. »Es ist gut«, kam es heiser von ihren Lippen. »Ich gehe ja schon.« Sie raffte ihren langen grauen Rock, wandte sich um und ging mit gesenktem Kopf davon.
»All right«, krächzte der Bandit. »Wir können anfangen, Earp!« Und ohne ein weiteres Signal warf er sich nach vorn, hieb dem Sternträger einen krachenden Haken an die Kinnlade.
Sie waren aus Eisenholz geschnitzt, die Earp Brothers. Der Schlag hatte ihn zwar durchgeschüttelt, aber er stand aufrecht da. »Well, Ike«, entgegnete er mit eisiger Ruhe, »und den nächsten Hieb kannst du auf der anderen Seite versuchen!«
So einfältig jedoch war der Bandit nicht, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Er senkte vielmehr den Kopf und suchte den Gegner mit einem tückischen Kopfstoß zu rammen.
Virgil wich im letzten Bruchteil einer Sekunde zur Seite und hieb dem Outlaw einen knackenden Handkantenschlag ins Genick.
Aber auch der Ranchersohn aus dem Blue Valley war hart im Nehmen. Er stolperte zwar nach vorn, kam aber sofort wieder hoch.
Beide hieben nun wilde Schläge aufeinander los.
Es war ein ausgeglichener Kampf. Keiner gab dem anderen etwas nach. Und obwohl es die härtesten Brocken waren, die sie da auf die Reise schickten – sie verdauten sie beide.
Plötzlich fuhr ein krachender Uppercut Virgils durch die Deckung des Desperados und erwischte fast genau die Kinnspitze.
Ike torkelte zurück und knickte mit dem linken Knie ein.
Ein heiserer Schrei flog aus einem Dutzend von Männerkehlen.
Aber der Cowboy aus dem Blue Valley schien den fürchterlichen Niederschlag schon geschluckt zu haben. Er richtete sich auf und rannte wieder vorwärts.
Mit kalter Ruhe empfing ihn Virgil.
Im Verlauf der nächsten Sekunden zeigte sich, daß Ike den Uppercut doch nicht so ganz heil überstanden hatte. Seinen Schlägen fehlte der Dampf. Aber noch stand er seinen Mann. Doch war es auf einmal allen klar, daß er untergehen würde. Es war nur noch eine Frage von Sekunden.
Da sprang plötzlich ein Mann aus dem Eingang des Crystal Palaces auf die Straße und stürzte sich mit einem wüsten Schrei Virgil in die Flanke.
Der federte zurück, stieß Ike mit einer langen Linken von sich und fing den anderen Mann, der sich da in unfairer Weise eingemischt hatte, mit einem wütenden Cross zum Schädel ab.
Es war Phin, Ikes jüngerer Bruder, der da gleich diesen schweren Schlag einstecken mußte und zurücktorkelte.
Die Männer auf den Pferden waren starr vor Verblüffung über das Stehvermögen des Sternträgers.
Da rutschte Tom McLowery vom Pferd, riß sein schweres Sharpsgewehr aus dem Scabbard, packte es vorn an der Mündung und hieb den Kolben Virgil Earp von hinten auf den Kopf.
Der so niederträchtig von hinten angegriffene Mann brach in die Knie.
Der unfaire Niederschlag schien selbst dem Desperado Ike Clanton zuviel gewesen zu sein.
»Steig in den Sattel«, schnauzte er seinen Gefolgsmann an. »Und sieh zu, daß die Rinder zurückgetrieben werden.«
»Zurückgetrieben?« fragte Tom verdutzt.
»Yeah.«
Da mischte sich Phin ein. »He, erst dreschen wir den Kerl in die Knie, und jetzt willst du die Rinder zurücktreiben lassen?«
»Yeah«, knurrte Ike. »Wenn du Verstand im Kopf hättest, säßest du jetzt schon auf deinem Gaul. Im übrigen habe ich dich nicht gebeten, in meinen Kampf einzugreifen.«
»He«, maulte Phin, »es sah ziemlich dreckig für dich aus.«
»Was heißt dreckig? Der Fight war noch längst nicht entschieden. Außerdem weißt du genau, daß ich schon andere Kämpfe durchgestanden habe.«
»Well«, murrte Phin, schob davon und holte aus der Nebengasse sein Pferd. Er war von Ike als Kundschafter vorausgeschickt worden, hatte sich aber statt dessen in der Schenke die Kehle durchgespült.
Die Outlaws trieben die Herde zurück.
Nur Ike Clanton stand noch mitten auf der Straße und starrte auf den niedergeschlagenene Gesetzesmann.
Da trat oben ein älterer Mann auf den Vorbau und schob seine Fäuste tief in die Hosentaschen. Es war John Clum, der Herausgeber des Tombstoner Epitaph.
»Das war wirklich eine Leistung, Ike, auf die Sie stolz sein können.«
Der Desperado warf den Kopf hoch. »Lassen Sie mich in Ruhe.« Damit bückte er sich, hob seinen Waffengurt auf, schnallte ihn um, ging zu seinem Pferd und zog sich in den Sattel. Langsam ritt er hinter den anderen her, die die Rinder mit Schüssen und wilden Schreien wieder aus der Stadt trieben.
*
Als Virgil wieder zu sich kam, lehnte er unten an der Vorbautreppe des Crystal Palaces. Von seinem Kopf triefte Wasser. Neben ihm kniete der Zeitungsmann und hielt ihm ein Glas mit Whisky hin.
»Sie müssen noch einen Schluck nehmen, Virgil.«
Aber der U.S. Deputy Marshal lehnte ab, rieb sich mit dem Unterarm das Wasser vom Kopf und versuchte, sich zu erheben.
John Clum meinte: »Ich habe Ihnen das Wasser über den Kopf geschüttet…«
»Wer war es?« unterbrach ihn Virgil rauh.
»Tom McLowery.«
»Mit dem Gewehrkolben?«
Clum nickte und hatte sich ebenfalls erhoben.
»Ich werde Sie zum Doc begleiten.«
*
Erst anderthalb Tage später war der U.S. Deputy Marshal soweit wiederhergestellt, daß er sich in den Sattel setzen konnte. Gegen den Rat John Clums machte er sich an die Verfolgung der Clanton Gang.
Aber der heiße Wind, der in der vergangenen Nacht die Savanne heimgesucht hatte, war so stark gewesen, daß selbst die breite Spur, die die Rustler zurückgelassen haben mußten, nicht mehr zu sehen war.
Virgil ritt der mexikanischen Grenze entgegen.
An der Ansiedlung Colgy erkundigte er sich nach den Clantons, konnte aber nichts erfahren. Die kleinen Farmer hatten Angst.
Von Colgy aus waren es noch dreizehn Meilen zur mexikanischen Grenze. Virgil war überzeugt, daß Ike entweder hier oder neunundzwanzig Meilen weiter westlich die Passage über Haderyk genommen hatte. Ehe er aber diese fast dreißig Meilen durch die Sonne ritt, beschloß er, hier doch weitere Nachforschungen anzustellen.
Er wußte, daß sich drei Meilen südlich von Colgy vor anderthalb Jahren ein Engländer niedergelassen hatte, um Schafe zu züchten.
Virgil beschloß, ihn aufzusuchen.
John McBride war in den Fünfzigern. Er war ein knochiger, hagerer Mann mit aschblondem, angegrautem Haar und hellem Falkenblick. Er trug eine graugestreifte Hose und ein grünes Hemd, halbhohe Stiefel und einen Schlapphut, den er noch ganz sicher im alten Europa gekauft hatte. Er war gerade in seinem großen Corral damit beschäftigt, ein morsches Gatterbrett zu erneuern, als er den Reiter auf die Farm zukommen sah.
Ohne Hast ging der Brite zum Haus hinüber, wo er gleich neben der Tür immer das Gewehr bereitstehen hatte.
McBride blieb mit dem Gewehr vorn in der Deckung der Fenz stehen und erwartete den Reiter.
Als der auf Rufweite herangekommen war, krächzte der Brite ihm in seinem trockenen Englisch entgegen: »Was wollen Sie?«
Virgil rief zurück: »Mein Name ist Earp. Mister McBride, ich hätte gern einen Augenblick mit Ihnen gesprochen.«
»He, sind Sie etwa der Sheriff Earp?« rief er zurück.
Und da entdeckte McBride den Stern auf der Weste des Reiters. »All right, Mister Earp, dann kommen Sie.«
Virgil ritt auf den Hof und stieg vom Pferd.
Der Brite reichte ihm die Hand. »Es ist gut, Sheriff, daß Sie einmal kommen. Ich wollte schon vor Monaten den Weg zu Ihnen machen.«
Virgil schlug sich den Staub vom Hut und ließ sich auf einen Hauklotz nieder.
Der Brite wandte sich zur Haustür. »Liz, mach einen Tee, Sheriff Earp ist gekommen.«
Eine hagere blonde Frau trat in die Tür und grüßte den Ankömmling mit einem Kopfnicken.
McBride ließ sich Virgil gegenüber auf einer Treppenstufe nieder.
»Sie haben es ziemlich schwer hier«, meinte Virgil.
Der Brite zog die Schultern hoch. »Wo ist es nicht schwer? Drüben hatten wir einen kleinen Hof. Dann kam eines Tages ein Agent und bot uns hier sechshundert Acres Weideland zu einem Spottpreis an. Es sollte gutes Land sein. Schafsland. Da verkauften wir eben und sind hergekommen.«
Als die Frau den Tee gebracht hatte, meinte Virgil: »Wie konnten Sie sich nur so lange halten?«
McBride wies mit dem Daumen über seine Schulter.
Da sah Virgil drüben in der Schuppentür drei baumlange, knochige Burschen stehen.
»Ich bin nicht allein, Sheriff, und die Boys haben harte Fäuste und können mit dem Gewehr umgehen. Das letztere allerdings haben sie hier erst lernen müssen. Unsere lieben Mitmenschen haben uns dazu gezwungen.«
Der Alte kratzte sich hinterm Ohr. »Wir haben unten auf der Station San Juan vor anderthalb Jahren, als wir ankamen, schon Ihren Namen gehört. Wyatt Earp. In dem alten Store sprachen die Leute davon. Und dann erzählte uns auch einmal ein reisender Händler von Ihnen!«
Um die Lippen des Sternträgers spielte ein Lächeln. »Wyatt Earp ist mein Bruder. Ich bin Virgil Earp.«
»Ah, dann sind Sie sein Deputy.«
»Nein, er ist oben in Dodge City, in Kansas, Marshal. Ich stecke hier in Tombstone.«
»In Tombstone…?« wiederholte der Alte gedankenvoll. »Ja, auch davon haben wir gehört. Ein sinniger Name für eine Stadt. Soll eine ganze Menge da los sein. Aber wir lieben den Betrieb und das Laute der Städte nicht. Und selbst wenn wir wollten, Mister Earp, wir hätten gar keine Zeit, einmal in die Stadt zu reiten.«
Und nun lenkte Virgil das Gespräch vorsichtig auf den Grund seines Besuches.
John McBride kannte auch den Namen Ike Clanton – aber er konnte sich nichts so Rechtes darunter vorstellen. Nein, gesehen hatte er den Mann noch nicht. Und er meinte, daß er auch wenig Sehnsucht danach hätte, einen berüchtigten Desperado kennenzulernen.
Nein, der alte McBride log nicht. Das wußte Virgil sofort. Am liebsten wäre er gleich wieder aufgebrochen, aber er spürte, daß er die Farmersfamilie damit sehr gekränkt hätte. So hörte er sich dann auch die Sorgen der McBrides an und versprach, sich in Zukunft ein wenig um sie zu kümmern.
Der Alte kraulte sich den Kopf und meinte, als Virgil wieder im Sattel saß: »Da war zweimal ein ziemlich übler Bursche hier. Er nannte sich Billy Claiborne und hatte noch drei andere finstere Gesellen bei sich. Er wollte Geld, behauptete, daß er Steuereintreiber wäre. Beim erstenmal gab’s eine Keilerei, und als er vor ein paar Tagen wieder hier war, ließ ich ihn gar nicht erst auf den Hof. Da schossen die Burschen auf uns. Sie sehen, mein Jüngster, Ed, trägt den rechten Arm noch in der Binde. Aber wir haben die Bande schließlich doch in Schach gehalten und noch vertreiben können.«
Virgil machte sich wieder auf den Weg.
Er hatte nun keine andere Wahl; er mußte nach Haderyk hinüber.
Plötzlich kniff der Reiter die Augen zusammen.
Rechts auf einem Hügelkamm hielten drei Reiter.
Indianer.
Reglos verharrten sie da und sahen zu ihm hinunter.
Ein Bild wie aus längst vergessen geglaubten Tagen.
Der Weiße tat das, was er früher auch getan hatte, wenn er in der Savanne einem Indianertrupp begegnet war: Er ritt ruhig weiter.
Etwa dreihundert Yards trennten ihn noch von den Roten.
Virgil hatte das Gesicht nach vorn gerichtet, hielt die drei Apachen aber scharf im rechten Augenwinkel.
Immer noch verharrten sie reglos auf ihren Gäulen.
Jetzt war er auf gleicher Höhe mit ihnen.
Sie rührten sich noch immer nicht.
Virgil ritt ruhig weiter. Jetzt allerdings, ohne die Indianer sehen zu können. Das war ein höllisch unangenehmes Gefühl. Aber er durfte sich auf keinen Fall umdrehen. Aus langjähriger Erfahrung wußte er, daß einem Indianer nichts mehr imponierte als ein furchtloser Mann.
Dennoch dachte er nicht daran, die drei Rothäute so unbeobachtet in seinem Rücken zu lassen. Seit er einmal bei seinem Bruder Wyatt, der ja noch viel mehr herumgekommen war, ein kleines Stück Spiegelscherbe gesehen hatte, führte auch er immer ein solch nützliches Utensil mit sich. Er nahm es aus der Tasche, wickelte es aus dem Lederfetzen, in dem er es stets bei sich trug, und nahm es nach vorn an den Sattelknauf.
So sehr er es auch hin und her wandte – die drei Rothäute waren verschwunden.
Der Hügelkamm war leer.
Virgil wußte, was das zu bedeuten hatte: Sie würden ihm jenseits des Hügels folgen.
Also hatten sie es auf ihn abgesehen.
Da lenkte er sein Pferd weiter südwestlich vom Kurs, um eine größere Entfernung zwischen sich und der Hügelkette zu bringen. So erschwerte er den Indsmen einen Überfall.
Die Distanz zu den Hügeln betrug jetzt schon fast eine halbe Meile.
Da sah er sie plötzlich wieder im Spiegel. Sie tauchten oben auf dem Kamm auf und preschten in vollem Galopp talwärts hinter ihm her.
Sofort, aber ohne Hast, rutschte er aus dem Sattel, zog die Winchester aus dem Lederschuh und blieb abwartend stehen.
Die Indianer hatten natürlich genau beobachtet, was er getan hatte. Und fast auf den Yard genau dort, wo eine Winchesterkugel ihre Kraft verlor, hielten sie ihre Gäule an und berieten miteinander. Dann hob einer von ihnen den linken Arm und kam langsam näher.
Fünfzehn Yards vor dem Weißen blieb er stehen.
Fast genau dort, wo auch der beste Colt kaum noch ernsthaften Schaden anrichten konnte.
»Wir haben mit dem weißen Mann zu sprechen!« rief der Apache in dem gutturalen Ton seiner Rasse.
»Sprich!« entgegnete der Weiße kurz.
»Wir brauchen das Pferd des weißen Mannes.« Der Indianer hatte es gesagt, als sei es eine ganz selbstverständliche Sache.
Virigl tat auch keineswegs sehr erstaunt, versetzte aber ganz ruhig: »Ich brauche mein Pferd selbst.«
»Der weiße Mann kann wählen: entweder das Pferd oder den Kampf.«
»Ich verzichte auf den Kampf und behalte mein Pferd.«
»Dann hast du den Kampf gewählt.«
»Du hast ihn gewählt!« rief Virgil. »Komm näher, dann werde ich dir etwas zeigen!«
Zögernd kam der Apache näher heran.
Virgil hob die Winchester mit der Rechten und nahm mit der Linken einen seiner Revolver hoch. »Weißt du, wieviel Kugeln ich zu verschicken habe?«
»Die Krieger Cochises zählen die Kugeln ihrer Gegner nicht.«
»Hör zu, roter Mann, den Namen deines großen Häuptlings hättest du besser nicht erwähnt. Er ist ein stolzer, aufrechter Mann, der es nicht verdient, daß ein Bandit seinen Namen für seine schmutzigen Geschäfte benutzt. Wenn du ein Krieger Cochises bist, würdest du nicht wie ein Desperado durch die Steppe streifen und einen einzelnen Reiter überfallen!«
Betroffen sah ihn der Rote an. »Weshalb sprichst du so? Du kennst den Häutling nicht…«
»Ich kenne ihn. Ich war dabei, als Wyatt Earp im vergangenen Herbst oben an der Teufelsschlucht mit ihm gesprochen und am Lagerfeuer gesessen hat.«
Der Indianer zog die Brauen zusammen. »Wyatt Earp? Was hast du mit ihm zu schaffen?«
»Er ist mein Bruder.«
»Du lügst!«
Virgil lud mit einem knackenden Geräusch die Winchester durch. »Sag das noch mal, dann schieße ich dich nieder!«
Der Apache sann offensichtlich nach.
Endlich schien er zu einem Entschluß gekommen zu sein. »Wir kennen den weißen Häuptling Wyatt Earp und haben nur Gutes von ihm gehört. Wenn du wirklich sein Bruder bist, dann wirst du uns helfen.«
»Wie kann ich euch helfen?« erkundigte sich Virgil vorsichtig.
»Komm mit!« sagte der Apache kurz und wandte sein Pferd. Langsam trabte er auf die beiden anderen zu. Als er bei ihnen war, schien er sie kurz zu informieren, wartete, bis der Weiße herangekommen war, und ritt dann davon.
Virgil hielt sich im Abstand von sieben Yards hinter den Indianern.
Er hatte sich da zweifellos auf etwas eingelassen, das nicht ungefährlich war. Aber wer die Indianer und ihre Gewohnheiten kannte, wußte, daß der Tombstoner Gesetzesmann keine andere Wahl hatte.
Die Roten führten ihn auf den Hügelkamm und deuteten in die Ebene.
Weit in der Ferne stieg aus einer Bodenmulde eine fadendünne Rauchsäule in den Himmel.
»Da war unser Lager.«
»War…?« forschte der Weiße, wobei er die Indianer scharf im Auge behielt.
»In der letzten Nacht haben uns drei weiße Männer überfallen und das Camp niedergebrannt«, sagte der vorherige Sprecher, wobei er den Blick finster auf die Bodenmulde richtete.
Billy Claiborne! dachte Virgil. Es sieht ganz nach seiner Handschrift aus. »Wie viele Leute sind dort?« fragte er.
»Neun. Die Blaßgesichter haben unsere beiden Wagen und die Zelte in Brand geschossen und die Pferde mitgenommen.«
»Wie viele Pferde?«
»Fünf.«
Fünf Pferde – das war für einen so kleinen Indianertrupp ein nahezu unersetzlicher Verlust. Daß die Roten sich nun bemühten, Pferde beizuschaffen, war nicht verwunderlich.
»Habt ihr einen der weißen Männer erkannt?« forschte Virgil.
»Ich habe ein Blaßgesicht im Feuerschein gesehen, das ich nie vergessen werde.«
»War es ein blonder Mann, groß und hager, mit breiter vorspringender Kinnlade und auffällig großen Ohren?«
Die Augen des Apachen wurden weit. »Du kennst ihn?« fragte er heiser.
»Yeah, ich glaube, daß ich den Mann kenne, der euch bestohlen und euer Camp niedergebrannt hat. Es ist ein Desperado, der vor wenigen Tagen unten in der Sierra den weißen Mann überfallen hat, der da eine Schafsfarm hat.«
Der Apache nickte. »Wir kennen die Farm. Das Blaßgesicht ist gut und kümmert sich nicht um die roten Männer. Ist er tot?«
Virgil schüttelte den Kopf. »Nein, es ist ihm gelungen, die Banditen in die Flucht zu schlagen.«
Da wandte der Apache Virgil das Gesicht voll zu. »Du bist der Bruder von Wyatt Earp?« fragte er düster.
»Yeah.«
»Ist es sein Stern, den du trägst?«
»Ein ähnlicher Stern.«
»Dann wirst du uns beistehen?«
»Ich will es versuchen.«
Nun war der U.S. Deputy Marshal gezwungen, sich auf die Fährte Billy Claibornes zu setzen. Es galt ja jetzt, eine doppelte Rechnung mit dem Verbrecher zu begleichen.
Virgil nahm die Zügel auf.
Da rief ihm der Indianer zu: »Du wirst dem großen Häuptling nicht sagen, daß ich dein Pferd von dir gefordert habe?« Es war fast ängstlich von den Lippen des Apachen gekommen.
Virgil schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe es schon vergessen.« Damit trabte er davon.
*
In den Morgenstunden des darauffolgenden Tages erreichte er in der Nähe von Haderyk eine verlassene Pferdewechselstation einer länger eingestellten Overland-Linie.
Schon von weitem sah er mehrere Pferde in dem kleinen Corral vor dem halbverfallenen Gebäude stehen.
Virgil hielt hinter einer Gruppe von Bodenkakteen, rutschte aus dem Sattel und beobachtete mit zusammengekniffenen Augen das alte Haus.
Da trat drüben ein Mann aus der Tür, schleuderte einem kläffenden kalbsgroßen Hund etwas zu, auf das sich das Tier wie wild stürzte. Es war ein großer hagerer Mann mit schmalem Gesicht und flachsblondem Haar.
Virgil Earp erkannte ihn trotz der großen Entfernung: Es war Billy Clai-
borne.
Wo waren die beiden anderen Männer?
Virgil wartete. Offenbar hatten die Tramps ihn noch nicht bemerkt, sonst wäre Claiborne nicht so sorglos vor die Tür gekommen.
Da trat ein zweiter Mann hinter der rechten Hausecke hervor.
Es war ein mittelgroßer Mensch mit weit offenstehendem grauem Hemd, feuerrotem Haar und rotem Gesicht. Ted Flanagan. Auch ihn erkannte der Deputy Marshal augenblicklich.
Der dritte Bandit ließ sich nicht sehen.
Zufällig wandte Virgil sich um, weil sein Pferd ein leises Schnauben von sich gegeben hatte.
Die Kugel fehlte ihn nur um einen halben Zoll und schlug in die trockene Kakteenstaude hinter ihm.
Das Geschoß aus dem Revolver, der blitzschnell in die Rechte des Gesetzesmannes geflogen war, warf den Mann, der sich ihm fast lautlos von hinten genänert hatte, sofort von den Beinen.
Auch ihn hatte Virgil sofort erkannt. Es war Jimmy Higho, ein Outlaw, den er in Tombstone schon mehrmals hatte in Arrest nehmen müssen. Wie ein gefällter Baum lag er jetzt drüben im Sand.
Sie hatten ihn also doch bemerkt. Und der gerissene Billy Claiborne hatte ihm sogar einen Mann entgegengeschickt, der ihm aus dem Hinterhalt heraus abfangen sollte. Daß Claiborne selbst aus dem Haus getreten war, konnte nur eine Finte gewesen sein, um den Reiter von Jim Higho abzulenken.
Die beiden Männer waren drüben vor dem Haus verschwunden.
Virgil ging mit vorgehaltener Waffe auf den Niedergeschossenen zu.
Higho hatte es böse erwischt. Die Kugel des Tombstoner Marshals hatte ihm die Schädelschwarte aufgerissen. Aber bei näherem Hinsehen stellte Virgil fest, daß es schlimmer aussah, als es tatsächlich war. Allerdings mußte der Mann sofort behandelt werden.
Mit kühler Gelassenheit nahm Virgil ihm zunächst den Revolver weg, zog ihm das lange Wurfmesser, das Higho ständig bei sich führte und mit dem er unten in der Stadt schon mancherlei Unheil angerichtet hatte, aus dem Gurt, holte dann die kleine Whiskyflasche aus der Satteltasche und reinigte damit die Wunde des Banditen.
Der kam sofort zu sich und schrie gellend auf.
»Halt deinen großen Rand, Brother«, fuhr Virgil ihn an, »sonst setzt es noch ein paar Ohrfeigen.«
Gewaltsam mußte er dem Tramp einen Notverband anlegen, den er aus Hemdstreifen Highos angefertigt hatte. Dann band er ihm mit seinem eigenen Gurt die Hände und die Füße zusammen und legte ihn zwischen die Kakteen.
»So, einer wäre abgefertigt.«
Virgil nahm sein Gewehr und robbte in einer Sandfurche vorwärts. Als er bis auf Rufweite herangekommen war, reckte er den Kopf hoch und rief:
»Komm raus, Bill, sonst hole ich dich!«
Der Desperado antwortete mit einem bellenden Lachen: »Du bist es also, Virg, dachte ich mir’s doch. Wer sonst hätte Jim so schnell stoppen können. Ich hätte besser getan, wenn ich selbst da oben auf dich gewartet hätte.«
»Yeah, dann hättest du den Ärger, den du jetzt noch vor dir hast, hinter dir«, erwiderte Virgil kalt.
»Du mußt verrückt sein, Earp, wenn du dir einbildest, uns beide hier herausholen zu können.«
»Ich hole euch raus«, rief der Gesetzesmann, »darauf könnt ihr euch verlassen!«
Sofort brüllte drüben ein Gewehr auf; die Kugel ließ den Sand nur drei Yards vor Virgil aufstieben.
Und dann folgte Schuß auf Schuß. Aber keine der Kugeln erreichte Virgil.
In einer kurzen Feuerpause drang die blecherne Stimme Claibornes zu Virgil herüber. »Wie gefiel dir der Empfang, Virg?«
»Du mußt eine Menge Patronen bei dir haben, Junge. Ich würde ein bißchen sparsamer sein an deiner Stelle.«
Wieder folgten einige Schüsse vom Haus herüber.
»Bin wirklich neugierig, wie du uns aus dem Bau locken willst, Virg«, blecherte der Desperado.
»Vielleicht habe ich das gar nicht nötig, Bill«, entgegnete der Sternträger. »Die Sache ist nämlich ziemlich einfach. Ich schieße eure Pferde nacheinander nieder und setze mich dann mit der Gewißheit in den Sattel, daß ihr einen Fußmarsch vor euch habt, den ihr nie mehr vergessen werdet.«
Bill Claiborne stieß einen lästerlichen Fluch aus. »Das solltest du wagen, Mensch! Ich würde dich in Stücke reißen!«
Drüben blieb es still. Virgil zählte die Sekunden.
Kurz vor Ablauf der Minute kam die Stimme des Desperados wieder. »Was willst du überhaupt, Earp? Ich habe mit dir nichts zu schaffen.«
»Du hast so wenig mit mir zu schaffen, daß du mir einen Mann in den Hinterhalt legst, der mich ausblasen soll.«
»Ach, plustere die Sache doch nicht so auf.«
»Die Minute ist um. Sieh dir den Grauen noch einmal an. Es war ganz sicher ein gutes Pferd.«
»Warte!« brüllte Claiborne röhrend. »Weshalb kommst du hinter mir her?«
»Weil ich dir was auszurichten hatte.«
»Mir?« kam es ungläubig zurück. »Was denn?«
»Einen Gruß von Cochise.«
Kurze Stille. Dann: »Bist du vielleicht verrückt, Earp?«
»Das wollte ich dich gerade fragen«, erwiderte Virgil. »Ein Mann, der ein Apachen-Camp überfällt, niederbrennt und fünf Pferde mitgehen läßt, der kann nicht mehr ganz gesund im Kopf sein.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest, Virg.«
»Hör zu, Bill: Ich habe keine Lust, mich hier mit dir herumzuärgern. Ich will dir eine Chance geben. Komm raus und laß die fünf Gäule aus dem Corral.«
»Daß ich verrückt wäre! Wenn ich aus dem Bau komme, knallst du mich ab.«
»Das würde ich ganz sicher tun, wenn ich Claiborne hieße. Verdient hättest du es übrigens. Komm raus.«
»Ich schicke Ted Flanagan.«
»All right, du Feigling! Aber überlege es dir nicht zu lange, sonst lasse ich mein Feuerwerk auf die Gäule los.«
Es dauerte eine ganze Weile, ehe der Rotschopf Flanagan in der Tür erschien. Der Bandit machte ein paar zögernde Schritte auf den Corral zu und blieb dann stehen.
»Hol die fünf Gäule raus, Ted, kopple sie aneinander und bring sie her.«
»Du wirst nicht auf mich schießen, Virg?« erkundigte sich Flanagan.
»Nein, wenn du deinen Colt drüben läßt und die Gäule hergebracht hast, kannst du unbehelligt abziehen.«
Anscheinend sahen die Tramps ein, daß es das beste war, der Aufforderung des Sternträgers nachzukommen.
Virgil wußte genau, worauf Claiborne spekulierte: Er wartete darauf, daß der Marshal mit den Pferden abzog, um ihm dann folgen zu können, schließlich hatten die beiden Banditen ja noch ihre eigenen Pferde.
Aber Virgil dachte nicht daran, den Tramps diese Chance zu lassen.
Der rote Flanagan hatte inzwischen die Tiere aneinandergekoppelt und führte sie aus dem Corral.
Er hatte das vorderste Pferd am Halfter und kam mit immer langsamer werdenden Schritten näher.
»Halt dich weiter links, Brother«, rief ihm Virgil zu. »Damit ich deinen Freund Bill im Auge behalten kann.«
Als Flanagan bis auf zwanzig Schritte herangekommen war, blieb er stehen. »So, das ist genug, Earp«, krächzte er und wollte die Indianerpferde loslassen.
»Wenn du es riskierst, die Indianergäule loszulassen, Ted, ist unsere Abmachung nichtig. Du bringst die Pferde her zu mir.«
Zögernd kam Flanagan heran. Er warf dem Sternträger die Halfterleine zu und rannte davon.
Virgil wartete, bis der Outlaw fast am Corral war, dann rief er: »Halt!«
Wie angenagelt blieb Flanagan stehen.
»Öffne das Corralgatter!«
Sofort erschien Claibornes Kopf drüben im Fenster… »Was soll der Betrug, Earp! Wir haben…«
Virgils Kugel schlug dicht neben der Schulter des Banditen in den Fensterrahmen und riß ein daumengroßes Stück aus der Holzfassung.
»Du hältst das Maul, Claiborne! Öffne das Corralgatter, Flanagan! Und zwar schnell!«
Der Rotschopf nahm die Arme hoch und ließ sie resigniert wieder fallen. Dann stampfte er auf den Corral zu und öffnete das Tor.
»Treib die drei Gäule raus!«
Mürrisch brachte der rothaarige Desperado die drei Pferde vor den Corral.
»Jetzt verschwinde!« rief Virgil.
Flanagan rannte zum Haus hinüber.
Und schon heulte die Winchester des Sternträgers auf.
Die Kugeln klatschten hinter den Pferden in das Gatterholz. Sofort stoben die Tiere davon. Virgil setzte noch einige Kugeln hinter ihnen her, die sie in panische Angst nach Südosten davontrieben.
»So, Boys, und nun vergeßt euren Freund hier an dem Kaktus nicht. Er hat einen frischen Scheitel und wird Durst in der Sonne kriegen. Und noch etwas, Claiborne: Wenn du dich noch einmal bei dem Briten drüben in der Sierra sehen läßt, hast du neuen Ärger mit mir.«
Er wandte sich um und führte die Indianergäule zu den Kakteen.
Drei, vier Gewehrschüsse fauchten hinter ihm her, vermochten ihn aber nicht zu erreichen, da die Distanz zu groß war.
Virgil stieg in den Sattel und sprengte davon.
*
Mitten in der Nacht sah Virgil in der Bodenmulde vor sich das Indianercamp. Ein kleines Lagerfeuer warf einen flakkernden Lichtschein umher. Virgil ritt bis auf Rufweite heran und hielt dann an.
Da hörte er seitlich hinter sich eine Stimme. »Du bist es also wirklich!«
Hinter einem Gestrüpp erhob sich ein Mann. Er hatte ein Gewehr in der Hand und kam näher.
Virgil rutschte vom Pferd. Er hatte den Apachen an der Stimme erkannt.
»Ich bringe dir deine Pferde zurück.«
Der Indianer trat heran und stand stumm vor dem Weißen. Dann streckte er ihm die Hand hin. »Jetzt erst weiß ich, daß du der Bruder von Wyatt Earp bist. Mein Name ist Geronimo.«
Er nahm die Pferdeleine und führte die fünf Schecken wortlos dem Lager zu.
Virgil sah ihm nach und zog sich dann in den Sattel.
Langsam ritt er im Licht der Sterne nach Südwesten davon.
*
Virgil Earp ritt auf Harderyk zu.
Er konnte den freistehenden Glockenturm der dachlosen Klosterkirche schon deutlich erkennen, sah die weißen Häuser, die sich darum scharten, und nahm die Zügel auf, um sein Pferd zu einer schnelleren Gangart anzutreiben.
Hatte er den Schatten hinter der kleinen Feldhütte nicht gesehen? War der sonst so Wachsame auf einmal unaufmerksamer geworden?
Jedenfalls hatte der Reiter die windschiefe Feldhütte etwa zehn Yards hinter sich, als plötzlich hinter der Hütte hervor ein Gewehrschuß krachte.
Der Reiter bekam einen Schlag gegen den Kopf, rutschte nach vorn auf den Pferdehals und glitt dann seitlich aus dem Sattel.
Er blieb da, wo er hinfiel, liegen, mit dem Gesicht in dem gelbweißen glühenden Sand.
Hinter der Feldhütte stand ein großer hagerer Bursche mit struppigem Blondhaar und kalten kieselharten Augen.
Bill Claiborne hatte Rache genommen.
Es war kein Kampf gewesen – es war die üble Tat eines Feiglings. Wie der schäbigste Heckenschütze hatte der Tramp den Staatenreiter von hinten aus dem Sattel geschossen.
Claiborne trat aus seinem Versteck hervor und starrte auf sein Opfer. Dann ging er zu seinem Pferd, löste die Zügelleinen vom Querholm und zog sich mit hölzernen Bewegungen in den Sattel.
Fast noch eine Meile trennten den Niedergeschossenen von der Ansiedlung. Bewegungslos wie ein Toter lag Virgil Earp im Sand.
Das Pferd stand neben ihm mit gesenktem Kopf und blickte auf seinen Herrn nieder.
Die Sonne hatte eine wahre Feuersglut auf die Erde geschleudert. Kein menschliches Lebewesen wagte sich aus den Häusern.
Fast eine Viertelstunde war vergangen, da kam von Süden her ein alter Mann heran. Er war weißhaarig, hatte eine bronzebraune Haut, die von zahllosen Falten zerschnitten war. Der Mund war hart und schmal und an den Winkeln nach unten gezogen. Perlschwarz und flimmernd waren die Augen. Es war der achtzigjährige Mescalero-Apache Agostino.
Mit harten Augen sah der alte Indianer auf den Mann am Boden nieder.
Agostino kam von der Fontana Santa Maria della Salute, wo er allwöchentlich nachsah, ob die Quelle noch sauber war, die schon so manchem Reiter ein Labsal auf dem Ritt durch die Steppe gewesen war.
Da hatte er plötzlich den Mann unweit von der Feldhütte im Sand liegen sehen. Er beugte sich zu ihm nieder und sah in sein Gesicht.
Virgil schlug die Augen auf und sah die klaren perlschwarzen Augen des alten Indianers über sich. Sprechen konnte er nicht.
Der Indianer nahm ein kleines Fläschchen aus dem Lederbeutel, den er am Gürtel trug, und reinigte die Wunde an der rechten Kopfseite des Verletzten. Dann lud er den wieder Besinnungslosen auf das Pferd und führte das Tier in die Ansiedlung.
Niemand hatte den Vorgang beobachtet. Niemand wußte, wo der U.S. Deputy Marshal Virgil Earp geblieben war.
*
Fünf Tage schon war Virgil von Tombstone weg, und noch immer hatte seine Frau nichts von ihm gehört. Als noch drei weitere Tage vergingen und der Mann nicht zurückgekommen war, entschloß sich die Frau zu einem Schritt, der ihr später selbst unbegreiflich war. Sie verließ das kleine Haus, in dem sie mit den Kindern am Westrand der Stadt wohnte, und ging zum Post Office.
Der alte Posthalter schob seinen grünen Marineglasschirm aus der Stirn und musterte die Frau mit sorgenvollem Gesicht. »Sie kommen wegen Virgil, Ma-dame, nicht wahr?«
Die Frau nickte.
»Wollen Sie eine Nachricht an das Militär in Prescott aufgeben?«
Dora Earp schüttelte den Kopf. Sie wußte ja, daß das wenig Sinn gehabt hätte. Bis der Gouverneur einen Staatenreiter herschickte, konnte ein Monat vergehen. Und vielleicht noch längere Zeit. Virgil hatte das ja vor einem Jahr schon einmal versucht und sich dann doch an Wyatt gewandt.
Wyatt, der von ihr so gehaßte Wyatt, wo war er? In Dodge? Das war keineswegs sicher. Ein Trader hatte vor einer Woche unten im General Store erzählt, daß Wyatt Earp irgendwo in Texas sei. Er behauptete, ihn bei Norfolk drüben im Panhandle vorm Sheriff Office mit dem dortigen Sheriff gesehen zu haben. Aber ein paar Tage darauf brachte John Clum eine Zeitung aus Colorado, in der eine Notiz von einem Bandenüberfall in der Nähe von Denver stand, bei dem der bekannte Dodger Marshal Earp den Bandenchief gestellt hätte.
Es war also hoffnungslos, an den Schwager zu schreiben. Oh, wie sie ihn haßte! Ihrer Ansicht nach hatte Virgil sich nur so an den Stern geklammert, weil der jüngere Bruder so berühmt durch ihn geworden war. Aber er war doch ein ganz anderer Mensch, dieser Wyatt Earp. Ein härterer, stärkerer Mann, der für diesen Teufelsjob weitaus besser geeignet war als ihr Mann Virgil.
So jedenfalls dachte die Frau.
Als sie niedergeschlagen im grellen Sonnenlicht stand, das durch die Tür in das Post Bureau fiel, meinte der alte Jesse Malcolm: »Ich hätte da noch einen anderen Gedanken, aber…«
Die Frau sah auf. Ein Hoffnungsschimmer huschte über ihr verhärmtes Gesicht. »So sprechen Sie doch, Mister Malcolm!«
»Hm – ich weiß, daß Sie ihn nicht mögen…«
»Wen, Wyatt? Well, ich mag ihn nicht, weil Virgil so vernarrt in ihn ist. Aber schließlich ist er mein Schwager. Und wenn einer Virgil finden kann, dann ist nur er es.«
»Ich meinte Wyatt gar nicht«, versetzte der Posthalter leise und kramte auf seinem Pult herum.
»Wen denn?« fragte die Frau hastig.
»Den Doktor.« Malcolm hatte es fast noch leiser gesagt.
»Den…?« Dora Earp starrte ihn fast böse an. »Meinen Sie etwa Doc Holliday?«
Malcolm nickte und kramte eifrig in seinen Papieren herum, als suche er etwas.
»Nein, nie! Nie werde ich ihn um Hilfe bitten!« Die Frau hatte es fast geschrien. Wenn sie Wyatt auch haßte, so war das doch mehr eine gewisse Art von Eifersucht – aber den Georgier haßte sie, weil er ein so durch und durch eisiger Mensch war. Weil niemand mit ihm warm werden konnte, weil er so unansprechbar war, weil er – yeah, weil er der Freund Wyatt Earps war.
»Doc Holliday! Nie! Nie!«
Sie wollte hinaus, war schon auf dem Vorbau, als sie den Posthalter sagen hörte:
»Vielleicht ist er aber Ihre einzige wirkliche Chance, Madame. Ich weiß übrigens zufällig, daß er sich in Santa Fé aufhält. Wir haben eine gute Verbindung nach Santa Fé…«
Dora Earp war bereits auf der Vorbautreppe, blieb jetzt stehen und kam langsam und mit müden Schritten zurück.
Es war ganz sicher die schwerste Bitte ihres Lebens, die sie jetzt zu Papier bringen ließ. Eine Drahtnachricht an das Sheriffs Bureau in Santa Fé. Mister James Brocks, County Sheriff.
Sir, falls Sie Aufenthalt von Doktor John Henry Holliday ermitteln können, bitte benachrichtigen, daß Wyatt Earp dringend in Tombstone erwartet wird. Virgil seit neun Tagen vermißt.
Dora Earp, Tombstone
*
Der grauhaarige County Sheriff James Brocks, der ein schweres Leben hinter sich hatte, der mehrere Jahre unten in Fort Worth unschuldig wegen eines Verbrechens gesessen hatte, das der Raubmörder Jack Hardac begangen hatte, riß die Eilnachricht auf, die ihm der junge Bursche aus dem Post Office eben gebracht hatte.
Brocks hatte die Botschaft kaum überflogen, als sich seine hagere Gestalt straffte. Er nahm seinen grauen Hut vom Wandhaken, schnallte seinen Waffengurt um und ging die Straße hinuner zum Billroy Casino. Er wußte, daß Doc Holliday seit einer Woche etwa in der Stadt war und sich meistens dort aufhielt.
Es war noch früh am Morgen, und der Schankraum war fast leer.
Ein paar Männer lehnten an der Theke, und an einem der zwanzig grünbezogenen Spieltische saßen drei ältere Männer beim Pokerspiel.
Der Sheriff winkte den Keeper zu sich heran. »Wissen Sie, wo Doc Holliday ist?«
Der dicke Keeper wischte sich den Schweiß von der Glatze. »Doc Holliday? Yeah, das kann ich Ihnen sogar genau sagen. Doc Baker hat Zahnschmerzen.«
»Was, unser Zahnarzt?«
»Yeah, und da hat er hier an der Theke so lange auf ihn eingeredet, bis Doc Holliday mit ihm nach Hause gegangen ist. Vorsichtshalber hat sich der Gambler eine Pulle Brandy mitgenommen…«
Der Sheriff war schon draußen.
Das Haus Doktor Bakers lag unten in der Mainstreet, gleich neben der großen Western Bank.
Ein etwa sechzehnjähriges hübsches Mädchen mit langen Zöpfen öffnete. »Hallo, Sheriff! Haben Sie etwa Zahnschmerzen? Mein Vater hat leider…«
»Ist Doc Holliday bei Ihnen, Miß Maud?« forschte Brocks.
»Ja, aber er hat auch keine Zeit, weil er Vater…«
»Lassen Sie mich bitte rein. Ich muß mit Doc Holliday sprechen.«
Das Mädchen zog die Schultern hoch und ließ den Sheriff ins Haus.
Dann stand James Brocks in der halb-offenen Tür des Behandlungszimmers und sah den Zahnarzt Jeremias Baker in seinem eigenen Behandlungszimmer sitzen und schwitzen.
Vor ihm stand hemdsärmelig, ohne jede Spur von Schweiß mit kaltem, ruhigem Gesicht ein hagerer junger Mann mit gutgeschnittenem ernstem Gesicht und eisblauen Augen. Er handhabte gerade einen Tretbohrer und führte ihn mit großer Sorgfalt und Ruhe über einen der Backenzähne seines Kollegen.
»Papa, der Sheriff ist hier«, sagte das Mädchen leise.
Hollidays Hand mit dem Bohrer zuckte sofort zurück, und der alte Baker schnauzte: »Sieht denn der Kerl nicht, daß ich keine Zeit habe, weil ich den teuersten Zahnarzt der Welt in Bewegung gesetzt habe?«
»Nur einen Moment, Doc«, meinte der Sheriff.
»Nichts da!« keuchte der Alte. »Wenn Doc Holliday geht, kommt er so bald nicht wieder. Der Mann hat die sanfteste Hand, die ich je bei einem Menschen gesehen habe.«
Der Georgier warf dem Hüter des Gesetzes einen kurzen Blick zu. »Wir sind gleich soweit, Sheriff. Mund auf, Baker. Es geht weiter.« Und schon wieder surrte der Bohrer. Holliday setzte noch einen Moment aus und winkte Maud herbei. »Wenn Sie das Pedal treten, kann ich besser arbeiten.«
»Yeah!« krächzte der Alte. »Was
stehst du auch wieder so da herum und hältst Maulaffen feil, Maud. Er ist verheiratet.«
»Stimmt nicht«, versetzte Holliday kühl. »Und jetzt: Mund auf!« Wieder surrte der Bohrer.
Brocks trat näher und sah zu. Dann nahm er den Zettel vom Post Office und las ihn vor.
Mit einem Ruck setzte der Bohrer aus. Doc Holliday sah den Sheriff an. »Wann ist das gekommen?«
»Vor zehn Minuten.«
»Thanks«, sagte er dann nur und bohrte weiter an der faulen Backenzahnstelle seines Kollegen herum.
Eine Viertelstunde später stürmte er aus dem Haus, wimmelte den Dank des alten Arztes ab und rannte hinüber zur Post.
Er wußte immer, wo der Dodger Marshal sich aufhielt. Trotzdem gab er vorsichtshalber drei Depeschen auf. Eine nach Dodge, eine nach Yampa in Colorado und eine nach Cory in Texas, wo Wyatt zuweilen seinen Freund, den Rancher Lonegan, aufsuchte.
Dann ging er ins Boardinghouse, zahlte seine Zeche, holte seinen Schecken aus dem Mietstatt und preschte in südwestlicher Richtung aus der Stadt.
Sheriff Brocks stand auf dem Vorbau seines Offices und sah ihm nach.
Der alte Zahnarzt stand neben
ihm. »Hell and devils, hat der es aber eilig.«
Der Sheriff nickte. »Ich wollte, ich hätte auch solch einen Freund, wenn ich einmal in Not bin…«
James Brocks dachte daran, daß Wyatt Earp und Doc Holliday ihn damals aus der Hölle des Straflagers Worth gerettet und den Mörder Hardac hier unten in der Stadt gestellt hatten.
*
Tombstone.
In der breiten Allenstreet herrschte die Stille des Mittags. Ein Hund trottete mit gesenktem Kopf über die Vorbauten, schnüffelte an den Dachpfeilern herum und verschwand in einer Häuserspalte, einer jener engen Gassen, die zwischen zwei Häusern klafften.
Im Crystal Palace lehnten etwa ein Dutzend Männer an der Theke. Sie hatten sich um den langen Frank McLowery geschart. Frank, der ältere der beiden McLowery Brothers, war zweifellos neben Ike Clanton die interessanteste, aber auch die gefährlichste Figur im Kreis der Tombstoner Outlaws, die sich alle unter der schlichten Bezeichnung Cowboys durchs Dasein drängten. Frank war ein großer Bursche von mehr als sechs Fuß Länge, mit breiten Schultern, dunklem Gesicht, kurz geschorenem kräftigen schwarzen Haar und einem kleinen spitzen Kinnbart, der den diabolischen Ausdruck seiner Augenpartie noch unterstrich. Er trug seinen grauen breitrandigen Hut an einer dünnen Lederschnur hinten auf dem Rücken, hatte ein weißes Hemd an und die übliche boleroartige Arizonaweste, aus deren linker Tasche eine schwere silberne Uhrkette hervorsah. Der Waffengurt sah ziemlich neu aus, war aus hellbraunem Leder und hielt an beiden Seiten je einen großen fünfundvierziger Revolver, der dieser Frank McLowery mit einer gefährlichen Schnelligkeit und Sicherheit zu gebrauchen wußte. Seine langen Beine steckten in engen schwarzgrau gestreiften Hosen, die unten über den hochhackigen Cowboystiefeln ausliefen.
Frank strich mit der Rechten über seinen Kinnbart und sah den Keeper an.
»He, alter Schnapspanscher, wenn du mal zufällig nicht pennst, kannst du mir noch ein Glas Whisky herüberreichen.«
Der Keeper nickte. Dann brummte er unsicher: »Sie haben noch drei Gläser zu bezahlen, Mister McLowery!«
Franks Gesicht straffte sich augenblicklich. In seinen dunklen Augen stand ein böses Flimmern. Fast leise aber mit unüberhörbar drohendem Unterton sagte er: »Habe ich dich etwa gebeten, mich daran zu erinnern, Fettwanst, he? Vorwärts, den Whisky!«
Der Keeper preßte seinen zahnlosen Mund zusammen und goß das bestellte Glas ein.
Die anderen Männer an der Theke starrten in ihre Gläser, verlagerten ihr Körpergewicht von einem Bein auf das andere, verjagten die lästigen Fliegen ab und zu von ihren Händen und hatten damit schon genug getan, um Schweißtropfen auf ihre Stirnen zu bringen.
Harter trommelnder Hufschlag kam von der Straße herein.
Die Männer an der Theke wandten sich langsam um. Nur Frank McLowery nicht; er hatte die behaarte erdbraune Linke um sein Glas gepreßt und sah in den Spiegel.
»Sechs«, kam es träge von den schmalen Lippen des schwammigen Keepers.
»Sieben«, versetzte McLowery dagegen.
Sie spielten dieses kleine Spiel schon seit Jahren. Und wer gewann, warf einen Drink.
Meistens gewann Frank. Und wenn er nicht gewann, war es gut für den Keeper, den Drink trotzdem zu bezahlen.
Der Hufschlag war verklungen. Harte Schritte und singendes Sporenklirren dröhnte auf den Vorbaubohlen.
Der Keeper sah auf die Tür.
Frank linste unter seinen buschigen Brauen mit fast gesenktem Kopf in den Spiegel hinüber.
Im hellen Licht der Tür, das nur von den beiden bastgeflochtenen Schwingarmen in der Mitte für einen Dreiviertel-yard unterbrochen wurde, tauchte die Silhouette eines Mannes auf. Dann kam noch einer und noch einer. Vier weitere folgten.
Frank McLowery wandte den Blick, ohne aber den Kopf zu bewegen, zu dem Keeper hinüber. »Sieben. Dein Drink!«
Yeah, es waren sieben Männer, die den Schankraum betreten hatten.
Wortlos nahm der Keeper die Flasche und goß Franks Glas wieder zu einem Drittel voll.
Sich selbst vergaß er bei diesem Spiel übrigens nie. Und da er auch mit anderen Gästen ähnliche, wenn auch nicht ganz so gefährliche Spiele pflegte, befand er sich fast immer in einem Zustand leichter Trunkenheit.
Die sieben Reiter schoben rechts an den Thekenrand und schnipsten mit den Fingern.
»Whisky!«
Der Keeper goß sich erst den verlorenen Drink in den Hals, warf zwei kleine Geldstücke in die Lade, damit die Rechnung nachts aufging, und watschelte ans andere Thekenende.
Frank McLowery fixierte die neuen Gäste scharf und unauffällig in seinem Freund, dem Spiegel.
Es waren große hartgesichtige staubige Burschen in Cowboytracht. Er irrte sich nicht, als er darauf tippte, Texaner vor sich zu haben.
Schweigend gossen die Reiter das scharfe Getränk in ihre staubtrockenen Kehlen.
Erst nach einer Weile wandte sich einer von ihnen, ein herkulisch gebauter strohblonder Bursche, an den Keeper: »Ist das dein schlechtester Fusel, Alter, oder hast du noch galligeres Schlangengift zu bieten?«
Mit einem kleinen Ruck wandte
sich Frank McLowery zur Seite, wobei
er auf den linken Ellbogen aufgestützt blieb.
Die Männer, die bisher neben ihm an der Theke gelehnt hatten, wichen augenblicklich einen Yard zurück und blickten angelegentlich auf ihre Stiefel.
Es war still im Crystal Palace.
Warren Plegg, der Keeper, unterbrach diese Stille mit einem ostantativen Seufzer.
Franks Kopf flog zu dem Dicken herum. »Wo kratzt’s dich?«
»Das Schild ist zu klein, Frank. Dein Name geht nicht mehr drauf. Ich muß ein neues anfertigen. Du wirst mir die Arbeit nicht zumuten«, murmelte er mundfaul, während er zwei Gläser in dem kleinen Becken auswusch.
Ein heiseres Lachen drang aus der Kehle des Desperados. »Vielleicht mußt du dich auf eine bedeutend größere Arbeit gefaßt machen, Plegg, und sieben texanische Namen auf ein neues großes Schild malen.«
Der blondhaarige Goliath kniff das linke Auge zu und krächzte: »Habt ihr den staubigen Arizonafrosch quaken hören, Boys?«
Die sechs anderen Texaner lachten rauh.
Das Gesicht des Banditen Frank McLowery veränderte sich schlagartig. Es war plötzlich hölzern geworden. Seine Augen glichen winzigen schwarzen Schießscharten.
Die sechs Texaner wichen jetzt ebenfalls zur Seite, so daß der blonde Hüne allein an der Theke stand.
»Zieh!« bellte Frank – und hatte seinen großen schwarzen Revolver schon in der Rechten, als der Texaner, der gewiß nicht langsam war, ihn erst zur Hälfte aus dem Halfter gebracht hatte.
Drei Sekunden standen die beiden Männer wie Wachsfiguren da.
Dann brach ein heiseres kurzes Lachen von den Lippen des Desperados. »Well, Boy, du bist gut. Aber nicht gut genug für Frank McLowery.«
Der Texaner wurde um einen Schein blasser. »Sie sind Frank McLowery?« brachte er mit belegter Stimme hervor, wobei er seinen Revolver ins Halfter zurückgleiten ließ.
»Yeah, Tex, wenn du nichts dagegen hast!« Frank lachte wieder sein kurzes abgehacktes Lachen und ließ den Revolver ebenfalls ins Halfter zurückfliegen.
Der Texaner lachte jetzt auch. Damit steckte er zurück und hatte diesen Gang endgültig an den Desperado abgegeben. Aber es war das Vernünftigste, was er tun konnte.
Frank wandte sich wieder der Theke zu. Ohne den Blonden anzusehen, fragte er: »Ihr kommt aus dem Canadian-Knie?«
Der Texaner nickte. »Yeah, aus Villajona. Mein Name ist Cass Flater. Und der da«, dabei deutete er auf einen seiner Kameraden, der mit den Händen in den Hosentaschen hinter ihm stand, »der ist Garry Mills. Sie haben vielleicht schon von ihm gehört. Er hat das Preisschießen vor einem Jahr unten in Dallas gewonnen.«
Nein, Frank McLowery hatte noch nichts von dem Cowboy Garry Mills gehört. Aber mit Luchsaugen fixierte er den weißblonden sommersprossigen Burschen.
Flater drehte sich eine Zigarette und erklärte dann: »Ich gebe eine Runde, Frank.«
McLowery nickte. Unentwegt beobachtete er den texanischen Kuhtreiber Garry Mills, der das große Preisschießen von Dallas im vergangenen Jahr gewonnen haben sollte.
Plötzlich hatte der Desperado eine Idee. Und er pflegte seine Ideen nach Möglichkeit möglichst rasch in die Tat umzusetzen.
»Wir haben hier keine festen Gewohnheiten, Boys. So haben wir leider auch keinen Tag, an dem hier ein Preisschießen stattfindet. Aber ich finde, daß heute ein guter Tag dazu wäre. Unten neben Nelly Cashmans Boardinghouse haben wir einen prächtigen Schießplatz. Ike und die Boys üben sich dort immer mit ihren Colts, schießen neue Waffen ein und knattern auch sonst häufig um eine Runde Whisky da herum.«
»Ike?« fragte Flater mit großen Augen. »Meinen Sie etwa Ike Clanton?«
»Yeah. Wenn ich Ike sage, kann ich nur Ike Clanton meinen!«
»Ist er in der Stadt?«
»Weiß ich nicht«, versetzte Frank ausweichend. »Aber was haltet ihr von meinem Vorschlag? Garry könnte uns bei dieser Gelegenheit einmal zeigen, was ein texanischer Preisschütze auf dem Kasten hat.«
Es wurde eine Weile hin und her geredet, aber schließlich fanden die Texas-
cowboys keine Worte mehr, um Frank McLowery sein Vorhaben auszureden.
Anderthalb Stunden später hatten sich draußen auf dem freien Platz unweit von Nelly Cashmans Boardinghouse eine Menge Leute eingefunden. Mochte der Teufel wissen, wie Frank McLowery sie alle auf die Beine gebracht hatte. Wenn es galt, etwas mit dem Colt zu verdienen, gab es in Tombstone immer eine Menge Männer, die dabei waren.
Frank hatte sogar Curly Bill aus seiner Behausung aufgestöbert und ins Freie gebracht. Der wilde Brocius reckte sich, warf sich eines seiner grellroten knopflosen Hemden über, schnallte sich seinen Waffengurt um, stülpte sich seinen schwarzen Stetson auf den Hinterkopf, so daß sein wolliger Schopf vorn über die Stirn quoll, und kam mit zum ›Schießplatz‹.
Frank hatte noch andere Männer mobilgemacht. Zum Beispiel Frank Stilwell, der mit finsterem Gesicht auf dem Platz erschien. Sogar der schiefmäulige Indian Charly hatte sich eingefunden. Jimmy Radmacher, der immer aussah, als wäre er aus einem Graben gekrochen, Pety Vaugham mit seinem halbverbrannten Gesicht und der krummbeinige kleine Jonny Goldwater waren plötzlich da.
*
Frank hatte sieben Männer gegen den Texaner gestellt. Um die Sache allgemein interessant zu machen, sollten noch je zweimal sieben Männer um einen zweiten Preis schießen.
Jeder zahlte zwanzig Dollar, so daß für den ersten Preis allein von den vierzehn Teilnehmern zweihundertachtzig Dollar einkamen. Dazu hatten die Zuschauer je drei Dollar zu entrichten, so daß beim Beginn des Wettkampfes fast tausend Dollar in der Cassa lagen.
»Tausend Dollar für den ersten Preis!« brüllte Frank über den Platz.
Lauter Jubel.
Der geschäftstüchtige Wirt des Oriental Saloons hatte ein Whiskyfaß auf den Schießplatz schleppen lassen, dem bald weitere folgen mußten.
Der Fight begann.
Jeder hatte drei Schuß.
Und nach genau anderthalb Stunden stand fest, daß der texanische Cowboy Garry Mills schon durch seine ersten beiden Schüsse, von denen jeder nur einen Inch neben dem schwarzen Zielpunkt saß, vorn lag.
Frank McLowery selbst lag dicht hinter ihm, aber der Sieg war dem Texaner kaum noch zu nehmen, als er mit dem dritten Schuß den Rand des Zielpunktes traf.
Frank McLowery fehlte um fast zwei volle Inches.
Curly Bill lag kurz hinter ihm, dann kam Indian Charly und der krummbeinige Goldwater.
Die Tombstoner Crew beriet sich und schlug, da McLowery einmal Ladehemmung und dadurch möglicherweise einen schlechten Schuß bekommen hatte, einen doppelten Nachschuß für beide vor.
Sie trafen beide fast denselben Punkt.
Anderthalb Inches neben dem Schwarzen.
Jeder auf dem weiten Schießplatz wußte, daß der Texaner diesen Wettstreit gewonnen hatte. Aber die Männer um Frank McLowery ließen plötzlich eine wüste Schimpfkanonade auf die Texaner los, und eine Prügelei setzte ein, bei der gerade Garry Mills fürchterlich aufs Korn genommen wurde.
Frank, der die Schlägerei angestiftet hatte, spielte sich plötzlich als Friedensrichter auf und schlug noch einen letzten Schuß für Mills und sich selbst vor.
Der Texaner stand mit einem blaugeschlagenen Auge da und stierte auf seine rechte Hand, über die sich eine Blutspur zog. Irgend jemand hatte ihm bei der handgreiflichen Auseinandersetzung ein Messer über die Fingerrücken gezogen.
Der heimtückische Täter war niemand anders als Frank Stilwell.
»Los, wir schießen von da aus, wo wir stehen!« rief McLowery. Der Schweiß rann ihm von der Stirn.
Heavens, es ging um tausend Dollar! Um ein enormes Stück Geld.
Garry stand zwischen seinen Kameraden.
Da rief Bill Brocius: »Vorwärts! Frank, fang an! Dann schießt der Tex sofort hinterher!«
Franks Schuß krachte.
Und dann bellte nur einen Herzschlag später aus dem Knäuel der Texaner ein Schuß los.
Aber der verletzte Garry Mills hatte ihn nicht abgegeben. Er sah sich entgeistert um und blickte auf den Mann, der seitlich hinter ihm stand und an und für sich aus dieser Position nicht besonders gut hatte zielen können.
Frank rannte zur Tafel. »Die Kugel sitzt im Schwarzen!« grölte er.
Donnernder Jubel scholl über den Schießplatz.
Da trat der Mann vor, der für den texanischen Cowboy den Schuß abgegeben hatte.
Er war fast sieben Fuß groß, hatte wuchtige, weit ausladende Schultern und ein tiefbraunes, hartes, markantes Gesicht. Unter seinem weißen Stetson blickte blauschwarzes Haar hervor. Er reckte seine Riesengestalt und bleckte seine großen blendendweißen, ebenmäßigen Zähne, während er seine braunen Fäuste in die Hüften stemmte.
Die Männer auf dem weiten Platz blickten auf die geradezu faszinierende Gestalt, sahen den Kreuzgurt um seine schlanken Hüften und die beiden großen Revolver, deren Knäufe seltsamerweise nach vorn standen.
»Ist es wirklich deine Kugel, die im Schwarzen sitzt?«
Frank McLowery starrte den Fremden an. »He, was geht dich das an, Langer?«
»Weil ich behaupte, daß es meine Kugel ist!«
Ein Raunen ging über den Platz.
Dann stampfte Frank auf den Fremden zu. »Du hast geschossen?«
»Yeah, Brocius sagte ja, daß Garry einem anderen Texaner den letzten Schuß lassen könne. Well, ich stand gerade da und nahm den Schuß an. Wie du siehst, Fellow, habe ich zwei Fünfundvierziger in den Halftern. Du hast zwei hübsche Acht-unddreißiger da baumeln. Wir werden das Bleistück aus dem Brett picken und sehr schnell wissen, wer von uns beiden es hineingebracht hat!«
Frank rannte wieder zur Scheibe.
Aber der Riese war ihm gefolgt.
Ein alter weißbärtiger Mann grub mit einem Messer die Kugel aus dem Zielholz, und als er das verformte Bleistück schließlich in seiner verarbeiteten Hand hielt, wurde der Desperado Frank McLowery kalkweiß.
Es war unverkennbar das große Geschoß aus einem fünfundvierziger Revolver.
Auf dem Schießplatz herrschte tiefe Stille.
Die Menschen hatten einen weiten Kreis um die Kontrahenten gebildet.
Da stieß McLowery den Kopf vor. »Du bist ein Tex?«
»Ich will es hoffen«, versetzte der Fremde, nahm eine lange schwarze Virginia aus seiner Reverstasche, riß ein Zündholz an der Stiefelsohle an und paffte seelenruhig seine große Rauchwolke in Franks Gesicht.
Der Desperado wich hustend zurück.
Dafür schob sich Bill Brocius heran und knurrte: »Der Kerl muß verrückt sein!«
Der Fremde musterte ihn von oben herunter und entgegnete: »Sag es noch einmal, Curly Bill. Ich höre schlecht. Wenn es eine Beleidigung war, schlage ich dich nieder.«
Das Blut sprang dem wilden Tramp Bill Brocius vor rasendem Zorn ins Gesicht. »Habt ihr das gehört, Boys? Dieser dreckige Tex will mich…«
Da flog die kantige Faust des Riesen vor, erwischte Curly Bill an der Kinnlade und riß ihn sofort von den Beinen.
Indian Charly, der seitlich hinter dem Fremden stand, glaubte, auf seine Art die Gelegenheit nutzen zu müssen, und sprang den Hünen an.
Der machte eine halbe Körperwendung und hieb dem schiefmäuligen Mestizen einen krachenden rechten Haken ans Jochbein, der auch diesen Angreifer zurückwarf und augenblicklich von den Beinen riß.
Frank McLowerys Hand kroch zum Colt.
Da drehte sich der Riese mit zwei raschen Schritten aus dem Kreis der Out-laws und hatte mit einer blitzschnellen Bewegung seine beiden großen Revolver in den Fäusten.
»Nicht doch, Boys. Wir wollen die Geschichte ganz friedlich abwickeln. Frankyboy, laß die Hand oben, sonst wird Onkel Luke böse…«
»Luke?« entfuhr es Frank McLowery. »Hell and devils!« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Schläfe. »Luke Short! Goddam bloody! Es ist Luke Short!«
Die beiden Leute gingen in einem wispernden Raunen über den Platz.
Der Texaner hatte die Revolver längst wieder in die Halfter fliegen lassen.
»He, Franky, es ist ziemlich warm und unbequem hier. Wo ist das Geld?«
Knurrend schaffte McLowery die Dollars heran. Luke Short nahm sie, schüttelte sie in einen Hut und ging seelenruhig damit zu Garry Mills.
»Hier, Amigo, pack die Bucks weg, ehe sie Beine kriegen. Und thanks für den Schuß. Meine Eisen rosten schon. Da ist es ganz gut, wenn man hin und wieder mal einen Schuß frei hat. Ich weiß nicht, Fellow, ich habe nie viel für Ratschläge anderer Leute übrig gehabt. Aber vielleicht ist das bei dir anders. Sieh zu, daß du dieser lausigen Stadt schnell den Rücken kehrst. Hier gibt es mehr Strolche auf einem Haufen zusammen als sonstwo im Westen. So long!«
Der Hüne schob davon.
Und mehr als zweihundert Augenpaare folgten ihm.
*
Tombstone hatte seine Sensation. Es war eine Sensation ersten Ranges: Der bekannte texanische Abenteurer Luke Short war in der Stadt. Und er hatte sich gleich so eingeführt, wie sich eben nur Luke Short einführen konnte.
Wer war er eigentlich dieser herkulische Mann mit den harten Falkenaugen, den seltsam in den Halftern sitzenden Colts, den eisenharten Fäusten und den spöttischen kurzen Sätzen?
Wahrscheinlich wußte es schon damals niemand genau. War er ein Gesetzesmann? Vielleicht ein Texasreiter? Ein Nordstaaten-Marshal, ein Sheriff? Oder war er ein Outlaw, ein Gesetzloser, der, ohne eine große Bande, allein durch seine schnellen Revolver und seine harten Fäuste so bekannt geworden war?
Nichts von alledem traf genau zu. Dieser Luke Short war weder ein Gesetzesmann wie der berühmte Wyatt Earp – obgleich es Städte gab, in denen er den Stern getragen hatte. Er war auch kein so eindeutiger Spieler wie der gefürchtete Doc Holliday – obgleich er kaum weniger gern als der Georgier die Karten in die Hand nahm.
War er ein Gunman? Auch das konnte man nicht mit Sicherheit von ihm behaupten.
Der Texaner Luke Short war ganz einfach ein Abenteurer, vielleicht der einzige wirkliche Abenteurer des Wilden Westens. Er lebte in Dallas, in Denver, in
Prescott, in Dodge, in Santa Fé, überall war er zu Hause. Jetzt war er im heißen Tombstone aufgetaucht. Und sein Erscheinen hatte bei einer Reihe von Leuten einiges Mißbehagen ausgelöst.
*
Im Chrystal Palace herrschte gegen Abend reger Betrieb. Der feiste Keeper hatte so viel zu tun, daß ihm der Schweiß unablässig von seinem kahlen Schädel durch die dünnen Brauen in die Froschaugen rann. Immer wieder mußte er mit dem Hemdsärmel für klare Sicht sorgen.
Beim letzten Tageslicht ritten vier Männer vom Osten her in die Allenstreet ein.
Das Auftauchen dieser Reiter brachte eine neue Welle der Aufregung in die Stadt.
Es waren Ike Clanton, sein Bruder Phin, Tom McLowery und Billy Clai-
borne.
Als die vier staubbedeckten Reiter vorm Crystal Palace aus den Sätteln rutschten, huschten die Menschen über die Vorbauten davon und verkrochen sich in ihren Häusern.
Im Schankraum verstummte jeglicher Lärm, als der ›König von Arizona‹ erschien.
Der Bandenchief gab Tom McLowery einen Wink und warf ihm einen Nickel zu.
Der jüngere McLowery stakste auf das Orchestrion zu und steckte die Münze in den kleinen Schlitz an der rechten Seite.
Mit einem unmelodischen Geplärre setzte sich der Musikkasten in Bewegung und hämmerte alsbald, nicht ganz sauber im Rhythmus, mit dem Arizona Song ein.
Isaac Clanton warf einen kurzen Blick über die Tische und hielt dann auf die Theke zu.
Die Männer, die da gestanden hatten, machten ihm sofort Platz.
Nur Frank McLowery blieb stehen.
»Hallo, Ike!«
»Hallo, Frank.«
Der Keeper holte eine vierkantige Flasche mit einer rubinroten Flüssigkeit unterm Thekenbord hervor und schob sie Ike Clanton mit einem kleinen dicken Glas über die Theke zu.
Der Desperado entkorkte die Flasche und goß sich von seinem Spezialgetränk, dem roten Firepoint, ein. Genießerisch ließ er sich das brennende Getränk in die Kehle rinnen.
Dann lehnte er sich nach vorn, stütz-
te sich auf die Ellbogen und fixierte in
der gleichen Art wie der ältere McLo-wery den übrigen Schankraum im Spiegel.
»Was Neues?«
Frank nickte. »Eine ganze Menge.«
»Und…?«
»Virg ist seit fast zwei Wochen weg.«
»Aha. Und…?«
»Wir haben Besuch gekriegt.«
Ike wandte auch jetzt noch nicht den Kopf. »Ah…?«
»Einen ganz großen Brocken.«
»Wyatt?« fragte Ike nach einer Weile.
»Nein, Gott sei Dank nicht. Aber der Junge ist vom gleichen Kaliber: Luke Short!«
Ikes Kopf flog herum. »Luke Short? Bist du krank?«
»Ich hoffe nicht. Der Tex kam genau richtig zu einem Preisschießen, das wir unten bei Nelly gestartet hatten, um tausend Bucks einzustreichen.«
»Du bist doch krank. Doc O’Keefe wohnte gegenüber«, versetzte Ike lakonisch und blickte weiter unterm Hutrand hervor in den großen Spiegel.
Plötzlich hatte der Curly Bill entdeckt. »He, gegen welchen Baum ist der denn gelaufen?«
Frank feixte. »Gegen einen verdammt harten Baum, der irgendwo in Texas gewachsen ist, Ike.«
Da wandte sich der Boß ihm voll zu. »Hör mal, willst du mir allen Ernstes erzählen, daß Luke Short hier ist, tausend Bucks von euch kassiert hat und dann erst von Curly Bill Prügel bezog?«
Frank strich über seinen Kinnbart. »Es stimmt alles. Bis auf die Prügel. Die bezog Curly Bill. Und Indian Charly bekam die nächste Portion.«
Das war für den Desperado zuviel. Er goß gleich zwei Gläser des rubinroten
Firepoints hintereinander durch die Kehle und zischte dann: »Man kann nicht einmal einen Tag aus der Stadt wegreiten, dann ist hier gleich der Teufel los, und alles geht schief. Wo ist der Tex jetzt?«
»Stilwell erzählte, daß er drüben im Oriental sitzt und weitere Bucks beim Poker kassiert.«
Ike fuhr herum. »Tom!«
Franks jüngerer Bruder stand unten an der Stirnseite der Theke. »Ike?«
»Im Oriental Saloon sitzt ein Gent, mit dem ich gern ein paar Worte gesprochen hätte. Er heißt Short, ich glaube, Luke Short oder so…«
Tom McLowery, der die Neuigkeit noch nicht vernommen hatte, sperrte den Mund auf. »Was?«
»Geh hinüber und sage ihm, daß er auf die Straße kommen soll. Ich habe mit ihm zu sprechen!« –
Als der junge Bandit den Oriental Saloon betrat, herrschte dort gespannte Stille. Eine Menschenmenge umstand einen Tisch, an dem zwei Männer in eine heiße Pokerpartie vertieft waren.
Tom schob sich durch die Männer.
Die sahen sich ärgerlich um. Als sie aber sahen, wer sich da breitmachte, wichen sie zur Seite.
Tom McLowery sah die beiden Spieler, und er wußte sofort, wer sein Mann war. Er schob sich an die Tischmitte und sagte überlaut in die Stille hinein.
»Luke Short! Ike hat mit dir zu reden. Du sollst auf die Straße kommen!«
Die Aufmerksamkeit der Umstehenden hatte sich sofort auf Tom McLowery gewandt.
Hatte er ›Ike‹ gesagt? Es gab nur einen Mann in Tombstone, der Ike hieß.
Ike Clanton! Er war also in der Stadt und wollte diesen Luke Short sprechen!
Man zog sich langsam zurück.
Luke Short blieb ruhig sitzen. Als sein Spielpartner sich erheben wollte, meinte der Texaner: »He, Mister, die Partie ist noch nicht zu Ende. Sie haben noch eine reelle Chance.«
»Thanks, Mister Short. Sie haben doch so gut wie gewonnen. Ich stecke auf.«
»Kommt gar nicht in Frage. Ich nehme kein Geld, das ich nicht gewonnen habe.«
Dann schob sich Tom näher an den Texaner heran. »Short, hast du nicht gehört, daß…«
Da erhob sich der Abenteurer zu seiner vollen Größe. Er überragte Tom McLowery um volle Haupteslänge.
»Sprichst du etwa mit mir, Kurzer?«
Tom wurde feuerrot. »Ike Clanton hat befohlen, daß du…«
Wie ein Dampfhammer krachte die Linke des Texaners von der Hüfte her in Toms Gesicht und wirbelte den jungen Banditen herum.
Als Tom in rasender Wut zum Colt greifen wollte, sah er in der Rechten des Riesen schon den Revolver.
»Hör gut zu, Kurzer, bestell deinem Freund Ike, oder wie der Bursche heißt, daß ich ihn gern kennenlernen würde. Aber erst habe ich hier meine Partie Poker zu Ende zu spielen. Und jetzt verschwinde!«
Short setzte sich wieder.
Schweißtriefend und kalkweiß vor Angst nahm auch sein Partner wieder Platz.
Der Texaner spielte so, daß es sich für seinen zitternden Partner lohnte, sich wieder hingesetzt zu haben.
Dann erhob sich Luke ohne Hast, strich den Teil seines Gewinns ein und warf zwei Silberstücke aufs Thekenblech. Mit festen, sporenklingenden Schritten verließ er den Oriental Saloon.
Als er den Vorbau betrat, sah er im schwindenden Tageslicht fünf Männer in breiter Front vorn beim Chrystal Palace an der Ecke stehen und langsam vorwärtsgehen: Ike Clanton, Frank McLowery, Curly Bill, Phin Clanton und Frank Stilwell. Hinter ihnen an der Vorbaukante standen Tom McLowery, dessen linke Gesichtshälfte noch von der gewaltigen Ohrfeige brannte, die ihm der Texaner verabreicht hatte, Indian Charly und die anderen.
Der Texaner ging sofort auf die Straßenmitte und näherte sich den fünf Desperados.
Sie hielten gemeinsam an.
Neun Yards lagen zwischen ihnen. Eine Distanz, auf die ein guter Revolver noch eine Kugel ins Ziel zu bringen vermochte.
Ike Clanton stand Luke Short genau auf der Straßenmitte gegenüber. Rechts neben ihm stand Frank McLowery, links Curly Bill. Fast am Vorbauplatz stand Phin Clanton, und auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatte sich Frank Stilwell aufgebaut.
Fünf Männer gegen einen!
Es gab in diesem Augenblick keine Seele in Tombstone, die auch nur noch einen roten Cent für das Leben des Texaners gegeben hätte.
Ike Clanton stieß den Kopf vor wie ein Raubvogel. »Du bist Luke Short?«
Die weißen Zähne des Texaners blitzten aus seinem tiefbraunen Gesicht.
»Hör zu, Clanton – ich schätze, daß du ein Clanton bist. – Wir haben weder zusammen die Schulbank gedrückt noch zusammen Schweine gehütet. Aber wenn du der Ansicht bist, daß wir uns so vertraulich anreden wollen, dann will ich es mal dabei belassen. Was willst du von mir?«
Ike lief dunkelrot an vor Zorn. Er brauchte all seine Nervenkraft, um sich zu beherrschen und nicht zum Colt zu greifen, wie er es bei solchen Anlässen gewohnt war.
»Du hast einen meiner Leute um tausend Dollar betrogen, Short. Wir können die Sache noch friedlich abmachen. Spuck die Bucks aus – und wir gehen auseinander.«
Hell schallte das Lachen des Riesen über die Allenstreet. »Du bist anscheinend ein Scherzbold, Clanton. Wo und wann habe ich einen deiner Boys auch nur um einen Cent betrogen?«
»Stell dich nicht dümmer als du bist, Short. Rück die Bucks raus, sonst kracht’s!«
»Wie du meinst, Clanton. Hoffentlich sind deine Brüder darüber instruiert, wo du begraben sein möchtest.«
Ike biß die Lippen zusammen. Dann preßte er heiser hervor: »Du nimmst das Maul ziemlich voll, Tex! Wenn ich will, blasen dich meine Männer in einer Sekunde aus.«
»Es ist ein guter Gedanke für mich, Ike, zusammen mit dir zur Hölle zu fahren!« erwiderte der Abenteurer gelassen.
Ike brüllte: »Du bildest dir doch nicht ein, daß du auch nur den Schimmer einer Chance gegen uns fünf Männer hast?«
»Männer?« kam es plötzlich von den Lippen des Texaners. »Wenn du die Gestalten da neben dir Männer nennst, tust du mir leid!«
»Dreckiger Tex – ich…«
In der rechten Faust des Texaners blinkte der Revolver. »Du mußt dir unbedingt deine Worte besser überlegen, Clanton, sonst ist unsere Unterhaltung gleich zu Ende.«
Der Revolver flog wieder in den Lederschuh zurück.
Ike schluckte vor Wut. »Wir sind schon mit anderen Burschen fertig geworden, Short.«
»Sicher. Wenn man so mutig ist wie du und sich vier Männer mitbringt, weitere drei an der Vorbauecke stehen läßt, für alle Fälle, dann muß man schon einen Mann vor sich haben, wenn man trotzdem Pech haben will.«
»Ah – und du bildest dir ein, daß wir Pech haben?«
»Wir? Hm, du auf jeden Fall. Und du kannst mir jetzt sagen, wen du gern mit auf die lange Reise nehmen möchtest. Schätze, das Käsegesicht da drüben, das seine rechte Pfote viel besser etwas vom Colt wegnehmen würde, ist dein Bruder. Er wird mitreisen. Und wenn du deinen Freund Frank McLowery mitnehmen möchtest, ist mir das auch recht. Vielleicht schicke ich den Burschen da mit dem hübschen Brotmesser auch noch mit dir auf die Fahrt. In der Hölle gibt’s dann Gesellschaftsermäßigung für euch. Vielleicht tröstet dich das.«
Die Clantons waren so verdutzt, daß sie im Augenblick nicht wußten, was sie sagen sollten.
Frank McLowery, der Intelligenteste der Bande, fauchte. »Gib das Zeichen, Ike. Wir durchsieben den Kerl!«
Phin war blaß geworden. Er warf einen raschen Blick zu seinem Bruder hinüber.
Frank Stilwells Gesicht war kalkig.
Auch Curly Bill hatte etwas von seiner dunklen Hauttönung eingebüßt.
Und der Bandenchief Isaac Clanton mußte pötzlich daran denken, daß man sich die tollsten Dinge von diesem Luke Short erzählte. Er erinnerte ihn plötzlich an Wyatt Earp und an den vertrackten Doc Holliday. Er hatte irgendwie von beiden etwas. Von Wyatt Earp die Haltung und von Doc Holliday die Kälte und den Spott.
Heavens, vielleicht schoß der Bursche so schnell wie die beiden Dodger!
Ike schnarrte heiser. »Es ist dir also einerlei, wenn du in einer Minute hier tot im Straßenstaub liegst, Short?«
»Dir scheint es ja auch einerlei zu sein, Clanton.«
»Ich kann überleben!«
»Ausgeschlossen. Meine erste Kugel fährt in deine Brust, Amigo. Und sei ganz sicher: Die kann ich immer abgeben. Ich garantiere dir sogar drei Schüsse. Wenn ich eine gute Minute erwische, sind es sogar vier oder fünf.«
»Großmaul!«
»Gib das Zeichen!« krächzte Frank McLowery.
»All right!«
Da sprang ein Mann vom Vorbau.
John Clum.
»Ike! Was soll das. Sie sind kaum eine halbe Stunde in der Stadt und müssen wieder einen Feuerzauber loslassen. Es ist eine ganz unfaire Partie: fünf Männer gegen einen!«
»Er ist Luke Short!« rief der Bandenführer, ohne in diesem Augenblick daran zu denken, welche Blöße er sich mit diesem Satz gab.
»Und…? Luke Short! Er ist ein einzelner Mann, wie Virgil Earp ein einzelner Mann war!«
»Gib dich nicht mit dem Zeitungsschmierer ab!« hetzte Frank McLowery.
»Well, Luke Short!« schrie Ike wieder. »Es geht los!«
Phin zog den Colt.
In den Schuß hinein bellte der Revolver des Texaners und riß dem zweiten Clanton Brother den Colt aus der Hand.
Den zweiten Schuß hatte Billy Claiborne unfairerweise oben vom Vorbau abgegeben.
Der Texaner erwischte auch ihn.
Und als die anderen Revolver losgehen wollten, hämmerte ein brüllendes Stakkato von schweren Revolverschüssen dicht hinter Luke Short über die im Dämmerlicht liegende Straße.
Frank McLowery, Ike Clanton und Curly Bill hatten keine Waffen mehr in den Händen. Frank Stilwell wurde durch eine weitere Kugel entwaffnet. Die anderen standen wie erstarrt da.
Langsam wandte der Texaner den Kopf.
Wenige Yards hinter ihm an der Vorbaukante, stand ein Mann. Hochgewachsen, dunkel, im schwarzen Anzug.
Er hielt in der linken Faust einen überlangen sechskantigen Revolver. In der rechten einen kurzen Fünfundvierziger.
Luke Short stieß ein dröhnendes Lachen aus. »All thousand devils! Wyatt Earp! Ausgerechnet Sie müssen die schöne Höllenfahrt abbremsen!«
Langsam kam der Dodger Marshal vom Vorbau herunter. Er ging noch vier Schrittte an dem Texaner vorbei und blieb furchtlos vor Ike Clanton und den andern stehen. »Hallo, Ike!«
Der Bandenführer starrte den Marshal aus flimmernden Augen an.
»Wyatt Earp!« fauchte der Desperado. »Well, Sie haben ihn herausgehauen, aber…«
»Was aber!?« donnerte ihn der Marshal an. »Pack deine Bleispritze, Isaac Clanton, pack deinen Bruder und deine anderen Halunken, und sieh zu, daß du in den Sattel kommst!«
Metallen dröhnten die Worte über die Straße und schnitten den Outlaws in die Nerven.
Ike Clanton stand seinem größten und gefürchtesten Widersacher gegenüber.
Langsam wandte sich Phin um.
Frank Stilwell folgte ihm.
Curly Bill stieß einen Fluch aus und wandte sich ebenfalls ab.
Nur Ike und Frank McLowery standen noch da.
Da machte der Marshal noch zwei Schritte nach vorn und donnerte: »Verschwinde!«
Frank McLowery zuckte zusammen. Langsam wich er zurück.
Wyatt behielt ihn scharf im Augenwinkel.
Ike Clanton stand noch allein auf der Straße. Dann riß er plötzlich seinen Hut vom Kopf und schleuderte ihn mit einem Fluch zwischen sich und den Marshal in den Straßenstaub.
Danach wandte auch er sich um, hob seinen Revolver auf und stampfte davon.
*
Die Luft war rein, das Gewitter vor-über.
Auf der Straße löste sich die Spannung. Die Leute auf den Vorbauten redeten laut miteinander. Und John Clum rannte dem Marshal entgegen.
»Wyatt! Der Himmel hat Sie geschickt! Hell and devils, dieser Luke Short ist ein Hasardeur! Wie konnte er sich mit diesen fünf Kerlen einlassen. Das hätte…«
»… ein Blutbad ohnegleichen gegeben«, unterbrach der Marshal, der den Mut des Texaners kannte.
Nachdem er Clum begrüßt hatte, kam Luke Short heran. Er lachte, bleckte die Zähne wie ein Königstiger und reichte Wyatt Earp die Hand.
»Wyatt Earp! Damned, das will noch nicht in meinen Dickschädel hinein! Eines steht fest: Ich werde es nie schaffen, so sauber aufs Stichwort zu erscheinen wie Sie und Doc Holliday!«
»Das lernen Sie noch«, kam es da von der anderen Straßenseite.
Luke drehte sich langsam um. Sein helles Lachen wollte nicht enden. »Goddam, Doc Holliday! Hell and all Grandmothers, da war ich ja bedeutend besser aufgehoben, als ich ahnte!«
Der Georgier kam vom Vorbau herunter und begrüßte den Texaner ebenfalls. »Trotzdem, Mister Short – fünf Clantons sind keine River Brothers, keine Sindling Boys und auch keine Brakers.«
Der Texaner lachte sein unwiderstehliches Lachen. »Yeah, sie sind erheblich schärfer und amüsanter, die Jungens. Hoffe, daß ich nicht allzu dumm gegen diesen aufgeblasenen Ike aussah.«
»Dumm?« versetzte der Marshal ernst. »Nein, ganz sicher nicht, Luke, aber Sie erinnerten mich ein wenig zusehr an einen Gentleman, den ich ziemlich gut kenne.«
Holliday schob sich eine Zigarette zwischen die Zähne. »Machen Sie sich nichts draus, Luke, bei diesem vertrackten Marshal müssen Sie eine Menge einstecken können.«
»Well«, gab der Riese zurück, »ich weiß, aber es lohnt sich. Heavens, Gents, es freut mich riesig, daß ihr hier seid. Das wird sicher keine langweilige Zeit.«
Wyatt sah ihn ernst an. »Am besten schwingen Sie sich auf Ihren Gaul und reiten gleich wieder ab, Luke. Es wird ganz bestimmt keine fröhliche Zeit.«
»He, was hat er?« wandte sich Short an Holliday. »Er ist noch grimmiger geworden als früher.«
Doc Holliday erklärte dem Texaner, was ihn und den Marshal hierhergeführt hatte.
Der Hüne richtete sich auf, lud die verschossenen Patronen nach – was Wyatt Earp längst getan hatte – und rieb sich langsam die Hände.
»Ich bin also endlich einmal doch aufs Stichwort gekommen. Wenn Sie mich wegschicken, Marshal, grüße ich Sie nicht mehr. Und wenn ich Sie zufällig am Nordpol treffen sollte!«
Der Missourier winkte ab. »Sie sind unverbesserlich, Luke. Well, Sie sind uns willkommen. Ich werde das Gefühl nicht los, daß es hier eine Menge Zunder geben wird. Wenn die Bande Virg etwas angetan hat…«
»… gibt’s Kattun!« fügte der Texaner grinsend hinzu.
»Ich würde gern auf Ihren Kattun verzichten«, sagte der Missourer schroff. »Aber es sieht so aus, als kämen wir nicht darum herum.« Zu Doc Holliday gewandt, fügte er hinzu: »Ich werde meinem Freund Behan einen kurzen Antrittsbesuch abstatten.«
Holliday nickte.
Luke Short sah dem Marshal nach. »Behan? He, ist das nicht der lausige Sheriff, der immer dann taub wird, wenn er es für passend hält?«
Um die Lippen des Georgiers spielte ein kleines Lächeln. Die kauzige Art des Riesen gefiel ihm.
Luke Short steckte sich eine seiner langen Virginias zwischen die Zähne. »Ob er mich lieber wegreiten sähe?«
Der Gambler schüttelte den Kopf. »Nein, ganz sicher nicht. Er weiß so gut wie ich, daß wir einen guten Mann hier brauchen können. Ich gäbe was drum, wenn Bat Masterson und Wyatts Bruder Morgan noch hier wären.«
Der Tex schob sich seinen großen weißen Hut weit aus der Stirn. »Soll das heißen, daß ich in Ihren Augen ein guter Mann bin, Doc?«
Der Spieler zertrat seine Zigarette am Boden. Dann sah er in das dunkle Gesicht des Abenteurers. »Wenn ich nicht befürchten müßte, daß Sie mir zu stolz würden, Luke, könnte ich Ihnen jetzt sagen, daß ich nur einen einzigen Mann kenne, den ich Ihnen noch vorziehe.«
Der Texaner sah den Georgier verblüfft an. Dann bleckte er sein prächtiges Gebiß und wies mit seinem großen Daumen über die Schulter.
»Und zwar den, der jetzt mit dem tüchtigen Behan Kaffee trinkt, he?«
»Dreimal dürfen Sie raten«, entgegnete der Spieler und wandte sich ab.
»Haben Sie schon ein Quartier?« rief ihm Luke Short nach.
»Yeah, wir wohnen bei Nelly Cashman.«
»Good, vielleicht hat sie noch eine Besenkammer für einen stillen Schläfer frei.«
»Sicher. Kommen Sie…«
*
Sheriff Behan saß zusammengesunken hinter seinem Schreibtisch, als er die Schüsse gehört hatte. Dann sprang er auf, nahm seinen Hut und verließ sein Office durch die Hintertür.
Im Hof blieb er noch eine Weile lauschend stehen, und als er dann in die Nebengasse treten wollte, stand plötzlich der Mann vor ihm, der der Aptraum des gelbgesichtigen Hilfssheriffs John Behan war.
»Wyatt Earp!« entfuhr es dem Sheriff. »Sie hier?«
»Yeah«, versetzte der Marshal eisig. »Ich dachte mir, daß ich mir einen Weg ersparen würde, wenn ich Ihnen gleich auf dem Hintereingang entgegenginge.«
Behan hörte den Spott wohl; aber er tat so, als wäre er nicht getroffen. »Sie kommen wegen Ihres Bruders?«
»Yeah!«
»Es tut mir leid. Ich habe bis jetzt noch nichts ermitteln können.«
Wyatt nickte. »Das befürchtete ich. Deshalb habe ich den kleinen Trip hierher gemacht.«
»Kleinen Trip?« wiederholte der Hilfssheriff. »Das sind doch wenigstens…«
»Ich weiß, wie weit es ist«, unterbrach ihn der Marshal grob. »Sie wissen also nichts über Virgs Verbleib?«
»Nein.« Jonny Behan legte beteuernd die Hände auf die Brust. »Es tut mir wirklich außerordentlich leid, aber so sehr ich mich auch…«
Wyatt wandte sich ab und sah die Gasse hinunter. »Wie lange wollen Sie eigentlich den Stern noch behalten?« fragte er plötzlich, wobei er den lauen Sheriff kalt musterte.
Behan wich stolpernd zurück. »Was wollen Sie, Marshal? Ich habe den Stern von der…«
»Ich weiß, von wem Sie ihn haben. Ich weiß nur nicht, weshalb Sie ihn noch immer tragen.«
»Mister Earp! Ich protestiere gegen eine solche Kränkung. Schließlich bin ich der gewählte Sheriff dieser Stadt. Ich habe mit Ihrem Bruder nichts zu schaffen. Er ist U.S.-Mann. Wir haben getrennte Aufgabenbereiche…«
»Daß ich nicht lache, Behan! Aufgabenbereiche! Wo ist beispielsweise Ihr Aufgabenbereich? Drinnen in Ihrem Bureau, he? Wenn es vorn auf der Straße knallt, nehmen Sie die Hintertür. Und wenn es gilt, einen vermißten Bürger dieser Stadt zu suchen, sind Sie anderweitig beschäftigt. Es ist Ihnen doch hoffentlich klar, daß mein Bruder ein Bürger dieser Stadt ist und daß es Ihre Pflicht ist, sich um seinen Verbleib zu kümmern. Es ist ganz besonders noch deshalb Ihre Pflicht, weil er ein Bundesmarshal ist, Mister Behan! Vielleicht denken Sie einmal darüber nach!«
Als der Missourier weggehen wollte, krähte der Sheriff hinter ihm her: »Das weiß ich ja alles selbst, Wyatt, aber Sie können doch nichts Unmögliches von mir verlangen!«
Wyatt war stehengeblieben. Er kam zurück und sah auf den mittelgroßen Mann herunter. »Hören Sie, Jonny. Am liebsten würde ich Ihnen jetzt eine runterhauen. Sie sind der einfältigste Bursche, der je einen Stern getragen hat. Wie soll das Gesetz in diesem Land bestehen können, wenn ihm Leute wie Sie Geltung verschaffen sollen! Wo sind Sie, wenn in Ihrer Stadt etwas geschieht, wenn geschossen wird? Sie verlassen sich auf meinen Bruder. Und gleichzeitig beschimpfen Sie ihn und intrigieren gegen ihn. Wo waren Sie beispielsweise vorhin, als in der Allenstreet geschossen wurde, he?«
»Es ist geschossen worden? Davon habe ich nichts gehört. Ich war mit meinem Bericht über einen…«
»… Pferdediebstahl beschäftigt!« unterbrach ihn der Missourier barsch. »Den Song kenne ich schon seit Jahren, Behan. Sagen Sie mir, wo Sie waren!«
»In meinem Büro. Ich habe nichts gehört, sonst hätte ich natürlich eingegriffen.«
Wyatt lachte hart auf. »Well, vielleicht sind Sie ja wirklich ein armer Teufel, Jonny. Aber dann geben Sie den Stern ab. Tombstone braucht keinen Sheriff. Virgil ist ja da. Und wenn er einen Helfer braucht, dann keinen Burschen wie Sie!«
*
Dora Earp hockte mit grauem, zerfurchtem Gesicht in der Küche, und der Lärm, den die beiden Buben machten, schien wie aus weiter Ferne an ihr Ohr zu dringen.
»Er ist tot«, murmelte sie immer wieder vor sich hin. »Er ist längst tot. Sie haben ihn irgendwo draußen in der Savanne überfallen.«
Es war gegen halb zehn Uhr am Abend.
Ich muß die Kinder ins Bett bringen, dachte sie.
Dann war ein Geräusch an der Tür.
Die beiden Jungen saßen am Fenster und beobachteten seit ein paar Minuten schweigend den Schlaf des großen schwarzen Katers, der mit eingeschlagenen Pfoten auf der Fensterbank saß.
Im Flur waren Schritte zu hören. Leise, federnde Schritte.
Dora Earp sprang auf, stürzte zur Tür und riß sie auf.
Drei Yards vor ihr, im Halbdunkel des Korridors, stand Doc Holliday.
Die Frau starrte ihn entgeistert an und preßte die Finger in das Holz des Türrahmens.
Dann stürzte sie dem Mann mit einem heiseren Schrei entgegen und schlang ihre mageren Arme um seinen Hals. Ein trockenes Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. All die Angst und der Schmerz der vergangenen Tage und Nächte wollten aus ihr hervorbrechen.
Der Georgier stand reglos da.
Endlich hatte sich die Frau einigermaßen beruhigt, nahm ihre Schürze hoch und wischte sich durch die Augen.
»Bitte, verzeihen Sie, Doc. Ich – ich bin so in Angst –, und ich danke Ihnen, daß Sie so sehr schnell gekommen sind. Konnten Sie Wyatt irgendeine Nachricht übermitteln?«
»Yeah«, erwiderte der Spieler kurz. »Er ist auch hier.« Daß er diese Nachricht selbst überbracht hatte, daß er mehrere Tage und halbe Nächte hindurch geritten war, schneller als die schnellste Eilpost, um den Marshal auf seinem Heimritt nach Dodge in Forestiere abzufangen, davon sagte er kein Wort.
»Wyatt?« stammelte die Frau fassungslos. »Er ist auch schon hier? – In Tombstone?«
»Yeah, Madame.«
»Seit wann ist er denn hier?«
»Seit einer halben Stunde.«
»Und? Wo ist er jetzt?«
»Bei Jonny Behan.«
»Wird er bei uns schlafen?«
»Wir haben uns in Cashmans Boardinghouse eingemietet.«
»Aber ich muß ihm doch erzählen, was geschehen ist.«
»Mister Clum hat es ihm schon erzählt.«
»Die Clantons haben ihn niedergeschlagen wie einen tollen Hund. Dann sind sie aus der Stadt verschwunden. Er lag halbtot hier und konnte nicht schnell genug wieder in den Sattel kommen. Mister Clum hat ihm von der Verfolgung abgeraten, aber er ist eben… ein Earp.« Die Frau atmete hastig und schluckte verzweifelt. »Wyatt muß die Clantons suchen…«
»Das ist nicht nötig«, versetzte der Spieler. »Er ist eben schon in der Allen-street mit Ike Clanton zusammengeprallt.«
Die Frau schlug die Hand vor den Mund. »Die Schüsse! Dann habe ich doch richtig gehört.« Dann sank sie auf einen Schemel neben der Tür nieder. »Es ist also wieder wie früher. Er ist kaum in der Stadt, und schon wird geschossen.«
»Ach«, meinte der Georgier unwillig. »Die Clantons hatten sich mit Luke Short angelegt…«
»Der ist auch hier?« unterbrach ihn die Frau verblüfft. »Um Himmels willen! Was will der denn hier?«
Der Gambler zog die Brauen zusammen. »Das werde ich Ihnen sagen, Missis Earp: Er hat sich erboten, mit uns nach Ihrem Mann zu suchen.«
Die Frau senkte den Kopf und starrte auf ihre ineinandergefaltenen Hände. »Mord und Totschlag«, ächzte sie, wieder in ihren alten Song verfallend. »Wyatt ist an dem ganzen Elend schuld. Mein Mann hätte bei der Armee bleiben können. Er war schon Offizier wie sein Vater. Aber dann war da sein Bruder Wyatt, der ein berühmter Sheriff geworden war…« Sie brach ab und erhob sich. Kühl fuhr sie fort: »Ich danke Ihnen trotzdem, daß Sie gekommen sind, Doktor Holliday.«
Frostig entgegnete der Spieler: »Ich habe es für Wyatt getan!«
Dora Earp prallte zurück und plötzlich schrie sie: »Ich hasse Sie! Sie und ihn!«
Die Haustür war längst hinter dem Spieler zugefallen, als die unselige Frau immer noch dastand.
*
Auf der verwahrlost aussehenden Clanton Ranch stand ein alter gebeugter graubärtiger Mann und blickte mit finsterer Miene den Reitern entgegen, die auf seinen Hof ritten.
Oben auf der Veranda lehnte an einem Dachpfeiler der siebzehnjährige Billy. Auch er sah den Reitern mit verschlossenem Gesicht entgegen.
Ike und Phin rutschten von den Pferden. Sie hatten keinen Gruß für den Vater und keinen Blick für den kleineren Bruder. Mit gesenkten Köpfen betraten sie das lange flachgestreckte Ranchhaus.
Die beiden McLowerys und Bill Claiborne folgten ihnen.
Curly Bill und Frank Stilwell kamen nach.
Nur Indian Charly blieb draußen auf der Treppe sitzen. »He, Billyboy, hast du nichts zu rauchen für einen armen Jungen?« wandte er sich an den Jüngsten der Clantons.
Billy, der als einziger noch auf der Ranch des Vaters arbeitete, knurrte, während er sein Tabakszeug herausholte und es dem Banditen hinwarf: »Du solltest lieber wieder hinauf in die Silberminen gehen und arbeiten, dann brauchtest du bei mir, der ich selbst nichts habe, nicht um eine Zigarette zu betteln.«
Indian Charly zog die Schultern resigniert hoch und kurbelte sich eine Zigarette. Dann schob er das Tabakszeug des Burschen wie unabsichtlich in seine Tasche.
Billy stand sofort hinter ihm und stieß ihn mit dem Knie in den Rücken. »He, Charly, du bist hier nicht in Tombstone, merk dir das! Mein Rauchzeug!«
Der Tramp tat erstaunt und murmelte eine unverständliche Entschuldigung, zerrte den Tabaksbeutel aus der Tasche und warf ihn hinter sich.
Da wandte sich der alte Clanton zu seinem Jüngsten um und knurrte: »Das sind die Freunde deines großen Bruders, Bill. Und mit so was willst du reiten!«
»Ach, laß mich zufrieden«, zischte der Bursche, wandte sich ab und ging zum Corral hinüber, wo er sich aufs Gatter setzte. –
Drinnen im Ranchhaus saßen die Desperados um den großen grob gezimmerten Tisch und tranken schlechten Whisky.
Mit düsteren Gesichtern blickten sie aneinander vorbei.
Links in der schmaler werdenden Verlängerung dieses Raumes stand eine alte knochige Frau und hantierte mit Kesseln und Töpfen herum. Hin und wieder warf sie einen forschenden Blick hinüber auf den Platz, auf dem ihr ältester Sohn Ike saß.
Aber sie schwieg, wie auch der Rancher schwieg.
Tom McLowery hockte neben seinem Bruder und starrte in sein Glas. Er, der unruhigste der Crew, vermochte dieses Schweigen nicht lange durchzuhalten.
»Was wird jetzt, Ike? Die Herde sind wir los…«
»Halt deinen Rand!« fuhr ihn sein Bruder Frank gallig an.
»Yeah, ich bin schon still. Aber ich werde nie begreifen, weshalb Ike in der Allenstreet kehrtgemacht hat!«
Frank fauchte ihn an: »Wer verlangt das von dir, he? Wer hat ferner von dir verlangt, daß du dir im Oriental Saloon von Luke Short eine Ohrfeige einhandelst?«
Tom sprang wie eine Feder hoch. »Du hast kein Recht, mir das vorzuwerfen, Frank! Wer hat von dir verlangt, daß du dir von Wyatt Earp den Colt aus der Hand schießen lassen solltest, he?«
Frank riß den Bruder auf den Sitz zurück. »Ich habe gesagt, du sollst dein Maul halten, Boy. Und wenn du das nicht verstehst, werde ich es dir stopfen!«
Ike starrte düster auf seine Hände. Mit finsterem Blick sann er vor sich hin.
Endlich meinte Phin, der rechts neben ihm saß: »Ganz klar, daß wir die Herde verloren. Es war ausgeschlossen, sich mit den verdammten Apachen herumzuschlagen. Dieser Geronimo ist ein wahrer Satan. Aber eines Tages läuft er uns vor die Hufe. Dann säge ich diesen rothäutigen Halunken mit meiner Schrotflinte auseinander!«
Frank Stilwell maulte: »Gibt’s hier nicht wenigstens was zu essen?«
Ike wandte langsam den Kopf und sah den Messerwerfer an. Da senkte Stilwell rasch den Blick.
Phin rieb sich das Kinn. »Wir waren ganz einfach zu wenig Leute. Wenn es wenigstens noch Tag gewesen wäre. Aber die Indsmen sind ja raffiniert genug, im Morgengrauen zu kommen, wenn unsereiner noch nicht da ist. Todsicher haben sie den größten Teil der Rinder in ihre Schlupfwinkel getrieben. Geronimo – well, er war dumm genug, uns von dem Hügel aus seinen Namen zuzurufen. Ich werde ihn mir merken.«
»Das hast du schon einmal gesagt«, knurrte Ike. Er hatte ganz andere Gedanken und Sorgen. Und als sich das Gespräch der Tramps weiterhin um die verlorene Herde drehte, schlug er mit seiner schweren Faust auf den Tisch, daß die Gläser tanzten. »Gibt es hier endlich Ruhe! Goddam! Wir haben andere Sorgen! Vielleicht macht ihr euch mal Gedanken darüber, daß der Wolf aus Dodge in der Stadt ist. Und daß er seinen scharf-äugigen Schatten mitgebracht hat…«
Curly Bill krächzte achselzuckend: »Sie suchen Virg. Was geht das uns an. Weiß der Teufel, wo der Kerl hängengeblieben ist. Vielleicht hat Geronimo ihn geschnappt. Der rote Teufel ist doch auf alles scharf, was eine weiße Haut hat.«
Billy Claiborne rutschte auf seinem Sitz hin und her. Schließlich krächzte er mit gesenktem Kopf: »Geronimo hat ihn nicht geschnappt.«
Die Köpfe der anderen fuhren zu dem Schlaks herum.
Ike schnarrte: »Was soll das heißen?«
»Ich bin Virg begegnet.«
»Und…?«
Claiborne zuckte die Achseln. »Well, ich kam aus der Sierra, wo ich den Schafkrauter ein wenig schröpfen wollte. Aber das lief schief, da der Halunke wachsamer war, als wir es brauchen konnten.«
»Wer? Wer wir?« forschte Ike schroff.
»Ich hatte Flanagan und Higho bei mir.«
»Wo hast du die beiden gelassen?«
»Wir stießen auf ein kleines Apachencamp und nahmen ein paar Pferde mit. Konnte ich ahnen, daß ausgerechnet Geronimo bei der Bande war…«
Ike schlug entgeistert die Hände zusammen. »Ich habe es ja immer gesagt: Du bist ein Idiot, Claiborne. Will dieser Ochse ausgerechnet dem roten Geronimo Pferde stehlen.«
»Es klappte sogar. Wir konnten ihre Zelte und Wagen anzünden und entkamen mit fünf Pferden.«
Ika Clanton schüttelte den Kopf. »Niemand entkommt Geronimo mit fünf Pferden.«
Frank McLowery meinte: »Jedenfalls nicht auf die Dauer. Du kannst ihm heute und morgen ausweichen, aber er wird dich jagen und wenn er dir hierher nachreiten müßte.«
»Jedenfalls wäre es gutgegangen, wenn Virg nicht gekommen wäre…«
»Virgil Earp?« kam es aus mehreren Kehlen.
»Yeah, der Halunke stellte uns bei der alten Pferdewechselstation unten vor Haderyk. Er nahm uns die Gäule weg, verwundete Higho und verscheuchte unsere eigenen Gäule, so daß wir ihm nicht folgen konnten. Wir brauchten mehr als vier Stunden, bis wir die Tiere wieder eingefangen hatten. Da verspürte natürlich niemand von uns Lust, Virg noch zu folgen. Wir trennten uns. Flanagan und Higho, der einen Kopfverband trug, ritten nordwestlich, und wie ich später feststellte, gerieten sie Geronimo genau in die Flanke. Er hat sie beide getötet.«
Ike ballte die Fäuste und preßte heiser hervor: »Woher weißt du das?«
Claiborne griff in die Jackentasche und holte ein altes Armeefernrohr hervor. »Hiermit kann man verdammt weit sehen…«
Es war einen Augenblick still, dann schnarrte der Bandenführer: »Und Virgil Earp, was ist mit ihm, he?«
Claiborne sah den Desperado unsicher an. »Well, ich machte, daß ich aus der Nähe der Apachen kam, und hielt mich südlich auf Haderyk zu, weil ich annahm, daß ich dort sicherer vor den Indsmen wäre. Eine knappe Meile vor der Ansiedlung rutschte ich bei einer Feldhütte aus dem Sattel. Ich zog den Gaul in den Schuppen und schlief sofort ein. Wir waren schließlich eine volle Nacht ohne Schlaf gewesen…«
»Rede nicht solange um den Brei herum!« fuhr ihn Ike wütend an. »Was ist mit Virgil Earp?«
Claiborne rieb sich die Schweißperlen von der fliehenden Stirn. »Als ich erwachte, sah ich ihn kommen. Er ritt nicht weit an der Hütte vorbei. Ich sprang sofort auf, nahm mein Gewehr und lief hinaus. Er hatte seine Winchester gleich im Anschlag, fehlte mich aber mit zwei Schüssen, während ich ihn mit der ersten Kugel gleich aus dem Sattel riß.«
Frank McLowery stieß spitz hervor: »Die Earps sind mit der Büchse so gut wie mit dem Colt, Bill. Er hat dich nicht verfehlt. Weil er gar keine Chance dazu hatte. Du hast ihn von hinten niedergeschossen.«
»Das ist nicht wahr!« zeterte der Heckenschütze.
Da fuhr Ike Clanton hoch, warf sich zu ihm hinüber und riß ihn am Hemdkragen hoch. »Junge, du willst mir doch keine Märchen erzählen. Einen Earp holst du nicht von vorn aus dem Sattel, und schon gar nicht mit einem einzigen Schuß! Mach das Maul auf, Bursche!«
Claiborne wurde aschgrau. »Was willst du, Ike. Laß mich los. Ich habe dir erzählt, wie es war…«
Da schleuderte der Bandenchief ihn mit einem brutalen Stoß zurück gegen die Wand.
Eine kleine Konsole stürzte um, und klirrend zerbarst eine Porzellanschüssel.
Der Rancher stand in der Tür. »Laß meine drei Brocken heil, Ike!« knurrte er.
»Sei still!« fuhr der Sohn ihn an. Dann wandte er sich wieder an Claiborne, der am Boden saß, stemmte die Fäuste in die Hüften und stieß heiser hervor: »Du verdammter Dreckskerl hast den Sternträger von hinten abgeknallt!«
Billy Claiborne wagte keine Entgegnung mehr.
Ike schrie: »Von hinten hast du ihn abgeknallt!«
Es war nicht etwa die Entrüstung über die Tat als solche oder gar über den Tod des alten Gegners, die den Banditenboß so in Rage brachte. Es war die Sorge um sich selbst.
Claiborne wagte nicht, sich zu rüh-
ren.
Da flog Ike ihm entgegen und würgte ihn. »Mach das Maul auf, Bill, sonst schlage ich dir alle Zähne ein. Du hast dich auf deinen Klepper geschwungen und bist geflohen wie ein Kojote! Stimmt das?«
Claiborne rang sich frei und kroch an der roh behauenen Bohlenwand hoch. »Was blieb mir anderes übrig? Die Earps sind gefährlich, das weißt du so gut wie jeder andere. Sollte ich vielleicht warten, bis er sich aufrichtete, um mir ein Loch in den Schädel zu blasen?«
Da hagelte es Ohrfeigen in das hagere Gesicht des Tramps.
Ike Clanton kannte kein Pardon. Und erst Frank McLowery gelang es, den Rasenden von dem wild aufbrüllenden Claiborne wegzureißen.
»Laß ihn!« schrie Frank.
Ike stand wie ein Gorilla da, mit geballten Fäusten, er schleuderte Franks Hand von seinem rechten Unterarm und sagte mit belegter Stimme: »Ihr Idioten! Ihr dreimal verdammten hirnlosen Idioten! Ihr wißt ja gar nicht, was dieser Skunk angerichtet hat. Wyatt Earp ist hier. Er wird seinen Bruder suchen – und wie ich ihn kenne, wird er ihn so lange suchen, bis er ihn gefunden hat.«
»Das wissen wir selbst!« versetzte der ältere McLowery bissig.
»Ach, das wißt ihr? Dann wißt ihr Schlauköpfe vielleicht auch, daß er sich denken kann, daß ihn die Mäuse von Haderyk nicht aus dem Sattel geschossen haben. Oder die Geister der toten Padres, he?«
Frank hatte sich mit einem Ruck auf seinen Hocker niedergelassen. »Yeah, das wissen wir auch, Ike. Ich weiß sogar, daß er sehr schnell herauskriegen wird, wohin du mit der Herde gezogen bist. Er weiß dann, daß du in der Nähe warst. Er weiß ferner von dem Fight vorm Crystal Pa-lace…«
»… wo dein so gescheiter kleiner Bruder den Sternträger von hinten mit dem Gewehr niederschlug. Well, ich sehe, daß ich eine Reihe äußerst gescheiter Leute um mich versammelt habe. – All right, Frank, du weißt also, was los ist. Ich bin sicher, daß du der einzige bist, der es richtig weiß. Aber die anderen Ochsen, sieh sie dir doch an. Stilwell, dieser linkische Hammel, scheint noch etwas zu lachen zu haben, he?«
Der Messerwerfer schüttelte hef-
tig den Kopf. »Du irrst, Ike«, sagte er rasch. »Ich habe absolut nichts zu lachen.«
Der Banditenchief ging wie ein wütender Tiger um den großen Tisch herum. »Nein, du hast ganz und gar nichts zu lachen. Wir alle nicht. Wißt ihr, was jetzt passiert? Ich will es euch sagen. Wyatt Earp und Doc Holliday sind bereits auf Virgils Spur. Todsicher…«
Frank McLowery erhob sich. »Well, es gibt jetzt nur eines: Wir müssen sofort aufbrechen, um Virgs Leiche wegzuschaffen. Vielleicht gelingt es uns, vor den dreien nach Haderyk zu kommen.«
Die anderen sahen ihren Boß an.
Der schob sich den Hut aus der Stirn. »Well, Frank hat recht. In die Sättel, Boys.«
Da trat die hagere Frau aus dem Dunkel der Küche an ihn heran. »Ike…«
»Was willst du?« knurrte der Bandenführer und sah seine Mutter mürrisch an.
»Bleib hier!«
»Laß mich zufrieden!«
Die Frau klammerte ihre Hand um Ikes Arm. »Laß Phin wenigstens hier!«
»Wenn er nicht mitreiten will, ist das seine Sache.«
Aber Phin schob sich den Hut in die Stirn und ging neben Tom McLowery hinaus.
Der Rancher ließ die Männer passieren. Und als plötzlich der jüngste Clanton Brother über den Vorbau kam und seinen Waffengurt umschnallte, schoß die braune Faust des Ranchers vor und spannte sich um den Oberarm des Jungen.
»Du reitest nicht mit, Bill.«
Der Bursche wollte sich losreißen. »Was willst du, Dad? Ike und Phin müssen kämpfen. Ich bin kein Kind mehr. Weshalb darf ich nicht mitreiten? Ike, sag ihm, daß ich mitreiten muß.«
Der Bandenführer saß schon im Sattel. »Du hast gehört was dein Vater gesagt hat«, versetzte er rauh. »Vielleicht kommen wir nicht wieder. Da muß einer auf der Ranch sein!« Damit gab er seinem Hengst die Sporen und preschte davon.
Die wilde Schar seiner Leute folgte ihm in das Dunkel der Arizonanacht.
*
Es war früher Vormittag, als die drei Reiter in Colgy einritten.
Die Menschen auf den Vorbauten blickten den dreien mit weiten Augen nach. Sie interessierten sich weniger für die Reiter als für die Pferde, auf denen sie saßen.
Ein alter Mann mit weißem Stoppelbart, grünem Hemd und einer Hose, die von den verschlissenen Trägern fast bis unter die Armhöhlen gezogen wurde, stieß seinen Nachbarn an, der wie er in einem knarrenden Schaukelstuhl saß.
»Zounds! Sieh dir die Pferde an! Den Falben da! Madre mia! Das ist Kansaszucht, oben bei Salina gibt es Ranches, die diese Tiere züchten! Der Hengst ist selbst unter Brüdern noch ein Vermögen wert. Und der Rappe, den der lange Bursche da reitet, hell and devils, Texanerzucht, auch er ist eine gewaltige Stange Dollars wert.«
Der Schecke des Gamblers war von den beiden anderen Tieren für die ›Kenner‹ verdeckt. Dafür wurde er um so besser von der anderen Straßenseite aus taxiert.
»Welch ein Tier!«
Die Reiter interessierten die Männer von Colgy so gut wie gar nicht.
Als Wyatt vor der Cantina anhielt und aus dem Sattel rutschte, meinte er: »Wir wollen uns hier nicht lange aufhalten. Ich gehe zum Sheriff…«
»Und ich zum Doktor und ins Post Office«, fügte Holliday hinzu.
Luke Short schlang eben seine Zügelleinen um den Querholm und meinte: »Well, ich werde die Kneipe hier mal inspizieren.«
So machte sich jeder auf seinen Weg, um Erkundigungen nach dem Vermißten einzuziehen.
Der Sheriff war ein kleiner knorriger Mensch mit harten hellen Augen. Er rieb sich das Kinn und legte den Revolver, den er eben poliert hatte, aus der Hand, als der Missourier eintrat.
Wyatt grüßte kurz und sagte: »Mein Name ist Earp. Ich möchte…«
»Earp? Well, ich kenne Sie, Mister. Sie sind oben in Tombstone Marshal, stimmt es?«
»Nein, das ist mein Bruder Virgil. Und eben seinetwegen bin ich hier…«
»Dann sind Sie Wyatt Earp?«
»Yeah.«
Der kleine Sheriff nahm seine Pfeife aus dem Mund, trat dem Marshal entgegen und streckte ihm die Hand hin.
»Wyatt Earp! Welch ein Glanz in meiner Hütte! Hätte nie gedacht, daß Sie sich einmal in dieses Nest verirren würden. Weiß der Teufel, als ich heute morgen aufstand, da…«
Wyatt unterbrach ihn und trug ihm sein Anliegen vor. Der Sheriff rieb sich die Nase und machte ein wichtiges Gesicht.
»Yeah, da muß ich überlegen. Vielleicht gehen wir am besten zu Zio Pino. Er ist ein alter Italiener, hat hinten in einer Seitengasse so etwas wie eine Druckerpresse aufgestellt, auf der er hin und wieder ein Zeitungsblatt für die Stadt druckt. Well, er lebt nicht eben gut davon, aber diese Leute sind ja bescheiden. Unsereiner…«
Wieder unterbrach ihn der Marshal. »Glauben Sie, daß dieser Mann etwas wissen könnte?«
»Wenn hier in Colgy einer etwas Neues weiß, dann ist es Zio Pino. Kommen Sie, ich werde meine Kanone umschnallen, und dann machen wir uns auf den Weg. Es ist nicht weit. Warten Sie, ich werde mir noch eine Pfeife stopfen.«
Ein paar Minuten später standen sie vor einem windschiefen Holzhaus, das aussah, als sei es aus Kistenbrettern zusammengenagelt.
Sheriff Brigger stieß die Tür auf, die ein scheußliches Angelquietschen von sich gab.
»Praktisch, nicht wahr«, meinte der Gesetzeshüter der kleinen Grenzstadt. »So hört Zio Pino immer ob jemand ins Haus kommt.«
Er ging voran.
Wyatt betrat hinter ihm den niedrigen Hausgang, in dem es fast dunkel war. Ein Geruch von Knoblauch und schlechtem Tabak schlug ihm entgegen.
Brigger klopfte irgendwo an eine Tür.
»Avanti!« kam eine ölige Stimme von drinnen.
Brigger öffnete, und Wyatt, der hinter ihm stand, sah einen Raum vor sich, in dem ein unvorstellbares Durcheinander herrschte.
Links auf einer alten Kommode lagen Kleidungsstücke, und darauf lag eine dicke weiße Katze.
Überall standen Stühle und Hocker herum, die mit Papieren übersät waren. Drüben, vor dem mit einer selbstgefertigten Jalousie fast verdunkelten Fenster, hockte eine schwarze Katze. Der Schrank drüben stand offen und war mit Papierbündeln vollgestopft, seine beiden Türen standen sperrangelweit offen.
Auf dem niedrigen Tisch gab es nicht einen Quadratinch, der nicht besetzt gewesen wäre. Kochtöpfe, angegriffene Bücher, halbleere Flaschen, Körbe und Teller standen zwischen Bergen von Papier da herum.
In der rechten Ecke neben der ebenfalls verdunkelten Hoftür hockte ein kleiner feister Mann mit dunklen Augen und schnitt auf einem Buchdeckel eine Zwiebel. Rechts brodelte auf einer geradezu gefährlich nah neben einem Papierberg liegenden Feuerstelle irgendeine süßlich riechende Suppe in einem flachen Topf.
»Hallo, Zio Pino!« rief der Sheriff und stolperte in dem diffusen Licht über einen weichen Gegenstand, der sofort einen miauenden Schrei von sich gab.
»Hallo, Sheriff! Kommen Sie herein, gleich ich habe Zeit. Bin machen Mittag-essen. Wichtig! Sie wissen. Der Mensch muß essen! Und dazu muß man sich Zeit lassen wie zum Schlafen und zum Wein-trinken. Früher einmal, vor einem halben Jahrhundert, als ich noch drüben in Cogoleto bei meiner Madre lebte, da habe ich mir auch Zeit zum Küssen gelassen. Aber das ist heute vergessen. Setzen Sie sich nur. Warten Sie, ich räume einen Stuhl ab – ah! Sie haben Besuch mitgebracht?«
»Yeah«, entgegnete der Sheriff, während er wie ein Storch im Salat behutsam vorwärtsstieg, um sich nicht erneut die Feindschaft eines getretenen Katzentieres zuzuziehen, »dies ist ein Kollege von mir gewissermaßen, wenn ich so sagen darf…«
Sie waren beide im gleichen Maße geschwätzig, und der Missourier war sofort davon überzeugt, daß der tapfere Gesetzesmann den freundlichen Zio Pino ganz sicher nicht selten besuchte. Den Grund der häufigen Besuche sollte der Marshal sofort erfahren.
Zio Pino klopfte dem Sheriff auf die Schulter und meinte: »Si, si, ich habe noch eine Flasche von dem guten Tropfen, den mir mein Bruder aus Frisco geschickt hat. Wir werden sie köpfen, he!«
Aus dem Korridor hörte man sein Rumoren, Flaschengeklirr, und gleich kam er mit drei Gläsern zurück.
Er scheuchte mit einer sanften Handbewegung einen Gegenstand vom Tisch, den Wyatt in der Finsternis für einen zusammengeknüllten Rock oder eine Hose gehalten hatte, der sich aber ebenfalls als eine Katze erwies, und stellte Flasche und Gläser ab.
Brigger nahm die Gelegenheit wahr, seinen Begleiter dem südländischen Zeitungsmann vorzustellen.
Fast wäre dem Italiener die Flasche, die er eben geöffnet hatte, aus der Hand gefallen. »Mamma mia! Er ist Wyatt Earp! Santa Madonna! Uno momento, da muß ich gleich eine andere Flasche holen.«
Er ließ sich nicht aufhalten und holte eine neue Flasche.
Brigger tuschelte dem Marshal zu: »Das hat gewirkt, Mister Earp. Jetzt holt er eine von der besten Sorte, die er sonst nur Weihnachten auspackt!«
Wohl oder übel mußte Wyatt den Drink des freundlichen Mannes annehmen. Dann sagte er ihm, was ihn hergeführt hatte.
Zio Pino verzog nachdenklich das Gesicht. »Warten Sie ab. Das ist gar nicht so einfach. Missis Blackburry hat einen Neffen, der immer draußen an den Corrals herumlungert. Der Spitzbube erzählte mir neulich, daß ein Mann, wie Sie ihn beschrieben haben, da in der Nähe vorbeiritt und ihn nach der Schafsfarm des Engländers fragte.«
»Wo liegt diese Farm?« erkundigte sich Wyatt.
Zio Pino legte beide Hände an die Schläfen, sann nach und erklärte dem Marshal wortreich die Richtung, in der man die Farm des Briten erreichen konnte.
»Warten Sie hier einen Augenblick, Marshal. Ich werde rasch den Lümmel holen, damit Sie ihn selbst noch einmal fragen können.«
Es dauerte etwa zehn Minuten, bis der Italiener mit einem kleinen barfüßigen Jungen zurückkam.
»So, Jimmy«, sagte er. »Dieser Mann da ist Wyatt Earp. Du wirst ihm jetzt ganz genau erzählen, was du mir neulich berichtet hast, von dem Reiter, der an den Corrals vorbei aus der Stadt geritten ist.«
Der Junge sah den Missourier aus ängstlichen Augen an und meinte dann: »Fragen Sie ihn doch selbst, Zio Pino. Er ist es doch. Er hat heute nur einen anderen Anzug an, ist besser rasiert und sieht deshalb jünger aus.« Der pfiffige Bursche rannte nach diesen Worten hinaus.
Die große Ähnlichkeit der Earp-Brüder hatte den Jungen getäuscht.
Der kleine Sheriff hatte inzwischen dem Wein reichlich zugesprochen und wurde richtig ärgerlich, als sich der Marshal verabschiedete.
Auch der Italiener verstellte Wyatt den Weg und beteuerte gestenreich, daß er doch wenigstens seine Druckerei besichtigen müsse.
Wohl oder übel mußte der Marshal auch das noch über sich ergehen lassen.
Doc Holliday hatte sich nach dem Arzt erkundigt und fand unten in der Mainstreet den Doktor in seinem Behandlungszimmer vor.
Es war ein alter Feldscher, der dem Georgier mit griesgrämiger Miene entgegensah und mürrisch erklärte, daß seine Sprechstunde schon vorüber sei.
Als Doc Holliday erklärt hatte, weshalb er gekommen war, schüttelte der Arzt den Kopf. Weiterhin mürrisch, versetzte er: »Hier war ein Bursche, der eine Kopfwunde hatte, aber Ihre Beschreibung paßt nicht auf ihn. Außerdem sah er eher wie ein Wegelagerer als wie ein Marshal aus.«
Holliday ging hinüber ins Post Office.
Ein junger sommersprossiger Schlacks, der einen Sprachfehler hatte, meinte sofort auf die Frage des Spielers, daß er den Gesuchten unten bei dem etwas außerhalb der Stadt liegenden Boardinghouse von Joel O’Connor gesehen hatte.
Der Gambler überlegte einen Augenblick, ob er oben bei der Cantina sein Pferd holen sollte, ging dann aber doch zu Fuß weiter.
Luke Short hatte seine mächtige Gestalt durch den Perlschnürenvorhang der niedrigen Tür der Cantina geschoben und blickte in den Schankraum, der im Halbdämmerlicht vor ihm lag.
Ein schwarzhaariges Mädchen mit großen Ohrringen ging barfüßig mit trägen Schritten und wiegenden Hüften zwischen den Tischen hin und her, sammelte leere Gläser und Flaschen ein, schickte diesem Gast ein Lächeln zu und zog einem anderen, der sie mit schweißiger Hand betätscheln wollte, eine Grimasse. Die Theke war umlagert von einer Reihe abenteuerlich aussehender Gestalten, die lautstark durcheinanderredeten, brüllten, lachten und schimpften.
Es war typisch für die Grenzstadtschenke, daß sie zu dieser frühen Vormittagsstunde schon so besucht war.
Der Texaner schob sich an die Theke heran, blieb hinter den vordersten Männern stehen und rief dem tranig dreinblickenden Wirt zu, daß er einen Whisky wünsche.
Als der müde Salooner ihm endlich das Glas reichte, Luke es in der Hand hatte und an die Lippen setzen wollte, stieß einer der Gäste, ein vierschrötiger Bursche mit einem wahren Hundegesicht gegen den Arm des Texaners.
Luke vermochte zwar das Glas noch aufzufangen, aber der Whisky landete auf der Schulter seines linken Nachbarn.
Der Mann fuhr sofort herum. In seinem Kreolengesicht blitzte ein tückisches Augenpaar. Er spie dem Texaner einen wahren Wortschwall spanischer Flüche entgegen.
Der Riese winkte ab. »Beruhige dich, Brother, ich werde einen Drink ausgeben, und wenn du dann einmal über die Straße gehst, ist dein schönes Hemd wieder trocken.«
Aber der Kreole wollte sich nicht beruhigen. Und der hundsgesichtige Bursche, der Short das Glas aus der Hand gestoßen hatte, schimpfte mit.
Der Texaner, der ahnte, worauf die Männer es angelegt hatten, warf ein Geldstück auf die Theke und wollte gehen.
Da sprang ihn der Kreole von hinten an. Damit allerdings hatte er eine Riesendummheit gemacht.
Luke schleuderte ihn mit einem Überwerfen nach vorn, daß er hart auf den lehmgestampften Boden aufschlug.
Das schien für den hundegesichtigen Kerl das Alarmsignal zum Angriff von seiner Seite aus zu sein. Er hieb sofort einen rechten Schwinger nach dem Kopf des Fremden, wurde aber um den Bruchteil einer Sekunde vorher von einem linken Backhander des Hünen so hart im Gesicht getroffen, daß er sich zweimal um seine eigene Achse drehte, gegen die Bordwand der Theke prallte und mehrere Gläser im Sturz mit sich herunterriß.
Da waren die anderen Männer an der Theke nicht mehr zu halten und warfen sich gleich zu viert auf den Fremden.
Wer nun geglaubt hatte, daß dies den Untergang für den Texaner bedeutet hätte, sah sich getäuscht.
Der texanische Goliath schlug wie ein Pferd um sich. Und wo er traf, wuchs kein Gras mehr.
Und er traf! Nicht zum erstenmal stand Luke Short in einer solchen Situation.
Aber dann mischten sich andere Männer ein. Sie standen von den Tischen auf, kamen aus den dunklen Spielwinkeln herbei und mischten sich in das Getümmel, um den Riesen zu fällen.
Tische wurden umgeschmissen, Stühle polterten umher, und klirrend zersprangen Gläser und Flaschen. –
Wyatt Earp hatte nach der Besichtigung der ›Druckerei‹ das Haus des gastfreundlichen Italieners verlassen und sah Doc Holliday die Straße heraufkommen.
Die beiden Männer berichteten einander, was sie in Erfahrung gebracht hatten, und gingen die Straße hinauf.
»Vielleicht hat Luke noch etwas erfahren«, meinte der Missourier. »Ob er noch in der Schenke ist?«
Die beiden befanden sich noch etwa fünfzig Meter von der Cantina entfernt, als plötzlich mit Getöse ein Stuhl durch eine Fensterscheibe flog und gleich darauf ein Mann vorn durch die Perlschnürentür auf dem Vorbau landete.
»Yeah«, meinte der Spieler trocken, »er ist ganz sicher noch in der Schenke.«
Und dann rannten die beiden los.
Kurz darauf war in der kleinen Cantina die Hölle los.
Als der inzwischen schwer bedrängte Texaner plötzlich merkte, daß er Luft bekam, daß mehrere der olivgesichtigen Burschen um ihn herum umkippten, ohne daß er sie berührt hatte, brüllte er mit einer wahren Stentorstimme:
»Hallo, Marshal! Willkommen in der Cantina del Sole! Und immer drauf auf die Halunken. Die Boys schreien nach Prügel!«
Es dauerte nicht sehr lange, bis die Peons und andere Gäste einsahen, daß die Verstärkung, die der Fremde da bekommen hatte, die Gefahr, die er selbst darstellte, verdreifacht hatte. Immer mehr von ihnen krochen davon, und schon nach wenigen Minuten herrschte Ruhe im Schankraum.
Nur der vorher so tranige Wirt lief zeternd und gackernd wie ein nervöses Huhn hinter der Theke auf und ab.
»Tut mir leid, Miß«, meinte der Texaner zu der Tochter des Wirtes. »Aber Sie müssen Ihre Gäste unbedingt besser erziehen. So long!«
Damit schob er mit den beiden anderen hinaus.
*
Der alte McBride kniff die Augen zusammen und blinzelte den drei Reitern entgegen, die da auf seinen Farmhof zuhielten.
Dann stieß er einen Pfiff aus, und sofort rannten seine Söhne zu ihren Gewehren.
Als der Marshal bemerkte, wie man sich im Farmhof rüstete, forderte er seine beiden Begleiter auf, anzuhalten, und ritt allein weiter.
Der alte McBride stand mit dem Gewehr am Tor. Er hatte eine finstere Miene aufgesetzt.
Wyatt ritt trotzdem weiter und hielt fünf Yards vor ihm an. »Nehmen Sie nur die Flinte herunter, Mister. Ich komme nur mit einer Frage. Mein Name ist Earp, und ich suche meinen Bruder, der…«
Der Brite hatte die Flinte so rasch heruntergenommen, daß der Kolben auf seinem Zeh landete. »Damned«, brüllte er. »Wyatt Earp! Welcome, Sir! Kommen Sie in den Hof. So nach und nach lerne ich ja wohl die ganzen Earp Brothers kennen.«
Der Missourier hielt sich nur wenige Minuten bei dem Schafzüchter auf, verabschiedete sich dann und schlug den Weg nach Westen ein.
Er wußte jetzt mit ziemlicher Gewißheit, daß Virgil nach Haderyk hin-übergeritten war.
*
Es war später Abend, als die drei Haderyk erreicht hatten.
Wyatt rutschte vor dem winzigen weißen Steinbau, von dem aus ein Schild mit der Aufschrift ›Sheriff‹ in die Straße hing, vom Pferd.
Der Texaner blickte die Straße hinunter auf ein Haus, aus dem der plärrende Gesang einer Frauenstimme und das Klimpern einer Gitarre herausdrang.
»Ich werde in der Kneipe nachfragen«, meinte er und wollte seinen Rappen in Bewegung setzen.
Doc Holliday winkte ab. »No, das werde ich diesmal lieber besorgen, sonst kann es uns noch blühen, daß wir das Glück haben, das kostbare Inventar dieser hübschen Cantina bezahlen zu müssen.«
Der Tex feixte, und seine weißen Zähne schimmerten in der Dunkelheit.
»Well, Doc, dann werde ich das Post Office aufsuchen.«
Der Georgier ritt weiter auf die Schenke zu.
Aus der breiten Tür und den beiden Fenstern fiel das Licht in einem warmen gelben Kegel auf den weißen Sand der Straße hinaus. Zu dem Gitarrenspiel und dem Gesang mischte sich jetzt das rhythmische Klappern von Kastagnetten.
Der Spieler stieg vom Pferd, warf die Zügelleine um den Querholm und betrat den breiten, einstufigen Vorbau, auf dem ein paar Männer mit hellen Sombreros herumstanden und miteinander sprachen. Rechts neben der Tür stand ein riesiger Neger.
Doc Holliday schlug mit der Linken die leise klirrenden Perlschnüre im Eingang auseinander und warf einen kurzen forschenden Blick in die von zwei kleinen gelben Petroleumlampen erleuchteten Schenke.
Kaum hatte er den nächsten Schritt vorwärts gemacht, als ihn von rechts her aus dem dunkelsten Winkel der Ka-
schemme ein Schuß anbrüllte.
Die Kugel hatte ihm den rechten Ärmel oben aufgerissen und sengend seine Haut gestreift.
Nur einen Herzschlag später fauchte der Revolver von der rechten Hüfte des Gamblers auf.
Der Schütze in der Ecke schrie gellend los.
Und sofort flog vorn neben der Theke eine Tür auf, in der Phin Clanton stand.
Der Desperado riß den Colt hoch, da traf ihn schon die Kugel des Spielers wie ein glühender Nadelstich im rechten Handrücken.
»Doc Holliday!« Es war Curly Bills Stimme. Sie kam hinten links aus der Ecke, und haarscharf pfiff eine Kugel am linken Ohr des Georgiers vorbei.
Der federte zurück, hatte jetzt beide Revolver in den Fäusten und schoß mit zwei genauen Schüssen die Lampen aus.
In der Schenke herrschte ein wahres Inferno von Schreien, stürzenden Ti-schen, Stühlen und zerspringendem Glas.
Doc Holliday war sofort draußen, nahm sein Pferd und sprengte die Straße hinauf.
Der Marshal kam ihm unter dem Vordach des kleinen Sheriffs Office schon entgegen.
»Luke?« fragte er.
»Nein, diesmal war ich’s«, entgegnete der Gambler trocken, während er aus dem Sattel rutschte und seine Revolver nachlud. »Habe ich ein paar Freunde da drüben im Saloon getroffen.«
»Die Clantons?«
»Yeah, jedenfalls Phin habe ich gesehen. Tom McLowery hockte rechts in einem düsteren Winkel und schoß sofort, als er mich sah. Curly Bill ist übrigens auch drüben.«
Luke Short kam herangesprengt. »He, was ist los? In der Schenke sieht es ja plötzlich so finster aus.«
Wyatt erklärte: »Der Doc hat die Lampen zerschossen.«
»Das war das beste, was er tun konnte«, meinte Short, während er ebenfalls aus dem Sattel rutschte.
Hinter Wyatt war ein dickleibiger, mittelgroßer Mann aufgetaucht, der ein helles Hemd und einen breiten, strohfarbenen Sombrero trug.
Wyatt wendete sich nach ihm um. »Machen Sie das Tor auf, Sheriff, wir müsssen die Pferde in den Hof bringen.«
Der Gesetzeshüter von Haderyk hob beschwörend die Hände. »Ja, aber Sie können mich doch nicht in diese Sache ziehen, Mister Earp. Ike Clanton wird mich…«
»Halt den Schnabel, Dicker!« knurrte der Texaner, sprang auf die Holztür zu und versetzte ihr einen gewaltigen Fußtritt.
Ächzend flog das Tor nach innen auf. Wyatt Earp und Doc Holliday führten die drei Tiere hinein, und der Texaner verschloß das Tor wieder. Dann klopfte er dem händeringenden und knieweich dastehenden Sheriff auf die Schulter.
»Beruhige dich, Amigo, drei so schöne Gäule hat dein Hof noch nie gesehen. Jetzt wirst du ein guter Sheriff sein und ganz schnell drei Eimer mit Wasser für die Pferde in den Hof bringen.«
Nickend trottete der Dickleibige davon.
Die Straße war leer. Wyatt Earp, Doc Holliday und Luke Short standen im Hof des Sheriffs Office und spähten durch eine Bretterritze hinaus.
Drüben in der Cantina war es still geworden.
»Zu still«, meinte der Marshal.
»Wollen wir nicht hinübergehen?« fragte der Texaner. »Ich muß sagen, daß ich einen Drink gebrauchen könnte.«
Wyatt Earp blickte durch die Bretterlücke auf die Straße. »Wir müssen abwarten, was sich da drüben tut. Sie haben Doc Holliday gesehen und wissen also, daß wir in der Stadt sind.«
»Wie nun, wenn die Bande hinter dem Laden auf die Gäule kriecht und abdampft?« wollte der Texaner wissen.
»Das werden sie nicht tun.« Doc Holliday hatte es gesagt. Er wandte sich ab und setzte sich auf eine der steinernen Treppenstufen, die zum Haus hinaufführten.
Luke sah den Marshal an. »Wie kann er das wissen?«
»Weil er die Clantons kennt. Wenn Ike Clanton hier ist, kann er es sich nicht leisten, zu fliehen. Er hält sich für einen mächtigen Mann und muß Wert darauf legen, daß die Bevölkerung der kleinen Städte die Angst vor ihm nicht verliert.«
»Ist denn die ganze Bande hier?«
Wyatt zog die Schultern hoch.
»Und was geschieht jetzt?«
»Nur Geduld, Mister Short. Es gibt Situationen im Leben, in denen man abwarten können muß.«
»Kann ich schon. Habe nur wenig Lust, darauf zu warten, daß die Brüder uns eine Ladung Dynamit hier in den Hof werfen.«
»Ich bin sicher, daß sie im Augenblick gar nicht wissen, wo wir sind. Die Panik, die Holliday in die Schenke gebracht hat, hinderte die Tramps daran, die klare Übersicht zu behalten. Außerdem sind Tom McLowery und Phin Clanton verletzt. Wenn Ike wirklich bei der Crew ist, dann geschieht zunächst nichts. Ich kenne den Burschen genau. Er wartet auf uns.«
Der Tex lachte. »Da kann er lange warten.«
»Eben. Und wir haben eine Chance, uns von dem langen Ritt etwas auszuruhen.«
Als eine volle Stunde vergangen war, in der Cantina immer noch kein neues Licht angezündet wurde und auch sonst alles auf der Straße ruhig blieb, stand Doc Holliday von der steinernen Stiege auf und kam an das Tor.
»Ike wartet auf den Tag«, sagte er leise.
Der Missourier nickte.
»Ist das günstig für uns?« wollte der Texaner wissen.
Die beiden schüttelten die Köpfe.
»Nein«, erklärte der Marshal, »in Anbetracht der Tatsache, daß Ike Clanton möglicherweise acht, zehn oder gar noch mehr Leute bei sich hat, ist die Nacht unser Bundesgenosse. Wir warten noch eine halbe Stunde, und dann handeln wir.«
»Well«, entgegnete der Texaner. »Und wie haben Sie sich das gedacht? Wollen wir den Laden drüben stürmen?«
Holliday lachte in sich hinein. »Das wäre ein Fressen für die Boys.«
Wyatt, der unentwegt an der Bretterlücke Wache gehalten hatte, flüsterte dem Texaner zu: »Wir müssen das Anwesen hier zur anderen Seite hin verlassen und werden dann aus drei verschiedenen Richtungen versuchen, festzustellen, wo sich die Bande aufhält.«
Doc Holliday machte sich aus einem Seitenfenster des Hauses davon. Luke Short stieg hinten über die Fenz, und der Marshal stand noch bei dem offenbar ständig zitternden Sheriff und schärfte ihm ein: »Sie haben niemanden gesehen. Ist das klar?«
Der Sheriff nickte. »Ja, Sie können sich auf mich verlassen, Marshal. Aber ziehen Sie mich bitte nicht in den Fight. Ich habe eine Frau und vier Kinder…«
Virgil hatte er weder gesehen noch etwas von ihm gehört. Wyatt hatte sich natürlich sofort danach erkundigt, als er das kleine Office des Sheriffs betreten hatte.
Jetzt stieg er hinten aus einem Fenster, setzte mit einem federnden Satz auf den sandigen Boden auf und schlich im weiten Bogen durch die kleinen Gassen um die Mainstreet herum, bis er von Westen her hinter die Häuser der Straßenseite kam, auf der die Schenke lag.
Er hatte eines der kleinen weißgetünchten Adobehäuser vor sich, an das hinten ein niedrig ummauerter Hof anschloß.
Ein Hund kam leise jaulend auf ihn zu.
Wyatt kraulte dem struppigen Tier das Fell und flüsterte ihm ein paar beruhigende Worte zu. Langsam trottete das Tier davon.
War es der sechste Sinn des Marshals, der ihn jetzt, als er an der Rückfront eines grauen Steinhauses entlang vorwärtshuschte, zu größter Lautlosigkeit mahnte?
Kaum hatte er die Ecke erreicht, als er ein leises Knirschen hörte, das nur von einer Stiefelsohle auf dem Sand verursacht werden konnte.
Wyatt hatte sofort seinen großen Buntlinke Special in der Linken, preßte sich dicht an die Wand und lauschte.
Da, wieder hörte er das gleiche Geräusch.
Kein Zweifel, gleich um die Ecke stand ein Mann.
Der Missourier konnte nicht wagen, weiterzuschleichen, da der andere das Geräusch seiner Schritte ebenso hören mußte, wie der Marshal ihn gehört hatte.
Aber länger warten durfte er auch nicht. Mit zwei federnden Sprüngen war er um die Ecke herum.
Da stand ein Mann und starrte ihn aus großen Augen an.
Wyatt erkannte ihn sofort.
Es war der Messerwerfer Frank Stilwell.
»Wyatt Earp!« entfuhr es dem Banditen tonlos.
»Yeah.«
Der Bandit stieß seine Rechte zum Gurt.
Da fuhr ihm die linke Faust des Marshals krachend zum Schädel.
Stilwell knickte in sich zusammen.
Wyatt bückte sich und lauschte.
Es blieb alles still.
Da zerrte er dem Besinnungslosen den Hosengurt vom Leib und fesselte ihm damit die Hände. Mit dem Halstuch band er dem Tramp die Füße zusammen. Dann zog er ihn um die Ecke herum und fertigte aus Stilwells Taschentuch einen kunstgerechten Knebel.
Es war also so, wie der Missourier vermutet hatte: Ike Clanton dachte nicht daran, in der Nacht anzugreifen; er wollte den Morgen abwarten. Und offensichtlich hatte er rund um sein Lager herum Wachen aufgestellt.
Wyatt ließ den Outlaw liegen und huschte zu dem nächsten Haus hinüber. Es stand seitlich hinter der Cantina. Und wenn Ike Clanton so gerechnet hatte, wie der Marshal vermutete, da mußte dort auch ein Posten stehen.
Wyatt legte sich auf den Boden und kroch von der Hauswand ein Stück weg in den tiefen Schlagschatten eines Wagenüberdaches.
Als er den vorderen Rand des Schattens erreicht hatte, sah er drüben an der Wand die dunkle Gestalt eines Mannes an der Mauer lehnen.
Lautlos richtete der Marshal sich auf.
Höchstens sieben Yards trennten ihn von dem Mann, den er jetzt auch an der Haltung erkannte: Es war Indian Charly.
Leise raunte er: »Charly!«
Der Bandit fuhr herum.
Knackend schlug ihm ein Geräusch entgegen, das das Spannen eines Revolverhahns verursacht.
»Hör gut zu, Charly. Hier steht Wyatt Earp. Wenn du auch nur den geringsten Laut von dir gibst, bist du in weniger als einer Sekunde bei deinen Vätern.«
Der Verbrecher stand starr vor Schrecken da. Dann sann er fieberhaft nach einem Ausweg.
Aber Wyatt Earp kam schon auf ihn zu.
Indian Charly starrte ihm mit glimmenden Augen entgegen.
Wyatt stieß ihm den Revolverlauf in die Seite. »Du wirst mich ein kleines Stück begleiten, Amigo.«
»Wohin?«
»Das wird sich finden. Weißt du, ich liebe es, um diese Zeit einen kleinen Mondscheinspaziergang zu unternehmen.«
»Mondschein…? Es ist doch aber gar kein…«
»Nein? Schadet nichts. Es geht auch ohne Mond! Vorwärts!«
Sie gingen drei Schritte nebeneinander her auf den tiefen Schatten des Wagendaches zu.
Plötzlich warf sich der Tramp zur Seite.
Ein Messer blinkte in seiner Faust.
Wyatt hatte keine Wahl. Knallhart war der linke Uppercut, der den Kinnwinkel des Verbrechers traf.
Auch dieser Posten war erledigt.
Wyatt ließ ihn wohlverschnürt und an einen Dachpfeiler des Schuppens gebunden liegen.
Aber leider sollte es nicht so lautlos und gut weitergehen.
Der Missourier schlich im Halbkreis bis in den Rücken der Cantina. Ein weiter Hof schloß sich an das flache Schankhaus an, umgeben von einer niedrigen, halbzerfallenen Mauer.
Der Marshal wägte eben den verwegenen Gedanken ab, in den Hof zu steigen, als von rechts ein Schatten hochschnellte und sich ihm entgegenwarf.
Er wich mit einer winzigen Körpertäuschung zur Seite, hörte aber durch den keuchenden Atem des Angreifers nicht das Geräusch hinter sich.
Ein zweiter Gegner sprang ihn von hinten an, riß einen schweren Gegenstand hoch, um ihn dem Missourier an den Schädel zu schmettern.
War es der Stern, unter dem der Gesetzesmann Wyatt Earp seinen Weg machte? War es nur ein Zufall? Oder war es der Hauch einer Ahnung, die den Missourier den Kopf zur Seite nehmen ließen? Nur um anderthalb Inches verfehlte der furchtbare Hieb sein Ziel und sauste pfeifend auf die rechte Schulter des Marshals nieder.
Instinktiv hatte der Getroffene den linken Fuß hochgerissen und den Gegner so schwer im Leib getroffen, daß der mit einem schrillen Aufschrei niedersank.
Der erste Angreifer, der im Hechtsprung an ihm vorbeigeflogen war, sprang ihn wieder an.
Mit einem Messer.
Wyatt wirbelte in einer halben Pirouette herum und hieb ihm einen knackenden Handkantenschlag gegen den Hals.
Der Mann war gefällt.
Der andere, der noch am Boden kniete, zog seinen Colt.
Wyatt konnte ihm die Waffe im letzten Moment aus der Hand treten und hatte dann selbst seinen Revolver in der Hand.
»Ganz still, Boy, sonst stehst du nie mehr auf!« herrschte er ihn an.
Jetzt erst spürte er den Schmerz in der rechten Schulter.
Der Mann am Boden ächzte.
Blitzschnell war Wyatt über ihm, preßte ihm den Mund zu, riß ihm das Halstuch ab und schob es ihm zwischen die Zähne. Dann fesselte er ihm mit dem Hosengurt die Hände und schnallte ihn mit dem Revolverriemen an einem Baum fest, der vor der Hofmauer stand.
Der andere lag leise stöhnend an der Erde.
Wyatt verschnürte ihn wie die anderen, fesselte ihn und band ihn ans Tor fest.
Die beiden Männer, deren Überfall er eben im allerletzten Augenblick nur durch seine Gewandtheit und seine Schnellkraft entgangen war und die er statt dessen überwältigt hatte, waren ihm unbekannt.
Die Sache begann schwierig zu werden.
Der Schmerz strahlte jetzt von der Schulter in Wyatts rechten Arm aus.
Er setzte sich auf die Mauer und massierte den Arm.
Noch überlegte er, ob er in den Hof steigen sollte, als von der linken Mauerecke, die etwas höher war als die übrige Fenz, ein Mensch hochschnellte.
Ein Schuß zerriß die Stille der Nacht.
Wyatt hatte sich sofort zu Boden geworfen und im Fallen zurückgeschossen.
Der Mann drüben brüllte auf und torkelte zurück.
Da bellten von der anderen Mauerecke hinter Wyatt zwei Schüsse los.
Die Geschosse stoben wie wütende Hummeln dicht über den Schädel des Missouriers.
Sein Hut war zur Seite gerollt und lag wie ein schwarzes Loch im weißen Sand.
Wyatt schoß. Dann federte er hoch, feuerte noch einmal auf einen dritten Gegner, der ebenfalls hinter seinem Rücken an der niedrigen Mauerecke aufgetaucht war, jumpte hoch und ließ sich hinter die Mauer fallen.
Er hätte aufschreien mögen vor Schmerz, so hart schlug er auf den ohnehin stark schmerzenden rechten Arm auf.
Damned, die rechte Schußhand fiel also aus.
Geräuschlos lud er den Buntline-Revolver nach.
»Jim!« zischte einer der Männer vor der Mauer.
»Yeah…?«
»Er ist im Hof.«
Wyatt robbte zurück, um die Stelle zu verlassen, an der er über die Mauer gesprungen war.
Und schon knatterten drei Schüsse von der Längsmauer genau dorthin, wo er gerade gelegen hatte.
Seine Lage war höllisch.
Der Hof war mit großen weißen Steinen ausgelegt, so daß ihn jeder, der über die Mauer sah, sofort erblicken konnte. Sie konnten ihn hier mit den Kugeln jagen wie einen Hasen.
Da, wieder klatschten zwei Geschosse in den Hof, schlugen von den Wänden ab und jaulten als Querschläger davon.
War vorhin die Mauer Wyatts Rettung gewesen, so erwies sich der Hof jetzt als mörderische Falle.
Hinter sich hörte er ein Knirschen an der Mauer des Gesteins, erblickte für einen Moment die Konturen einer Hand und handelte blitzschnell. Er nahm den Buntline zu dem anderen Revolver in die Linke, zuckte hoch, packte die Hand und riß den Mann über die Mauer in den Hof.
Da peitschten von drüben zwei Schüsse herüber.
Es gab keinen Aufschlag, kein Klatschen in der Mauer und keine heulenden Querschläger: Die Banditen hatten ihren eigenen Mann getroffen.
Wyatt ließ ihn los und jumpte über die Mauer, war jetzt auf der anderen Längsseite des Hofes, wähnte sich schon in Deckung und sah vorn von der Straße her zwei Männer herangelaufen kommen.
Hell and devils! Kam er denn aus dieser Falle nicht mehr heraus?
»Da hockt er!« schlug ihm die rostige Stimme Curly Bills entgegen. »Drauf! Es ist einer von ihnen!«
Der Missourier kniete drei Yards neben der Mauerecke. Was sollte er tun? Sich zurückwerfen? Um die Ecke herumspringen?
Sinnlos! Sobald er um die Ecke herumkam, war er im Feuerbereich der beiden Outlaws, die drüben hinter der anderen Kante standen.
In den Hof zurück? Ebenso sinnlos.
Er mußte sich Curly Bill und dem anderen entgegenwerfen.
Er schnellte hoch und kam an eine hölzerne Schuppenwand, die mit der Steinmauer zusammen eine enge Gasse bildete.
Glücklicherweise waren die Bretter dunkel und zeichneten seine Konturen nicht ab.
Das war sicher auch der Grund, weshalb Curly Bills erste Kugel fast anderthalb Yards vor ihm in die Bretter schlug.
Dann schoß der andere Mann, der hinter Curly Bill war. Wyatt sah es an den Mündungsblitzen.
Die beiden Geschosse saßen noch kürzer als Curlys Kugel in der Bretterwand.
Ein, zwei, drei, vier und der Mann im Hof fünf, dazu die beiden, mit denen er sich vorn vor der Mauer geschlagen hatte, das waren sieben Männer. Ike Clanton hatte also ein starkes Aufgebot um sein Camp gestellt. Es stand für Wyatt nun fest, daß die Clantons also tatsächlich in der Cantina steckten.
Von dem Augenblick an, da er von den beiden ihm unbekannten Banditen vor der Mauer angefallen war, bis zu dem Moment da Curly Bill Brocius seinen zweiten Schuß auf ihn abgab, der den Missourier jedoch nicht traf, war nur eine ganz winzige Zeitspanne vergangen.
Die Schießerei jedenfalls hatte kaum mehr als anderthalb Minuten gedauert, und noch hatte er vier Desperados gegen sich, auf engstem Raum, und nur der dunkle Bretterzaun bot ihm eine geringe Tarnung.
Wenn er schoß, sahen vier Augenpaare am Mündungsblitz, wo er stand.
Aber der Missourier konnte hier nicht stehenbleiben. Jeden Augenblick konnten vorn aus dem Haus noch mehr Gegner kommen. Noch fehlte Billy Claiborne, die gefährlichen McLowerys und die beiden Clantons selbst. Die beiden Männer drüben hinter der Mauer hatte er vorhin leise miteinander sprechen hören. Es war spanisch gewesen. Und weder die beiden McLowerys noch die Clantons beherrschten diese Sprache so gut, daß sie sich in einer solchen Situation darin unterhalten konnten.
Noch nicht fünf Sekunden stand Wyatt an dem Bretterzaun, und schon kam oben von der Straße her ein weiterer Mann und brüllte: »Curly?«
Frank McLowery! Es war unverkennbar seine Stimme.
Wyatt preßte die Zähne zusammen und duckte sich nieder.
Vielleicht hatte Frank, der auf der rechten Gassenseite ging, seine Silhouette gegen den sandigen Boden gesehen. Jedenfalls riß er seinen Colt aus dem Halfter und feuerte von der Hütte her.
Der Marshal schoß im gleichen Augenblick zurück.
Der gefährliche Bandit zuckte wie unter einem Peitschenschlag zusammen und taumelte gegen den Bretterzaun.
Dafür aber hatten Curly Bill und der Mann neben ihm den Gegner im Aufzucken der orangeroten Mündungsflamme gesehen. Auch sie rissen die Revolver hoch.
Und dann brach hinter der Cantina von Haderyk ein wahres Inferno los.
In die über den Hof pfeifenden Geschosse hämmerte plötzlich vom Hinterausgang der Schenke her ein wahres
Stakkato von Revolverschüssen. Der helle, singende Klang dieser Waffen ließ den Missourier aufatmen.
Da drüben, in der Höhle des Löwen, stand Doc Holliday. Mochte der Teufel wissen, wie der Spieler mitten durch die Schenke gekommen war.
Der Mann, der neben Curly Bill gestanden hatte, lag am Boden.
Die beiden Mauerschützen drüben waren verschwunden.
Mit zwei Sprüngen war der Marshal bei Curly Bill und rannte ihn nieder. Dann war oben in der Gasse hinter Frank McLowery, der wie ein Betrunkener am Bretterzaun lehnte, Phin Clantons Stimme: »Wie steht es, Boys?«
Wie aus der Erde gewachsen schoß plötzlich neben ihm ein Schatten hoch.
»Prächtig, Fellow.«
Luke Short war da. Er hieb dem Desperado einen seiner fürchterlichen Backhander entgegen und stürmte in die Gasse.
»Marshal!« brüllte er.
»Yeah«, gab Wyatt Earp laut zurück, der über Curly Bill Brocius kniete.
»Was passiert?«
»Mir nicht.«
»Wo ist der Doc?«
»Er war eben im Hof.«
»Heavens, dann habe ich mich doch nicht geirrt. Ich glaubte seine Revolver gehört zu haben.«
Wyatt hatte Bill Brocius entwaffnet, und Luke Short hatte dem schwer angeschlagenen McLowery den zweiten Revolver aus dem Halfter gerissen.
Der Riese ging auf die Straße zurück, hob Phin Clanton vom Boden hoch, nahm ihm die Waffen ab und schleuderte sie auf eines der flachen Dächer. Dann packte er den Tramp und warf ihn in eine Pferdetränke.
Wyatt rannte die Gasse hinauf zur Mainstreet, an Luke Short vorbei.
Im dunklen Eingang der Schenke sah er einen Mann. »Doc…?«
»Yeah«, kam es aus dem Dunkel zurück.
»Wo ist er?«
»Nicht da. Ich habe nur Tom McLowery und Claiborne hier begrüßen können.«
Wo war Ike Clanton?
War es sinnlos, nach dem Bandenführer zu suchen?
Jedenfalls war es gefährlich, ihn in der Nähe vermuten zu müssen.
Wyatt Earp ging zu Frank McLowery zurück, der sich eben von dem Bretterzaun abgestoßen hatte und die Rechte gegen die Stirn preßte.
»Wo ist Ike?«
»Ich weiß es nicht.«
Wyatt packte ihn am linken Arm. »Frank, wo ist Ike?«
»Ich habe gesagt, ich weiß es nicht«, erwiderte der Desperado frostig.
Luke Short schüttelte den vor Nässe triefenden Phin und stieß ihn gegen den Zaun, daß die Bretter ächzten und knirschten.
»Hör zu, Kleiner, ich bin Onkel Luke. Wir können noch viel Spaß miteinander haben, wenn du mir jetzt nicht ganz rasch sagst, wo Ike ist. Du hast gehört, daß der Marshal ihn sucht.«
Phin schüttelte sich und stieß einen Fluch aus. »Verdammt noch mal, ich weiß es nicht. Ich kann euch nichts anderes sagen als Frank.«
Doc Holliday stand immer noch drüben schweigend vor der Schenke. Nirgendwo in den Häusern war ein Licht angezündet worden. Die Angst nistete unter den flachen Dächern und hinter den weißen Adobewänden.
Der Missourier ließ den Arm des spitzbärtigen Desperados los und preßte heiser durch die Zähne: »Hör zu, Frank. Ich suche meinen Bruder Virgil. Wenn du etwas über seinen Verbleib weißt, dann sag es mir.«
Der Verbrecher preßte seine Hand immer noch gegen die Stirn und spie vor Wyatt aus. »Frag doch den Teufel nach ihm. Ich habe nichts mit Virg zu schaffen.« Damit schwankte er über die Straße davon.
Der Texaner ließ ihn passieren und knurrte ihm nach: »Ich werde den Teufel fragen, Franky-Boy. Und wehe dir, wenn du was mit der Sache zu tun hast.«
Jetzt kam auch Curly Bill trottend durch die Gasse und ging zwischen den beiden Männern hindurch. Es war sinnlos, ihn zu fragen.
In der Cantina wurde Licht angezündet, und der dickleibige Sheriff fand sich plötzlich auf der Straße ein.
»Das war ja fürchterlich, Mister Earp. Wie viele Tote haben wir denn zu begraben?«
Doc Holliday kam eben aus dem Hof zurück. »Tote?« fragte er klirrend. »So weit ist es noch nicht, Sheriff. Wir schießen zu schlecht.«
Er ging mit Wyatt Earp hinüber zum Hof des Sheriffs Office, wo die Pferde standen.
Luke Short folgte ihnen langsam nach.
*
So unwahrscheinlich es auch sein mochte, die Schießerei hatte keinen Toten zurückgelassen. Nur der flachsblondige lange Bursche, den Wyatt über die Mauer gezogen hatte, war nicht in der Lage, selbst in den Sattel zu steigen. Ein alter Feldscher, den der Sheriff herbeigerufen hatte, mußte dem Tramp eine Kugel aus der Hüfte holen und eine zweite aus der Schulter. Alle anderen waren nur leicht verletzt.
Aber gebrandmarkt waren sie alle. Wie der Rest einer geschlagenen Feldtruppe trotteten sie im Morgengrauen aus der Ansiedlung heraus. Frank McLowery ritt voran. Er trug einen weißen Verband um seinen Kopf, der unter der Hutkrempe hervorsah. Phin Clanton und sein Bruder folgten ihm. Dann kamen Curly Bill, Frank Stilwell, Indian Charly und Billy Claiborne. Hinter ihnen ritten die anderen, die Wyatt überwältigt hatte.
Keiner von ihnen führte mehr eine Waffe bei sich.
Und von Ike Clanton war nirgends eine Spur zu finden. Seine Crew hatte in Haderyk eine fürchterliche Schlappe einstecken müssen.
*
Die Suche nach Virgil Earp ging weiter.
Als die Sonne ihren ersten orangeroten Strahl über den Horizont schickte, stiegen die drei Männer auf ihre Pferde und verließen die Ansiedlung, die ihnen so gefährlich geworden war, in südlicher Richtung, ohne zu ahnen, daß in dem verwitterten Gemäuer, das hinter den weißgetünchten Häusern stand, ganz nahe neben dem alten Glockenturm, der Mann lag, den sie suchten.
Der greise Indianer Agostino hatte den schwer verletzten Tombstoner Marshal in die verlassene alte Mission geschleppt, um ihn da zu pflegen. Niemand außer ihm kannte die Kammern und Gänge des uralten Gemäuers, und niemand wäre auf den Gedanken gekommen, hier eine Menschenseele zu suchen.
Der weißhaarige Mescalero-Apache hatte den schwer verwundeten Mann bewußt hierhergebracht und hielt seine Anwesenheit verborgen.
Ein Mensch, der hinterrücks aus dem Sattel geschossen worden war, mußte Feinde haben, die nach seinem Leben trachteten. Da war es mehr als gefährlich, den hilflosen weißen Mann an einem anderen Ort unterzubringen, wo der oder die Menschen, die sein Leben hatten auslöschen wollen, sich unerkannt nähern konnten. Der Indianer wußte genau, daß er den Weißen dann nicht mehr zu schützen vermochte. Das war der Grund, weshalb Agostino den weißen Mann hier in der alten Mission verborgen hielt.
*
In dem Augenblick, in dem Doc Holliday die Schenke abends betreten hatte, sand Ike Clanton hinten im Nebenraum in der offenen Hoftür.
Als die ersten Schüsse fielen, befahl er Frank, sofort die Männer im Halbkreis um die Cantina zu verteilen.
»Vielleicht ist Doc Holliday allein in der Stadt«, hatte Frank McLowery gesagt.
Aber der Bandenführer hatte abgewunken. »Nichts da. Wo der eine ist, ist auch der andere. Wyatt Earp ist in der Stadt. Und ich werde ihn finden.« Damit war er hinausgegangen.
Sein Pferd hatte der Bandenführer, wie er es immer tat, abseits von seinem Camp untergestellt. Langsam verließ er den Hof und ging durch die kleinen Gassen hügelan.
Dann stand er vor dem zerfallenen Gemäuer, das die Mission umgab. Das Tor stand zwar noch und war sogar verschlossen, aber unweit davon war eine Bresche in der Mauer, durch die der Desperado mühelos klettern konnte.
Was suchte er hier? Vielleicht Wyatt Earp und seine Männer? Glaubte er allen Ernstes, daß sich der Dodger Marshal hier in dem Gemäuer aufhielt?
Isaac Clanton war immer seine eigenen, oft recht merkwürdigen Wege gegangen.
Er stand auf dem weiten ansteigenden Hof, ließ seine grobe Hand tastend über den mit Steinfiguren besetzten Brunnenrand gleiten und warf einen kleinen Stein in das Brunnenloch.
Er lauschte ihm nach und hörte erst nach mehreren Sekunden den Aufschlag. Der Brunnen war längst versiegt, sonst hätte die Bevölkerung ihn höchstwahrscheinlich auch benutzt, und das Tor wäre nicht verschlossen.
Ike Clanting ging weiter. Im schwachen Sternenlicht vermochte er nur einen Part des einst hufeisenförmigen Baues genauer zu erkennen. Die beiden anderen Flügel lagen tief im Dunkel. Das Dach war längst eingefallen, und durch die Fensterhöhlen blinzelten die Sterne.
Der Mann trat behutsam auf, als müsse er ernsthaft befürchten, daß sich hier seine Widersacher aufhalten würden. Links erhob sich der Glockenturm düster in den Nachthimmel; er wirkte wie ein mahnender Finger. Dahinter lag die Capella. Auch sie war dachlos, und ihre gewaltigen Mauern zeichneten ihre zackigen Konturen in den Nachthimmel.
Ein großer Vogel zog mit schwerem, langsamem Flügelschlag über den weiten Missionshof.
Ike schrak zusammen und hatte die Rechte am Revolverknauf.
Dann ging er weiter, links an den nur einstöckigen einstigen Stallungen vorbei hinüber zu den Magazinbauten.
Er stand inmitten einer erstorbenen Welt, die in der Nacht etwas Gespenstisches an sich hatte und selbst diesen harten Mann bedrückte.
Immer wieder führten seine Schritte ihn in die Nähe des Turmes, an dessen fahler Westseite unten eine niedrige Toröffnung gähnte.
Schon weit über eine Stunde war er von der Cantina fort, als plötzlich aus der Ferne Schüsse zu ihm heraufdrangen.
Schüsse, die bald in ein wildes, knatterndes Furioso übergingen.
Aber Ika Clanton glaubte sein Camp, die Cantina von Haderyk, in sicheren Händen. Männer wie Frank McLowery würden sie gegen jeden Angreifer verteidigen können, mühelos sogar, da sie mit den Örtlichkeiten in der kleinen Stadt vertraut waren.
Dicht neben dem Turm stand unter einer uralten Trauerweide eine steinerne Bank in einer Mauernische.
Der Bandit ließ sich darauf nieder und lehnte sich zurück.
Er war müde. Der weite Ritt durch die Sonnenglut der Steppe hatte auch ihn erschöpft. Er starrte durch die Zweige des Baumes zum Turm hinüber.
Dann schloß er die Augen.
Als er sie wieder öffnete, hatte sich das düstere, dämonische Bild, das er beim Einschlafen vor Augen gehabt hatte, in ein bizarres Gemälde von grellem, blendendem Gelbweiß verwandelt.
Ike senkte den Blick langsam an der Turmmauer hinunter zu der Türöffnung – und starrte entgeistert in die schwarzen Kohlenaugen eines uralten Indianers.
Seine Hand, die zum Revolver zucken wollte, verharrte in der Bewegung.
Der Rote hatte einen großen schwar-zen Colt in der Faust, dessen Mündung genau auf den Desperado zeigte.
Der Outlaw kannte den Revolver genau und wußte auch, wem er gehörte. Hundertmal hatte er diese Waffe im Halfter und auch schon in der Hand ihres Besitzers gesehen.
Sie war sehr groß, schwarz, mit dunk-lem Knauf, der an der linken Seite von einem weißen Streifen durchzogen war.
Ike konnte es trotz der rotbraunen Faust, die die Waffe hielt, erkennen.
Und er wußte auch, ohne daß er
die andere Knaufseite sah, wie sie beschaffen war: Statt des weißen Striches waren dort in gleicher Farbe zwei Buchstaben eingebrannt. Ein großes V und ein großes E.
Es war der Colt Virgil Earps.
Ganz langsam richtete sich der Bandit auf. Er hatte den ersten Schrecken überwunden.
Da sprangen die welken Lippen des Greises auseinander. »Was suchst du hier?«
Ike hatte die Hände angewinkelt neben seinen Hüften hängen. Unweit von seinen eigenen Revolvergriffen. Und ganz sicher wußte der achtzigjährige Agostino nicht, wie schnell dieser weiße Mann ziehen konnte.
Der Verbrecher fixierte den Roten scharf. »Wie kommst du an diesen Revolver?«
»Ich bin dir keine Antwort schuldig«, erwiderte der Apache stolz, »aber ich werde es dir dennoch sagen: Ich habe ihn gefunden.«
»Draußen vor der Stadt, bei einer Feldhütte!«
Der Bandenführer dachte an den Bericht Billy Claibornes. Demnach konnte der Alte die Wahrheit gesagt haben.
»Und sonst hast du nichs gefunden bei der Feldhütte?«
Der Greis sah ihn unverwandt an. »Was sollte ich noch gefunden haben?«
Ike wandte sich langsam ab und machte drei Schritte vorwärts.
Dann flog er plötzlich herum und hatte seinen eigenen Colt in der Rechten. Ein böses Lachen stand um seine Lippen.
»Hast du wirklich geträumt, daß du Ike Clanton überrumpeln könntest, Grandpa? Vorwärts, laß das Eisen fallen, sonst brenne ich dir ein paar glühende Bleistücke zwischen die Rippen.«
Völlig unbeeindruckt sah ihn der Indianer an. »Du also bist Ike Clanton. Ich habe von dir gehört. Leider waren es wenig gute Dinge.«
Der Tramp verfärbte sich. »Du sollst den Colt fallen lassen, Rothaut!«
»Wenn du Ike Clanton bist, wirst du wissen, daß dein Schreien sinnlos ist. Denn du siehst ja, daß auch ich den Revolver gespannt habe. Und du kannst ganz sicher sein, daß ich den Stecher noch durchziehen werde, wenn du geschossen hast.«
»Wage es!« fauchte der Desperado.
Jetzt huschte über das Gesicht des Indianers ein müdes Lächeln. »Ich habe nichts zu wagen, weißer Mann. Mehr als achtzig Sommer und Winter ruhen auf meinem Haupt. Ob die Stunde meines Rittes in die Ewigen Jagdgründe heute oder morgen ist, bereitet mir nicht die geringste Sorge. Du aber, der du erst drei kurze Jahrzehnte mit dir herumträgst, hast für dein Leben zu fürchten.«
»Gewäsch!« zischte der Bandit. »Laß den Colt fallen, Alter, sonst stirbst du!«
»Ich werde dir nicht dreimal sagen, daß ich den Tod nicht fürchte, Ike Clanton. Ich warte doch täglich und stündlich auf ihn. Wann er kommt, bestimmt der Große Geist – und nicht du!«
»Well, dann werde ich dir etwas sagen«, entgegnete der Verbrecher, nicht unbeeindruckt von so viel Kälte und Todesverachtung. »Die Waffe, die du da in der Hand hältst, gehört einem Freund von mir, den ich seit vielen Jahren suche.«
Forschend glitten die Augen des Indianers über das Gesicht des Weißen. »Du lügst!«
Ikes Gesicht wurde flammendrot vor Zorn. »Du hast die Waffe eines Toten in der Hand, Apache!«
»Wer sagt dir, daß der Mann tot ist?«
Ike legte den Kopf auf die Seite und ließ den Colt ins Halfter zurückgleiten.
»Er… ist nicht tot?«
»Das habe ich nicht behauptet.«
»Wo ist er?«
»Es genügt, wenn ich es weiß.«
Da stieß der Bandit den Kopf vor. »Mörder!« fauchte er.
Wieder huschte das müde Lächeln über das runenzerschnittene Greisengesicht. »Ein solches Wort solltest du nicht in den Mund nehmen, Ike Clanton. Du hast das geringste Recht dazu.« Und plötzlich fuhr der Alte in veränder-
tem, schärferem Ton fort. »Wer sagt
mir, daß du nicht der Mann bist, der
ihm von hinterrücks die Kugel gegeben hat?«
»Von – hinterrücks…«, brach es heiser von den Lippen des Verbrechers. »So hat er ihn also von hinten…« Er brach ab.
In seinem Hirn jagten die Gedanken einander.
Claiborne hat ihn also ermordet! Er hat ihn von hinten angeschossen. Und wahrscheinlich hat er seine Leiche nicht einmal verscharrt. Dieser greise Indianer hat den Toten gefunden und begraben. Seinen Revolver hat er behalten.
Ike hob den Blick zur Sonne.
Sicher war es schon gegen neun Uhr. Er hatte lange geschlafen – vielleicht zu lange.
Krächzend stieß er hervor: »Ich werde dir den Colt abkaufen. Der Mann, der ihn trug, war mein Freund. Ich will ihn rächen!«
Da versetzte der Indianer schroff: »Er war nicht dein Freund!«
Ike biß die Zähne aufeinander. Hatte der Alte etwa noch mit Virg sprechen können – oder lebte Virg gar jetzt noch?
»Wie kannst du es wagen, das zu behaupten?« zischte er.
»Der Mann, dem der Colt gehörte, trug einen Stern, und du bist Ike Clanton!«
Das war deutlich.
Der Verbrecher bebte vor Zorn. »Well«, sagte er dann einlenkend, »ich will dir etwas sagen, Alter: Der Mann war mein Feind, aber ich habe ihn nicht erschossen. Ich kenne jedoch seinen Mörder und will ihm die Waffe des Toten vorhalten.«
»Es ist einer deiner Leute, Ike Clanton.«
»Gib mir den Colt!« wich der Bandit aus.
Da entspannte der Indianer den Revolver und warf ihn dem Banditen zu. »Da, nimm ihn mit! Und jetzt verschwinde von diesem heiligen Boden!«
Der Revolver flog vor die Füße des Verbrechers.
Ike starrte darauf nieder, bückte sich und hob ihn auf.
Als er wieder zum Turm hinüberblickte, war der Alte verschwunden.
Ike spannte den Colt und rannte in weiten Sätzen vorwärts. Als er den Eingang zum Turm erreicht hatte, prasselte ein Steinhagel aus dem Inneren des uralten Gemäuers, und nur durch einen blitzschnellen Sprung nach rückwärts vermochte sich der Desperado zu retten.
*
Ike Clanton hatte den Missionshof verlassen und ging durch eine der Gassen auf das Haus zu, in dessen Hof er seinen Gaul untergestellt hatte.
Der kleine olivgesichtige Besitzer des Anwesens kam ihm im Hof hemdsärmelig und barfüßig entgegen.
Ike zündete sich eine Zigarette an und fragte, ohne den Mann anzusehen: »Was war gestern nacht los? Ich habe Schüsse gehört.«
Der Mann schlug mit zitternder Hand ein Kreuz, trat dicht an den Desperado heran und flüsterte: »Wyatt Earp war in der Stadt!«
Ike wandte den Kopf. »Wyatt Earp?« tat er verblüfft.
»Yeah, Mister Clanton. Der Al-
kalde hat es gesagt. Er war drüben beim Sheriff, und dann prallte er mit Ih-
ren Freunden zusammen, Mister Clanton. Es hat eine furchtbare Schießerei gegeben.«
»Und…?« tat Ike uninteressiert.
»Es ist glücklicherweise niemand ums Leben gekommen. Aber wie leicht hätte das geschehen können. Denken Sie nur, meine Frau hat mehr als fünfzehn Schüsse gezählt.«
»Und – wo ist er jetzt?«
»Der Marshal ist mit Doc Holliday, der ja auch hier war, und Luke Short im Morgengrauen weggeritten.«
»Das weißt du genau?«
»Ganz genau, weil ich drüben in der Mündung der Nebengasse stand und den Reitern nachsah. Sie ritten auf die Grenze zu.«
Das Gesicht des Outlaws spiegelte Zufriedenheit wider. Seine Linke tastete über den Revolverknauf, der links aus seinem Hosenbund sah.
Dann ließ er seinen Hengst satteln, stieg auf, warf dem dienernden Mann ein Geldstück zu und ritt davon.
Den Alkalden, der in der Mainstreet stand, beachtete er nicht.
Auch auf das unsichere Grüßen des dickleibigen Sheriffs hatte er keine Erwiderung.
Langsam ritt er nach Südwesten aus der Stadt. –
Einer der Earps war also erledigt.
Well, er würde Bill Claiborne zwar die Hölle heiß machen, aber die Tatsache, daß es in Tombstone nun keinen Sternträger mehr gab, war beruhigend. Jonny Behan – ihn rechnete Ike Clanton überhaupt nicht mit.
Er nahm sich vor, noch nicht gleich nach Tombstone zurückzureiten. Da er nun wußte, wo der Gegner war, konnte er sich einer anderen Aufgabe widmen.
Er hatte drüben, unweit jenseits der Grenze, vor einem Monat eine große Herde weiden sehen. Da würde er Umschau halten müssen für seinen nächsten Ritt mit den Boys.
*
Der Dodger Marshal und seine beiden Begleiter hatten die flache Savanne hinter sich und hielten auf einem Hügelkamm, von wo aus sie einen weiten Blick nach Süden in eine mit dünnem Gras stellenweise bewachsene Ebene hatten.
Wyatt Earp streckte den Arm aus. »Mexiko!« Er stieg vom Pferd. »Wir werden hier eine halbe Stunde rasten.« Nachdenklich saß der Marshal am Boden und blickte nach Norden. Plötzlich meinte er: »Ich werde das Gefühl nicht los, daß wir uns teilen müßten. Daß einer nach Haderyk zurückreiten sollte, ein zweiter nach Tombstone und der dritte allein über die Grenze gehen müßte.«
Der Georgier nickte zustimmend. »Ich denke es schon, seit wir die Sierra hinter uns haben. Wahrscheinlich wäre es nicht falsch, wenn ich nach Tombstone zurückreiten würde.«
»Keine angenehme Sache«, meinte der Texaner. »Die ganze Horde wird höchstwahrscheinlich dorthin zurückgeritten sein. Und wenn es dann wieder ein Gewitter gibt, stehen Sie so ziemlich allein, Doc.«
Der Spieler winkte ab. »Daran gewöhnt man sich.« Er erhob sich, zog sich in den Sattel seines Falben, tippte an die Hutkante und trabte nordwestwärts davon.
Die beiden anderen blickten ihm nach.
Endlich erhob sich auch der Texaner.
»Well, dann will ich auch nicht mehr Worte machen als Ihr schweigsamer Gefährte und zurück nach Haderyk reiten.«
Wyatt nickte, während auch er seinen Fuß in den Steigbügel setzte. »All right, Luke. Und wenn es langweilig wird, dann steigen Sie mal in das alte Gemäuer hinauf, das ich gesehen habe, als wir aus der Stadt ritten. Es ist offenbar eine verlassene Mission…«
*
Sie ritten also in drei verschiedene Himmelsrichtungen davon.
Wyatt sprengte in die Ebene hinunter und hielt sich südwestlich, weil er in der Ferne unter dem klaren azurblauen Himmel eine winzige Rauchsäule gegen den Himmel hatte steigen sehen.
Es war nur ein kleines Campfeuer dreier krummbeiniger Peons, die hier eine winzige Herde bewachten.
Der Missourier erkundigte sich bei den Männern, ob sie seinen Bruder gesehen hatten. Sie hörten sich die Beschreibung an und schüttelten dann ihre dunklen Köpfe.
Nein, auch einen Reiter, auf den die Beschreibung Ike Clantons paßte, hatten sie nicht gesehen.
Wyatt ritt weiter.
Spät am Abend erreichte er eine jener winzigen Nester, die oft nur aus fünf flachen weißgetünchten, schmutzstarrenden Häusern bestanden, um die räudige Hunde herumstrichen und vor denen die Männer herumlungerten, dösten, Karten spielten und einen Dorfklatsch hielten.
Der Missourier rutschte vor einer düsteren Schenke aus dem Sattel, drückte einem Burschen ein kleines Silberstück in die Hand und beauftragte ihn, den Falben zu halten.
Wyatt betrat die Schenke.
Sie war brechend voll. Eine stickige Luft, gemischt von schlechtem Tabak, Alkoholgeruch und Schweißdunst, schlug ihm entgegen.
Es war schon hier, kaum dreißig Meilen hinter der Grenze, ein völlig anderes Land.
Wyatt schob sich durch die Menge, hörte sofort das Schimpfwort ›Gringo!‹, mit dem die Mexikaner die Leute aus den Staaten bedachten, scherte sich jedoch nicht darum, sondern bugsierte sich an die Theke. Er spendierte einem alten Burschen mit roter Trinkernase einen Drink und fragte ihn aus.
Der Mann schüttelte den Kopf. Nein, er hatte keinen Reiter gesehen, auf den Wyatts Beschreibung von Virgil paßte.
Als ihm der Marshal aber Ike Clanton beschrieb, ohne etwa dessen Namen genannt zu haben, verstand der alte Bursche das Spanisch des ›Gringos‹ plötzlich sehr schlecht.
Wyatt wußte genug.
Die Leute kannten Ike Clanton hier – und fürchteten ihn. Dennoch mußte er herausbringen, ob der Bandenführer gestern oder gar heute hier gewesen war. Er nahm ein großes Geldstück aus der Tasche und hielt es dem Mexikaner vor die Nase.
»Sieh dir das an, Amigo. Dafür kannst du dir einige Flaschen kaufen. Du sollst es haben, wenn du dich zufällig daran erinnern könntest, wann du meinen Freund Ike zuletzt gesehen hast.«
»Oh, das – das ist eine Weile her…«, stotterte der Alte und verschlang die Münze gierig mit den Augen.
»Wie lange?«
»Sehr lange!«
Wyatt zog die Schultern hoch und ließ das Geldstück resigniert in seiner Tasche verschwinden.
»He, Señor, Sie haben mir das Geld versprochen, wenn…«
»… du nicht lügst!« unterbrach ihn der Marshal schroff.
Da wurde er von der rechten Seite nicht gerade sanft angestoßen und blickte in das verlebte Gesicht eines Angetrunkenen.
Im gleichen Moment sauste von hinten krachend eine leere Flasche auf den Hut des Burschen nieder.
Taumelnd brach er neben Wyatt vor der Theke zusammen.
Der Mann, der den Rest der zertrümmerten Flasche in der Hand hielt, war klein, hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht und listige Augen.
»Machen Sie sich nichts draus, Señor«, meinte er kaltschnäuzig. »Tonio ist ein Schwätzer!«
»Vielleicht wollen Sie die Münze verdienen?« fragte ihn Wyatt.
Während der schwerbetäubte Tonio wie ein lästiger Betrunkener weggeschafft wurde, drängte sich der Zwerg an den Marshal heran.
Vertraulich meinte er: »Sie können mir die Münze geben. Ich werde Ihnen ehrliche Auskunft erteilen. Ike Clanton war hier. Vor ein paar Tagen, er kam von Westen und ritt nach Osten hinüber. Drei Männer waren bei ihm…«
Wyatt wandte sich ab.
Da schnappte der Zwerg nach der Münze, aber der Marshal hatte sie schon weggesteckt.
Der Gnom schrie bellend: »Betrüger! Elender verdammter Gringo!«
Wyatt warf dem Wirt die Zeche hin und zwängte sich durch die anderen Männer zum Eingang. Draußen war der Junge mit dem Falben verschwunden.
Wyatt ging in die Schenke zurück und ließ sich an einem der Tische nieder.
Es war absolut zwecklos, jetzt einen Wirbel wegen des verschwundenen Pferdes loszulassen. Das mußte abgewartet werden – und wenn sich der Bursche dann immer noch nicht einfand, mußte Wyatt seine Eltern oder Verwandte aufsuchen.
Es dauerte auch kaum eine Viertelstunde, da kam ein anderer Junge zu ihm an den Tisch und flüsterte ihm etwas zu.
»Aha«, entgegnete Wyatt, »dachte ich mir doch. Dein Freund ist ein Erpresser!«
»Nein, nein, Señor. Er hatte Mühe, das Pferd zu halten, es hat nach ihm geschlagen, und…«
Da nahm Wyatt seinen Revolver aus dem Halfter, ließ die Trommel rotieren und entgegnete: »Hör gut zu, Kleiner. Ich komme in fünf Minuten hinaus. Wenn mein Pferd dann noch nicht da ist, können die Verwandten deines Freundes schon die Beerdigung richten. Ist das klar?«
Der Bursche erblaßte und verschwand.
Als der Missourier nach der angegebenen Zeit hinauskam, stand der Falbe zwar da – aber ohne Sattel.
Wyatt ging in die Kneipe zurück und spielte mit drei anderen Männern Faro. Er hatte dieses hier an der Grenze so beliebte Spiel von Doc Holliday erlernt und beherrschte es gut.
Als er dreimal hintereinander gewonnen hatte, legte er seinen gesamten Gewinn auf den Tisch und meinte: »Schade, Señores, es ist ein so schönes Dorf, in dem ihr wohnen konntet…«
»Konntet?« fragte einer der Männer verdutzt.
»Yeah. Es gibt hier leider zu viele Diebe und Lügner. Meine Freunde werden böse sein, wenn sie heute nacht hier ankommen und feststellen, daß ihrem Boß der Sattel gestohlen worden ist. So was mögen sie gar nicht, obgleich sie Sinn für Humor haben. Auf diese Art und Weise haben wir schon drei ähnliche schöne Dörfer als rauchende Brandstätten zurücklassen müssen. Well, ihr müßt bedenken, daß man dreißig wilden Gringos so etwas nicht so leicht ausreden kann.«
Einer der Männer erhob sich sofort, murmelte etwas Unverständliches und drückte sich davon.
»Hier, Señores, teilt euch die paar Kröten und trinkt noch einmal ordent-
lich. Morgen gibt’s hier keine Cantina mehr!«
Die Männer fuhren hoch. Er scherzte also nicht, der Gringo. Und ganz zweifellos war er ein Bandenführer. Nichts fürchteten die Mexikaner hier mehr als Banden aus den Staaten, die sich hier wild und hemmungslos austobten. Sie fürchteten den großen Ike Clanton, weil er viele Männer bei sich hatte, aber er nahm doch immer nur Rinder irgendwoher mit. Es hieß sogar, daß er sie zuweilen kaufte. Wenn auch mit vorgehaltenem Revolver… Aber die Leute dieses Mannes da waren Brandstifter, und die waren ja weitaus gefährlicher. Wer so schmerzlos einen dreifachen Faro-Gewinn verschenken konnte, mußte ein mächtiger Mann sein!
Wyatts Trick kam an, und wenige Minuten später kam der Mann, der sich davongestohlen hatte, zurück und flüsterte ihm zu, daß der Sattel doch auf dem Pferd sei. Er habe sich sicher nur versehen.
Der Missourier zog die Schultern hoch und gab sich den Anschein, als wollte er weiterspielen. Aber daran hatte niemand in seiner Umgebung mehr ein Interesse.
Wyatt nahm seinen Hut ab, schob das Geld mit den offenen Händen hinein und setzte sich die nun schwer gewordene Kopfbedeckung wieder auf.
Mit sauren, ängstlichen Gesichtern sahen ihn die Leute in der Schenke an.
Der Marshal ging hinaus. Als er in den Sattel steigen wollte, sah er an der Hausecke einen Mann stehen, der ihm zuwinkte.
Wie unauffällig ritt Wyatt an ihn heran.
Es war der verlebte Tonio, der seinen schmerzenden Schädel hielt und ihm zuflüsterte: »Er war heute hier, Señor. Heute mittag. Aber die Leute haben Angst vor ihm. Er ist nach Süden weitergeritten. Ich schwöre es Ihnen bei der Heiligen…«
Wyatt warf ihm das Geldstück zu und ritt weiter.
Er war also hiergewesen, der Tomb-
stone Bandenchief!
Wyatt beschloß weiterzureiten.
Und in der Morgenfrühe des nächsten Tages erreichte er die kleine Stadt Flaminias.
Zweihundert Häuser, zwei kleine weiße Kirchen, zahllose braungebrannte schwarzäugige, zerlumpte Kinder und struppige, verwahrloste Hunde. Alte Frauen trugen hohe dunkle Tonkrüge mit artistischer Sicherheit auf ihren Köpfen, und in der Mitte der Stadt, wo sich die Hauptstraße zu einem kleinen Platz weitete, bereiteten lautschreiende Männer einen Markt vor.
Wyatt stieg in einer Albergo (nordmexikanisches Boardinghouse) ab, ließ sein Pferd von einem plattfüßigen Peon versorgen und suchte das Zimmer auf, das ihm eine dunkelhäutige Señora anwies. Es lag zu ebener Erde, und vor dem glaslosen Fenster hing ein weißgraues Tuch als Vorhang, Sonnen- und Fliegenschutz.
Wyatt untersuchte das Lager und stellte zu seiner Zufriedenheit fest, daß es einigermaßen sauber war.
Wäre er doch nie in diese Stadt gekommen! Der Markttag von Flaminias sollte ihm zeitlebens unvergessen bleiben.
Er hatte sich auf seiner Pritsche ausgestreckt und schloß die Augen. Der nächtliche Ritt hatte ihn so strapaziert, daß er gleich einschlief.
Als er wach wurde, hörte er an der Tür die Stimme der Frau. »Wollen Sie etwas essen, Señor?«
»Ja, ich komme.«
Er erhob sich und ging hinaus.
Es war schon später Nachmittag, und vorn auf dem Markt herrschte ein lebhaftes buntes Treiben. Der Missourier verzehrte sein Mahl und ließ sich eine schwarze Zigarre bringen, da sein eigener Vorrat längst erschöpft war. Anschließend machte er sich auf den Weg zum Polizeibüro. Der Hüter des Gesetzes der Stadt Flaminias war ein kleiner rundlicher Mann mit flinken Äuglein und einem öligen Schnurrbart, der wie die Haare stark mit dem in Mexiko gebräulichen Jolancaöl nachgefärbt worden war. Señor Rodrigo Arosta saß hinter seinem Schreibtisch und wedelte sich mit einem alten, mißfarbenen Fächer Kühlung zu.
Wyatt trat ein und trug dem Mann sein Anliegen vor.
»Wie heißen Sie?« fragte Arosta, obgleich ihm Wyatt seinen Namen deutlich genannt hatte.
»Earp, Señor, Wyatt Earp. Ich komme aus Tombstone und suche meinen Bruder Virgil…«
Arosta hörte sich die Story an und erhob sich dann. Während er mit geschmeidigen Bewegungen und flinken Schritten auf und ab lief, meinte er: »Señor Earp, ich habe von Ihnen gehört. Sie sind ein bekannter Sheriff und haben Jero Lopez vor zwei Jahren oben in New Mexico gestellt. Er stammte aus Flaminias.«
»Er war ein Mörder!« sagte der Marshal rauh.
»Ja, die Zeitungen schrieben es«, meinte Arosta, während er durch die primitive Jalousie hinaus auf das bunte Markttreiben sah und die auf dem Rücken zusammengelegten Hände ständig öffnete und schloß.
Wyatt ging zur Tür. »Ich bin nicht gekommen, Señor, um mit Ihnen über einen Untermenschen zu sprechen, der oben in Las Animas nicht einmal davor zurückschreckte, eine junge Frau zu erstechen.«
»Well«, meinte Arosta gedankenvoll. »Ich erwähnte es auch nur. Und vielleicht ist es für Sie nicht ganz uninteressant zu wissen, daß da drüben die große Taverna seinem Bruder Juan gehört.«
»Bedauere, Señor«, erwiderte der Marshal kühl. »Das kann mich nicht interessieren. Ich suche lediglich meinen Bruder und einen Mann aus dem Cochse County, namens Isaac Clanton…«
Der kleine Mexikaner fuhr herum und hatte die Augen aufgerissen. »Ike Clanton? Sie sind hinter Ike Clanton her? Hören Sie, Señor Earp, ich habe seit der Sache mit Lopez einiges von Ihnen gehört. Aber jetzt glaube ich, daß Sie ein Hasardeur sind, ein Glücksritter. Sie wollen doch nicht allen Ernstes Ike Clanton jagen? Einen Mann, der dreißig Leute in den Sattel bringen kann, wenn er will…«
Der Name des Tombstoner Desperados war offensichtlich hier unten in Mexiko noch gefürchteter als oben in Arizona.
Wyatt winkte ab und öffnete die Tür.
Da lief Arosta ihm nach. »Señor Earp, ich will keinen Ärger. Die Stadt hat ohnehin durch die Sache mit Lopez einen üblen Ruf bekommen. Ich möchte nicht, daß es eines Tages heißt: in Flaminias ist der bekannte Sheriff Earp aus den Staaten verschwunden.«
»Ah? Dann halten Sie es also durchaus für möglich, daß hier in Ihrer Stadt Menschen verschwinden können?«
Arosta hob die Hände, zog die Schultern hoch und schloß die Augen. »Wer will das wissen, Señor Earp. Können Sie in die Köpfe der Menschen sehen? Wissen Sie, was Juan Lopez denken muß, wenn er den Mann sieht, der seinen Bruder zu Fall gebracht hat?«
Wyatt ging hinaus. Es war sinnlos, sich mit diesem Mann länger zu unterhalten. Er überquerte den Markt, schob sich zwischen wild durcheinanderschreienden Menschen und Verkaufsständen vorwärts, bis er drüben vor der Taverna des Juan Lopez stand.
Auf einmal sah er einen Jungen hinter sich, der den Schwarzfalben an der Zügelleine führte.
Wyatt blickte ihn verdutzt an. »Was soll denn das?«
Der Bursche trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Ich soll Ihnen Ihr Pferd bringen, Señor.«
Arosta hatte also schon gehandelt. Er wollte den lästigen Fremden möglichst schnell aus der Stadt fort wissen.
Wyatt nahm die Zügel. »Ich habe doch noch gar nicht für das Zimmer bezahlt!«
»Das ist auch nicht nötig, Señor. Sie haben ja keine Nacht darin geschlafen.«
Wyatt nahm den Falben und band ihn im Schatten eines Vordaches dicht bei der Taverne an. Dann schlenderte er auf die enge Gasse zu, die links von einem großen Laden und rechts von der Seitenfront der Taverne gebildet wurde.
Kaum fünf Schritte hatte der Missourier in die Gasse getan, als er unter der halb hochgeschobenen Fensterlade etwas sah, das ihn wie angewachsen stehenbleiben ließ. Er erblickte auf dem Thekenrand vor einem kleinen vierkantigen Glas, das zur Hälfte von einer rubinroten Flüssigkeit gefüllt war, die prankenartige behaarte sonnenverbannte Hand eines Mannes. Was ihn aber noch mehr fesselte, war der Knauf der Waffe, der dicht unter der linken Hand des Mannes aus dem Hosengurt hervorsah.
Wyatt hätte diesen Revolver unter tausend ähnlichen herausgekannt.
Es war der Colt seines Bruders Virgil.
Nur eine einzige Sekunde hatte der Marshal wie versteinert dagestanden. Dann packte er die Fensterlade und riß sie auf.
»Ike!«
Der Mann an der Theke fuhr zusammen. »Wyatt Earp!« Heiser flog der Schrei von seinen Lippen.
Der Lärm, der in der Schenke geherrscht hatte, war verstummt.
Und Ike Clanton war den Bruchteil einer Sekunde später vom Fenster verschwunden.
Wyatt schwang sich an dem Sims hoch und sprang in den Schankraum.
Die Männer wichen zurück und starrten ihn an.
Der Bandit war nicht mehr zu sehen.
Da schob sich von der Theke her ein schlanker dunkeläugiger Mann mit verschlagenen Gesichtszügen heran. Er zerrte sich seine grüne Halbschürze vom Leib, warf sich hinter die Theke und kam auf den Missourier zu.
»He, Señor, mein Freund Ike Clanton hat da eben einen ziemlich merkwürdigen Namen gerufen! Sind Sie etwa Wyatt Earp?«
Wyatt schob den Mann zur Seite und zwängte sich durch die anderen Gäste.
Der Keeper rannte ihm nach und riß ihn herum. »He, verdammter Hund, ich bin Juan Lopez!« Er hieb einen Schwinger nach dem Kopf des Marshals.
Wyatt tauchte den Schlag ab und wuchtete dem Bruder des Mörders Lopez einen linken Haken in die kurzen Rippen, der dem Getroffenem sofort die Luft benahm.
Dann hatte der Missourier freie Bahn zum Ausgang.
Er war noch fast fünf Schritte von der Tür entfernt, als draußen drei Revolverschüsse krachten.
Von einer fürchterlichen Ahnung getrieben setzte Wyatt in wahren Panthersprüngen zum Eingang und blieb dort wie ersarrt stehen.
Der Anblick, der sich ihm bot, jagte ihm einen stechenden Schmerz in die Brust.
Drüben unter dem Vordach brach eben sein stolzer edler Falbhengst in die Vorderbeine. Von drei Revolverkugeln tödlich getroffen, sank das Pferd zur Seite und blieb reglos am Boden liegen.
Die Starre löste sich von dem Missourier. Er federte mit einem Riesensprung über die Treppe auf die Straße.
Noch zwei weitere Sätze ließen ihn den Eingang einer Seitengasse gewinnen, durch die eben der Bandit Isaac Clanton auf seinem Hengst davonsprengte.
Wyatt riß den Buntline Special hoch und schoß. Die Waffe brüllte auf.
Der Kopf des Reiters bekam einen Stoß – Ike schwankte, warf sich aber dann nach vorn auf den Pferdehals und sprengte weiter.
Das Geschoß hatte ihm eine daumenbreite Wunde vom linken Ohr über die ganze Wange gezogen.
Jetzt war auch er gebrandmarkt!
Wyatt hatte den Revolver noch in der Hand, als aus der Schenke der Keeper Juan Lopez kam, der sich gerade von dem Schlag erholt hatte. Er bemerkte den rauchenden Revolver in der Hand des Marshals und blieb stehen.
Wyatt ersetzte die verschossene Patrone, schob den Revolver weg und ging dann zu seinem Pferd.
Minutenlang stand er da, taub vor Zorn und Verzweiflung und starrte auf das verendete Tier.
Dann bückte er sich, schnallte den Sattel und das Zaumzeug ab und fuhr dem toten Hengst sanft über das seidige Fell am Hals, streichelte noch einmal die starke schwarze Mähne und schwang sich den schweren Sattel über die Schultern.
Aber die bittere Stunde war für den Dodger Marshal noch nicht zu Ende.
Eine große Menschenmasse, die sich teils aus Marktbesuchern, teils aus Gästen der Lopez-Schenke und aus anderen Neugierigen zusammensetzte, umstanden ihn.
Da schoben sich von der Schenke her zwei baumlange Burschen mit Schlägergesichtern heran. Ihre Hemden spannten sich um gewaltige Brustkästen. Schwer mit Muskeln bepackte Oberarme sahen aus den ärmellosen Hemden heraus.
Hinter ihnen, in sicherer Deckung, kam Juan Lopez. »Das ist er! Carlo, mach ihn fertig!«
Carlo war der linke der beiden Schläger. Er marschierte auf Wyatt los.
Der ließ das Pferdegeschirr fallen. In seinen Augen flammte wilder Zorn. »Geh nach Hause, Carlo!« brach es heiser von seinen Lippen.
Aber Carlo stampfte weiter auf ihn zu.
»Ich habe gesagt, du sollst heimgehen, Junge. Das Geld, das dir der Keeper versprochen hat, wird zu bitter…«
Da war Carlo heran. Er drosch wie ein Irrsinniger auf den Marshal ein. Der federte zurück und hieb dem Gorillamenschen eine Doublette an den Schädel, die den ganzen Mann durchschüttelte.
Aber Carlo schüttelte auch den Schlag ab. Er stürmte erneut auf den Missourier ein. Und diesmal kam sein Genosse ihm zu Hilfe.
»Tur mir leid, Carlo!« Mit diesem heiseren Ruf hämmerte Wyatt Earp dem Muskelmann einen linken Haken unter die Kinnspitze, die den Getroffenen mehrmals um seine eigene Achse drehte und dann in die Knie gehen ließ.
»Gonzales! Mach ihn fertig! Ich verdoppele!« schrie Lopez schrill.
Der starke Gonzales verstand einiges mehr vom Faustkampf als sein schwergewichtiger Kumpan Carlo. Er tänzelte hin und her, und als er den ersten Schlag abschickte, glaubte er, sein Ziel sicher zu treffen. Aber der Marshal nahm den Schlag nur an, um ihn zu brechen, um mit dem Kopf mit ihm zurückzugehen und gleichzeitig dem Gegner einen rechten Haken in die Leberpartie zu jagen.
Gonzales schnappte einen Augenblick nach Luft und schickte dann wieder einen seiner Hammerschläge ab.
Wyatt federte zur Seite, steppte wieder heran, und dann schickte er eine Doublette los, die dem Mexikaner die Besinnung nehmen mußte.
Aber Gonzales war ein Stier. Er schluckte auch diese Schlagfolge, konnte selbst einen Schwinger an der Schulter des Gegners landen, hinter dem sein ganzes Körpergewicht lag und der Wyatt zurückwarf.
Er stolperte über sein totes Pferd.
Und Gonzales war unfair genug, nach dem Gestürzten zu treten.
Da sprang der Missourier hoch. Ganz offen und ungedeckt stand er da. Aber wer die Sprache der Augen zu lesen verstand, konnte das Eis darin sehen.
Und als Gonzales erneut anrannte, riß Wyatt gedankenschnell einen linken Uppercut hoch, der krachend an der Kinnspitze des Herkules detonierte.
Der schwere Gonzales stand einen Augenblick auf seinen Fersen, dann kippte er wie ein Brett hintenüber.
Mit einem heiseren Brüllen stürzte sich Juan Lopez an dem Niedergeschlagenen vorbei dem verhaßten Mann aus den Staaten entgegen.
Wyatt stieß ihn mit einer langen Linken wie mit einem Rammpfahl zurück.
»Bleib da, Lopez, sonst ist deine Theke vierzehn Tage verwaist!«
Der Schankwirt dachte nicht daran, sich abhalten zu lassen. Das wilde Blut des Südländers und der rasende Zorn auf diesen Sheriff Earp trieben ihn vorwärts.
Es war nur eine kurze rechte Gerade zur Herzspitze, die Juan Lopez fällte.
Da kam der Polizeichef heran. Mit wilden Gebärden redete er auf Wyatt ein.
Der nahm seinen Sattel auf, schwingerte ihn so weit herum, daß die Steigbügel gefährlich nahe vor dem feisten Gesicht Arostas herumflogen.
»Was wollen Sie noch, Mann! Gehen Sie mir aus dem Weg. Ich habe keine Zeit!«
Er warf noch einen letzten Blick auf sein totes Pferd, das ihn so lange Jahre auf so vielen Ritten und durch so manche Gefahr treu getragen hatte, und schob sich durch die Menge davon.
Es war natürlich ausgeschlossen, dem Bandenführer jetzt noch zu folgen. Wyatt erstand am Ortsausgang bei einem uralten Mietstallowner für ein gutes US-Zwanzigdollarstück einen Braunen, nachdem der Händler zuvor versucht hatte, ihn mit einem alten Fuchs zu betrügen.
Er legte dem Tier den Sattel auf, stieg auf und trabte davon.
Der Braune erwies sich als nicht einmal so schlecht, hatte einen verhältnismäßig weichen Gang, war gut im Trab und brachte auch einen erträglichen Galopp auf die Straße.
Aber er war kein Pferd, um den schwarzen Hengst Ike Clantons einzuholen.
Im flammendem Abendrot ritt Wyatt Earp aus der Stadt, die ihm einen unersetzlichen Verlust eingetragen hatte, nach Nordwesten davon.
*
Doc Holliday war nach scharfem Ritt spät in der Nacht in Tombstone angekommen.
In Nellys Cashmans Boardinghouse war alles besetzt, so daß er sich ein anderes Quartier suchen mußte.
Er stieg vor dem Crystal Palace
aus dem Sattel, um sich die staubige
Kehle mit einem Brandy durchzuspü-
len.
Kaum hatte er den großen hellerleuchteten und auch zu dieser späten Stunde noch fast vollbesetzten Schankraum betreten, als dort eisige Stille eintrat.
Vorn an der Theke lehnten drei Männer, die dem Gambler mit finsteren Mienen entgegensahen.
Frank McLowery, immer noch mit Stirnverband, sein Bruder Tom und Curly Bill.
Doc Holliday ging an ihnen vorbei und bestellte sich beim Keeper einen Bran-
dy.
Immer noch war es still in der Schenke.
Da erhob sich von einem der Spieltische ein Mann, der besser auf seinem Platz sitzengeblieben wäre.
Bill Claiborne.
Er hatte auf leeren Magen zwei Glas Whisky gekippt, vertrug den Alkohol aber nicht und kam sich nun erheblich stärker vor, als er war.
Dicht hinter dem Georgier blieb er stehen und krächzte: »He, Doktor, da sind Sie ja wieder. Freut mich. Da können wir ja ein Spielchen miteinander machen. Dabei werde ich Ihnen dann einige Zähne ziehen! He, wie sieht’s übrigens in Haderyk aus? Soll ziemlich bewegt da hergegangen sein.«
Der Spieler stellte sein Glas auf die Theke zurück und schickte dem Tramp einen abweisenden Blick zu.
Aber der fühlte die Gefahr nicht. »Habe gehört, daß auch ein gewisser Holliday, ein Doktor, da seine Schießeisen ziemlich heftig gebraucht haben soll. Die Boys können es bezeugen.« Plötzlich brüllte er: »Bildest du armseliger Zahnbohrer dir etwa ein, daß wir Angst vor dir hätten? Ich, Billy Fitzgerald Claiborne, ich mache dich fertig. Ich allein…«
Durch den Kopf des Georgiers war plötzlich ein eigenartiger Gedanke gezogen.
Hatte der Schafzüchter nicht einen Banditen erwähnt, von dem Wyatt Earp später auf dem Ritt erklärt hatte, daß es sich nur um Bill Claiborne gehandelt haben könnte?
Holliday lehnte sich gegen die Theke und stützte die Ellbogen auf die blechbeschlagene Kante auf. »Wenn du verdammtes Großmaul auf deinem Platz sitzen geblieben wärest, hätte es sein können, daß du nachher sorg- und schmerzlos in dein Bett kriechen könntest. Das hat sich rasch geändert. Es trifft sich nämlich tatsächlich gut, Claiborne, daß wir beide einander hier treffen. Ich habe dir nämich Grüße aufzutragen.«
Holliday bewachte den Banditen scharf, ohne jedoch seine Kumpane, die immer noch ein Stück weiter unten an der Theke lehnten, völlig aus dem Blickfeld zu lassen.
»Grüße…?« Claiborne fiel auf den Leim herein.
»Yeah, von dem Schafszüchter McBride!«
»Ach – was habe ich mit diesem stinkenden Strolch zu schaffen?«
»Das frage ich mich auch. Ich habe übrigens noch mehr Grüße für dich!«
»Von wem?«
»Von einem netten Burschen. Er heißt Geronimo!«
Das war ein Schlag auf den Busch. In Haderyk hatten sie erfahren, daß Geronimo auf der Steppe von drei weißen Banditen überfallen und beraubt worden war.
Und Bill Claiborne hatte nicht Fassung genug, diesen Hieb zu parieren. »Dieser rote Bandit soll zum Teufel gehen. Wenn ich ihm noch einmal…«
»Vorsichtig!« mahnte ihn der Spieler. Dann fügte er hinzu: »Der dritte Gruß wird dich ganz besonders freuen, Bill!«
Claiborne hielt sich an der Thekenkante fest.
Da sagte der Spieler in die Stille hinein: »Virgil Earp läßt dich grüßen.«
Es war weder eine Blitzkombination gewesen, noch eine Vermutung, noch sonst eine gedankliche Folgerung, die den Georgier zu diesem Satz getrieben hatte.
Aber der Erfolg war unwahrscheinlich.
Der Desperado Bill Fitzgerald Clai-borne wurde kalkweiß im Gesicht. Seine Hände zitterten, und seine Unterlippe zuckte hin und her.
»Virg – Virgil Earp…«, stammelte der Heckenschütze und suchte verzweifelt mit den Augen Frank McLowerys Gesicht.
Auch die anderen Banditen waren zusammengefahren, als der Gambler den Namen des Gestzesmannes genannt hatte. Kannten sie doch alle die Geschichte, die der flachsköpfige Claiborne ihnen in jener Nacht draußen auf der Clanton Ranch berichtet hatte.
Was wußte Doc Holliday?
Hatte er etwa die Spur Virgil Earps gefunden?
Ike und die anderen waren einen ganzen Tag lang bei der Feldhütte gewesen und hatten die ganze Umgegend nach Spuren abgesucht. Und als der Bandenboß Bill Claiborne schließlich angedroht hatte, ihn zu erschießen, wenn er nicht die Wahrheit sagen würde, war Claiborne soweit gewesen, daß er bei dem Leben seiner Mutter geschworen hatte, alles hätte sich genauso zugetragen, wie er es geschildert hatte. Er könnte es sich auch nicht erklären, wer den Toten weggeschleppt hätte.
In der Stadt unten konnten die Banditen sich natürlich nicht nach einem Toten erkundigen, nach einem Mann mit einem Kopfschuß. So waren sie denn mit verärgerten Mienen und gewaltig verstimmt in die Stadt geritten und hatten sich in der Cantina niedergelassen. Daß Wyatt Earp so rasch in Haderyk auftauchen würde, hatten sie natürlich nicht geahnt.
Claiborne sah, daß Frank McLowery den Kopf senkte. Was soviel bedeutete wie: Löffle die Suppe, die du Idiot dir da eingebrockt hast, gefälligst selbst aus.
Und ostentativ warf Bill Brocius ein paar Geldstücke aufs Thekenblech und verließ den Saloon.
Frank McLowery folgte ihm. Dann kamen Tom und Stilwell.
Am Schluß war von den Banditen außer Claiborne niemand mehr in der Schenke.
Der Tramp hielt sich immer noch an der Thekenkante fest.
Holliday hatte den linken Absatz hinter die Messingfußstange geklemmt und zog das Sporenrad leise knirschend in das Stoßholz der Theke. »Was sagst du zu den Grüßen, Billy?«
Claiborne stotterte: »Ich – was soll ich sagen?«
Plötzlich hatte der Georgier einen seiner großen vernickelten Revolver in der Hand, ließ die Trommel rotieren und wirbelte den Colt dann im Bügel blitzschnell um den Mittelfinger.
»Ich warte, Billy Claiborne.«
Da stammelte der Bandit: »Was wollen Sie von mir, Doc Holliday? Ich habe nichts mit Virgil Earp zu schaffen.«
Der Gambler sah ihn unter dem Hut-rand hervor scharf an. »Hör gut zu, Junge. Du hast noch immer eine Chance, heute nacht mit heilen Gliedern in deine verlauste Falle zu kriechen. Aber mach endlich die Zähne auseinander!«
In diesem Augenblick war der Heckenschütze dicht daran, dem gefürchteten Revolverkämpfer Holliday ein Geständnis zu machen.
Aber genau in diesem Augenblick flogen vorne die Schwingarme der Pendeltür auseinander, und ein Mann betrat den Saloon, den Doc Holliday hier jetzt am wenigstens gebrauchen konnte.
Es war ein großer schlanker Mann von vielleicht dreißig Jahren, mit blassem Gesicht, dunklen Augen, langer dünner Nase, schmalem Mund und fliehender Stirn. Nur das Kinn schien in dieses schlanke, fast weichlich aussehende Gesicht nicht passen zu wollen. Es war schwer und weit vorgeschoben. Der Mann trug einen schwarzen Stetson, eine enge schwarze Lewishose, weiche schwarze Stiefel, deren Schäfte bis zu den Waden über die Hosenbeine liefen, ein schwarzes Hemd und eine schwarze kurze Weste. Tief links über seinem Oberschenkel baumelte ein großer Double Action Colt.
Es war der Schießer Johann Ringold, der Sohn österreichischer Auswanderer, der unter dem Namen Jonny Ringo als einer der verrufensten Coltmen der Südstaaten bekannt war.
Doc Holliday wußte, daß Ringo mit Ike Clanton befreundet war und hin und wieder in Tombstone auftauchte.
Es gab da eine alte Sache zwischen dem Bostoner Zahnarzt und dem Revolvermann Ringo.
Vor einigen Jahren hatte die hübsche Kate Elder-Fisher zwischen ihnen gestanden. Die damals einundzwanzigjährige Texanerin hatte sich in den eleganten, gebildeten Mann, der einen Doktortitel trug und sowohl in seinem Äußereren wie auch in seinen Manieren von den anderen Männern dieses Landes so sehr abstach, verliebt, fand aber bei dem Spieler keine Gegenliebe. Auch Jonny Ringo hatte sich seinerseits heiß um das hübsche Bargirl bemüht, scheiterte aber an der Liebe der Frau zu Doc Holliday.
Später hatte der Gambler dann mehr gleichgültig als interessiert dem Drängen der jungen Frau nachgegeben, vor allem, da sie ihm in mehrere Städte gefolgt war. Das hatte ihm den Haß des Revolvermannes Ringo zugezogen und bei den drei Begegnungen, die die beiden Männer seitdem miteinander hatten, war es jedesmal zu scharfen Auseinandersetzungen gekommen.
Ringo war seit zwei Tagen in der Stadt. Er hatte in der Hufeisenbar gesessen, als der linkische Frank Stilwell zu ihm an den Tisch trat und ihm zuflüsterte: »Im Crystal Palace ist dein Freund Doc Holliday.«
Bisher waren die Begegnungen der beiden Männer, obgleich sie sich in größter Schärfe abspielten, doch immer noch glimpflich verlaufen.
Diesmal sollte es anders werden. Und Schuld daran war nicht einmal so sehr Jonny Ringo, sondern Kate Fisher.
Die immer noch sehr hübsche Frau war am Vormittag in Tombstone angekommen. Sie war dem Spieler von
Dodge City aus nach Santa Fé ge-
folgt, hatte da erfahren, daß Doc Holli-day eine Depesche von Tombstone erhalten hatte, und war ihm dann hierher gefolgt.
Ein rätselhaftes, unseliges Geschick hatte genau zu diesem Zeitpunkt auch ihren Verehrer Ringo in die wilde Arizona-Stadt geführt.
Der Revolvermann hatte drei Schritte in den Raum gemacht und blieb dann stehen. Er sah den Revolver in der Hand des Spielers, bekam kieselharte Augen und schnarrte: »Ich sehe, Sie haben mich schon erwartet, Doc.«
Unbeweglich stand der Georgier da. »Sie irren, Ringo. Ich hatte im Gegenteil angenommen, daß Sie längst irgendwo auf einem stillen Friedhof lägen.«
»Nein, Holliday, den Gefallen habe ich Ihnen nicht getan. Im Gegenteil, ich bin gekommen, um endgültig mit Ihnen über Kate zu reden.«
Der Spieler nahm mit der Linken eine Zigarette aus der Tasche, schob sie zwischen die Zähne und riß ein Zündholz an. »Ach, lassen Sie mich zufrieden. Ich habe hier mit dem Flachskopf zu reden.«
»Das könnte Ihnen so passen, Doc«, schnarrte der Coltman.
Unterdessen hatte niemand anders als der gerissene Frank McLowery draußen gehandelt. Er stand an der Rezeption des Cosmopoliten-Hotels und forderte den kahlköpfigen Hausdiener auf, Miß Kate Fisher einen Augenblick herunterzubitten.
Die Texanerin kam sofort.
Ihr Gesicht war zwar stark gepudert, mußte aber immer noch schön genannt werden. Ähnlich wie ihre Rivalin Laura Higgins, die dem Spieler seit Jahren in einer Art Haßliebe von Stadt zu Stadt folgte, hatte sie sich in ihrer verzehrenden Begierde selbst um ihre Jugend gebracht. Mit kalten grünen, wissenden Augen blickte sie den Desperado an, der mit einer linkischen Bewegung seinen Hut zog.
»Verzeihen Sie, Madame, kann ich Sie einen Augenblick sprechen?«
Die rotgefärbten Lippen der Frau verzogen sich spöttisch. »Frank McLowery! Ich sehe, Tombstone hat mir gleich einen Mann seiner Elite geschickt.«
Der Bandit schluckte die Kränkung hinunter und meinte gallig: »Ich hätte da eine interessante Nachricht für Sie, Madame.«
»So…?« versetzte sie uninteressiert, während sie in die kleine Bar des Hotels hinüberschlenderte.
Der Mann folgte ihr langsam nach. Als er neben ihr an der Theke lehnte, zündete er sich eine Virginia an und schoß seine Neuigkeit wie einen Pfeil auf die Frau ab. »Ihr Freund Ringo ist in der Stadt.«
Kate Fisher hatte sich einen Whisky geben lassen und schwenkte die goldbraune Flüssigkeit im Glas hin und her. »Hören Sie, Mister McLowery, diese Nachricht ist für mich völlig uninteressant. Und ich möchte mir verbitten, daß Sie diesen Ringo meinen Freund nennen.«
»Well«, entgegnete der Desperado, stieß sich von der Theke ab und meinte wie nebenbei: »Dann ist es sicher auch ganz uninteressant für Sie, daß Jonny Ringo eben in den Crystal Palace gegangen ist, um Doc Holliday seinen Antrittsbesuch zu machen.«
Das große Glas entglitt den weißen schlanken Fingern der Frau und zersprang auf dem Estrich.
*
Im Crystal Palace herrschte Pulverfaßstimmung.
Es gab sicher nur einen Mann, dem das Auftauchen des Schießers nicht ganz unangenehm war: Bill Claiborne.
Der Tramp machte einen halben Schritt zurück, wagte aber dann, als er die harten Augen Hollidays auf sich gerichtet sah, sich nicht weiter zu entfernen.
Da hob der dicke Keeper seine fleischige Hand und meinte: »Gents, denkt an meinen Spiegel. Er kostet eine höllische Stange Geld.«
Klirrend versetzte Holliday: »Wenn Mister Ringo Lust hat, ihn zu zerschießen, dann wird er auch Geld haben, ihn zu bezahlen.«
Der Coltman stieß ein kurzes kläffendes Lachen aus.
»Der Spiegel ist fast drei Yards von Ihnen entfernt, Doc. Sie müssen mich für einen verdammt schlechten Schützen halten.«
Holliday hob langsam den Kopf. »Womit Sie sagen wollen, daß Sie die Absicht haben, auf mich zu schießen, Ringo.«
Da wurden hinter dem Schießer die Schwingarme der Tür auseinandergeschoben.
Kate Fisher stürmte hinein. Sie stieß im Vorbeigehen Ringo zur Seite und blieb genau in der Mitte zwischen den beiden Männern stehen.
Ihre Augen hingen an Doc Holliday. »Hallo, welch ein Zufall, Doc, daß man sich wieder einmal sieht.«
Der Spieler blickte sie kühl an. »Ja, welch ein Zufall«, sagte er gedehnt.
Und diesmal glaubte der noch vor Minuten so bedrängte Bandit Claiborne, entrinnen zu können.
»Bleib hier, Billy«, sagte Holliday scharf. »Die beiden Leute gehen uns nichts an.«
»Ach!« zischte Ringo. »Wir gehen ihn nichts an, Miß Kate. Nicht nur ich nicht, sondern auch Sie. Ich hoffe, Sie haben das gehört.«
Die Frau beachtete den Einwurf des Schießers nicht. Langsam trat sie an den Spieler heran. »Komm, Doc«, sagte sie sanft, »wir gehen.«
»Geh nur, Kate. Ich habe mit diesem Burschen da etwas zu regeln.«
Kate Fisher warf einen kurzen Blick auf den Tramp.
»Ist das nicht Billy Claiborne?«
»Yeah«, versetzte Holliday. »Sieh mal, Billy, welch ein bekannter Mann du schon bist. Selbst eine so weitgereiste Dame von Welt kennt deinen Namen.«
In Ringos Gesicht arbeitete es. Das Mahlen seiner Kaumuskeln war deutlich zu sehen. »Ich dulde nicht, daß er Sie so beleidigt, Kate.«
Ein kurzes, frostiges Lachen des
Gamblers war die Antwort. »Es ist ganz sicher das beste für Sie, Ringo, wenn Sie jetzt gehen.«
Der Coltman verfärbte sich.
Da legte die Frau ihre Hand auf Hollidays linken Arm. »Komm endlich, Doc. Mußt du denn immer in der Gefahr leben? Dich ständig in solchen Situationen bewegen? Was ist das für ein scheußliches Dasein?«
»Es ist mein Dasein«, erwiderte der Spieler grob.
»Dein Dasein! Hast du überhaupt ein Dasein? Dein Leben heißt Wyatt Earp. Du bist vor zwei Monaten nach Santa Fé gegangen, um seinen Bruder Morgan aus irgendeiner Klemme zu helfen. Und jetzt bist du hier, weil sein anderer Bruder in irgendeiner Tinte sitzt.«
»Er sitzt nicht in einer Tinte«, versetzte der Spieler frostig. »Dieser flachsköpfige Junge hier, wollte mir gerade einiges dazu erzählen, als dein hartnäckiger Verehrer Ringo dazukam.«
»Noch so eine Beleidigung, Holliday!« belferte der Schießer, »dann werde ich…«
»Laß den Jungen laufen«, schnitt die Frau dem Schießer das Wort ab, während sie Hollidays Arm jetzt mit beiden Händen umfaßte. »Wo man dich sucht und wo man dich trifft, geht es um Wyatt Earp. Du würdest für ihn durch die Hölle reiten. Well, dieses heiße Tombstone ist schon eine Hölle. Ist es vielleicht ein Klima für dich? Hast du vergessen, wie krank du bist? Mußt du dich mit Gewalt wegen dieses verdammten Marshals zugrunde richten? Er kann seine Kämpfe allein austragen. Wenn du tot bist, muß er es ja auch. Und er wird ganz sicher länger leben als du. Er ist gesund wie ein Löwe. Und du Wahnsinniger opferst ihm noch deine letzten Jahre.«
»Hör endlich auf«, unterbrach sie der Spieler rauh. »Es ist doch Unsinn, was du redest. Ich kenne diesen Song nun schon seit Jahren.« Er drückte ihr ein Geldstück in die Hand. »Hier, geh in den Oriental Saloon und trinke. Laß mich zufrieden. Du verstehst weder mich noch mein Leben. Da, nimm den da. Er wird dich auf Händen tragen. Ich bin sogar überzeugt, daß er seine beiden schönen Schießeisen wegwerfen würde, um hinter einer Theke Gläser zu polieren, wenn du es verlangst.«
Jonny Ringos Gesicht verzerrte sich.
Da krallte die Frau ihre Nägel in das Handgelenk des Mannes, der sie nicht wollte. »Ich hasse dich…!«
»Ich weiß. Geh endlich, Kate.«
Da brach sie in einen hysterischen Weinkrampf aus und hängte sich an den Spieler. »Doc, mach mit mir, was du willst, aber schick mich nicht weg! Ich habe fast fünfhundert Meilen in diesem Marterkasten gesessen, um dich zu sehen. Ich – ah! Du bist ein Scheusal!«
Der Georgier stieß sie von sich. »Du lachst und weinst in einem Augenblick. Vielleicht gefällt ihm das…«
»Doc!« schrie sie. »Komm…!«
»Geh!«
In diesem Augenblick rissen drüben dem Revolvermann die Nerven. Er zog den Revolver, und – er kam nicht mehr dazu, den Stecher durchzuziehen.
Seit Jahren war die stumme Frage in seinem Schädel gewesen: ist er schneller als ich? Und nun wurde sie ihm auf eine grausam Weise beantwortet.
Doc Holliday hatte vorhin den Colt längst wieder ins Halfter geschoben. Wie er ihn jetzt herausgebracht und von der Hüfte aus geschossen hatte, das war allein unbegreiflich, die Zeugen dieser Sekunde waren.
Jonny Ringo stand in sich verkrümmt da und preßte die Rechte um das linke Handgelenk. Nie mehr würde er mit dieser seiner ›berühmten‹ Schußhand einen Revolver führen können. Der Georgier hatte ihm das Handgelenk zerschmettert.
»Ich habe dir gesagt, daß du nach Hause gehen sollst, Ringo. Jetzt gehst du am besten hinüber zum Doc O’Keefe!«
Ringo war kalkweiß im Gesicht geworden. Taumelnd verließ er die Schenke.
Sein großer schwarzer Revolver lag am Boden.
Kate Fisher starrte den Gambler entgeistert an.
Ihre Lippen zitterten. Plötzlich brach es aus ihr heraus: »Du – bist mir unheimlich! Unheimlich, ja! Woher wußtest du, daß er schießen würde? Du konntest es gar nicht wissen, nicht einmal sehen konntest du ihn richtig, weil ich davorstand. Wie…«
Da sagte der feiste Keeper halblaut: »Er weiß immer, wann einer auf ihn schießen will, Miß. Sonst wäre er nicht Doc Holliday.«
Der Gambler zog die linke Braue hoch. »Ich werde mir den Satz aufschreiben, Dick«, entgegnete er spöttisch.
»Doc!« bettelte die Frau inständig. »Komm mit! Ist denn nicht genug geschehen? Kann es um dich denn immer nur Pulverrauch geben? Ich kenne dich ja schon gar nicht mehr anders. Komm! Laß den Jungen gehen.«
»Sei endlich still. Ich habe Ringo nicht zu diesem Schuß aufgefordert. Er hat mich nur aufgehalten. So, Billy Clai-
borne. Die Zeit vergeht, und wir haben noch einiges miteinander zu besprechen. Komm, Boy! Ich hoffe, daß du deinen Gaul draußen stehen hast.«
Holliday kippte endlich seinen Brandy hinunter, warf ein Geldstück auf das Thekenblech, das noch klirrend tanzte, als der Georgier mit dem Banditen schon aus der Tür war.
Kate Fisher starrte mit glasigen Augen auf die leise auspendelnden Schwingarme der Tür.
Dann wandte sie sich um, legte die Arme auf die Theke und drückte ihr Gesicht schluchzend in die Hände.
*
Bill Claiborne war vor dem Spieler hergegangen. Draußen sah er sich suchend nach allen Seiten um.
Holliday stieß ihn in die Seite. »Sieh dich nicht nach deinen Freunden um, Claiborne, die haben die Hosen voll. Du hast in Haderyk mehr Glück gehabt als sie. Außerdem sieht es ganz so aus, als ob sie mit dieser Geschichte nichts zu tun haben wollen. Es ist deine Geschichte. Komm Boy, klettere in deinen Sattel. Wir haben noch einen langen Ritt vor uns.«
Doc Holliday und Billy Claiborne ritten durch die Allenstreet nach Osten zu aus der Stadt. Der Tramp war immer etwa anderthalb Yards vor dem Spieler.
Als sie fast eine Meile von der Stadt entfernt waren, gebot Holliday ihm, anzuhalten.
»Hör gut zu, Billy. Du siehst hier den schönen blanken Revolver in meiner Hand. Ich garantiere dir, daß er bei der ersten Lüge, die du mir jetzt auftischst, losgehen wird…«
Der Desperado schluckte. »Was wollen Sie eigentlich von mir?« stotterte er. »Wenn Sie ihn schon gefunden haben, dann muß ich ihn doch nicht abgeschos…« Er brach ab und schluckte wieder. Erst jetzt merkte er, was er da ausgespuckt hatte.
Knackend und hart drang das Geräusch eines gespannten Revolverhahns an sein Ohr. »Rede weiter!«
Der Bursche ballte die Hände zu Fäusten und hieb sie verzweifelt aufs Sattelhorn. »Was wollt ihr denn alle von mir? Ike ist doch mit uns allen bei der Feldhütte gewesen. Da lag er ja nicht mehr…«
Wieder brach er ab.
Holliday stieß den Revolver vor. »Weiter!«
»Was weiter? Er lag nicht mehr da.«
»Da – wo du ihn von hinten aus dem Sattel geholt hast! Das war doch nicht an der Hütte, Mensch! Das war doch weiter unten bei der Stadt!«
»Nein, es war bei der Hüt…« Er hatte sich von dem auf ihn einredenden Georgier aufs Glatteis führen lassen.
Und da rissen auch seine Nerven.
Er hatte urplötzlich seinen Revolver in der Hand – und hatte genausowenig Glück damit wie eine halbe Stunde vorher der Schießer Johann Ringo.
Auch er kam nicht zum Schuß.
Doc Holliday hatte ihm mit einer katzenhaften Bewegung den Revolverlauf aufs Handgelenk geschlagen.
Der Colt des Tramps fiel ins Steppengras.
Der entwaffnete Verbrecher preßte die schmerzende Hand mit der gesunden und starrte vor sich hin.
Klirrend sprangen die Worte des Georgiers an sein Ohr: »Du elender Dreckskerl hast ihn also von hinten aus dem Sattel geschossen und ihn am Wegrand liegenlassen.«
Wimmernd stieß der Outlaw hervor: »Er hatte mir die fünf Indianerpferde abgenommen. Ich wußte gar nicht, daß er hinter Ike her war… Wenn ich nicht geschossen hätte, hätte er geschossen, und ich hatte ihm genau eine so große Chance gegeben, wie ich sie vorhin bei Ihnen hatte.«
»Und trotzdem hast du verdammter Skunk zur Waffe gegriffen.«
»Was hätte ich denn tun sollen?« jammerte der Bandit.
»Das wagst du noch zu fragen? Du hast einen Staatenreiter von hinten aus dem Sattel geschossen. Dafür wirst du hängen, Billy Claiborne! – Vorwärts jetzt! Wenn es tagt, sind wir in Haderyk.«
*
Der Texaner hatte sich den ganzen Tag über in der Stadt herumgetrieben, war am späten Nachmittag kurz in der Cantina und suchte dann den Sheriff auf.
Der schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Was wollen Sie noch hier, Mister Short? Ich weiß wirklich nichts.«
Luke hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und seine riesigen Stiefel auf die Tischkante gelegt. »Das will ich für dich hoffen, Mister Sheriff. Aber wenn du mir irgendwas zu sagen hast, Boy, dann halte damit nicht hinterm Zaun zurück. Ich bin ein ziemlich gutmütiger Geselle, aber ich habe ganz entschieden etwas gegen Duckmäuser und Heuchler. Dieses ganze Kaff hier ist ein einziges Verbrechernest. Und wenn ich herauskriege, daß hier irgendeiner mit dem Verschwinden Virgil Earps zu tun hat, habt ihr nichts mehr zu lachen.«
Da stand der Sheriff mit einem Ruck auf. »Was bilden Sie sich eigentlich ein, Mister Short?« zeterte er. »Es reicht wohl schon, wenn eine ganze Stadt vor den Clantons Angst hat und den Kopf in die Schultern zieht, wenn Ike mit seiner Crew kommt.«
»Zieht ihr auch die Köpfe ein, wenn er hier eine Herde unterstellt, die er drüben bei den armen Hazienderos zusammengestohlen hat?«
»Was sollen wir tun? Ike Clanton ist der mächtigste Mann im Lande…«
»Yeah, und offenbar hat er euch das lange genug und mit Erfolg eingeredet. Ich will dir was sagen, Mister Sheriff, dieser Ike Clanton ist kein mächtiger Mann, sondern ein ganz dreckiger Rustler, ein Tramp, ein Bandit, und du kannst sicher sein, daß der Marshal eines schönen Tages mit ihm aufräumen wird. Und dann wird es für dich nur gut sein, wenn du dich nicht gegen Wyatt Earp gestellt hast.«
Der Sheriff rang die Hände. »Wo stelle ich mich denn gegen ihn? Ich habe ihn gestern in meinen Hof gelassen, obgleich es in der Stadt vor Clantons nur so wimmelte. Und als die Schießerei dann losging, habe ich die Hände gerungen und gezittert.«
»Das war sehr wichtig, Alter, daß du gezittert hast. Und es hat dem Marshal eine Menge genützt. Überhaupt scheint das Händeringen deine wichtigste Beschäftigung zu sein.«
Er erhob sich, und gleich darauf fiel die Tür hinter ihm krachend ins Schloß.
Es war dunkel geworden. Schwarzblau spannte sich der Himmel über die Steppe, und eine winzige Mondsichel kroch dem Zentit entgegen.
Der Texaner schlenderte durch die engen Gassen, in denen noch die Hitze des Tages stand und von den weißen Mauern zurückgeworfen wurde, und stieg langsam zur Ortsmitte, die in den Fels gehauene Treppe zu dem großen eisernen Tor der Mission hinauf.
Fast anderthalb Stunden saß er oben neben der Mauer in der Nische des Torpfeilers und lauschte in die Nacht.
Plötzlich horchte er auf. Oben im Hof war ein winzig knirschendes Geräusch gewesen. Das Geräusch eines Schrittes.
Luke nahm einen seiner Revolver aus seinem Halfter und richtete sich langsam auf. So weit, daß er über die Mauer spähen konnte. Vor ihm lag der weite Missionshof.
Und jetzt löste sich drüben aus dem Schwarz des Gemäuerschattens eine Gestalt, die den Hofplatz langsam überquerte.
Der Texaner riß die Augen auf.
War das eine Frau? Nein, es war ein Mann. Mit bis auf die Schulter herabhängendem Haar.
Ein Indianer!
Luke spannte die Faust hart um den Revolver. Den Daumen am Hahn und den Finger am Abzug. Der Mann kam langsam näher. Zwanzig Yards war er nur noch vom Tor entfernt.
Er machte noch acht, neun Schritte und blieb dann stehen.
Der Texaner fixierte ihn scharf. Reglos lehnte er an der Mauer. Welch ein Spuk! Oben in einer der gähnenden Fensterhöhlen hing die Mondsichel wie eine Ampel.
Der Indianer schien zur Mauer hin-überzublicken. Und plötzlich setzte er sich in Bewegung und kam genau auf die Stelle zu, an der der Texaner kauerte.
Luke rührte sich nicht. Wie ein Stein hing er da, wie ein Stück von der Mauer.
Der Indianer kam immer näher. Drei Yards vor der Mauer blieb er stehen.
»Sucht mich der weiße Mann?«
Verblüfft richtete sich der Texaner auf. »He, Rothaut!« stieß er hervor, »hast du mich etwa auf diese Distanz gerochen? Dann wird’s aber Zeit, daß ich ein Bad nehme.«
Unbeweglich wie ein Baum stand der Indianer da. »Agostino kennt das Haus des Weißen Gottes schon fast siebzig Sommer und Winter. Er kennt jeden Stein, auch in der Nacht. Und wenn irgendwo an der Mauer eine Erhöhung ist, so muß ihm das auffallen. Zudem ist der Hut des weißen Mannes so hell, daß man ihn auf hundert Schritte sehen kann.«
»Heavens, deine Augen möchte ich haben, Brother.«
Und nun legte der Texaner dem greisen Apachen die gleiche Frage vor, die er im Laufe des vergangenen Tages jedem Menschen vorgelegt hatte, der ihm in den Straßen der Stadt begegnet war.
Zu seiner größten Verwunderung erwiderte der Indianer: »Der weiße Mann mag morgen früh wiederkommen, wenn die Sonne aufgeht. Agostino hat jetzt keine Zeit.« Damit hob er die Rechte zum Gruß an und ging über den weiten Hof davon.
Der Texaner sah ihm nach, bis die Schatten des Gemäuers die Gestalt verschluckt hatten.
Luke schob den Hut aus der Stirn und wischte sich durchs Gesicht. »Heavens, habe ich das Ganze eben geträumt, oder war der Bursche wirklich hier?« Er beschloß, das letztere anzunehmen, ließ sich in der Mauernische nieder, um die Verabredung mit dem greisen Indianer auf keinen Fall zu verpassen.
Als der Texaner die Augen aufschlug, graute der Tag, und fünf Yards vor ihm hielten zwei Reiter.
Doc Holliday und der Desperado Billy Claiborne.
Luke Short sprang auf, wandte sich um und sah in den Hof. Dann lief er auf den Spieler zu und reichte ihm die Hand.
»He, Doc, Sie sind auf jeden Fall kein Spuk! Kenne ich den Burschen nicht, den Sie da im Schlepp haben?«
»Doch, Luke. Und er hat Ihnen eine interessante Geschichte zu erzählen. Aber vorher erzählen Sie mir mal, was Sie hier machen. War das Boardinghouse zu teuer?«
»Boardinghouse? Ehe ich mich in diesem verlausten Kaff in ein Bett lege, schlafe ich unter dem Himmel, und außerdem habe ich hier gleich eine wichtige Verabredung.«
*
Wyatt Earp hatte einen Gewaltritt ohnegleichen hinter sich. Als er im ersten Tagesdämmern Haderyk vor sich liegen sah. Wie von einer magischen Kraft gezogen, hielt er gleich auf die alte Mission zu. Er erreichte die Umfassungsmauer genau auf der entgegengesetzten Seite, wo der Texaner in der Tornische hockte und schlief.
Der Missourier ließ den Braunen vor der Mauer, stieg durch eine Bresche hinüber und gelangte in den Hof. Unwillkürlich hielt er auf den Glockenturm zu. Als er ihn schon erreicht hatte, hörte er ein winziges Geräusch, preßte sich dicht an die alte Mauer und verharrte minutenlang schweigend. Plötzlich gewahrte er zu seiner grenzenlosen Verwunderung in dem Turmeingang die Gestalt eines Indianers. Wie ein hölzernes Standbild verharrte der Rote da und blickte auf die Stadt hinunter.
Da löste sich der Marshal von der Mauer. »Der rote Mann wohnt in diesem steinernen Lager? Dann mag er mir verzeihen, daß ich hier eingedrungen bin.«
Der Kopf des Apachen war herumgeflogen, und als er den Weißen sah, zuckte er förmlich zusammen. »Du… suchst ihn?«
Das Herz des Missouriers begann wild zu hämmern. »Ich suche meinen Bruder.«
Der Indianer nickte. »Ja, ich glaube dir. Er ist dein Bruder. Er hat deine Augen und deine Gestalt. Komm mit.«
Er verschwand im Toreingang.
Wyatt zog vorsichtshalber beide Revolver und folgte ihm. Es ging über mehrere Treppen und durch schwere Eisentüren, und dann stand Wyatt Earp in einer sauberen kleinen Kammer vor dem Lager seines Bruders.
Virgil lag mit bleichem, eingefallenem Gesicht, aber schon wieder klaren Augen da und blickte dem jüngeren Bruder froh entgegen. »Wyatt! Ich wußte, daß du kommst…«
Der Apache stand in der Tür und hatte die herzliche Begrüßung der Brüder beobachtet. »Er ist ein starker und gesunder Mann«, sagte er. »In ein paar Tagen wird er wieder in den Sattel steigen können, um den Mann zu suchen, der ihn hinterhältig ermorden wollte.«
Ein roter Lichtschein drang wie ein Strahlenbündel ins Fenster. Der Indianer erklärte:
»Ich muß gehen. Vorn am Tor wartet noch ein weißer Mann auf mich, der hier nach einem Freund gefragt hat.«
Wyatt fuhr hoch. »Ein Mann mit einem zerschlissenen Hut mit…«
»Der war auch hier«, unterbrach ihn der Rote. »Ich habe ihm den Revolver meines Freundes gegeben, damit er wieder ging.«
»Ike Clanton«, sagte Wyatt tonlos.
»Der Mann draußen am Tor ist viel größer«, erklärte der Apache. »Er trägt einen weißen neuen Hut. Außerdem sind seine Augen besser als die des anderen.«
Er ging hinaus. Wenige Minuten später brachte er Doc Holliday, Ike Short und den todesbleichen Tramp Claiborne mit. Der Texaner beugte sich, nachdem Holliday Wyatts Bruder stumm begrüßt hatte, zu dem Genesenden nieder.
»Hallo, Virg. War ein ziemlich verzwickter Weg zu Ihnen her. Aber Sie haben sich hier eine verdammt gute Festung ausgesucht. Da hätten wir Sie noch ein paar Monate suchen können. Ich hoffe, daß Sie bald wieder aufstehen können. Habe da unten in der Cantina bei der hübschen Dolores einen ganz erträglichen Whisky entdeckt.«
Virgils Blick haftete auf dem bleichen Gesicht des Desperados. Dann sah er Doc Holliday an. »Wie haben Sie den nur gefunden, Doc?«
Der Spieler lehnte neben dem Fenster. »Das war nicht einmal sehr schwer. Er saß im Crystal Palace und redete ziemlich viel dummes Zeug. Außerdem war er das schlechte Gewissen in Person.«
Virgil sah den Verbrecher an. »Du also hast hinter der Feldhütte gestanden?«
Der Outlaw senkte den Kopf und blickte auf seine staubigen Stiefel.
Mit noch matter Stimme erklärte Virgil: »Du weißt ja hoffentlich, was dir blüht, Claiborne?«
»Yeah«, versetzte Holliday anstelle des Desperados, »das weiß er seit einer ganzen Nacht. Und ich schätze, daß er darüber ein paar Pfund leichter geworden ist.«
Da trat der Indianer wieder in die Kammer und sah Virgil an. Es war ein langer, bittender Blick.
Der Genesende richtete sich etwas auf und warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu. Und zur Verblüffung aller sagte er: »Hättest du etwas dagegen, Wyatt, wenn ich diesen Kojoten zum Teufel jage?«
Der Marshal schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin ohnehin sicher, daß dieses Ungeziefer uns bald wieder vor die Füße laufen wird.«
Luke Short schüttelte den Kopf. »Ein Glück, daß ich kein Sheriff bin«, murmelte er.
Doc Holliday schwieg und sah aus dem Fenster in den Hof.
»Verschwinde!« herrschte Wyatt den Verbrecher an.
Claiborne wandte sich langsam um. Als er an dem Texaner vorbeiwollte, da versetzte der ihm einen so gewaltigen Fußtritt, daß er ein ganzes Stück in das
Flurgewölbe hinausflog.
»Damit du nicht vergißt, dich zu beeilen, du Aasgeier. Sieh zu, daß du nach Tombstone kommst. Und wenn du unseren Freund Ike triffst, dann bestelle ihm einen Gruß und sag ihm, daß wir bald nachkämen!«
Der Verbrecher trollte sich davon.
Luke Short wandte sich um. »Tut mir leid, Marshal. Aber da ist mir eben mal der Fuß ausgerutscht. Sie sind ein Gesetzesmann und müssen danach handeln. Und der Doc ist ein feiner Mann. Und wenn Virg diesen Sattelstrolch laufen lassen will, ist es seine Sache. Aber ich mußte ihm den kurzen Gruß noch mitgeben…«