Читать книгу Wyatt Earp Paket 2 – Western - William Mark D. - Страница 13

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Es geschah um elf Uhr vormittags.

Irgendwo unten im Sand von Texas, dicht an der Grenze von New Mexico zwischen Blesdoe und Whiteface im berüchtigten Cochran County.

Es war an einem glutheißen Tag.

Wabernd wie eine glühende Wolke lag die Hitze auf dem gelben, pulverfeinen Sand, den auch der geringste Luftzug yardhoch gewirbelt hätte.

Ein einzelner Reiter kam von Westen herüber. Er saß auf einem schwarzen Hengst, der die Hufe nur noch mit matten Bewegungen aus dem Sand zog.

Der Mann war hochgewachsen, hatte volles schwarzes Haar, das un-ter der staubbedeckten Krempe seines Hutes hervorsah. Sein Gesicht war tiefbraun, markant geschnitten, und wurde von einem seltsam blauen Augenpaar beherrscht. Der Reiter trug ein graues Kattunhemd, eine schwarze Hose und einen patronengespickten Waffengurt, der an beiden Seiten je einen schweren fünfundvierziger Revolver hielt. Im Sattelschuh steckte eine dreiundsiebziger Winchester.

Dieser Mann war Wyatt Earp, der Marshal von Dodge City.

Er war vor Jahren schon einmal von Luhbock hinüber nach Roswell geritten. Dennoch kam es ihm heute vor, als hätte sich hier einiges geändert.

Dieser Gedanke war angesichts der absoluten Kahlheit der Landschaft absurd. Aber der Missourier hätte schwören können, daß hier vor zwei Jahren noch Turmkakteen von gewaltigen Dimensionen gestanden hatten. Oder sollte er so weit vom Kurs abgekommen sein?

Ringsherum brennender, glühender Sand – nichts weiter. Von Südosten zog sich eine Düne quer durch die Ebene.

Der Missourier blickte zur Sonne hinüber.

»Elf etwa«, sagte er tonlos vor sich hin.

Also könnte er am Nachmittag in Whiteface sein. Allerdings, die Turmkakteen, die hier den nordöstlichen Rand des Llano kennzeichneten, die mußten allmählich in Sicht kommen.

Wyatt lenkte gerade auf eine Senke in der Düne zu, als er einen gellenden Schrei und darauf einen Schuß hörte.

Er nahm die Zügel hoch und trabte auf die Bresche in der Sanddüne zu. Später war es ihm selbst unerklärlich, wie er so handeln konnte. War es die glühende Hitze, die nicht nur den ganzen Körper, sondern auch das Hirn fast völlig gelähmt hatte?

Der Rappe schrak zusammen und zog dann mit einer letzten Kraftanstrengung die Füße rascher aus dem Sand. Es war nur noch ein schlapper Hundsgalopp, in dem der sonst so schnelle Hengst auf die Dünenbresche zustrebte.

Kaum hatte der Marshal den Einschnitt erreicht, als er auch schon sah:

Nur wenige Yards vor ihm rutschte ein Mann aus dem Sattel, und fiel wie leblos in den Sand.

Und kaum hatte der Missourier die Enge passiert, als seitlich hinter ihm ein Schuß krachte.

Er bekam einen donnernden Schlag gegen den Hinterkopf, sah so fort nachtschwarze Dunkelheit und rutschte seitlich von dem ins Stocken gekommenen Pferd.

Der harte Aufschlag auf dem glühenden Sand brachte ihn sofort wieder zu sich. Aber er blieb wie leblos liegen, und zwar so, daß er in die Richtung blickten konnte, aus der der Schuß gefallen war.

Der Schütze hielt oben auf dem Dünengrat.

Wyatt konnte sein Gesicht nicht erkennen, da rote Ringe vor seinen Augen tanzten.

Der Heckenschütze gab dem anderen einen Wink, dann sprengte er davon.

Der Marshal richtete sich sofort auf, lief auf unsicheren Beinen zu seinem Pferd, das sich vor Schreck ein paar Yards zur Seite bewegt hatte, riß die Winchester aus dem Scabbard und sah sich um.

Die beiden Reiter waren verschwunden.

Wyatt zog sich, immer noch halb betäubt, in den Sattel und lenkte den Rappen erneut durch die Dünenbresche. Die beiden Reiter hatten inzwischen schon ein enormes Stück zwischen sich und den Ort ihrer Untat gebracht.

Wyatt wischte sich durchs Gesicht. Dann sprang ihn die Ohnmacht wieder an. Er beugte sich über den Pferdehals und klammerte die Hände um das Sattelhorn.

Ganz langsam rutschte er vom Pferd und blieb im Sand liegen.

Erst das heisere Gekreisch der Geier weckte ihn wieder auf.

Er sah das Pferd neben sich stehen, es hatte den Kopf gesenkt und schnaubte heftig.

Wyatt raffte sich auf.

Erst nach und nach kamen ihm die Vorgänge ins Bewußtsein.

Drüben lag der Mann, den die beiden Verbrecher zuerst vom Pferd geschossen hatten.

Wyatt ging auf steifen Beinen auf ihn zu und sah sofort, daß da ein Toter im Sand lag.

Es war ein Mann in den Dreißigern, mittelgroß, mit dunklem Gesicht und starkem Schnurrbart. Er war nicht sonderlich gut gekleidet. Auch sein Pferd, das unweit von ihm stand, war nicht allzuviel wert.

Der Missourier ging zu seinem Rappen zurück, nahm ihn am Zügel und führte ihn aus der Senke heraus auf die offene Savanne.

Er wollte sich nicht in den Sattel ziehen. Nicht etwa nur deshalb, weil es ihm schwergefallen wäre, sondern hauptsächlich, weil er den erschöpften Rappen nicht schinden wollte.

Schritt für Schritt stampfte er ostwärts.

Der Streifschuß am Kopf hatte ihn so sehr mitgenommen, daß er nach einigen hundert Yards in die Knie brach.

Da kniete er nun im glühenden Sand von Texas, der Marshal Earp aus Dodge, betäubt vom Schmerz, halb ohnmächtig und völlig ermattet. Ein brennender Durst bohrte in seiner Kehle.

»Ich muß weiter!« hämmerte es in seinem Hirn. Weiter, Whiteface konnte doch nicht mehr weit sein!

Der Mann im Sand hob den Kopf.

Schon diese winzige Bewegung verursachte ihm einen stechenden Schmerz im Genick und im Rücken. Seine Augen brannten. Der pulverfeine Flugsand und die Gluthitze hatten sie entzündet.

Um ihn herum nichts als Sand, soweit das Auge reichte, flimmernder Sand.

Wo war die Stadt?

Wo die Turmkakteen?

Unmöglich konnte er sich in der Richtung geirrt haben. Denn er war am Morgen genau im Westen aufgebrochen. Es war der gleiche Ritt wie damals. Nur die Kakteen waren nirgends zu sehen.

Allmählich rang er sich zu dem Entschluß durch, sich nach Norden zu wenden.

»Ich muß die Richtung einfach verfehlt, den Kurs völlig verloren haben!«

Mit schmerzverzerrtem Gesicht erhob sich der eisenharte Mann aus Missouri, packte den Zügel und stampfte nach Nordosten davon.

Schritt für Schritt, wie ein uralter Mann.

Schon seit einiger Zeit merkte er, daß der Rappe an der Halfterleine zerrte. Da das Zerren jedesmal einen schmerzhaften Ruck verursachte, ließ er die Zügelleine los.

Zu seiner größten Verwunderung mußte er feststellen, daß sich der Hengst in schwerfälligem Trab scharf nach Osten davonmachte und dann von einem sehr kleinen winzigen Sandhügel stehenblieb, die Wyatt auch schon bemerkt, aber bisher eigentlich nur in seinem Unterbewußtsein registriert hatte.

Das Tier begann an einem der wagenradgroßen Sandhügel zu scharren. Langsam näherte sich der Marshal dem Pferd und beobachtete das verbissene Scharren.

Plötzlich zuckte ein Gedanke durch das Hirn des Missouriers. Er riß seinen Campspaten vom Sattel, ließ sich neben dem Rappen auf dem Boden nieder und begann aus Leibeskräften zu schaufeln.

Schon nach zwei Spatentiefen sah er die Schnittflächen einer Riesenkaktee.

Wyatt wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und sah sich um.

Überall in der näheren Umgebung waren solche Sandhügelchen zu sehen.

Die Turmkakteengruppe war also weggeschnitten worden!

Der Marshal stieß mit dem Spaten das feuchte Kakteenmark heraus und wischte es durch sein brennendes Gesicht. Der Rappe schob seinen Kopf in die Kakteenöffnung.

Schon diese winzige Kühlung brachte den beiden Lebewesen etwas Erquickung.

Und der Gedanke, daß er doch auf dem richtigen Weg gewesen war und Whiteface tatsächlich nicht mehr weit sein konnte, gab dem Missourier neuen Mut.

Dieser Mut schien sich auch auf das Pferd zu übertragen.

Wyatt zog sich in den Sattel und trabte nach Osten. Er wußte genau, daß die Kraft, die ihn und das Pferd jetzt vorwärtsbrachte, eine allerletzte Kraftreserve war, die nur von der Hoffnung genährt wurde. Der Hengst und auch er selbst waren am Ende. Da gab es sich nichts vorzumachen.

Müder und müder wurde der Trab, und schließlich fiel der Rappe in einen harten, stoßenden Schritt.

Länger und länger wurde der Schatten, den Pferd und Reiter vor sich her warfen.

Der Missourier war längst abgestiegen. Mit eiserner Zähigkeit schleppte er dann das Pferd hinter sich her.

Und als die Sonne im Westen bereits den Horizont berührte, blieb der Marshal stehen. Fern vor ihm tauchten Häuser über dem Sand auf.

»Whiteface«, sagte der Marshal leise vor sich hin. »Komm, Schwarzer! Da vorn gibt’s Wasser.«

Das Wort Wasser schien die Tür eine allerletzte Kraft zu geben. Vielleicht auch hatte es die Häuser bemerkt.

Wyatt konnte sich noch einmal in den Sattel ziehen, und eine halbe Stunde später ritt er in die Mainstreet von Whiteface ein.

*

Jeff Bleeborn stand am offenen Tor seiner Schmiedewerkstatt und äugte dem Reiter entgegen.

»Zounds, wo kommt er denn her? Der wird doch nicht etwa durch den Llano geritten sein?«

Jonny Parker, der graubärtige Sattler von gegenüber, blickte über den Rand seiner Metallbrille und legte das Ledermesser aus der Hand, als er die Wunde an der Stirn des Fremden sah.

Nebenan war Emy Browns Wäscherei. Die Mädchen in der Waschstube stürzten zum Fenster und starrten erschrocken zu dem Fremden.

Ein Stück weiter hinauf war Joe Sheffields Santa Cruz Saloon. Der Wirt stand in der Tür und sah den Fremden auch.

Schräg gegenüber vor Ed Potters Golden West Bar stand Ric Holden, der Keeper des alten Potter, und beobachtete den Reiter. Auch Larry Lee, schräg gegenüber, der Inhaber der Bank of Texas, sah den Mann von Westen in die Stadt reiten.

Miß Bessy Loughar, die Schneiderin, John Blomfield, der Bäcker und Winnie Chesterton, der greise Mayor der Stadt, sie alle sahen den Fremden. Auch Ernest Burn, der Sheriff, sah den Fremden kommen. Mit finsterer Miene stand der vierschrötige Gesetzesmann in seiner offenen Tür.

Sie alle sahen ihn in die Stadt einreiten. Einen halb verschmachteten, verwundeten, erschöpften Mann.

Vorm Cremona-Hotel rutschte der Fremde aus dem Sattel, führte seinen Hengst an eine Pferdetränke, warf sich selbst eine Handvoll Wasser ins Gesicht und ging dann hochaufgerichtet auf den Hoteleingang zu.

Sie alle hatten ihn gesehen, aber niemand ahnte, welch ein Inferno dieser blauäugige Mann entfesseln würde.

In der Golden West Bar lehnten zwei Männer an der Theke. Ältere Männer, keine Cowboys; sonst war die Schenke unbesetzt.

Die beiden hatten den Fremden auch gesehen.

»He«, meinte der eine, der ein feistes rotes Gesicht hatte, »hast du den gesehen?«

»Yeah«, sagte der andere schleppend.

Der Rotgesichtige zischte. »Sah ziemlich abgerissen aus, der Bursche.«

»Yeah.«

»Daß hier in dieses verlassene Nest immer wieder nur abgerissene Kerle kommen müssen. Ist das Nest nicht schon verlumpt genug?«

Ted Cunningham vergaß, daß er vor sieben Jahren in einem noch ganz anderen Zustand in die Stadt gekommen war. Heute gehörte ihm der General Store. Mike Everett war auch vor sieben Jahren schon ein so schweigsamer Mann gewesen. Der Mietstall drüben neben der Texasbank gehörte ihm. –

Der junge Ronnie Anderson, der aus einer Seitenstraße in die Mainstreet geritten kam, hielt inne und stützte sich auf sein Sattelhorn, um den Fremden zu beobachten.

Fünfundzwanzig Menschen hatten den Missourier kommen sehen.

Die Stadt Whiteface würde diese Stunde nie vergessen.

*

Wyatt war an die Rezeption getreten. Ein langer weißhaariger Mann kam aus einem Nebenraum, wischte sich die Hände an den Hosentaschen ab, rieb sich über den Mund und fragte kauend, während er den Fremden mißtrauisch musterte:

»Was gibt’s denn, Mister?«

»Kann ich ein Zimmer haben?«

»Ein Zimmer? Hören Sie, Mann, wir haben hier ein Hotel und keine Aufenthaltsräume für… für…« Der Hotelowner hielt inne. Ein Blick aus den kristallklaren Augen des Fremden hatte ihn getroffen und zum Schweigen gebracht.

Wyatt warf zwei Silberstücke auf den Rezeptionstisch. »Reicht das?«

Joel McLoy, der Hotelowner, strich das Geld mit einer geschwinden Bewegung in die Hosentasche.

»All right, Mister«, erklärte er geflissentlich. »Zimmer sieben. Sam wird es Ihnen zeigen.«

In der Hoftür war ein etwa sechzig-jähriger Neger mit einem schlohweißen Haarkranz erschienen, der jetzt vor dem Missourier die Treppe zum Obergeschoß hinaufging.

Der Marshal drückte ihm ein Geldstück in die Hand. »Mein Pferd steht draußen, Sam. Würden Sie bitte dafür sorgen, daß es in den Stall gebracht wird?«

»All right, Mister.«

Eine Viertelstunde später erschien der Marshal wieder auf der Straße. Er hielt auf das Sheriffs Office zu.

Der vierschrötige Burns tat das, was er die meiste Zeit des Tages tat, wenn er nicht gerade gaffend in der Tür stand: Er hatte sich auf seine Pritsche ausgestreckt und starrte dösend gegen die Decke.

Als dann an die Tür geklopft wurde, machte er sich nicht einmal die Mühe, aufzustehen.

Wyatt trat ein.

Der Sheriff kniff ein Auge zu und fixierte ihn scharf.

He, war das nicht der Fremde, der vorhin so abgerissen in die Stadt gekommen war? Damned, der hatte sich ja rasch erholt. Er war gewaschen, trug ein frisches Hemd, hatte sich rasiert und wirkte jetzt ganz anders als vorhin. Wäre die Wunde an der Stirnseite nicht gewesen, hätte Burns ihn vielleicht nicht wiedererkannt.

Der Missourier berichtete von seinem Erlebnis vor den Kakteenfeldern.

Sheriff Burns erhob sich langsam.

»He, Mann, haben Sie die Story nicht vielleicht geträumt?«

»So wenig, wie ich den Schuß an die Schläfe geträumt habe, Mister«, gab Wyatt zurück.

Der Sheriff zog seine Hose hoch, fuhr sich mit beiden Händen durch das borstige Grauhaar und meinte knurrig: »Und Sie haben keinen der beiden erkannt?«

»Nein. Dazu haben sie mir keine Chance gelassen!«

Der Sheriff nickte und schnallte sich seinen Waffengurt um.

»Und – der Tote? Wie sah er aus?« Man hörte seiner Frage an, daß er den Worten des Fremden keine Bedeutung zumaß.

Der Marshal beschrieb den Toten.

Da zog der Hüter des Gesetzes die Schultern hoch.

»So eine Beschreibung paßt auf ungefähr jeden zweiten Mann in der Stadt, Mister. Damit kann ich nichts anfangen.«

Offensichtlich war der Sheriff zu bequem, jetzt noch in die Wüste hinauszureiten. Er stellte eine Reihe unsinniger Fragen, und dann meinte er schließlich:

»Und überhaupt ist es gar nicht so einfach, festzustellen, wohin sich die beiden Kerle gewandt haben.«

»Nein, einfach ist es sicher nicht«, entgegnete Wyatt und ging hinaus.

Es war ihm sofort klargewesen, daß dieser Mann in der Sache nichts unternehmen würde.

Der Marshal ging in den Mietstall, um nach seinem Pferd zu sehen. Der schwarze Sam hatte es gut untergebracht. Wyatt war auch ohnehin davon überzeugt gewesen. Ihn hatte etwas anderes hierhergeführt. Er suchte ein Pferd, einen Rotschimmel.

Wenn er auch das Gesicht des Mannes, der auf ihn geschossen hatte, nicht hatte erkennen können – sein Pferd hatte er gesehen: Es war ein hochgewachsener Brauner gewesen, der einen kurzen Schwanzstummel hatte.

Und das Pferd des Mörders war ein Rotschimmel.

Der Mietstall-Boß kam aus dem Haus und sah den Fremden in der Stalltür stehen.

Mike Everett kam langsam näher.

»Ihr Gaul ist gut versorgt, Mister.«

Wyatt nickte.

Und plötzlich hatte er den Braunen mit dem kurzen Schwanzstummel entdeckt.

»Ein hübsches Tier«, sagte er.

Everett folgte seinem Blick.

»Finden Sie?«

»Ja, ich habe eine Schwäche für diese Sorte.«

Everett zog die Brauen zusammen. He, der Fremde war bestimmt ein Sonderling. Wie konnte er sich nur für so einen Dutzendgaul interessieren?

Das Tier gehörte dem alten Braddock. Der würde sicher gern auf den Braunen verzichten, wenn ihm ein Verrückter einen Überpreis dafür zahlte.

»Hören Sie, Mister. Wenn Sie hier vorn bei dem Buther in die Nebengasse einbiegen, sehen Sie nach dreißig Schritt einen alten verwitterten Holzkasten. Da wohnt Joe Braddock. Ihm gehört der Gaul. Sie können es ja mal versuchen. Vielleicht können Sie ihn billig kaufen. Für dreißig vielleicht oder für neunundzwanzig. Soll ich mal mit ihm sprechen?«

Der schweigsame Mike Everett war plötzlich sehr beredt geworden. Er witterte da ein Geschäft.

Der Marshal winkte ab. »Lassen Sie nur, Mister, ich gehe selbst mal hin.«

Damit stiefelte er aus dem Hof.

Man brauchte keine dreißig Schritte in die Gasse zu tun, um das windschiefe Haus Joe Braddocks zu sehen. Es ragte mit seinem Giebel weit aus der Häuserreihe hervor und schien die Absicht zu haben, einzustürzen.

Wyatt klopfte an die Haustür. Da hörte er drinnen einen schlurfenden Gang und zu jedem Schritt das harte Aufstoßen eines Stockes.

Die Tür wurde geöffnet.

Vor dem Missourier stand ein großer gebeugter Mann von vielleicht siebzig Jahren. Sein Gesicht war von Falten zerschnitten, gelblich und schmal. Strichdünn und an den Winkeln heruntergezogen war der Mund.

Seelenlos und leer blickten die weit offenen schiefergrauen Augen an dem Marshal vorbei.

Der Mann war blind.

Wyatt hob rasch seine Hand zum Hutrand.

Wäre der Mann nicht blind gewesen, so hätte er jetzt zumindest mit den Wimpern gezuckt. Aber er rührte sich nicht.

»Guten Tag. Ich hätte gern mit Mister Braddock gesprochen.«

Die strichdünnen Lippen des Greises sprangen auseinander.

»Ich bin Joe Braddock.«

»Mein Name ist – Stapp«, sagte Wyatt. Im letzten Augenblick hatte er sich überlegt, daß es vielleicht nicht richtig war, seinen wirklichen Namen zu nennen.

Der Alte rührte sich nicht, starr und reglos wie eine Statue stand er da.

»Was wollen Sie?« fragte er dann.

»Ich bin auf der Suche nach einem Pferd, Mister Braddock.«

»Ich habe keinen Corral, Mister, da sind Sie falsch.«

»Ich weiß – nur, ich habe im Mietstall Ihren Braunen gesehen…«

»Und? Wollen Sie den etwa haben? Mann, da müßten Sie schon dumm sein. Das Tier ist uralt und war seit Monaten nicht mehr unterwegs. Ich zahle mich dumm und verrückt an Mietstallkosten. Aber – ich hänge nun mal an dem Gaul, weil ich ihn schon zwölf Jahre habe. Und als ich ihn damals kaufte, war er mindestens schon drei oder vier Jahre alt.«

Wyatt sagte leise: »Er steht nicht seit Monaten im Stall, Mister Braddock.«

Der Alte fauchte böse: »Was soll das heißen?«

»Das Tier ist heute geritten worden.«

»Heute geritten worden? Mein alter Brauner? Hören Sie, Mister, das kann nicht wahr sein. Ich habe weder einen Sohn noch sonst irgend jemanden, dem ich erlauben würde, meinen Gaul zu reiten.«

»Und dennoch ist das Tier heute geritten worden. Ich habe es heute vormittag gegen elf Uhr weit draußen in den Plains gesehen. Da, wo früher die Kaktusfelder waren.«

Wyatt beobachtete das Gesicht des Alten scharf.

Aber nichts rührte sich.

»Ich verstehe Sie nicht, Mister«, kam es heiser über die Lippen des Greises. »Sie wollen also behaupten, daß Sie mein Pferd draußen im Llano gesehen haben, wo die Kaktusfelder sind…«

»Wo die Kaktusfelder waren.«

Jetzt zogen sich die Brauen des Alten zusammen.

»Was haben Sie gesagt, Mister?«

»Ich habe gesagt, wo die Kaktusfelder waren.«

»Wie soll ich das verstehen? Sind sie denn nicht mehr dort?«

»Nein, die Kakteen sind geschnitten worden.«

»Geschnitten«, brach es trocken über die verwelkten Lippen. »Mann, was erzählen Sie mir da? Wer will denn die großen Felder weggerodet haben?«

»Das wüßte ich auch gern, Mister Braddock. Vor allem hätte ich gern ein paar Worte mit dem Mann gesprochen, der heute morgen mit Ihrem Pferd draußen im Llano war und mich aus dem Sattel schoß.«

Der Greis räusperte sich.

Wyatt ließ ihm Zeit.

Endlich erklärte Braddock: »Können Sie beschwören, daß es mein Pferd war?«

»Yeah, das kann ich.«

Da gab sich der Mann einen Ruck. »Well, Mister, kommen Sie…«

Er stampfte voran. Hart stieß er bei jedem Schritt den Stock auf den Boden auf.

Wyatt wunderte sich, mit welcher Sicherheit der Blinde sein Haus verließ und auf die Straße trat.

»Soll ich Sie führen, Mister Braddock?«

»Nein, thanks, Mister. Ich kenne den Weg seit anderthalb Jahrzehnten genau.«

Er überquerte die Straße und hielt auf ein eingeschossiges, ungepflegtes, schmalbrüstiges Haus zu, das schräg gegenüber lag.

Er stieß die Tür mit dem Fuß auf und schrie: »Gilbert!«

Auf diesen Schrei hin erschien eine verstörte Frau im Hausflur. Sie mochte vielleicht dreißig sein, hatte ein blasses, verhärmtes Gesicht und tiefliegende übernächtigte Augen.

»Vater…?« stammelte sie.

»Ich habe dich nicht gerufen, Ireen. Wo ist Gilbert?«

Da die Frau nicht antwortete, schob er sie beiseite und trat in den Hausflur.

Wyatt blieb an der Tür stehen und sah der hohen, aufrechten Gestalt des Greises nach.

Plötzlich wirbelte Braddock gedankenschnell herum, und sein knorriger Krückstock sauste mit einem pfeifenden Geräusch durch das Halbdunkel des Flurs. Ein harter, dumpfer Aufschlag, dann ein spitzer Schrei aus einer Männerkehle.

Auch die Frau schrie auf.

Und wieder sauste der Stock nieder. Noch einmal und dann noch einmal.

Jedesmal begleitete den Schrei des Getroffenen der Schrei der Frau.

Dann stieß der Blinde einen Mann aus dem Korridor auf den kleinen morschen Vorbau.

»Hier, Mister, saß dieser Kerl auf dem Rücken des Braunen?«

Wyatt blickte in ein merkwürdig schiefes, verzerrtes Gesicht, in dem zwei kleine stechende schlitzige Augen saßen.

Der Mann war etwa dreißig, schlank und mittelgroß. Sein Haar war brünett und struppig. Abgerissen und ärmlich seine Kleidung. Er krampfte beide Hände auf seinen Rücken.

Wyatt sah ihm in die Augen.

»Ich weiß es nicht«, antwortete er leise. »Der Mann jedenfalls, der heute vormittag auf dem Braunen saß, hat mich mit einem Gewehrschuß aus dem Sattel geworfen. Und sein Begleiter, der einen Rotschimmel ritt, hat einen Mann erschossen.«

»Gilbert!« donnerte die Stimme des Greises aus dem Korridor.

Gilbert Braddock zuckte zusammen, als habe er wieder einen Schlag bekommen.

»Was willst du, Vater?«

»Du hast gehört, was dieser Mann gesagt hat?«

»Ja.«

»Und – was hast du darauf zu erwidern?«

»Nichts. Ich habe nichts mit dieser Sache zu tun.«

Klatsch! Der Krückstock sauste wieder auf seine Schulter nieder. Er wich zurück.

Aber blitzschnell folgte ihm der Alte, verstellte ihm den Weg und drängte ihn in die Türnische.

Klatsch! Klatsch!

»Rede!« schrie der Greis ihn bebend an. »Rede, Bursche, oder ich vergesse vollends, daß du mein Sohn bist.«

Gilbert hatte beide Hände über den Kopf gezogen.

»Was soll ich denn reden, Vater… Ich… ich weiß gar nicht, was der Mann will. Ich habe ihn nie gesehen. Sicher hat Brett ihn angeworben, damit er mich bei dir madig machen kann. Ich…«

Klatsch!

Gilbert stieß einen heiseren Wutschrei aus, und seine Rechte tastete zum Colt.

Da aber hatte der Mann aus Missouri seinen großen sechskantigen Revolver schon in der Linken.

»Lassen Sie Ihren Colt stecken, Mann«, sagte er dumpf.

Der Alte hielt inne.

»Was ist das?« stieß er röhrend hervor. »Dieser verdammte Bastard wollte den Revolver gegen seinen blinden Vater ziehen? Yeah, genauso habe ich es mir vorgestellt. Du elender Strolch! Ich…«

Als Wyatt sah, daß der erregte Greis wieder den Stock hochreißen wollte, sagte er scharf:

»Lassen Sie das, Mister Braddock. Dieser Mann wird dem Sheriff Rede und Antwort stehen.«

Mit einer unmißverständlichen Geste wies der Marshal den zerlumpten Menschen auf die Straße.

Die Frau war aschfahl geworden und fiel dem Missourier plötzlich in die Arme.

»Nein!« schrie sie gellend. »Wir haben sieben Kinder!«

»Ireen!« zischte der Blinde. »Du gehst ins Haus. Wenn dein Mann an einem Mord mitgewirkt hat, wird er hängen.«

Er hatte es mit etwas rostiger Stimme gesagt, und sein Gesicht schien dabei noch härter, noch verbitterter, noch verschlossener geworden zu sein.

Wyatt hatte die Frau abgeschüttelt. Der Revolver flog ins Halfter zurück.

»Vorwärts!« sagte er rauh.

Gilbert Braddock setzte sich in Bewegung und machte ein paar Schritte vorwärts.

Und dann passierte es.

Wyatt Earp befand sich in diesem Augenblick nur etwa drei Schritte hinter Gilbert.

Die Frau war an der Vorbaukante in sich zusammengesunken.

Der Blinde stand oben in der Tür.

Da peitschte der Schuß über die Straße.

Wie von einem Keulenschlag getroffen, stürzte der Marshal nach vorn und blieb mit dem Gesicht im Straßenstaub liegen.

Der schwarze Tag des Missouriers hatte noch kein Ende.

Der alte Gilbert war zusammengezuckt und lauschte mit schräggelegtem Kopf.

Die Frau hatte den Kopf hochgeworfen und den Mund vor Schreck weit aufgerissen, aber sie vermochte nicht zu schreien.

Gilbert Braddock war stehengeblieben. Jetzt wandte er sich langsam um.

»Gilbeeert!« brach es gellend aus der Kehle des Blinden.

Der Sohn ließ fünf endlose Sekunden verstreichen, ehe er mit belegter Stimme antwortete: »Yeah?«

Die Brust des Alten hob und senkte sich.

»Gilbert! Was ist geschehen?« Mit hastigen Schritten tastete sich der alte Braddock über den Vorbau und stieß zum erstenmal, seit er blind war, gegen einen Vorbaupfeiler, so erregt war er. Der Aufprall warf ihn einen Schritt zurück.

»Gilbert! Antworte endlich! Was ist geschehen?«

»Ich weiß es nicht. Der Fremde ist getroffen worden.«

»Getroffen? Von wem? — Mister Strapp!«

Der Blinde ließ seinen Stock fallen und tastete sich die Treppe hinunter, dann rannte er auf die Straße, bückte sich und kroch auf allen vieren den Boden abtastend vorwärts.

Er hatte die Richtung genau eingeschlagen und stieß plötzlich mit dem rechten Ellbogen gegen den Körper des Niedergeschossenen. Er tastete ihn mit zitternden Händen ab.

»Er… er ist tot«, kam es rostig über seine bebenden Lippen. Er richtete sich auf und wandte den Kopf mit den erloschenen Augen dahin, wo er seinen Sohn wußte. »Gilbert«, sagte er ganz leise, »Gilbert«,sagte er ganz leise, »Gilbert. Er ist erschossen worden, ermordet worden. Hinten in seinem Hut ist ein Loch. Hinten, Gil – hinten!« Er raffte sich auf und stützte mit vorgestreckten Armen vorwärts.

Gilbert wagte nicht, sich davonzubewegen.

So prallte der Alte gegen ihn und packte ihn mit seinen riesigen Fäusten, schüttelte ihn hin und her.

»Gil, du Strolch! Du verdammter elender Strolch! Weshalb bist du nicht ins Jail gekommen? Weshalb haben sie dich nicht weggebracht, nach Fort Worth hinüber, wegen Beihilfe zum Mord! Weshalb…?« Heiser brach der letzte Laut aus seiner Kehle. »Gil! Du hast ihn ermordet, erschossen! Von hinten hast du elender Wicht ihn niedergeknallt!«

»Nein, Vater! Laß mich – laß mich!«

Die Fäuste des Alten hämmerten in das Gesicht des Banditen.

Da endlich wich Gilbert aus, und der Alte wurde von der Wucht seiner eigenen Schläge zu Boden gerissen.

Er kniete im gelben Straßenstaub, hatte den Kopf gesenkt und verharrte reglos in dieser Stellung.

Es war ein erschütterndes Bild.

Wenige Yards entfernt lag der Marshal von Dodge langausgestreckt an der Erde.

»Du wirst hängen, Gil! Jetzt werden sie dich hängen!«

Da brüllte der Bursche. »Das ist doch Wahnsinn! Ich ging doch vor ihm. Da, Ireen kann es bezeugen? – und Baldford, der stand auch vor seiner Tür, er kann es auch bezeugen. Und Dundy und Jake Holboom sind auch da…«

»Mörder!« stammelte der alte Mann.

Da raffte sich die Frau auf, eilte zu ihm hin, richtete ihn hoch und fürte ihn zu seinem Haus hinüber.

Wyatt Earp lag immer noch am Boden.

Gilbert Braddock starrte mit unruhigen Augen auf ihn nieder.

Da kam oben von der Mainstreet her der Sheriff.

Mehrere Männer folgten ihm.

Burns blieb vor dem Körper des Niedergeschossenen stehen, spreizte die Beine und wischte sich über die Nase.

»Ich kenne ihn.«

Doc Flaubert, ein eisgrauer Mann mit scharfen Gesichtszüge, knurrte:

»Wer ist es?«

Der Sheriff murmelte etwas vor sich hin und sah sich dann auf der Straße um.

Doc Flaubert bückte sich.

Als er den vermeintlich toten Mann auf den Rücken gewälzt hatte und sich über ihn beugte, hörte er ihn zu seiner Verwunderung dicht vor seinem Ohr tonlos flüstern:

»Nicht erschrecken, Doc. Und lassen Sie sich nichts anmerken. Ich bin nicht tot. Die Kugel hat die Metallplatte oben in meinem Hut nur im stumpfen Winkel getroffen. Aber lassen Sie mich in Ihr Haus bringen. Ich muß den Schützen finden. – Übrigens, mein Name ist Earp, Wyatt Earp.«

Da zuckte der Arzt zusammen.

Burns und die anderen hatten die Bewegung bemerkt.

»Ist was? Lebt er vielleicht noch?« forschte der Sheriff.

Der Arzt richtete sich langsam auf. Er mußte das Gehörte erst einmal verdauen.

»Nein«, erklärte er dann mit nicht ganz sicherer Stimme. »Der Mann – ist tot. Trotzdem – ich muß ihn genau untersuchen. Jefferson, fassen Sie bitte mit an. Wir bringen ihn zu mir!«

Der mit Jefferson Angeredete half dem Arzt, den Niedergeschossenen wegzubringen.

Als der Missourier auf der Untersuchungsbank lag, schickte Flaubert den langen Jefferson weg.

Als die beiden allein waren, richtete Wyatt sich auf, nahm den Hut ab und rieb sich den Schädel.

»Damned, das war ein ziemlich harter Knuffer. Vielen Dank, Doc, übrigens.«

Flaubert sah den Marshal verblüfft an.

»He, Sie haben tatsächlich nichts abgekriegt?«

»Nein.« Wyatt nahm die Metallplatte hinten aus dem Schweißband seines Hutes und hielt sie dem Arzt hin.

Der betrachtete sie verwundert.

»Hell und devils! Ist so etwas möglich?«

»Sieht ja so aus, als wenn das Ding schon öfter einen abgekriegt hätte?« fragte er mit erschrockener Miene.

»Yeah, das kleine Metallstück hat mir schon manchen guten Dienst erwiesen. Wenn die Kugeln im stumpfen Winkel aufschlagen, kriegt man im allgemeinen nur einen Wischer ab. Je spitzer der Winkel wird, desto gefährlicher ist es natürlich.«

Der Missourier betrachtete weh-mütig das Loch in seinem Hut.

»Den müssen Sie wohl erneuern«, meinte der Arzt unsicher.

»No, Doc, hier in der Gegend ist ein Luftloch im Hut durchaus angebracht. Außerdem weiß man nie, ob man nicht im nächsten Augenblick ein neues verpaßt bekommt.«

Wyatt stülpte sich den Hut wieder auf.

Da trat der Arzt auf ihn zu und musterte ihn von oben bis unten.

»Und Sie sind wirklich Wyatt Earp?« fragte er immer noch mißtrauisch.

Der Marshal griff in die Tasche, nahm seinen Stern heraus und hielt ihn dem Arzt hin.

Der nahm das Metallstück und betrachtete es aufmerksam. »Marshal of Dodge City.« Dann drehte er den Stern um. »Wyatt Earp! Tatsächlich, da steht es eingestanzt.«

Er reichte den Stern zurück.

»Wyatt Earp!« sagte er fast andächtig, stützte seine Hände in den Rücken und sah den Missourier unentwegt von oben bis unten an.

Wyatt riß ihn aus seiner offenbar nicht endenwollenden Verwunderung.

»Kennen Sie hier in Whiteface einen Mann, der einen Rotschimmel reitet?«

Doc Flaubert rieb sich nachdenklich das Kinn.

»Einen Rotschimmel? Leider nein, Marshal. Das heißt, warten Sie, doch, ich glaube, daß ich einen Mann kenne, der einen Rotschimmel reitet. Er heißt Jubal Cornwall und wohnt – he, er wohnt gleich neben dem alten Braddock. Was ist mit dem Mann? Hat er – hat er etwa geschossen?«

»Keine Ahnung, das muß ich erst herausfinden.«

Der Arzt schluckte vor Aufregung. »Hell und all thousand devils. Wyatt Earp ist in der Stadt! In meinem Haus. Und kaum taucht er auf, kracht es auch schon.« Er schlug die Hände ineinander. »Ich wette hundert zu eins, daß hier einige Leute umfließen, wenn sie wüßten, wer da nach Whiteface gekommen ist! Zounds, das gibt ein Großaufräumen, Marshal!«

»Bis jetzt räumen die andern nur mit mir auf, Doc.«

»Damned, yeah, wenn ich bedenke, daß der Kerl da von unten auf Sie geschossen hat und jetzt der Ansicht ist, daß Sie tot sind – das kann ja noch heiter werden!«

»Keine Sorge, ich habe heute meinen schwarzen Tag…«

Yeah und der Tag war immer noch nicht zu Ende.

Zwei Kugeln waren an diesem Tag abgefeuert worden. Die erste am Vormittag war jedoch ungleich gefährlicher als der Abpraller, der durch die Hutwand gedrungen und dann von der Metallplatte abgewiesen worden war.

Doc Flaubert reinigte die Wunde an der Schläfe und wollte ein Pflaster aufkleben.

Da winkte der Marshal ab.

»No, Doc, ich habe die Erfahrung gemacht, daß so etwas viel schneller ohne alle Verbände und Pflaster heilt.«

Wyatt blieb bis nach Einbruch der Dunkelheit im Doktorhaus. Gerade als er sich davonmachen wollte, wurde draußen geklopft.

Es war der Sheriff.

»Hallo, Doc!«

»Ach, Sie sind es, Sheriff!« rief der Arzt mürrisch. »Was gibt’s?«

»Eigentlich nichts.«

»Gute Nacht dann, Sheriff. Ich hab’ noch zu arbeiten.«

»Und die Sache mit dem Fremden? Ich meine, Sie schreiben die Urkunden ja aus. Ich habe mir gedacht, daß wir es machen, wie Gilbert Braddock es vorschlägt. Der Fremde war doch sicher ein Landstreicher…«

Der Arzt mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut aufzulachen.

»… und deshalb schlug Braddock vor, daß wir ein Protokoll aufnehmen, in dem steht, daß Gil ihn in Notwehr niederschoß.«

»Gil Braddock? Aber er war’s doch gar nicht.«

Der Sheriff schob sich weiter über die Türschwelle in den Flur und zog die Brauen unwillig zusammen.

Flaubert ärgerte sich sofort über diesen Satz, der ihm da entschlüpft war.

»Wie meinen Sie das, Doc?« knurrte Burns von der Tür her.

Flaubert gab gelassen zurück.

»Der Fremde ist doch von hinten niedergeschossen worden. Und Braddock stand doch vor ihm, als wir kamen. Außerdem kam die Kugel von viel, viel weiter her. Der Mörder ist ein Heckenschütze gewesen, ein dreckiger Feigling…« Der Arzt hatte sich wieder zu weit vorgewagt und ließ seiner ehrlichen Empörung freien Lauf.

Wyatt Earp, der neben ihm – allerdings im Zimmer – stand, stieß ihn mahnend an.

Flaubert hustete nervös.

»All right, Sheriff, wir können uns morgen eingehend über die Geschichte unterhalten. Ich habe heute noch eine Menge Arbeit. Es ist wegen des Gelben Fiebers, das auf der Salan-Ranch ausgebrochen ist. Ich muß einen Bericht darüber nach Dallas schicken. Das ist Vorschrift bei solchen Seuchen…«

Er stockte, denn Burns kam jetzt noch ein paar Schritte näher.

»Hören Sie, Doc, was Sie da von dem Toten erzählt haben…«

»Morgen!«

»Nein, das müssen wir klarstellen. Sie haben sich geirrt, Doc.« Burns lachte gekünstelt. »Kann ja mal vorkommen, bei einem so bejahrten Herrn, der so viel am Hals hat. Schließlich frißt die Arbeit Sie in unserer Stadt auf. Es wird Zeit, daß sich ein zweiter Arzt hier ansiedelt. Ein Doc für über siebenhundert Menschen, das ist ein bißchen happig. Nein, nein, Doc. Sie haben sich da offenbar geirrt. Die Kugel kam nicht von hinten, sondern von vorn. Sehen Sie, das Loch, das war ja vorn im Hut – und…« Jetzt stockte der Sheriff selbst.

»Und?« fauchte ihn der Arzt an. »Nur weiter in Ihrer Verschleierungsrede, mit der Sie sich nur Arbeit ersparen wollen, Mister Burns. Und… die Kugel drang vorn in den Hut und huschte im Halbkreis um den Kopf des Mannes herum, um dann in den Hinterschädel einzudringen, nicht wahr? Das wollten Sie doch sagen.«

Burns schluckte vor Ärger.

Flaubert trieb die Sache auf die Spitze.

»Oder soll ich Ihnen den Ermordeten zeigen? He? Er sieht jetzt zwar scheußlich entstellt aus, so daß man davon träumen könnte – aber das ist ja immer so bei in den Hinterkopf Getroffenen. Die Leichen haben dann was Entsetzliches an sich…«

Sheriff Burns wandte sich ab und zog die Schultern hoch.

»All right – und gute Nacht, Flaubert.«

»Nacht, Burns.«

Die Tür fiel hinter dem lauen Sheriff zu.

»Machen Sie sich nichts aus seinen Reden, Mister Earp«, meinte der Arzt. »Der Bursche ist faul wie ein Stinktier. Weiß Gott, es ist wahr. Wenn er nämlich schreiben kann, daß ein fremder, unbekannter Landstreicher von einem hiesigen Bürger in Notwehr und von vorn niedergeschossen wurde, so vereinfacht dies die Sache für ihn natürlich sehr. Ist es aber ein Mord gewesen, so gibt es eine Untersuchung und eine Verhandlung. Der Mörder muß ferner gesucht, gejagt und gestellt und schließlich verurteilt werden. Das bringt natürlich eine Menge Arbeit.«

»Und Sie glauben – wenn man einmal von der Faulheit des Sheriffs absieht – daß er seine Pflicht so wenig ernst nimmt, daß er einen Mörder laufen läßt – nur um sich Arbeit zu ersparen?«

»Yeah, das glaube ich«, versetzte der Arzt.

»Ein prächtiger Sheriff«, entgegnete Wyatt. »So, und nun werde ich mich auf den Weg machen.«

»Kommen Sie wieder?«

»Wenn ich darf…«

Der Arzt feixte. »He, ich möchte doch, wenn der Rummel mal vorüber ist, sagen können, daß Sie mir sofort Vertrauen geschenkt haben, daß Sie unter meinem Dach geschlafen haben…«

»Abgemacht. Ich denke, daß ich nicht allzulange brauchen werde.«

»Spielt keine Rolle, wann Sie komme. Ich lasse das Hoftor angelehnt und die Hintertür des Hauses offenstehen.«

»Thanks, Doc!«

Der Marshal ging.

Doc Flaubert zog die Gardinen, die er, wie auch die Fenster, vorsichtshalber geschlossen hatte, wieder auf. Frische Nachtluft strömte in sein Zimmer.

Dann machte sich der Arzt an die Arbeit, die er tatsächlich noch zu erledigen hatte: an den Bericht über das Gelbe Fieber auf der großen Salan-Ranch.

*

Über die Gasse, in der die Braddocks wohnten, lag tiefe Düsternis.

Wyatt schlich sich dicht an den Häuserfronten entlang zum Hof des Blinden. Rasch und ungesehen schwang er sich über die Fenz und stand im dunklen Hof.

Nirgends im Haus brannte Licht. Das war verständlich, denn wenn der Greis allein lebte, was Wyatt vermutete – wozu hätte er, der Blinde, noch Licht gebraucht.

Behutsam näherte sich der Missourier dem Haus.

Es lag still und fast drohend da.

Unten waren die beiden Fester neben der Hoftür, auf der linken Seite des Hauses, hochgeschoben.

Wyatt tastete den Boden nach einem kleinen Stein ab, den er in eines der Fenster warf.

Sofort hörte er das harte Geräusch des Stockes, der auf die Dielen aufgestoßen wurde.

Am Fenster war das helle Gesicht des Alten zu sehen.

Lauschend stand Joe Braddock da.

Wyatt kam näher.

»Wer ist da?« fragte der Greis schneidend.

»Psst, Mister Braddock. Ich bin’s…«

»Wer…?« stieß der Alte verblüfft hervor.

»Stapp!«

»Stapp…? Aber – ich denke, Sie sind…«

»Nein, ich bin nicht tot. Kann ich mit Ihnen sprechen?«

Der Alte schluckte vor Aufregung. Da war der Mann also gar nicht tot. Gil also kein hinterhältiger Mörder.

»Sure, kommen Sie nur herein. Warten Sie, ich mache Ihnen sofort die Tür auf.«

Er verschwand vom Fenster und kam an die Hoftür.

Knirschend drehte sich der Schlüssel im Schloß, und knarrend sprang die Tür auf.

Wyatt stieg die vier Stufen hinauf und trat auf den Mann zu.

»Gehen Sie nur vor…«

Eine seltsame Erregung klang in seiner Stimme.

Irgend etwas in dem Marshal wurde wach.

Er starrte in den tiefschwarzen Flur und blieb stehen.

»Da vorn rechts, da können wir sprechen«, hörte er den Alten hinter sich sagen. »Die Zimmertür steht offen.«

Wyatt wurde das warnende Gefühl in seiner Brust nicht los. Lautlos nahm er den großen sechskantigen Buntline Special aus dem Halfter und hielt ihn schußbereit.

Der Alte schloß die Hoftür ab und kam schlurfend näher.

Wyatt hörte seinen keuchenden Atem fast an seinem Ohr.

»Gehen Sie nur hinein!«

Damned, wie konnte der Mann wissen, daß er noch nicht im Zimmer war, daß er noch hier im Flur stand.

Er war doch blind!

Aber es war so stockdunkel, daß auch ein völlig Gesunder, ein Mensch, der über die volle Sehkraft verfügte, hier in dieser Dunkelheit nicht das mindeste hätte erkennen können.

Der Alte mußte seinen Standort also anderswie festgestellt haben.

»Gehen Sie nur hinein!« wiederholte er.

Der Marshal blieb stehen.

Braddock schlurfte noch einen Schritt weiter vor, blieb dann in der Flurmitte stehen.

»Kommen Sie bitte, Mister Stapp, wir wollen hineingehen.«

Wyatt hielt sich neben ihm.

Der Alte stieß die Tür weiter auf.

Ein düsterer Raum lag vor dem Marshal. Das diffuse Licht, das durch die Straßenfenster hereinkam, vermochte das Zimmer nur so weit aufzuhellen, daß man die weiße Tischdecke und die weißen Tüchlein auf den vier Polsterstühlen sehen konnte.

»Bitte, setzen Sie sich, Mister Stapp!«

Wyatt ließ sich auf einem der Sessel nieder.

Der Alte ging mit seinem typischen harten Stockaufstoßen ans Fenster und kam dann zurück.

Dicht hinter Wyatts Stuhl blieb er stehen.

Das heißt, der Missourier saß nicht mehr auf dem Stuhl. Er hatte das Geräusch, das der Greis mit seinen Schritten und seinem Stockaufstampfen verursacht hatte, dazu ausgenutzt, seinen Platz unbemerkt zu verlas-

sen.

»Sie leben also noch«, sagte der alte Braddock. »Hm – das ist nicht gut. Sie sind tot. Die ganze Stadt hält Sie für tot. Sie müssen tot sein.«

Da Wyatt jetzt hinter ihm stand, konnte er seine Silhouette deutlich gegen das Fenster erkennen.

Da sah er, wie der Greis die Linke ausstreckte, um nach der hohen Lehne des Polsterstuhls zu tasten.

»Nehmen Sie nur Platz, Mister«, sagte Wyatt da von der Wand her.

Der Greis zuckte zusammen. Ganz steif stand er da.

»Saßen Sie nicht gerade noch hier auf dem Stuhl?«

»Ich stehe lieber«, wich der Marshal aus. »Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir erklären würden, wieso es schlecht ist, daß ich nicht tot bin.«

Joe Braddock stampfte den Stock so hart auf die Dielen auf, daß man es auf der Straße hören mußte.

»Verstehen Sie denn nicht? Wenn Sie tot gewesen wären, hätte die ganze Geschichte ein Ende gehabt. Jetzt aber fängt sie wieder von vorn an.«

»Richtig – welche Geschichte übrigens, Mister Braddock?«

»Die Sache mit den Kaktusfeldern. Ich… ich habe das alles gar nicht richtig begriffen, muß ich Ihnen sagen. Sie sagten, daß die Kaktusfelder abgeschnitten worden seien. Wo hat es denn so etwas schon gegeben? Ich lebe nun schon fast ein halbes Jahrhundert in diesem Land und siebzehn Jahre hier auf diesem Fleck. Damals, als ich noch sehen konnte, bin ich oft weit in den Llano hineingekommen, mit Leuten, die hinüber nach Roswell wollten. Ich habe sie bis zu den Feldern gebracht, von dort aus hatten sie genau westlich zu reiten…« Er brach ab und fuhr sich mit der knorrigen Linken über den Schädel.

»Sprechen Sie nur weiter«, sagte der Marshal.

»Was gibt’s da noch zu sprechen? Sie sagen, die Kakteen sind alle weggeschnitten. Was soll das? Keine Sonne, kein Wind und kein Wetter konnte diese grünen Türme umwerfen. Und nun sollen sie weggeschnitten sein! Das ist nahezu unglaublich. Wissen Sie, gerade diese Kakteengruppe war ja so etwas wie ein Wegweiser in der Wüste…«

»Eben. Ich bin den Weg schon einmal geritten, und diesmal habe ich die Kakteen vergeblich gesucht.«

»Und wie sind Sie trotzdem hierhergekommen?«

Der Missourier lauschte dieser Frage einen Augenblick nach.

Braddock hüstelte spitz.

Da meinte der Marshal:

»Hierhergekommen? Die Frage ist sonderbar, Mister Braddock. Finden Sie nicht?«

»Nein – das heißt, vielleicht mag sie Ihnen sonderbar vorkommen. Ich jedenfalls denke mir, daß es nicht leicht ist, ohne jede Orientierung durch das Llano zu reiten. Und wer nach Whiteface will, der muß auf jeden Fall an den Kaktusfeldern vorbei. Kein Mensch wird es wagen, durch das Llano zu reiten, wenn er nicht ein paar Markierungspunkte kennt. Die Kakteen waren die besten Orientierung, die man sich wünschen konnte. Ich werde nie begreifen, wie sie vernichtet werden konnten.«

»Yeah, es ist schwer zu begreifen – und dennoch nicht unmöglich. Ich habe gehört, daß früher einmal, vor fast zwanzig Jahren, Pfähle durch den Llano aufgestellt worden sind…«

»Yeah, das stimmt, aber viel weiter unten. Zuweilen kann man noch einen der einsamen Pfahlstümpfe im Sand sehen.«

»Diese Pfahlreihe wurde durch die schmalste Stelle der Wüste gezogen. Das war eine gute Sache. Nur ganz schwere Sandstürme vermochten einen Pfahl umzuwerfen und unter sich zu begraben. Eines Tages kamen Banditen ins Land und verstellten die Pfähle. Verstellten sie so, daß die Reiter, die sich nach den Hölzern richten wollten, in die Irre geführt wurden. Nach einem Ort, wo die Banditen sie niederschießen und ausrauben konnten. Eine ziemlich einfache, aber auch ziemlich harte Sache, finden Sie nicht auch?«

Der Greis schwieg und starrte mit seinen toten Augen in den dunklen Raum.

Der Marshal fuhr halblaut fort.

»Das Wegschneiden der Kakteen erinnert mich ziemlich unangenehm an die Stakemen, verstehen Sie?«

Auch jetzt noch schwieg der Alte.

»Es ist schließlich nicht ausgeschlossen, daß es Leute gibt, die sich in den Kopf gesetzt habe, den faulen Trick der Stakemen wieder aufleben zu lassen.«

»Wie meinen Sie das?« krächzte Braddock.

»Ich meine, daß es irgendwo Menschen gibt, die die Absicht haben, auf die gleiche Art Beute zu machen, wie damals die Pfahlbanditen.«

»Wie sollten Sie das…«

»Wer von Roswell über die Grenze kommt, wird mit ziemlicher Sicherheit, sitzt er auf scharf östlicher Route, nach Lubbock wollen. Und da sind die Kakteen eine große Hilfe. Man sieht sie meilenweit in der Wüste und kann sich an ihnen orientieren. Ich beispielsweise hatte auch die Absicht…«

»Aber Sie sind doch trotzdem hergekommen.«

»Yeah, weil mein halbverdursteter Rappe einen kleinen Sandhügel aufscharrte, um an der ziemlich frischen Schnittfläche dieses Kakteenstumpfes zu lecken. Außerdem habe ich mich in meinem Kurs nicht beirren lassen. Wer aber weniger zielstrebig vorwärts nach Osten stampft, dem kann es ebensogut passieren, daß er nach Norden oder gar nach Süden abkommt. Und eben diese Tatsache scheint den Absichten der Kakteenmörder entgegenzukommen.«

Der Alte stieß einen zischenden Laut durch seinen zahnlosen Mund. Dann sagte er schnarrend:

»Lubbock, well, aber Lubbock ist weit. Was soll das mit Whiteface zu tun haben. Hier wohnen wirklich nur wenig Menschen. Knapp fünfhundert.«

»Siebenhundert«, entgegnete der Marshal kühl. »Und außerdem führt der Weg nach Lubbock über White-face, Mister Braddock.«

»Und…?«

»Da fragen Sie noch? Jeder, der nach Lubbock will, muß über Whiteface. Da ist es für Leute mit düsteren Absichten nicht sehr schwer, den Reitern den Weg zu verlegen, die aus dem Kurs kommen. Sie brauchen sich nur hinter einer der Sanddünen zu verbergen und ihre Opfer zu belauern. Sie können ohne allzuviel Mühe hinter den Sanddünen folgen. Ich vermute sogar, daß sie versucht haben werden, weiter nördlich oder auch südlich Kakteen aus dem Boden zu zaubern.«

»Was…? Das soll doch wohl ein Scherz sein.«

»Ich fürchte nein.«

Der Alte ließ sich ächzend auf dem Stuhl nieder, legte den Krückstock mit einem harten Geräusch auf den Tisch und stützte den Kopf in die Hände.

»Mister, ich bin über sechzig Jahre. Und vor vielen Jahren verlor ich mein Augenlicht…«

»Trug Ihr Sohn Schuld daran, daß Sie Ihr Augenlicht verloren?« forschte Wyatt vorsichtig.

Der Greis warf den Kopf hoch. »Wie kommen Sie darauf?«

»Nur so ein Einfall.«

Joe Braddock knirschte. »Yeah, dieser Schwachkopf ist schuld daran, Stapp. Er hat da draußen im Hof mit Pulver gespielt, damals, als zehnjähriger Bengel. Ich sah es oben von der Hoftür aus, ein Wollfaden glimmte, und dieser Hammel von einem Burschen hockte neben dem Krug am Boden, in den er Schwarzpulver gefüllt hatte. Jedenfalls rannte ich hinzu und riß den Bengel zurück. Im gleichen Augenblick explodierte der Topf…«

»Vielleicht hätte man ihm einen Fußtritt geben sollen?«

Der Greis hob den Kopf wieder. »Wem?«

»Dem Topf natürlich.«

»Natürlich? Es wäre besser gewesen, beiden einen Fußtritt zu geben«, sagte der Alte verbittert. »Ich habe mir hinterher hunderttausendmal gesagt, daß ich dem Topf einen Tritt hätte versetzen müssen. Aber ich packte in meiner Angst den Bengel…«

Daher also der hemmungslose Zorn des Alten auf den Sohn.

»Yeah«, sagte er heiser vor Erregung. »Ich spreche nie davon, aber jetzt will ich und muß ich es einmal sagen: Ich hasse ihn! Ich hasse ihn wie die Sünde! Er hat mir das Beste geraubt, was ein Mensch hat: sein Augenlicht. Ohne das Sehen ist der Mensch schon mehr als halbtot. Nichts mehr sehen! Sie können sich das nicht vorstellen. Immer, immer, immer ist Nacht um einen herum! Völlige Dunkelheit. Man glaubt, sie in ihrer dumpfen Schwäche zu spüren und zu riechen, diese Finsternis.«

Es blieb nach diesen Worten eine volle Minute still. Dann sagte der Greis mit belegter Stimme:

»Gilbert ist ein schlechter Mensch! Aber er ist mein Sohn – verstehen Sie? Ein Vater macht sich über den mißratenen Sohn mehr Sorgen und Gedanken als über den Sohn, der gut, gerecht und vernünftig ist. Gilbert ist ein Herumtreiber. Jahrelang ist er wie der dreckigste Tramp durch ganz Texas und Oklahoma gezogen. Nur selten haben wir etwas von ihm gehört. Dann kam er eines Tages, blieb zwei Wochen und wollte wieder weg. An der Schmiede sah er am Tag, als er weg wollte, die Frau…«

»Ireen?«

»Yeah, Ireen! Sie vermochte mehr als ich, als die Mutter, als die Heimat, als der Friede der Geborgenheit – sie hielt ihn fest. Der Schmied schenkte ihnen drüben das kleine Haus. Aber die Frau handelte sich die Hölle ein. Sie wäre sicher längst weggelaufen, zurück zu ihren Eltern, wenn die Kinder nicht wären. Fast in jedem Jahr kam eins…«

Wieder blieb es eine Weile still.

Joe Braddock erhob sich und wandte sich um.

»Well, ich habe Ihnen von Anfang an geglaubt, Stapp. Ich weiß, daß Gil diesmal den Bogen überspannt hat, daß er diesmal ausgespielt hat. Auch nach seiner Heirat war er oft tage-, ja, sogar wochenlang unterwegs.«

Wyatt schwieg; er wußte, daß es gut war, wenn er den Alten jetzt reden ließ. Nur so konnte er unter Umständen wirklich etwas Nützliches erfahren.

»Wochenlang, yeah. Niemand wußte, wo er sich herumtrieb. Ich nicht, seine Frau nicht, seine Kinder nicht – niemand. Er ist ein Tramp, ein Outlaw, ein Bandit, ich weiß es – und jeder weiß es.«

Draußen ging jemand vorbei.

Die beiden Männer in dem dunklen Zimmer lauschten den Schritten nach.

»Und jetzt sind Sie hier. Was – wollen Sie denn, Mister?« krächzte der Alte.

»Ich suche den Mann, der zusammen mit Ihrem Sohn im Llano den Mord begangen hat. Dieser Mann reitet einen Rotschimmel. Kennen Sie einen Mann, der einen Rotschimmel hat, Mister Braddock?«

Der Alte wandte sich langsam um. »Yeah, ich kenne einen. Mein Nachbar Cornwall hat einen Rotschimmel. Aber wollen Sie etwa behaupten, daß Cornwall ein Mörder ist?«

»Ich kenne diesen Mann ja noch nicht. Aber ich werde ihn mir ansehen.«

»Tun Sie das, aber seien Sie vorsichtig. Jube Cornwall ist ein empfindlicher Mensch. – Und nun kommen Sie, ich bringe Sie zur Hoftür.«

Wieder war dieses Zittern in der Stimme des Blinden. Er ging vor Wyatt her zur Hoftür, öffnete sie und trat dann zurück, um den Missourier hinauszulassen.

Diesen Augenblick hatte sich Joe Braddock ausgesucht. Er riß den knorrigen Stock hoch und wollte ihn auf den Schädel des Fremden nieder-sausen lassen.

Aber so schwarz der Tag auch für den Dodger Marshal war – er reagierte blitzschnell.

Mit dem Revolverlauf – er hatte, wie auch schon vorhin, als er durch den dunklen Flur ging, den Colt gezogen – hieb er dem Alten den Stock aus der Hand, packte mit der Rechten nach dem Hals Braddocks und stieß den Mann gegen die Flurwand zurück.

»Hallo, Mister Braddock! Was sollte das denn werden? Ich habe das Gefühl, daß es in der Familie liegt, das Banditentum.«

Der Alte geiferte: »Lassen Sie mich los, Stapp! Sie erwürgen mich ja!«

»Was das werden sollte, habe ich gefragt.«

Der Blinde keuchte. »Lassen Sie mich los, Stapp! Sie – Sie erwürgen mich ja. Lassen Sie – mich…«

»Sie sollen auf meine Frage antworten!«

»Angst… Aus Angst… habe ich es tun wollen. Für ihn…, für…«

Krachend fiel die Tür hinter dem Marshal ins Schloß.

Er verließ den Hof und ging hinüber zum Nachbarhaus. Auf sein Klopfen kam eine Frau an die Tür.

»Mein Name ist Stapp, Madam. Kann ich Mister Cornwall sprechen?«

»Augenblick…« Die Frau verschwand. Und als sie zurückkam, sagte sie: »Mein Mann hat keine Zeit.«

»Pardon, Madam!« Wyatt schob die Frau sanft zur Seite und trat in den Korridor. Er hatte beobachtet, daß die Frau in dem zweiten Zimmer auf der rechten Gangseite gewesen war!

Das Zimmer war leer – und dunkel.

Wyatt sah sich nach der Frau um.

Wie eine Statue stand sie vor der halboffenen Tür.

»Wo ist Mister Cornwall?« forschte der Missourier.

Die Frau schwieg. Als sie das Knacken eines Revolverhahns hörte, schrie sie gellend auf.

Wyatt warf sich zur Seite.

Der Schuß peitschte durch den Hausgang.

Mit einem federnden Sprung war der Missourier wieder auf den Beinen und hechtete dem Schützen entgegen, riß ihn zu Boden und schlug ihm die Waffe aus der Hand.

»Machen Sie Licht, Madam!« gebot er der Frau.

Betäubt lag der Mann, der den Schuß auf den Marshal abgegeben hatte, am Boden.

Wyatt wartete, bis die Frau mit dem Licht kam, dann herrschte er den Mann an:

»Stehen Sie auf, Cornwall!«

Keuchend erhob sich der Mann vom Boden. Er war ziemlich groß, hatte helle Augen und ein hageres, hartes Gesicht. Seine Kleidung war sorgfältiger als die des jungen Braddock.

»Sie werden jetzt mit mir zum Sheriff kommen, Mister Cornwall.«

Der Mann sah ihn unter halbgesenkten Lidern an und gab mit einer hohen Diskantstimme zurück:

»Was wollen Sie von mir? Ich kenne Sie nicht.«

»Sie kennen mich nicht – weshalb haben Sie denn auf mich geschossen?«

»Sie sind in mein Haus eingedrungen…«

»Sie haben zweimal auf mich geschossen, Cornwall. Einmal heute nachmittag, als ich drüben mit Gilbert Braddock stand, und jetzt wieder.«

»Ich weiß nicht, was Sie da reden…«

»Dann werde ich Ihrem Gedächtnis etwas nachhelfen müssen. Sie haben heute sogar drei Schüsse abgegeben. Der erste kostete einem Menschen das Leben.«

Cornwalls Gesicht blieb beherrscht.

»Es tut mir leid, Mister…«

»Stapp ist mein Name.«

»Es tut mir leid, Sie irren sich. Ich habe heute einen einzigen Schuß abgegeben. Und zwar jetzt eben auf Sie, weil ich Sie für einen Eindringling hielt – und noch halte!«

Er richtete sich auf und ließ seinen stechenden Blick über die hochgewachsene Gestalt des Missouriers gleiten.

»Wer sind Sie überhaupt? Und wie kommen Sie dazu, wie ein Bandit in mein Haus einzudringen?«

Es juckte Wyatt in den Fingern, aber er beherrschte sich. »Vorwärts, Cornwall, machen wir keinen Song daraus! Gehen Sie voran!«

Aber der Mann rührte sich nicht von der Stelle.

Da nahm der Marshal wortlos seinen Revolver in die Hand.

Das genügte anscheinend. Cornwall setzte sich in Richtung Stra-ßentür in Bewegung.

Wyatt folgte ihm.

Plötzlich knackte ein Gewehrhahn hinter ihm im Flur.

Wyatt blieb stehen.

Die Stimme eines etwa vierzehn- oder fünfzehnjährigen Jungen drang an sein Ohr.

»Lassen Sie den Colt fallen!«

Wyatt warf sich gedankenschnell zur Seite.

Da brüllte der zweite Schuß in dieser Stunde im Cornwallhaus auf.

Der Mann vorn in der Tür bekam einen Stoß und stolperte vorwärts.

»Narr, du!« herrschte Wyatt den Jungen an und riß ihm das Gewehr aus der Hand. »Du hast deinen eigenen Vater getroffen.«

Sofort war er draußen.

Jube Cornwall lehnte neben der Tür und preßte seine Linke auf den rechten Oberarm.

»Vorwärts, zum Sheriff!«

»Ich bin verwundet!«

»Ich weiß. Ich war auch verwundet, als Sie und Ihr sauberer Partner mich draußen im Llano überfielen. Ich bin trotzdem hergekommen.«

Jubal Cornwall stakste vor dem Missourier her auf die Straße. Er warf einen kurzen Blick auf das Haus Gilbert Braddocks.

Aber da blieb alles still.

»Vorwärts! Von Braddock haben Sie nichts zu erwarten, Cornwall. Ihn konnten Sie zwar vorhin aus der Patsche reißen mit dem hinterhältigen Schuß auf mich, aber er wird keinen Finger für Sie rühren!«

Sie gingen der Mainstreet entgegen.

Cornwall blieb kurz vor dem Sheriffs Office stehen.

»Wollen Sie es sich nicht noch überlegen, Mister?«

»Da gibt’s nichts zu überlegen!« erklärte Wyatt. »Vorwärts.«

Sheriff Burns kam an die Tür. Seine Augen waren vor Entsetzen geweitet. Das Windlicht zitterte in seiner erhobenen Rechten.

»Sie…?«

»Yeah, ich, Sheriff.«

Ernest Burns schluckte schwer, er vermochte einfach nicht zu fassen, daß der Mann, den er für tot hielt, hier vor ihm stand.

»Machen Sie den Mund zu, Sheriff. Ich bringe Ihnen hier einen der beiden, die im Llano den Mann erschossen haben. Sperren Sie ihn ein.«

Burns warf fragende Blicke auf Cornwall.

»Worauf warten Sie noch, Sheriff?« forschte Wyatt scharf.

Endlich hatte Ernest Burns sich gefaßt. Er warf sich in die Brust und polterte: »Thunderstorm, Mann, was soll das denn werden?«

Burns verzog das Gesicht.

»Cornwall? Jube Cornwall? Das ist nicht Ihr Ernst, Cornwall ist presbyterianischer Prediger – und der Mayor von Whiteface.«

Das erstere hätte den Marshal nicht allzusehr verwundert, denn er hatte auch unter den sogenannten Predigern schon Leute kennengelernt, die alles andere als ehrbar waren.

Aber daß Cornwall der Mayor, der Bürgermeister von Whiteface war, das schockierte ihn denn doch.

»Der Mayor ist er? Well, tut mir leid. Er ist trotzdem ein Mörder! Nehmen Sie ihn fest, Sheriff!«

Burns knurrte: »Wie komme ich dazu? Wer sind Sie überhaupt? Er ist unser Mayor! Wo kämen wir da

hin, wenn jeder x-beliebige Fremde hier ehrbare Bürger der Stadt mit solch schweren Beschuldigungen beschmutzen würde. Nichts da, Mister, verschwinden Sie, Whiteface ist kein Pflaster für Sie.«

Wyatt sah den Sheriff in seiner Haustür stehen, sah seine wuchtige Gestalt, und gegen die schwache Kerosinlampe im Hintergrund sah er auch, daß der Hüter des Gesetzes nach seinem Colt griff.

Aber Burns war nicht der Mann, einen Wyatt Earp so zu überfahren.

Blitzschnell flog der große Bunt-line-Colt in die Linke des Marshals.

»Mister Burns, ich habe Sie aufgefordert, diesen Mann ins Jail zu stecken, weil er im Llano einen Menschen getötet – ermordet hat.«

Burns schluckte. »Was – fällt Ihnen ein!« stotterte er. »Sie wagen es, einen Sheriff mit dem Revolver zu bedrohen? Sie, ein hergelaufener Landstrei…«

»Schweigen Sie, Burns, sonst bereuen Sie es. Vorwärts, schließen Sie eine Zelle auf!«

Diesem Druck vermochte sich der »Gesetzesmann« denn doch nicht zu widersetzen. Er stakste voran und riegelte eine der drei Zellen auf.

Jubal Cornwall, der Mayor von Whiteface, wurde eingesperrt.

Burns sah Wyatt von der Seite an.

»Das bringt Ihnen Ärger, Mann, das prophezeie ich Ihnen. Wie wollen Sie beweisen, daß der Mayor wirklich an der Tat beteiligt war?«

Wyatts Kopf flog herum. Tief senkte sich sein Blick in die Augen des Sheriffs.

»An der Tat? Also, die Tat glauben Sie mir – nur nicht die Mittäterschaft Cornwalls? Interessant, Sheriff, wirklich interessant. Ich werde es mir merken. So long!«

Er verließ das Office.

Obgleich die Wunde an der Schläfe scheußlich schmerzte und er sich auf die Kante einer Pferdetränke setzen mußte, nahm er sich vor, die Sache gleich weiter durchzuboxen.

Da war noch der andere, der Sohn des Blinden!

Wyatt erhob sich. Aber seine Beine gaben einfach nach. Er mußte sich wieder niederlassen, bückte sich über die Tränke und warf ein paar Hände Wasser in sein Gesicht.

In den Straßen Whitefaces lastete noch die Hitze des Tages. Die Häuserwände, die die Sonnenglut tagsüber aufgespeichert hatten, warfen sie jetzt zurück.

Der Missourier benetzte den Nacken und rieb sich das auch nicht allzu kalte Wasser durch die Haare.

Etwas gestärkt erhob er sich und ging durch die Gasse auf Braddocks Haus zu.

Leider war er gezwungen, auch hier einen Umweg zu wählen. Er schwang sich über die Fenz des Hofes und kam an die Haustür.

Sie war verschlossen.

Da bemerkte er ein winziges Geräusch an einem der Fenster. Irgend jemand schob einen Gewehrlauf ins Freie. Das sollte also ein neuer Anschlag werden. Well, der Marshal war ungebeten in das Anwesen Gilbert Braddocks eingedrungen. Der Mann konnte sich immer damit herausreden, daß er sich gegen einen Eindringling gewehrt habe.

Der Gewehrlauf wies jedoch viel zu weit nach links.

Wyatt schlich sich geduckt an das Fenster und packte den Lauf urplötzlich.

Eine Frauenstimme schrie auf.

Wyatt hatte das Gewehr in den Hof geschleudert. Der Hahn seines Revolvers knackte hart.

»Madam, sagen Sie Ihrem Mann bitte, daß er in den Hof kommen soll.«

»Nein…! Er ist gar nicht da!« antwortete die Frau bebend.

»Ich warte eine halbe Minute, ist er dann nicht hier, hole ich ihn!«

Die halbe Minute verstrich – und nichts rührte sich.

Der Missourier hatte die Hoffront des Hauses genau beobachtet.

Auf der anderen Türseite war auch ein Fenster halb angehoben. Da mußte er hinein. Er schlich sich heran – und mit einem Schwung hatte er sich über das Sims in das Zimmer gebracht.

Kinder schrien gellend auf.

Wyatt stürmte vorwärts.

Er riß die Korridortür auf.

Zwei Revolverschüsse brüllten ihm entgegen.

Damit hatte er gerechnet. Handnah zischten die Geschosse an ihm vorbei. »Braddock! Lassen Sie den Revolver fallen! Sie gefährden nur Ihre Kinder.«

Wieder brüllte der Revolver des Outlaws auf.

Dann noch einmal und noch einmal.

Direkt nach dem sechsten Schuß federte der Mann aus Missouri vorwärts und sprang dem Banditen entgegen.

Braddock wich zurück in ein Zimmer. Aber es gelang ihm nicht mehr, die Tür zuzuschlagen.

Wyatt Earp war schon über ihm.

Es war nur ein kurzer, stummer Kampf. Eine Doublette riß den Tramp schließlich von den Beinen.

Der Marshal packte ihn und schleppte ihn hinaus.

Unangefochten kam er mit ihm zum Sheriffs Office.

Burns kam mit der Lampe an die Tür.

»Was wird denn das, Mann? Haben Sie etwa die Absicht, im Laufe der Nacht die halbe Stadt hier anzuschleppen, Stranger?«

»Keineswegs, Sheriff«, entgegnete der Missourier rostig. »Es geht nur um diese beiden Männer. Um Jubal Cornwall und Gilbert Braddock. Sie haben im Llano einen Mann ermordet!«

»Wie wollen Sie das beweisen?«

»Lassen Sie das nur meine Sorge sein! – Vorwärts, schließen Sie eine zweite Zelle auf.«

Als der Marshal das Sheriffs Office verließ und dem Doktorhaus zuging, sah er plötzlich einen Schatten über den Vorbau huschen.

Dicht vor ihm verschwand er in einer Hausnische.

Mit einem wahren Panthersprung setzte der Missourier ihm nach – und bekam ihn am Arm zu packen.

»Damned!« entfuhr es ihm. Er hatte eine Frau gegriffen. Eine blutjunge Frau. Im schaukelnden Licht des Santa Cruz Saloons sah er, daß es sogar ein hübsches, gutgewachsenes schwarzhaariges Mädchen war.

Aus flammenden, blitzenden Augen sah es den großen Mann an.

Der hatte seinen Griff etwas gelockert.

»Hello, Miß! Sie haben eine ziemliche seltsame Art, Ihre Abendspaziergänge durchzuführen.«

»Lassen Sie mich…« Die Augen der jungen Frau blitzten böse.

Wyatt ließ sie los. »So long, Miß. Und seien Sie in Zukunft etwas weniger indianerhaft. Ein so gehuschter Nachtspaziergang kann Ihnen sonst noch mal übel bekommen.«

Die Frau lief wie gehetzt davon und verschwand drüben zwischen Ric Potters Golden West Bar und Miß Bessys Haus.

Wyatt sah ihr nach und ging dann weiter.

In Doc Flauberts Haus war alles dunkel.

Wyatt versuchte, die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen. Er ging durch den Hof. Auch die hintere Tür war verschlossen.

Nanu? Hatte der Arzt etwa sein Versprechen vergessen? So einen unzuverlässigen Eindruck hatte er doch auf Wyatt gar nicht gemacht.

Die Fenster im Erdgeschoß waren sämtlich geschlossen.

Der Marshal trat zurück und blickte über das Wagentordach, das bis ans Haus ging. Oben war ein Fenster halb geöffnet.

Aber konnte er über den Weg in das Haus des Arztes eindringen? Bei den beiden Braddocks und den Cornwalls war es etwas anderes gewesen. Die beiden waren Verbrecher.

Überhaupt war es ja nun nicht mehr notwendig, sich weiter zu verstecken. Sheriff Burns, der alte Braddock und Gilberts Frau, Cornwalls Frau und einer seiner Söhne, hatten ihn ja gesehen. Er konnte ruhig ins Hotel zurückgehen.

Kaum hatte er den Hof verlassen, als ihn etwas in seinem Innern von der Vorderfront des Hauses zurücktrieb.

Damned! So alt war der Doc doch noch gar nicht, daß er eine so bestimmt gegebene Zusage vergessen konnte.

Der Marshal pochte ans Fenster des Arbeitszimmers.

Nichts.

Drei Minuten später hatte er im Sprung hinten im Hof mit beiden Händen das Wagendach gepackt, zog sich im Klimmzug hinauf und stieg durch das Fenster ins Haus.

Es war das vierte Haus in der Stadt Whiteface, dem er in dieser Nacht einen Besuch abstattete.

Er wußte, daß Doc Flaubert allein hier wohnte. Und jetzt dachte er auch daran, daß der Arzt ihm erzählt hatte, er müsse noch den Bericht über das Gelbe Fieber auf der Salan-Ranch abfassen.

Sollte er mit dieser Absicht tatsächlich schon fertig sein?

Unwillkürlich trat der Missourier langsamer auf, durchquerte das kleine Zimmer, öffnete die Tür zum oberen Korridor und lauschte durch das stille Haus.

Ein Geruch von Medikamenten schlug ihm entgegen. Es war der übliche Geruch eines Doktorhauses.

Nur undeutlich erinnerte sich Wyatt daran, daß er vorhin die Treppe gesehen hatte, die zum Obergeschoß führte.

Nach einigem Suchen fand er sie.

Leise ächzten die hölzernden Stufen unter seinem Gewicht.

Unten im Korridor angekommen, bemerkte er einen diffusen Lichtschimmer: Die Tür zum Arbeitszimmer des Arztes stand offen. Wyatt ging leise darauf zu und warf einen kurzen Blick durch den Raum.

Dann starrte er mit engen Augen auf den dunklen Körper, der ganz

langausgestreckt auf den hellen Dielen lag.

Er stieß die Tür ganz auf und beugte sich sofort über den Mann am Boden.

Es war Doc Flaubert. Er war tot.

Wyatt schleppte ihn in den Flur, zog die Zimmertür hinter sich zu und riß ein Zündholz an.

In der linken Brustseite des Arztes steckte ein Bowiemesser.

Langsam richtete sich der Missourier auf und starrte in die Dunkelheit.

Wer konnte ein Interesse daran gehabt haben, den Arzt zu töten?

Burns etwa?

Ausgeschlossen. Der hatte doch selbst erklärt, daß ein Arzt für Whiteface nicht ausreichte.

Aber andererseits hatte er mit dem Arzt einen Streit gehabt.

War es wirklich ein Streit gewesen? War es nicht vielmehr eine Meinungsverschiedenheit? Und hatte Flaubert nicht erklärt, daß er den Sheriff genau kenne, daß er nur ein sehr bequemer Mann sei?

Wyatt bückte sich und brachte den Toten dahin zurück, wo er ihn gefunden hatte.

Dann verließ er das Haus auf dem gleichen Weg, auf dem er es betreten hatte.

Mit wachen Augen lag der Marshal auf seinem Bett und starrte gegen die weißgetünchte Zimmerdecke.

Das Fenster stand offen.

Und schräg gegenüber lag in seinem Haus der tote Doktor Flaubert.

Wyatt zerbrach sich den Kopf darüber, wer den für die Stadt doch so unentbehrlichen Mann ermordet haben könnte.

Schließlich fielen ihm vor Erschöpfung die Augen zu.

*

Gleich nach dem Frühstück verließ der Marshal das Cremona-Hotel und ging auf das Sheriffs Office zu.

Die Tür war verschlossen.

Ein kahlköpfiger alter Mann, der auf einem morschen Schaukelstuhl neben dem Eingang saß, blinzelte in die Sonne und kaute auf seinem Priem, während er sich mit seinem zerbeulten Hut Luft zufächelte.

»Suchen Sie den Sheriff?« krähte er mit dünner Greisenstimme.

»Yeah!«

Der Alte lächelte wieder sein spindeldürres Lachen.

»Ich weiß nicht, wo er ist.«

In den Augen des Missouriers stand plötzlich eine eisige Kälte. Schneidend sagte er:

»Wo ist der Sheriff?«

Unbehaglich erhob sich der Alte und sah plinkernd die Straße hinunter.

»Ich weiß nur, daß er weggegangen ist. Wo er hingegangen ist – das weiß ich nicht.«

»Ich habe Sie gefragt, wo der Sheriff ist«, wiederholte Wyatt eindringlich.

Betroffen von dem Ton und dem Blick des Fremden, wich der Alte an die Hauswand zurück und stülpte seinen Hut auf.

»Was wollen Sie von mir, Mister? Ich bin Jimmy Hampton. Früher einmal trug ich den Stern. Aber das ist ziemlich lange her. Damals war es noch gefährlich, den Stern zu tra-

gen. Heute ist es ja kein Kunststück mehr.«

»Ansichtssache, Mister. Aber Sie haben immer noch nicht meine Frage beantwortet.«

Der spitze Adamsapfel des Alten zuckte auf und nieder. Pergamenttrocken hingen die Lider seitlich über seinen Augen.

»Ernest? Wissen Sie, er ist ein sonderbarer Junge, mal ist er hier, mal ist er dort. Man weiß nie genau, wo er sich aufhält.«

Wyatt trat dicht an den Alten heran.

»Passen Sie genau auf, Mister Hampton, was ich Ihnen jetzt sagen werde. Sie haben behauptet, einmal Sheriff gewesen zu sein…«

»Das war ich auch!« zeterte der Alte und nestelte einen abgegriffenen sechszackigen Stern aus seiner Westentasche. »Hier, ich habe ihn viele Jahre getragen. Und da an der Seite die Beule, die hat mir Hal Flanagan vor zehn Jahren besorgt, als er auch hier seinen Wirbel losließ. Wissen Sie überhaupt, wer Hal Flanagan war? Der schlimmste Bandit, den Texas kannte. Wyatt Earp hat ihn gestellt. Der große Wyatt Earp. Von dem werden Sie wohl hoffentlich schon gehört haben.«

Der Missourier war zu der Überzeugung gekommen, daß er hier einen ehrbaren, alten Haudegen vor sich hatte.

»Ich hatte Ihnen gesagt, Mister Hampton, daß Sie mir einmal genau zuhören sollten. Sie haben mir Ihren Namen genannt und dann einen Teil Ihrer Geschichte erzählt. Ich will nicht weniger offen zu Ihnen sein. Mein Name ist Earp. Wyatt Earp.«

Da der Alte nicht mehr zurückweichen konnte, machte er vor Verblüffung einen Schritt zur Seite und sah den Fremden an, wie man einen Geisteskranken ansieht.

Da nahm Wyatt einen Stern aus der Tasche und reichte ihn dem Alten hin.

»Sehen Sie, auch ich schleppe den Stern mir mir herum…«

Der Alte hatte das Metallstück umgedreht und las mit weit aufgerissenen Augen den Namen, der auf der Rückseite eingraviert war.

»Wyatt Earp«, stotterte er. »Wahrhaftig, da steht es. Und weil ich ganz genau wußte, daß nichts schwerer wäre, als ausgerechnet dem Dodger Marshal seinen Stern zu stehlen, glaube ich Ihnen.« Er streckte dem Marshal impulsiv seine faltige, mit braunen Flecken besäte Hand entgegen.

Wyatt drückte sie.

Da schob der Alte seinen Hut ins Genick und stieß einen kleinen Pfiff aus.

»Beim großen Manitu, daß ich Sie einmal sehen würde, hätte ich mir nicht träumen lassen. Sehen Sie, wenn man die Siebzig hinter sich hat, schließt man doch schon mit vielen Dingen ab.«

Wyatt sah sich um. Da vom Generalstore einige Frauen herankamen, zog er den Alten mit sich vom Vorbau.

»Kommen Sie, Hampton, ich muß mit Ihnen sprechen.«

Der Alte zockelte neben ihm her.

Da sie jetzt mitten auf der Straße gingen, konnten sie sich ungestört unterhalten.

»Ich habe eine Frage, Mister Hampton: Sind Sie mit Burns befreundet?«

Der Alte blieb stehen, warf seinen kahlen Schädel hoch und kläffte:

»Befreundet? Mit Burns? Was halten Sie von mir? Wie kann ich mit so einem Burschen befreundet sein? Der Kerl kann doch nicht bis drei zählen, ohne zu husten. Was glauben Sie, weshalb ich Tag für Tag her zum Office komme? Weil er einen Mann braucht, der seine Fehler ausbügelt. Yeah, was glauben Sie, wieviel Blödsinn ich schon verhindert habe. Wissen Sie, man soll ja nicht so über seinen Nachfolger sprechen, dann sagen die Leute: Der Alte klebt an seinem Stern. Aber es hilft doch nichts. Burns ist kein Sheriff.«

Eine Ahnung stieg in Wyatt auf.

»Der Mayor wollte ihn sicher haben?«

»Genau, der und die beiden Salooner und auch der Hotelowner, und eine Reihe anderer Leute, denen ich lange Zeit ein Dorn im Auge war. Sie können keinen Sheriff gebrauchen, der um zwölf Uhr in ihren Buden auftaucht und notfalls mit dem Revolver dafür sorgt, daß geschossen wird…«

So war das also.

Als sie die presbyterianische kleine Kirche erreicht hatten, blieb Wyatt stehen.

»Ich werde Ihnen jetzt noch etwas sagen.«

Hampton hatte runde Augen.

»Nun sagen Sie bloß nicht, daß Doc Holliday auch in der Stadt ist.«

»Nein«, versetzte Wyatt mit einem winzigen Lächeln, »leider nicht. Ich hätte ihn gerade jetzt gut gebrauchen können.«

Der Alte gab sich einen Ruck.

»He, bin ich vielleicht nicht da, Marshal? Bin ich ein Niemand? Habe ich nicht da drüben mitten auf dieser verdammten alten Mainstreet gestanden und allein gegen Bill Hoogeeter gekämpft, gegen ihn und seine Freunde? Habe ich nicht vorn am Store auf der Treppe gestanden, als Hal Flanagan auf mich schoß…«

»Gut, ich glaube, daß ich mich auf Sie verlassen kann, Mister Hampton. Und nun hören Sie zu.«

Er erzählte ihm, was er seit dem vergangenen Vormittag erlebt hatte.

Der einstige Sheriff zeigte, daß er zuhören konnte. Als er aber erfuhr, daß Doc Flaubert tot war, zuckte seine Rechte dahin, wo er vor Jahren einmal seinen Colt getragen haben mochte.

»Doc Flaubert – ist tot, sagen Sie? Aber – das ist doch nicht möglich! Wer sollte ihn denn erstochen haben? Er hatte doch eigentlich nur Freunde in der Stadt! Allmächtiger, was soll der alte Jefferson mit seinem lahmen Bein jetzt anfangen? Und Mister

Brook und die schwindsüchtige Kathleen Marlowe? Und die vielen aderen, die er täglich besuchen muß – die ohne ihn gar nicht leben können? Das ist doch gar nicht auszudenken!

Whiteface hatte doch nur den einen Arzt. Und obgleich Flaubert selbst und auch mehrere andere Männer sich jahrelang um einen zweiten Doktor bemüht haben: nach Whiteface will keiner kommen. Ich kann es den Leuten nicht verdenken. Dieses verdammte glühende Nest…«

Die beiden Männer gingen in den Mietstall.

Wyatt tat, als wolle er sich nach dem Wohlbefinden seines Rappen erkundigen?– und währenddessen sah sich Hampton in den anderen Boxen um.

Als der Mietstallowner herankam, schnatterte Hampton:

»Komische Leute gibt’s. Da wollte dieser Fremde Braddocks Gaul kaufen – und der alte Narr will ihn nicht hergeben. Wenn mir das Tier gehör-

te, gäbe ich es um das halbe Gebot weg.«

»Hat er denn so viel geboten?« forschte Everett mit flüsternder Stimme und gierigen Augen.

»Yeah – der Mann hat Geld!«

Unterdes, während Hampton den Mietstallowner so abgelenkt hatte, sah er sich um – und fand das, was er finden wollte: Die leere Box, in der das Pferd des Sheriffs zu stehen pflegte.

»Tja, Everett, ich muß wieder weiter. Hab’ noch eine Pokerpartie bei Potter vor mir. Gegen Lampers. Sie kennen ihn ja, den alten Gauner aus Morton. Er verkauft Töpfe und dergleichen Zeug…«

Der Alte schlenderte vom Hof.

Wyatt wechselte noch einen kurzen Gruß mit dem Mietstallowner und verließ den Hof ebenfalls. Draußen bog er nach Westen in die Mainstreet, während Hampton nach Osten abgebogen war. Sie verschwanden beide in Nebengassen und trafen sich schließlich wieder unter dem schattenspendenden Wagendach von Hattys Corral.

»Er ist tatsächlich weg, der Gaul ist nicht in seiner Box.«

»Viel besagt das noch nicht, denn er kann doch einen wichtigen Ritt vorhaben, vielleicht auf eine Ranch in der Nachbarschaft.«

Hampton winkte ab. »No, Sir. Sie kennen Burns ja nicht. Er ist das faulste Stinktier, das mir je über den Weg gelaufen ist. Freiwillig kriegen Sie den Burschen nicht in den Sattel.«

»Und so etwas hat Whiteface zum Sheriff gewählt?«

»Stimmt nicht. Cornwall und die Männer um ihn haben Burns zum Sheriff gemacht. Wenn bei der Wahl nicht gemogelt worden ist, heiße ich Hornebock! Nie und nimmer haben die Leute diesen Hammel gewählt. Man war doch allenthalben erstaunt, ihn als Sieger aus der Wahl hervorgehen zu sehen.«

»Wie lange ist er eigentlich Sheriff?«

»Vierzehn Tage.«

»Was…?« Jetzt war die Reihe der Verwunderung an dem Missourier. »Vierzehn Tage erst? Und wer stand gegen ihn?«

»Noch zwei Männer. Der eine Kandidat war der lange Visher drüben aus der engen Apache Street. Aber er hatte nicht viele Freunde, da er zu schweigsam ist. Trotzdem, er wäre ein weitaus besserer Sheriff gewesen als Burns es ist.«

»Und wer war der andere Mann?«

»Billy Black.«

»Und?«

»Die ganze Stadt hat auf ihn getippt. Er war der Beste, den sie hätten nehmen können. Zwar war er ein armer Bursche, aber er hatte das Zeug zu einem echten Sheriff. Der Teufel soll’s holen, daß Cornwall und die anderen Burns durchgedrückt haben. Ich hätte fünfundzwanzig Bucks darauf verwettet, daß Billy durchkommt!«

Gedankenvoll rieb sich der Marshal das kantige Kinn.

»Wo wohnt dieser Billy Black?«

»Wollen Sie mit ihm sprechen? Das ist ziemlich sinnlos, denn er ist verdammt sauer seit der Wahl. Er hat vor ein paar Tagen drüben bei Potter noch gemeutert…«

»Trotzdem, ich hätte ihn gern einmal gesprochen.«

»Well, können wir machen«, meinte der Alte. »Aber da haben wir noch ein Stück Weg zu tippeln. Er wohnt am anderen Ende der Stadt mit seiner Mutter in einer Hütte.« –

Eine halbe Stunde später befanden sich die beiden vor dem Haus, in dem der Mann wohnen sollte, der auch eine Chance gehabt hatte, Sheriff zu werden.

Wyatt klopfte an die Tür.

Eine alte Frau kam angeschlurft und öffnete.

»Dieser Mann hier ist…« Hampton unterbrach sich. »Er will mit Bill sprechen, Madam.«

»Bill?« Die Frau bekam weite Augen. »Ich weiß nicht, wo er ist.«

»Was meinen Sie damit?«

»Daß ich nicht weiß, wo er sich aufhält. Er ist gestern nicht nach Hause gekommen…« Sie brach ab und senkte den Kopf. Ein Schluchzen stieg in ihre Kehle.

Der Verdacht, der in dem Marshal aufgekommen war, reifte zur Gewißheit.

»Kommen Sie, Hampton, wir wollen gehen. Pardon, Madam…«

Als sie sich ein Stück entfernt hatten, blieb Wyatt stehen.

»Beschreiben Sie mir Bill Black, Hampton. Wie sah er aus?«

»Sah?« stammelte der Alte erschrocken. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Vorwärts, Hampton, sagen Sie mir, wie er ausgesehen hat!« drängte ihn der Marshal.

Schon nach den ersten Worten des Alten wußte Wyatt, daß der Tote im Llano niemand anders war als Billy Black.

Der Missourier richtete sich auf und blickte mit harten Augen zur Mainstreet hinüber.

»Kommen Sie, Hampton!«

Wyatt ging zum Sheriffs Office zurück. Es war immer noch verschlossen.

»Ehrlich, Old Sheriff, wann haben Sie Burns heute morgen wegreiten sehen?«

Der Alte rieb sich verlegen das Kinn.

»Well, Marshal, es hat ja keinen Sinn zu lügen. Absolut keinen. Bisher habe ich immer die Hand über diesen Schussel von einem Sheriff gehalten. Aber wozu eigentlich; der Kerl behandelt mich immer wie den letzten Dreck. Also, um es kurz zu machen: Ich habe ihn heute überhaupt noch nicht gesehen.«

»Und wann haben Sie sich vor dem Office eingefunden?«

»Wie jeden Morgen, gegen sieben…«

Wyatt preßte die Lippen aufeinander. Dann ging er auf das Hoftor zu und sprang hinüber. Drinnen nahm er den Riegel zurück und öffnete dem Alten.

»Warten Sie hier.«

Er lief zu einem Geräteschuppen, schwang sich aufs Dach, setzte im waghalsigen Hechtsprung auf das höherliegende Dach des Office an und suchte in das Fenster des kleinen Aufsatzbaues zu sehen.

Auch das war fest verschlossen.

Wyatt hangelte an der scharfen rissigen Dachkante entlang, so daß er durch das Hoffenster in den Bureauraum sehen konnte.

Dann ließ er sich in den Hof hinunter.

Mit sperrangelweit offenstehendem Mund und großen runden Augen hatte ihm der Alte zugesehen.

»Zounds! Sie sind ja ein Fassadenkletterer, Marshal!« entfuhr es ihm.

Wyatt mahnte ihn, leise zu sein.

»Damned, haben Sie denn keine Idee, wie man in den Bau kommen könnte? Sie haben doch schließlich jahrelang darin…«

»Ach, das wollen Sie?« meinte der Alte, zog sein linkes Hosenbein hoch und langte in den Stiefelschaft.

In der offenen Hand, die er jetzt dem Marshal hinhielt, lag ein Schlüssel.

»Der ist für die Vordertür. Habe ich mir als Andenken – und für alle Fälle verwahrt.«

»Mann!« Wyatt riß ihm den Schlüssel aus der Hand und stürmte auf den Vorbau.

Ächzend drehte sich der Schlüssel.

Die Tür flog auf.

Wyatt machte nur drei Schritte vorwärts, dann drehte er sich langsam um.

»Leer!«

»Was…?« stotterte Hampton, der hinter ihm in der Tür stand. Dann kam er näher und sah die leeren Zellen. »Hell und devils! Diese Strolche sind ausgebrochen.«

»Ausgebrochen? Sehen Sie etwa etwas Aufgebrochenes hier, ein Schloß und sonst irgend etwas?«

»Nein«, stammelte der Alte.

»Der Fall ist also ganz klar. Sie sind freigelassen worden.«

»Meinen Sie etwa, daß Burns…«

Wyatt zog die Schultern hoch.

»Ich weiß es nicht. Aber ich weiß etwas anderes, Hampton: daß wir unsere Gäule jetzt holen müssen, um einen scharfen Ritt zu der Hügeldüne zu machen…«

Zehn Minuten später kam auch der Alte mit seinem Gaul vor den Mietstall geritten.

Wyatt hatte schon auf ihn gewartet. Im rasenden Galopp sprengten die beiden aus der Stadt.

Besorgt hatte der Missourier das Pferd des Old Sheriffs gemustert. Es war ein hochbeiniger, dickfelliger Fuchs, der ganz den Eindruck machte, daß er nach fünf Meilen nein sagen würde.

Aber dieser Eindruck trog. Der Fuchs war unerhört schnell und sehr ausdauernd.

Während des raschen Rittes rief Hampton dem Marshal zu:

»Yeah, Sie haben ihm wohl nichts zugetraut, he? Irrtum! Er ist extraklasse. Yeah, dafür habe ich immer gesorgt, daß der Gaul, den ich reite, jung, schnell und zäh ist. Vor allem, seit mich meine eigenen Beine nicht mehr so flott von der Stelle bringen konnten, habe ich ganz besonders darauf geachtet! Reiten Sie nur zu, Marshal! Ich komme mit. Verlassen Sie sich darauf! Auch wenn der Fuchs nicht so ein Rasserenner ist wie Ihr Rapphengst.«

Meile um Meile trommelten die acht Hufe über den gelben Sand des Llanos.

Wyatt, der schon seit dem Stadtrand nach Hufspuren Ausschau gehalten hatte, sah sich enttäuscht. Der leichte Wind, der aus Süden kam, hatte alle Spuren längst verweht. Und nichts zerfällt leichter als eine Spur im Sand.

Bei dem scharfen Galopp erreichten sie die Gegend, wo einst die Kaktusfelder waren, schon um Mittag.

Wyatt gönnte den Tieren eine kurze Verschnaufpause. Dann zogen sich die beiden Männer wieder in die Sättel.

»Glauben Sie allen Ernstes, daß wir sie einholen können, Wyatt?« rief der Alte dem Marshal zu.

Der schüttelte den Kopf.

»Nein, ganz sicher nicht. Sie haben ja viele Stunden Vorsprung. Ich will sie gar nicht einholen. Nur sehen will ich etwas…«

Dann tauchte endlich fern im Westen die Hügeldüne auf, die sich meilenweit quer durch die Wüste zog.

Wyatt trieb den Rappen zu noch größerer Eile an.

Endlich hielt er oben auf dem Dünenkamm.

Als Hampton neben ihm anlangte, blickte er in die Mulde.

Sie war leer.

Der alte Mann sah in das Gesicht des Missouriers. Es wirkte direkt steinern.

»War es hier?« fragte Hampton nur.

»Yeah«, erwiderte der Missourier.

Langsam trieb er den Rappen die Halde hinunter.

Genau an der Stelle, wo er selbst von dem jungen Braddock aus dem Sattel geschossen worden war, stieg er ab.

Er maß die Schritte bis zu dem Platz, wo der Tote gelegen hatte.

Es war still. Nur der heiße Zephir aus dem Süden wehte über den Llano und ließ den Sand ganz leicht aufwirbeln.

Nach einer Weile meinte Hampton: »Können nicht die Geier…?«

»Nein, ausgeschlossen. So saubere Arbeit leisten die Geier nicht. Wenigstens die Knochen lassen sie zurück.«

Der Marshal hatte das Gelände scharf beobachtet.

»Und er hatte die Hufabdrücke gefunden. Aber er verschwieg dem Alten seine Entdeckung, um ihn nicht unnötig zu beunruhigen.

Der Südwind hatte hier in der Mulde nicht so viel Kraft wie oben auf der Ebene. Zwar hatte er auch hier die Eindrücke mit Flugsand zugeschüttet, aber das scharfe Auge des Marshals hatte die winzigen, oft nicht einmal handtellergroßen Vertiefungen doch entdeckt.

Sie führten nach Süden.

»Kommen Sie, Hampton. Wir müssen nach Whiteface zurück. Es wird Zeit, daß Doc Flaubert ins Totenhaus kommt.«

*

Gegen Abend kam Sheriff Burns zurück. Er schloß das Office auf und kam gleich auf die Straße gelaufen.

»He!« Er hielt den alten Trader Jerome Villiers an. »Sie sind weg! Die beiden, die im Jail saßen. Irgend jemand muß sie herausgelassen haben.«

Dann rannte er in die Schenke, drüben auf der anderen Straßenseite.

Auch da verkündete er, was geschehen war.

»Sie sind weg, die beiden, die der Fremde so schwer verdächtigt hat.«

Auch im Santa Cruz Saloon brachte er seine Neuigkeit an den Mann.

Aber es gab niemanden, der sich sonderlich darüber erregte. Die Männer hatten sowieso die Köpfe geschüttelt, als sie von den Ereignissen des vergangenen Abends gehört hatten.

Was fiel denn diesem Fremden ein?

Wer war er denn?

Wie kam er denn dazu, den jungen Braddock und gar den Mayor so zu verleumden?

Man sollte diesen Kerl…

Aber jetzt erfuhren sie ja, daß die beiden verschwunden waren.

Terry Handerson, der junge Tischler, kraulte sich seinen blonden Schopf, der ihm bis in den Kragen wuchs.

»Damned, Männer, das ist schlecht. Durch die Flucht der beiden sieht es nun so aus, als wenn sie wirklich etwas am Stecken hätten.«

Innerhalb von drei Stunden gab es nur eine Meinung in der Stadt. Der Fremde mußte gefunden werden. Er sollte die Sache aufklären. –

Wyatt war erst im Dunkeln mit Hampton nach Whiteface zurückgekommen.

Der Alte hatte ihn mit zu sich in sein kleines Haus unten am östlichen Ende der Mainstreet genommen.

»Hier sind wir allein, Marshal – und es ist mir eine Ehre, Sie unter meinem Dach zu wissen.«

Wyatt dachte unwillkürlich daran, daß er diese Worte vor genau vierundzwanzig Stunden schon einmal gehört hatte. Da war es Doc Flaubert gewesen, der sie geäußert hatte.

Die beiden Männer hatten sich während des Rückrittes genau über alles unterhalten.

»All right, Mister Earp«, meinte jetzt Hampton, nachdem er die beiden Pferde versorgt hatte und sie ein kräftiges Abendbrot zu sich genommen hatten, »ich bin also genau im Bilde. Ich werde jetzt zur City Hall gehen und läuten. Innerhalb einer Viertelstunde habe ich dann den Bürgerrat versammelt. Und alles weitere ist ja klar.«

Wyatt zog die Schultern hoch.

»Klar ist es leider nicht, Old Sheriff. Aber wir haben im Augenblick gar keine andere Wahl.«

Hampton machte sich auf den Weg.

Und Wyatt wartete.

Und er wartete vergebens: Die Glocke der City Hall schwieg.

Nach einer halben Stunde wurde Wyatt unruhig und verließ das Haus des alten Sheriffs durch den rückwärtigen Ausgang.

Als er den Hof durchmaß und auf das nur angelehnte Tor zuschritt, sprang ihn wieder wie schon am vergangenen Abend die Warnung an. Das unbestimmte Gefühl, das ihn vor einer nahen Gefahr warnte.

Er ging zurück und stieg über den Zaun in den Nachbarhof.

Dort lauschte er und stieg dann weiter in den nächsten Hof.

Von hier aus schlich er auf die Gasse hinaus.

Geduckt kauerte er am Boden und blickte zum Hof Hamptons hinüber.

Richtig! Da sah er die Gestalten zweier Männer an der Fenz lehnen.

Seine Ahnung hatte ihn also nicht getrogen. Hamptons Anwesen war umstellt. Und der Alte schwebte höchstwahrscheinlich in Gefahr.

Wyatt hatte keine Wahl. Er mußte handeln. Und zwar rasch.

Sich an den Zäunen entlangzuschleichen, war zu zeitraubend und außerdem zu gefährlich. Er entschloß sich, aufrecht vorwärtszugehen.

Schon nach seinen ersten Schritten hörte er vorn an der Ecke von Hamptons Hof Stimmen.

Es waren mehr als zwei Männer, die da miteinander sprachen.

Wyatt ging trotzdem weiter, leicht gebeugt wie ein bedeutend älterer Mann.

Als er an Hamptons Hofzaun kam, löste sich eine Gestalt aus dem Dunkel und kam auf ihn zu.

Wyatt nahm eine Zigarre aus der Tasche und sagte mit verstellter Stimme:

»Ah – gut, daß du kommst, Boy, gib mir ein Zündholz. Ich habe meine in der Bar liegengelassen.«

Der Mann, der breitbeinig vor ihm stand, rührte sich nicht.

Dafür vernahm Wyatt deutlich Schritte, die sich von der gegenüberliegenden Häuserfront auf seinen Rücken zubewegten.

Das war also der zweite Mann!

Er vermutete aber wenigstens drei hier.

»Feuer?« fragte der Bursche, der vor ihm stand, gedehnt.

Wyatt nickte.

Die huschenden Schritte waren jetzt dicht hinter ihm.

Damned! Wo war der dritte Mann?

Ein hartes knirschendes Geräusch im Sand zeigte dem Marshal, daß der Mann hinter ihm zum Sprung angesetzt hatte.

Da schnellte Wyatt nach vorne und rannte den Mann, der vor ihm gestanden hatte, zu Boden.

Der andere, der ihn von hinten hatte anspringen können, landete hinter ihm im Sand.

Wyatt warf sich herum und hieb ihm den Revolverkolben auf den Schädel.

Der Bursche, den er niedergerannt hatte, war so überrumpelt worden, daß er eine ganze Weile brauchte, um seinen Schrecken zu überwinden. Zu lange für den Mann aus Missouri!

Wyatts Revolverkolben sauste mit einem knackenden Hieb gegen seinen Schädel.

Auch er lag wie leblos da.

Genau in diesem Augenblick verriet sich angesichts der unheimlichen Szene, die sich da auf der Gassenmitte mit so stummer Verbissenheit und in rasender Eile abspielte, die Flucht zu ergreifen.

Wyatt schnellte hoch und setzte ihm nach. Schon nach fünfzehn Sprünge hatte er ihn erreicht und warf sich auf ihn.

Beide stürzten.

Blitzschnell packten Wyatts Finger mit einem stählernen Griff zu.

»Wo ist Hampton?«

Keuchend antwortete der Mann: »Im Totenhaus.«

»Was?« Wyatts Griff wurde härter. »Noch eine Lüge, Bursche, und du landest selbst im Totenhaus.«

»Ich sage die – Wahrheit! Er steckt im Totenhaus. Wir haben ihn da hineingesteckt.«

»Wo ist das Totenhaus?«

»Gegenüber von Hamptons Hof. Ich stand davor.«

»Steh auf und geh vor mir her. Aber wehe, wenn du dir irgendwelche Scherze ausdenkst, Kurzer!«

Es war ein sehr kleiner krummbeiniger Bursche. Er richtete sich schwer atmend auf und zockelte vor dem Marshal her auf das Totenhaus zu.

Die beiden anderen lagen noch reglos im Sand.

Der Krummbeinige blieb stehen und sah auf sie nieder.

»Sie haben sie erstochen…«

Wyatt zog ihn mit einem Ruck zu sich heran.

»Mit dem Erstechen habe ich es nicht, Boy, das ist mehr eure Art. Denn du hast doch Doc Flaubert erstochen!«

Der Mann wurde ganz steif vor Schreck.

»Ich…?« stammelte er.

»Yeah, du!«

»Aber…«

»Kein Aber, Boy, du hast ihn erstochen, die anderen haben dich verraten. Und du wirst hängen! Come on, jetzt kommst du erst mit ins Totenhaus.«

Der linke Torflügel des scheunenartigen kleinen Baues, der Whiteface als Totenhaus diente, hing halb heraus und quietschte in den Angeln.

Wyatt zog das Tor zu.

»So, und nun bringst du den Mann her!«

Der Bandit schleppte ein zusammengeschnürtes Bündel heran.

Es war der alte Hampton.

Wyatt schnitt ihm die Fesseln durch und half ihm auf die Beine.

Diesen Augenblick wollte der Bandit ausnutzen, um zu entkommen.

Aber der Marshal hatte damit gerechnet. Blitzschnell packte er zu und stieß den Mann so gegen die Schuppenwand, daß diese in ihrem Gefüge erzitterte.

»Du bleibst, Junge! Der Henker wartet auf dich. Du bist ein Mörder.«

»Ich nicht – wenn Jack das gesagt hat, dieser Schurke, dann werde ich auch…«

»Halte keine Vorträge. Jack sagte die Wahrheit!« bluffte Wyatt weiter.

Hampton stand mit gezogenem Revolver vor den Männern, die der Missourier mit dem Revolverkolben niedergeschlagen hatte.

Als die beiden jetzt wieder zu sich kamen, krächzte sie der Alte heiser an.

»Schlaft nur ruhig weiter, Boys. Und keine unnötigen Bewegungen. Ich schieße sofort.«

Der Mann in der Scheune zitterte am ganzen Leib.

»Jack sagt die Wahrheit?« keuchte er. »Well, dann werde ich auch die Wahrheit sagen. Ich habe mit alledem nichts zu tun. Gar nichts. Was gehen mich die ganzen hirnverbrannten Dinge überhaupt an. Mir ist einerlei, wer in Whiteface Sheriff ist oder nicht.«

»Eben«, entgegete der Marshal kalt. »Dir ist es egal, aber nicht den anderen. Und deshalb mußte Billy Black sterben.«

Der Bursche schwieg. Und auch auf die weiteren Anspielungen des Marshals verharrte er schweigend.

»Vorwärts, Hampton. Die Halunken kommen ins Jail.«

Schon zehn Minuten später steckten die drei im Gefängnis.

Hampton hatte eine Schrotbüchse aus dem Gewehrständer genommen und postierte sich damit nun an der Tür.

»Es ist wieder so wie damals, als der schwarze Hal in der Stadt war. Nur, daß ich damals dumm genug war, auf die Straße zu gehen…«

Nachdem der Marshal sich vergewissert hatte, daß die drei Banditen sicher verwahrt waren, schärfte er dem Alten ein:

»Bleiben Sie auf jeden Fall hier, Hampton!«

»Yeah, Marshal! Sie können sich auf mich verlassen!«

»Das weiß ich. Sie bleiben an der Tür. Und wenn irgend jemand, einerlei, wer es ist, die Kerle rauslassen will, machen Sie von der Schußwaffe Gebrauch.«

»Darauf können Sie sich verlassen, Marshal. Ich kann ganz gut mit dem Ding hier umgehen. Damals, als Ted Rifle Johnson mit seiner Bande in die Stadt kam, habe ich eine Menge gehacktes Blei in die Landschaft geschickt. Die Boys konnten hinterher nicht mehr reiten. Aber das war auch nicht nötig, denn sie wurden im Kastenwagen nach Lubbock und von da nach Fort Worth gebracht. So viel Arbeit werden wir uns mit denen da nicht machen.«

Der Krummbeinige sprang ans Gitter, spannte seine Fäuste um die Stäbe und brüllte:

»Ihr habt kein Recht, mich zu hängen! Ich bin nur wegen Jack mitgekommen. Er hat mich gezwungen. Weil er…«

»… weil er Geld von dir bekommt!« schloß Wyatt Earp.

Der krummbeinige Kene Calliett starrte den Mann, den der alte Sheriff »Marshal« nannte, entgeistert an. »Sie wissen es…?«

»Yeah, wie du siehst. Und deshalb bist du mit der Bande gegangen und hast einen Mord auf dein Gewissen geladen!«

»Aber das stimmt doch nicht, Marshal! Ich habe Flaubert nicht erschossen. Es war…«

»Ich weiß, wer es war«, sagte Wyatt rauh. »Erspare dir deine Lügen.«

»Ich lüge nicht!« schrie Calliett unbeherrscht. »Burns selbst hat ihn niedergestochen.«

Wyatt nickte, ohne überascht zu sein.

Und dem alten Sheriff wäre fast das Gewehr aus der Hand gerutscht. »Burns?« stammelte er verdattert. »Aber das ist doch…«

»Das ist Ihr sauberer Sheriff Ernest Burns, Mister Hampton. Das ist der Mann, den der Mayor zum Gesetzesmann haben wollte, mit aller Macht. Und um diesem Mörder den Posten zu sichern, mußte der unbequeme Billy Black sterben!« –

Wyatt verließ das Office.

Hampton löschte die Lampen und setzte sich hinter die geschlossene Tür.

Da trat einer der beiden Männer, die Wyatt vorhin mit dem Revolver betäubt hatte, ans Gitter.

»Wie hast du dir das gedacht, Grandfather? He? Glaubst du etwa, daß du einen jungen Mann mit einem ganz alten Schießknüppel aufhalten kannst? Was denkst du wohl, was passiert, wenn Burns und die anderen plötzlich kommen, he? Und du sitzt hier mit deiner vergammelten Bleispritze!«

»Was dann passiert, Gennan, kann ich dir genau sagen: Ich drücke ab.«

Die drei Banditen lachten dröhnend.

»Habt ihr gehört?« rief Gennan. »Er drückt ab!«

»Weißt du denn auch, wohin du schießt, Old Man?« wollte Ed Collins wissen.

»Doch, Ed, das weiß ich ganz genau. Es ist ja auch nicht sehr schwer zu erraten. Nur ein solcher Dummkopf wie du kann danach fragen. Ich werde ganz einfach nur abdrücken.«

Die drei Tramps lachten wieder brüllend auf.

»Er wird nur ganz einfach abdrücken! Das ist wirklich großartig.«

Plötzlich brach die röhrende Lache des Gangster-Trios ab.

Sie sahen alle trotz der Dunkelheit, wohin der Lauf der Schrotflinte gerichtet war, auf die Zelle!

In die plötzliche Stille hinein erklärte der Alte seelenruhig:

»Ihr seht also, alles ist in bester Ordnung. Und wirklich auch nur der Ordnung halber möchte ich noch sagen: Wenn ab jetzt auch nur noch der geringste Laut, der mich stören könnte, aus eurem Käfig kommt, ziehe ich den Abzug durch!«

Das war ganz klar und deutlich und verfehlte seine Wirkung nicht. Die drei kannten ja ihren alten Sheriff genau. Sie wußten, daß er nicht spaß-

te. –

Wyatt ging hinüber in den Santa Cruz Saloon.

Der war um diese Stunde voll besetzt.

Der Missourer schob sich an die Theke zwischen die Männer. Er suchte ein paar Leute, die einen ehrbaren Eindruck machten.

Links neben ihm lehnte ein alter schmieriger Kerl, der rülpsend in den Thekenspiegel starrte.

Rechts stand ein vielleicht fünfzig-jähriger Mann mit blauem Hemd und enger Lewishose. Er hatte ein von Sonne und Wind gegerbtes Gesicht und helle wache Augen.

»Kann ich einen Augenblick mit Ihnen sprechen, Mister?«

Der Mann wandte Wyatt den Kopf zu.

»Yeah…«, gab er erstaunt zurück.

Wyatt ging mit ihm hinaus auf den Vorbau.

»Mister, können Sie den Bürgerrat zusammenrufen?«

»Den Bürgerrat?« kam es verwundert von den Lippen des anderen. »Jetzt, in der Nacht?«

»Yeah, jetzt in der Nacht.«

»Aber weshalb denn?«

Wyatt nahm seinen Stern aus der Tasche. »Mein Name ist Earp. Wyatt Earp. Ich habe den Männern vom Bürgerrat etwas mitzuteilen.«

»Wyatt Earp? Der Marshal von Dodge…?«

»Yeah.«

Der Mann reichte ihm die Hand hin.

»Ich bin Joseph Kenan. Drüben der Corral gehört mir. Well, Mister Earp, ich werde den Bürgerrat zusammenrufen.«

»Noch eine Bitte: Sagen Sie den Männern noch nicht, wer ich bin.«

»Well, sicher haben sie Ihre Gründe dafür, Marshal.«

»Ganz sicher!«

Kenan machte sich davon.

Und einige Minuten später schrillte der blecherne Klang der City Hallglocke durch die Nacht.

Es dauerte eine knappe halbe Stunde, bis sich etwa ein Dutzend Männer vor dem Stadthaus eingefunden hatten.

Kenan forderte die Männer auf, ins Haus zu gehen.

»Es ist ein Marshal da, Männer, der uns etwas zu sagen hat.«

»Ein Marshal?«

»Woher denn?«

»Wer denn?«

»Jetzt, in der Nacht?«

»Was ist denn passiert?«

So schwirrten die Fragen durcheinander.

»Das werdet ihr alles erfahren. Kommt in die City Hall, Leute!« rief Kenan.

Lamentierend betraten die Bürgerratsmitglieder das Stadthaus.

Als der letzte die Tür hinter sich zuzog, trat Wyatt Earp durch den Hof-eingang in den großen Raum.

Die Männer sahen ihm fragend entgegen. Damned, hatten sie den hochgewachsenen Fremden nicht schon gesehen? Doch, er war doch gestern morgen so abgerissen, blutig und halbverschmachtet in die Stadt gekommen.

Kenan hob den rechten Arm.

Ruhe trat ein.

»Leute, dieser Mann ist Wyatt Earp. Ihr kennt ihn. Er hat uns…«

Lautes Stimmengewirr.

»Ruhe, bitte!« forderte der Corralowner. »Der Marshal hat uns etwas zu sagen.«

Da trat ein schwerleibiger, untersetzter Mann mit verkniffenem Gesicht vor.

»Er will Wyatt Earp sein? Daß ich nicht lache! Wyatt Earp ist wenigstens zehn Jahre älter. Mein Bruder Jim hat ihn damals in Wichita gesehen, wie er gegen Mannen Clements kämpfte. Ich sage euch, Männer, wenn der da Wyatt Earp ist, bin ich Doc Holliday!«

Schallendes Gelächter erfüllte den großen Raum.

»Er ist Wyatt Earp!« rief Kenan dröhnend. »Er hat mir seinen Stern gezeigt.«

»Seinen Stern?« meinte der feiste Wilkins. »Wer weiß, woher der Bursche den Stern hat!«

»Ich finde, wir sollten den Mann wenigstens anhören!« meinte der bärtige Schmied.

»Nichts da!« belferte der Feistling. »Ich habe den Burschen gestern in die Stadt kommen sehen…«

»Ich auch«, warf der Blacksmith verärgert mit seiner dröhnenden Baßstimme ein. »Was ändert das? Er soll sprechen!«

»Wenn wir jeden Strolch, jeden Tramp und jeden Banditen hier zu Worte kommen ließen, würde es sehr bald schlecht um die Stadt bestellt sein!« zeterte der Dicke.

Ein riesiger Mensch mit knochigem Schädel schob sich nun neben den Dicken.

»Wilkens hat recht, Männer, wo kämen wir hin! Schmeißt den Kerl raus!«

»Yeah!« bellte der feiste Wilkins, »rauswerfen!«

Da trat der riesige Hotkins vor den Missourier hin.

Der Dicke feuerte ihn noch an. »Gib’s ihm, Hotkins!«

Der Hüne knurrte, während er seine Fäuste in die Hüften stemmte.

»Du hast gehört, was die Männer sagen. Verschwinde also, wenn du nicht willst, daß ich dich zusammenstauche!«

Der Marshal sah an Hotkins vorbei auf die anderen Männer. Dann wandte er sich an Kenan.

»Wer ist der Vertreter des Bürgermeisters?«

»Der bin ich!« trompetete der dicke Wilkins.

»Ganz so habe ich mir das nicht vorgestellt«, erklärte Wyatt, dann trat er einen Schritt zur Seite, ließ Hotkins stehen und fuhr fort: »Männer, Mister Kenan hat euch gesagt, daß ich euch eine Mitteilung zu machen habe!«

»Du hörst anscheinend nicht gut, Tramp!« belferte Hotkins, wobei er seine Rechte um den linken Unterarm des Missouriers schnappen ließ.

Wyatt schüttelte die Hand ab und sah den Hünen scharf an.

»Lassen Sie Ihre Hände bei sich, Mister! Also, Männer, ich…«

Hotkins hatte Wilkins einen raschen Blick zugeworfen und stürzte sich dann auf den Marshal.

Wyatt federte zur Seite und riß einen linken Haken zum Schädel des Riesen.

Hotkins stand. Er stand wie ein Baum.

Aber die Arme hingen ihm schlaff herunter. Der Schlag hatte ihn schwer durchgeschüttelt, vermochte ihn aber nicht zu fällen.

Wyatt ließ ihm Zeit.

Und dann kam der Lange auch schon wieder heran.

Der Marshal stieß ihn mit einer Rechten zurück und mahnte ihn:

»Bleib friedlich, Mann, sonst geht’s dir schlecht.«

Diese Worte reizten Hotkins zur Weißglut. Mit einem Schrei warf er sich dem Missourier erneut entgegen.

Und diesmal blieb er nicht stehen. Der Schlaghagel, der ihn traf, kam so hageldicht und knallhart, daß der lange Hotkins ihn nicht stehend schlucken konnte.

Er sackte in die Knie.

Und dann schoß ein Mann von vielleicht dreißig Jahren nach vorn, er hatte herkulische Schultern und gewaltige Hände.

»Well, Tramp, Hotkins ist ein Schaukelpferd, die Sache erledige ich für ihn.«

Dieser Gegner war keineswegs zu unterschätzen. Wyatt wußte, daß er ihn schnell und eindrucksvoll schlagen mußte.

»Bleiben Sie auf Ihrem Platz, Mister!« mahnte er ihn.

Aber der einstige Schwellenleger Harry Clondyke lachte nur breit und verächtlich.

»Du machst mir Spaß, Tramp. Daß du den Leuten hier erzählen willst, du wärest Wyatt Earp, ist eine Dreistigkeit, für die du bestraft werden mußt. Go on!«

Er senkte den Kopf, um den Gegner zu rammen.

Wyatt machte nur eine halbe Körperdrehung, dann ließ er dem wie ein Geschoß heranschießenden Mann die Rechte mit einem Handkantenschlag ins Genick sausen.

Clondyke stürzte, sprang sofort wieder auf und schüttelte sich wie ein regennasser Hund. Er bleckte die Zähne und feixte.

»Du kanntest den Trick, Tramp, he?«

»Seit Jahren!« entgegnete Wyatt ruhig.

»Du hast trotzdem Pech, denn ich kenne doch ein halbes Dutzend anderer.«

Er sprang wieder nach vorn und nahm Kampfstellung ein, mit angewinkelten Armen und geballten Fäusten.

Wyatt stand da und sah ihn aus eiskalten Augen an.

»Er will mich hypnotisieren. Seht euch das an!« grölte Clondyke.

»Mach ihn endlich fertig, Harry!« zeterte Wilkins ungeduldig. Er wollte in die Kneipe zurück.

»Geht gleich los!« schnarrte Clondyke, während er um den Gegner herumzutänzeln begann.

Dann stieß er plötzlich seine Linke vor. Eine Rechte folgte.

Wyatt hatte den ersten Schritt abgeblockt und dann geschah es: Gedankenschnell zuckte unter der Rechten Clondykes ein linker Uppercut hoch.

Der Schlag traf Harry Clondyke wie der Huftritt eines Pferdes. Er wurde zurückgeschleudert und prallte gegen einen schweren Tisch, den er mit sich zu Boden riß.

Langausgestreckt lag er an der Erde und regte sich nicht mehr.

Lähmendes Schweigen herrschte in der City Hall von Whiteface.

Wyatt wandte sich an die Männer und sagte, als ob nicht das geringste geschehen wäre:

»Ich habe euch also etwas mitzuteilen, Leute!« Und dann berichtete er, was sich seit dem vergangenen Vormittag ereignet hatte.

Plötzlich flog der große sechskantige Buntline Special in die Linke des Missouriers.

»Warten Sie noch, Mister Wilkins. So eilig haben wir es nicht. Wir gehen alle zusammen!«

Der feiste Mensch hatte sich tatsächlich schon zur Hoftür geschlichen, um sich davonzumachen. Einige andere waren ihm bereits gefolgt.

Wie angenagelt standen sie jetzt da.

»Nehmt euren zweiten Mayor in die Mitte, Männer, wie es sich gehört!« rief Wyatt, »und dann werden wir gemeinsam zum Haus des Doktors gehen.«

So geschah es.

Mit entsetzten Augen starrten die Männer auf den toten Arzt.

Wutschreie wurden laut.

»Wenn Burns das tatsächlich gemacht hat«, brüllte Kenan, »dann wird er morgen hängen!«

Wilkins stampfte in den Behandlungsraum. Ohne einen Blick auf den Toten zu werfen, erklärte er:

»Laßt euch nicht heiß machen, Leute. Wer sagt uns denn, daß dieser Fremde die Wahrheit spricht. Das muß erst alles gründlich untersucht werden. Burns ein Mörder! Lächerlich. Er ist unser Sheriff, und wir denken nicht daran, uns ihn von einem hergelaufenen Fremden…«

Wyatt war dicht an ihn herangetreten.

»Mayor – heißen Sie zufällig Jack mit Vornamen?«

»Yeah…«, stotterte Wilkins und erbleichte jäh.

»Thanks, das genügt mir.«

Es war wieder nur ein auf-den-Busch-klopfen gewesen. Aber auch diesmal trog den Marshal seine Ahnung nicht.

Wilkins hatte plötzlich nichts mehr zu sagen. Im Gegensatz, er ließ die anderen reden und suchte erneut den Weg ins Freie, den ihm der Marshal aber verstellte.

»Nur keine Hast, Wilkins. Wir haben noch mehr miteinander zu besprechen. Und vor allem muß alles wirklich gründlich untersucht werden. Ganz wie Sie es gewünscht haben.«

»Ich weiß gar nicht, was Sie eigentlich von mir wollen, Mister…«

»Earp! Merken Sie sich den Namen, Mister Wilkins, ich fürchte, es wird der letzte Name sein, den Sie sich merken müssen.«

»Was soll das heißen?«

»Daß ich Sie für einen Verbündeten Cornwalls halte. Daß auch Sie ein

Outlaw sind, Mister Jack Wilkins.«

Der Dicke taumelte zurück.

Die Szene am Hofeingang war von den anderen nicht beobachtet worden, die sich um den Toten geschart hatten.

»Was haben Sie gesagt…?« brach es tonlos von den wulstigen Lippen des Feisten.

»Ich habe gesagt, daß Sie ein Outlaw sind. Ein ganz gemeiner, dreckiger Bandit!«

Die Augen schienen Wilkins aus den Höhlen quellen zu wollen. Fingerdick schwoll eine Ader auf seiner Stirn an. Große Schweißperlen rannen ihm in die Brauen.

Ächzend lehnte er an der Tür.

»Was hast du gewagt, Mensch…«, röchelte er.

Wyatt packte ihn mit einem schnellen Griff und zog ihn zu sich heran.

»Sei sehr vorsichtig mit deinen Äußerungen, Dickwanst. Ich kann verdammt ungemütlich werden.«

*

Der Arzt wurde ins Totenhaus gebracht.

Cornwall, Burns und der junge Braddock kamen in dieser Nacht nicht zurück.

Am nächsten Morgen herrschte eine gedrückte Stimmung in der Stadt.

Schon gegen neun standen sie in den beiden Schenken und diskutierten die Ereignisse.

Vor allem Wilkins war da und schwang große Reden. Das heißt, er versuchte, die Männer auf seine Seite zu reißen. Hotkins und Clondyke standen hinter ihm. Und tatsächlich gelang es dem feisten Mann, eine Reihe anderer Männer von seiner Ansicht über die Dinge zu überzeugen.

Am Nachmittag gab es zwei Parteien in der Stadt.

Und die Partei, die zu Wilkins stand, war nicht die kleinere.

Cornwall, Burns und Braddock waren immer noch nicht zurückgekehrt.

Gegen sieben Uhr abends betrat Wyatt Earp das Haus des alten Braddock.

Die Tür stand offen.

Der Marshal sah die Gestalt des Blinden am Ende des Flurs vor der offenen Hoftür stehen.

»Mister Braddock, kann ich einen Augenblick mit Ihnen sprechen?«

Ganz langsam wandte sich der Mann um.

»Wyatt Earp…?« entfuhr es ihm.

»Yeah!«

Der Blinde preßte die restlichen Zähne knirschend aufeinander.

»All right, Marshal, kommen Sie herein.«

Wyatt ging mit ihm in die Wohnstube.

Der Blinde blieb stehen.

»Setzen Sie sich, Mister Stapp – wollte sagen, Mister Earp.«

Wyatt blieb stehen. »Wo ist Ihr Sohn, Braddock?«

Die Lippen des Greises bebten.

»Ich weiß es nicht. Ich weiß es so wenig, wie ich weiß, wer Sie sind, Mister.«

»Sie wissen sehr gut, wer ich bin, Braddock.«

»Jack Wilkins ist da ziemlich anderer Ansicht, Mister.«

»Das will ich Ihnen gern glauben, Braddock, denn Wilkins hat eine Menge Gründe, an der Hoffnung festzuhalten, daß ich nicht Wyatt Earp bin.«

»Sie haben sich mir als Stapp vorgestellt.«

»Yeah. Wenn ich nämlich noch früher meinen wirklichen Namen genannt hätte, wäre das Trio vermutlich gewarnt worden, und hätte sein Unwesen weiterhin treiben können. Ernest Burns hat Doc Flaubert ermordet. Mit dieser Tat hat er nicht nur sich selbst verraten und gebrandmarkt, sondern auch den ganzen Ring aufgedeckt.«

»Den ganzen Ring?«

»Yeah. Ich überlege mir nur, ob Sie auch dazugehören, Braddock?«

Der Greis zog die Brauen zu einem einzigen Strich zusammen. Das Zittern lief jetzt über seinen ganzen Körper.

»Ob – ich – auch dazugehöre?« stieß er hervor. »Mister Earp, ich habe von dem Augenblick an, da ich Ihre Stimme hörte, gewußt, daß Sie nicht irgendwer sind. Ich habe gespürt, daß da etwas Dunkles auf uns zukommt.«

»Auf uns?«

»Auf Gil. Und Gil ist mein Sohn. Ich habe es gespürt an Ihrer Stimme und an Ihrem Schritt und an der Bestimmtheit Ihres Handelns. Und wenn ein Mann mit einem Schläfenstreifschuß von den Kaktusfeldern bis in die Stadt reitet und sich auch dann noch keine Rast gönnt, dann weiß ich genug.«

»Und trotzdem haben Sie versucht, mich mit dem Stock niederzuschlagen?«

Ein konvulsivisches Zucken lief durch den Körper des Greises. Er stützte sich mit der Linken auf die Tischplatte und schrie:

»Er ist mein Sohn.«

Lange hallte der Schrei durch den Raum. Leiser, mit fast gebrochener Stimme fuhr der Greis fort:

»Sie sind noch jung, Marshal. Sie wissen nicht, was das heißt, einen Sohn zu haben, der mißraten ist. Nein, das können Sie nicht verstehen. Sie sind ein Gesetzesmann und tun Ihre Pflicht.« Sein Kopf sank auf die Brust hinunter. »Und ich bin der Vater eines Verbrechers.«

Wyatt Earp verstand den Mann besser als er ahnte. Aber er mußte seiner Pflicht nachkommen. Von Sentimentalitäten durfte er sich nicht leiten lassen. Vor allem dann nicht, wenn er von dem Menschen, der vielleicht jetzt Mitleid erwartete, noch so schwer bedroht worden war.

»Sagen Sie mir, wo Ihr Sohn ist, Mister Braddock.«

Die Brust des Greises hob und senkte sich.

»Ich weiß es nicht.« Und dann schrie er gellend: »Ich – weiß – es – nicht!«

Der Marshal mußte sich unbeeindruckt geben. »Denken Sie darüber nach, Braddock. Sie haben Zeit. Ich werde wiederkommen, und dann geben Sie mir eine Antwort.«

Auch mit dem anderen Arm hatte sich jetzt der Blinde auf den Tisch gestützt. Tief hing der Kopf zwischen den Schultern.

Wyatt Earp ging hinaus.

*

Der alte Hampton saß im Office, als Wyatt zurückkam. Er hatte das geladene Schrotgewehr noch immer in der Hand. Erwartungsvoll sah er dem Marshal entgegen.

Wyatt schüttelte den Kopf. »Es ist immer noch nichts. Gehen Sie jetzt nach Hause. Ich werde die Wache bis zum Morgen übernehmen.«

»All right, Marshal«, meinte der Alte und machte sich davon.

Zwei Frauen hatten den Männern im Jail Essen gebracht. Als sie gegangen waren, schloß Wyatt das Bureau von außen ab.

Wenige Minuten später war er in der Parallelstraße und schwang sich über den Hofzaun.

Lauschend kauerte er sich im Dunkeln nieder.

Etwa zwölf Yards vor ihm lag der Gefängnistrakt.

Nachdem der Marshal sich davon überzeugt hatte, daß sich niemand im Hof befand, sprang er an das Wagendach und zog sich hinauf. Da robbte er langsam vorwärts auf das Haus zu und blieb so liegen, daß er, von der Dachkante geschützt, durchs Fenster ins Office blicken konnte. Er sah sogar das untere Ende der Gittertür, hinter der die drei Tramps steckten.

Stunde um Stunde verrann. Der Mond zog herauf und stand wie eine gelbleuchtende Scheibe am blau-schwarzen Nachthimmel. Ein Geruch von verbranntem Holz, von aufgelöster Farbe und Dachteer erfüllte die Luft. Bewegungslos wie ein Stein lag der Missourier auf dem Dach und beobachtete den Hof und das Office.

Da, gegen elf Uhr drang ein Geräusch an Wyatts Ohr. Jemand versuchte, die Fenz zu übersteigen.

Wyatt rührte sich auch jetzt noch nicht. Im linken Augenwinkel sah er den Mann, der jetzt in den Hof gesprungen war und lauschend stehenblieb. Dann, als er alles still glaubte, huschte der Eindringende in den Schutz des Wagendachs.

Hier konnte ihn Wyatt nicht mehr beobachten. Er lauschte dem Ge-räusch seiner Schritte nach.

Auf einmal blieb der Mann stehen. Wyatt blickte scharf über die Dachkante hinweg in den Hof.

Sollte der Mann ihn entdeckt haben? Das war fast ausgeschlossen. Dennoch hatte Wyatt den Revolver in der Hand.

Da, unten wurde eine Stiefelspitze auf dem gelben Sand sichtbar.

Dann tauchte der Hut des Mannes auf. Ganz langsam schob er sich aus dem Schlagschatten des Wagendaches hervor.

Wyatt fixierte die Entfernung, dann federte er hoch und sprang. Schwer prallte er auf den Mann und riß ihn zu Boden.

*

Die drei Outlaws staunten nicht schlecht, als sie plötzlich Gesellschaft bekamen.

Vier Männer steckten jetzt im Jail von Whiteface.

Und immer noch nicht waren die Mörder Cornwall und Burns darunter.

Auch Gil Braddock war noch nicht dabei.

Wyatt Earp lag wieder auf seinem Beobachtungsplatz und wartete. Und nicht vergebens.

Gegen ein Uhr wurde hinten das Tor geöffnet.

Der Marshal erkannte sofort die vierschrötige Gestalt des Sheriffs.

Burns machte nicht allzuviel Umstände. Er schloß das Tor ab und ging auf den Hauseingang zu.

Als er die Tür öffnete, sprang Wyatt in den Hof.

Ernest Burns war zusammengezuckt. Unbeweglich stand er an der Tür und drehte sich nicht um.

»Hands up, Mister Burns!«

Ganz langsam krochen die Hände des Mörders hoch.

Wyatt kam näher. Als er den Mann fast erreicht hatte, fuhr der plötzlich herum.

Aber er hatte mit seinem Backhander keinen Erfolg.

Wyatt wuchtete ihm einen krachenden, rechten Haken auf die Brust, genau auf die Herzspitze.

Der Bandit fiel nach vorn in den Hof.

Der fünfte Mann steckte im Jail.

Und der Wolf, der die Ratten da nächtens jagte, lag wieder auf der Lauer.

Aber die Vorstellung war schon beendet.

Gilbert Braddock, der an der nächsten Gassenecke auf Burns gewartet hatte, zog sich eiligst zum Stadtrand zurück, wo die beiden Pferde standen.

Der große Coup des gesetzlosen Sheriffs war mißglückt.

*

Einsam zog der Mond weiter auf seiner Bahn. Draußen in der Steppe heulten die Schakale und irgendwo in einem Hof antwortete ein Hund.

Der Missourier hatte seinen Posten auf dem Dach verlassen und legte sich im Jail auf die Pritsche.

Stumm lagen die Gefangenen auf ihren Lagern und starrten mit weit offenen Augen gegen die Decke.

Ernest Burns wußte immer noch nicht, wer der Mann war, der ihn gestellt hatte. Die anderen waren zu träge, es ihm zu sagen. Zu träge und zu niedergeschlagen. Nachdem sie gesehen hatten, daß der Dodger Marshal jetzt auch noch den Sheriff gebracht hatte, war ihre Stimmung weit unter den Nullpunkt gesunken.

*

Als der Morgen fahl über den Horizont kroch, kam von Westen her ein Reiter in die Stadt. Es war ein hochgewachsener Mann, der einen schwarzen, breitrandigen Mexikanerhut und eine braune Felljacke trug. Er hatte ein verwegenes dunkles Gesicht und grünlich schimmernde Augen. Breit und eckig schob sich das Kinn nach vorn. Vor Bleeborns Schmiede verhielt er sein Pferd und rutschte aus dem Sattel seines Fuchses.

Jetzt, als er auf das Tor der Schmiede zuging, sah man, daß er einen leichten X-Gang hatte. An jeder Seite seiner Oberschenkel baumelte ein großer Colt vom Kaliber Western 44. In der Rechten hielt er ein Sharpsgewehr, mit dessen Kolben er gegen das Tor der Schmiede hämmerte.

Bleeborns Frau öffnete oben ein Fenster. Sie wollte ihrem Ärger über die frühe Störung schon durch ein unwilliges Wort Luft machen, als sie erschrocken zurückfuhr.

»Jeff, steh auf. Bronco Bill ist unten.«

Der Mann fuhr auf. »Was sagst du?«

»Yeah, es ist Bronco Bill.«

»Du hast geträumt, Frau…«

In diesem Augenblick krachte unten der Gewehrkolben wieder gegen das Tor.

Der Blacksmith rannte ans Fenster.

»Hallo, Mister Heeth, Sie sind’s. Ich komme sofort.«

»Hoffentlich«, kam die Stimme des Reiters unwillig zurück.

Die Frau schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

»Bronco Bill! Was will er in der Stadt? Als er das letztemal hier war, mußten sie hinterher vier Tote zum Graveyard bringen.«

Bronco Bill sah dem Schmied grinsend entgegen.

»He, alter Eisenbändiger, der Fuchs braucht einen neuen Schuh, vorn links.«

»Yeah«, beeilte sich der Blacksmith zuzustimmen und erhielt im gleichen Augenblick einen fürchterlichen Fußtritt von dem Reiter, der ihn bis in die Hälfte seiner Werkstatt zurückschleuderte.

»Vorwärts, Dreckskerl! An die Arbeit, du weißt, daß ich keine Lust habe zu warten. Ich gehe rüber zu Ric. Wenn du fertig bist, sagst du mir Bescheid.«

Der Keeper Ric Holden wurde auf die gleiche Art geweckt wie ein paar Minuten vorher der Blacksmith. Aus schlaftrunkenen Augen sah er den frühen Gast an.

»Ach, Sie sind’s, Mister Heeth! Well, was darf es denn sein?«

»Verstell dich nicht, alte Vogelscheuche! Bring mir einen Whisky.«

Bronco Bill ließ sich auf einen Stuhl nieder und legte seine Füße auf den Tisch.

»Soll ich nicht lieber einen Kaffee machen lassen, Mister Heeth?« erkundigte sich der Keeper.

Da schleuderte der Mexikaner einen Aschenbecher nach ihm.

»Verschwinde, du Bastard, und hole mir endlich den Whisky.«

*

Um sieben Uhr gab es niemanden mehr in der Mainstreet, der nicht wußte, daß Bronco Bill in die Stadt gekommen war. Niemanden außer Wyatt Earp und den Gefangenen.

Schwitzend machte sich gegen acht Uhr der feiste Wilkins auf den Weg zur Gold West Bar. Als er über die Schwingarme der Pendeltür linste, sah er Bronco Bill in der schon beschriebenen Stellung vor der Theke sitzen.

Der Keeper winkte dem Feisten zu, draußen zu bleiben.

Aber Wilkins schüttelte den Kopf und deutete auf Bronco Bill.

Der Keeper zog verzweifelt die Augenbrauen hoch.

»Was schneidest du für Faxen, alter Schnapspanscher?« fauchte ihn der Kreole an. »Hör zu, Junge: Mein Vater war ein Texaner und meine Mutter eine Mexikanerin; von ihm habe ich die Schnelligkeit und von ihr die List.«

Und plötzlich stand er da, und der Revolver in seiner Rechten wies auf den Eingang, genau auf den massigen Schädel des dicken Wilkins. Große Schweißperlen standen auf Wilkins’ Stirn. Das Herz schlug ihm bis in die Knie. Aber es half nichts, er mußte in den Schankraum. Er mußte mit diesem Mann da sprechen, koste es, was es wolle.

Mit vor Angst angehaltenem Atem trat er näher. Die Pendeltür schlug ihm ins Kreuz.

Wilkens zuckte zusammen. »Könnten Sie nicht vielleicht den Revolver herunternehmen, Mister Heeth?«

»Was will diese Qualle denn?« gab der Kreole spöttisch zurück, während er seinen Revolver ins Halfter schob.

Wilkins kam noch ein paar Schritte näher.

»Kann ich mit Ihnen sprechen, Mister Heeth?«

Der Kreole hatte sich auf den Stuhl niederfallen lassen und warf die staubigen Stiefel wieder auf den Tisch.

»Jetzt nicht, du siehst doch, daß ich frühstücke, Mensch! Komm in einer halben Stunde wieder.«

Zitternd verließ der Second Mayor den Schankraum. Und Holden hinter der Theke atmete auf.

Kaum war die halbe Stunde vergangen, als Wilkins wieder auftauchte. Er schob sich vorsichtig und hüstelnd an den Tisch des Kreolen heran, nahm seinen Hut ab und verharrte in einer steifen Verbeugung.

»Komm zu dir, Fettwanst.«

Wilkens erblaßte. Stotternd erklärte er:

»Mister Heeth, ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.«

»Einen Vorschlag?« forschte der Kreole mißtrauisch. »Drück dich in Zahlen aus, Mensch.«

Wilkens sah sich nach allen Seiten um. Dann hauchte er:

»Fünfhundert.«

Heeth ließ seine Faust auf den Tisch niederfallen.

»He, für den frühen Morgen finde ich das ziemlich happig. Ihr seid doch sonst so geizig, ihr Halunken hier in diesem Drecknest.«

»Fünfhundert, Mister Heeth«, wiederholte der Dicke mit schwankender Stimme. Und dann fragte er sofort:

»Sind die anderen auch da?«

»Wenn du Pinky Jordan und Jonny Havelock meinen solltest, Dickwanst, die sind auch da. Das heißt, sie müssen jeden Augenblick kommen. Keeper, sieh nach, ob du ihre Pferde draußen irgendwo siehst.«

»Um so besser, wenn sie da sind«, meinte Wilkins.

»Um was geht’s denn?« wollte der Kreole wissen. »Ihr Brüder seid doch sonst froh, wenn ich eurem Nest möglichst schnell den Rücken gekehrt habe.«

Als der Keeper die Schenke verlassen hatte, trat Wilkins rasch ein paar Schritte näher und zischelte hastig:

»Tausend Bucks, Bronco Bill! Tausend!«

Der Kreole fegte mit dem Gewehrkolben sein Glas vom Tisch.

»Bist du vielleicht übergeschnappt, Alter?« fragte er mit zusammengekniffenen Augen und vorgeschobenem Kinn.

»Nein, aber es ist ein Mann in der Stadt, der gefährlich ist.«

»Ah, ein Kollege von mir?« fragte der berüchtigte Bandit lauernd.

»Ein Kollege? Nein.«

»Ein Revolvermann?«

»Nein, auch nicht.«

Verächtlich erklärte der Verbrecher. »Na, was gibt’s denn sonst noch zu fürchten hier?«

Wilkins schluckte, wie ein Hund, der an einem zu großen Bissen würgt.

»Es ist ein – Verrückter.«

Heeth kniff die Augen noch enger zusammen.

»Ein Verrückter?«

»Yeah. Ein Geistesgestörter. Er legt sich die unmöglichsten Namen zu. Ein Trader hat ihn in Morton gesehen. Da hat er sich als Abraham Lincoln ausgegeben.«

»Von Morton komme ich gerade«, erklärte der Bandit.

»Äh, dann war’s in Blueberry, ist ja auch unwichtig. Hier jedenfalls kam der Kerl auf den Gedanken, sich als Wyatt Earp auszugeben.«

Beim Klang dieses Namens flog ein Schatten über das Gesicht des Banditen.

»Als Wyatt Earp?« fragte er wieder mit dem lauernden Ton in der Stimme.

»Yeah, er kam völlig zerlumpt mit einer Stirnwunde und halberschmachtet in die Stadt und hat innerhalb von vierundzwanzig Stunden einen Wirbel aufgezogen, wie ihn

Whiteface noch nicht erlebt hat. Er hat behauptet, daß unser Mayor ein Mörder sei…«

»Ausgeschlossen ist so etwas ja nicht«, gab der Desperado zurück.

»Er behauptet ferner, daß der Sheriff ein Mörder sei.«

Auch dieser Trumpf verfing nicht bei dem Banditen.

Im Gegenteil. Er nickte eifrig.

»Das ist sogar sehr wahrscheinlich. Ich kenne zwar euren Sheriff nicht, aber wenn ich nur einen Kerl mit einem Stern sehe, kriege ich schon zuviel.«

Wilkens lächelte gequält.

»In unserem Fall liegt das natürlich etwas anders. Unser Mayor und auch unser Sheriff sind ehrbare – also, ich meine…« Er schluckte verzweifelt, weil er spürte, daß er sich angesichts des Banditen mehr und mehr verhaspelte.

»Also, quetsch dich schon aus, Dicker!« knurrte Heeth ungehalten. »Für was wollt ihr Strolche tausend Greenbucks ausspucken, he?«

Wilkins kam näher und brachte sein erhitztes schweißiges Gesicht an den Desperado heran. So, als verkündete er dem anderen ein streng gehütetes Staatsgeheimnis, flüsterte er, während er sich noch einmal vergewissernd nach dem Eingang umsah:

»Der Mann muß verschwinden!«

»Hör zu, Brother, du verkennst mich!« entgegnete der Outlaw. »Ich bin kein Mörder, den man für Geld irgendwohin bestellen kann. Ich bin Bronco Bill, der Rebell! Verstehst du? Ach, nicke nicht, Schafskopf, du verstehst gar nichts. Ich bin ein Widerstandskämpfer, gegen alles Unterdrückertum. Und ein Mann mit einem Stern ist ein Unterdrücker. Trägt der Bursche, der euch Kerlen im Magen liegt, einen Stern?«

»Nein – aber – aber er soll einen Stern in der Tasche bei sich tragen. Kenan hat ihn gesehen. Er kann es beschwören. Yeah, vielleicht ist dieser Mann tatsächlich ein Sheriff. Vielleicht ist er sogar wirklich Wy…«

Mit einem Ruck hatte sich der »Rebell« erhoben.

»Was faselst du da zusammen? Erst ist der Bursche ein Wahnsinniger, und jetzt hältst du es gar für möglich, daß er Wyatt Earp ist. Du mußt verrückt sein, du gemästeter Hammel! Scher dich zum Teufel.«

Wilkins wich zurück. Aber an der Tür zischelte er:

»Ich werde herausfinden, ob er tatsächlich ein Marshal ist! Und dann komme ich wieder. Mit den tausend Bucks!«

Das rollende Lachen des »Rebellen« folgte ihm.

Vor dem Santa Cruz Saloon rutschten nun gerade zwei Reiter aus dem Sattel.

Der eine war klein, kurzbeinig und hager. Er hatte einen wahren Geierkopf mit stechenden Augen. Seine Kleidung war die eines Savannenläufers. Er trug einen vierundvierziger Revolver, und in der Rechten hielt er ein Sharpsgewehr, genau wie Bronco Bill.

Dieser Mann war Pinky Jordan.

Der andere Mann war lang, ebenfalls hager, hatte einen schlaksigen Gang, einen dürren knochigen Körper, und auf einem unglaublich langen Hals schaukelte ein winziger Schädel, der einem kleinen Schimpansen zu gehören schien. Auch er trug wie Jordan und Heeth ein Gewehr in der Rechten, als er auf den Salon zustiefelte.

Holden hatte die beiden mit Unbehagen beobachtet.

»Sie sind da!« rief er in die Schenke. »Wer…?«

»Jordan und Havelock, Mister Heeth!«

Der Rebell kam heraus und ging, ohne zu zahlen, quer über die Straße, das Gewehr in der Rechten.

Sie sahen gefährlich aus, die drei Männer, deren Boß sich Rebell nannte.

Sehr gefährlich sogar.

Und sie waren es auch. Bronco Bill, der Kreole aus Villagena an der mexikanischen Grenze, war einer der gefürchtesten Banditen der Gegend zwischen dem Rio Grande und dem Canadian. Sein Sternträger-Haß war weithin bekannt; aber er raubte, plünderte und mordete auch dort, wo es keinen Stern gab. Der grünäugige Jerry Heeth war einer aus dem Heer jener Menschen, die nach dem großen Krieg nicht mehr zurück ins normale Leben hatten finden können. Seit vierzehn Jahren zog dieser Mann zusammen mit seinen beiden seltsamen Partnern durch das Land und ließ überall seine unverwischbaren Spuren zurück. Schon seit Jahren wurden in Texas, New Mexico und sogar in Oklahoma Steckbriefe nach den dreien ausgegeben. Vergebens! Bronco Bill war nicht zu ergreifen. Er schien ein sicheres Gefühl dafür zu haben, wo Gefahr auf ihn wartete und wo er sicher war.

Aber das Gesetz drang immer weiter vor, im stetigen Marschschritt. Wenn es auch hier unten im westlichen Texas noch keinen rechten Boden hatte, so wurde es doch immer schwieriger für Heeth, sein wildes Leben fortzusetzen. Heute war er schon so weit, daß er sich an Städte wie dieses weltvergessene Whiteface wendete. In Städten wie Lubbock, Midland, San Angelo und Amarillo konnte er sich nicht mehr sehen lassen. Da hatten die Sheriffs drei und oft vier und fünf Deputys, die ihm seine Coups schwermachen konnten.

Deshalb trieb er sich schon seit einiger Zeit dicht am Rand des Llano herum.

Spürte er den Krebsgang nicht?

Merkte er nicht, daß er immer weiter zurückweichen mußte, so weit, daß er eines Tages in der Wüste saß, wohin ihm vielleicht niemand mehr folgen würde?

Er war eine Gefahr, eine dreifache Gefahr mit seinen Partnern. Und in der Methode seiner Coups war er alles andere als wählerisch. Er kam, raubte, plünderte und ritt weiter.

Ein Wüstenbandit.

Ein Mann, der nicht merkte, daß seine Zeit zu Ende ging.

Deshalb aber doppelt gefährlich, rücksichtslos und brutal. Das war Bronco Bill.

Tausend Bucks! Damned, das wäre eine Summe gewesen, die er jetzt gebrauchen konnte.

Die letzte Bank hatte er vor drei Jahren unten in Marfa überfallen. Das war eine blutige Sache gewesen. Jordan hatte einen Hüftschuß davongetragen, und der lange Havelock humpelte heute noch von dem Schuß, der ihn am Kniegelenk erwischt hatte. Nur er selbst, der Anführer der Dreierbande, war heil aus dem höllischen Gefecht herausgekommen.

Zwei Tote hatten in Marfa vor dem Bankhaus auf der Straße gelegen…

Tausend Bucks!

Heeth rieb sich das Kinn.

»Damned, das wäre nicht schlecht«, flüsterte er tonlos vor sich hin. Er beschloß, der Sache nachzugehen. Aber vorerst wollte er sich einmal stärken.

Und wie dieses Stärken bei ihm aussah: Er trank eine volle Flasche und ging immer noch fast aufrecht in das Nebenzimmer, wo er sich auf ein Sofa niederfallen ließ und sofort einschlief.

Er war ein Trinker, der Desperado Jerry Heeth.

Gegen Mittag entdeckten die beiden Genossen, die dem Alkohol keineswegs sparsam zugesprochen hatten, das Pferd ihres Anführers vor der Golden West Bar.

Es hatte zwar neue Hufeisen und war abgesattelt und in den Schatten gestellt worden.

Sein Herr lag oben im Nebenzimmer der Schenke und schnarchte, als gelte es, eine der kalifornischen Riesentannen bei Sacramento abzusägen.

»Bill!« grölte Pinky näselnd.

»Yeah!« kam es schlaftrunken aus dem Nebenraum.

Die beiden Desperados hatten sofort die Gewehre schußbereit und zwar so, daß der eine mit dem Rücken gegen den anderen stand.

Heeth kam ihnen immer noch schwankend entgegen.

Havelock war noch halbwegs nüchtern.

»Schlaf dich aus, Bill. Ich nehme die Wache!«

*

Gegen drei Uhr am Nachmittag hatte der Desperado ausgeschlafen. Er wusch sich draußen im Hof am Brunnen und war frisch, als er in die Schenke zurückkam.

»Wie sieht’s mit dem Essen aus, Keeper?«

»Ich habe drei Steaks in der Küche bestellt, Mister Heeth!« beeilte sich Holden zu erklären.

»Dein Glück, alter Halunke!«

Bronco Bill durchmaß die leere Schenke mit dröhnenden sporenklirrenden Schritten und trat dann auf den Vorbau.

Da saß Havelock in einem Schaukelstuhl und hatte das Gewehr quer über den Beinen liegen.

Pinky saß auf der anderen Seite der Tür und blinzelte in die Sonne.

In diesem Augenblick kam aus einer Seitengasse der dicke Wilkins gelaufen.

»Mister Heeth! Mister Heeth!« rief er schon von weitem. »Warten Sie noch einen Augenblick, ich komme gleich.«

»Hast du herausgebracht, wer der Kerl wirklich ist?«

Der Fettwanst wischte sich den Schweiß von der Stirn und schüttelte entrüstet den Kopf.

»Ich kann doch nicht hexen. Schließlich mußte ich erst essen…«

»Bis jetzt?«

Der Dicke verzog das Gesicht. »Ich koche schließlich selbst.«

Eine dröhnende Lache war die Antwort.

»Nun sieh zu, daß du dich beeilst, du lebender Fettnapf, sonst machen wir dir Beine.«

Heeth nahm blitzschnell das Gewehr auf und jagte dem Dicken eine Kugel neben die Füße.

Wilkens wurde aschfahl im Gesicht. Er war so erschrocken, daß seine Knie weich wurden.

»Vorwärts!« brüllte Heeth.

Und als sich der Second Mayor umwandte, fetzte ihm der Desperado aus etwa zwanzig Yards Entfernung eine Kugel in den linken Stiefelabsatz.

Der Missourier hatte die Szene beobachtet.

Hampton, der neben ihm am Fenster stand, meinte:

»Phih! Kennen Sie den?«

»No, wer ist das?«

»Schon mal was von Bronco Bill gehört?«

Wyatt sah den Alten forschend an.

»Was denn – dieser Kerl ist Bronco Bill?«

»Yeah, und die beiden anderen sind seine Freunde Pinky Jordan und Jerry Havelock. Der kleine Jordan ist ein besonders gefährlicher Halunke. Das heißt, Havelock ist nicht besser, nur nicht ganz so laut!«

Und da begann der kleine Verbrecher drüben auf dem Vorbau plötzlich ein Trommelfeuer hinter Wilkins herzujagen, daß man sich die Ohren hätte zuhalten mögen.

Schuß auf Schuß peitschte über die Straße.

Die Sharpsflinte spie die Geschosse so rasch aus, daß man hätte glauben können, der Schütze, der sie handhabte, brauche überhaupt nicht durchzuladen.

Eine schwere Pulverwolke kroch vom Vorbau des Golden West Saloon über die Straße.

Wilkins, der direkt aufs Office zugerannt kam, fiel direkt in den Eingang.

»Hilfe, Hilfe!« keuchte er. »Diese Höllenhunde haben es auf mein Leben abgesehen.«

Wyatt Earp sah ihn spöttisch an.

»Erstens glaube ich das nicht – und zweitens wäre es nicht schlimm gewesen. Sie hätten uns eine Menge Arbeit erspart, die Bronco-Bill-Männer.«

»Was soll das heißen?« keuchte der Alte.

In diesem Augenblick hatte er Ernest Burns in der Zelle entdeckt.

»Damned!« entfuhr es ihm. »Ernest, du?«

»Yeah, ich«, knurrte der Sheriff. »Dieser verdammte Kerl da hat mich eingesperrt, wie einen Verbrecher.«

»Wie einen Verbrecher?« wiederholte der Missourer. »Sie sind ein Verbrecher, Burns.«

Das waren die ersten Worte, die Wyatt mit dem gesetzlosen Sheriff seit jenem Abend, an dem er Cornwall und Braddock gebracht hatte, wechselte.

»Sie müssen wahnsinnig sein«, brach da der Sheriff los. »Wer sind Sie eigentlich, daß Sie glauben, sich hier so etwas herausnehmen zu können. Wir werden Sie…«

»Augenblick, Burns. Wer ist ›wir‹?«

»Na, ich, der Sheriff.«

»Nein, Burns, Sie wollten mit ›wir‹ etwas anderes sagen. Sie meinen die anderen von der Gang. Cornwall, Braddock und die anderen.«

Burns wurde um einen Ton bleicher.

»Sie müssen verrückt sein, Mann.«

»Das glaube ich nicht, Burns.«

»Und ich habe Sie gefragt, wer Sie sind, daß Sie sich einbilden, so mit einem Sheriff umspringen zu können.«

»Er sagt, er ist Wyatt Earp«, warf Wilkins da plötzlich ein.

Der verbrecherische Sheriff stieß den Kopf vor.

»Was war das? Das mußt du mir unbedingt wiederholen.«

»Äh, der behauptet, daß er Wyatt Earp ist.«

Da brach Ernest Burns in eine bellende Lache aus.

»Das ist es also. Der Kerl ist verrückt.«

»Ich werde Ihnen raten, mit diesen Ausdrücken etwas vorsichtiger zu sein«, mahnte der alte Hampton seinen Nachfolger.

»Was machen Sie denn, Hampton. Sie sollten sich lieber aus der ganzen Geschichte heraushalten. Ich überlege mir schon stundenlang, wie ich Sie dafür bestrafen soll, daß Sie diesen Irren da Handlangerdienste leisteten.«

Mit zwei raschen Schritten war der alte Sheriff am Zellengitter.

»Hör genau zu, Ernest Burns. Sag mir noch ein einziges Wort, das mir nicht gefällt, dann mach ich die Zellentür auf und schlage dir mit dieser alten Rifle den Schädel ein. Hast du das verstanden?«

»Wilkins, du bist Zeuge«, brüllte Burns, »daß dieser alte Ochse mich hier beleidigt hat.«

Die Geduld des Alten war zu Ende. Er stieß den Schlüssel ins Schloß und öffnete die Tür.

Rasend schnell stürzte Burns auf ihn zu und riß ihm das Gewehr aus der Hand.

»Fahrt zur Hölle alle miteinander!« schrie er mit verzerrtem Gesicht und richtete die Schrotwaffe auf die drei Männer, die vor ihm standen.

Wyatt schoß von der linken Hüfte her.

Er hatte keine andere Chance gehabt. Die Kugel zerschmetterte Ernest Burns das rechte Ellbogengelenk. Ein tierischer Schrei erfüllte den Raum sekundenlang.

Wilkins stürzte torkelnd hinaus. Seine Rechte krampfte sich in seine linke Brust. Er kam bis an den Vorbau heran. Das war zuviel für sein ohnehin durch das Fett so geplagtes Herz. Er rutschte an dem Pfeiler hinunter und sackte in die Knie.

Ernest Burns schwieg. Mit vor Schmerz und Zorn verquollenen Augen stierte er den Missourier an. Hampton hatte ihm die Schrotflinte aus der Hand gerissen.

»Wyatt Earl«, keuchte Burns. Und dann schrie er: »Wilkins. Er ist Wyatt Earp! Sag es den anderen.«

Burns torkelte in die Zelle zurück und sackte auf die Pritsche nieder.

Wyatt sah ihn aus kalten Augen an.

»Wenn Sie den Doktor nicht ermordet hätten, könnte er jetzt kommen, um Ihren Arm zu untersuchen. Aber es gibt keinen Doktor mehr in Whiteface. Sie haben ihn ja umgebracht.«

Ernest Burns rang mit einer Ohnmacht. Ächzend kam es über seine Lippen. »Yeah, ich habe ihn umgebracht, weil er immer gegen uns war…«

»Sie haben es gehört, Sheriff Hampton«, sagte der Missourier dumpf. »Tragen Sie das, was dieser Mann gesagt hat, gleich ein.«

Der Schrei von Burns hatte Wilkins wieder auf die Beine gebracht. Im Schweinsgalopp rannte er über die Straße auf die Golden West Bar zu.

Die drei Desperados standen mit ihren Gewehren da und sahen ihm neugierig entgegen.

»Mister Heeth, Mister Heeth!« japste der fettleibige Mann. »Mister Heeth, er hat den Sheriff angeschossen, und er ist nicht wahnsinnig. Sheriff Burns hat gesagt, daß er Wyatt Earp ist.«

Über Bronco Bills Gesicht huschte wieder der Schatten, und dann stand ein verkrampftes Lächeln um seine Mundwinkel. Sekundenlang sah er Wilkins an. Dann ging er hinunter zu seinem Pferd.

»Kommt, Boys, es ist keine Stadt für uns.«

»Wir erhöhen auf fünfzehnhundert«, geiferte Wilkins.

Da blieb Herry Heeth stehen und wandte langsam den Kopf. Zum Schrecken von Wilkins und zur Verblüffung seiner Freunde sagte er kaltschnäuzig:

»Zweitausend!«

»Das ist zuviel«, keuchte Wilkins.

»Zweitausend, habe ich gesagt.«

Der Dicke sah sich um. Drüben in der Tür des Sheriff Office stand Wyatt Earp. Groß und drohend. Mit vor der Brust verschränkten Armen. Unverwandt blickte er zu Wilkins hinüber. Der warf den Kopf herum.

»All right, zweitausend.«

»Wann?« fragte der Desperado schroff.

Wilkins deutete mit seinem dicken Daumen über die Schulter.

»Sobald der Mann da tot im Sand liegt.«

»Dafür zahlst du tausend an«, forderte der Bandit.

»Nein, das Risiko ist zu groß. Wenn Sie das Geld einstreichen und davonreiten, gucke ich in den Mond.«

»Du bist zu mißtrauisch, Mehlwurm«, versetzte der Desperado. »Aber damit wirst du bei mir nichts. Entweder du zahlst tausend an, oder wir reiten.«

Wilkins sah sich wieder um, und als er den Marshal wieder drüben in der Tür bemerkte, zischte er wie eine Kobra und winkte dem Desperado, ihm in die Schenke zu folgen.

*

Der Dodger Marshal hatte drei neue Feinde bekommen. Feinde, wie er sie sich schlimmer nicht wünschen konnte. Der »Rebell« Bronco Bill hatte ein Handgeld von tausend Dollar genommen, um ihn zu töten. Und wer diesen Mann kannte, wußte, daß er alles daransetzen würde, die andere Hälfte des Geldes an sich zu bringen.

Pinky Jordan, ein ehemaliger Gefangenenaufseher von Fort Worth, der wegen Unterschlagungen und anderen Verbrechen aus dem Straflager verjagt worden war, hatte mehr Steckbriefe in Texas im Umlauf gebracht als sonst irgendein Bandit.

Und Jonny Havelock schließlich schloß das Trio. Er war der Bruder eines bekannten Western-Richters, hatte selbst in Boston Jura studiert und wegen mehrerer finsterer Geschichten in den Westen fliehen müssen.

In St. Louis war er nach einer Schießerei verhaftet worden und vor den Richter gebracht worden. Aber er hatte es verstanden, sich so geschickt aus der Affäre zu ziehen, daß man ihm nichts anhaben konnte. Seit Jahren trieb er sich im Westen herum. Er hatte kaum weniger Dreck am Stecken als die beiden anderen.

Und Bronco Bill pfiff auf dem letzten Loch. Das Netz der Steckbriefe, die ihn seit Jahren jagten, wurden immer engmaschiger.

Zweitausend Dollar! Das war genau das, was er jetzt brauchte.

Im stillen überlegte der Bandit schon, wie er seine beiden Partner abschütteln konnte. Denn daß er nicht mit ihnen teilen würde, stand für ihn fest.

*

Es war Nacht.

Wyatt hatte sich seit einer Stunde wieder auf seinen Dachposten begeben. Er wartete auf Cornwall und Braddock. Wenn sie nicht erfahren hatten, was sie ereignet hatte, würden sie vielleicht versuchen, Burns und die anderen drei herauszuholen.

Und selbst wenn sie erfahren hatten, was geschehen war, war es auch nicht ausgeschlossen, daß sie versuchen würden, das Jail aufzubrechen.

Kurz nach halb elf war ein Geräusch hinten am Tor. Dann schwang sich ein dunkler Körper über die Fenz.

Wyatt wartete. Er hatte Zeit. Er war neugierig, was der Mann im Schilde führte, wie er versuchen wollte, das Office aufzubrechen.

Damned, der Mann holte etwas aus seiner Tasche.

Wyatt strengte seine Augen an. Was hatte der Mann da unten?

Eine brennende Ahnung durchzuckte den Missourier in dem Augenblick, als der Eindringling einen schweren Stein vom Boden aufhob, um ihn gegen eines der Officefenster zu schleudern.

Der Mann war zu weit entfernt, als daß Wyatt ihn im Sprung hätte erreichen können.

Er spannte den Revolverhahn und sagte mit verhaltener Stimme: »Laß den Stein fallen, Boy.«

Der Stein fiel dem Mann vor Schreck aus der Hand.

Wyatt sprang vom Dach.

»Hallo, mein Freund Gilbert Braddock. Hab’ ich mir’s doch gedacht.«

Da riß der Bandit den Arm hoch und wollte den Gegenstand, den er in der Hand hielt, von sich schleudern.

Aber da krachte schon der Revolverlauf hart auf seinen Schädel nieder. Wyatt zerrte dem Outlaw zwei Dynamitpäckchen aus der Hand.

»Hölle! Das hattet ihr euch ja fein ausgedacht. Wenn die, die im Loch sitzen, erst mundtot sind, seid ihr fein raus. Nicht das, come on, Brother!«

Er schleppte den Outlaw ins Jail.

Fünf Gefangene steckten jetzt im Jail von Whiteface.

Der Mörder Cornwall hatte sich nicht blicken lassen. Wyatt vermutete, daß er, der Mayor, der Anführer dieser Gruppe war. Sollte es diesen Leuten tatsächlich nur um den Posten des Sheriffs gehen? Kaum anzunehmen. Wer hatte die Kaktusfelder geschnitten? Und weshalb hatte Billy Black da draußen sterben müssen?

*

Ein neuer Tag war angebrochen. Die Sonne, die im Osten über den Horizont stieg, warf orangerot flammende Strahlenbündel in die Mainstreet von Whiteface.

In der Dachkammer der City Hall richtete sich der Mann auf, der da auf einigen Decken übernachtet hatte.

Es war Jubal Cornwall, der Mayor von Whiteface. Er besaß den Schlüssel zur City Hall, den allerdings auch Wilkins und der Sheriff hatten, aber er allein hatte auch den Schlüssel zu der Dachkammer.

Stoppelbärtig und mit eingefallenem Gesicht stand er da und starrte durch das halbblinde Fensterchen auf die Straße hinunter. Das Vorbaudach versperrte ihm ein Teil der Sicht.

Er war seit gestern hier. Zusammen mit Braddock war er in die Stadt gekommen, und Braddock hatte darauf bestanden, dem Jail einen Besuch abzustatten. Sie hatten ausgemacht, zwei Dynamitrollen in das Jail zu schleudern. Die Absicht, die sie damit verfolgten, war eindeutig.

Gilbert Braddocks Versuch war mißglückt. Das stand für Cornwall fest. Höchswahrscheinlich hatte ihn dieser Fremde eingesperrt. Dieser verdammte Fremde!

Da Cornwall keinerlei feste Verbindung zur Stadt gehabt hatte, wußte er auch noch nicht, mit wem sie da wirklich zu tun hatten.

Schneckenmäßig langsam kroch der Tag dahin. Er schien nicht vergehen zu wollen.

Und unten auf der Mainstreet ereignete sich nichts.

Weshalb gingen die Leute nicht in die Golden West Bar?

Cornwall, der die Straße ständig beobachtete, hatte es schon am Vormittag bemerkt.

Und dann, am späten Nachmittag, sah er es: Ein langer Bursche kam heraus, der trotz der Hitze eine Felljacke und einen schwarzen Hut trug und ein Gewehr in der Hand hielt.

»Bronco Bill!« entfuhr es dem Mörder Cornwall. Ein Hoffnungsfunke stieg in ihm auf.

»Bronco Bill – er wird mir das alles abnehmen.«

Als es dunkel geworden war, verließ er sein »Quartier«, huschte wie ein Gespenst durch die Parallelgasse, bis er die Rückfront seines Hauses erreicht hatte.

Kaum hatte er einen Schritt auf die Treppe zur Hintertür getan, als oben im weißen Gewand die Frau erschien.

»Jube?«

»Yeah, ich bin’s, Kate.«

»Gott sei Dank. Ich habe solche Angst ausgestanden! Sag mir, was passiert ist! Was will dieser Mann? Was kann er von dir wollen? Jim Bleasdale war hier und hat mir gesagt, daß der Marshal dich und…«

Der Mann war in den dunklen Korridor getreten und dann stehengeblieben.

»Der Marshal?« unterbrach er die Frau. »Welcher Marshal?«

Die Frau erschrak. »Ja, weißt du es denn nicht – er ist Wyatt Earp!«

Der Mann zuckte wie unter einem Peitschenschlag zusammen.

»Er ist – Wyatt Earp?«

Heiser und rostig brach es aus seiner Kehle. So völlig entgeistert, daß die Frau fühlte, wie sich ihr Herz zusammenkrampfte.

Sie umspannte den rechten Unterarm ihres Mannes.

»Jube«, flehte sie, »sag mir, was geschehen ist! Du mußt es mir sagen! Ich vergehe vor Angst! Diese entsetzliche Ungewißheit! Was will dieser Mann aus Kansas hier? Ich kenne ihn. Er war damals in Albuquerque, als sie die Roger-Brothers suchten. Ein Sheriff, zwei Deputies, zwei texanische Staatenreiter und eine gewaltige Posse Freiwilliger haben die Rogers gejagt. Und er allein hat sie gefunden und gestellt. Ich habe in der Mainstreet gestanden und gesehen, wie er Lat, den Gefährlichsten der Bande, zusammen mit seinem Bruder Hamp in die Knie gezwungen hat. Allein, Jube, ganz allein. Du hast keine Chance gegen ihn! Du nicht und ganz sicher deine Freunde nicht! Ich habe dir immer gesagt, laß deine Finger von den Geschäften Gilberts – er ist ein Bandit. Er hat dich in irgendeine Teufelei verstrickt! Jube, du mußt offen zu mir sein…«

Ein brutaler Stoß des Mannes ließ die Frau aufstöhnen und zurücktaumeln.

»Laß mich zufrieden!«

Er ging in die Stube und suchte die kleine Truhe mit den Eisenbeschlägen unterm Sofa hervor, schloß sie auf und nahm mehrere Bündel daraus hervor.

Die Frau stand in der Tür und sah ihm zu.

»Was hast du vor?« keuchte sie. »Du nimmst das Geld mit? Jube, ich bitte dich, denke daran, daß wir zweimal zehn Jahre daran gespart haben. Du – und ich. Wir haben uns nichts, gar nichts gegönnt. Du bist Major und hast nicht einmal einen schwarzen Anzug! Jube, ich flehe dich an! Denk doch an die Kinder. Sie haben mitgedarbt…«

Sie brach in die Knie.

Aber das Gesicht des Mannes blieb verschlossen.

»Du sollst mich in Ruhe lassen, habe ich gesagt. Verschwinde endlich!«

Er stopfte die Beutel in die Tasche und machte sich wieder davon.

Der Anblick der schluchzenden Frau, ihre verzweifelten Augen, ihre flehenden Bitten, das alles rührte ihn nicht im geringsten.

Jubal Cornwall stahl sich wie ein Dieb aus seinem eigenen Haus, mit seinem eigenen Geld schlich er wie ein Verbrecher davon.

Er hatte die Bucks mitgenommen, an denen er einundzwanzig Jahre gespart hatte. Er hatte sie genommen, um sie in einer einzigen Minute zu vertun. Um sie einem Desperado zu geben, damit er ein Menschenleben auslöschte.

Das Leben des Dodger Marshals Wyatt Earp.

Cornwall hatte vorgehabt, nur einen kleinen Beutel mitzunehmen. Als er aber den Namen des Mannes erfahren hatte, gegen den Bronco Bill antreten sollte, hatte der verbrecherische Mayor sein ganzes Hab und Gut mitgenommen.

Bronco Bill würde eine hohe Forderung stellen, wenn er überhaupt annahm.

Cornwall huschte wie ein Schatten über die Straße und verschwand im Dunkel des Vorbaus gegenüber vom Sheriffs Office.

Da drüben saß jetzt Ernest Burns, der Sheriff, in seinem eigenen Jail. Eingesperrt von dem Wolf aus Dodge City!

Und der kaltschnäuzige Gil Braddock, der mit einer mörderischen Absicht und zwei Rollen Dynamit in den Hof des Jails gegangen war – auch er war der unheimlichen Spinne ins Netz gegangen.

Was war mit Wilkins? Der saß wahrscheinlich auch.

Er hatte sie doch alle nacheinander eingefangen, wie mit magischer Kraft hatte er sie angezogen und eingelocht!

Der Mann in der Häusernische des Gewehrmachers Gablonz schickte einen grimmigen Blick über die nächtliche Mainstreet.

»Ich werde dich vernichten, Marshal Earp.« Tonlos formten seine Lippen diese Worte. »Ich, der kleine unbedeutende Mayor von Whiteface! Kein berühmter Bandit, keine Revolverschwinger von Rang und Namen! Ein kleiner armseliger Bürgermeister einer Llanostadt, dem du den großen Coup verdorben hast…«

Ungesehen kam der Mayor in den Hof des Hotels, in dem Bronco Bill sein Quartier genommen hatte. Als er an seinem Stapel leerer Kisten vor-über wollte, schlossen sich von hinten zwei Hände über seine Augen.

»Rate mal, wer das ist?« zischelte jemand.

Cornwall war sekundenlang vor Schreck wie gelähmt, dann riß er die Hände des anderen herunter.

Im schwachen Mondlicht erkannte er das Gesicht Jonny Havelocks.

»Sieh an, der Mayor. Hatten wir nicht bereits einmal die Ehre miteinander, Mayor? Vor einem Jahr? Oder waren es zwei? Ist ja auch völlig ei-nerlei. Jedenfalls sind wir alte Bekannte.«

Daß der Mayor dem Sheriff Hampton gestanden hatte, um ihn aus der Stadt zu weisen, daß er gelaufen war, um Freiwillige gegen die Broncoleute aufzubieten, das schien der Des-perado völlig vergessen zu haben.

»Was willst du hier, Mayor? Bringst du etwa Bucks?«

Roch der Tramp etwa die Dollars? Wenn, wenn der Kerl ihn jetzt hier niederschlug, erstach – kein Mensch würde es hören. Und dieser spinnenarmige Jonny Havelock war ein Mörder. Er würde keine Skrupel haben. Hampton hatte damals schon drei Steckbriefe gegen ihn in seiner Schreibtischlade.

Damals! Allmächtiger, damals war der Mayor Cornwall noch ein gerechter Mann. Ein ehrbarer Mann.

Oder…? Steckte nicht schon der Bandit in ihm, der er heute war? Der Verbrecher? Der Mann, der von dem gefährlichsten Banditenjäger des Westens gejagt wurde?

Ausgerechnet Wyatt Earp stand auf der anderen Seite. Irgendwo in seinem Unterbewußtsein wußte Jubal Cornwall ganz genau, daß es gegen diesen Mann kein Entrinnen gab! Aber er wollte es nicht wahrhaben.

Ich werde ihn vernichten!

»Yeah, ich kann euch Bucks bringen! Morgen früh, mehr als ihr je auf einem Haufen zusammengehabt habt, Havelock! Morgen früh könnt ihr sie haben.«

Er log, weil er Angst vor diesem Spinnenmenschen hatte, denn das Geld hatte er ja bei sich.

Da flog oben über der Treppe die Hoftür auf.

Im flachen Licht der Kerosinlampe, die am Ende des Flurs an der Decke hing, erkannte der Mayor die Gestalt Jerry William Heeths.

Der Desperado bleckte die Zähne, so daß Cornwall sie trotz der Dunkelheit schimmern sehen konnte.

»He, wer kommt denn da? Ist das nicht unser Freund, der Mayor?«

»Yeah, Boß. Und er bringt gute Botschaft«, zischelte Havelock.

»Come on, Mayor.« Bronco Bill ging voran ins Haus.

Als die beiden einander gegen-übersaßen und Heeth die Bucks auf dem Tisch liegen sah, spielte er einen Augenblick mit dem Gedanken, Cornwall zu erledigen. Dann konnte er das Geld einstreichen und verschwinden. Wilkins’ Geld hatte er dann obendrein – und völlig gefahrlos.

Da hörte er den Mayor sagen:

»Und damit Sie nicht auf dumme Gedanken kommen, Heeth – ich habe soeben im Post Office einen Brief abgegeben. An meine Frau. Wenn ich morgen vormittag um neun Uhr nicht zu Hause bin, soll sie diesen Brief dem Marshal bringen.«

Heeth sah den anderen verblüfft an. Dann bleckte er wieder sein Pferdegebiß und feixte.

»He, du bist nicht dumm, Mayor. Wenn du nicht so ein trockener Stadtfrack wärest, hätte ich dich vielleicht in meiner Crew gebrauchen können.«

Jubal Cornwall zuckte unmerklich zusammen. Er wußte nicht, weshalb er plötzlich an seinen Vater denken mußte, der so stolz auf ihn gewesen war, damals in Frisco, als er eine Freistelle für das College in Los Angeles angeboten bekam.

Und heute, nicht einmal anderthalb Jahrzehnte später, bot ihm in einer Nachtstunde der berüchtigte Verbrecher Bronco Bill einen »Job in seiner Crew« an.

Cornwall suchte diese Gedanken verzweifelt wegzuwischen; aber es gelang ihm nicht. Immer wieder und wieder tauchte das Bild des Vaters auf, mit dem Orden aus dem großen Krieg an der graugrünen Uniform des Südstaaten-Offiziers. Er hatte General Lee gekannt, er war mit ihm durch das Jacarillatal geritten, in das blutige Gefecht am 17. Oktober…

»All right, Cornwall, du bist richtig. Well, was gibst du als Anzahlung?«

»Nichts, Heeth, gar nichts. Alles aber, wenn er mit wenigstens drei Kugeln im Leib im Staub der Mainstreet liegt.«

Bronco Bill feixte wieder. Doch dieses Feixen erstarb sofort.

»All right!« sagte der Bandit schnarrend. »Verschwinde jetzt. Und wehe, wenn die Bucks nicht rechtzeitig zur Stelle sind! Ich meine, gleich nach den Schüssen.«

»Wann werden Sie ihn – erledigen?«

Der Desperado ging zur Tür und stieß sie auf.

»Das weiß ich nicht. Es kommt ganz darauf an. Ich muß abwarten. Schließlich ist er kein Cowboy und kein dreckiger, hinterhältiger kleiner Llanostadt-Mayor…«

Kalkweiß war Jube Cornwall im Gesicht geworden. Aber er schwieg. Geduckt wie ein alter Mann ging er hinaus.

Wieder erschrak ihn der Spinnenmann, als er plötzlich hinter einer großen Wassertonne hervorhuschte und seinen Hut spöttisch bis zur Erde zog.

»Es war uns eine Ehre, Mayor…!«

Jube Cornwall verließ den Hof.

Er gelangte unangefochten in seine Dachkammer oben im Stadthaus. –

Auf schwarzen, lautlosen Sohlen ging die Nacht durch die unselige Stadt und schritt über den heißen Llano dahin, so, als habe sie es furchtbar eilig, dem jungen Mann zu entkommen.

*

Der Missourier stand am Fenster und schaute durch die Gardinen auf die Straße hinaus.

Wieder war ein strahlender Tag über dem gelben Sand von Texas aufgegangen. Blau und wolkenlos, wie aus Seidenpapier geschnitten, spannte sich der Himmel über die kleine Stadt.

Die Menschen hatten ihr Tagewerk begonnen.

Da drüben schlurfte der Black-smith über die Straße, der neulich im Stadthaus um Ruhe für den Marshal gebeten hatte, der gesagt hatte, daß man ihn wenigstens anhören müsse. Was kümmerte ihn die ganze Sache heute noch? Er hatte sicher andere Sorgen.

Und der athlethisch gebaute junge Clondyke hatte die Hände in die Taschen geschoben und ging pfeifend seiner Arbeitsstelle entgegen.

Niemand warf einen Blick zum Office hinüber.

Niemand sorgte sich um das, was sich hier tat.

Und doch wußten sie alle genau, daß Bronco Bill in der Stadt war. Derselbe Bronco Bill, vor dem sie noch vor Jahresfrist die Häuser verschlossen hatten, dessen Anwesenheit in Whiteface genügt hatte, die Straßen zu leeren, die Saloons zu meiden, die Stadt einer Totenstadt gleich zu lassen.

Er war da – well, aber da war auch der starke Gegner.

Zwei Hunde also, die genug damit zu tun hatten, einander im Auge zu behalten, da konnten die Katzen geruhsam umherlaufen.

Der alte Sheriff, der unaufgefordert den Stern wieder trug, war am Abend bei sieben Mitgliedern des Bürgerrats gewesen und hatte sie beschworen:

»Wir müssen Freiwillige zusammenstellen! Männer, die für das Gesetz kämpfen! Wyatt Earp ist das Gesetz. Ihr wißt es alle genau! Aber ihr seid zu feige, es wissen zu wollen. Bronco Bill ist in der Stadt. Ich weiß nicht, ob Cornwall so kaltnervig war, ihn herzubestellen, jedenfalls ist er da. Und Wilkins hat mit ihm verhandelt! Wyatt Earp hat keine Handhabe, die eine Festsetzung von Wilkins rechtfertigte! Aber wir, wir müssen handeln. Wenn die Bronco-Bande dem Marshal ins Kreuz fällt, ist

Whiteface erledigt. Bronco Bill wird die Stadt tyrannisieren, da sie ihn hat gewähren lassen, da sie sich ihm schwach zeigte…«

»Ist es Wyatt Earps Kampf oder unser Kampf?« hatten ihn die Männer gefragt. Und im gleichen Atemzug meinten sie: »Was geht ihn das alles an. Der Sheriff, Hampton natürlich, muß Cornwall und die anderen stellen!«

Hampton, der alte Hampton, den sie weggeschickt hatten, und der als einziger dem Marshal beistand.

»Was will er hier, der Marshal von Dodge? Und überhaupt, er ist Gesetzesmann, es ist seine Sache, soll er auch allein kämpfen. Schließlich und endlich…«

Yeah, so hatten sie sich herausgehalten, die Männer von Whiteface. Und er, der kleine alte Mann, war davongegangen. Well, Wyatt Earp hatte ihn gewiß nicht um diesen Gang gebeten. Ganz gewiß nicht.

*

In den frühen Morgenstunden hatte Wyatt Earp dem Hof Cornwalls einen Besuch abgestattet, auch dem Hof Gilbert Braddocks, sogar bei dem Alten war er kurz im Hof.

Was er suchte, fand er nicht.

Er war schon auf dem Weg zum Office, als er in der Parallelstraße die Hinterfront des großen Stadthauses sah. Einen Augenblick blieb der Missourier in Gedanken versunken stehen, dann ging er am Officehof vorbei zur Fenz, die hinten den Hof des Stadthauses abschloß.

Das große Tor war versperrt.

Es mußte alles mit einem Schlüssel geöffnet werden.

Wyatt blickte an dem Bretterzaun hinauf. Er war ziemlich hoch, wie bei einer alten Farm.

Eine Minute später war der Marshal im Hof und hatte mit schnellem Rundblick die einzelnen kleinen Nebengebäude gesehen.

Einen Stall hatte der Hof nicht. Jedenfalls waren alle Türen ganzteilig und geschlossen, und die drei Anbauten hatten große Glasfenster, die man in Stallungen nicht anzubringen pflegte.

Das scharfe Auge des Missouriers hatte etwas entdeckt, was nicht in diesen Hof gehörte: den Hufabdruck eines Pferdes.

Er war auf dem hier harten, festgestampften Boden an einer sandigen Stelle zurückgeblieben.

Der Marshal trat auf einen niedrigen Anbau zu und öffnete behutsam die Tür.

Der Raum war mit alten Stühlen und sonstigem Gerümpel angefüllt.

Die Tür des gegenüberliegenden Schuppens ließ sich nur schwer öffnen. Sie war in den Angeln offensichtlich festgerostet und ganz sicher in den letzten Monaten nicht geöffnet worden.

Also die dritte und letzte Tür!

Wyatt öffnete sie. Knarrend sprang sie auf.

Der Missourier blieb neben dem Eingang und nahm seinen Hut ab. Langsam hielt er ihn in die Eingangsöffnung und schob ihn Inch um Inch vor.

Nichts.

Und doch – der Geruch von Leder und Pferdeschweiß kam ihm plötzlich in die Nase.

Wyatt nahm den Colt aus dem Halfter und sprang in den Schuppen.

Er war von zwei großen, allerdings halbblinden Fenstern und der Türöffnung gut erhellt – und leer.

Bis auf das Pferd, das links in der Ecke stand. Ein hochbeiniges, jetzt leise schnaubendes Pferd. Ein Rotschimmel.

Hinter der Tür hing der Sattel.

Mit zwei raschen Schnitten trennte der Missourier den Sattelgurt durch. Dann verließ er den Schuppen und auch den Hof der City Hall.

Damned, wo war Jube Cornwall?

Sollte sich der Mann etwa im Stadthaus aufhalten?

Wyatt hatte keine Zeit, das zu untersuchen. Zum Hof hin hatte die City Hall nur die Fenster des großen Versammlungsraumes, der zu ebener Erde lag. Da es ein eingeschossiges Gebäude war, mit einer mächtigen Bretterfassade zur Mainstreet hin, vermochte der Missourier nicht zu glauben, daß der Mayor sich ausgerechnet da verborgen hielt.

Allerdings, es hatte noch einen kleinen Bodenausbau, wo man im allgemeinen alte Stühle und dergleichen aufbewahrte, aber damit war ja schon im Hof ein Schuppen angefüllt.

Dieser kleine Bodenaufbau hatte kein Fenster zum Hof. Wenn er überhaupt ein Fenster hatte, dann vorn in der Bretterfassade zur Mainstreet hin.

Der Marshal ging zum Office zurück. Hampton blickte ihm mit finsterer Miene entgegen. Er hatte das Schrotgewehr in der Hand und saß in der Türnische.

Wyatt nahm seinen Hut ab und goß sich einen Becher von dem Kaffee ein, den der Alte für ihn auf den Tisch gestellt hatte. Auch von dem Brot und der Butter und dem Käse nahm er etwas.

Dann stand er am Fenster und blickte hinaus. Ein beklemmendes Schweigen hing in dem großen Raum.

Auch die Gefangenen in den Zellen verhielten sich ruhig.

Bis Gilbert Braddock glaubte, etwas bemerken zu können.

»He, Alter, schönes Wetter heute, he?«

»Halt’s Maul, Bandit!« fuhr ihn Hampton gallig an.

»Ich meine, es ist ein Wetter, um zur Hölle zu fahren.«

»Wenn zur Hölle gefahren wird, Braddock, dann fährst du zuerst…«

Der Bandit kam an die Gittertür.

»Ich dachte, unser großer Mann da, der hätte die Absicht, heute zu sterben. Ist wirklich ein prächtiger Tag dazu, Marshal.«

Wyatt zündete sich eine Zigarre an und schob das Fenster weiter hoch. Auch die Tür öffnete er einen Spalt.

»Yeah, Marshal lassen Sie frische Luft herein. So etwas soll auch am Todestag gesund sein. Man weiß ja nie… Ich könnte mir denken, daß…«

Hampton stand mit einem Ruck auf und hielt die Schrotbüchse auf den Verbrecher gerichtet.

Gil erschrak für einen Augenblick. Als er aber sah, daß Wyatt Earp sich nicht um die Szene kümmerte, ja, sich nicht einmal umdrehte, grinste er den Alten an.

»Du wirst es nicht wagen, Sheriff, mich hinter seinem Rücken abzuknallen!«

Hampton stieß einen Fluch aus.

»Well, setz dich auf die Pritsche, Gil, sonst gibt’s Ärger.«

Braddock grinste und spie aus.

Da sprang der Alte heran und stieß ihn mit dem Gewehrlauf vor die Brust.

Braddock brüllte vor Wut und Schmerz auf.

Der Missourier stand seelenruhig am Fenster.

Ernest Burns hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. Es zuckte um die Mundwinkel des verbrecherischen Sheriffs. Jetzt sprangen seine Lippen auseinander.

»Dieser Mensch hat Nerven wie Schiffstaue!« knirschte er.

Ganz langsam wandte sich der Missourier um und sah ihn an.

»Ich muß mich über Sie wundern, Burns. Denn Sie sind es doch, der die starken Nerven hat. Oder habe ich die Stirn gehabt, dem Doc ein Messer in die Brust zu stoßen? Das waren doch Sie. Und Doc Flaubert mußte wegen der welterschütternden Tatsache sterben, daß er gegen Sie behauptete, ich sei von einem Heckenschützen von hinten niedergeschossen worden. Wie wichtig muß Ihnen doch der Mayor sein, den Sie mit einem Mord glaubten schützen zu müssen. Oder weiß Cornwall etwas von Ihnen…«

Ernest Burns erblaßte. Seine Hände krampften sich zusammen. Kalter Schweiß trat auf seine Stirn.

»Sie werden die Stadt nicht lebend verlassen, Marshal! Nie und nimmer.«

»Das müssen Sie beurteilen können«, gab Wyatt gelassen zurück, »schließlich kennen Sie den einzelnen Heckenschützen Whitefaces besser als ich. Es kommt da nur auf den schnellen Blick und auf den ersten Schuß an.«

»Sie werden es nicht nur mit einem Schützen zu tun haben! Darauf können Sie sich verlassen.«

»Das wäre auch ziemlich dumm. Denn mit einem einzigen Heckenschützen hätte ich ja auch nur einen Bruchteil der Banditen kennengelernt, die es hier gibt.«

»Sie elender, höllischer…«

Braddock fauchte. »Halt doch das Maul, verdammt noch mal, Burns. Er will dich doch nur fertigmachen, merkst du das nicht?«

Gilbert Braddock erwies sich in dieser Stunde als ein ganz harter, ausgekochter Bandit. Nichts mehr war an ihm von dem geduckt dastehenden Burschen, der die Prügel seines blinden Vaters wortlos hinnahm.

Aber Burns hatte schlechte Nerven. Er suchte sie durch Reden zu entlasten.

»Bronco Bill ist da, Earp! Er wird dich fertigmachen! Er wird dich auseinandernehmen!«

»Halt’s Maul!« kläffte Braddock den Komplicen an. »Er wartet doch nur darauf, daß du alles verrätst.«

Wyatt, der wieder aus dem Fenster geblickt hatte, wandte sich jetzt um. Ein Lächeln stand in seinem Gesicht. »Na, nervös, Gil?«

»Ich…?« Der Bandit ließ eine bellende, nicht sehr echt klingende Lache los. »No, Marshal, ich bin völlig ruhig.«

Burns sprang ans Gitter und spannte seine schweißigen Hände um die Eisentrallen. »Yeah, weil er weiß, daß Sie fertiggemacht werden, Earp! Weil er das genau weiß. So gut, wie ich!«

»Deshalb sind Sie auch so ruhig und gelassen«, spottete der Marshal und wandte sich wieder der Straße zu.

»Ich gebe Ihnen keine volle Stunde mehr!« krächzte Burns heiser. »Bronco Bill ist nicht allein. Er hat zwei prächtige Boys bei sich.«

»Yeah, sie gehören ins amerikanische Geschichtsbuch mit ihren prächtigen Gesichtern!« warf Hampton ein. »Havelock und Jordan sind wirklich zwei Halunken der Sonderklasse!«

»Wir haben noch mehr Freunde!«

»Natürlich, der dicke schwitzende Wilkins und der liebe Jack, nicht wahr?«

»Und vergessen Sie vor allem den Mayor nicht«, sagte der Missourier ruhig, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. »Er ist in der Stadt. Sein Pferd steht hinten im Hof der City Hall.«

Ein lästerlicher Fluch entfuhr der Kehle Gill Braddocks. Insgeheim hatte er sich von Cornwall noch Rettung erhofft. Daß Bronco Bill wirklich etwas tun würde, jedenfalls etwas für sie hier im Jail, wagte er nicht wirklich zu hoffen. Aber Cornwall, der Mayor, der hatte schließlich allen Grund, etwas zu tun!

Wyatt hatte die Straße scharf im Auge.

Vor allem drüben den Eingang des Hotels.

Da trat Hampton nahe an ihn heran. Er flüsterte so leise, daß nur der Marshal es hören konnte: »Es sind zu viele, Mister Earp.«

Wyatt antwortete nichts darauf.

»Wenn Cornwall wirklich da ist, sind es vier. Und sollte Wilkins mitmischen, dann sind es sogar fünf. Und wer weiß, ob sich dann nicht die anderen Freunde der Bande auch rühren werden. – Ich habe Ihr Pferd gesattelt, Marshal. Es steht bereit…«

Wyatt warf dem Alten einen Blick zu.

»Thanks, Sheriff«, entgegnete er ebenso leise. »Aber das geht nicht. Erstens würde ich es nicht tun, auch wenn zwanzig Männer draußen auf mich warteten, und zweitens hätte es keinen Sinn. Vor Bronco Bill fliehen? No, Hamp – nicht nur er, sondern hundert andere Tramps würden mir folgen, um meine Flucht zu beenden, um mich irgendwo niederzuknallen.«

Der alte Hampton verstand. Er kannte schließlich den Westen.

Polternd kam von Osten her eine Overland in die Mainstreet.

»Die kommt von Lubbock – alle drei Tage«, sagte Hampton.

Die Postkutsche rollte vorüber und zog einen wahren Nebel von Staub hinter sich, der die Straße sekundenlang völlig einhüllte.

Das Geräusch verebbte unweit vom Office, etwa fünfzig Yards weiter westlich vom Post Office.

Als sich der Staub gelegt hatte, sah Wyatt Earp drüben einen Mann auf dem Vorbau des Hotels stehen.

Bronco Bill.

»Ah…!« entfuhr es Hampton. »Er kommt!« Kleine Schweißperlen traten auf seine Stirn.

Die Gefangenen, die von der gespannten Stille, die im Raum herrschte, angepackt worden waren, hatten einen Herzschlag lang den Atem angehalten.

Jetzt rissen Ernest Burns die Nerven. »By gosh!« schrie er los. »Er kommt! Bronco Bill! Hol ihn! Mach ihn fertig! Friß ihn mit deinen Kugeln auf, diesen verdammten Earp! Säg ihn auseinander, diesen elenden Wolf.«

Jetzt stand auch auf Braddocks Stirn der Schweiß. Auch er hatte die Trallen mit seinen klobigen Händen umspannt. Und plötzlich brach es auch aus ihm heraus:

»Bronco Bill! Mach ihn fertig!«

Die anderen Gefangenen warfen sich plötzlich wie auf ein stummes Komando hin gegen die Gitter.

»Bron-co Bill! Bron-co Bill!«

Der Desperado drüben auf der Treppe hatte den Kopf angehoben. Er hatte die Schreie gehört. Noch einen Augenblick verharrte er reglos auf dem Fleck, dann setzte er sich in Bewegung.

Bisher hatte er nichts gedacht. Gar nichts über den Gunfight. Wenn er etwas gedacht hatte, dann nur an die Bucks, die Jube Cornwall gestern vor ihn hingelegt, die er in kleinen goldenen und silbernen Säulen vor ihm aufgebaut hatte.

Aber jetzt, als er langsam die Treppe hinunterschritt und die sieben Yards bis zur Straßenmitte durchmaß, da dachte er plötzlich an etwas anderes.

Wyatt Earp! Den Namen würde er jetzt rufen.

Wyatt Earp? Zounds! War er denn wahnsinnig? War der Mann drüben im Office tatsächlich der berühmte Dodger Marshal? Der Mann, der Milt Rice, Hal Flanagan, Jim Butler, Ho-

geeter, Cumberland und zahlreiche andere Männer zur Strecke gebracht hatte? Der Marshal mit dem Buntline Special? Der Zweihandschütze aus Dodge City…?

Urplötzlich wirbelten die Gedanken nur so durch das Hirn des Desperados, Gedanken, die sich alle laut-stark und buntschillernd mit Wyatt Earp befaßten. Auf einmal drängten sich zahllose Dinge in den Vordergrund seines Bewußtseins, Dinge, die Wyatt Earp betrafen. Jerry William Heeth, der sich selbst Bronco Bill genannt hatte, weil er am Oberlauf des heißen Bronco geboren war – er erinnerte sich plötzlich einer Menge Dinge, die er von diesem Wyatt Earp gehört hatte.

Vor allem aber der Tatsache, daß dieser Mann einer der gefährlichsten, schnellsten und sichersten Schützen war, die der Westen überhaupt je kannte.

Wyatt Earp…! Wie Paukenschläge dröhnte der Name im Hirn des Banditen.

Und dann stand er auf der Straßenmitte.

Er öffnete die Lippen.

Aber er brachte keinen Ton hervor.

Drüben wurde die Tür des Sheriffs Office geöffnet.

Er kam heraus. Sehr groß, breitschultrig, aufrecht, mit sicherem, federndem Gang.

Wyatt Earp!

Bronco Bill sah sofort den großen Revolver an der linken Seite. Den Buntline Special, mit dem der Missourier so unfehlbar sein sollte.

Für zwei Sekunden schloß der Des-perado Bronco Bill die Augen.

Er hatte eine scheußliche Vision: In fünf oder spätestens zehn Sekunden werde ich hier vorn im heißen Sand liegen und tot sein.

Er öffnete die Augen und mußte sich gewaltsam bemühen, den Blick nicht auf den gelben Sand zu seinen Füßen zu senken.

Pinky ist ja da! Suchte er sich einzureden. Pinky und Jonny Havelock! Sie haben alle Gewehre bei sich.

Und auch selbst hatte ja sein

Sharpsgewehr in der Hand.

Wyatt Earp hatte jetzt drüben die Straßenmitte erreicht.

Wenigstens zwanzig Schritte trennten die beiden voneinander. Eine Entfernung, die kein Colt sicher durchmessen konnte.

Ich muß handeln. Sofort handeln! hämmerte es in seinem Schädel.

Er wollte das Gewehr gleich hochreißen.

»Heeth!« Metallen hatte der Marshal ihn angerufen.

Bronco Bill zuckte zusammen.

»Hör zu, Heeth! Nur damit du im Bilde bist, der Revolver hier«, und plötzlich lag in seiner Linken der große Revolver aus seinem linken Halfter. Jerry Heeth hatte den Atem angehalten. Hell und devils, wie war das denn möglich? Das war doch ein Spuk! Heeth wischte sich durchs Gesicht, und wie aus weiter Ferne hörte er die Stimme des Missouriers: »Dieser Revolver hat einen ziemlich langen Lauf, Heeth! Die Distanz hier ist keine Entfernung für ihn.« Und dann bellten plötzlich zwei Schüsse auf.

Fingernah neben der rechten und der linken Stiefelkante des Desperados stiebte der Sand auf. Die glühenden Geschosse hatten sich in den Boden gebohrt.

Bronco Bill stand wie versteinert da.

»Bron-co Bill! Bron-co Bill!« schrie es da vielstimmig aus dem Jail.

Der Desperado schluckte.

»Wirf das Gewehr weg, Heeth!« mahnte ihn der Marshal.

»Wenn du das tust, Bill, schieße ich dich von hier aus nieder!« kam da plötzlich eine belfernde Stimme oben von der Fassade der City Hall her.

Jube Cornwall hatte das kleine Fenster hochgeschoben und seinen Colt herausgestreckt.

Jonny Havelock schoß sofort. Er hatte in der Nische des Hoteleingangs gestanden.

Tödlich getroffen hing Jubal Cornwall über der Fensterbrüstung. Der Mörder war von seinen eigenen Genossen erledigt worden.

Bronco Bill hatte nicht gewagt, seinen Blick von dem Marshal zu nehmen.

»Deine Heckenschützen hast du gut postiert!« rief Wyatt. Dann hatte er plötzlich den Revolver in der Hand. »Wilkins, vorwärts, kommen Sie heraus auf den Vorbau!«

Ein Colt polterte aus dem Eingang von Fenners Ranchers Tool; mit erhobenen Händen und aschfahlem Gesicht kam der feiste Second Mayor auf die Straße.

»Was wollen Sie eigentlich, Earp? Ich habe doch mit der ganzen Sache überhaupt nichts zu tun!« Dann warf der hinterhältige Dickwanst plötzlich den Kopf zur Seite. »Heeth!« schrie er geifernd. »Schießen Sie doch!«

Aber der Desperado starrte mit weiten Augen auf den großen sechskantigen Revolver, den der Marshal noch in der Hand hatte.

Wyatt Earp suchte immer noch Pinky Jordan. Der Tramp würde nicht vor seinem Boß schießen. Und solange der nicht schoß, war also von dieser Richtung nichts zu befürchten.

»Was ich will, Wilkins«, sagte der Marshal laut, »das werde ich dir sagen: Ich habe die Kaktusfelder draußen im Llano gesucht. Sie sind weggeschnitten worden. Die Kakteen sind dann niedergebrannt und unter dem Sand betraben worden. Ganz einfach. Der saubere Mayor Cornwall und seine Freunde hatten die schwarze Idee, den Reisenden den Weg nach Whiteface zu verlegen. Ein alter Trick, der schon vor zwanzig Jahren ausgetüftelt wurde. Nur nicht ganz so plump. Schätze, daß es Gil Braddocks Idee war. Und du, Wilkins, du gehörst zu den Boys.«

»Boys…«, stammelte der Dicke.

»Yeah. Auch du gehörst zu ihnen.«

»Bron-co Bill!« dröhnte es aus dem Jail.

Da bellten drei scharfe Schüsse auf.

Heeth zuckte zusammen.

Der Schütze mußte hinter ihm stehen. Vor dem Post Office etwa.

Pinky konnte es nicht sein.

Und drüben von der Balustrade des Santa Cruz Saloons stürzten zwei Männer herunter. Die Gewehre fielen neben sie in den Staub.

»Du brauchst dich nicht umzudrehen, Pinky!« kam da eine klirrende Stimme über die Straße. »Ich habe dich auch so erkannt.«

Jerry William Heeth konnte nichts denken. Nur zwei Worte hämmerten in seinem Hirn mit dem Lärm einer Kesselschmiede! Doc Holliday!

Das muß Doc Holliday sein.

Und dann wurde es zur Gewißheit. Schneidend scharf hörte er den Mann weitersprechen:

»Geh einen Schritt nach vorn, Pinky. Ich will deinen Rücken sehen! Und damit du weißt, von wem die Einladung kommt: Mein Name ist Holliday! John Henry Holliday!«

Pinky Jordan stand wie angenagelt da. Es bedurfte keiner weiteren Erklärung für ihn. Er hatte begriffen, nur Sekunden später als sein Boß hatte er begriffen: Doc Holliday war da!

Und vorn stand Wyatt Earp, der Jonny Havelock auf dem Korn hatte und den Boß.

Die Schreie im Jail waren verstummt.

Auch dort hatten sie die Schüsse gehört – und den Namen des Mannes, der sie abgegeben hatte.

Pinky Jordan trat nach vorn und hob die Hände.

Das Gewehr, das ihm der Gambler aus der Hand geschossen hatte, lag auf dem Vorbau, das Geräusch war im Lärm der Schüsse und Aufprallen der beiden Körper untergegangen.

»Da liegen zwei deiner Genossen, Bronco Bill«, sagte Doc Holliday frostig. »Saubere Genossen, du kannst stolz auf sie sein. Sie sind nicht etwa tot – nur schießen können sie nicht mehr.«

Wyatt Earp hatte den Colt längst ins Halfter geschoben.

»Heben Sie die Hände hoch, Heeth!« sagte er ruhig, aber mit einem gefährlichen Unterton.

Langsam nahm der Desperado die Arme hoch.

Wilkins zitterte am ganzen Körper. »Feigling!« kreischte er plötzlich los.

»Hampton!« rief der Marshal. »Schließen Sie die dritte Zelle für die Banditen auf! Vorwärts, Heeth! Wilkins! Jordan! Havelock!«

Drei Minuten später saßen die entwaffneten Banditen neben ihren Kumpanen im Jail.

Hampton stand breitbeinig und strahlend vor der Tür. »Ich wußte gar nicht, daß der Doc auch in der Stadt war«, sagte er.

»Sie werden lachen, Hamp«, entgegnete Wyatt, »das wußte ich auch nicht.«

Doc Holliday zündete sich eine Zigarette an und kam näher.

»Hallo, Marshal.«

»Hallo, Doc.«

Die beiden Männer reichten einander die Hände.

»Damned!« Der Alte schneuzte sich die Nase. »Der kam aber pünktlich.«

»Kommt er immer«, sagte der Missourier und blickte die Straße hinunter. Vorn vorm Post Office setzte sich eben die Overland wieder in Bewegung, drehte um und rollte nach Osten davon.

»Ich habe einen Tag in Lubbock gewartet. Da dachte ich mir, so lange verspätet er sich nie. Und so weit die Overland fuhr, konnte ich sie ja ausnutzen. Hier hätte ich dann einen Gaul genommen…«

Wyatt Earp Paket 2 – Western

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