Читать книгу Wyatt Earp Paket 2 – Western - William Mark D. - Страница 23
ОглавлениеEs war Mitternacht.
Über der Mainstreet von Camp Bowie spannte sich ein sternenbesäter Himmel von einem seltsamen tiefen Türkis. In der Stadt herrschte die Stille der Arizonanacht.
Aus einer der Nebengassen, die vom Fluß heraufführten, drang dumpfer Hufschlag. Drei Reiter, die die Hufe ihrer Pferde mit starken Lappen umwickelt hatten, tauchten an der Gassenmündung auf.
Unweit von dem Gebäude der Bowie Western Bank hielten sie an, rutschten aus den Sätteln und banden ihre Tiere an den nächsten Querholm. Dann verharrten sie einen Augenblick lauschend.
Irgendwo in der Ferne jaulte ein Hund.
Der Wind, der vom Fluß heraufkam, trieb den Flugsand schmirgelnd an den hölzernen Häuserfronten entlang; das ergab einen Ton, der zu den wenigen nächtlichen Geräuschen einer Westernstadt gehörte.
Dann war es wieder still.
Wie Schemen huschten die drei Männer auf das Bankhaus zu. Während sich einer von ihnen am Schloß der schweren Bohlentür zu schaffen machte, hielten die beiden anderen die Straße scharf im Auge.
Der Mann mußte erhebliches Geschick im Öffnen so stabiler Schlösser haben, denn die Tür gab verhältnismäßig schnell nach. Lautlos drangen die drei Banditen in die Bank ein.
Jack Lonegan, der Salooner der
White Horse Bar, hatte bis jetzt im Nebenraum der Schenke gesessen und die Tageseinnahme gezählt.
Es war ein guter Tag gewesen, ein sehr guter sogar. Die Rancher der Umgegend hatten heute ihre Herden verkauft und sich anschließend zusammen mit ihren Cowboys eine große Whisky-Tour gegönnt.
Lonegan nahm den kleinen Geldkasten unter den Arm und stieg gähnend die knarrende Treppe ins Obergeschoß hinauf.
Er kleidete sich im Dunkeln aus und lauschte auf die gleichmäßigen Atemzüge seiner Frau. Dann tat er das, was er immer tat, bevor er zu Bett ging: er stellte sich ans offene Fenster und sog in tiefen Zügen die frische Nachtluft ein.
Da sah er die drei Pferde schräg gegenüber vor Jeffersons Hardwareshop.
Drei gesattelte Pferde! Das war ein Anblick, der den Salooner um diese Stunde befremden mußte. Wo sollten sich die Reiter aufhalten? Es gab keine Schenke mehr, die noch geöffnet hatte. Buddy Bark und James Tucker hatten längst vor ihm selbst geschlossen.
Lonegans Blick wanderte zur Fassade des gegenüberliegenden Bankhauses. Zounds! Stand da nicht die Tür offen?
Der Salooner wischte sich durchs Gesicht und stieß die Luft prustend durch die Nase.
Yeah, es sah tatsächlich so aus, als ob die Tür geöffnet worden wäre.
Lonegans Blick flog wieder zu den drei Pferden hinüber.
»Sonderbar«, mumelte er und zog sich rasch wieder an. Ohne Licht anzuzünden ging er hinunter.
Auf der Straße war alles still.
Der Salooner hielt mit raschen Schritten auf das Bankhaus zu.
Noch ehe er den Vorbau erreicht hatte, schrak er zusammen.
Eines der Pferde hatte gewiehert.
Da flog oben die Tür der Bank weit auf und ein Mann stürzte heraus. Ein schwarzes Tuch verdeckte seine untere Gesichtshälfte.
Und ehe der unglückliche Jack Lonegan irgend etwas sagen oder unternehmen konte, fauchte ihn ein Schuß an.
Die Kugel stieß ihn zurück und riß ihn in den Straßenstaub.
Er war sofort tot.
Chris Oakland, der Sheriff vom Camp Bowie, hatte im Dunkeln in seinem Office gesessen, den Kopf in die Hände gestützt, und hatte hinaus auf die Straße gestarrt, die im diffusen Sternenlicht einen geisterhaften Anblick bot.
Das Office war neun Häuser von der White Horse Bar entfernt.
Oakland hatte also weder die Pferde noch den Eingang der Bank in seinem Blickfeld.
Da zerriß der Schuß die Stille der Nacht.
Oakland saß einen Herzschlag wie erstarrt da, dann fuhr er hoch, nahm den Revolver aus dem Halfter und stürmte hinaus.
Drüben rannten zwei Männer auf die Pferde zu, lösten die Zügelleinen und sprangen in die Sättel.
Der Sheriff stieß den Revolver vor, brüllte: »Stop!« und schoß dann. Aber zu weit war die Distanz, und zu kurz lagen die Geschosse.
In wildem Galopp preschten die beiden Banditen davon.
Oaklands Augen hafteten auf dem dritten Pferd, das noch am Zügelholm stand. Dann flog sein Blick auf den offenen Eingang der Bank.
Er stürmte vorwärts.
Links neben der Tür hing ein Windlicht. Der Sheriff zündete es an und gab der Tür, die wieder halb zugefallen war, einen Fußtritt, daß sie weit aufsprang.
In der erhobenen Linken hielt er die Lampe, und in der Rechten den Revolver.
So betrat er das Bankhaus. Kaum hatte er drei Schritte getan, als sich der zitternde Lampenschein an einem staubigen Stiefelpaar festfraß.
Oakland stieß den Revolver vor und ließ den Hahn knacken. Mit einem Ruck hob er die Lampe höher
Der Lichtkreis erfaßte die Gestalt eines Mannes. Es war ein hochgewachsener, sehniger Mann, der einen grauen Anzug trug, einen patronengespickten Waffengurt, ein graues Hemd und eine bestickte Weste. Sein Gesicht wurde bis zu den Augen von einem fleckigen schwarzen Tuch bedeckt.
Und da geschah etwas Seltsames: Der Revolver in der Hand des Sheriffs ging nicht los, sein mattschimmernder Lauf begann statt dessen zu zittern. Dann stampfte Chris Oakland plötzlich drei, vier Schritte vorwärts, und riß dem Banditen mit der Hand, in der er den Revolver hielt, das schwarze Tuch herunter.
Es war die fürchterlichste Sekunde im Leben des Sheriffs Chris Oakland. Der Mann, der vor ihm stand, war Bill Oakland, sein eigener Sohn!
Das Windlicht entglitt der Hand des Sheriffs und zerschellte laut klirrend am Boden. Sekundenlang standen die beiden einander im Dunkeln gegenüber.
Als Chris Oakland sich umwandte und mit unendlich müden Schritten auf die Tür zu hielt, brüllte ein Schuß los. Das glühende Blei drang dem Gesetzesmann in den Rücken.
Bill Oakland hatte seinen eigenen Vater von hinten niedergeschossen.
Während der Sheriff mit einem harten dumpfen Geräusch vornüber auf die Dielen aufschlug, sprang Bill wie ein Tiger vorwärts und hastete an ihm vorbei.
Es gelang dem Verbrecher, ungeschoren davonzukommen. Er zog sich in seinen Sattel, hieb seinem Pferd die Sporen so brutal in die Weichen, daß es schmerzgeplagt aufstöhnte und vorwärts schoß.
Danach herrschte in der Stadt wieder Totenstille.
Als der kleine Doc Baker neben Lonegan im Straßenstaub kniete, konnte er nur noch den Tod des Salooners feststellen. Der alte Arzt erhob sich und ging zu den Männern hinüber, die mit Fackeln und Windlichtern oben im Eingang des Bankhauses standen.
Chris Oakland war noch nicht tot. Das Geschoß seines eigenen Sohnes hatte die Lunge unweit von der Herzspitze durchbohrt. Noch war der unglückliche Sheriff bei vollem Bewußtsein.
»Wir bringen ihn hinüber in mein Haus«, ordnete Baker an.
»Und Lonegan?« fragte einer der Männer.
Der Arzt wandte den Kopf und sah ihn trübe an.
»Er kommt ins Totenhaus«, sagte er mit düsterer Miene.
Chris Oakland lag bereits seit einer halben Nacht und einem Tag in dumpfem Schmerz seiner lebensgefährlichen Verletzung in Bakers Haus, ohne daß das Schicksal ihm die Gnade einer Ohnmacht erwiesen hätte.
Doc Baker hatte um sein Leben gerungen, aber er hatte dem tödlich Verwundeten keine Hilfe bringen können. In düsterer Niedergeschlagenheit stand der Arzt vor dem Lager des Sheriffs.
Weshalb sagte Oakland nichts? Ob der Schmerz ihn gelähmt hatte?
Gegen neun Uhr vermochte Baker es nicht mehr in der stickigen Krankenstube auszuhalten. Es erschütterte ihn zum erstenmal in den langen Jahren seiner Tätigkeit als Arzt, daß er mitansehen mußte, wie ein Mensch langsam starb.
Mit gesenktem Kopf schlenderte er zu Budd Bark hinüber.
Als er die Schenke nach einer Stunde verließ, war ihm auch nicht wohler. Der Whisky hatte sein Hirn umnebelt und ihm seinen Jammer doch nicht nehmen können.
Auf der zweiten Vorbautreppenstufe stolperte er und stürzte vornüber auf die Straße.
Betäubt blieb er liegen.
Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Rücken und blickte in ein helles, sonderbar eindrucksvolles Augenpaar.
Der Mann kniete neben ihm und hatte ihn etwas aufgerichtet.
»Wie sieht’s aus, Mister?« hörte Baker ihn mit einer rauhen Stimme fragen.
Baker sog die Nachtluft tief ein und wischte sich über die Augen.
»Was war los: Herzanfall?«
Der Fremde schüttelte den Kopf. »No, Mister, Sie sind ganz einfach die Vorbautreppe hinuntergefallen.«
Baker richtete sich auf die Ellenbogen auf und verspürte auf einmal einen eigenartigen scharfen Geruch in der Nase.
»Damned.« Er sah den Fremden mißtrauisch an. »Hier riecht es nach Salmiak…?«
»Yeah.«
Doc Baker klopfte den Staub aus seinem Anzug, und ohne den Fremden anzusehen, fragte er: »Sie – sind Arzt?«
»Ich war einmal so etwas Ähnliches.« Baker knurrte. »Man kann nicht einmal so etwas gewesen sein und ist es plötzlich nicht mehr. Ein Doc bleibt ein Doc!«
Der Fremde schob wortlos das Salmiakgeistfläschchen in seine krokodillederne Tasche, und da erst gewahrte Baker den Schecken, der ein paar Schritte seitwärts stand.
Baker bot dem Fremden die Hand.
»Thanks, Doc. Mein Name ist Baker. Ich bin auch Arzt. Und jetzt habe ich gleich eine Bitte. Ich komme gerade drüben aus der Bar…«
Der Fremde entgegnete rauh: »Das war nicht zu überriechen.«
»Yeah, ich war im Saloon, weil ich meinen Jammer ersticken wollte. Ich habe nämlich drüben im Haus einen Mann liegen, dem ich – yeah, ich kann ihm nicht helfen.«
»Was fehlt ihm?«
»Er hat eine Kugel in der Brust.«
»Und – weshalb haben Sie sie nicht herausgeholt?«
Baker zog die Brauen zusammen. »Hören Sie, ich bin kein Chirurg. Der Einschuß liegt direkt neben dem Herzen.«
»Und seit wann…?«
Der Fremde, der seine Tasche schon hatte hinterm Sattel festschnallen wollen, entgegnete unwillig:
»Ich bin auch kein Chirurg.«
»Aber – vielleicht – vielleicht verstehen Sie mehr davon als ich.«
»Wie kommen Sie darauf?« entgegnete der Mann frostig.
Baker schluckte.
»Ich weiß nicht, Sie sehen so aus.«
Da lachte der Fremde leise in sich hinein.
»Gehen wir.«
Zwei Minuten später stand Baker mit dem Fremden in dem Zimmer des sterbenden Sheriffs. Eine kleine Kerosinlampe erleuchtete den Raum nur spärlich.
Baker beobachtete den Fremden erwartungsvoll von der Seite.
Aber dessen Gesicht blieb undurchdringlich. Er trat dich an Oakland heran und meinte dann zu dem alten Arzt:
»Halten Sie bitte die Lampe näher.«
Eine volle Minute durchforschte der Fremde das Gesicht Chris Oaklands.«
»Er ist bei Bewußtsein.« Der Fremde hatte es mit Bestimmtheit gesagt.
»Nein, Doc – das ist ausgeschlossen, mit solch einem Schmerz kann kein Mensch…«
»Er ist bei vollem Bewußtsein«, wiederholte der Fremde.
Schon hatte er seine Tasche geöffnet und hielt dem Sheriff ein Fläschchen mit Äther unter die Nase. Mit seltsam beruhigender Stimme sagte er zu dem Kranken:
»Atmen Sie ganz tief ein. Das wird Ihnen guttun. Yeah – ganz tief atmen…«
Chris Oakland sank endlich hinüber in den grauen Nebel einer erlösenden Bewußtlosigkeit.
Und dann begann der fremde Doktor seine Arbeit. So schnell, so sicher und geschickt, daß dem alten Landarzt, dem zunächst der Angstschweiß auf die Stirn getreten war, die Sprache wegblieb.
Dann hatte der Fremde das verformte Geschoß plötzlich zwischen den Spitzen seiner Pinzette.
»By Gosh! Die Kugel! Er hat die Kugel!« entfuhr es Baker. »Damned. Ich habe es ja gewußt, daß Sie ein Chirurg sind.«
»Ich bin kein Chirurg!« entgegnete der Fremde.
Nachdem er sich gewaschen hatte, drückte Baker ihm bewegt die Hände.
»Ich danke Ihnen, Mister. Sie haben dem Sheriff das Leben gerettet…«
»Das ist noch nicht raus«, bremste der Fremde ab. »Er ist ein Sheriff?«
»Yeah, Sheriff Oakland. Banditen haben ihn in der vergangenen Nacht drüben im Eingang der Bank von hinten niedergeschossen. Von den Tätern gibt es keine Spur.«
Der Fremde ging zur Tür.
»Wo wollen Sie hin?«
»Weiter.«
»Weiter? Aber das ist doch nicht Ihr Ernst. Sie sind mein Gast, Doc! Einen so tüchtigen Menschen, der wie ein Engel in die Stadt gekommen ist…«
Bei dem Wort Engel verzog der Fremde ein wenig schmerzlich das Gesicht.
»Tut mir leid, Doc – ich muß weiter.« Der Fremde tippte an den Rand seines Hutes und öffnete die Tür.
»Bitte«, bat Baker. »Ihren Namen müssen Sie wenigstens hierlassen.«
Der Fremde sah sich um, und der Blick, der den alten Arzt traf, ging diesem bis ins Mark.
»Ich glaube nicht, daß mein Name Ihnen Freude bereiten würde, deshalb nehme ich ihn lieber mit.«
Baker verstand das nicht. Aber er sagte:
»Well, Doc, wie Sie wollen. Sie werden mir in Erinnerung bleiben, solange ich lebe, weil…«
Der Fremde war schon auf dem Vorbau, und als er die zweite Treppenstufe erreicht hatte, gellte plötzlich ein schriller Schreckensschrei von der Straße.
»Damned! Doc Holliday!«
Ein Schuß peitschte über den Vorbau, und die Kugel klatschte in die Hauswand.
Die Tür war noch so weit offen, daß der alte Arzt den Fremden hatte beobachten können.
In einem Fallwurf ohnegleichen hatte der sich herumgeworfen und zurückgeschossen.
Dann war es still draußen.
Auf weichen Knien ging Baker an die Tür.
Der Fremde lag noch auf der Treppe.
Baker eilte auf ihn zu, beugte sich neben ihm nieder und griff mit zitternden Händen nach ihm.
»Sind Sie – verwundet?« stammelte er verstört.
»Nein«, entgegnete der Georgier schroff.
Baker sah sich um.
Drüben, mitten auf dem Vorbau, lag ein Mann, reglos wie ein gefällter Baum.
Leise kam es von Bakers Lippen:
»Sie sind also Doc Holliday…!«
»Yeah! Ich bin Doc Holliday. Und ich schätze, daß Sie sich Mühe geben werden, meinen Namen möglichst schnell zu vergessen.« Mit elastischen Bewegungen erhob sich der Gambler und ging zu seinem Pferd.
Für den Toten auf dem Vorbau hatte er keinen Blick. Er, der sich gerade noch mit äußerster Anstrengung und größter Gewissenhaftigkeit um das Leben eines Menschen bemüht hatte, er hatte Minuten später ein anderes Leben mit einem einzigen Schuß auslöschen müssen.
Baker starrte auf die Stelle, wo der Gambler gekauert hatte. Ein dunkler feuchter Fleck schimmerte auf dem sandigen Holz. Baker starrte darauf nieder und stieß den Finger hinein.
Dann fuhr er hoch.
»Doc Holliday! Sie sind verletzt…!«
Der Spieler hatte sich schon in den Sattel gezogen und nahm die Zügelleinen hoch.
»Doc…!«
Der Schecke trottete los.
Baker preßte die Zähne aufeinander. Dann wandte er sich um und lief auf den Niedergeschossenen zu.
Er schleppte ihn in seinen Hauseingang – und sah sofort, daß der Mann keineswegs tot war.
Ein Streifschuß an der Stirnkante hatte ihn betäubt; das war alles. Es war ein wild aussehender pockennarbiger Mensch von vielleicht achtundzwanzig Jahren.
»Doc Holliday!« murmelte Baker vor sich hin. Er kannte den Ruf des Gunfighters und Gamblers genau. Es hieß, dieser Holliday könne einer Fliege auf fünfzehn Yards ein Auge ausschießen. Er hatte den Burschen, der ihn aus der Dunkelheit heraus mit einem Schuß angefallen hatte, nur verletzt! Sicher nicht zufällig…
Selbst aber war er verwundet und ritt davon.
Welch ein sonderbarer Mann!
Schon am nächsten Tag konnte Doc Baker feststellen, daß es dem Sheriff besserging.
Mayor Fork stand mit gewichtiger Miene an der Tür des Krankenzimmers.
»Hallo, Sheriff! Das ist ja ein wahres Wunder, das der Mann da an Ihnen vollbracht hat. Wenn ich bedenke, wie Sie noch gestern aussahen. Ich hatte mal hier durch den Fensterladenschlitz hereingesehen. Heiliger Himmel. Sie sahen aus wie ein Toter! Und ausgerechnet dieser Revolverschwinger hat Sie wieder hingekriegt.«
Bis hierher hatte Baker schweigend zugehört. Jetzt lief ihm die Galle über.
»Hören Sie, Mayor, wenn Sie gekommen sind, dem Sheriff solchen Unsinn vorzukauen, dann gehen sie gefälligst wieder hinüber an Ihren Stammtisch, wo Dick Morris und Hale Ferguson ganz gewiß schon mit den Pokerkarten auf Sie warten.«
Der schnauzbärtige schwerleibige Mayor wandte sich entrüstet zur Seite.
»He, was ist denn mit Ihnen los, Doc! Sie haben es gerade nötig. Sind Sie nicht gestern selbst ganz schön vollgesogen aus Barks Kneipe rausgetorkelt, he?«
»Verschwinden Sie aus meinem Haus!« herrschte Baker den Bürgermeister grimmig an. »Gestern haben Sie sich nicht sehen lassen. Und heute ist der Sheriff nicht gesund genug, um Ihnen selbst die richtige Antwort auf Ihre albernen Worte geben zu können.«
Der Mayor ging, aber er kam am nächsten Morgen wieder. Mit seinem dröhnenden Baß redete er auf den Sheriff ein.
»Sie sind der einzige, der den Überfall überlebt hat. Ich nehme von den Beteiligten…«
»Sie reden Unsinn, Fork!«, knurrte der Arzt. »Der Sheriff war doch nicht an dem Überfall beteiligt.«
»Was…?« Eine dröhnende Lache seitens des Mayors. »Natürlich nicht. Ich meinte ja auch, daß er… Nun ja, er kam doch wohl dazu, schließlich haben Sie ihn auf der Straße direkt vor der Bank gefunden. Und die Straße war sonst leer. Bis auf Lonegan, und der ist tot.«
Da schoß die rechte Faust des greisen Arztes schnell vor und klammerte sich in den Jackenaufschlag Josuah Forks.
»Mayor, reden Sie weiter. Reden Sie weiter, aber seien Sie sehr vorsichtig mit dem, was Sie sagen.«
»Was habe ich denn gesagt? Die Straße war leer, und…«
»Und!«
»Nun ja, es stimmt doch, von Banditen war keine Spur zu finden. Nur Oakland lebt noch – ich meine…«
»Was meinen Sie?« forschte der Arzt frostig.
»Was ich meine«, trompetete der Dicke. »Ich sagte, daß von Banditen nichts zu sehen war, daß die Bank ausgeräumt, und daß Lonegan tot war und, daß Oakland noch lebt.«
»Sie müssen sagen: und daß der Sheriff mit einer Kugel, dicht neben dem Herzen, auf der Straße lag, zwei Yards neben dem toten Salooner.«
Fork zog die Schultern hoch. »Well, so kann man es natürlich auch sagen.«
»So muß man es sagen!«
»Ich habe doch nicht gesagt, daß Oakland die Bank ausgenommen hat, Mann. Wer hat denn so etwas behauptet?«
Da krallte sich auch die Linke des Arztes in die Jackenaufschläge des Mayors.
»Hören Sie sehr genau zu, was ich Ihnen jetzt sage, Mayor. Was Sie da eben losgelassen haben, war die größte Unverschämtheit, die mir je untergekommen ist. Und nun ersuche ich Sie, den Sheriff nicht weiter zu belästigen.«
Der Mayor kam wieder. Nach Tagen. Breitbeinig stellte er sich am Lager des Genesenden auf, spielte mit seiner Uhrkette herum und suchte mit bohrenden Fragen den Sheriff zum Reden zu bringen.
Aber Chris Oakland schwieg.
*
Der junge Bill Oakland, der es fertiggebracht hatte, auf seinen eigenen Vater zu schießen, war den beiden anderen gefolgt. Anderthalb Meilen westlich von der Stadt hatte er sie eingeholt.
Die beiden standen neben ihren Pferden und sahen ihm entgegen.
»Da bist du ja endlich«, meinte der eine, wobei er den Kopf mit einer merkwürdigen Bewegung in den Nacken warf.
»Yeah, Frank«, begann Bill keuchend, während er aus dem Sattel sprang. »Ich wurde aufgehalten.«
Der andere zündete sich eine Zigarette an und nahm von dem neben ihm stehenden Mann Feuer.
Zwei Herzschläge lang beleuchtete die kleine Flamme das harte Gesicht des Banditen, das von einem diabolischen Zug gezeichnet wurde.
Es war das Gesicht des berüchtigten Desperados Frank McLowery. Der Mann neben ihm war sein jüngster Bruder Tom. Die beiden Verbrecher aus dem San Pedro Valley bei Tombstone hatten wieder einmal einen ihrer Coups gelandet. Und diesmal hatten sie es besonders geschickt angefangen. Um nicht mit einem ihrer Kumpane aus der Clanton Gang teilen zu müssen, hatten sie es verstanden, den labilen Sohn des Sheriffs Oakland für ihre Pläne zu gewinnen. Erstens kannte sich der junge Oakland mit den Örtlichkeiten der Bank aus, und zweitens wußte er überhaupt mit allen Dingen, die Camp Bowie betrafen, genau Bescheid.
Aber der wichtigste Grund für die beiden berüchtigten Verbrecher, den jungen Oakland für diesen Coup anzuwerben, war die Tatsache, daß er der Sohn des Sheriffs von Camp Bowie war. Die beiden gerissenen Outlaws hatten damit gerechnet, daß in der kleinen Stadt höchstens der Sheriff gegen sie vorgehen würde.
»Vorwärts, wir wollen uns hier nicht aufhalten«, gebot Frank mit scharfer Stimme.
Die drei Banditen stiegen auf die Pferde und jagten nach Südwesten davon.
Wenige Wegminuten vor dem Apachepaß hielt Frank McLowery sein Pferd an. »Wir müssen uns hier trennen. Drei Pferde machen ein zu großes Geräusch. Hier oben auf den Höhen stecken immer noch die Indianer, die wir auf keinen Fall auf uns aufmerksam machen dürfen.«
Die drei umritten die Paßhöhe und trafen sich kurz dahinter auf der Straße.
Im Morgengrauen erst hielt Frank McLowery es für richtig, eine Rast einzulegen. Südlich von der Straße, am Fuße einer der aus Rotsandstein gewachsenen Felspyramiden, wickelten sich die drei Männer in ihre Decken.
Ein merkwürdiges dumpfes, rollendes Geräusch weckte Frank McLowery. Er richtete sich auf, wischte ich durch die Augen und blickte nach Westen, wo in der Ferne die Dragoon Mountains blauten. Drüben in der Steppe zog sich eine weißgelbe Staubfahne vor der Front der Berge entlang.
Frank stieß seinen Bruder an.
Der rieb sich schläfrig die Augen, reckte sich gähnend und blinkerte zu Frank hinüber.
»Was ist los?«
»Da! Die Overland. Auf der Butterfieldroute.«
Tom zog die Brauen zusammen. »Meinst du, daß es die Kutsche ist, die von Benson kommt?«
»Das ist sie todsicher«, entgegnete Frank.
Tom nagte an seinem Daumennagel herum und erklärte:
»Yeah, da sitzen die Pfeffersäcke vom San Pedro River drin. Die Hunde, die den einzigen grünen Fleck Weideland im County an sich gerissen haben und Tausende aus ihren Herden schlagen.«
Franks Augen waren auf einmal kieselhart und blitzten böse.
»Schätze, wir werden der rollenden Bretterbude zu einem Zwangsaufenthalt verhelfen.«
Tom blickte auf den schlafenden Bill Oakland hinüber.
»Und er? Was ist mit ihm?«
Ein zynisches Lächeln spielte um die Lippen des älteren McLowery. »Da macht er noch mit.«
Frank stieß den Mann aus Camp Bowie an.
»Vorwärts, Boy, steh auf. Es geht los.«
Der Bursche sprang erschrocken hoch und starrte aus glasigen Augen benommen um sich.
»Was ist los?« stotterte er.
Frank deutete mit dem Kinn nach Westen.
»Siehst du das da?«
»Yeah, es ist die Overland auf der Butterfieldroute.«
»Richtig, Brother«, entgegnete Frank grinsend. »Mach deine Kanone klar, es geht gleich los.«
Bill Oakland sah den Tombstoner Verbrecher entgeistert an.
»Sie wollen die Overland überfallen, Mister McLowery…?«
Frank warf den Kopf hoch. »Na und? Was ist dabei? Meinst du, daß das einen Unterschied macht, ob man eine Bank überfällt oder eine Postkutsche?«
Oakland fühlte, daß die Innenflächen seiner Hände feucht wurden. Er hatte es für ein großes Glück gehalten, als er bei seiner Rückkehr in die Heimat im Oriental Saloon mit Tom McLowery zusammengetroffen war. Durch ihn war er endlich an Frank gekommen, der als die rechte Hand Ike Clantons galt. Aber nun…?
Der Eigenbrötler Frank dachte gar nicht daran, den unbegabten Burschen in Ikes Crew zu bringen. Die Männer um den Gangsterboß mußten aus anderem Holz geschnitzt sein. Sie waren hart, verschlagen, zäh, gerissen und jeder von ihnen war ein Revolvermann, dem so leicht niemand den Meister zeigen konnte.
Als Frank McLowery erfahren hatte, daß Oakland aus Camp Bowie kam, und daß sein Vater dort Sheriff war, hatte er sofort einen Plan, den er eingehend jedoch nur mit seinem Bruder besprach. Bill erfuhr nichts weiter, als daß unter anderem auch eine ›Visite‹ in der Bank in Camp Bowie geplant sei.
Der Überfall lag hinter ihnen, und er war geglückt. Die McLowerys waren harte rücksichtslose Banditen. Frank hatte sich nichts daraus gemacht, den Salooner Lonegan einfach niederzuknallen, und ihre Rechnung mit dem Sheriff war auch aufgegangen. Das Geld hatten sie noch nicht geteilt.
Die beiden Desperados hatten auch gar nicht die Absicht, mit dem Burschen zu teilen.
Bill Oakland zog die Schultern hoch und ließ sie resigniert wieder fallen.
»Yeah, Mister Frank. Es ist nur…«
»Ich heiße McLowery, Boy. Für dich Mister McLowery. Vielleicht geht das in deinen Schafskopf noch hinein.«
»Was ich sagen wollte, Mister McLowery, ich meine, daß es doch ein Unterschied ist, ob man bei Nacht in eine Bank eindringt, die man ganz genau kennt, oder ob man am hellenTag auf offener Savanne eine Postkutsche überfällt.«
Die beiden gaben ihm überhaupt keine Antwort auf seinen Einwand. Sie erhoben sich, machten ihre Pferde los, nahmen ihre Colts aus den Halftern und ließen die Trommeln rotieren. Dann schoben sie die Waffen wieder in die Lederschuhe zurück und prüften ihren lockeren Sitz.
Frank schwang sich in den Sattel und strich prüfend über seinen scharf ausrasierten Bart.
»Vorwärts, Oakland, steig auf. Es geht los!«
Tom war auch aufgestiegen.
Bill Oakland stand noch neben seinem Pferd.
»Und – was soll ich dabei tun?«
»Du bleibst genau hinter mir und hältst die Halunken mit dem Gewehr in Schach.«
»Mit – dem Gewehr?« Bill Oakland war ein mäßiger Revolverschütze, aber von Gewehren verstand er noch weniger. Er fühlte sich mit der großen Winchester unsicher und gehandicapt. Nie hätte er in der Not zu einer solchen Waffe gegriffen.
Aber er war zu feige, dem Desperado Frank McLowery seine Bedenken einzugestehen.
»Krieche auf deinen Gaul!« schnarrte Frank.
Sie ritten los.
Oakland trabte hinter den beiden her. Wenn er sie nicht so gefürchtet hätte, würde er jetzt ganz sicher seinen Schimmel umgedreht haben, um davonzureiten.
An einer Wegbiegung hinter einer ziemlich niedrigen roten Felssteinbastion hielt Frank an.
Tom ließ auf einen Wink von ihm sein Tier weitertraben und blieb hinter den Steinen.
Frank glitt aus dem Sattel und zog sich seine schwarzen dünnen Handschuhe glatt. Überhaupt diese Handschuhe! Nie hatte Bill Oakland einen Mann gesehen, der in diesem heißen Land Handschuhe trug.
Der Desperado beschwerte seine Zügelleine mit einem kleinen Metallgewicht, das einen Ring hatte und das er immer bei sich trug. So vermochte das Pferd nicht ohne weiteres wegzulaufen.
Oaklands Tier wurde einfach an McLowerys Rappen festgekoppelt.
Dann stand der Verbrecher vorn am Weg, doch nicht an den Steinen, mit leicht gespreizten Beinen und ein wenig nach innen gesetzten Stiefeln. Dazu stemmte er die Hände in die Hüften und sah der Overland entgegen.
Ganz deutlich war nun das dumpfe Rumpeln und Rollen, Stoßen und Rattern der Overland zu hören.
Oakland wischte sich die schweiß-nassen Hände an den Hosen ab, und dann griff auch er nach seinem Revolver. Aber kaum hatte er ihn in der Rechten, als der Kopf des Tombstoner Banditen herumflog.
»Steck das Ding weg, Mensch. Ich habe dir doch gesagt, daß du das Gewehr nehmen sollst!«
Stumm gehorchte Oakland diesem Befehl. Eine ungeheure Spannung hatte von ihm Besitz ergriffen. Der Einbruch in die Bank von Camp Bowie war ihm nicht sonderlich gefährlich erschienen, aber das, was er jetzt hier mitmachen sollte, bedeutete Gefahr!
Er fürchtete sich.
Die Overland konnte höchstens nur noch zweihundert Yards entfernt sein.
Frank McLowery federte etwas in die Knie und richtete sich rasch wieder auf, als wolle er die Gelenkigkeit seiner Glieder prüfen, nahm dann beide Revolver aus den Halftern und ließ sie um die Mittelfinger rotieren. In Handsaltos flogen die Waffen wieder in ihre Lederschuhe zurück.
Bill hatte es mit weitoffenen Augen beobachtet. Seine Kehle war wie ausgedörrt. Er schluckte und holte krampfhaft Atem.
Dreißig Yards hatte die Overland noch bis zu der Gesteinsenge zu durchmessen.
Die vier Füchse trommelten mit sechzehn Hufen in dumpfem Takt über den staubtrockenen Savannenboden dahin.
Bill Oaklands Augen hafteten an der hochaufgerichteten Gestalt des Banditen Frank McLowery.
Dieser Mann hatte den Nerv eines Höhlenbewohners. Erst als die Kutsche bis auf etwa zwölf Yards herangekommen war, straffte sich sein Körper und federte in zwei weiteren Sätzen auf die Mitte des Wegs. Die beiden Revolver in seinen Fäusten brüllten auf.
Mervil Parker war auf der Fahrt nach New Mexico. Der Trader hatte in Benson Geschäfte erledigt und saß schweißgebadet in der einen Ecke des Fahrgastraumes. Hin und wieder wischte er sich mit einem grauweißkarierten Taschentuch durch den Kragen und über die Stirn. Und wenn er sich eine Zigarre anstecken wollte, verzog die ältliche Frau mit dem verwelkten Gesicht ihm gegenüber grämlich das Gesicht, so daß er es erst gar nicht riskierte.
Mrs. Pinglewood war dem Trader ohnehin gram, weil er auf dem ›schönen‹ und begehrten Eckplatz gesessen hatte, als sie die Kutsche bestieg. Mrs. Pinglewood wollte auch nach New Mexico. Drüben in Albuquerque wohnte ihre Tochter, die sie schon seit Jahren einmal besuchen wollte.
Der dritte Passagier war ein großer schlanker Mann mit hagerem strengen Gesicht, silbergrauem Haar und goldgeränderter Brille. Er hatte bisher noch kein einziges Wort gesprochen. Niemand wußte, wohin er reiste, wie er hieß, woher er kam, noch sonst irgend etwas von ihm. Erst sehr viel später sollte sich herausstellen, daß es ein ehemaliger Offizier und jetziger Angehöriger der Regierung namens
Clarke McIntosh war.
Der vierte Passagier war ein junges Mädchen von vielleicht sechzehn Jahren. Sie hieß Judy Wilkins, hatte dunkles Haar, ein blasses Gesicht, wasserhelle Augen und einen vollen geschwungenen Mund. Sie wollte nach Santa Fé, ihren Vater besuchen, der sich von Judys Mutter in Benson getrennt hatte und in Sandta Fé sein Geld am grünen Spieltisch verdiente.
Der fünfte Passagier war ein dreijähriger Junge, den der Driver für ein Trinkgeld von drei Dollar von Benson nach Angola City mitzunehmen hatte. Der Kleine quäkte und heulte fast ununterbrochen, so daß Mrs. Pinglewood sich immer wieder die Ohren zuhielt.
Da ließ ein Schuß die Menschen in der Overland zusammenzucken.
Mit lauten Schreien suchte der Driver die Pferde zu stoppen. Der hochrädrige Wagen geriet gefährlich ins Schlingern. Den Fahrgästen hatte es vor Angst den Atem verschlagen. Sogar der kleine Junge war verstummt.
Mitten auf dem Weg stand ein Mann. Er war groß, schlank und hatte in seinen vorgestreckten Händen zwei Revolver. Die untere Hälfte des Gesichtes wurde von einem schwarzen Tuch verdeckt.
Mit einem scheußlichen Knirschen war die Overland zum Stehen gekommen.
Verstört blickte der Driver auf den maskierten Mann auf der Straße. Auch sein Beifahrer musterte den Banditen mit furchtsamen Augen.
Fank McLowery, der berüchtigte Desperado aus dem San Pedro Valley, rief mit schriller Stimme:
»Nehmt die Hände hoch! Aber ganz hoch, wenn ich bitten darf.«
Der Driver und der Beifahrer nahmen die Hände in Schulterhöhe.
»So, und jetzt raus mit den Passagieren!«
Mervil Parker war der erste, der ausstieg. Mit erhobenen Händen und ängstlichen Augen trat er an den Wegrand. Ihm folgte McIntosh, auch er hatte die Hände erhoben.
Dann kam Judy Wilkins; sie trug das Kind auf dem Arm.
»Da ist noch einer drin«, ertönte plötzlich die Stimme Tom McLowerys hinter einem Stein hervor. Er sprang auf den Wagen zu, riß den Schlag auf und zerrte die vor Angst halb ohnmächtige alte Frau ins Freie.
Lloyd Nuget, der dreiundvierzig-jährige Driver, schoß einen schnellen Blick Tom McLowery hinüber.
Damned, die beiden Halunken kenne ich doch, überlegte er. Das sind doch zwei von Ike Clantons Leuten. Devils! Sollte der größere nicht gar Frank McLowery sein? Dann war der andere todsicher sein Bruder.
Und plötzlich tauchte hinten an den Steinen noch ein dritter Mann auf. Hochgewachsen, schlank, mit dunkelgrauem Anzug. Auch er trug wie die anderen eine schwarze Gesichtslarve. Die Augen, die darübersahen, waren blau und hart. Durch seine bessere Kleidung stach Bill Oakland von den beiden McLowerys ab. Aber er stand zu weit weg, als daß ihn irgend jemand von den Passagieren oder vom Fahrpersonal genau hätte erkennen können.
Frank McLowery hatte bemerkt, daß die Leute den dritten Mann mit besonders ängstlichen Augen musterten. Wahrscheinlich hielten sie ihn für den Boß.
Da rief Frank McLowery:
»Yeah, seht ihn euch an, Leute, er hat noch keinen Revolver in der Hand, und das ist euer Glück. Denn wenn er erst einen Colt in die Hand nimmt, dann sieht es finster für euch aus. Wetten, daß er ihn alle kennt? Es ist Doc Holliday!«
Den Gesichtern der Passagiere war der Schrecken deutlich anzusehen.
Nur der Mann neben dem Driver, der siebenundvierzigjährige James Gordon, der die Kutsche als Gewehrschütze begleitete, zog die Brauen zusammen.
»Wie denn das?« fragte er kaltherzig. »Da würde sich doch eher die Katze mit der Ratte vertragen, als Doc Holliday mit einem Clanton Man.«
Also hatte auch Gordon die beiden McLowerys als Angehörige der Clanton Gang erkannt.
Auf Franks Stirn grub sich eine tiefe Falte. Es zuckte ihm im Zeigefinger. Am liebsten hätte er den Overlandman niedergeschossen.
»Mir scheint, du hast ein ziemlich großes Maul, Staubschlucker«, zischte er. »Du kennst uns nicht. Versuche keinen Bluff. Los, spring ab und erleichtere die Herrschaften um ihre Geldbörsen.«
Händeringend bat die alte Frau, ihr doch die paar Dollars zu lassen, da sie sonst die Reise nicht fortsetzen könne.
Brutal stieß Tom McLowery sie mit dem Revolverlauf zur Seite.
Der Spuk dauerte nur drei Minuten.
Da hob Frank die Rechte mit dem Revolver.
»Los, einsteigen!«
Rasch und mit zitternden Gliedern kletterten die Passagiere wieder in den Wagen.
Mit Schüssen und Schreien trieben die Banditen die Pferde an. Die Overland rumpelte davon.
Frank hatte die Beute in einen der Lederbeutel gestopft, die auch das Geld aus dem Bankhaus enthielten.
Die Desperados lenkten nach Süden ab. Vor ihnen lag die staubige Wüste Arizonas mit den windverschliffenen roten Sandsteinsäulen.
Frank McLowery hatte es so eingerichtet, daß Oakland mit Tom voranritt.
Frank sah sich noch einmal nach der Overland um, und als er feststellte, daß sie nur als kleiner staubziehender Punkt in der Ferne sichtbar war, zog er ohne Hast mit der Rechten den Revolver, hob ihn an, so daß die Mündung auf den Rücken Oaklands zeigte, und spannte geräuschlos den Hahn.
Wie ein Keulenschlag traf das Geschoß den Voranreitenden.
William Oakland rutschte sofort tot aus dem Sattel.
Er hatte keine Zeit mehr gefunden, an den Vater zu denken, den er in der vergangenen Nacht niedergeschossen hatte.
Die beiden McLowerys stiegen von den Pferden, nahmen die Campspaten von den Sätteln und schaufelten den Toten ein. Sie taten es stumm und mechanisch. Danach zogen sie sich in die Sättel und ritten weiter.
*
Schnell war das Gerücht in Tombstone.
Doc Holliday sollte den Überfall auf die Overland geleitet haben? Undenkbar!
Als US Deputy Marshal Virgil Earp davon hörte, lachte er hellauf. Er schob seinem Bruder Morgan den Bericht der Butterfield Line zu.
»Hier, die scheinen plötzlich verrückt geworden zu sein. Doc Holliday als Bandenführer! Als Postkutschenräuber.«
Morgan, der jüngste der Earp-Brüder, schüttelte den Kopf. Er war ernster als Virgil und ganz sicher der schweigsamste Mann, den man sich denken konnte. Aber diese Nachricht entlockte ihm denn doch einige Worte.
»Wenn das die Clantons auf den Weg gebracht haben, dann war es ihr dümmster Streich. Ausgerechnet Doc als Postkutschenräuber! Der Mann kann am Spieltisch soviel Geld verdienen wie er will.«
Dennoch machte das Gerücht seinen Lauf. Wenn auch die meisten Menschen, die den Georgier kannten, die Köpfe schüttelten, so blieb es aber doch bei einigen Clanton-Freunden hängen.
Eine Woche darauf schlug eine Nachricht wie ein Donnerschlag in der Stadt ein: Die Passagiere der überfallenen Overland hatten die Banditen erkannt. Es waren Leute von der Clanton Gang.
Niemand trompetete lauter gegen diese Nachricht als Tom McLowery. Er stand im Oriental Saloon an der Theke und gebärdete sich wieder einmal so, daß die anderen Gäste von ihm wichen und schließlich allein an der Theke stand.
Das heißt, der alte Jimmy Norton blieb am Stirnende der Theke stehen und schlürfte sein Bier hinunter. Er war schwerhörig und hatte keinen Grund, vor dem räsonnierenden Banditen auszuweichen.
Das allerdings mißfiel Tom entschieden. Er zog seinen Colt und zerschoß das Bierglas, als der Alte es gerade zum Mund führen wollte.
Norton starrte ihn aus zornigen Augen an. »Was soll das?«
Der Desperado lachte schrill auf. »So gehts Leuten, die zuviel Mut haben, Alter.«
Da wurden die bastgeflochtenen Schwingarme der Pendeltür aufgeschoben. Ein großer, aschblonder Bursche blickte in das Halbdunkel, das zu dieser Morgenstunde noch in der Schenke herrschte. Es war Billy Claiborne, einer von der Gang. Er hatte ein fahles, nichtssagendes Gesicht mit vorgeschobenem Kinn und wäßrigen verschlagenen Augen. Den Hut hatte er weit in den Nacken geschoben. Sein blaues Hemd sah schmutzig aus, und seine gestreiften Hosen hatten sich vorn über den Knien derart ausgebeult, daß man glauben konnte, die Haut durchschimmern zu sehen. Nur eines war an dem Mann blank und offenbar gut gepflegt: sein Revolver, ein schwerer vierundvierziger Parker Colt, dessen brauner Knauf aus dem mit silbernen Nägeln beschlagenen Halfter hervorsah.
Claiborne hielt sich mit beiden Armen an den hohen Schwingarmen der Tür fest und sah zu Tom McLowery hinüber.
»He, Tom!«
»Yeah, Bill!«
Claiborne kam heran und blieb neben dem ›San Pedro Valley Cowboy‹ (wie die beiden McLowerys genannt wurden) stehen.
»Ich würde ja einen Drink werfen, aber…«
Tom nickte, ohne den anderen anzusehen. »Ich weiß, das würdest du immer gern. Aber zufällig ist dir heute morgen das Geld ausgegangen.«
»Woher weißt du…?«
»Ich weiß es seit Jahren«, entgegnete Tom mit einer wegwerfenden Handbewegung. Dann winkte er dem Barkeeper zu. »He, Jonny, gib dem durstigen Hund einen Whisky!«
Claiborne lachte schief und kippte den Schnaps hinunter.
»Hast du schon gehört? Doc Holliday hat eine Raubüberfall auf die Overland ausgeführt! Und zwei Clanton-Leute sollen mit dabei gewesen sein.«
Tom machte wieder seine wegwischende Handbewegung.
»Das mit den Clanton-Leuten ist Unsinn. Aber Doc Holliday? Weshalb nicht? Vielleicht hatte er keine Lust mehr, am Spieltisch auf sein Geld zu warten und zog einmal die schnellere Route vor. Schließlich ist er nicht eben langsam mit dem Colt und…«
Quietschend wurden die Schwingarme der Tür geöffnet.
Die beiden Tramps drehten sich um.
Drüben am Eingang zeichnete sich gegen die blendende Helle der Straße die Silhouette eines Mannes ab; er war groß, sehnig, schlank, trug einen breitrandigen dunklen Hut und einen schwarzen Anzug. An seinen Hüften blickten die elfenbeinbeschlagenen Knäufe von zwei fünfundvierziger Frontier Revolvern aus den Halftern.
Die Haltung des Mannes war auch in der Silhouette unverkennbar. Obgleich er sich jetzt nicht bewegte, wirkte seine Erscheinung so drohend und gefährlich, daß es dem großmäuligen und prahlerischen Tom die Sprache verschlug.
Der Mann in der Tür war Doc Holliday!
Gerade ließ der Georgier die Türarme los und kam mit langsamen federnen Schritten auf die Theke zu.
Billy Claiborne zuckte zurück und rannte wie von Furien gepeitscht hinaus.
Holliday blieb vier Yards vor dem jüngeren McLowery stehen.
Der hatte die Hand von seinem Glas genommen. »Was – wollen Sie, Doc?« kam es heiser aus seiner Kehle.
Der Spieler sah ihn nur schweigend an.
Dem Verbrecher wurde höllisch unbehaglich zumute. Plötzlich brüllte er los: »Was wollen Sie?«
Als der Gambler auch jetzt noch nichts sagte, ihn nur unverwandt ansah, schrie Tom mit überschlagender Stimme:
»Was wollen Sie von mir? Ich – habe nichts – mit Ihnen zu schaffen, Doc!« Er drehte ab und stakste auf steifen Beinen zur Tür.
Als die Schwingarme hinter seinem Rücken zuschlugen, warf der Georgier ein Geldstück auf die Theke.
»Brandy!«
Sehr rasch schob ihm Jonny Gennan ein Glas Brandy über die Theke.
Der alte Norton rieb sich das Kinn. Das Unbehagen, das ihm Tom McLowery eingeflößt hatte, war noch stärker geworden. Norton warf zwei Nickel auf das Thekenblech und schlurfte hinaus.
Der Gambler trank in Ruhe sein Glas aus und verließ dann die Schenke ebenfalls.
Vorm Crystal Palace hatte eine gutaussehende blonde junge Frau gewartet, die sofort auf den Georgier zulief.
»Doc! Um Himmels willen! Die Clantons verbreiten in der Stadt das Gerücht, du hättest…«
Der Mann wehrte die Frau von sich und sah mit harten Augen die Straße hinunter.
»John!« Die hübsche junge Frau spannte ihre schlanke Hand um den Unterarm des Mannes. »John, es geschieht etwas. Etwas Furchtbares! Ich fühle es. Was wollen sie von dir? Du mußt weg. Wir könnten heute noch die Overland hinüber nach Santa Fé nehmen. Wir fahren weiter nach Dodge City. John, ich flehe dich an! Du weißt, ich habe es unten in Fort Griffin auch gespürt, in Syracuse und in Virginia City. Es war schlimm. Aber hier zieht sich etwas Fürchterliches zusammen.«
»Laß mich in Ruhe!«
Wieder löste der Mann ihre Hand von seinem Arm und wandte sich ab.
Kate Fisher sah ihm nach, als er mit seinem elastischen, federnen Schritt die Straße überquerte und auf Velbers Mietstall zuhielt.
Wenige Minuten später sah sie ihn aus dem Tor kommen. Er saß im Sattel seines Scheckenhengstes und ritt nach Osten aus der Stadt.
Tom McLowery kreuzte gegen zehn Uhr im Crystal Palace auf. Er lehnte sich mit dem linken Ellbogen auf die Theke.
»Schon gehört, Boy? Holliday ist verschwunden.«
Der Keeper nickte nur und spülte seine Gläser weiter aus.
»He, Schnapsverdünner, ich habe dich etwas gefragt.«
»Yeah, ich habe gehört, daß er weggeritten ist.«
Da fuhr der Bandit herum und knurrte: »Weggeritten? Geflohen ist er, Mensch! Aber das kann ja ein Dummkopf wie du nicht kapieren. Der Hund ist geflohen, weil er weiß, was ihm hier blüht.«
»Was blüht ihm?« forschte der schiefgesichtige Messerwerfer Frank Stilwell, der angetrunken am Stirnende stand.
Tom sah ihn wütend an. »Was einem Mann eben blüht, der eine Postkutsche überfallen hat.«
»Ich verstehe gar nicht, daß er getürmt ist«, meinte der Gorillamensch Curly Bill Brocius, »wo doch die Earps ganz sicher für ihn einstehen werden?«
»Die Earps?« Tom wandte sich um. »Hm? Virgil ist ein sonderbarer Vogel; ich weiß gar icht, ob er sich so ohne weiteres vor ihn stellen würde.«
»Morg ist doch auch in der Stadt«, krächzte Frank Stilwell.
»Morg?« Tom schob sich eine widerborstige schwarze Haarsträhne aus der Stirn. »He, das wußte ich noch gar nicht. Was will denn der Bursche hier?«
»Einer von den Kerlen scheint dauernd hier zu Gast zu sein!« krächzte der kleine hartgesichtige Eddie Flanagan.
»Das werden wir ihnen schon noch austreiben!« röhrte Frank Stilwell mit einer weitausholenden theatralischen Geste.
Indian Charly, der schlitzäugige verschlagene Mestize, beugte sich tief über das Thekenblech und meinte mit seiner gutturalen Stimme:
»Es wundert mich, daß Wyatt Earp so lange nicht mehr hier war.«
Wie auf ein stummes Kommando flogen die Köpfe der Tramps herum.
Auch Frank McLowery, der in diesem Augenblick die Schenke betreten und den rechten Schwingarm der Tür noch festgehalten hatte, warf den Kopf zur Seite und ließ den Türpendel los.
Tom pfiff: »He, Rothaut, was schnatterst du da? Wyatt Earp? Willst du vielleicht den Teufel an die Wand malen? Wir sind froh, daß wir den Zahnklempner mit seinen höllischen Schießeisen los sind, und jetzt faselst du von seinem Kompagnon!«
»Ich finde, ihr faselt überhaupt alle zuviel!« kam da Frank McLowerys näselnde Stimme vom Eingang her.
Curly Bill blickte sich um. »He, Frank, wo kommst du denn so plötzlich her? Ist Ike etwa auch in der Stadt?«
Der Desperado dachte gar nicht daran, auf diese Frage eine Antwort zu geben.
Stilwell wischte sich durch sein vom Whisky stark gerötetes Gesicht und lachte blöd.
»Frankieboy! Wie sieht’s aus?«
»Maulhalten!« fuhr ihn der Desperado an.
»Yeah, Maulhalten!« lallte Stilwell dumm. »Immer sollen wir das Maul halten.«
»Richtig«, glaubte Curly Bill zustimmen zu müssen. »Wir haben das Maul gehalten, als Wyatt Earp hier mit dem Holzhammer sein Gesetz hereinpauken wollte. Wir haben das Maul gehalten, als Doc Holliday eine Kutsche überfiel. Wir haben auch das Maul gehalten, als Ikes Vater neulich an der Grenze niedergeknallt wurde. Ike weiß immer noch nicht, wer ihn umgebracht hat…«
»Mexikanische Cowboys!« Es war der greise Jerome Villiers, dem diese beiden Wörter entschlüpft waren.
Sofort richteten sich die Augen der Banditen auf ihn. Der Alte war lange Zeit unten im Courthouse gewesen, wo er Schreibarbeiten für Richter Jefferson und den Mayor erledigt hatte.
Frank McLowery wandte sich an den Keeper.
»He, sag dem Alten, daß er verschwinden soll, ehe ich an der Theke bin, sonst gibt’s Maulschellen.«
Der Keeper sah den alten Villiers hilflos an.
»Es tut mir leid, Mister – aber Sie haben ja gehört…«
»Was tut es dir?« knurrte Tom, »leid tut es dir? Ich habe das Gefühl, daß du Zahnschmerzen hast, Boy!«
Frank nahm den Bruder an der Schulter und zog die Brauen zusammen.
»Kümmere dich nicht um ihn, Tommy. He, gib mir ein Bier!«
Der Keeper schenkte ein Bier ein.
Frank Stilwell fegte sein Glas von der Theke, daß es an der Wand zerschellte. Dann ballte er seine Fäuste und grölte:
»Sie sollen sterben – die Earps! Sag, daß ich sie auseinandernehmen soll, Frank Mc Lowery! Sag es – ich – harke mit meinen Colts in Stücke! Yeah – damned!« Plötzlich hatte er den Revolver in der Faust, und schon bellte der Schuß auf.
Die Kugel klatschte gegen ein Metallschild, das an seinem Pfeiler befestigt war und ein Getränk anpries. Jaulend heulte sie als Querschläger davon, und an einem der Spieltische schrie eine Frau auf. Sie hatte den Abpraller als glühenden Streifer über den nackten Oberarm bekommen.
Eiskalt hatte Frank McLowery seinen Colt genommen und ihn dem Angetrunkenen über den Schädel gezogen.
»Bill, schaff ihn raus!«
Bill Claiborne verzog das Gesicht. Erst als Tom ihm einen Stoß in die Rippen gab, bequemte er sich, der Aufforderung des älteren McLowery nachzukommen.
Der Keeper wagte nicht, seinen Unwillen in seinem Mienenspiel erkennen zu lassen.
Frank McLowery richtete sich auf und sah sich im Saloon um.
»Es herrscht Ordnung in Tombstone. Und wenn der Marshal nicht dafür sorgen kann, dann werden wir es eben tun.« Bedeutend schärfer fügte er hinzu: »Und vor allem bei uns herrscht Ordnung. Ike will es so!« Damit ging er hinaus.
Obgleich niemand wagte, der rechten Hand Ike Clantons offen zu widersprechen, hatten die ›Boys‹ doch ziemlich weit auseinandergehende Ansichten von Ordnung.
Curly Bill und Frank Stilwell zum Beispiel. Diese beiden ›Gents‹ hatten eine ganz eigene Meinung von den Dingen. Und sie beschlossen, noch an diesem Tag, oder vielmehr noch an diesem Abend, dieser ihrer Ansicht handgreiflichen Nachdruck zu verleihen.
Sie hatten bis gegen neun bei dem zwergenhaften Mexikaner Alvarez oben in der Fremonstreet an der Theke gestanden. Mit schweren schleppenden Schritten gingen die beiden hinaus. Obgleich es nur wenige Yards bis hinunter in die Allenstreet waren, brauchten die beiden Outlaws doch eine halbe Stunde dazu. Sie hatten nämlich einen kleinen Umweg gemacht. An Ive Houndrys Holzlager vorbei.
Und als sie in die Mainstreet kamen, hatte Frank Stilwell eine anderthalb Ellen lange schlanke Faßdaube in der rechten Faust.
Jetzt gingen sie hintereinander, wortlos, dicht an den Häuserwänden entlang.
Als sie die Allenstreet erreichten, blieb Stilwell stehen und sah sich um. Curly Bill nickte und stampfte auf die Straße hinaus.
Drüben an der Ecke hielt er inne, zog seinen Colt, packte ihn am Lauf und zertrümmerte mit dem schweren Knauf eine Fensterscheibe.
Stilwell war inzwischen weitergegangen. Er stand jetzt dicht neben der Tür des Marshals Office.
Die Tür sprang auf.
Ein Mann stürmte hinaus. Es war Virgil Earp.
Stilwell riß die schwere Daube hoch.
Sofort warf sich Virgil Earp herum. Aber zu spät. Hart und knackend sauste der Hieb auf seinen Kopf nieder, ließ ihn schwanken, gegen die Hauswand taumeln und da langsam zusammensinken.
Stilwell hatte die Schlagwaffe fallenlassen und die Flucht ergriffen.
Auch Curly Bill hatte längst seinen Platz neben der zertrümmerten Fensterscheibe an Geoffreys Bäckerei verlassen.
Kaum eine Minute später spurtete ein Mann von Westen die Allenstreet herauf.
Morgan Earp! Er sah seinen Bruder neben der Officetür am Boden liegen, riß seinen Colt aus dem Halfter und rannte weiter.
Aber von dem Täter war nichts mehr zu sehen.
Sie hatten es genau auskalkuliert, die beiden Outlaws.
Curly Bill würde durch Finners Hof rasch in die Toghnutstreet flüchten. Und Stilwell brauchte nicht einmal bis zur nächsten Ecke zu laufen. Denn kurz davor war Gaby Bonneys schmalbrüstiges Haus, wo man zu jeder Nachtstunde hineinkommen konnte. Das bildhübsche aber verrufene Tanzgirl aus dem Crystal Palace hatte nie etwas gegen späte Besucher einzuwenden.
Zu ihr flüchtete Frank Stilwell.
Die neunundzwanzigjährige Frau stand am Fenster und wandte sich erschrocken um, als der Bandit bei ihr eintrat.
»Frank? Was willst du hier?«
»Still!« zischte der Tramp, der draußen auf dem Vorbau die raschen Schritte eines Mannes hörte. Es war Morgan, der vorbeihastete, um in die Seitentraße sehen zu können.
»Hast du drüben die Scheibe zertrümmert?« flüsterte Gaby erregt.
»Nein.«
Draußen kam der Mann wieder vorbei.
Die Frau preßte sich in die Fensternische. »Morgan Earp!«
»Verdammt! Sei doch still!« fauchte der Verbrecher.
Gaby Bonney kam langsam in die Raummitte und blieb stehen. Verächtlich musterte sie den Banditen.
»Feigling!«
Stilwell zog seine borstigen rotblonden Brauen zusammen.
»Was fällt dir ein, du Schlampe!«
»Elender Feigling. Läufst du vor dem kleinsten Earp weg!«
»Dem kleinsten? Bist du verrückt? Der Bursche ist einen halben Kopf größer als ich und bärenstark. Außerdem schießt er so gut wie seine Brüder. Ganz davon abgesehen ist es immer lebensgefährlich, einen von dem Earp-Clan anzugreifen. Es ist fast immer ein anderer in der Nähe.«
Morgan kniete neben seinem Bruder. »Virg! He, Virg!«
Aber der US Deputy Marshal von Tombstone rührte sich nicht mehr.
Eine Glutwelle des Zorns stieg in Morgan hoch. Mit zusammengebissenen Zähnen packte er den Bruder hoch und schleppte ihn ins Office.
Doc Goodfellow war nicht mehr der Jüngste. Es dauerte eine Viertelstunde, ehe er kam. Er hatte kaum einen Blick in das Gesicht des Bewußtlosen geworfen, als er mit besorgter Miene erklärte: »Sie müssen ihn sofort nach Hause schaffen, Morg!«
Mit harten Augen blickte Dora Earp den Männern entgegen, die ihren Mann ins Haus trugen.
Im dunklen Korridor starrte sie auf den leblosen Körper.
»Ist er – tot?« stammelte sie.
Morgan schüttelte den Kopf.
»Er ist niedergeschlagen worden, von hinten…«
Da packte die Frau ihn derb am Arm.
»Hör zu, Morgan, du brauchst das Von-Hinten gar nicht zu betonen. Es ist mir völlig einerlei, ob er von hinten, von vorn oder von der Seite niedergeschlagen wurde. Mir reicht die Tatsache, daß sie ihn niedergeschlagen haben! Wie mir überhaupt alles reicht, was mit eurem irrsinnigen Beruf zusammenhängt.«
Nach einer halben Stunde kam Virgil zu sich und sah verwundert in das Gesicht seiner Frau.
»Tut mir leid, Dora.« Er versuchte zu lächeln. »Irgend so ein Halunke hat mir eins über den Kopf gegeben. Aber es ist nur halb so schlimm. He, der Doktor ist ja auch hier? Wozu denn das? Morg, wie komme ich überhaupt hierher? Hast du mich etwa hergebracht?«
Morgan nickte. Er stand am Fenster und starrte mit blanken, zornigen Augen auf die Straße.
Virgil war schon am nächsten Vormittag wieder auf den Beinen. Er verspürte zwar einen stechenden Schmerz im Schädel, wenn er sich bewegte, aber mit der eisernen Energie, die eine Familieneigenschaft der Earps zu sein schien, ging er tatsächlich zur Arbeit ins Office.
Die Frau sah ihm nach, ergriff den Arm ihres Schwagers und bat:
»Morg, bleib bei ihm. Ich sehe es seinem Gesicht an: Er ist nicht in Ordnung. Er will es die anderen nur nicht merken lassen.«
»Ich weiß.«
»Du weißt gar nichts!« begehrte sie auf. »Morg, ich sage dir, es gibt ein Unglück!«
»Yeah.«
»Ich weiß es schon lange. Du kannst dich darauf verlassen. Dieses Gefühl hat mich noch nie betrogen.«
»Yeah!«
»Vielleicht kannst du störrischer Bursche auch einmal etwas anderes sagen als yeah! Virg wird diesen Job noch mit dem Leben bezahlen! Das wird er! Weil er sein will wie sein Bruder Wyatt. Wie euer Bruder Wyatt. Wie der große Wyatt Earp! Wie dieser…«
Morg hatte sich abgewandt.
Da packte die Frau seinen Unterarm.
»Du wirst mir jetzt zuhören, Morgan!«
»Yeah, Dora?«
»Dein Bruder Virgil hätte ein besseres Leben haben können. Er war Offizier; und zwar ein guter Offizier. Bis er von Wyatt hörte. Von dem berühmten Sheriff Wyatt Earp! Da mußte auch er plötzlich Sheriff werden. Ein berühmter Gesetzesmann; wie sein Bruder Wyatt. Aber ich sage dir, er wird weder berühmt werden noch sonst etwas. Sie werden ihn töten, morden! Virg ist kein Mensch wie Wyatt. Er hat nicht…«
Morgan wollte hinaus.
»Du sollst mir zuhören.«
»Dora, ich mag es so wenig wie Virg, wenn über Wyatt geschimpft wird. Sorry.« Er suchte rasch wegzukommen; aber Dora Earp hatte seine kurze Weste schon gepackt.
»Ihr mögt es nicht! Ich weiß. Aber ich halte es für meine Pflicht, es euch zu sagen. Ihr seid beide keine Wyatts. Virg nicht, und du auch nicht. Ihr seid keine Sheriffs. Ihr seid nicht hart, wie er hart ist. Ihr könnt nicht schießen wie er, habt keine Freunde wie er…«
»Er hat auch keine Freunde«, unterbrach Morgan hastig.
»Ach? Und Doc Holliday, ist er nicht sein Freund?«
»Ich weiß es nicht«, knurrte er.
»Ihr werde es beide bereuen, du und Virgil. Damned, weshalb wollt ihr Wyatt nachäffen?«
Da wandte Morgan sich noch einmal um.
»Hör zu, Dora. Ich will nicht mit dir streiten. Aber wir beide lieben Wyatt. Noch etwas: Hast du vielleicht mal darüber nachgedacht, daß Virgil hier Feinde hat? Wyatt hat oben in Dodge City eine Mauer geschaffen, die so leicht keine Bande mehr durchbricht. Und bei mir drüben in Santa Fé stehen genug Boys, die so etwas wie eine Clanton Crew gleich ersticken. Hier aber ist dein Mann Sheriff…«
»Ich denke, Jonny Behan ist Sheriff?«
Eine spöttische Lache huschte über Morgans Gesicht.
»Jonny Behan? Er ist eine Puppe. Eine Marionette für Ike Clanton. Virgil ist hier Gesetzesmann, Dora. Und wenn Wyatt ihm beisteht, mußt du ihm dafür dankbar sein.«
»Dankbar, ich? Wofür?« zeterte die Frau erbost. »Daß Virg durch ihn ein Mensch geworden ist, der ständig Feinde hat? Daß er jeden Augenblick mit einer Kugel im Leib ins Haus getragen werden kann? Nein, Morgan Earp! Du kannst mich nicht beirren: Wyatt ist an allem schuld. Wenn er nicht der große Sheriff ist, dann hätte mein Mann auch wohl niemals den blauen Rock ausgezogen.«
Der junge Mann blickte seine Schwägern zornig an.
»Niemand hat den Lieutenant Earp gekannt. Den Tombstoner Marshal Earp kennt jeder. Aber auch darauf kommt es nicht an. Virg ist Gesetzesmann; er ist das, was sein Bruder Wyatt ist, und was ich bin. Er erweist auf seinem Platz diesem Lande ganz sicher einen größeren Dienst, indem er nämlich dem Gesetz zum Durchbruch verhilft, als wenn er irgendwo in einem Fort viele Jahre lang auf der faulen Haut läge. – Well, in Tombstone wird es Kampf geben, und wir werden bei diesem Kampf an Virgils Seite stehen.«
»Kampf, Kampf, immer wieder Kampf!«
»Yeah, Kampf!«
Als Virgil an diesem Tag nach Hause kam, fand er unter dem Türschlitz einen Brief. Er riß ihn auf und las die wenigen Worte, die da in Krakelschrift standen:
Verschwinden Sie aus der Stadt, Virgil Earp. Sie werden sonst das Ende dieses Monats nicht erleben!
Ohne Unterschrift.
Virg knüllte den schmierigen, mit Fettflecken und Tintenklecksen besäten Fetzen zusammen und stopfte ihn in seine Westentasche.
Mit seiner Frau sprach er nicht darüber. Auch nicht mit seinem Bruder Morgan.
Doch als Morg an diesem Abend gegen halb zehn vor seinem Gesicht ein Bowiemesser in einen Türbalken klatschen und im Holz federnd stecken sah, hielt Virgil, der nur einen Schritt vor ihm ging, inne und riß seinen Revolver aus dem Halfter.
»Verdammte hinterlistige Bande!«
Morgan zog das Messer aus dem Holz und schob es in seinen Gurt. Er meinte nur:
»Offenbar führen die Clantons jetzt einen lautlosen Indianerkrieg gegen uns.«
Was in diesen Tagen von seiten der Banditen auch gegen die Earps unternommen wurde – es schlug alles fehl. Morgan ließ alles von sich abprallen wie Wasser von einer Regenhaut. Aber Virg machte sich schwere Sorgen.
Nicht seinetwegen; er war hart wie Morg. Er sorgte sich um seine Familie. Um Dora und die Kinder.
So gut wie der Schlag mit der schweren Faßdaube die Schädelbasis verfehlt hatte, hätte er sie tödlich treffen können. Und der schwere Stein, der durch das große Fenster seines Büros hereingeschleudert worden war, hätte ihn ebenfalls lebensgefährlich treffen können.
Mayor Clum suchte Virgil in seinem Office auf.
»Hallo, Marshal!«
»Hallo, Mayor!«
Der alte Zeitungsmann und jetzige Bürgermeister von Tombstone ließ sich seufzend auf einen Hocker nieder.
»Wie geht’s?«
»Leidlich.«
Clum zündete sich eine Pfeife an.
»Ich weiß nicht, Virg – ich werde das Gefühl nicht los, daß es in Tombstone stinkt.«
»Das Gefühl habe ich schon lange, Mister Clum.«
»Well, aber jetzt ist es besonders stark. Irgend etwas liegt in der Luft…«
Virgil Earp nickte. »Da können Sie recht haben. Wenn ich bloß wüßte, was es ist.«
Der Mayor rieb sich die Nase und stopfte die hochgegangene Glut in den Pfeifenkopf zurück.
»Ich werde mal mit Behan sprechen. Vielleicht weiß er ja etwas.«
Virgil ließ ein leises Lachen hören.
»Sie sind ein Optimist, Mayor. Selbt wenn er etwas weiß – Sie werden aus diesem Kerl nichts herausbringen.«
Jonny Behan blickte mit Unbehagen im Genick auf, als der Bürgermeister sein Büro betrat.
»Sheriff, ich muß Sie sprechen.«
»Ja, was wollen Sie, Mayor? – Ich meine…«
Clum ließ sich auf einer nicht eben sehr sauberen Wandbank nieder. Und dann begann er. Aber so geschickt er es auch versuchte – er brachte aus dem verstockten, unsicheren, feigen und doch wieder verschlagenen Hilfssheriff von Tombstone nichts heraus. Mußte ihn aber in dem festen Bewußtsein verlassen, daß dieser Jonny Behan eine ganze Menge von dem wußte, was in der Stadt vorging.
Als er schon an der Tür war, schnarrte Behan dem Bürgermeister zu:
»Morgan Earp ist in der Stadt.«
John Clum wandte sich um.
»Ich weiß. Und…?«
Behan zog die Nase geräuschvoll hoch und gab sich sorgenvoll.
»Hoffentlich gibt’s keinen Ärger.«
John Clum lachte dröhnend auf.
»Sie machen mir Spaß, Behan. Sie wissen doch so gut wie ich und jeder andere in dieser nervösen Stadt, daß Morgan Earp ein friedlicher Bursche ist, wenn ihn niemand reizt.«
»Kann sein, aber vielleicht sind die Männer um ihn nicht auch so friedlich.«
Da kam der Mayor zurück und blieb vor dem Schreibtisch des Hilfssheriffs stehen.
»Wissen Sie, Behan. Sie sind ein merkwürdiger Bursche. Jetzt haben Sie zum erstenmal gewagt, Farbe zu bekennen.«
Jonny Behan lief rot an.
»Ich – ich habe Farbe bekannt? Das – was soll das denn heißen?«
»Sie haben gegen die Earps geredet.«
»Na und? Das tun doch viele Leute.«
»Viele?« Der Mayor schüttelte den Kopf. »No, Behan. Nur die, die auf seiten einiger Strolche stehen.«
»Ich kümmere mich nicht um die kleinen Streitigkeiten der Leute. Ich bin schließlich Sheriff…«
»Well. Und Virgil Earp ist US Marshal. Es wäre gut für Sie, wenn Sie das nicht vergessen würden. Und Morgan Earp ist ebenfalls Marshal. Und Wyatt auch. Und was für Sie noch wichtiger ist: Es ist ihrer aller Aufgabe, für Ruhe und Frieden in dieser Stadt zu sorgen. Es wird ganz sicher schlecht für Sie sein, wenn Sie sich gegen Ihren Kollegen Virgil Earp stellen, Mister Behan. Wir haben Sie uns nicht ausgesucht; aber nun sind Sie einmal da sind, mache ich Sie als Mayor von Tombstone darauf aufmerksam, daß Sie sich an das Gesetz zu halten haben. Und nicht an den jeweils stärksten Mann dieser Stadt.«
Der lasche Jonny Behan sprang nicht auf, um sich diesen Vorwurf zu verbitten. Er schluckte ihn, weil er ihn schlucken mußte. Weil er auf einem Posten beharrte, auf dem ein Schwächling wie er nichts zu suchen hatte. Weil er sich hinter den Männern verkroch, die er für mächtiger hielt als die Sternträger, die zufällig alle drei den Namen Earp trugen. Weil er ein Versager war!
*
Der späte Oktobertag hatte ein warmes Licht. Im Cochise County herrschte immer noch Sommer. Indianer-Sommer! Graubraun lag die Wüste von Arizona hinter einem wolkenlosen, azurfarbenen Himmel.
Hier und da unterbrach ein Turm-kaktus die Eintönigkeit der Landschaft. Es war ein ödes, trostloses, heißes Land, dieses südliche Arizona unweit der mexikanischen Grenze.
Am Ende einer der wenigen von
Mesquitegestrüpp durchsetzten Kakteenfelder lag ein länglicher flacher Holzbau, der einen verwahrlosten Anblick darbot.
Wohnhaus und Stallung befanden sich unter einem Dach. Die Corralgatter waren morsch und zerfallen. Die beiden Wagendächer, die den Stall überragten, ließen mehr Sonne durch, als sie Schatten spendeten.
Ein Anwesen, auf dem vielleicht vor einem Vierteljahrhundert einmal ein Mensch die Absicht gehabt hatte, zu arbeiten. Heute jedoch eine Räuberhöhle. Ein Banditennest. Die Clanton Ranch!
Die Tür stand offen. Aber das Vorbaudach und das niedrige Fenster gönnten dem Tageslicht dennoch nur wenig Eintritt.
Ein armseliger Raum. Düster, mit rohbehauenen Möbeln bestellt. Ohne die geringste Spur jener Sorgfalt, die eine weibliche Hand verraten hätte.
Und doch hockte in der Herdecke eine Frau. Eben über fünzig, mit verhärmtem Gesicht und leidvollen großen dunklen Augen. Das strähnige Grauhaar hing ihr bis auf die Schultern, ihre Hände lagen auf den mageren Schenkeln.
Elizabeth Clanton war gelähmt; seit Jahren schon. Tatenlos hatte sie dem Verfall der Ranch zusehen müssen. Damals, als sie mit ihrem Mann hergekommen war, war sie fest davon überzeugt gewesen, daß in einem Vierteljahrhundet hier einmal eine blühende Farm stehen würde. Vor allem, als ein Junge nach dem anderen zur Welt kam.
Die frühzeitig Gealterte wandte den Kopf zur Seite und sah die drei Männer an, die am Tisch saßen. Rasch schloß sie die Augen und drehte den Kopf wieder nach vorn.
Es war nach dem zweiten Überfall von weißen Banditen gewesen, da hatte ihr Mann mit dem Trinken angefangen. Und war dabei geblieben.
Wieder blickte die Frau zur Seite.
Vorn der Tür gegenüber saß ein großer wuchtiger Mann mit hartem dunklen Gesicht und seltsam bernsteinfarbenen schimmernden Augen. Er hatte dunkles Haar und ein glattrasiertes Gesicht. Den Stetson trug er weit in den Nacken geschoben. Scharf stach das grellgelbe Halstuch von seinem roten Hemd und dem dunklen Gesicht ab. Sein Gesicht war grob und herrisch. Mit einem harten Mund, mit einem energischen Kinn, leicht gebogener Nase und einer Stirn, die von scharfen Falten durchzogen war.
Mein Sohn Isaac, dachte die Frau. Was hatte sie sich nicht alles von ihm erhofft! Und was war aus ihm geworden? Ein Desperado, ein Bandit, der sich Rebell nannte, König von Arizona.
Er war der Anführer einer ganzen Reihe von Männern, die höchstwahrscheinlich selbst nicht genug wußten, weshalb sie ihm folgten und auf ihn schworen – die aber seine Macht bedeuteten. Eine Macht, vor der Tombstone und das ganze County zitterten.
Rechts hinter ihm an der Längssei-
te des Tisches saß sein Bruder Phin.
Ein mittelgroßer Mensch mit bläßlichem, aufgedunsenem Gesicht, schmalen Lippen, ebenfalls weitvorspringendem Kinn und einem Augenpaar, das von einem seltsam verwaschenen Blau war.
Phin war der unbedeutendste der Clanton-Brüder.
Vorn an der Wand zwischen Fenster und Tür stand ein junger drahtiger, wild dreinblickender Bursche von etwa siebzehn Jahren. William oder ›Billy‹, wie er gerufen wurde, der jüngste der Clantons.
In seinen Augen brannte ein dunkles Feuer. Er war ein echter Clanton und doch auch wieder nicht.
Sie glichen einander alle drei, die Clanton Brothers, und doch waren sie grundverschieden. Ike war ein selbstherrlicher, verblendeter Mann, der seine zweifellos vorhandenen organisatorischen Fähigkeiten an eine Gang, an eine Verbrecherbande verschleuderte, und dadurch sich und seine Brüder, seine Familie und seine Freunde und Anhänger mit in den Strudel des Unheils riß.
Phin war ein Bandit, darin ein Clanton – aber er war auch feige, und darin kein Clanton.
Um Billy Clanton war es schade. Er hätte ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft werden können, wenn er nicht das große Unglück gehabt hätte, zwei Männer als Brüder zu haben, von denen der eine zwar eine Persönlichkeit, aber von geradezu napoleonischem Größenwahn und mit dem Starrsinn eines sizialianischen Straßenräubers behaftet – und der andere ein hemmungsloser Trinker, ein hinterlistiger, charakterloser und deshalb gefährlicher Mensch war.
Dazu brannte in Billy das Feuer der Jugend, der Ehrgeiz, ein großer Mann zu werden, wie der von ihm verhängnisvoll hochgeschätzte Bruder Ike.
Jetzt stieß er sich von der Wand ab und blieb vor dem Tisch stehen.
»Wann reiten wir?« fragte er mit einer Stimme, der man noch deutlich den Jüngling anhörte.
Ike antwortete nicht. Er schien den kleinen Bruder überhaupt nicht zu beachten.
»Halt den Rand«, krächzte Phin und fischte sich die Whisky-Flasche und ein Glas heran.
Mit einem linken Backhandwischer fegte Ike dem Bruder das Glas aus der Hand. Er sah ihn nur an.
Phin stieß die Luft ärgerlich durch die Nase aus, lehnte sich aber zurück und ließ von der Flasche ab.
Billys Augen hafteten unverwandt auf Ike.
»Wann reiten wir?«
Der ›große‹ Clanton nahm sich mit seltsam bedächtigen Bewegungen eine lange braune Virginia aus der Reverstasche seiner hellen Jacke, riß ein Zündholz unter der Tischkante an und sagte in die erste blaue Tabakwolke hinein:
»Hörst du schlecht, Kleiner. Phin hat dir doch etwas gesagt.«
Phin lachte kichernd. »Yeah, Ike, er hört schlecht. – Du sollst nämlich dein Maul halten, Billyboy, wenn Ike denkt.«
Ike wandte den Kopf wieder Phin zu.
»Wer sagt dir, daß ich denke?«
Phin rutschte unbehaglich zurück. »Ich – sehe es dir an.«
»Aha. Du bist ein kluger Junge«, versetzte der Ältere spöttisch.
»Also!« Billy spannte die Rechte um den Griff seines großen Revolvers. »Wann reiten wir?«
Ike blickte langsam zu ihm auf.
»Was heißt überhaupt: wir? Habe ich dir nicht hundertmal gesagt, daß du nichts mit uns zu tun hast, daß du hierbleiben sollst, bei deiner Mutter, daß wir keine Kinder in der Crew brauchen können…?«
»Ich bin kein Kind!« unterbrach ihn Billy trotzig. »Ich werde demnächst achtzehn, und da hattest du schon den ersten Gunfight hinter dir!«
»Rede nicht!« wies ihn der ›große‹ Bruder zurecht. »Du bleibst hier auf der Ranch!«
Billy funkelte ihn an. »Auf der Ranch! Was soll ich hier, auf deiner herrlichen Ranch?«
»Es ist auch deine Ranch!«
»Meine? Pah! Wenn ich einen Stuhl umwerfe, gibst du mir einen Fußtritt. Wenn ein paar Rinder fehlen, ist es meine Schuld, und du schreist mich an, wie ein Boß seinen Cowboy anschreit. Kann ich hier irgend etwas tun? – Also, ich reite mit. Die Herde steht bereit. Unser Vater ist dafür gestorben und…«
Hart und brennend saß die Hand Ikes in dem Gesicht des Burschen.
Die Frau in der Ofenecke war zusammengezuckt.
Ike sah sich nach ihr um.
»Was redest du von ihm? Ich habe es dir verboten. Er hatte Pech.«
»Pech?« Es war die Frau, die dieses Wort wie einen hysterischen Schrei von sich gegeben hatte. »Nein, Ike, dein Vater war ein Dieb. Ein ganz gewöhnlicher Rinderdieb. Weil er nicht mehr die Kraft hatte, auf der Ranch zu arbeiten, weil der Alkohol ihn ausgehöhlt und vernichtet hatte, deshalb stahl er Rinder. Und deshalb mußte er sterben.«
Die drei Clanton-Brüder standen stumm und reglos da.
»Yeah, Ike«, fuhr die Frau fort, »und du hast es ihm gezeigt, wie man ohne allzuviel Arbeit auch zu Rindern und Dollars kommt. Du allein trägst die Schuld an allem!«
Die Frau hatte sich in ihrem Lehnstuhl aufgerichtet. Auf ihrem grüngelben bleichen Gesicht brannten plötzlich hektische Flecken. »Sein Tod sollte dir eine Warnung sein, Ike! Du wirst deine Brüder und dich selbst, uns alle und die anderen, die dir folgen, in den Tod reißen. Ich weiß es!«
Ike zerbiß die Strohhalmspitze seiner Zigarre. »Mutter, du weißt nicht, was du sprichst.« Damit ging er zur Tür. Seine wuchtige Gestalt füllte den Rahmen und ließ es fast dunkel im Zimmer werden.
Billy trat an die Ofenecke.
»Er trägt nicht die Schuld. Ma, das darfst du nicht sagen. Ike ist – er ist ein besonderer Mensch. Es waren die Feinde, well, unsere Feinde, die Vater ermordet haben. Und unsere Feinde sind die Earps. Wyatt Earp und seine Brüder sind unsere einzigen echten Gegner. Vater hatte gegen sie zu kämpfen. Und Ike tut seit Jahren nichts anderes.«
»Was schwätzt du da!« zischte die Frau wild vor Zorn und Verzweiflung. »Merkst du nicht, daß es Unsinn ist, was du da sagst! Daß es Ike ist, der aus dir spricht! Was haben die Earps euch getan? Was hat Ike mit ihnen zu schaffen? Sie sind Gesetzesmänner. Wyatt ist ein berühmter Marshal. Und auch seine Brüder sind überall im Westen als gute Sheriffs bekannt. Weshalb stemmt Ike sich gegen sie? Ich will es euch sagen!«
Ike wandte sich um.
»Bill!«
Der Bursche wandte den Kopf.
»Du wirst die Gatterstangen am Corral reparieren. Und zwa sofort. Wenn ich zurückkomme, ist das vordere Gatterteil zum Corraltor hin in Ordnung. Komm, Phin!«
Bill stieß Phin zur Seite und flog mit vier, fünf Schritten hinter Ike her. An der Vorbaukante erreichte er ihn und faßte ihn am Arm.
»Du hast kein Recht, mich wegzuschicken, Ike. Ich gehöre zu euch. Zu dir! Und ich werde mit dir reiten. Ich weiß so gut wie du, daß es Kampf geben wird. Kampf um Leben und Tod. Daß gekämpft werden muß, wenn du der Herr im County bleiben willst. Und ich weiß, daß du mich zu diesem Kampf brauchst.«
In dem Kaktusfeld, das von Mesquitegestrüpp durchsetzt war, stieg eine Staubwolke auf, die sich wie eine Fahne rasch näher zog.
»Sam!« sagte Bill nur.
Ja, es war Sam Jenkins, einer der Männer, die früher für den alten Clanton hier auf der Ranch gearbeitet hatten. Jetzt trieb er sich im County und vor allem in der Stadt herum, hatte jede regelmäßige Arbeit aufgegeben und folgte den Befehlen seines Boß’ Ike Clanton.
Es war ein kleiner Mann, breitschultrig, sein Kopf saß halslos auf dem massigen Rumpf, das Gesicht war bärtig, dunkel und wirkte wie der ganze Mann verwildert.
»Boß – der Marshal hat Ferguson niedergeschlagen…«
»Der Marshal?« kam es fast leise von den Lippen des Bandenchiefs.
»Virgil Earp.«
»Und…?«
»Morgan war bei ihm.«
»Und…?!« donnerte Ike Clanton den Cowboy an.
»Sie mußten umkehren.« Der kleine Sam Jenkins hatte es fast furchtsam und mit heiserer Stimme hervorgebracht.
Ike schleuderte den Rest seiner Zigarre in den Hof. Da war also der erste Teil des großen Schlages danebengegangen!
Drüben hinter der Grenze stand die große Herde, die der Vater noch mit zusammengetrieben hatte. Gestohlene Rinder! Die Ware des wichtigsten Geschäftes der Clantons.
Jonny Ferguson und Kid Barry hatten eine Tarnherde durch Tombstone zu treiben. Nur ganz wenige Rinder, Tie-re, die auch aus Mexiko kamen. Virgil Earp hatte Ferguson nicht passieren lassen.
Es war sogar zum Kampf gekommen. Ferguson war niedergeschlagen worden. Und wenn Jenkins berichtete, daß die Herde hatte umkehren müssen, dann war das ein sehr schlechtes Zeichen, denn Ferguson hatte fünf Männer bei sich gehabt.
Und Virgil hatte nur einen einzigen Mann bei sich.
Jenkins rutschte aus dem Sattel und schlug seinen staubigen Hut aus.
»Es riecht nach Pulver in den Straßen von Tombstone, Ike – obgleich alles still zu sein scheint«, sagte er dumpf. »Buster Loon hat seinen Laden geschlossen. Break und Idstein haben dichtgemacht. Und Garry Goldman will seinen Saloon auch vernageln, hieß es heute morgen.«
Langsam zogen sich die Hände des Bandenführers zu Fäusten zusammen.
»Wo ist Frank?«
»Frank McLowery oder Frank Stilwell, Boß?«
»Hast du Idiot je gehört, daß Ike einen Kerl wie Stilwell Frank nennt!« fuhr Billy den Cowboy an.
»Frank McLowery ist nicht da, soviel ich weiß. Er hätte sich sonst sehen lassen. Henry Cidwell hätte sonst nicht versucht, Morgan anzugreifen, und die beiden Flahertys wären nicht auf die schiefe Idee gekommen, dem Marshal aufzulauern, wie es neulich Stilwell und Curly Bill versuchten. Solange Frank da ist, hat alles mehr Hand und Fuß. Am besten wäre es, wenn Ike in die Stadt käme.«
Billy fauchte den Zwerg an:
»Am besten wär es, wenn du das Ike selbst überlassen würdest, verstehst du. Vorwärts, kriech in deinen Sattel, und such Frank!«
Jenkins nickte, stülpte sich seinen Hut auf und setzte einen Fuß in den Sattel.
»Kann ich nicht wenigstens einen Drink bekommen?«
Da schoß Billy auf ihn zu und riß ihn herum.
»Hier ist keine Schenke, Jenkins! Hier ist die Clanton Ranch, und wenn du nicht sofort verschwindest, mache ich dir Beine!«
Ike hatte stumm zugesehen.
Er wußte längst, daß der ›kleine‹ Billy kein kleiner Billy mehr war. Daß er ihm nachgewachsen war und Phin längst ausgestochen hatte. Das war ein Mann, wie er ihn brauchte.
Jenkins stob davon.
Ike sah zum Corral hinüber.
»Trotzdem – du bringst den Zaun in Ordnung, Bill.«
Der Bursche zog die Lippen zwischen die Zähne und stemmte die Fäuste in die Hüften.
»Phin, unsere Pferde. Wir reiten«, befahl Isaac Clanton.
Billys Kopf flog herum.
»Wohin reitet ihr?«
»Das geht dich einen Dreck an.«
»Ich dachte, wir sind Brüder. Und da werde ich dich doch fragen können…«
»Das kannst du nicht!« herrschte Ike ihn an. »Aber ich will es dir trotzdem sagen: Wir reiten zum Kloster. Da warten Freunde von drüben auf mich.«
Das ›Kloster‹ war die Ruine einer Mission, die von spanischen Mönchen vor Hunderten von Jahren dicht an der mexikanischen Grenze errichtet worden war. Seit langem benutzte Ike Clanton diesen Ort als Treffpunkt für seine ›Freunde‹ von drüben. Diese Freunde waren nichts weiter als mexikanische Peons, die dunkle Geschäfte mit Ike machten.
»Zum Kloster?« wiederholte Billy mit belegter Stimme. »Well, dann reite zum Kloster. Aber reite allein. Phin wird mir bei dem Corralzaun helfen. Ich bin hier kein Knecht für euch! Wenn du schon der Boß bist, dann reicht mir ein Boß. Phin kann hierbleiben und mitarbeiten.«
»Da hast du nicht einmal so unrecht.« Zum erstenmal schob Ike seinen ständigen Schatten, seinen Bruder Phineas, ab. Der ›kleine‹ Billy hatte sich durchgesetzt.
Mit gleichgültiger Miene nickte Phin und wandte sich zum Hauseingang.
Ike nahm die Zügel hoch.
»Wann kommst du zurück?« fragte Billy.
Ike zog die Brauen finster zusammen.
»Das wirst du schon erleben.«
»Und wenn es inzwischen in Tombstone losgeht?«
»Was soll losgehen?« röhrte Ike. »Ohne mich kann gar nichts losgehen! Außerdem seid ihr alle viel zu nervös. Das County gehört uns, und Tombstone liegt im County.«
»Gehört Tombstone dir auch?«
»Ich habe das verdammte Gefühl, daß du darauf wartest, daß ich absteige, um dir eine runterzuhauen, Bill! – Tombstone ist meine Stadt, unsere Stadt. Und wer sie uns streitig machen will, der stirbt. Larry Anderson hat in den Sand gebissen, als er mit seinen Boys kam. Marty Collins liegt auf dem Craveyard, Norman Teck und Jack Billinger sind ihm gefolgt. Und wie war es mit Bliff Bristol, he? Ich habe ihn ausgelöscht wie alle anderen vor ihm, die sich in Tombstone Rechte anmaßen wollten, die ihnen nicht zustanden.«
»Und die Earps?«
Ike Clanton schien einen Schein blasser geworden zu sein, als sein jüngerer Bruder diesen Namen aussprach.
»Die Earps? Hör zu, Billy, es wohnt nur ein Earp in Cochise County.«
»Aber die anderen gibt’s auch. Es gibt sie, wie es beispielsweise die beiden McLowerys gibt, die ja auch nicht aus dem County stammen, die aber doch mit dir reiten. So gibt es eben Wyatt Earp, Doc Holliday und Morgan Earp.«
»Ich hörte, daß Morgan in der Stadt ist. Er hat Pech. Hätte daheim bleiben sollen, wenn in Tombstone gerade reiner Tisch gemacht wird.«
»Und wann willst du reinen Tisch machen?«
»Du fragst entschieden zuviel, Boy.«
»Nein – ich frage nur, was ich fragen muß. Du willst die große Herde durchs County treiben. Du willst sie sogar durch Tombstone bringen. Und dazu hast du alle deine Leute aufgebracht. Ich weiß, daß Cleve Norton und Mat Fedderson in Tombstone sind, daß Vinc Cattova und Charlie Best zum Kloster kommen, daß die Hendersons unterwegs sind und die Slaughters in der Stadt gesehen worden sind. Du willst die Earps endgültig stellen…«
»Nicht die Earps!« brüllte der Bandenführer. »Nur Virgil Earp!«
Billy schob sich eine störrische lackschwarze Haarsträhne aus der Stirn.
»Hoffentlich wartest du damit nicht, bis er in der Stadt ist.«
Es war eine halbe Minute still. Phin spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken kroch.
Und obgleich Ike genau wußte, wen Bill gemeint hatte, fragte er mit schiefgelegtem Kopf und rostiger Stimme:
»Er…?«
»Ich meine den einzigen, den du zu fürchten hast: Wyatt Earp!«
Ike sog die Luft tief ein und sah über das steppenartige Land, das sein Haus umgab, und sagte wie nebenher:
»Wenn er kommt und mitsterben will, Bill, dann ist das allein seine Sache.«
»Wenn er kommt, ist es nicht ausgeschlossen, daß auch Doc Holliday kommt.«
»Auch er lebt schon viel zu lange«, knurrte der Bandenführer. »Sie können beide mit Virg und Morg abkratzen. Und sie werden abkratzen!« Plötzlich schrie er mit drohend erhobenen Fäusten:
»Ich werde sie vernichten! Alle, die gegen mich sind, die mir den Weg verlegen wollen. Sie werden ausgerottet, mit Stumpf und Stiel. Und wenn sie alle hier sind, um so besser. Dann ist es ein Abwaschen. Ich dulde keine Quertreiber in meinem Land…«
*
Gegen Abend ritten Phin und Billy Clanton in die Allenstreet ein.
Die Stadt machte einen sonderbar bedrückenden Eindruck, dem sich auch die beiden Reiter nicht entziehen konnten.
Virigl Earp war auf dem Weg zum Post Office, als er die beiden sah.
Billy hielt sein Pferd an.
»He, Phin, sieh dir den Mann mit dem Stern an. Noch lebt er. Wie gesund manche Leute doch vor ihrem Tod aussehen.«
Virgil hatte diese lautgesprochenen Worte eigentlich überhören wollen, aber das entsetzte Gesicht zweier Bürger, die auf dem Vorbau standen, veranlaßte ihn doch zu einer Entgegnung.
»In deinem Alter sollte man doch nicht vom Tod sprechen, Boy. Er läßt nicht mit sich spaßen. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß er manchmal Appetit gerade auf blutjunge Burschen hat, die ein zu großes Maul riskieren.«
Billy Clanton wurde flammendrot vor Zorn. Er rutschte aus dem Sattel. Wäre Phin ihm nicht im Hechtsprung aus dem Sattel nachgesprungen und hätte ihn im Sturz mit sich niedergerissen, so wäre der verblendete Bursche tatsächlich auf den bulligen Marshal zugerannt.
Phin keuchte.
»Du bleibst, Billy, oder ich schlage dir den Schädel ein.«
Der bedeutend gewandtere Billy riß sich los und federte hoch. Drohend stand er vor dem Bruder.
»Was fällt dir ein. Wie kannst du mir ins Kreuz fallen! Ich sollte dich…«
»Mach hier kein Lamento!« fuhr Virgil dazwischen. »Wenn ihr krakeelen wollt, könnt ihr das draußen in eurem Kuhstall tun!«
Billy Clanton bebte vor Wut.
»Kuhstall? Hat er – Kuhstall gesagt, Phin?«
Da trat Virgil Earp dicht an ihn heran. Er überragte den ungebärdigen Burschen um eine halbe Haupteslänge.
»Yeah, Billy, ich habe Kuhstall gesagt. – Phin, nimm deinen kleineren Bruder und wasch ihm den Kopf in kaltem Wasser, sonst gibt’s Ärger.«
Phin, der hinter Billy stand und sah, daß der mit einem wilden Schrei losstürmen wollte, hatte den Colt hochgerissen und den Bruder niedergeschlagen.
Er packte den Torkelnden und schleppte ihn zum Pferd.
Virgil half ihm, den Burschen in den Sattel zu bringen.
»Verschwindet!«
Phin ritt ein paar Schritte weiter, wandte sich dann um und schrie wie ein heiserer Kojote:
»Wir verschwinden, wann wir wollen. Die Stadt können Sie uns nicht verbieten! Je eher Sie das begreifen, Earp, um so besser ist es für Sie!«
»Schwing keine Reden, Clanton, zieh ab!«
Aber Phin dachte gar nicht daran, zu verschwinden. Er brachte Bill zu seinem Onkel Jonny Harwood, der an der Ecke der Third- und Fremontstreet, also direkt neben dem Eingang zu O.K. Corral wohnte.
Der alte Harwood sah dem benommen dreinblickenden Burschen, den Phin stützte, verstört entgegen.
»Damned!« knurrte der vor siebzehn Jahren aus Manchester eingewanderte Engländer ärgerlich. »Was habt ihr denn jetzt schon wieder angestellt? Könnt ihr denn keine Ruhe halten?«
»Billy wollte sich mit Virgil Earp anlegen!«
»Mit Virgil – sagt mal, seid ihr verrückt? Dann stimmt es also, was in der Stadt gemunkelt wird, daß euer Bruder Ike zum großen Schlag gegen den Marshal ausholen will?«
»Yeah, es stimmt!«
Billy steckte seinen Kopf in eine Pferdetränke. Das lange schwarze Haar flog um seinen Kopf, als er die Nässe wie ein Hund von sich schüttelte.
»Hallo, Uncle John! Phin ist ein Idiot. Hör nicht auf ihn. Gib mir lieber eine Zigarette.«
Der Alte winkte ab.
»Prügel hättet ihr verdient, alle…«
Gegen sieben Uhr schwadronierte Phin im Oriental Saloon herum; er hatte wieder einmal zuviel getrunken.
Und einige der zweibeinigen Ratten waren aus ihren Löchern gekommen, um vom ›Wohlstand‹ des Clantonbrothers mitzuzehren.
Drohreden wurden geschwungen; es wurde geflucht, gebrüllt, gejohlt und getrunken.
Gegen elf flog die Tür der Schenke auf, und Frank McLowery kam herein. Er machte nur drei Schritte in den Schankraum und sah aus zusammengekniffenen Augen auf die Männer. Einen nach dem anderen musterte er forschend.
Zuletzt blieben seine Augen auf dem Bruder hängen.
»Tom!«
»Frank…?«
»Hast du vergessen, was Ike gesagt hat?«
Tom McLowery nahm seinen Hut ab, kippte sich das noch halbvolle Whiskyglas über den Schädel aus und feixte Phin an.
»Das kühlt und macht wieder frisch!«
Grinsend folgten die anderen seinem Beispiel.
Dann wandte Phin sich um.
»Zahlen!«
Phin zahlte für alle. Wie er es meistens tat. Und meistens hatte ja auch nur er Geld. Woher das kam, schien niemanden zu kümmern.
Frank stieß ihn beiseite, und trat an die Theke.
»Was Tom getrunken hat, zahle ich.«
Eine halbe Stunde später kamen Curly Bill und Frank Stilwell allein zurück.
Als der Salooner ihnen nichts geben wollte, packte Curly ihn am Rock, zerrte ihn über die Theke und drosch ihn zusammen.
Die zeternd herbeiggeilte Frau des Wirtes stieß er grob zurück.
»Schenk ein, alte Heulsuse! Sonst raucht’s heute schon in Tombstone!«
Er ließ diesen Worten sein bekanntes dröhnendes Gelächter folgen, in das Stilwell sofort einfiel.
Nach einer Viertelstunde verließen die beiden Outlaws ›gestärkt‹ die Bar und standen mit wilden Gesichtern auf dem Vorbau.
»Behan schläft. Bei Virg ist noch Licht. Wir sollten Ike zuvorkommen und ihm etwas Arbeit abnehmen, he!«
Sie stampften los.
Ohne sich über das, was geschehen sollte, abzustimmen, stießen sie die Tür des Marshals Office auf und standen mit gezogenen Colts plötzlich im Raum.
Aber der Tombstoner Marshal stand hinter ihnen. Mit dem Revolver. Und Morgan stand im Türwinkel.
»Ich habe gern unerwarteten Besuch, Gents, aber ich bin gewohnt, daß man bei mir anklopft! – Morg, nimm ihnen die Kanonen weg!« sagte Virg ruhig.
Morgan nahm den beiden Banditen die Revolver ab, leerte die Trommeln und schleuderte die Schießeisen auf die Straße hinaus.
Virgil blieb breitbeinig vor den Tramps stehen.
»Boys, als ich den Stern nahm, sagte mir mein Bruder Wyatt – ich schätze, daß ihr ihn kennt – denk immer daran, Virgil, du bist jetzt kein Schießhund, sondern ein peace officer. Ich bin also ein Mann, der für den Frieden – nicht aber für den Kampf zu sorgen hat. – Ich habe mir das gemerkt, wie ihr leicht feststellen könnt. – Denn sonst hätte ich euch längst für eure hinterhältigen Sondervorstellungen um ein paar Unzen Blei schwerer gemacht, Amigos. Wenn es aber einigen Leuten unbedingt mißfällt, daß Frieden herrscht, dann nehme ich auch am Kampf teil. Mit dem gleichen Eifer. Damit nach diesem Kampf dann wieder Frieden
herrscht. Ist das klar? Raus jetzt!«
Am nächsten Morgen war Morgan Earp um sieben Uhr mit Virgil ins Office gegangen und hatte dort das Bureau sauber gefeg. Eine Arbeit, die sonst Mrs. Bourland machte, die Schwester des verstorbenen Hütemachers Jesse Bourland aus der Fremonstreet, die sich aber schon seit Tagen nicht mehr sehen ließ.
Aus Angst. Überhaupt hatte sich das Gespenst der Angst so breit in der Stadt gemacht, daß es auch in das letzte Haus und in die letzte Hütte eingedrungen war.
Die Clantons wollten den Kampf. Sie wollten ihn um jeden Preis. Und jeder neue Tag machte es deutlicher.
Wann kam der große entscheidende Fight? Wer focht ihn aus?
Etwa die beiden Earps allein gegen die Clanton Crew?
Das konnte sich Ike nicht leisten. Und das würde er sich auch nicht leisten. Der Kampf gegen die Earps mußte ein fairer Kampf sein. Jedenfalls für die Augen der Bevölkerung.
Wie Ike das allerdings anstellen wollte, das wußte noch niemand. Zur Stunde wußte er es selbst auch noch nicht.
Aber in dem Augenblick, als Morgan Earp das Office verließ, weil er in Virgils Haus Papiere holen wollte, die der Bruder am Morgen vergessen hatte, beugte sich siebenundzwanzig Meilen weiter südwestlich der Gangsterchief Isaac Clanton über die kleine Balustrade in den Klosterhof und sah Frank McLowery an, der vor siebzehn Männern im Sattel saß und auf die Anweisungen wartete, die der Boß geben würde.
»Bring die Leute an die Grenze, Frank. Sie sollen Flanagan helfen. Und morgen früh geht der Trail los.«
Da war das Alarmsignal! Der Trompetenstoß zum Kampf.
Frank McLowery schluckte.
Ike hob den Arm.
Frank wandte sich um. »Ihr habt gehört, was der Boß gesagt hat. Owen führt euch! Vorwärts!«
Der Troß sprengte aus dem Kloserhof.
Mit harten, schimmernden Kohlenaugen sah ihnen der Cowboy aus dem San Pedro Valley nach. Und als er den Kopf wenden wollte, blieben seine Augen auf einem alten gebeugten Mann hängen, der vorn neben dem Tor lehnte.
Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Frank in das Gesicht des toten Bill Oaklands zu sehen.
Langsam ging er auf den Mann am Tor zu.
Das Herz des Verbrechers begann plötzlich schneller zu schlagen, als er sah, daß der Mann unter dem offenstehenden Hemd einen blutigen Verband trug.
»Was – wollen Sie?« fragte er heiser.
»Mein Name ist Oakland.«
»Sheriff Oakland!« entfuhr es dem Desperado.
»Yeah, und Sie sind Frank McLowery!« Der Mann richtete sich auf.
Frank warf den Kopf hoch.
»Was wollen Sie hier? Und wie kommen Sie überhaupt hierher?«
»Fragen Sie nicht so viel, McLowery. Sie wissen selbst, daß da unten die Overland vorüberfährt. Sie haben sie oft genug angehalten.Genauso, wie Sie sie oben auf der Butterfield Line gestoppt haben.«
Franks Gesicht erstarrte zur Maske eisiger Abwehr.
»Sind Sie vielleicht geisteskrank, Mann?«
»Schweigen Sie!« herrschte der Sheriff von Camp Bowie den Tramp an. »Einer der Passagiere jener Postkutsche hat Sie erkannt, McLowery. Sie, Ihren Bruder – und meinen Sohn! – Mich interessiert nur eines: Wo ist mein Sohn?«
Frank wandte sich rasch um.
Oben an der Brüstung stand noch immer Ike Clanton und sah zu ihm hinunter. Auf keinen Fall sollte der Boß von den Eigenunternehmungen der beiden McLowery-Brüder erfahren.
Frank zog den Colt.
Da wandte sich Oakland um.
»Schießen Sie mir in den Rücken, Frank McLowery. So, wie Sie es gewohnt sind. So wie Sie meinen Jungen unten am Apache Paß in den Rücken geschossen haben, wo James Gordon, der Beifahrer der Overland, am nächsten Morgen das Erdloch fand, in das Sie meinen ermordeten Jungen geworfen…
Zwei Schüsse bellten auf.
Frank sah sich um.
Rechts neben der Mauer stand sein Bruder Tom, der noch den rauchenden Revolver in der Hand hielt.
Langsam brach der Sheriff von Camp Bowie zusammen.
Er war sofort tot. Das war das Ende seines für ihn so beschwerlichen Weges vom Camp hierher.
Mit ausdruckslosem Gesicht hatte Ike Clanton die Szene beobachtet. Frank ging rasch auf die Balustrade zu.
»Ein Spion…«
Ike sah ihn aus kieselharten Augen an.
»Hast du dir einmal Gedanken darüber gemacht, wie die Sache auszutragen ist«, überging der Bandenführer die Erklärung und den blanken Mord, bei dem er eben Zeute gewesen war.
»Du meinst, den Kampf in Tombstone?«
»Yeah.«
Frank stieg langsam die abgetretenen Stufen der Balustrade hinauf.
»Wir werden sie wegfegen.«
»Wen?«
»Virg und seinen Bruder, der ja nun einmal dabei ist.«
»Und wer ist wir?«
»Wir… Na, jedenfalls ein paar von uns. Wir beide, Tom, Claiborne, Curly Bill und Pete Spence…«
Der Bandenführer schüttelte den Kopf.
»Nein, Frank. Wir treten nicht mit sechs Mann gegen die beiden auf die Straße.«
»Sondern…?«
»Das erledigen zwei von uns.«
Frank schluckte.
»Und wer sollte das sein?«
»Die besten von uns.«
Der ältere McLowery schickte einen Seitenblick zu seinem Bruder.
Der stand noch unten im Hof. »Ich gehe immer mit Frank, Ike.«
»Du tust, was ich sage!« knurrte der Boß ihn an.
Tom senkte den Kopf.
Und sein Bruder hatte plötzlich ein verdammt heißes Gefühl in der Kehle.
Ike wollte also mit ihm allein in den Fight gehen!
»All right!« sagte er dumpf. »Wie du meinst, Ike…«
Indian Charly lungerte in einer Mauernische herum und sagte, ohne irgend jemanden anzusehen:
»Das ist eine faire Sache, Boß. Nur – die Earps schießen zu gut. Ich meine…«
»Halt’s Maul!« herrschte Frank ihn an.
»Ich meine…«, fuhr der Mestize unbeirrt fort, »daß ihr beide auch gut schießt. Aber bei solchem Gleichgewicht ist die Gefahr zu groß, daß wir alle nachher unter einer fehlgegangenen Kugel zu leiden haben. – Deshalb werde ich jedenfalls in der Nähe sein. Und wie ich Curly Bill kenne, kann ihn auch niemand halten.«
Ike Clanton schrie:
»Du hältst dein ungewaschenes Maul, Rothaut! Es ist Kampf. Und er muß so durchgestanden werden, daß nachher niemand etwas daran aussetzen kann.«
Das Halbblut grinste.
»Well. Aber was ist, wenn Doc Holliday ganz plötzlich wieder auftaucht? Vielleicht haben dir deine lieben Freunde, die dir immer um den Bart streichen, noch nicht verraten, daß der Spieler vor einigen Tagen in der Stadt war.«
Der Bandenchief wurde um zwei volle Töne blasser. Sein Schädel flog zu Frank McLowery herum.
»Was faselt das Stinktier da?«
Frank rieb sich die Fingernägel an den Aufschlägen seiner Weste blank. »Ach ja, hältst du es denn für so wichtig? Ich vergaß, es dir zu berichten.«
»Holliday war in der Stadt?« forschte Ike fassungslos. »Und das sagst du mir nicht?«
»Na und? Willst du dich deshalb aufkrempeln?«
»Aufkrempeln? Mensch, wenn dieser Wolf in der Gegend ist, dann sieht doch alles ganz anders aus! Dann muß ich doch die Sache völig anders einrichten. Idioten seid ihr, unfähige Idioten, alle miteinander.«
Stumm standen die Banditen um ihren Anführer herum.
Frank McLowery wurmte die Art, in der Ike mit ihm sprach, aber auch er riskierte keine Entgegnung mehr.«
Es war der Halbindianer, der das Schweigen brach:
»Ist doch alles in Ordnung. Ich bin in der Nähe, Curly Bill und Pete Spence auch. Wir halten auf jeden Fall das Gewicht in der Waage, falls der verdammte Doktor drüben auftauchen sollte.«
»Nichts da!« brüllte Ike. »Ich werde mir die neue Lage genau überlegen müssen. Auf jeden Fall müßt ihr sofort in die Stadt. Frank, nimm die anderen alle mit.«
McLowery nickte.
»Und du…? Wo finde ich dich?«
»Ich habe noch einen Weg zu erledigen. Dann komme ich auch in die Stadt…«
*
Clarke McIntosh war nach Tombstone gekommen. Man gedachte bei der Regierung den Überfall auf die Overland an der Butterfield Route nicht so ohne weiteres hinzunehmen. Clarke McIntosh war einmal ein hoher Offizier gewesen, der heute in Zivil für die Regierung arbeitete.
Er stand in Tombstone bei Richter Spencer und erklärte ihm:
»Sie können mir sagen, was Sie wollen: der eine war Doc Holliday. Well, einer der Banditen sagte es, aber es war mir ohnehin sofort klar! So mußte Doc Holliday aussehen. Groß, schlank, hager, gefährlich…«
Der Richter sog die Luft tief in seinen mächtigen Brustkasten.
»Würden Sie ihm das selbst sagen, Mister McIntosh?«
Der Regierungsmensch schrak zusammen.
»Wo denken Sie hin, Richter! Ich – soll das diesem höllischen Menschen selbst sagen? Ich bin doch nicht lebensmüde!«
»Hm, wir werden aber nicht darum herumkommen. Wenn ein Mensch angeklagt wird, muß man es ihm auch sagen.«
»Um Himmels willen, ist er denn in Tombstone?«
»Ich glaube nicht. Aber das sagt nicht viel. Er kann jeden Augenblick in der Stadt auftauchen. Wie ich ihn kenne, wird das sogar ziemlich sicher geschehen. Denn hier braut sich etwas zusammen.«
»Was denn, um Gottes willen?« erkundigte sich McIntosh, wobei er nach seinem Hut und seinem Stock griff.
»Dinge, die Sie doch nicht verstehen würden, Mister. Ich verstehe sie ja selbst kaum.« Und während er sich abwandte und aus dem Fenster auf die Toughnutstreet schaute, meint er seufzend:
»Vielleicht versteht sie niemand. Nicht einmal die, um die es dabei geht.«
Mister McIntosh hatte es plötzlich fürchterlich eilig. Und er bereute bereits heftig, daß er kurz nach seiner Ankunft in Tombstone in einer großen Schenke über den Grund seines Kommens geredet hatte.
Es ist nie geklärt worden, ob der pfauenhafte Mann nun aus purer Eitelkeit, aus Ruhmsucht oder als ein von den Clantons Bestochener nach Tombstone gekommen ist. Tatsache bleibt, daß er sehr rasch die Flucht ergriff und gar nicht daran dachte, etwa in einem Prozeß gegen Holliday als vermeintlichen Postkutschenräuber auszusagen.
Lloyd Nugent, der Overlanddriver, sah später in Benson ein Foto Doc Hollidays – es war in Flys Galery zu Tombstone geknipst worden, und es war das einzige, das der Georgier je von sich hatte anfertigen lassen. Nugent erklärte vor Zeugen in Benson und auch in Dos Cabezas: Das war bestimmt nicht der Mann, der bei dem Überfall dabei war.
Und als man den Toten neben der Fahrstraße aus der Erde holen wollte, um sein Gesicht zu sehen – war er verschwunden.
So einfach war es nicht, gegen die Clantons zu Felde zu ziehen.
Es war der vierschrötige Curly Bill, der sich in der Nähe vom Marshals Office aufbaute und, mit Bill Claiborne und Frank Stilwell als Feuerdeckung im Rücken, lauthals trompetete:
»So sieht das also aus! Die Earps stellen sich vor einen Postkutschenräuber! Vor Doc Holliday! Und so etwas will hier in Tombstone noch mit dem Stern herumlaufen dürfen.«
Tom McLowery stand plötzlich an der Vorbauecke vor Haffords Corner Saloon, gleich neben dem Marshals Office.
»Das ist eine ziemlich eindeutige Sache!« krächzte er mit seiner blechernen, unangenehmen Stimme. »Die Earps sind Banditen und nennen andere Leute so! Sie verschanzen sich hinter dem Stern und werfen anständigen Leuten Diebstahl und Raub vor! Banditen sind sie! Yeah!«
»Banditen!« echote Curly Bill in röhrendem Baß.
Auch Stilwell und Claiborne fielen in den Chor ein.
Phin Clanton kam torkelnd aus Bob Hatchs Saloon, der auf der anderen Seite lag. Er schrie im Chor der anderen mit und taumelte vor die Scheibe des Marshals Office.
Plötzlich riß er den Colt aus dem Halfter und zertrümmerte das große Glas, auf das der Stern des Gesetzes gemalt war.
Da sprang die Tür auf. Morgan Earp stand in ihrem Rahmen.
Er sah Phin an, ging auf ihn zu, packte ihn am Arm und zerrte ihn ins Office.
Man konnte von der Straße aus sehen, daß er ihn in den Zellengang führte. Gleich darauf fiel eine schwere Gittertür ins Schloß.
Die Männer waren so verblüfft, und es war auch zu schnell gegangen, als daß jemand zum Eingreifen gekommen wäre.
Und da war doch etwas, das die Banditen wie gelähmt verharren ließ: Die ganze Aktion hatte sie in ihrer Schnelligkeit und Präzision an einen Mann erinnert, an den niemand von ihnen erinnert werden wollte: an Wyatt Earp.
Morgan glich dem Dodger Bruder Wyatt so sehr, daß man ihn im Halbdunkel oder erst recht bei Nacht leicht mit ihm verwechseln konnte.
Jetzt röhrte Curly Bill:
»Was soll das, Earp! Holen Sie ihn sofort raus, sonst tun wir es! Wissen Sie denn nicht, was Sie sich da geleistet haben? Er ist Phin Clanton!«
»Ich weiß genau, was ich getan habe und auch wer er ist, Brocius! Und Ihnen sage ich: Machen Sie, daß Sie weiter kommen, sonst landen Sie noch bei Ihrem Freund Phin.«
Curly Bill sah sich um.
Pete Spence lauerte hinter einer Vorbautreppe. Tom McLowery, der Morgan am nächsten stand, rührte sich nicht. Indian Charly und auch die anderen blieben still.
Sie warteten auf den anderen Earp, auf den Marshal Virgil Earp.
Nur Frank Stilwell hielt nichts vom Warten. Er bückte sich, raffte einen Stein unter der Vorbaukante hoch und schleuderte ihn dem abdrehenden Morgan nach.
Das heimtückische Geschoß traf den Sheriff von Santa Fé im Genick. Er schwankte nach vorn und wandte sich um.
Da aber war Tom McLowery heran und hieb auf ihn ein.
Noch in halber Betäubung warf Morgan ihm einen rechten Haken an den Schädel, der ihn zurückschleuderte.
Aber schon war Curly Bill da und stürmte dem Angeschlagenen entgegen.
Wilder Schlagwechsel.
Pete Spence sprang auf den Vorbau.
Indian Charly hielt sich zurück.
Dafür griff Bill Claiborne ein.
Zu dritt, ja zu viert droschen sie auf den Sternträger ein.
Die Wut der Banditen schien sich wie eine Explosion entladen zu wollen. Sie zerrten den verhaßten Gegner auf die Straße. Dort ging es weiter.
Noch im Unterbewußtsein schlug Morgan zurück.
Spence wurde am Kinn getroffen und wankte.
Curly Bill drang von der Seite mit wilden Hieben auf den Torkelnden ein.
Claiborne kam von hinten.
Und drüben stahl sich Indian Charly davon.
Frank Stilwell, der Mann, der nur aus dem Hinterhalt heraus zu kämpfen verstand, schloß sich ihm an. Die beiden dachten an Virgil, der jeden Augenblick kommen konnte.
Aber die anderen dachten nicht an ihn. Sie waren ja so gewaltig in der Überzahl, daß sie glaubten, selbst drei Earps nicht fürchten zu brauchen.
Aber schon der eine machte ihnen höllisch zu schaffen.
Da fällte ihn Bill Claiborne mit einem Hammerschlag auf den Hinterkopf.
Morgan lag auf den Knien. Er konnte nichts mehr sehen, da ihm das Blut aus den Brauen in die Augen drang.
Trotzdem wollte er sich wieder erheben.
Das Johlen der Banditen kam nur noch wie aus weiter Ferne an sein Ohr.
Tom McLowery versetzte ihm einen Fußtritt, der den Sternträger mit dem Kopf nach vorn in den Straßenstaub schickte.
Aber wieder richtete sich der eisenharte Earp auf die Knie auf.
Spence, der noch von dem Uppercut benommen war, schrie lallend:
»Schlag ihn doch tot, Curly! Reiß ihn auseinander. Dann sind wir den wenigstens los.«
Curly Bill Brocius war in Rage. Er, der wildeste der Clanton Gang, würde der erste sein, der einen der verdammten Earps auslöschte. Mit einem heiseren Schrei riß er die Rechte zum fürchterlichen Schlag hoch – und wurde wie von Geisterhand zur Seite geschleudert.
Wild wie ein Raubtier fuhr er herum – und dachte, er sähe ein Gespenst.
Anderthalb Yards vor ihm stand ein Mann. Sehr groß, breitschultrig, schmalhüftig, mit tiefbraunem Gesicht und einem Augenpaar, das etwas von der Farbe zugefrorener Bergseen an sich hatte. Sein Haar, das unter dem schwarzen flachkronigen Hut hervorsah, war schwarz. Energisch, und gutgeschnitten das Gesicht. Er trug ein weißes Hemd, eine schwarze Samtschleife, eine schwarze Weste und eine schwarze enge Lewishose, die unten über die hochhackigen Stiefel auslief.
An den beiden Hüftseiten seines breiten, büffelledernen Waffengurtes sahen die schweren Kolben zweier
fünfundvierziger Revolver hervor. Wie ein Rachegott stand er da.
Die vier Banditen kannten ihn alle.
»Wyatt Earp!« entfuhr es Pete Spences heiserer Whiskykehle.
Da warf sich Claiborne herum, um zu flüchten.
Der Missourier reagierte gedankenschnell. Seine Rechte flog herum, und der Backhander traf den Banditen wie ein Keulenschlag am Kopf.
Curly Bill stürzte sich auf den neuen Gegner. Aber selbst mit all seiner Bullenkraft vermochte er diesem Mann nicht beizukommen.
Der Dodger Marshal steppte mit einem halben Schritt zur Seite und wuchtete einen fürchterlichen linken Haken in die rechte Flanke des Verbrechers.
Mit einem gellenden Schrei knickte Curly Bill Brocius, der Muskelmensch, in sich zusammen.
Pete Spence riß ein Messer aus dem Gurt, aber schon traf ihn die rechte Faust des Marshals wie ein Hufschlag und warf ihn über Claibornes Körper.
Dies alles war in Sekundenschnelle vor sich gegangen.
Tom McLowery hatte den Coltgriff in der Rechten.
»Nimm deine klebrige Hand vom Revolver, Tom!« Schneidend hart trafen die Worte des Missouriers das Ohr des Desperados.
»Nein – nein!« schrie Tom und zog den Revolver.
Da sauste der linke Stiefel Wyatt Earps hoch und traf das Handgelenk des Outlaws, ehe der Colt oben war.
Die Waffe flog im hohen Bogen zur Seite.
Drüben in der Eingangsnische der Cochise County Bank kauerte der Bandit Frank Stilwell. Mit flackernden Augen hatte er alles beobachtet.
Seine Rechte hatte den Colt ganz langsam gezogen. Aber drüben auf der Straße vor dem Marshals Office war alles so rasend schnell vor sich gegangen, daß der Verbrecher gar nicht zu einem sicheren Schuß hatte kommen können.
Jetzt, als die drei Tramps am Boden lagen und der letzte wie eine Vogelscheuche vor dem Marshal stand, da nahm Stilwell den Revolver hoch und zielte sorgfältig.
Urplötzlich spannte sich eine braune Fraust um sein Handgelenk.
Frank Stilwell war so erschrocken, daß er es nicht wagte, den Kopf zu wenden.
Die näselnde Stimme Frank McLowery schlug an sein Ohr.
»Wahnsinniger! Bildest du dir denn wahrhaftig ein, daß du ihn von hier aus treffen kannst?«
»Frank«, entfuhr es Stilwell erleichtert, »du bist es! – Da, hast du gesehen, es ist Wyatt Earp! Wyatt Earp ist gekommen!«
»Ich würde noch lauter brüllen, vielleicht hört er es dann! Nimm den Colt herunter, du Geisteskranker! Wenn er dich so sieht, bist du schon tot.«
»Aber wenn ich ihn doch nicht treffen kann, dann er mich doch auch nicht…«
»Ike hat es schon einmal gesagt, und ich sage es noch mal: Entweder bist du so gehirnschwach auf die Welt gekommen, oder der Whisky hat dich verblödet. – Erstens ist er ein anderer Schütze als du, und zweitens weiß jedes Kind, daß der Colt, den er da an der linken Seite trägt, doppelt so weit trägt wie ein normaler Revolver. Jedes Kind weiß das im Westen – nur Frank Thomas Daniel Stilwell nicht, der kluge Stilwell! Vorwärts, Mensch, schieb das Eisen weg. Wenn er hier herübersieht, bin ich durch dich verdammten Skunk auch noch in Gefahr.«
»Und Tom? Dein Bruder…?«
»Was denn? Ihn als einzigen hat er doch stehenlassen.«
Der Cowboy aus dem San Pedro Valley hatte es mit einer gewissen Bitterkeit gesagt. Er war Zeuge des ganzen Fights gewesen. Wie angenagelt hatte er am Ende des Bankhauses auf der Vorbauecke gestanden und zugesehen.
Wyatt Earp ist gekommen!
Was Stilwell ausgesprochen hatte, dröhnte im Hirn des Desperados Frank McLowery wie in einer Kesselschmiede.
Wyatt Earp ist gekommen!
Es dröhnte in den Schädeln der Tramps, die sich jetzt, ächzend und stöhnend aus dem Straßenstaub erhoben.
Auch Morgan stand wieder auf den Beinen.
»Geh ins Office«, sagte Wyatt.
Morgan torkelte davon und kam gleich darauf mit einer Winchester zurück.
Wyatt sah ihn fragend an.
Morgan lud die schwere Waffe durch.
»Da drüben steht Frank McLowery.«
Ohne sch umzudrehen, entgegnete der Dodger Marshal:
»Ich weiß, und die Ratte Stilwell steht neben ihm. Bring die Flinte trotzdem weg, Morg.«
Der zog die Brauen hoch, wandte sich um und blieb in der Tür auf einmal stehen. Dann fuhr er rasch herum und starrte den Bruder entgeistert an.
»He, Wyatt – wo kommst du denn her?« Erst jetzt war ihm alles richtig zum Bewußtsein gekommen.
Der Marshal blickte den Tramps nach, die in der Thirdstreet davonzogen.
»Ich komme aus Dodge, Morg.«
Morgan stellte den Gewehrkolben hart auf die Vorbaudielen. Plötzlich lachte er über sein ganzes, von blutigen Schrammen bedecktes Gesicht.
»Dora hat recht…«
»Hatte sie wieder einen ihrer Wutanfälle?« fragte Wyatt, aber man hörte, daß er die Sache nicht sonderlich tragisch nahm.
»Yeah – aber in einem hat sie eben recht. Ich weiß es jetzt endgültig: du bist nicht zu erreichen! Damned, wie kommst du ausgerechnet in dieser verdammten Minute hierher? Und weshalb? By Gosh, als Claiborne fiel und Curly neben mir in den Dreck plumpste, dachte ich: Das kann nur Wyatt sein. Yeah, du wirst es mir nicht glauben, aber es ist wahr! So kracht es nur, wenn du zuschlägst! Ich habe natürlich nicht wirklich gedacht, daß du hier sein könntest, in so einem vertrackten Augenblick fällt einem das Denken nämlich ziemlich schwer. Aber als sich dann Spence um seine eigene Achse drehte, hell und all thousand devils – wer sollte sonst noch so ein Feuerwerk loslassen?« Morgan ging auf den Bruder zu und hielt ihm die Hand hin.
»Erst bringst du die Flinte weg.«
Morgan lachte breit, brachte das Gewehr ins Office und kam wieder auf die Straße.
Wyatt saß auf der Vorbautreppe und hatte sich eine Zigarre angezündet. Die beiden Brüder begrüßten einander herzlich.
»Wo ist Virgil?« erkundigte sich Wyatt.
Morgan deutete über seine Schulter. »Er schläft.«
Wyatt nickte, dann flog sein Kopf herum. Er sah den ›kleinen Morg‹ verdutzt an.
»Sag mal, bist du vielleicht krank? Er schläft? Im Office? Jetzt am hellen Tag?«
Morgan nickte und grinste wie ein Schuljunge.
»Bei dem Lärm?« Wyatt zog ungläubig die dunklen Brauen zusammen. »Die Kerle haben das Fenster doch sicher auch vorhin zerschlagen?«
»Schon, aber Virg hat einen guten Schlaf.«
Wyatt erhob sich und betrat das Bureau. Hinten in dem kleinen Nebengemach lag Virgil und schlief tatsächlich.
Wyatt griff nach dem Glas, das neben ihm auf der Konsole stand, und roch daran. Dann sah er dem Bruder forschend ins Gesicht.
»Mir scheint, du hast seinem tiefen Schlaf ein bißchen nachgeholfen?«
Morgan zuckte die Schultern.
»Das war auch nötig. Doc Goodfellow hat ihm das Zeug gegeben, weil er seit dem Schlag auf den Kopf nachts schlecht schlafen kann. Stilwell oder Brocius haben ihm neulich in der Dunkelheit mit einer Faßdaube niedergeknüppelt. Er soll die Pillen schlucken.«
»Welche Pillen?
Morgan nahm ein leeres Fläschchen aus der Tasche.
»Er nahm sie aber nicht. Jeden Abend nahm er eine heraus und steckte sie Doras Beruhigung in den Mund. Wenn wir dann auf den Hof oder auf die Straße gingen, spuckte er das Zeug sofort aus. Ich schlucke doch kein Gift, sagte er. Und heute morgen hatte er Durst. Ich holte ihm nebenan bei Bob ein Glas Bier.«
»Und da hast du ihm die Pillen hineingetan.«
»Ja…«
»Wieviel waren denn noch in dem Fläschchen?«
»Och, so drei oder vielleicht auch fünf…«
»Das heißt: es können also auch sieben gewesen sein?«
»Allerhöchstens, Wyatt. Ehrenwort.«
Der Marshal schüttelte den Kopf.
»Menschenskind, du hättest ihn doch vergiften können.«
»Aber er war todmüde und lief nur noch wie ein Gespenst durch die Gegend. Er mußte einfach einmal richtig schlafen. Lange und gründlich. Und das tut er jetzt, wie du siehst.«
»Hoffentlich wird er auch wieder wach«, meinte Wyatt kopfschüttelnd, ging hinaus und suchte sofort Doc Goodfellow auf.
Der kam ihm schon an der Tür entgegen.
»Wyatt, ich habe alles mitangesehen. Ich habe geweint, daß ich nichts für Morg tun konnte. Ich bin eben kein Kämpfer – und vor allem bin ich zu alt…«
Wyatt berichtete ihm die Sache mit den Pillen.
Goodfellow schlug sich die Hand vor den Mund.
»Morg ist ein Engel. Auf den Dreh bin ich noch gar nicht gekommen. Jetzt schläft Virgil also endlich. Er machte mir nämlich wirklich schon Sorgen.«
»Kann ihm das Zeug denn nichts schaden?«
»Nein, wenn er nur sieben Pillen geschluckt hat, dann tut ihm das nichts. Im Gegenteil, er ist ein harter Bursche und wird sich gesund schlafen. Allerdings, in den nächsten Stunden dürfen Sie nicht mit ihm rechnen.«
»Well, dann ist es ja gut.«
»Gut?« Der Arzt zog die Schultern hoch und nahm seine erkaltete Zigarre aus dem Aschenbecher, den er auf der Flurgarderobe stehen hatte. »Ich weiß nicht, Marshal, ob es gut ist. Das ist nämlich die andere Seite der Geschichte. Denn Sie werden jetzt jeden Mann brauchen. In Tombstone ist der Teufel los. Kein Mensch weiß, weshalb und wieso – aber daß die Bombe bald platzen wird, spürt jeder.«
»Ike…?«
Der Arzt nickte.
»Es ist immer noch der gleiche Song, Wyatt. Ike will keinen Marshal hier haben, der wache Augen hat. Wissen Sie, es ist für Virg auf die Dauer gar nicht zu machen. Ich habe schon zu seiner Frau gesagt, daß es tatsächlich das beste wäre, wenn er von hier fortginge.«
»Da haben Sie es der Rechten gesagt!«
»Um Himmels willen. Habe ich ins Fettnäpfchen getreten? Ist sie…«
Wyatt winkte ab.
»Nicht so schlimm. Im Grunde ist sie ein guter Kerl. Sie macht sich eben zu viel Sorgen. Vielleicht hätte sie besser einen Schneider in New York oder einen Bäcker in Los Angeles heiraten sollen.
Dora Earp stand am Hoffenster und hing ein Wäschestück auf eine kleine Fensterleine, als ihre Nachbarin, Mrs. Leonhard, das Hoftor öffnete.
»Mrs. Earp! Wissen Sie es schon…?«
Die Frau am Fenster blieb für einen Augenblick das Herz stehen. Auch sie wußte ja, was sich in der Stadt tat, daß es von Tag zu Tag mehr gärte und schwelte…
»Haben Sie ihn schon gesehen?«
»Wen…?« stieß Virgils Frau heiser und mit vor Angst halberstickter Stimme hervor.
»Er ist da – in der Stadt. Mrs. van Zoom hat es erzählt. Ihr Mann hat ihn gesehen, vor einer halben Stunde. Unten in der Allenstreet. Es soll aufregend gewesen sein. Curly Bill war dabei und einer von den McLowerys. Bill Claiborne, der einäugige Spence, Frank Stilwell und der Halbindianer sollen auch dabeigewesen sein…«
»Wobei?«
»Das wissen Sie nicht? Sie haben Morg verprügelt…«
»Nein…« Dora Earp griff sich an die Kehle. »Und – Virg – wo ist er?«
»Keine Ahnung. Aber er hat sie alle umgewalzt. Wie ein Sturmwind. Es soll unheimlich gewesen sein. Ganz plötzlich war er da und über ihnen…«
»Wer…?« stammele die gequälte Frau des Tombstoner Marshals.
»Wyatt Earp!«
Doras Augen wurden groß wie Zwanzigdollarstücke.
»Wyatt…?! Wyatt soll in der Stadt sein? Aber dann – dann wüßte ich doch…« Sie brach ab. Sie wußte genau, daß sie gar nichts wüßte. Sie war bisher immer überrascht worden, wenn es plötzlich hieß, daß er in Tombstone aufgetaucht sei. Und die Nachbarn hatten recht, er kam genau wie ein Sturmwind.
»Oh, Mrs. Earp – er ist herrlich!« flötete Mrs. Leonhard. Dora Earp preßte die Lippen zusammen und hatte alle Mühe, der jungen Nachbarsfrau keine böse Antwort zu geben.
»Wir haben auf ihn gewartet, Mrs. Earp. Ihr Mann hat es doch so schwer. Das weiß hier jeder. Doc Holliday ist wieder weggeritten. Und Morg allein – er kann auch keine ganze Bande aufhalten. Aber jetzt wird das anders, verlassen Sie sich drauf. Wyatt wird mit dem eisernen Besen kehren…«
Mrs. Leonhard kam Doras entsetztes Schweigen gerade recht. Sie redete weiter und fand kein Ende.
»Ist es nicht schrecklich, daß die Clantons keine Ruhe geben können? Wir haben es doch schon schwer genug hier. Das Leben in dieser heißen Stadt ist ohnehin eine Qual. Müssen sich die Menschen da noch bekämpfen? Was wollen die Clantons? Mrs. van Zoom behauptet, Ike will Mayor werden. Er hat mehr Verwandte in Tombstone als sonst irgend jemand. Und wenn nicht gerade ein Mann wie Wyatt Earp gegen ihn stünde und ihm die Maske vom Gesicht reißen würde, wäre er längst Mayor, und Frank McLowery wäre Sheriff. Jonny Behan? Bah! Er ist eine Strohpuppe, ein Clanton-Knecht! Mrs. van Zoom hat es gesagt…«
Wyatt Earp ist gekommen!
Im Crystal Palace wechselte bei dieser Nachricht sofort das Publikum. Die Gäste, die bekannte Clanton-Anhänger waren, verzogen sich, und die Anhänger der Earps kamen.
Man konnte wieder ein Wort sprechen, ein offenes Wort. Zum Beispiel konnte man sagen, daß Ike Clanton endlich Ruhe geben müßte. Daß seine Horde aus der Stadt ziehen müßte. Daß mit den Earps nicht zu spaßen sei. Und daß es überhaupt an der Zeit wäre, das Gesetz mehr zu achten. Alle müßten es achten. Auch die Clantons!
So war es immer gewesen, wenn Wyatt Earp in die Stadt gekommen war.
Und doch war es diesmal irgendwie anders. Nie war der Druck, der auf dem Menschen lastete, größer gewesen. Und diesmal blieb etwas: die stumme Angst.
*
Am späten Nachmittag saßen die drei Earp Brüder zusammen im Office. Hinten im Nebenraum.
Virgil war nach elfstündigem Schlaf aufgewacht und sah verdutzt und benommen in das Gesicht seines Bruders Wyatt.
»He, bin ich vielleicht schon in den Ewigen Jagdgründen? Verdammt noch mal, heute morgen warst du doch noch Morgan, und jetzt…«
»Morg ist da!« Wyatt deutete auf den ›Kleinen‹, der am Fenster saß und in den Hof starrte.
Virgil richtete sich auf und wischte sich durchs Gesicht.
»Wyatt! Zounds! Wo kommst du her?«
»Aus Dodge.«
»Wer hat dich denn gerufen? By Jove, ich war viermal auf dem Weg zum Post Office und bin immer wieder umgekehrt.«
»Doc Holliday hat mir eine Depesche geschickt.«
»Holliday.«
»Yeah. Von Gleeson.«
»Ja, er war hier und ist wieder weggeritte. Gleeson liegt auf dem Weg zu euch. Allerdings war er da noch nicht weit. Was schrieb er denn?«
»Nicht sehr viel. Er faßt sich immer kurz.« Wyatt kramte die Drahtnachricht aus der Tasche und faltete das zerknitterte Blatt auseinander. »Hier…« Er reichte es Virg hin.
Der las:
Wyatt Earp, Marshal, Dodge City, Kansas. Vermute, Sie werden in T. gebraucht.
J. H.
Morgan wandte sich um. »Das ist wirklich verdammt kurz.«
»Aber es reichte, wie du siehst«, fand Virgil. »J.H.? Damned, man muß sich zu verstehen wissen. Ich hätte erst einmal eine halbe Stunde oder gar einen Tag überlegt, wer dahintersteckt. John Holliday! Hm, ein Teufelskerl.« Virgil reichte Morg die Nachricht – und hielt inne. Aus weiten Augen starrte er den jüngeren Bruder an.
»Menschenskind!« entfuhr es ihm. »Wie siehst du denn aus, Morg?«
»Kleine Meinungsverschiedenheit?«
»Mit wem?«
»Mit Curly Bill und den Boys.«
»Welchen Boys?«
»Pete Spence, Tom McLowery, Bill Claiborne, Frank Stilwell und wahrscheinlich auch Frank McLowery«, antwortete Wyatt anstelle von Morgan. »Sollte mich wundern, wenn ich nicht das zerquetschte Gesicht des Mestizen hinter irgendeiner Bretterlücke gesehen hätte.«
»Was denn, diese Hunde haben ihn so zugerichtet? Da werde ich gleich ein Wort mit ihnen reden! Und zwar ein gesalzenes und gepfeffertes.«
Morgan winkte ab.
»Die Mühe kannst du dir ersparen. Unser Bruder hat sie dir schon abgenommen. Und zwar nicht nur gesalzen und gepfeffert, sondern auch gepökelt und gesotten! Alles in bester Ordnung.«
Virg rutschte wieder auf die Bettkante nieder und grinste Wyatt an.
»Stimmt das?«
Der Marshal wiegte den Kopf. »Es schien mir nötig. Aber sie haben es alle gut verdaut. – Wie fühlst du dich eigentlich?« schwenkte er dann ab.
»Ich…?« Virg griff sich an den Schädel. »By Gosh, yeah! Was war eigentlich los? Wieso habe ich am hellichten Tag geschlafen? Wieso habe ich denn überhaupt geschlafen? Morg!« Er warf dem Bruder einen ahnungsvollen Blick zu.
Der sah angelegentlich aus dem Fenster, als gäbe es draußen im Hof etwas Hochinteressantes zu sehen.
»Morg! Wo sind diese Giftpillen?«
Der Gefragte schwieg.
»Morgan!«
»Ja…?«
»Die Pillen!«
»Sind in deinem Bauch.«
Virgil hieb seine Faust hart auf die Kante des kleinen Tisches.
»Müßte ich diesen Halunken nicht verdreschen? Noch obendrein zu der Dresche, die er schon von der Bande bezogen hat?«
»Hauptsache, du hast geschlafen!« besänftigte ihn Wyatt.
Virgil sprang wieder hoch.
»Lieber Himmel! Wie konnte ich schlafen! In der Stadt ist der Satan los. Ike, dieser Skunk, hat seine Meute seit zwei Wochen ständig in Bewegung. Die Bagage geistert durch das Nest, als ob der Ku-Klux-Klan eingezogen wäre. Diesmal ist es soweit, Wyatt. Ich wette, daß es diesmal nicht mehr glimpflich abläuft. Ike drängt zur Entscheidung. Er geht aufs Ganze. Ich weiß es genau. Der Mayor hat mit Frank McLowery gesprochen, mit Jonny Behan und mit Richter Spencer. Es ist nichts zu machen; Ike will den Kampf. Den offenen Straßenkampf.«
»Gegen uns?«
Virgil wandte sich dem Dodger Bruder zu. »Gegen mich, Wyatt.«
»Du irrst. Es ist der Kampf gegen den Stern, der Kampf gegen das Gesetz. Ob der Sheriff nun Earp heißt oder Brown oder Miller. Es bleibt der gleiche Fight.«
»Du weißt es also?«
»Yeah. Und ich rechnete seit langem damit. Als Hollidays Telegramm kam, wußte ich, daß es soweit war. – Ist Ike in der Stadt?«
»Ich weiß es nicht. Man weiß nie, wo er ist. – Aber Frank ist hier.«
»Ihn habe ich gesehen. Aber es hilft kaum etwas, wenn ich mit ihm spreche.«
»Du willst mit ihnen sprechen?« entfuhr es den beiden Earp-Brüdern. Entgeistert starrten sie Wyatt an.
»Man muß es versuchen. Besser eine schlechte Verhandlung als ein guter Kampf.«
»Aber…«
»Kein Aber, Virg. Ich werde ihn suchen.« Er erhob sich und schnallte seinen Waffengurt ab.
Virgil sprang nervös auf.
»Wyatt!Wo willst du hin?«
»Ich muß mit ihm sprechen.«
»Mit wem?«
»Mit Ike Clanton.«
»Aber das ist doch Wahnsinn! Du weißt doch, zu was die Bande fähig ist. Wenn sie sieht, daß du waffenlos bist, stellst du nur noch eine halbe Gefahr für sie dar. Sie werden dich niederknallen wie einen blinden Stier…«
»Ich muß es versuchen.«
»Irrsinn!«
Morgan stand schweigend dabei.
»Was meinst du, Morg?«
»Ich weiß es nicht, Wyatt. Aber ich weiß, daß ich mitkomme.«
»Nein, ich muß allein gehen.«
Virgil lief ihm nach und packte ihn am Arm.
»Hör zu, Wyatt. Wenn du hergekommen bist, um dich hier von mir auf den Boot Hill bringen zu lassen, so muß ich dir sagen, daß du mir absolut keinen Gefallen getan hast. Die Bande schreckt doch vor nichts zurück.«
»Kann ich mir denken.«
»Laß dir von Morg erzählen, was die Schufte sich in den letzten Tagen alles geleistet haben.«
»Trotzdem muß ich versuchen, mit Ike zu sprechen.«
»Aber was haben wir denn davon, wenn sie dich zusammenschließen. Laß Morg wenigstens mitkommen. Was heißt Morg? Ich komme mit! Vorwärts! Wenn du unbedingt heute schon sterben willst, bitte.?– Morg, meinen Waffengurt.«
Wyatt hielt Morgan auf. »Nichts da. Ich gehe allein.«
Die beiden standen neben ihm an der Tür.
Virgil raufte sich die Haare.
»Ich sehe keinen Sinn darin, Wyatt. Sie werden dich keine hundert Yards weit kommen lassen. Außerdem weißt du ja nicht, wo der Schurke steckt. Er kann in jedem zweiten Haus hier sitzen.«
»Ich muß ihn suchen.«
»Sag mir, wozu?«
»Weil mit ihm gesprochen werden muß. Jonas Pink hat mir gesagt, daß er eine Herde an der Grenze gesichert hat. Sie wird von dem krummbeinigen Flanagan getrieben. Du hast schon Ferguson zurückgeschickt – also…« Wyatt hielt plötzlich inne und blickte in den Zelleneingang.
»He, steht da hinten nicht einer im Käfig?«
Virgil schüttelte den Kopf.
»Nein, der Kasten ist leer. Wir ha…« Er stockte und starrte in den Halbdämmer des Jails.
Da sagte Morgan rasch:
»Stimmt, ich habe vergessen euch zu sagen, daß ich ihn eingelocht habe. Er hat die Scheibe zertrümmert.«
»Wer – und welche Scheibe?« Virgil wandte sich um. »Meine Scheibe! Meine Vierzig-Dollarscheibe! Welcher Hund hat sie zerschlagen?«
»Phin…«
»Phin?«
»Yeah.«
Wyatt war in den Zellengang getreten.
»Das ist doch Phin Clanton!«
Morgan war schon hinter Wyatt her.
Virgil stand wie angewachsen in der Tür.
»Wer ist das?«
Morg wandte sich nach ihm um. »Phin Clanton. Sollte ich diesen verdammten Säufer vielleicht noch mehr Scheiben zertrümmern lassen?«
Wyatt lachte auf. Dann trat er an das Gitter.
»Hallo, Phin!«
Der Tramp war inzwischen stocknüchtern geworden. Aus kleinen, ängstlichen, tückischen Augen musterte er den Missourier.
»Du kriegst wohl das Maul nicht mehr auf!« knurrte Morgan den Banditen an.
»Wyatt hat dich begrüßt.«
»Hello!« grummelte der Outlaw.
»Laß ihn raus«, sagte Wyatt.
»Schon?« meinte Morg. »Auf zertrümmerte Scheiben und unflätiges Gebrüll stehen in Santa Fé zwölf Stunden Jail.«
»Hier auch. Trotzdem, laß ihn raus.«
Virgil brachte den Schlüssel. »Jetzt ist mir alles klar. Daher auch die Schlägerei draußen.«
Wyatt schob Phin ins Office.
»Wo ist Ike?«
»Ich weiß es nicht.«
»Antworte ihm, oder ich skalpiere dich!« fauchte Morg den Desperado an.
»Ich weiß es wirklich nicht, verflucht noch mal!« krächzte Phin.
»Hier wird nicht geflucht!« Virgil stieß den Tramp zur Tür. »Well, wenn du es nicht weißt, dann suchst du ihn und sagst ihm, daß Wyatt ihn sprechen will.«
Eine hämische Lache kam durch das Zahngehege des Banditen.
Morgan rieb sich die Hände. »Sei still, Phin, sonst gibt’s Saures!«
»Du weißt Bescheid«, gebot Virgil. »Sag Ike, daß Wyatt mit ihm sprechen will, und zwar mit ihm allein. Er soll seine Kanone zuhause lassen. Falls er eine Kanone mitbringt, kann er gleich seinen Grabstein bei Fellridge bestellen. Wir kommen nämlich hinter Wyatt hinterher.«
Phineas Clanton sah die beiden Brüder an.
»Ihr?«
»Wyatt«, knurrte Morgan. »Kann ich ihm eine runterhauen?«
»Nein. – Verschwinde jetzt, Phin. Sag Ike Bescheid. Und wenn er nicht kommt, suche ich ihn.«
»Heute noch?«
»Heute noch!«
*
Tom McLowery hatte drüben im Obergeschoß von Sandy Bobs Stage Office auf der Lauer gelegen.
Robert Sandy war mit dem alten Clanton weitläufig verschwägert; diese Tatsache hatten sich die Männer um Ike seit langem zunutze gemacht. Obgleich der Kaufmann nicht von dem Besuch der finsteren Gesellen begeistert war, die ihn immer wieder belästigten, schwieg er. Er war kein sonderlich mutiger Mann und litt an der gleichen Krankheit, an der halb (wenn nicht gar ganz) Tombstone litt: an der Angst vor Ike Clanton.
Tom McLowery hatte Phin aus dem Marshals Office herauskommen sehen, verließ sofort seinen Beobachtungsposten und rannte hinunter in den Hof.
Von dort führte eine kleine Tür in Bernard Laventhals Clothing Store. Durch einen schmalen Hausgang erreichte er die Fourthstreet.
Hier wartete im Hof von Mrs. Jones Restaurant der kleine Jenkins mit seinem Pferd. Tom lief auf ihn zu.
»Vorwärts, in den Sattel. Phin ist draußen. Wyatt hat ihn freigelassen. Frage Ike, was weiter geschehen soll.«
Der Cowboy preschte aus dem Hof und schoß davon.
Genau im gleichen Augenblick, in dem Phineas Clanton die Gassenmündung erreichte. Es war nicht sehr klug von dem jüngeren froschäugigen McLowery gewesen – aber er tat, was sein Bruder ihn geheißen hatte. Sofort Nachricht an Ike, wenn sich irgend etwas mit Phin tut.
Phin kam feixend heran.
»He, Tom…«
»Was hat er gesagt?«
»Wer?«
»Wyatt.«
»Er will mit Ike sprechen.«
»Mit – Mensch, weshalb sagst du das nicht gleich? Jetzt habe ich Jenkins zu Ike geschickt, und es ist kein Bote mehr da.«
Phin winkte ab. »Ich reite selbst. Wo ist mein Pferd?«
»Wo du es gelassen hast; bei Braddock.«
»Well, ich vermute, daß Ike auf der Ranch ist. Wie ich ihn kenne, wird dieser Dickschädel sich trotz der heißen Luft noch überzeugen wollen, ob Billy das Corralgatter repariert hat.«
»Welches Corralgitter?« fragte Tom mit fassungsloser Miene.
»Bei uns auf der Ranch – das Gatter ist zerbrochen.«
»Das Gatter! Mann, das ist doch schon seit dem Frühjahr zerbrochen!«
Hatte dieser Isaac Clanton tatsächlich so harte Nerven, daß er in diesen Fiebertagen nichts Wichtigeres in Auftrag zu geben wußte als ein seit Monaten zerbrochenes Perdepferchgatter?
Tom fuhr sich mit der Rechten durch den Kragen. Ihm war plötzlich heiß geworden. »Damned! Euch Clantons soll der Teufel holen. Weshalb läßt Ike sich so lange Zeit? Jetzt hat er doch tatsächlich gewartet, bis Wyatt Earp gekommen ist.«
»Der wäre sowieso gekommen. Und besser jetzt, wo wir es wissen, als später, wo es gefährlich werden kann, wenn man nichts weiß.«
»Es ist gefährlich genug, daß er da ist. – Vielleicht wartet Ike noch auf Doc Holliday?«
»Du bist verrückt«, krächzte Phin, griff sich an seine brennende staubtrockene Kehle und sah sich nach einer Schenke um.
Tom packte ihn am Arm.
»He, Clanton, wenn du jetzt wieder einen fünffachen Drink nehmen willst, dann verschwinde aus der Stadt. Reite nach Becales und bring dein Geld zu dem feisten Kalli. Bleib jedenfalls aus der Stadt.«
»Hast du auch schon etwas zu bestimmen?«
»Vorwärts!« mahnte ihn Tom.
Phin kratzte sich mit der Linken unterm Hut. »Sag mal, was habt ihr eigentlich vor?«
Tom grinste. Hatte er es doch geahnt, daß Ike seinen eigenen Bruder nicht eingeweiht hatte!
Aber was wußte er selbst denn schon? Wer wußte überhaupt etwas?
Vielleicht wußte Ike selbst nichts.
»Verschwinde, Phin«, krächzte der Cowboy aus dem San Pedro Valley. »Reite weg, ehe es zu spät ist«, knirschte er und ballte die Fäuste. Dann griff er plötzlich mit einer nervösen Bewegung zum Colt, prüfte den lockeren Sitz und fauchte den anderen mit vorgeschobenem Schädel grimmig an:
»Du sollst verschwinden, Mensch! Wir können dich jetzt nicht brauchen. In Tombstone gibt’s Krieg, merkst du das nicht? Da sind Burschen wie du fehl am Platze. Verschwinde endlich, sonst knalle ich dich nieder!«
Der nach Toms Ansicht völlig aus der Art geschlagene Clanton Brother starrte ihn erschrocken an. Dann trollte Phin sich davon, holte sein Pferd und ritt aus der Stadt.
»Damned, auf diese Verrücktheit hin muß ich erst mal einen Drink nehmen. Die Boys scheinen alle irrsinnig geworden zu sein…«
Er beschloß, Toms Rat zu befolgen und in die Sierra zu reiten, wo neun Meilen vor der Stadt der schwergewichtige Mexikaner Kalli Nedhec, aus einem kleinen schmutzigen Ort dicht hinter der Grenze, in einer ehemaligen Pferdewechselstation eine Schenke eröffnet hatte, die er Cantina del Sole nannte.
Durch diesen Ritt entging Phineas Salomon Clanton dem mörderischen Battle im O.K. Corral…
*
Wyatt Earp hatte zwei Stunden gewartet.
Der Abend kam. Und fast übergangslos, wie in diesen Breiten meistens, kam die Nacht. Eine kühle Arizonanacht, die die Menschen nach der drückenden Hitze des Tages frösteln ließ.
Der Nachthimmel über dem staubigen Tombstone, der kleinen Stadt, die größtenteils aus Kistenholzbrettern zusammengenagelt war, war glasklar und mit Myriaden von Sternen bedeckt.
Phin war nicht zurückgekommen.
Und Ike Clanton hatte keinen Boten geschickt.
Der Missourier trat auf die Straße.
Langsam ging er hinüber zum Grand Hotel und blickte durch die Ritzen der mit Buntpapier beklebten Scheiben. Im Eingang saß eine große gelbe Katze und blickte träge auf, als der Mann vorüberkam.
Nebenan lag Jonny Behans Sheriffs Bureau. Es war dunkel und die Tür verschlossen.
Tombstones zweiter Gesetzesmann hatte es vorgezogen, sich in dieser Nacht an einem Ort aufzuhalten, wo ihn niemand suchte. Er hatte bei Nelly Cashman ein Zimmer genommen, mit der Bitte, Stillschweigen darüber zu bewahren. Er wollte sich mal richtig ausschlafen. Und der Schankhauslärm in der Allenstreet sei nachts unerträglich.
Die Allenstreet lag in dieser Nacht wie erstorben da, obgleich die Lichter in den Schenken brannten.
Der Marshal blieb an der Ecke zur Fouthstreet vor Andys Club Saloon stehen.
Auch hier, in der ziemlich neueingerichteten Schenke, war alles still. Wyatt blickte über die bastgeflochtene Pendeltür.
Nicht ein einziger Gast hielt sich im Schankraum auf. Auch der Salooner war nirgends zu sehen. Die beiden Kerosinlampen über der Theke blakten und warfen ein zitterndes Licht in den niedrigen Raum.
Langsam ging der Marshal weiter. Vorbei an Laventhals Store zum nächsten Haus, einem schmalbrüstigen Bau ohne Vorbaudach, wo vor der Tür ein windschiefes Schild hing, auf dem stand: Hawkins & Boarman, Whoelesale Liquor, Oil & Cigars. Wyatt konnte die Buchstaben zwar in der Dunkelheit nicht lesen, aber er kannte sie genau, da er bei dem alten Hawkins immer seine schwarzen Zigarren kaufte.
Dann passierte er die offene Hofeinfahrt vor dem großen Hauskomplex von Pauline Jones’ Restaurant & Lodging House. Hier wuchs dicht neben der Hauswand jener Rosenstrauch, der zu den wenigen erfreulichen Erscheinungen der Stadt gehörte.
An der Ecke zur Toughnutstreet blieb Wyatt stehen und lauschte in die Nacht hinein.
Drüben aus den Männerquartieren, aus denen sonst selbst um diese Stunde betriebsamer Lärm drang, kam nur das Jaulen eines Hundes. Doch der üble Geruch, der diesen Notbehausungen entströmte, war geblieben.
Schräg gegenüber, noch in der
Fourthstreet, lagen die verrufenen Kaschemmen, die als »Rotten Row« im ganzen County verpönt waren und wirklich nur von den verkommensten Subjekten der menschlichen Gesellschaft aufgesucht wurden.
Kein Platz für einen Ike Clanton.
Und doch wandte sich der Missourier plötzlich um und überquerte die Straße. Er stieß eines der Hoftore auf, das nur noch müde an einer knarrenden Angel hing, und sah einem großen Nager nach, der wie ein schwarzgrauer Schatten über den hellen Hofsand huschte.
Ein Hund schlug an und kam kläffend näher.
Wyatt bückte sich und sprach beruhigend auf ihn ein.
Es war ein kalbsgroßer zottiger Köter; aber die Worte des Tierfreundes ließen auch ihn verstummen.
Wyatt kraulte ihm das struppige Fell und ging weiter.
Der große Hund trottete schweifwedelnd hinter ihm her.
Unter einer Hoftürritze drang Licht hervor. Der Marshal klopfte an.
Keine Antwort.
Da stieß er die Tür auf.
Vor ihm lag ein Hausgang, der von einer kleinen Petroleumwandleuchte matt erhellt wurde und aus dem ihm ein widerlicher Spülgeruch entgegenschlug.
Der Hund zwängte sich an dem Mann vorbei in den Gang, lief weiter, sprang an einer Tür hoch, warf sich gegen das Schloß. Und tatsächlich wurde ihm geöffnet.
Der Hund blieb in der offenen Tür stehen.
»Komm rein, Billyboy!« rief eine keifende Frauenstimme.
Als das Tier aber stehen blieb, schob die Frau ihren ungekämmten Kopf in den Gang – und stieß einen gellenden Angtsschrei aus. Sie hatte den Mann dort gesehen.
Sofort ging an der linken Seite eine zweite Tür auf.
Eine junge Frau blickte Wyatt aus großen umflorten Augen an. Die Spuren einstiger Schönheit waren noch in ihrem stark gepuderten Gesicht zu erkennen.
»Hallo, das ist doch der große Wyatt Earp! Welch eine Ehre!« sagte sie mit einer dunklen Altstimme und trat vor.
Wyatt blieb stehen und sah sie an.
Da schüttelte sie den Kopf. »Ich bin allein, Marshal – falls Sie jemanden bei mir suchen sollten.«
Plötzlich wurde die Frau zur Seite gestoßen. Ein junger Mann trat in den Türrahmen.
William Clanton!
Er fuhr sich mit der Linken durch sein Haar und sah den Marshal aus wildglimmenden Augen an.
»Wyatt Earp! Tatsächlich. Ich dachte diese Schlampe machte wieder einen ihrer faulen Witze.«
Wyatt musterte den Burschen forschend.
»Hallo, Bill.«
Der jüngste der Clanton Brothers schluckte.
»Was wollen Sie?«
»Ich suche Ike.«
»Ike?« Der Bursche wurde flammendrot vor Zorn. Eine steile Falte grub sich in seine glatte Stirn. »Haben Sie Ike gesagt, Marshal?«
»Yeah, Ike.«
Da trat der Cowboy völlig auf den Gang hinaus und schob seine beiden Colts weit auf die Oberschenkel vor.
»Hören Sie, Mister Earp, wenn Sie mich auch in diesem Loch aufstöbern können – das sagt nicht viel. Zu Hause bin ich nicht gefragt. Für eine vernünftige Frau bin ich anscheinend noch zu grün – und mein Bruder Ike läßt mich tagsüber Zäune reparieren und die Stiefel der ganzen Familie putzen. – Es besagt wirklich nichts, daß Sie mich hier haben hineingehen sehen…«
»Ich habe dich nicht hineingehen sehen.«
»So? Ich bin aber vor kaum drei Minuten hier angekommen.«
»Und wo ist Ike?«
»Das wollte ich Ihnen gerade sagen: Falls Sie Billy Clanton auch in solch einem Loch finden können – einen Ike Clanton nie. Der hat bessere Häuser, in denen er sich aufhalten kann.«
»Weißt du, wo er ist?«
»Nein, fragen Sie doch Phin. Ihr Bruder hat ihn ja eingelocht, als er ihm die Scheibe zerschlug. Phin wird es wissen.«
Wyatts Antwort war nur: »Schade, Billy.«
»Was ist schade?«
»Daß du lügst.«
»Mister Earp! Wie können Sie das sagen? Ich habe nicht gelogen. Ike ist nicht hier!«
»Nein – aber du weißt, wo er ist!«
Billy war fast einen Kopf kleiner als der Missourier. Aus flackernden Augen sah er zu ihm auf.
»Yeah – ich weiß es«, entgegnete er dumpf. »Aber er will Sie nicht sehen.«
»Wo ist er?«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen.«
»Führe mich zu ihm.«
Da senkte Billy den Kopf und schüttelte ihn langsam.
Wyatt packte ihn an der Schulter.
»Wo ist er, Billy?«
Da brachte der Cowboy stockend hervor:
»Er schläft. Wir sollen alle schlafen. Weil morgen der Kampf beginnt…«
»Welcher Kampf?«
Wyatt schüttelte den Kopf. In seinen Augen war Mitleid, als er sagte:
»Billy, hol deinen Gaul und reite nach Hause.«
»Nein, wir sollen in der Stadt bleiben – und schlafen.«
»Das hattest du doch auch nicht vor.«
Der Bursche sah sich nach der jungen Frau um.
»Ach, Sie meinen – wegen der da? No, Marshal, ich bin nur hierhergegangen, weil ich hier Whisky bekomme und weil sie Ike nichts sagt…«
»Komm, Billy.« Der Marshal nahm ihn am Arm und ging mit ihm hinaus.
»Gute Nacht,William!« rief ihm die junge Frau nach. »Es ist ja auch ehrbarer, mit dem großen Wyatt Earp zu sprechen als mit der schmutzigen kleinen…«
»Sei still, Mary!« zischte die alte Frau, die am Gangende bei dem zottigen Hund stand.
Die beiden Männer durchquerten den Hof.
Billy setzte sich seinen Hut auf und zog ihn tief in die Stirn.
»Sie haben mich vorhin gesehen…«
»Nein.«
»Damned, ich dachte immer, daß Sie nicht lügen könnten.«
»Ich habe dich nicht gesehen, Billy.«
»Und wie konnten Sie mich da finden?«
»Ich weiß es nicht. Ich suche Ike…«
»In dieser Kaschemme? Glauben Sie wirklich, daß er es nötig hat, in einem solchen Loch Whisky zu trinken? Wenn Sie wüßten, wo der jetzt ist…«
»Führ mich hin!«
»Das kann ich nicht.«
Da packte Wyatt den Arm des Burschen mit eisernem Griff.
»Du wirst mich jetzt zu deinem Bruder Ike führen, Billy Clanton!«
Langsam ging der Bursche über die Vorbauten auf die Allenstreet zu. Oben an der Ecke blieb er stehen und blickte zu Quong Kees Can-Can-Restaurant hinüber.
»Du willst mir doch nicht weismachen, daß er sich da drüben in der chinesischen Schenke aufhält?«
»Nein, Marshal, das will ich nicht. Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, daß ich Ihnen das Quartier meines Bruders verrate.«
»All right!« Wyatt stieß die Luft geräuschvoll durch die Nase aus. »Aber du machst einen großen Fehler, Bill.«
»Kann sein. Ich kann es nicht ändern. Ike muß schlafen. Er hat in den letzten Nächten zu…«
»Sprich nur weiter, Billy. Nicht? Dann werde ich es für dich tun. Dein Bruder hat in den letzten Nächten zuviel mit der Herde um die Ohren gehabt – stimmt’s?«
Billy warf den Kopf hoch und starrte in das von mattem Sternenlicht fahl erhellte Gesicht des Missouriers.
»Woher wissen Sie das?« entfuhr es ihm.
»Meine Sache. Ich will dir noch mehr sagen: Ike und die anderen wollen die große Herde durchs County und die Stadt treiben. Aber Ike wird es die anderen tun lassen. Er selbst will kämpfen.«
Bill wich einen Schritt zurück. »Sie – können das – doch gar nicht wissen…«
»Ich weiß es aber. Schließlich kenne ich deinen Bruder lange genug. – Hör zu, Bill. Sag mir, wo Ike ist, und dann reitest du nach Hause. Er wird nie erfahren, von wem ich sein Quartier erfahren habe. Ich muß mit ihm sprechen. Es ist wichtig.«
Der Bursche dachte eine Weile nach und schüttelte dann wieder den Kopf, um halsstarrig zu antworten:
»Es geht nicht.«
»Billy, sei vernünftig. Es ist Wahnsinn, was dein Bruder vorhat! Willst du mit daran schuld sein, wenn morgen Tote auf den Straßen Tombstones liegen? Willst du selbst vielleicht einer dieser Toten sein? Weißt du, ob nicht Ike einer von ihnen sein wird…«
Da zuckte der Bursche zurück und funkelte den Marshal an.
»Wenn er fällt – haben Sie ihn getötet. Ein anderer kann ihn nicht schlagen. Und wenn Sie ihn töten, töte i c h S i e.«
Der Jüngling hatte diese Worte in flammendem Ernst hervorgestoßen.
Wyatt schüttelte ärgerlich den Kopf.
»Du bist noch ein halber Junge, Billy. Sei vernünftig. Der Kampf ist bitter – und noch nichts für dich.«
»Yeah, ich weiß. Ike und Phin ha-
ben es mir tausendmal gesagt. Aber
ich werde mitkämpfen! Ich werde fighten. Ich werde schießen – bis mich
die tödliche Kugel umreißt.« Und
während er das Gesicht umwandte, sagte er fast leise: »Und ich wünschte mir, daß diese Kugel dann von Ihnen käme…«
Wyatt riß ihn zu sich herum.
»Billy, du redest Unsinn! Du selbst kannst mir helfen, diesen Kampf zu verhindern. Ich muß mit Ike sprechen.«
»Was wollen Sie von ihm? Ihn umstimmen? Wo er sich zum entscheidenden Fight gegen Sie und Ihre Brüder entschlossen hat? Das ist barer Unsinn! Das wissen Sie selbst. – Lassen Sie mich, Wyatt. Es – tut mir leid…«
»Was?«
»Daß ich – vielleicht auf der falschen Seite stehen muß – in diesem Kampf.« Er wandte sich ab und lief wie ein Junge davon.
Wyatt sah ihm mit brennenden Augen nach.
Kampf!
Wie ein Damoklesschwert hing dieses Wort über der nächtlichen Stadt.
Jeder wußte, daß es Kampf geben würde. Straßenkampf. Krieg in Tombstone.
Langsam ging der Missourier zum Office zurück.
Seine Brüder sprangen auf, als er eintrat.
»Nun…?« Virgil hatte beide Hände ausgestreckt.
Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Wyatt, ob er das morgen abend auch noch tun könnte, sein Bruder, der Vater zweier Kinder?
Und Morgan, der etwas blasse Bursche, der mit zusammengezogenen Brauen in der Tür zum Schlafzimmer stand.
Wyatt schluckte. An sich selbst dachte er keine Sekunde, nur an die Brüder.
»Verdammt noch mal, wir sollten unsere Sachen zusammenpacken und reiten.«
Eine volle Minute war es still.
Dann fragte Virgil: »Wohin?«
Wyatt wandte sich ab. »Ich weiß es nicht.«
Da trat Virgil hinter ihn.
»Sie würde uns doch folgen, die Sage von der Clanton-Gang, Wyatt, wohin wir auch reiten. Sie würde lauten, daß wir feige waren, daß wir das Gesetz nicht verteidigen wollten, daß wir den Stern an der Brust nicht verdienten, daß wir…«
»Wir reiten ja nicht.« Der Marshal hatte es rauh und ernst gesagt. »Das ist es ja eben.«
»Weißt du schon etwas Näheres?«
Wyatt schüttelte den Kopf. Dann sagte er wie zu sich selbst:
»Es ist nur – kämpfen wir eigentlich noch fürs Gesetz, wenn wir gegen sie antreten?«
Virgil blickte den Bruder entgeistert an.
»Du zweifelst…?«
»Ich weiß es nicht,Virg. Ich weiß es nicht!«
Wyatt ließ sich auf der Schreibtischkante nieder und zündete sich eine seiner geliebten schwarzen Zigarren an.
»Auch eine?« Er hielt Virg das abgewetzte Lederetui hin.
Der schüttelte mißmutig seinen massigen Schädel.
»Morg…?«
Auch der jüngste Earp winkte ab.
Ihre Kehlen waren wie ausgetrocknet.
»Kämpfen wir eigentlich dann noch für das Gesetz?« wiederholte Wyatt.
»Aber ich bitte dich!« empörte sich Virg händeringend. »Was redest du da? Die Clantons sind Gangster, Banditen, Desperados, Verbrecher – Mörder! Du weißt es so gut wie ich. Sie wollen die Stadt und das County beherrschen, um ungehindert ihrem schmuztigen Gewerbe, dem gesetzlosen Handwerk nachgehen zu können. Nur wir – wir allein, Wyatt, hindern Sie daran! Und jetzt wollen Sie den Kampf. Den Kampf gegen uns. Willst du da sagen, daß wir uns außerhalb des Gesetzes stellen, wenn wir diesen Kampf annehmen? Ist es nicht sogar unsere Pflicht, mit ihnen zu kämpfen? Wyatt! Sag endlich etwas!«
Der Dodger Marshal sah seinen Bruder nachdenklich an.
»Sicher hast du recht, Virg – aber wir legen den Stern ab, wenn wir gehen.«
»Den Stern?« stammelte Virgil fassungslos. »Du verlangst, daß ich ohne Stern in den Kampf gehe? Daß die Menschen nachher sagen: Der, der da im Staub liegt, ist irgendein Bursche, der Earp heißt! Virgil Earp! – No, Brother. Ich bin der Gesetzesmann Earp und werde als der Gesetzesmann Earp zu kämpfen und zu sterben wissen.«
Morgan schluckte und wandte sich ab. Er starrte in das dunkle Zimmer. Einen Moment glaubte er drüben an den Scheiben ein Gesicht zu sehen. Ein Frauengesicht. Das Antlitz der Mutter.
Wenn sie morgen nun alle drei draußen auf der Straße lagen, niedergemäht von den Kugeln der Clantons – die doch in großer Überzahl waren? Was dann?«
Damned, um mich ist es nicht schade! klang es im Hirn des Burschen. Aber Virg – er hat zwei Kinder und eine Frau.
Und Wyatt!
Der Gedanke, daß der von ihm so heißverehrte Bruder Wyatt auf der Straße liegen könnte, von einer Clantonkugel niedergerissen – der trieb ihm das Blut hämmernd in die Schläfen.
Nein, Wyatt durfte nicht in diesem elenden Drecksnest sterben. Nur weil die Bürger hier feige wie Coyoten waren, weil sie sich nicht aufraffen konnten, die Verbrecherbande niederzuwerfen.Wenn man in Tombstone nur zwei Dutzend seiner Männer mit dem Colt in der Hand auf die Straße gebracht hätte! Wenn sie sich nur ein einziges Mal offen zum Gesetz hätten bekennen wollen, dann gäbe es keine Clanton-Gang mehr, dann könnte jeder in der Stadt endlich ruhig und in Frieden leben.
Wyatt stand vorn an der zertrümmerten Scheibe.
Morg wandte sich um und starrte auf den breiten muskulösen Rücken seines Bruders.
»Geh vom Fenster weg, Wyatt!« Aber der Dodger Marshal rührte sich nicht und blickte weiter auf die nächtliche Allenstreet hinaus.
»Sie sind alle gegangen. Sogar Cochise hat Vernunft angenommen. Geronimo hat aufgegeben. Nur Ike Clanton nicht.« Wyatt lachte bitter in sich hinein. »Und jetzt werden wir für eine Stadt voller armseliger Feiglinge kämpfen.«
Virgil fuhr sich durch den Kragen, er klebte ihm am Hals.
»Vielleicht sollte ich Joe Hammer fragen, er ist ein aufrechter Mann, vielleicht ist er dabei.«
Als die beiden anderen schwiegen, sagte Virgil: »Ich werde zu ihm gehen. Er ist eindeutig für das Gesetz. Also gegen die Clantons!«
Er nahm seinen Hut und ging eilig hinaus.
Als er nach zehn Minuten wiederkam, blickten die beiden anderen in sein finsteres Gesicht. Es bedurfte keiner Frage: Joe Hammer hatte abgelehnt.
Ebenso lehnten auch Jesse Vaugham, Mat Griffith und Ted Sommers ab.
Virg fand unentwegt neue Leute, die er für gut und treu, für tapfer und edel hielt; aber nach anderthalb Stunden hatten er und Morgan alle aufgesucht – und keinen Kampfgefährten gewonnen.
Stumm standen die drei Earps um den Schreibtisch herum.
Plötzlich nahm Wyatt den Kopf hoch. Er hatte ein Geräusch auf dem Vorbau gehört.
Jetzt hörten es auch die anderen.
Wyatt ging zur Tür und forderte Virg mit einem Blick auf, das Licht zu löschen.
Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sahen die beiden Brüder, wie sich Wyatts Silhouette vor der Tür bewegte. Sie konnten beobachten, wie er den Schloßdreher betätigte, die Tür anhob und sich hinausschlich.
Das Geräusch kam näher. Es waren vorsichtige, tastende Schritte.
Angespannt starrten die beiden auf die Türscheibe.
Da! Ein Kopf zeichnete sich ab. Der Kopf des Mannes, der einen breiten Sombrerohut tief in die Stirn gezogen hatte. Gegen den hellen Nachthimmel war dieser Kopf deutlich zu erkennen.
Es war Billy Clanton!
Dann tauchte dicht hinter dem Burschen die hünenhafte Gestalt Wyatts auf.
»He – Bill.«
Der Cowboy zuckte zusammen und war einen Herzschlag lang völlig steif vor Schreck.
»Wen suchst du hier?« fragte ihn Wyatt.
»Ich suche Sie, Mister Earp.«
Die beiden Männer im Office konnten jedes Wort, das draußen auf dem Vorbau gewechselt wurde, deutlich verstehen.
»Mich…?«
»Yeah. Ich komme von Ike!«
»Ach…?«
»Ich soll Ihnen etwas von ihm bestellen.«
»Will er mit mir sprechen?«
Der Bursche schüttelte den Kopf und entgegnete so leise, daß die beiden Männer im Office ihre Ohren sehr anstrengen mußten, um auch das zu verstehen:
»Er läßt Ihnen sagen, daß er Sie und Ihre Brüder erwartet. Im O.K. Corral. Oben in der Fremonstreet. Morgen früh, wenn die Sonne aufgeht.«
Drei Sekunden rannen in die Ewigkeit.
Dann kamen die beiden Worte des Missouriers: »Noch was?«
Der Cowboy schüttelte den Kopf.
»All right, Billly. Nur eine Frage. Wirst du auch dabei sein?«
»Ja, Wyatt – ich muß.« Damit rannte er davon.
Die beiden Earps im Office sahen die hochaufgerichtete Gestalt ihres Bruders, die bis dicht an das Vorbaudach zu reichen schien, vorm großen Türfenster breitbeinig dastehen, die Hände über den Revolverkolben in die Hüften gestützt. So blieb Wyatt eine Weile reglos stehen.
Dann wandte er sich um und kam ins Office zurück.
»Mach Licht, Virg.«
Zischend entzündete sich das Streichholz, und rasch fraß sich die kleine Flamme in den Docht.
Die Gesichter der drei Männer schienen in dem bleichen Licht der Kerosinlampe vor dem düsteren Hintergrund der Gewehrständer und des Zellenganges zu schweben.
»Ihr habt’s gehört?«
Die beiden nickten.
»Well, dann wollen wir jetzt schlafen. Ich gehe noch einmal an die Luft. Ihr wißt ja, daß ich das immer tue, ehe ich mich hinlege.«
Wyatt trat auf den Vorbau hinaus und riß ein Zündholz an.
Das Windlicht draußen warf einen geisterhaften Schein über die Straße und ließ den Schatten des Missouriers gespenstisch und groß erscheinen.
Immer noch brannten einige Lichter auf der Allenstreet.
Mit hartem, sporenklirrendem Schritt ging Wyatt Earp über die Stepwalks auf den Chrytal Palace zu.
Plötzlich glaubte er ein Geräusch hinter sich zu vernehmen, wirbelte herum und riß instinktiv einen linken Backhander nach oben.
Ein unterdrückter Schrei drang ihm entgegen.
Dann blinkte ein Messer vor ihm auf.
Wyatt duckte sich. Dann zuckte seine Rechte nach vorn, die Linke folgte ihr gedankenschnell als steifangewinkelter Haken.
Der Mann mit dem Messer sank mit einem Röcheln in dem Häusergiebel von Dave Cohens Store in sich zusammen.
Wyatt packte ihn, riß ihm das Messer aus der Hand, nahm ihm die Colts aus dem Halfter und tastete ihn nach weiteren Waffen ab.
Dann schleifte er ihn in den Lichtschein der ersten Fenster des Chrystal Palace.
»Frank Stilwell!« entfuhr es ihm. »Verdammte Ratte.« Er ließ den Banditen los und ging weiter.
Die Waffen, die er dem Outlaw abgenommen hatte, schleuderte er tief unter den Vorbau.
Da kam ein Mann über die Vorbauten gelaufen.
Wyatt blieb stehen. Gegen das Windlicht des Office erkannte er Morgan. Der rief ihn an:
»Was ist passiert?«
»Nichts von Bedeutung. Frank Stilwell wollte mir gute Nacht wünschen.«
»Dieser verdammte, hinterlistige Hund!«
Die beiden Earps gingen zusammen zurück zum Office.
Virgil hockte hinter seinem Schreibtisch und hatte den Kopf auf beide Fäuste gestützt. Als Wyatt hereinkam, sah er auf.
»Bist du schon zurück?«
»Ich gehe gleich wieder. Ich habe nur meine Zigarren hier liegenlassen.«
Auf den Vorbaubohlen draußen dröhnten Schritte.
Rasch drehte Wyatt den Docht hinunter. Das Licht erlosch.
Die Schritte kamen immer näher, und dann war die massige Gestalt eines Mannes vor dem Türfenster zu erkennen.
»Clum«, sagte Virgil erleichtert.
Wyatt ging zur Tür und öffnete, während Virgil die Lampe wieder anzündete.
John Clum kam herein, nahm seinen Hut ab, fuhr sich mit einer verlegenen Geste über seinen kahlen, nur von einem dünnen silbernen Haarkranz umstandenen Schädel und kramte seine alte Maiskolbenpfeife aus der Tasche.
»Ich habe gehört, daß Ike in der Stadt ist.«
Die drei Earps schwiegen.
»Jesse Corner erzählte mir, daß Tom McLowery im Oriental Saloon etwas von einem Revolverkampf erzählt habe, der bei Sonnenaufgang stattfinden soll.«
Auch darauf schwiegen die Earps.
Der Bürgermeister sah Virgil an.
»Wie steht es damit, Virg?«
Der drehte an der Lampe herum. »Damned, der Docht muß mal erneuert werden.«
Der Mayor wandte sich an Morgan. »Bei Sonnenaufgang soll der Gunfight sein; ich wüßte gern, wo er vor sich gehen soll.«
Morgan senkte den Kopf und schien auf dem schwarzen Aufschlag seiner Weste einen Fleck entdeckt zu haben. Da wandte sich der Mayor an Wyatt.
»Mister Earp! Es geht mich nichts an, ich weiß es, aber ich frage trotzdem. Ich frage, weil ich der Ansicht bin, daß die Clantons Banditen sind, Verbrecher, Mörder. – Sie sind ein bekannter Mann im Land, Mister Earp, und ich muß sagen, daß mich der Gedanke, Sie morgen früh hier irgendwo tot auf der Straße liegen zu sehen, mit großem Unbehagen erfüllt. Sagen Sie mir, wo der Fight stattfinden soll, Wyatt.«
Der Missourier blickte den alten Zeitungsmann, der den berühmten Tombstoner Epithaph gegründet hatte, durchdringend an, nahm die noch angezündete Zigarre aus dem Mund und erklärte ruhig: »Im O.K. Corral.«
Der Mayor zog seine silbergrauen Brauen zusammen.
»Im O.K. Corral? Oben in der Fremonstreet, schräg gegenüber von meinem Bureau?«
Wyatt nickte.
Da setzte der Mayor seinen Hut auf, wandte sich um und ging zur Tür. Hier blieb er noch einmal stehen und sagte leise:
»Muß es sein?«
»Yeah!« Die drei Earps hatten es wie aus einem Munde gesagt.
John Clum seufzte. »Ich weiß. Aber ich darf es nicht wissen. Der Kampf müßte vermieden werden – aber er ist offenbar unvermeidlich. Ihr braucht mir nichts zu erklären. Es ist ein Jammer, daß es wirklich keinen anderen Weg geben soll.« Mit einem Ruck nahm er seinen Kopf herum. »Wissen Sie tatsächlich keinen anderen Weg, Wyatt?«
»Leider nicht, Mister Clum.«
Wortlos und in tiefer Niedergeschlagenheit verließ der Mayor das Marshals Office.
Nur wenige Minuten später war wieder ein Geräusch auf dem Vorbau – ein leichter, trippelnder Schritt.
Als Virgil die Lampe löschen wollte, hob Wyatt die Hand. Morgan nahm den Revolver aus dem Halfter, und stellte sich rasch in den Türwinkel.
Da erschien an der Scheibe der Kopf eines kleinen Mannes. Ein Gesicht, das einen erschrecken konnte, klein wie ein Schrumpfapfel, mit scharf vorstehenden Wangenknochen, über die sich eine pergamentfarbene fahlgelbe Haut zog. Schräg saßen die Augen in diesem Gesicht. Das schwarze strähnige Haar war kurzgeschoren.
Behutsam öffnete der Chinese die Tür.
»Wong darf hereinkommen?«
Virgil nickte.
Es war der kleine Teehausbesitzer Wong, ein vierzigjähriger Mann, der ein leidliches Geschäft führte, sieben Kinder hatte und in der Stadt wenig von sich reden machte. Virgil hatte bisher kaum mit ihm zu tun gehabt.
Mit trippelnden Schritten betrat der Chinaman das Bureau und sah von einem der fast herkulisch gebauten Männer zum anderen.
»Ich gehört von Duell in Wagenhof, O.K. Corral. Die Clantons alle Banditen. Gegen Gesetz. Viele Banditen, ungleicher Kampf. Wong hassen ungleichen Kampf. Wong deshalb morgen früh mit Revolver hier. Wong mitgehen mit drei Männer mit Stern.«
Der Marshal von Dodge schüttelte den Kopf.
»Thanks, Mister Wong, aber wir müssen Ihr Angebot leider ablehnen. Die drei Männer, die morgen früh von hier aus zum O.K-Corral gehen werden, tragen keinen Stern. Es sind ganz einfach die Brüder Earp, die mit den Clantons kämpfen werden.«
Der kleine Chinaman nickte ganz eifrig.
»Wong trotzdem kommen und gehen mit. Es sein große Ehre für Wong, mit Brüder Earp zu kämpfen gegen Banditen.«
Virgil winkte ab.
»No, Mister Wong. Wir wissen Ihre gute Absicht zu schätzen, aber es ist so, wie mein Bruder Wyatt sagte: Sie können nicht mit uns gehen.«
»Aber die Clantons sein viele und Sie nur zu dritt. Das sein sicherer Tod.«
»Wollen Sie vielleicht auch in den sicheren Tod rennen?« fragte Wyatt ihn schroff. »Ich habe vor Ihrem Haus eine Menge Kinder spielen sehen, Mister Wong, Kinder, die einen Vater brauchen.«
»Mister Virgil auch haben Kinder«, beharrte der Chinese.
»Trotzdem, es geht nicht. Das ist nichts für Sie.«
»Für wen sein das was?«
Wyatt hob die Hände in einer hilflosen Geste.
Der Chinese ging zur Tür. Da wandte er sich ruckhaft um und sagte mit zornigen Augen: »Wong verstehen. Wong nicht gut genug.«
Da ging der riesige Dodger Marshal auf ihn zu und holte ihn zurück.
»Hören Sie, Mister Wong, Sie dürfen uns nicht falsch verstehen. Meine Brüder haben mehrere Stunden damit verbracht, ein paar Männer aufzutreiben, die uns helfen könnten. Sie haben nicht einen gefunden, der bereit gewesen wäre, uns auch nur den Rücken zu decken. Wir sind tief gerührt von Ihrem Angebot, weil Sie tatsächlich der einzige Mann in dieser feigen Stadt sind, der ein so großes Herz hat, mit uns gehen zu wollen. Sie sind von dieser Stunde an für uns drei der mutigste Mann von Tombstone. Und wenn es Ihnen etwas bedeutet: wir werden Ihr Anerbieten niemals vergessen.«
Der Chinaman nickte betreten und senkte den Kopf.
»Wong wissen, Wong kleiner Teemann, Wong kein Revolverkämpfer.« Und dann sprach der kleine Asiate einen Namen aus, der in den Köpfen der Earp-Brüder seit Stunden herumgeisterte.
»Wong es genau wissen und es zu kleine Chinafrau sagen: Drei Earp-Brothers nur einen Mann brauchen können, der mit zwei große Revolver hundert Wong aufwiegen: Doc Holliday.«
Verdutzt starrte der kleine Chinese in die plötzlich so veränderten Gesichter der drei Männer. Er konnte ja nicht ahnen, was er mit seinen Worten angerührt und aufgewühlt hatte.
»Wong um Verzeihung bitten«, stammelte er. »Wong gehen. Aber Wong beten, daß die drei Marshal Brothers, die morgen ohne Stern kämpfen müssen, guten Kampf machen.«
Leise zog der kleine Chinaman die Tür hinter sich zu und verschwand.
Die Earps sahen betreten zu Boden.
Mit einem seltsam schmerzlichen Gefühl in der Brust bemerkte Morgan, daß seinem Bruder Wyatt zum erstenmal im Leben eine Zigarre zwischen den Lippen erloschen war.
Der Dodger Marshal sah Morgans Blick, nahm sofort ein Zündholz aus der Tasche, riß es unter der Schreibtischkante an und hielt es an die Zigarre.
Virgil, der mit der Linken achtlos in einem Aktenstapel geblättert hatte, fegte das Bündel plötzlich vom Tisch.
»Er soll einen Postkutschenüberfall angeführt haben.«
Wyatt hob den Kopf. »Wer?«
»Holliday.«
Morgan ließ sich krachend auf einen Hocker niederfallen.
»Weshalb erzählst du ihm diesen Blödsinn? Die McLowerys und ein paar andere Halunken haben ihn verbreitet.«
Virgil brummte: »Immerhin hat es ihn so abgestoßen, daß er wieder weggeritten ist. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, muß ich sagen, daß dieses Gerücht gar nicht so zufällig ausgestreut wurde. Das war sogar ziemlich raffiniert von diesen Schuften. Wenn sie nämlich nicht auf den Einfall gekommen wären, dann säße der Doc jetzt hier irgendwo in einem Tombstoner Spielsalon.« Mit gesenktem Kopf fügte er hinzu: »Und ich muß sagen, daß mir das ein verdammt beruhigendes Gefühl gegeben hätte.«
Wyatt schob die Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen. »Wir werden es schon schaffen, Virg. Ich mache jetzt noch meinen kleinen Rundgang. So long.«
Er ging hinaus. Und die beiden horchten seinen harten unverwechselbaren Schritten nach.
Als Wyatt das Office hinter sich hatte, schleuderte er den Zigarrenrest auf die Straße und blieb oben zwischen Gaby Bonneys Haus und dem Crystal Palace stehen, schob sich den Hut aus der Stirn und wischte sich durch sein heißes Gesicht.
Er trat an die Vorbaukante und sog die reine Nachtluft tief in die Lungen ein.
Die Arizonanacht war glasklar, und jetzt um Mitternacht schien der Himmel samtschwarz zu sein, und doppelt so viel Sterne sandten ihr magisches, flimmerndes Licht auf die Erde wie zu Beginn der Dunkelheit.
Wyatt blickte die Straße nach Westen hinunter.
Die Stadt schien zu schlafen. Nichts verriet die düstere Stunde, die der nächste Tag mit sich bringen sollte.
Well, Wyatt und seine Brüder hatten schon in vielen Gunfights gestanden. Aber nun mußte er sich mit den beiden Brüdern in die kaum sieben Yards messende Enge dieses scheußlichen, verwahrlosten Wagenabstellplatzes zwängen, um mit einer Horde wahnwitziger Menschen einen Kampf auszutragen, der wahrscheinlich sinnlos war.
Aber es gab kein Zurück mehr. Ike Clanton hatte sich nicht sprechen lassen. Er bestand auf seinem irrsinnigen Machtkampf, der nichts weiter war als Auflehnung gegen das Gesetz.
Und die Earps vertraten das Gesetz in Tombstone!
Aber hätte man nicht anderen Leuten den Kampf gegen die Willkür dieser Verbrecherbande überlassen sollen? Einer größeren Macht?
Nein! Der Kampf mußte jetzt sein. Denn die Zeit, die das Gesetz andernfalls brauchte, um die Verbrecher zu beugen, konnte nicht lange auf sich warten lassen. Bis dahin würden noch viele Menschen unter den Schandtaten der Bande zu leiden haben. Es gab keinen Weg, der am O.K. Corral vorbeiführte.
Wyatt zog seinen Hut wieder in die Stirn und ging weiter, an den Buntglasfestern des Crystal Palace vorbei, die noch immer ein schillerndes, magisches Licht auf den Vorbau warfen.
Er hatte die Ecke erreicht und stand mit dem Rücken gegen die um diese Zeit ins Schloß geschobene Glastür der Bar. Nachts wurden die hölzernen Schwingarme nach innen geklappt.
Auf der anderen Seite lag der Oriental Saloon. Ins seinen Fenstern war schon jedes Licht erstorben. Wie große gähnende Mäuler starrten ihn die Fensterhöhlen an.
Hätte der Chinaman doch den Namen nicht ausgesprochen! Schon seit dem Augenblick, da Billy Clanton die Aufforderung zu dem Duell überbracht hatte, vermochte der Missourier den Gedanken an Doc Holliday nur noch mit Mühe zu unterdrücken. Wenn er sich jemals nach diesem Mann gesehnt hatte, dann jetzt! Es gab keinen Menschen, den er in diesem Fight lieber an seiner Seite gesehen hätte als ihn! Er mußte sich sogar eingestehen, daß er lieber mit ihm in diesen Kampf gegangen wäre als mit Virg und Morg.
Man hätte dem Marshal die Wahl zwischen einem Dutzend schneller Männer und dem Spieler stellen können. Ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, hätte er sich für Doc Holliday entschieden. Es gab im Westen keinen Kämpfer wie ihn, keinen Revolverschützen, der ihm das Wasser hätte reichen können. Keinen Mann, der mit so viel Eiseskälte, Umsicht und Todesverachtung einen derartigen Weg antreten konnte. Hundertmal hatte er in bitteren Stunden neben ihm gestanden, und ausgerechnet heute war er nicht hier.
Der Marshal, der eigentlich nach Süden um das Quadrat hatte gehen wollen, in der unsinnigen Hoffnung, vielleicht einen Moment in die großen beruhigenden braunen Augen Nelly Cashmans blicken zu können, wußte selbst nicht, weshalb er sich plötzlich umwandte und die Tür des Crystal Palace öffnete.
Wie zur Salzsäule erstarrt, verharrte der Mann aus Missouri auf der Stelle. In dem großen, für Tombstoner Verhältnisse sehr feudal eingerichteten Saloon brannten nur die vier Lampen an dem großen Querträger über der riesigen Theke. Ihr Licht wurde von dem gewaltigen Spiegeltrio aufgefangen und in den weiten Raum geworfen.
Der Keeper hatte den Kopf in beide Hände gestützt und stierte mit gerunzelter Stirn vor sich hin.
Der große Raum war leer – bis auf einen Tisch. Es war ein mit grünem Filz bezogener Spieltisch, der hinten im Halbdunkel stand.
Ein einzelner Mann saß daran. Er war groß und hatte eine sehnige Figur. Sein Gesicht war hager und scharfgeschnitten. Markant die Stirn, die gerade Nase, energisch der Mund und vielleicht eine Spur zu hart das Kinn. Alles beherrschend die eisblauen, blitzenden Augen. Auf der Oberlippe trug er einen sauber getrimmten Schnurrbart. Sein volles Haar war zurückgekämmt und links gescheitelt.
Welch ein Gesicht in dieser Umgebung! Das Antlitz eines Aristiokraten. Blütenweiß war das Hemd, und die schwarze Samtschleife war mit peinlicher Sorgfalt gebunden. Der schwarze Anzug war nach der neuesten St.-Louis-Mode geschneidert, und man glaubte auf zehnYards hin sehen zu können, daß er nicht die geringste Spur von Staub aufwies.
Der Mann hielt seine Hände auf dem grünen Filz des Tisches; es waren feinnervige Hände, die mit Pokerkarten spielten, die einen Fächer aus ihnen zauberten, die zusammengleiten und wie eine Welle wieder auseinanderfliegen ließen.
Neben der steifen Manschette des linken Handgelenks, an der eine goldgefaßte Perle blinkte, stand ein halbgefülltes Brandyglas. Und griffbereit neben der Rechten lag ein großer fünf-undvierziger Revolver, dessen Knaufschalen mit Elfenbein ausgelegt und dessen Lauf und Trommel stark vernickelt waren.
Fasziniert starrte Wyatt Earp auf das Gesicht des Spielers. Sein Herz, das für einen Augenblick ausgesetzt zu haben schien, begann nun zu hämmern.
Dann erst fiel ihm die seltsam fahlgrüne Blässe auf, die das Gesicht des anderen überzog.
Der Missourier zog einen Nickel aus der Tasche, ging zu dem großen Orchestrion hinüber und warf das Geldstück in den Mündenschlitz.
Ungestüm brach der Arizona-Song in den Raum – so, als sei er bis jetzt mit Gewalt festgehalten worden und müsse nun die wenig harmonischen Takte seiner schrillen Melodie möglichst rasch und stampfend in den Raum schleudern.
Wyatt Earp wandte sich um und ging langsam an der Theke vorbei auf den Spieltisch zu.
»Hallo, Doc.«
»Hallo, Marshal.«
Yeah, der Mann im schwarzen Habit des Gamblers war niemand anders als Doc Holliday. Er war also in der bittersten Stunde seines einziges Freundes zurückgekommen.
Der Spieler hob den Kopf und sagte leise wie zu sich selbst, während er sich eine Zigarette zwischen die Zähne schob und ein Zündholz am Daumennagel anriß:
»Wann geht es los?«
»Bei Sonnenaufgang.«
»Wo?«
»Im O.K. Corral.«
»Feiner Platz zum Sterben.«
Holliday schob die Karten zusammen und ließ sie in seine linke Westentasche verschwinden. Dann blickte er auf den Revolver, warf die Trommel geräuschvoll herum und wirbelte dann die schwere Waffe mit spielerischer Leichtigkeit rotierend um den Mittelfinger.
»Bred!«
Der dösende Keeper schrak zusammen. Er sah den Revolver in der Hand des Georgiers.
Holliday lachte müde und erhob sich, wobei er den Colt in einem Handsalto ins Halfter fliegen ließ.
»Geben Sie mir eine Flasche mit!«
Er ging auf die Theke zu und warf ein paar Münzen hin, die einen klimpernden Tanz auf dem Blech vollführten, ehe sie stillagen. Der Gambler nahm mit der Linken die Flasche, die der Keeper ihm hinreichte, und wandte sich nach dem Missourier um.
»Alles klar, Marshal?«
Wyatt nickte. »Yeah, Doc, alles klar.«
»Good night.«
»Good night.«
Der einstige Bostoner Arzt ging zur Tür. Mit zusammengezogenen Brauen blickte der Marshal ihm nach. War ihm schon vorhin das fahlgrüne Gesicht des Freundes aufgefallen, so erschrak ihn sein müder, fast schon schleppender Schritt jetzt wirklich sehr.
»Doc!«
Der Gambler war schon in der Tür, wandte aber den Kopf über die Schulter.
»Fehlt Ihnen was, Doc?«
»Fehlen?« kam es bitter von den Lippen des Georgiers. »Im Gegenteil. Ganz im Gegenteil.«
Klirrend fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.
Da erst bemerkte der Marshal die Frau, die bisher still hinter einer schwarzen roten Portiere gesessen hatte. Jetzt erhob sie sich, um der Tür zuzustreben.
Kate Fisher.
Wyatts Linke schoß vor und ergriff das Handgelenk der Frau.
»Miß Kate!«
Die Frau blieb stehen und wandte dem Missourier ihr Gesicht zu. In ihren großen, immer noch schönen Augen schimmerten Tränen. Ihre Lippen bebten.
»Was ist mit ihm?« fragte der Marshal.
»Er ist krank. Sterbenskrank. Ich war mit ihm in Gleeson, da lag er bis vor ein paar Stunden mit Fieber im Bett. Plötzlich stand er auf und zog sich an. Der Arzt, den ich gegen Johns Willen rief, sagte, er dürfe unter keinen Umständen aufstehen.«
Wyatt blickte an der Frau vorbei und schluckte schwer.
»Bitte, Miß Kate«, sagte er mit rostiger Stimme. »Gehen Sie sofort zu Doc Goodfellow. Sagen Sie ihm, daß er kommen soll, und bitten Sie den Arzt, zehn von den Pillen mitzubringen, die er kürzlich Virgil Earp verschrieben hat.«
Die Frau nickte erregt und wollte fort.
»Noch etwas, Miß Kate.« Die Stimme des Marshals war dumpf und fast leise geworden. »Wenn er schläft, dann bringen Sie mir bitte seine beiden Revolver. Ich bin im Office meines Bruders.«
Die Frau nickte wieder und eilte hinaus.
Wyatt stand noch immer neben dem grünen Spieltisch. Mit starrem Blick sah er auf das halbvolle Brandyglas, das Doc Holliday stehengelassen hatte. Er nahm es in die Hand, führte es an die Lippen und kippte das scharfe Getränk hinunter. Scharf brannte der Alkohol in seiner Kehle.
Wyatts große Hand spannte sich um das Glas – und plötzlich klirrte es, und die Scherben fielen auf den Boden.
Der Keeper fuhr erschrocken zusammen.
»Um Himmels willen, Mister Earp, haben Sie sich verletzt? Kommen Sie – ich werde…«
»Thanks.«
Der Marshal warf ein Geldstück auf die Theke und verließ ebenfalls den Chrystal Palace.
Im Office warteten Virgil und Morgan auf ihren Bruder. Es war ihren Gesichtern deutlich die Erleichterung anzusehen, als sie ihn zurückkommen sahen.
Wyatt trat an den Schreibtisch, nahm den bleiernen Papierbeschwerer auf und sagte wie nebenher:
»Wir werden vielleicht nicht allein gehen.«
»Nicht allein?« entfuhr es Virgil.
»Er ist hier«, entgegnete der Missourier dumpf.
Morgan war mit zwei raschen Schritten am Tisch und klammerte seine großen Hände um die Kanten.
»Willst du damit etwa sagen – daß Doc Holliday in der Stadt ist?«
Wyatt nickte und ließ sich in den Schaukelstuhl neben dem Gewehrständer nieder. Er nahm seinen Hut ab und schleuderte ihn mit einem geschickten Griff auf einen Wandhaken.
Morgan und Virgil blickten einander verblüfft an. Aber sie schwiegen. Jetzt erinnerten sie sich in tiefer Beschämung daran, daß sie, wie all die anderen Menschen, den Bruder früher ständig vor dem Georgier gewarnt hatten.
Und nun war er also gekommen! Er war in der Stadt! Dieses Bewußtsein gab ihnen plötzlich ein seltsam beruhigendes Gefühl. Well, was aber war gewonnen? Ein vierter Mann.
Aber welch ein Mann!
Es vergingen zwei Stunden, zwei quälend endlose Stunden, bis Wyatt die Schritte der Frau auf dem Vorbau hörte. Er sprang auf.
Morgan und Virgil erhoben sich ebenfalls.
Kate Fischer war allein. Aber wie sah sie aus! Völlig aufgelöst und tränen-überströmt.
Der Missourier mußte wieder gegen ein dumpfes, schmerzliches Gefühl in der Kehle ankämpfen.
»So sprechen Sie doch!«
Kate Fisher hatte die Hände über der Brust zusammengepreßt.
»Es ist furchtbar, Mister Earp«, brach es über ihre Lippen. Sie versuchte, den Weinkrampf, der sie zu ersticken drohte, zu unterdrücken. Aber es gelang nur halb. »Es ist furchtbar…«
Virgil, der mit erschrockenen Augen die Szene beobachtet hatte, kam rasch hinzu.
»Was ist los?«
Wyatt schob der Frau einen Stuhl hin. Sie stank darauf nieder.
»Ich glaube, es geht zu Ende, Wyatt«, stammelte sie mit kalkigem Gesicht.
Wyatt preßte die Lippen aufeinander, und dann warf er seinen Brüdern einen kurzen Blick zu.
»Ich komme geich wieder«, sagte er und ging zur Tür.
»Kommen Sie bitte, Miß Kate.«
Fünf Minuten später betraten sie das Haus, in dem der Spieler meistens wohnte, wenn er in der Stadt war.
Wyatt stürmte die Treppe hinauf. Oben mußte er an sich halten, um nicht die Tür aufzureißen.
Er wartete, bis die Frau neben ihm war. Sie betätigte den Messinggriff vorsichtig nach links. Trotzdem knarrte die Tür leise und sprang auf.
Wyatt, der über Kates Kopf blicken konnte, sah in den von einer kleinen Petroleumlampe matt erleuchteten Raum. Die schweren grünen Samtvorhänge waren zurückgezogen und das Fenster stand offen.
Mit geisterhaft bleichem, eingefallenem Gesicht lag der Georgier auf dem Bett. Er wandte den Kopf und blickte den Marshal an. Ein müdes Lächeln spielte um seine Lippen und kroch hinauf in die Winkel seiner feuchtglänzenden Augen.
»Tut mir leid, Wyatt«, kam es röchelnd von den Lippen des Kranken, »aber das macht nichts, morgen früh ist es vorbei.«
Vorbei! Dieses Wort dröhnte im Hirn des Missouriers. Vorbei. Was ist morgen früh vorbei?
Es gab keinen Zweifel, und ganz deutlich spürte Wyatt, sein Freund, der Doktor John Henry Holliday, erwartete zu sterben. In dieser Nacht. In dieser bitteren, entscheidenden Nacht.
Wyatt senkte den Kopf und nahm den Hut ab. Da winkte der Spieler die Frau mit den Augen heran.
»Gib mir die Flasche, Kate.«
Kate Fisher stand links vor der Kommode, preßte die kleine Brandyflasche gegen sich und schüttelte heftig den Kopf.
»Nein, Doc, du darfst nichts mehr trinken, keinen Schluck mehr.«
Holliday wandte den Kopf weiter zur Seite und sah den Marshal wieder an.
»Wyatt, seien Sie vernünftig, ich kann jetzt nicht mit ihr rechnen. Geben Sie mir die Flasche.«
Als er sie in der Hand hielt und über das Glas führte, zitterte sie so sehr, daß Wyatt den Blick abwenden mußte. Er trat ans Fenster und sah hinaus auf die nächtliche Straße.
Nach einer Weile schreckte ihn das Geräusch zersprungenen Glases auf. Er fuhr herum.
Das Glas war heruntergefallen. Die Flasche hing auf der Bettkante und lief aus.
Der Spieler lag mit seltsam eingefallenem, maskenhaftem Gesicht in den Kissen. Seine Augen waren geschlossen. Wyatt schluckte und vermochte doch seine trockene Kehle nicht zu befeuchten.
»Ist er tot?« entrang es sich Kate
Fishers Kehle. Sie schluchzte hemmungslos und warf sich über den wie leblos daliegenden Körper Hollidays.
Mit weiten Augen blickte Wyatt Earp auf dieses Bild. Es herrschte plötzlich eine fürchterliche Leere in seinem Hirn. Nur leise wie aus ganz weiter Ferne vernahm er das Schluchzen der Frau.
Was war denn geschehen? Etwas Unerwartetes? Ganz sicher nicht. Seit Jahren schon trug Doc Holliday die furchtbare Krankheit in seiner Brust. Ihretwegen war er überhaupt erst in den Westen gekommen. Er hatte sich von der milderen Luft hier Linderung seines Leidens erhofft. Und war es nicht ein Wunder? Ein volles Jahrzehnt hatte er noch hier verbringen können! Niemals hatte man ihm sein Siechtum angesehen. Sicher, Wyatt wußte, daß Holliday zuweilen von Hustenanfällen geschüttelt wurde und schwere Nächte durchzustehen hatte; aber immer wieder hatte die unwahrscheinlich zähe, eiserne Natur den Georgier wieder auf die Beine gebracht.
Und jetzt sollte es also zu Ende sein?
Wyatt trat an das Bett, nahm einen der großen Revolver aus dem Waffengurt des Spielers, betrachtete ihn nachdenklich und schob ihn hinter seinen eigenen Gurt.
»Du kriegst ihn wieder, John«, sagte er tonlos vor sich hin. »Aber morgen früh werde ich ihn im Gurt tragen.«
Ohne noch einen Blick auf den Mann in den Kissen zu werfen, wandte er sich mit einem Ruck um und ging hinaus.
Unten vor der Tür stand Morgan.
»Ist er krank?«
Wyatt nickte. »Ja, Morg, sehr krank. Ich glaube, es geht zu Ende.«
Die beiden gingen zum Office zurück.
Virgil, der ihnen bis zur Tür entgegengeeilt war, brauchte nichts mehr zu fragen. Er konnte also in den Gesichtern der Brüder lesen.
In dumpfem Dahinbrüten verbrachten die Männer eine fürchterliche Nacht.
Als im Osten der erste graue Silberstreif über den Horizont kroch, erhob sich Wyatt Earp, lockerte die Revolver in den Halftern und sah seine Brüder an.
»Es wird Zeit«, sagte er düster.
In diesem Augenblick polterten schnelle Schritte über den Vorbau.
Sie hatten alle ihre Revolver in den Fäusten, als ein Mann am Türfenster auftauchte.
Billy Clanton!
Er winkte mit der Hand zum Zeichen, daß er hineinkommen wollte.
Wyatt schob seinen Revolver in den Lederschuh zurück und nickte.
Der Cowboy quetschte sich durch den Türspalt ins Office. Sein Gesicht war schweißnaß, und die schwarzen Haarsträhnen klebten in seiner Stirn.
»Sie müssen noch warten, Wyatt!« stieß er mit pfeifenden Lungen hervor. »Ike sagt es.«
Wyatt deutete auf Virgil. »Er ist hier der Marshal.«
Virgil hüstelte. »Was wollt ihr?« fragte er knurrend.
Der Bursche druckste herum.
»Ike wartet noch auf zwei Männer.«
»Noch auf zwei Männer?« fauchte Virgil. »Bist du verrückt? Seid ihr nicht gerade genug? Sieh uns an, wir sind zu dritt. Verschwinde, und sage Ike, daß wir kommen.«
»Es geht nicht«, stotterte der Bursche mit verstörtem Gesicht. »Die Männer, auf die Ike wartet, sind wichtig. Es sind die beiden McLowerys.«
»Ach!« zischte Virgil, »die beiden McLowerys. Haben die Hunde sich etwa verkrochen?«
»Nein, Ike hat sie in der Nacht irgendwo hingeschickt. Sie sind noch nicht zurück.«
Da trat der Marshal von Tombstone dicht vor den Burschen hin und brüllte:
»Was fällt dir ein? Glaubst du, daß wir wegen der beiden Halunken hier warten, bis wir grau sind? Ihr seid Leute genug. Ihr wäret auch dann genug, wenn nur die im Corral wären, die den Namen Clanton tragen. Wir sind auch nur zu dritt.«
»Aber Phin ist nicht da«, sagte Billy.
Virgil lachte heiser auf. »Das haben wir auch nicht erwartet. Dafür werden genug andere Schufte da sein. Billy Claiborne, Spence, Stilwell, Curly Bill, der Mestize, Ferguson und weiß der Teufel was sonst noch für Gesichter. Verschwinde, und sage Ike, daß wir kommen.«
Da ballte der Bursche die Fäuste und wandte sich brüsk an Wyatt.
»Sie werden das nicht zulassen, Mister Earp! Die McLowerys gehören zu uns!«
Wyatt wechselte einen raschen Blick mit dem Bruder.
Da schnaufte Virg wütend, wandte sich um und sagte im Abdrehen: »All right, wir warten hier.«
Der Bursche wollte hinaus.
Ein Ruf des Dodger Marshals hielt ihn auf.
»Billy, hol dein Pferd und reite nach Hause. Das ist nichts für dich, was Ike da heraufbeschworen hat.«
Aus den dunklen Augen des Burschen sprühten Blitze.
»Wir werden kämpfen, Mister Earp!« preßte er schroff durch die Zähne. »Wir werden so lange kämpfen, bis kein Earp mehr lebt!«
Mit einem wilden Sprung rannte er hinaus.
Die Sonne stieg wie ein roter Feuerball über den westlichen Horizont und warf purpurne Strahlenbündel in die Hauptstraße von Tombstone.
Wyatt stand an dem zertrümmerten Fenster und blickte hinaus. Niemals schien ihm ein Tag so schön begonnen zu haben. Die Häusergiebel, Vorbaudächer, Pfeiler und Treppen, Pferdetränken und Querholme waren wie mit rotem Gold übergossen. Sogar der helle gelbbraune Sand der Straße leuchtete rot.
In der Stadt war noch alles still.
Der ›König von Arizona‹ ließ sich Zeit.
Es wurde sieben Uhr, und immer rührte sich noch nichts.
Die Ungewißheit zerrte den drei Männern nach der durchwachten Nacht furchtbar an den Nerven.
»Er trommelt seine ganze Crew zusammen«, stieß Virg hervor. »Sie werden überall sitzen. Hinter den Zaunlücken, auf den Dächern und hinter den Wagenwracks im Corral.«
Gegen acht öffnete Wyatt die Tür und trat auf den Vorbau.
Die Straße, die sonst um diese Zeit schon stark belebt war, lag wie ausgestorben da.
Eine weitere Stunde verrann.
Kurz nach neun kam Dora Earp.
Virgil wechselte nur wenige Worte mit ihr, dann ging sie wieder, nicht ohne ihren Schwager Wyatt mit einem finsteren Blick zu bedenken.
Wieder kroch eine neue Stunde im Schneckentempo vorüber.
Es war eine Hölle für die drei Männer im Marshals Office.
*
Gegen drei Uhr morgens war Ike Clanton mit seinem Bruder Billy und den beiden McLowerys, Bill Claiborne, Frank Stilwell, Curly Bill, Pete Spence und Indian Charly von der Ecke der Thirdstreet am Haus seines Onkels Walter Arthur Harwood vorbei auf den Eingang des vereinbarten Kampfplatzes zugeritten.
Quer über der torlosen Einfahrt hing das große Schild:
O.K. Corral
Links, wenn man vorm Corraleingang stand, war Flys Photogalery. Schräg gegenüber, etwa dreißig Yards entfernt, lag das Haus der Hutmacherin Addie Bourland, jener Frau, die später als einzige Augenzeugin über den Kampf aussagte.
Zwei Häuser weiter befand sich John Clums Zeitungs-Office, der Tombstone Epithaph.
Ein Stück weiter links, neben dem Eingang des Corrals und Flys Photogalery, war Bauers Butchershop, und daneben stand die City Hall.
Ike ritt in den Corral hinein und rutschte aus dem Sattel.
Billy blieb vorn am Eingang.
Die anderen Banditen krochen bei ihrem Anführer aus ihren Sätteln und blieben fröstelnd an der Adobewand von Flys Galery stehen.
Der Bandenführer schob sich eine Virginia zwischen die Zähne. Frank Stilwell reichte ihm Feuer. Bill Clai-borne und Pete Spence sahen sich erschrocken um, als das winzige Lichtchen aufflammte.
»Ich kann euch nicht alle brauchen«, sagte der Boß plötzlich laut, daß die anderen zusammenschraken, weil die Worte von den Männern widerhallten.
»Wir bleiben«, erklärte Frank McLowery.
Sein Bruder nickte nur.
»Ich bleibe auch«, sagte Bill Claiborne.
Curly Bill schob die Hände auf die Revolverknäufe und meinte: »Was
gibt’s da zu reden?«
Ike entfernte sich von den anderen, setzte sich auf eine zerbrochene Wagendeichsel und stierte in die Düsternis des Corrals.
Die anderen gingen auf und ab.
Nach einer Stunde herrschte eine sonderbare Stille in der Enge des Corrals.
Da hörte Ike harte sporenklirrende Schritte hinter sich. Er wandte sich um und erkannte seinen Bruder Billy.
»Ike…«
»Was willst du?«
»Sie sind fort!«
»Wer?«
»Indian Charly, Pete Spence, Frank Stilwell und Curly Bill. Nur Frank und Tom sind noch da.«
»Und ich«, krächzte es da von den Pferden her. Es war Billy Claibornes Stimme.
Siedendheiß durchzuckte der Schreck die Brust des Bandenführers. Er mußte sich zwingen, ruhig zu erklären:
»Well, ich habe sie ja weggeschickt.«
Billy ging langsam und mit gesenktem Kopf zum Tor zurück.
Als der erste organgerote Schimmer im Westen aufstieg, rutschte Isaac Clanton von der geborstenen Deichsel, schob seine Revolver zurück und ging an den Pferden vorbei zum Eingang.
Links an der Holzwand lehnte sein Bruder Billy. Er rauchte.
Auch Bill Claiborne, der sich zwischen die Pferde gestellt hatte, rauchte ununterbrochen.
Die beiden McLowerys lungerten rechts von der Wand von Flys Galery und starrten auf die Straße hinaus, die von der aufgehenden Sonne wie mit einem roten Teppich bedeckt zu sein schien.
»Jetzt werden sie bald kommen«, ließ sich Franks näselnde Stimme vernehmen.
Und nach einer Weile schnarrte Tom: »Curly Bill und Indian Charly hätten bleiben können.«
Bill Claiborne schob sich hinter den Pferden hervor.
»Sie hätten alle bleiben können, wenn ich bedenke, wie schnell Wyatt schießt.«
Das Geräusch hastig näherkommender Schritte ließ die Banditen zusammenschrecken und aufhorchen.
»Sie kommen!« entfuhr es Clai-
borne bebend.
Die Tramps stießen sich von den Wänden ab und stellten sich neben ihren Boß.
Aber es war nur der Schritt eines einzelnen, der aus der Thirdstreet kam.
Der kleine Clanton schob den Kopf vor.
»He! Das ist Jonny Behan! Was will der denn?«
Keuchend kam der Hilfssheriff heran.
»Ike!« stieß er hastig hervor.
»Woher wissen Sie, daß wir hier sind?« fuhr der Bandenchief ihn brüsk an.
»Von Stilwell, ich habe ihn vorhin getroffen.« Das war eine dreiste Lüge, denn der kleine Ferguson hatte dem Sheriff schon am Abend vorher erzählt, daß Ike vorhabe, die Earps im O.K. Corral zu fordern.
»Ike!« stammelte Behan nach Atem ringend, und die sechs Worte, die er dann sprach, trafen die fünf Desperados wie Peitschenhiebe: »Doc Holliday ist in der Stadt.«
Ike packte den Schlotternden und zog ihn mit einem Ruck zu sich heran.
»Sind Sie denn übergeschnappt, Mensch?«
»Ich schwöre es«, ächzte Behan, »er ist da. Ich habe in Nelly Cashmans
Boardinghouse geschlafen und hörte, wie zwei Männer auf dem Gang sprachen!«
»Was sprachen sie?« fuhr ihn der Bandenführer barsch an.
»Daß sie ihn gesehen hätten – im Crystal Palace.«
Ike Clanton wandte den Kopf ab und starrte geblendet in die aufgehende Sonne.
»Das – ist – nicht – wahr!«
»Ich schwöre es, bei meinem Leben.«
Ike spie aus und preßte die Zähne so hart aufeinander, daß man das Knirschen bis über die Straße vernehmen konnte.
»Virgil Earp hat gesagt, daß keiner der Cowboys mehr bewaffnet durch die Straßen laufen dürfe«, stotterte Jonny Behan. »Er hat es gestern zu mir gesagt. Ike – Sie müssen es aufgeben. Gegen Wyatt Earp und Doc Holliday kommen Sie allein nicht an.«
»Ich bin nicht allein!« schrie der Gangster unbeherrscht und stieß den papiernen Sheriff brutal zurück.
Jonny Behan stürzte in den Straßenstaub, raffte sich auf und wich im Krebsgang zurück.
»Verschwinde!« herrschte Ike Clanton ihn an.
Der Hilfssheriff trollte sich davon.
Zwischen den Banditen herrschte eisiges Schweigen.
Doc Holliday! Also war er doch noch gekommen. Der Spieler mit den beiden mörderischen Revolverhänden – im allerletzten Augenblick war er gekommen. Und damit war die große Gefahr, die der Marshal von Dodge City allein schon für die Tramps bedeutete, zumindest verdoppelt worden.
Die beiden Wölfe würden also zusammen kämpfen. Was das bedeutete, wußten die Verbrecher nur zu genau. Hatten sie Wyatt Earp und Doc Holliday doch schließlich oft genug zusammen erlebt.
Es war Frank McLowery, der das Schweigen brach.
»Was willst du tun, Ike? Wyatt Earp und Doc Holliday sind beide dabei. Das Bild hat sich gestern früh um hundertachtzig Grad gewendet. Da waren es nur Virg und Morg. Die Verstärkung, die die beiden bekommen haben, gefällt mir nicht.«
»Lieber schlag ich mich mit einer Horde Indianer herum«, knurrte Tom.
Ike nagte an seiner Unterlippe, stieß plötzlich einen lästerlichen Fluch aus und versetzte einer vor ihm liegenden Radnabe einen Fußtritt, daß sie an der Wand von Flys Galery entlangschepperte.
Dann warf er den Kopf herum und packte Frank McLowery am Arm. »Du suchst Curly Bill! Und du, Tom, schaffst Frank Stilwell herbei. Oder nein, Pete Spence ist besser. Und die anderen! Trommelt sie zusammen und bringt sie her!« Dann wandte er sich an seinen Bruder. »Du wirst jetzt noch einmal zu ihnen gehen, Bill. Sag Wyatt, daß er warten muß. Sag, daß wir beide allein wären und auf Frank und Tom warteten.«
»Aber das wird er doch nicht glauben«, wagte Bill zu widersprechen.
»Tu, was ich sage!« schrie Ike den Bruder an.
Der Bursche schob sich den Hut aus der Stirn und trottete davon.
Der Bandenführer hatte einen besorgten Blick zur aufgehenden Sonne geworfen und schrie Bill mit sich überschlagender Stimme nach.
»Du sollst laufen, verdammter Kerl!«
*
Die Furcht vor dem Gespann Wyatt Earp – Doc Holliday hatte die Banditen gelähmt und saß ihnen wie eine Eisenklammer hinten im Nacken.
Stunde um Stunde verrann.
Wie ein gefangener Tiger schritt Ike Clanton im Corral auf und ab. Endlich, um halb zehn, ließ er sich sein Pferd bringen, gab den anderen einen Wink und sprengte davon.
Die Menschen in Tombstone getrauten sich an diesem Vormittag nicht auf die Straße.
Und viertel nach elf ging Virgil Earp zu Jonny Behan hinüber.
Der bleiche Mann sprang entgeistert hoch und wich zurück.
»Was wollen Sie von mir? Ich habe nichts damit zu tun, Virg!« stieß er tödlich erschrocken hervor.
»Sind die Clantons noch in der Stadt?«
»Ja – ich weiß nicht – ich glaube…« Sagen Sie ihnen, daß sie die Waffen ablegen sollen. Und sagen Sie ihnen, daß es vorbei ist. Wir wollen keinen Kampf, aber wir wollen auch keine Banditen in Tombstone. Wir warten auf Sie, Jonny Behan.«
Noch zwei und eine Viertelstunde mußten die Männer im Marshals Office warten. Dann lief ein fünfzehnjähriger Junge an das zertrümmerte Fenster und rief:
»Sie sind im O.K. Corral, Marshal. Ike und die anderen. Sie haben ihre Waffen bei sich.«
Der Junge spritzte wieder weg.
»Wer war das?« fragte Wyatt.
»Mike Pligger, er wohnt in einer Kate gegenüber vom Corraleingang, neben Sandy Bobs Wohnhaus.«
»Sie geben keine Ruhe«, knurrte Morgan in die darauffolgende Stille hinein.
»Well«, meinte Wyatt dumpf, »gehen wir.«
Die drei schnallten ihre Revolvergurte enger, prüften die Waffen erneut auf lockeren Sitz – und wieder war es Wyatt, der lauschend den Kopf hob.
Die gespenstische Stille der Straße ließ den Schritt, der auf den Vorbaubohlen dröhnte, deutlich hörbar werden.
»Da kommt einer«, entfuhr es Virg.
»Yeah«, sagte Wyatt heiser und richtete sich auf. Die beiden anderen sahen zu ihrer Verblüffung in seinen Augenwinkeln ein ungläubiges, erstauntes Lächeln.
Wyatt hatte den Schritt erkannt. Er hätte ihn in dieser Stunde auf hundert Yards hin erkannt.
Es war der unverwechselbare Schritt Doc Hollidays!
Und dann sahen sie die Gestalt des Georgiers vor der zertrümmerten Scheibe auftauchen.
Mit weitaufgerissenen Augen und offenen Mündern starrten Virgil und Morgan ihn an wie einen Geist.
Morg konnte einen Jubelschrei nicht unterdrücken. »Der Doc!«
Aber es war ein makabres Bild, das sich den drei Earp-Brüdern, eingerahmt von der zertrümmerten Fensterscheibe, bot. Es war nicht mehr der Doc Holliday von früher. Mit bleichem, eingefallenem Gesicht, das um ein Jahrzehnt gealtert zu sein schien, stand er da und sah mit stierem, hohläugigem Blick in das Halbdunkel des Bureauraumes.
Und doch war er es! Das allein genügte! Er stand da auf dem Vorbau auf seinen Füßen, und an seiner Hüfte hing der vernickelte elfenbeinerne Revolver.
Da sprangen seine Lippen auseinander, und klirrend fielen die beiden Worte in den Raum.«
»Gehen wir?«
Wyatt nickte. Er vermochte den Blick nicht von der Erscheinung des Mannes vorn am Fenster zu reißen. Wie war das möglich? Noch spät in der Nacht hatte dieser gleiche Mann vom Fieber geschüttelt und zu jeder Bewegung unfähig, wie ein Toter auf seiner eisernen Bettstelle gelegen.
Der Spieler verschwand vom Fenster und öffnete die Tür.
Sein Blick haftete an seinem zweiten Revolver, den der Missourier vorn in den Gurt gesteckt hatte.
Wyatt reichte ihm die Waffe zurück.
»Ich hatte das Gefühl, daß ich wenigstens etwas von Ihnen mitnehmen müßte, Doc.«
Ein schwaches Lächeln huschte über das bleiche Gesicht des Gamblers.
»Und ich hatte das Gefühl, daß es besser ist, wenn Sie mich ganz mitnehmen.«
Der Spieler warf einen musternden Blick zum Gewehrschrank hinüber. Dann ging er hin und nahm sich eine doppelläufige Schrotflinte heraus.
»Geben Sie mir zwei Patronen, Virg.«
Die drei Earps blickten verblüfft drein. Noch niemals hatte einer von ihnen erlebt, daß Doc Holliday mit einem Gewehr in einen Kampf gehen wollte. Aber da sie ihn genau kannten und wußten, daß er nichts Unüberlegtes tun würde, nahm Virg zwei schwere Schrotgeschosse aus dem Vorratskasten.
Der Georgnier schob sie in die Läufe, packte das Gewehr am Kolbenhals und sah Wyatt an.
»Von mir aus kann’s losgehen.«
Die vier Männer traten auf den Vorbau. Die Straße war nach wie vor leer.
Virgil blieb stehen und drehte sich um.
»Ich bin der Marshal von Tombstone und bin von einer Verbrecherbande zum Gunfight aufgefordert worden. Ich ernenne euch zu meinen Gehilfen. Dich, meinen Bruder Wyatt, den Marshal von Dodge City, dich, Morg, den Marshal von Santa Fé und Sie, Doc Holliday, als Wyatts Freund.« Die drei anderen hatten das leise Beben in Virgils Stimme nicht überhört, aber in ihren harten, verschlossenen Gesichtern rührte sich kein Muskel.
Virgil und Wyatt gingen voran. Doc Holliday folgte Wyatt – und Morgan seinem Bruder Virg.
Und nun begann der Marsch hinauf zum O.K. Corral. Es war ein kurzer, stummer Weg.
Wyatt und Virgil bogen an der Ecke zur Fourthstreet ein und gingen das kurze Stück hinauf zur Fremonstreet. Als sie die erreicht hatten, formierten sie sich zu einer Reihe.
Dod Holliday zog mit einer ruhigen Bewegung seine Uhr. Es war wenige Minuten vor halb drei.
Und so gingen sie nebeneinander: Links Virgil, neben ihm Morgan, dann Wyatt und rechts außen Holliday.
Sie hatten kaum die Hälfte der Strecke bis zum Corraleingang durchmessen, als ihnen von dort ein Mann entgegengestürmt kam: Jonny Behan. Er schrie unentwegt:
»Sie sind unbewaffnet! Sie sind unbewaffnet.«
»Ich werde mich davon überzeugen«, entgegnete Virgil rauh.
Er schob Behan zur Seite und ging mit den anderen weiter.
Eine Minute später hatten sie den Eingang zum Corral erreicht.
Morgan blieb links stehen, und die anderen formierten sich so, daß Doc Holliday wenige Yards vor der rechten Kante des Eingangs stand.
Mit bleichen Gesichtern verharrten die beiden McLowerys wenige Yards hinter dem Eingang. Rechts an der Mauer von Flys Galery stand Ike Clanton; auch er war blaß geworden. Wenige Yards gegenüber von Doc Holliday lehnte Billy Clanton mit verzerrtem, kalkigem Gesicht am Torpfeiler.
Bill Claiborne, der etwas weiter zurück bei den Pferden gestanden hatte, wich bei dem Anblick der tödlich entschlossenen Männer im Krebsgang in die Tiefe des Corrals zurück, stolperte über ein herumliegendes Wagenrad, stürzte, raffte sich auf und verkroch sich hinter der Rückwand von Flys Galery, so daß er keinen der acht Männer mehr sehen konnte.
Der ›große‹ Ike Clanton spürte zum erstenmal in seinem Leben, wie ihm sein ›Löwenherz‹ urplötzlich und unaufhaltsam aus der Verankerung zu rutschen schien. Er hätte sich verwünschen können, daß er die Earps zu diesem irrsinnigen Fight gezwungen hatte. Als er Wyatts Gesicht mit einem kurzen Blick streifte, stockte ihm der Atem, und als er in die eisigen Augen Doc Hollidays sah, schnürte es ihm die Kehle zu.
Virgil Earp trat an den Eingang.
Die beiden McLowerys wichen wie Schemen zurück auf die fünf Pferde zu, die an der Wand standen.
»Hebt die Hände hoch, Männer«, gebot der Marshal von Tombstone mit rauher Stimme. »Hebt die Hände hoch, dann passiert absolut nichts. Wir können auf diesen Kampf verzichten, aber es muß endlich Ruhe und Ordnung im County herrschen. Also: Hände hoch!«
»Sie sind unbewaffnet, Earp!« schrie Jonny Behan, der sich hinter der Vorbautreppe der City Hall verschanzt hatte.
Langsam bewegten die Desperados die Hände.
Es war die einzige, letzte Sekunde, in der der Wahnsinnsfight durch die Clantons selbst hätte abgewendet werden können. Im Gegenteil: Jeder von ihnen trug zwei Revolver, vorn tief über den Oberschenkeln.
Und jetzt täuschten sie die Kapitulation vor, indem sie taten, als wollten sie die Hände heben.
Es war der unselige Frank McLowery, der Teufel in der Clanton-Crew, der den Funken auf das Dynamitfaß überspringen ließ. Seine Rechte zuckte zum Revolver und riß die Waffe hoch.
Und es war Wyatt Earp, der am raschesten reagierte. Gedankenschnell flog seine Linke zum Revolver. Der schwere Buntline Special röhrte auf, und fauchend sprang der Schuß den hinterhältigen Verbrecher an. Die Kugel traf den älteren McLowery wie ein Hammerschlag in die rechte Hüfte und ließ ihn zusammenzucken.
Tom McLowery stieß in rasender Wut den Revolver auf Doc Holliday vor.
Aber schon schlug ihm wie mit einem Donnerschlag ein Feuerhagel von gehacktem Blei aus dem traumhaft schnell hochgerissenen Schrotgewehr entgegen.
Schwer in der rechten Brust getroffen taumelte der Outlaw gegen die Wand.
Er währte eine Minute, eine einzige Minute nur – der Kampf im O.K. Corral und doch sollte sich von dem Sekundenbruchteil an, in dem Frank McLowery die unselige Bewegung zum Revolver machte, bis zum Ende des Kampfes das Echo von neunundzwanzig Schüssen an den Wänden des Corrals brechen.
Und es geschah so unendlich viel in dieser einzigen Minute, daß es selbst von den Beteiligten kaum einer voll erfaßte.
Frank McLowery schoß im Fallen Virgil Earp nieder, und Billy Clanton, der ebenfalls auf Virgil gefeuert hatte, wurde um den Bruchteil einer Sekunde vorher von der Ladung aus dem zweiten Lauf des Spielers getroffen.
Und mitten in diesem fürchterlichen Furioso, in dieser Hölle von Detonationen, Pulverrauch und quellenden Schreien vollzog sich noch ein weiteres Drama. Fast unbemerkt: Ike Clanton, der große Ike Clanton, stand tatenlos da und starrte mit glasigen Augen auf den mörderlichen Fight, sah seinen Bruder und die McLowerys fallen und vermochte keine Hand zu rühren.
Plötzlich warf er die Arme hoch und schrie etwas Unverständliches.
Wyatt Earp brüllte ihn durch das Klatschen, Jaulen und Brüllen der Geschosse an.
»Kämpfe oder verschwinde!«
Aber Isaac Clanton, der König von Airzona, der größte Bandenführer, den der Westen je gekannt hatte, wandte sich um und rannte, heisere, hysterische Schreie ausstoßend, in die Tiefe und stürmte auf die Stallungen zu, durch die er hindurchhastete, um keuchend die Allenstreet zu erreichen.
Aber noch war vorn im Corral die entsetzliche Minute nicht zu Ende.
Frank McLowery schoß im Fallen noch auf den ebenfalls zusammenbrechenden Virgil Earp.
Billy Clanton, selbst tödlich getroffen, riß, auf den Knien liegend, Morgan von den Beinen.
Tom McLowery, vorn links an der Wand niederrutschend, feuerte auf Wyatt Earp, fehlte ihn, feuerte weiter und traf immer noch nicht.
Wie Nebelschwaden lastete der Pulverrauch zwischen den Mauern des Corrals.
Neunundzwanzig Schüsse knatterten wie das Stakkato einer Höllenmelodie durch die Enge des grauen Wagenabstellplatzes. Die Pferde stiegen auf, schlugen aus, wieherten ängstlich, rissen sich los und brachen mit schnaubenden Nüstern und weitaufgerissenen Augen nach vorn auf den Ausgang zu, stürmten an den Kämpfenden vorbei und entkamen auf die offene Straße.
Dann war es still.
Der letzte Schuß war gefallen.
Nur langsam senkte sich der Pulverrauch. Und als oben in Kopfhöhe wieder freie Sicht herrschte, bot die Toreinfahrt ein grauenhaftes Bild.
Rechts an der Wand, fast schon am Eingangspfosten, lag Frank Robert McLowery, von mehren Kugeln tödlich niedergestreckt.
Links, beinahe auf der Straßenmitte, schon vor dem Haus seines Onkels Harwood, lag Billy Clanton auf den Knien, die Hände auf den Leib gepreßt, den Kopf im Straßenstaub.
Einen Yard hinter dem Eingang, schon im Corral, lag Morg Earp flach auf dem Rücken. Anderthalb Yards neben ihm, mit dem Kopf zur Straße, Tom McLowery. Drei Yards weiter im Corral kauerte Virgil am Boden.
Und nur zwei der acht Kämpfer standen noch auf den Beinen und starrten, nachdem sie sich mit Grausen umgesehen hatten, einander entgeistert in die Gesichter:
Wyatt Earp und Doc Holliday.
Doc Holliday preßte die Lippen hart aufeinander und schleuderte das Schrotgewehr von sich. Dann ging er fast gleichzeitig mit dem Missourier auf Morgan zu.
Der jüngste Earp hatte ein blutdurchtränktes Hemd.
Holliday riß es ihm auseinander.
»Schulterschüsse«, kam es rostig aus seiner Kehle. »Er kommt durch.«
Auf den Knien robbte Holliday zu Virgil. Wyatt folgte ihm sofort. Auch Virg wies keine tödliche Verletzung auf, wie Holliday sofort feststellte.
Über den Körper Virgils hinweg blickte der Georgier in die Augen seines Freundes, für den er den Weg durch diese Hölle mitgegangen war.
»Sie… sind unverletzt, Wyatt?«
Der Marshal sah an sich hinunter, erhob sich und stand schwankend da.
»Yeah, ich glaube. Und Sie?«
Holliday senkte den Blick und starrte in den Staub des Corrals.
»Es ist der alte Song gewesen. Mir ist leider nichts passiert…«
Wyatt blickte auf das Schrotgewehr.
»Weshalb haben Sie es mitgenommen?«
Holliday antwortete: »Wußte ich denn, wo sie sich hier verstecken würden und vor allem, wie viele es waren? Außerdem, ich fürchtete, daß meine Hände noch zittern könnten vom Fieber. Und das ist übel für einen Revolverschützen.« Langsam stand er auf und blickte auf Tom McLowery; er hatte nur einen kurzen Blick in dessen Gesicht geworfen, als er sagte: »Er ist tot.«
Rechts an der Ecke lag Frank. Auch ihn, den diabolischen Desperado, hatte das Geschick also ereilt.
Wyatt hatte sich umgewandt, und während er sich die beißenden Augen rieb, starrte er auf den knienden Burschen auf der Straße, der sich im Todeskampf wand.
»Billy…!« Er rannte auf ihn zu.
Benommen blieb Doc Holliday in der Mitte des Corrals stehen.
Da kamen die beiden alten Harwoods aus ihrem Haus gestürzt, packten den tödlich verwundeten Neffen und schleiften ihn in den Korridor, wo er starb, als sie ihn niederlegten.
Unten, in der Tiefe des Corrals, hinter radlosen Wagenkästen verborgen, hockte zusammengekauert, der Bandit Bill Claiborne. Er hatte den Kampf beobachten können, aber die Schüsse waren wie Donnerschläge an sein Ohr gedrungen. Und es war ihm, als ob jede Kugel ihn selbst getroffen hätte. Bleischwer waren seine Glieder. Er wagte sich nicht zu erheben, auch dann noch nicht, als längst alles still war.
Der Missourier stand auf der Straßenmitte und vermochte nicht mehr in den Corral zu sehen.
Er hatte von diesem Augenblick an noch fast ein halbes Jahrhundert zu leben. Neunundvierzig Jahre. Und niemals, in keiner Tages- und Nachtstunde sollte er diese furchtbare Minute vergessen. Er würde noch leben, wenn alle, die am Kampf beteiligt waren, längst unterm grünen Rasen lagen. Kurz vor seinem Tode würde der Achtzigjährige, in diese Stadt zurückkehren, um mit dem Mann, der seine Lebensgeschichte schreiben wollte, den Weg, den er in der Mittagsstunde des 26. Oktober 1881 zusammen mit seinen Brüdern und Doc Holliday von der Ecke der Allenstreet hierher zum O.K. Corral durchmessen hatte, noch einmal zu gehen.
Niemand von den Tombstonern des Jahres 1929, die an einem Januarmorgen in der Fremonstreet standen und den hochaufgerichteten weißhaarigen Mann sahen, konnte ahnen, was hinter seiner Stirn vorging, als er in den fast unveränderten Corraleingang blickte.
Eine alte Frau, die auf der anderen Straßenseite stand, deutete mit dem gichtigen Zeigefinger auf ihn und sagte zu einigen jungen Burschen: »Wißt ihr, wer das da drüben ist? Das werdet ihr nie erraten, Boys. Ich habe ihn vor
fünfzig Jahre auf genau der gleichen Stelle so dastehen sehen! Es ist Wyatt Earp!«
Und die jungen Tombstoner Burschen rissen die Augen auf und spürten, daß ihre Herzen rascher schlugen, und vielleicht fühlten sie in diesem Augenblick auch, daß sie ein Bild sahen, um das sie Millionen Burschen in aller Welt beneideten.
*
Die Schüsse im O.K. Corral waren verhallt. Die Clanton Gang war zerschlagen.
Aber der blutige Fight sollte ein gefährliches Nachspiel haben.
Zwar schien Ike Clanton selbst an dem Erlebten zerbrochen zu sein; doch seine Anhänger, die vielen Männer, die den Fight nicht hatten miterleben müssen, glaubten, die Earps und Doc Holliday zur Rechenschaft ziehen zu müssen.
Fünf von der einstigen Crew, die dem Fight im allerletzten Augenblick entgangen waren, glaubten den Tod Billys und der beiden San Pedro Valley-Cowboys rächen zu müssen.
Curly Bill, Frank Stilwell, der Mestize Charly, Pete Spence und einige ihrer Kumpane setzten die Feindseligkeiten und den Kampf gegen das Gesetz fort.
Darüber wird noch viel zu berichten sein.
Der Kampf im Tombstoner O.K. Corral war einer der heißbewegten Höhepunkte im Leben von Wyatt Earp und dem seines Freundes Holliday. Gereift durch dieses blutige Gefecht, das sie äußerlich wie durch ein Wunder völlig unversehrt überstanden hatten, ritten die beiden großen Westmänner neuen Erlebnissen entgegen.