Читать книгу Wyatt Earp Paket 2 – Western - William Mark D. - Страница 7
ОглавлениеVier Meilen westlich von der Stelle, wo heute die Stadt Carlisle liegt, unten in der südlichsten Ecke von Utah, an den Ufern des Indian Creek, stand gegen Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Stadt Orange City. Zwei große Brände und der Sturm haben sie vom Erdboden gefegt.
Es war ein halbes Hundert graubrauner Holzhäuser, eine kleine presbyterianische Kirche, Scheunen, Ställe und Corrals.
Die Mainstreet von Orange City war nur auf der einen Seite mit Häusern bestanden, die andere Seite bildete das Flußufer. Drei Quergassen führten nach Süden aus der Stadt.
Es gab ein Haus in Orange City, von dem die Menschen in Carlisle heute noch sprechen: den Utah Saloon, den der Kentucky-Man Ernie Mat gebaut hatte. Ernie Mat aber besaß ihn nur ganze zwei Jahre, dann kaufte ihn Gordon Jim Break.
Break war ein Mann von herkulischem Wuchs, mit breiten, weit ausladenden Schultern, groben Händen, gewaltigen Füßen und einem Schädel, der für zwei normale Männer ausgereicht hätte. Sein Gesicht war hart, kantig, breitflächig und wurde von einer seltsam pergamentfarbenen, fast quittengelben spröden Haut bespannt. Dieser Umstand trug dem Riesen den Namen Yellow Jim ein. Hell, fast farblos waren seine schmalschlitzigen Augen, kurz und breit die Nase, schmallippig und mit nach unten gezogenen Winkeln der Mund. Das Kinn stach nach vorn und war in der Mitte gespalten. Wie die Augen, so war auch das Haar dieses Mannes merkwürdig farblos, zwischen aschblond und grau.
Damals war Gordon Break einunddreißig Jahre alt. Wo er eigentlich herkam, wußte niemand. Er sprach in einem Tonfall, den Leute, die weit im Land herumgekommen waren, für den breiten Montana-Dialekt hielten.
Er war an einem Herbsttag in die Stadt gekommen, hatte seinen hochbeinigen Grauen vor dem Utah Saloon abgestellt und war, nachdem er sich den rotbraunen Staub vom grauen Hut geklopft hatte, auf den Vorbau des General Store zugegangen.
Vor dem Utah Saloon standen die drei Onegans; Boys von der alten Hunter Ranch, die wenige Meilen östlich von der Stadt am Fluß lag.
Jerry Onega war, wie seine beiden jüngeren Brüder, ein hartgesichtiger, wortkarger Bursche, um hier im Saloon den Weidestaub aus der Kehle zu spülen. Jerry sah auf den Fremden, nahm seinen Tabaksbeutel aus der Tasche und kurbelte sich eine Zigarette. Break stieg auf den Vorbau und schob sich so an dem Cowboy vorbei, daß dem die Tabakblättchen vom Papier fielen.
»He, Langer, du hast wohl deine Augen im Sattel gelassen!«
Ohne ein Wort zu sagen, wandte sich der Riese um und hieb dem Cowboy einen krachenden Faustschlag an den Kinnwinkel.
Jerry Onegan torkelte zurück und sackte in sich zusammen.
Seine Brüder starrten ihm entgeistert nach, dann flogen ihre Augen zu dem Fremden.
Jeff, der zweitälteste, rief seinem Bruder Jonathan zu: »He, Baby, der Zaunpfahl da hat anscheinend einen Holzwurm.«
Damit hechtete Jeff dem Fremden entgegen, wurde aber von einem Fußtritt so derb zurückgeschleudert, daß er gegen seinen jüngeren Bruder flog und röchelnd in die Knie ging.
Die Rechte des jüngsten Onegan-Bruders zuckte zum Colt.
Aber schon hatte Break selbst gezogen, ein großer braunknäufiger Revolver vom Kaliber 45 lag in seiner haarigen Faust.
»Laß die Bleispritze stecken, Baby, sonst brauchst du schneller einen Sarg, als deiner Mutter lieb ist.«
Die drei Cowboys sahen den Riesen fassungslos an.
Sie waren an allerlei gewöhnt, aber so etwas war ihnen denn doch noch nicht passiert.
Break schob den Colt ins Halfter zurück und reckte sich zu voller Größe auf.
»Los, klettert auf eure Gäule und seht zu, daß ihr zu euren Schafen kommt.«
Wenn man einen Cowboy beleidigen wollte, dann brauchte man ihm nur zu sagen, daß er Schafhirte sei. Jerry rappelte sich hoch und rieb sich das Kinn.
»Hör zu, Langer! Du selbst steigst jetzt ganz schnell auf deinen Klepper und trollst dich weiter, sonst wiegst du in weniger als drei Sekunden wenigstens fünf Unzen mehr.«
Break hatte die schaufelartigen Pranken neben seinen Hüften liegen und musterte Jerry Onegan aus kieselharten Augen.
»Well, Boys, ich warte diese drei Sekunden genau ab. Wenn ihr dann noch hier herumlungert und nicht in den Sätteln sitzt, lernt ihr mich kennen.«
Die Hunter-Boys waren viel zu arglos und zu schwerfällig, als daß sie diese Drohung für das hätten nehmen können, was sie war: nämlich bitterer Ernst. Und so blieben sie denn stehen und blickten den Hünen an.
Es war elf Uhr und drei Minuten. Es war die Minute, in der der junge Jonathan Onegan sterben sollte.
›Baby‹, wie ihn seine Brüder nannten, war so wahnwitzig und unüberlegt, erneut zum Colt zu greifen.
Da fauchte von der rechten Hüfte des Fremden her ein Schuß.
Der neunzehnjährige milchgesichtige Weidereiter Jonathan Onegan bekam einen Stoß vor die Brust, prallte noch einen Schritt zurück und preßte dann die Linke auf die Brust.
Sofort wich alle Farbe aus seinem Gesicht. Er starrte den Fremden an und wandte dann den Kopf zu seinem Bruder Jerry hinüber.
»Jey, ich?– bin – getroffen…!« stammelte er heiser. »Er – hat mich…« Die Stimme versagte dem Burschen. Langsam sackte er zur Seite und fiel dann mit einem dumpfen, polternden Geräusch auf die Vorbauplatten.
Die Gesichter seiner Brüder waren aschfahl geworden.
Während Jeff noch fassungslos auf den Niedergeschossenen starrte, stieß Jerry mit belegter Stimme hervor: »Du hast ihn ermordet!«
Break hatte den rauchenden Revolver noch in der Faust. Aus seinen hellen Augen schoß ein Blitz.
»Sag das noch mal, dreckiger Kuhtreiber, dann liegst du neben ihm!«
Jerrys Gesicht war vor verzweifeltem Zorn völlig verzerrt. Er machte eine Bewegung, aber da sprang sein Bruder Jeff hinzu und packte seinen rechten Unterarm.
»Jey, laß ihn!«
Mit bebenden Lippen ächzte der Cowboy: »Well, aber wir beide sprechen uns wieder.«
Sie bückten sich, hoben ihren Bruder auf und schleppten ihn in den Saloon.
Mat, der den Schuß gehört hatte, kam ihnen schon entgegengestürzt. Sicher ahnte der alte grauhaarige Mann nicht, daß er die Schenke, für die er viele Jahre gespart hatte, noch genau sieben Stunden besitzen würde.
Er packte mit an und half Jonathan Onegan in die Schenke zu bringen. Die drei Männer legten den Schwerverletzten auf einen Tisch.
Dann rannte der Salooner los und prallte draußen mit Break zusammen. Der stieß ihn so rücksichtslos zur Seite, daß der alte Mann gegen einen Vorbaupfeiler geworfen wurde.
»Wohin so eilig, Graukopf?«
»Ich muß den Doc holen, sonst stirbt der Bursche!«
»Er stirbt sowieso. Du kannst dir also den Weg sparen, Alter!« versetzte der Goliath mit einer Gefühlskälte, die ihresgleichen suchte.
Mat wollte trotzdem weiter.
Da packte Break ihn am Arm und hielt ihn auf. »Ich habe dir doch gesagt, daß du dir den Weg sparen kannst!«
Der Salooner schluckte und wischte sich mit der Linken verzweifelt die großen Schweißperlen von der Stirn.
»Aber Doc Wilcox kann es doch wenigstens versuchen.«
»Gar nichts kann er! Geh in deinen Schnapsladen zurück!« befahl ihm Break.
Doc Wilcox wohnte nur drei Häuser weiter östlich. Er hatte den Schuß gehört, als er gerade dem kleinen Jonny Frey die beim Holzhacken verletzte Hand verband.
»Warte hier, Junge!« hatte er gerufen und war an die Tür gerannt.
Er sah drüben den riesigen Mann mit dem breiten Rücken stehen und hatte nicht mehr den Mut, weiterzulaufen. Langsam ging er ins Behandlungszimmer zurück.
Der Junge sah ihn aus runden Augen an.
»Was ist passiert, Doc?«
»Eh…, nichts, Junge. Nichts Besonderes«, stotterte er.
Dann wickelte er den Verband weiter.
Auch auf seiner Stirn stand der Schweiß in großen Perlen. Der neunundzwanzigjährige Doktor der Medizin, Harold Wilcox, hörte plötzlich die Worte des alten Professors Gregory, die er damals bei der Entlassungsfeier auf der Hochschule mitgegeben hatte: Und denkt immer daran: es ist eure oberste Pflicht, dem Menschen zu helfen, der eure Hilfe braucht.
Doc Wilcox ließ plötzlich die Verbandsrolle los und ging mit raschen Schritten zum Fenster.
Mit weit offenen Augen war ihm der Junge gefolgt. Dann erhob er sich, schob die Verbandsrolle in die Hosentasche, verließ das Zimmer und kam nach einer halben Minute wieder zurück.
Der Arzt verspürte einen leichten Stoß in seinem Rücken. Als er sich umwandte, sah er den elfjährigen Jungen mit einer Winchester vor sich stehen.
»Hier, Doc, vielleicht brauchen Sie das.«
Wilcox nahm das Gewehr und rannte in den Korridor. Einen Yard vor der Haustür blieb er stehen und wischte sich durch die Augen. Wie ein Zentnergewicht wog die große Waffe in seinen Händen.
»He, Doc«, hörte er da die Stimme des kleinen Patienten hinter sich, »die Winchester ist geladen. Ich habe nachgesehen.«
Wilcox hatte nicht die Kraft, sich umzudrehen, um dem Kleinen in die Augen zu sehen. Mit gesenktem Kopf stand er da und sagte gegen die Tür: »Ich kann nicht – mit einem Gewehr umgehen, Jonny.«
Der Kleine hatte den Mund offenstehen. Dann wandte er sich um und rannte los.
Er hatte trotz seiner schmerzenden Hand ein Höllentempo angeschlagen, verließ das Haus durch den Hofeingang und rannte durch die Hillsgate auf sein Elternhaus zu.
»Grandpa!« rief er schon von weitem. »Grandpa! Schnell, hol dein Gewehr. Auf der Mainstreet hat einer geschossen. Und der Doc – kann nicht rausgehen, weil er nicht schießen kann!«
Der alte Mann, der aus dem Hoftor trat, trug einen struppigen weißen Bart, hatte braune Augen und ein verwittertes Gesicht.
»Was ist los?« forschte er knurrend.
Jonny berichtete in rasender Eile.
Da schüttelte der Alte den Kopf und rieb sich seinen Nacken.
»Das geht uns nichts an, Junge. Darum hat sich Bill Walker zu kümmern.«
Der Kleine blieb mitten auf der Straße stehen und starrte den Großvater an.
»Ich – ich habe das Gewehr beim Doc aus dem Gewehrständer geholt. Und er kann nicht schießen. Und du – du kannst doch schießen. Du hast doch den Achtunddreißiger aus dem Krieg, mit dem du hundert Südstaatler und zweihundert Indianer besiegt hast…«
Der Alte sah sich verlegen um, packte den Jungen am Arm und zerrte ihn in den Hof.
»Wie oft habe ich dir gesagt, daß du meine Kriegserlebnisse, die ich dir erzählt habe, nicht umherposaunen sollst, he!« Er gab ihm einen Klaps und schickte ihn ins Haus.
Mit verstocktem Gesicht hockte der kleine Bursche am Fenster und starrte in die enge Gasse hinaus.
Vier Häuser westlich vom Utah Saloon stand das kleine Holzhaus, das die Bürger als Sheriff Office eingerichtet hatten.
Auf der Pritsche hinten in der offenen Zelle lag ein etwa fünfundvierzigjähriger Mann und schnarchte.
Der Schuß weckte ihn auf. Er richtete sich auf und lauschte. Nachdem alles still blieb, legte er sich wieder zurück und tastete nach der Flasche, die neben ihm am Boden stand.
Sie war leer.
Bill Walker schleuderte sie gegen die Rückwand der Zelle und quetschte einen Fluch durch die Lippen.
Der pflichtgetreue Hüter des Gesetzes von Orange City dachte daran, daß er für fünfunddreißig Dollar im Monat gerade genug damit tue, daß er sich den ganzen Tag über in dieser stickigen Bude aufhielt.
Daß draußen ein Mann niedergeschossen worden war, wußte er in diesem Augenblick nicht. Aber er hätte auch dann nicht anders gedacht. Und schon gar nichts anderes getan.
William C. Walker war ein Trinker.
Und die Bürger von Orange City wußten es. Aber als er damals das Mädchen aus dem Creek gezogen hatte, im Winter vor drei Jahren, da war er ihnen als Held erschienen, und sie hatten ihn zum Sheriff gemacht.
Es sollte die erste und auch die letzte gute Tat im Leben dieses Mannes bleiben.
Er schlief wieder ein. Und das Leben in Orange City ging weiter.
Auch Larry Hoch, der Inhaber des General Store, hatte den Schuß gehört. Mehr noch, er hatte den ganzen Vorgang auf der Straße von seinem Store aus beobachtet. Und nur wenige Inches von seinen Händen lag das Schrotgewehr, das er nur hätte aufzunehmen brauchen.
Aber der blaßgesichtige Larry Hoch war kein Kämpfer. Er wandte sich um und ging ins Nebenzimmer, wo er sich mit dem Abzählen von Büchsen beschäftigte.
Es gab noch mehr Leute in der Stadt, die den Schuß gehört hatten.
Owen Turner zum Beispiel, der Sattler. Er hatte im Werkstattor gestanden. Er hatte die drei Cowboys und den Fremden sogar beobachtet. Aber er war nach dem Schuß rasch zurück in seine Werkstatt gegangen.
Ähnlich verhielt es sich mit Ric Brakley und Lewt Markus. Die beiden Zimmerleute hatten gesehen, wie Jonathan Onegan umfiel. Aber auch sie hatten sich rasch wieder ihrer Arbeit zugewandt.
Mit verbissenen, finsteren Gesichtern standen Jerry und Jeff Onegan vor dem Tisch, auf den sie den Bruder gebettet hatten.
Der alte Mat hatte dem Unglücklichen eine zusammengerollte Decke unter den Kopf gelegt. Jonathan Onegan hatte die Augen geschlossen. Er lag reglos da.
Und die drei Männer wußten, daß er nicht mehr lebte. Aber sie wollten es nicht glauben. Es ging nicht in ihre Cowboyschädel hinein, daß der lebenslustige, blutjunge Bursche nicht mehr leben sollte.
»Wo bleibt der Doc?« knurrte Jerry schließlich.
*
Der Mann, der all dies innerhalb einer so winzigen Zeitspanne heraufbeschworen hatte, lud seelenruhig die verschossene Kugel nach, wandte sich um und schob auf den General Store zu.
Larry Hoch hatte die Tür zum Ladenraum offen. Er glaubte nicht richtig zu sehen, als er den Riesen vor dem Verkaufstisch stehen sah.
Rasch eilte er hinzu: »Mister…«, tat er diensteifrig.
»Ich brauche Seife, Zigarren, und Patronen. Und dann werden Sie mir sagen, wo der Sheriff wohnt.«
Indessen trugen die beiden Onegans ihren toten Bruder aus der Schenke, luden ihn auf sein Pferd und ritten, nach Osten hin, aus der Stadt.
Sie hatten kaum den Stadtausgang erreicht, als Break den General Store verließ und an dem Saloon vorbei aufs Sheriffs Office zuging.
Ernie Mat stand mit geisterblassem Gesicht hinter seinem Schanktisch und sah die riesige Gestalt des Fremden vorbeigehen.
Er atmete auf, da er schon befürchtet hatte, der Mann käme in den Saloon.
Gordon Break ging aufs Sheriff Office zu, stieß die Tür mit dem Fuß auf und blieb in ihrem Rahmen stehen.
»He, alter Säufer!«
Langsam rutschte der Hut von Walkers Gesicht. Mit plinkernden Augen musterte der Sheriff den Fremden. »Was wollen Sie?«
»Steh auf, Mensch!« schnauzte der Riese, trat in den Vorraum und warf die Tür mit dem Stiefelabsatz zu. »Ich bin Gordon Break.«
Der Sheriff nickte hilflos.
»Ich bin vor ein paar Minuten in die Stadt gekommen und wurde von drei Cowpunchers angerempelt. Der eine griff zum Eisen.«
»Und?« stammelte Walker.
»Er ist tot.«
Break hatte es gesagt, als handelte es sich um die selbstverständlichste Sache der Welt.
Walker ging zu seinem staubbedeckten Schreibtisch, stülpte sich den Hut auf, schob die beiden Revolver weit nach vorn und fragte mit unsicherer Stimme: »Wer ist tot?«
»Glauben Sie, daß ich Zeit hatte, ihn vorher nach seinem Namen und seinem Lieblingsessen zu fragen?« fauchte der Hüne.
Walker spürte, wie ihm ein eisiger Schauer über den Rücken rann. Dennoch fragte er ruhig: »Und wo ist das passiert?«
»Keinen Steinwurf von hier entfernt. Ein wacher Sheriff hätte es hören müssen.«
Walker hüstelte. »Was wollen Sie, Mister – Break, so sagten Sie doch? Ich habe jetzt mittag!«
»Um elf?«
»Wann ich mittag mache, ist wohl meine Sache.«
»Hör zu, Blechordenschlepper, du mußt dir ganz rasch einen anderen Ton mir gegenüber angewöhnen, sonst hast du eine reelle Chance, zusammen mit dem Cowpuncher in der Hölle einzutreffen.«
Walker schluckte. Angst stieg ihm in die Kehle.
»Mister – ich –?ich muß das jetzt aufnehmen. Also, Sie haben den Mann niedergeschossen…«
Da zischte die riesige Faust des Hünen über den Schreibtisch und krallte sich in den Westenaufschlag des Gesetzesmannes.
»Du bist offenbar noch nicht wach, Sheriff!«
Die Angst stand lodernd in den Augen Walkers.
»Lassen Sie mich los, Break!«
»Mister Break!« Der Riese stieß ihn zurück. »Und jetzt hörst du zu, Amigo. Ich werde dir sagen, was passiert ist…«
Als Gordon Break das Sheriff Office verließ, hatte er einen völlig eingeschüchterten Mann zurückgelassen, der das Tatprotokoll genau nach den Angaben Breaks aufgenommen hatte.
Break nahm sein Pferd, zog sich in den Sattel und ritt die Straße sechzig Yards hinunter nach Westen. Da wo sie einen leichten Knick nach Süden machte, ragte ein überdimensionales Schild über den Vorbau hinaus, das die Aufschrift Hotel trug.
Break rutschte aus dem Sattel, warf die Zügelleinen über den Querholm und ging mit staksigen Schritten auf den Hoteleingang zu.
Lester Dundey, der Hoteleigner, war ein Mann von zweiundfünfzig Jahren. Er trug einen hellen Anzug und ein weißes Hemd, das am Hals von einer weinroten Seidenschleife zusammengehalten wurde. Lester Dundey stand selbst am Rezeptionstisch und blickte dem Fremden entgegen.
Er wußte von den Vorgängen vor dem Utah Saloon. Zu klein war die Stadt, als daß hier irgend etwas hätte passieren können, ohne daß die Bürger zumindest in der Mainstreet es merkten. Das Leben im Westen hatte auch den Schotten rauh gemacht.
Er war nicht sonderlich übermäßig von dem beeindruckt, was sich vorhin da draußen abgespielt hatte. Dennoch hatte er ein ungutes Gefühl, als er dem Fremden jetzt entgegensah.
Der blieb mitten in der kleinen Halle stehen, wandte den Kopf und sagte in herrischem Ton: »Ich brauche zwei Zimmer.«
»Zwei Zimmer?« entfuhr es dem Schotten.
»Yeah. Geben Sie mir die Schlüssel.«
Lester Dundey zog nicht allzuviel Dollars aus dem Hotel. Sicher, die Händler, die durch die Stadt zogen, machten gern bei ihm Quartier, weil seine Zimmer verhältnismäßig ordentlich waren, weil sein Essen erträglich war und weil er keine Überpreise verlangte. Auch die Fellhändler, die im Frühjahr und im Herbst hier durchzogen, machten bei ihm Quartier. Aber seinen eigentlichen Lebensunterhalt bestritt der Schotte aus anderen Einkünften. So sonderbar es anmutet: er lebte von der Malkunst. Seit frühester Jugend hatte sich Lester Dundey auf die Porträtmalerei verlegt. Und überall, wo er in seinem Leben hingekommen war, hatte es Leute gegeben, die sich malen lassen wollten. Seine Bilder waren nicht besonders gut, aber sie zeigten doch immerhin viel Ähnlichkeit mit dem Original auf und waren so geschickt angelegt, daß sie den Leuten gefielen. Der Erlös war nicht überwältigend, aber er reichte hin, den Lebensunterhalt des Schotten zu bestreiten. Was das Hotel im Frühjahr und im Spätjahr abwarf, war Spargut.
Und so gern Dundey jetzt etwas zu diesem Spargut hinzuverdient hätte, erklärte er: »Ich habe kein Zimmer frei, Mister. Ich bedaure…«
Da wandte sich der Hüne um und kam langsam auf den Rezeptionstisch zu. Ganz dicht blieb er vor dem Schotten stehen.
»Ich habe gesagt, daß ich zwei Zimmer haben möchte, Mister.«
Dundey zuckte die Achseln. Aber es lief ihm heiß und kalt über den Rücken. »Ich kann Ihnen leider nicht dienen.«
Da packte ihn der rücksichtslose Fremde am Jackenaufschlag. »Hör gut zu, Amigo! Wenn Gordon Jim Break etwas verlangt, dann gibt es kein Nein. Je eher du das verstanden hast, desto besser ist es für dich. All right?«
»Sicher. Ich würde Ihnen gern ein Zimmer geben, aber…«
»Ich brauche zwei!« herrschte ihn der Riese an.
Dundey schluckte. Trotzdem raffte er sich zu der Entgegnung auf: »Ich habe Ihnen gesagt, was ich Ihnen zu sagen hatte.« Damit wollte er sich abwenden.
Der Schotte sah die Hand überhaupt nicht kommen, und schon brannte die Ohrfeige sengend in seinem Gesicht.
Völlig verdutzt stierte er den Riesen an. »Was fällt Ihnen ein. Ich werde…«
»Du wirst mir jetzt die Schlüssel für die beiden Zimmer geben, Freund, sonst kassierst du noch ein paar von dieser Sorte. Ist das klar?«
Der zähe Schotte wollte noch nicht aufgeben, als er aber einen Blick in die Augen des Hünen warf, wandte er sich mit einem Fluch um und ging zum Schlüsselbrett.
Als er die beiden Schlüssel vor Break hinlegte, sagte er: »So werden Sie hier kein Glück haben, Mister, das schwöre ich Ihnen.«
Break fixierte ihn kalt. »Soll das eine Drohung sein, Amigo?«
»Ich habe es nicht nötig, Ihnen zu drohen.«
»Und weshalb wolltest du mir die Zimmer nicht geben?«
Da warf der Schotte den Kopf hoch und stieß bissig hervor: »Weil ich keine Schießer in meinem Haus haben will!«
Von den Lippen des Goliaths brach ein trockenes Lachen. »Du mußt anscheinend noch eine Menge lernen, Amigo.« Er nahm die Schlüssel und ging zur Treppe; langsam stieg er ein paar Stufen hinauf.
Dann blieb er stehen, wandte sich um und schnarrte: »In einer halben Stunde esse ich. Steak und Gemüse! Klar?«
Da peitschte ein Schuß durch die Halle und zerfetzte das Blumenglas, das nur drei Inches neben Dundeys linkem Arm stand.
Der Schotte war halb gelähmt vor Schreck.
»Ich habe gefragt, ob das klar ist?« schnauzte der Mann auf der Treppe.
»Yeah, Mister, es ist klar.« Es war eine alte Negerin, die diese Worte gesprochen hatte. Sie war durch den Schuß angelockt worden, hatte ihren mit einer sauberen weißen Haube bedeckten Kopf durch den Türspalt gesteckt und warf ihrem starrsinnigen Herrn einen verweisenden Blick zu.
*
Gordon William Break war in Orange City eingezogen. Die Art, in der das geschah, war so eindeutig, daß es eigentlich nichts mehr zu sagen gäbe.
Die Stadt war eingeschüchtert und duckte sich vor dem rigorosen Riesenmenschen, aber es gab auch in Orange City Leute, die schießen und schlagen konnten.
Dave Holm war stark wie ein Büffel. Er war kaum kleiner als Break, aber viel bulliger und schwerer. Mit seinen neunundzwanzig Jahren war er fast gleichaltrig mit Break. Strong Dave, wie die Leute ihn in der Stadt nannten, hörte gegen zwölf Uhr von dem Fremden, der in die Stadt gekommen war, um sich schoß und Prügel austeilte.
An und für sich war Dave ein Gemütsmensch. Aber als der Sheriff bei ihm in der Schmiedewerkstatt auftauchte und ihm sagte, daß ein wildgewordener Bursche namens Break aufgetaucht sei und erklärt habe, er wolle den albernen Blacksmith Holm zu Brennholz schlagen, legte der gutmütige Dave den Schmiedehammer aus der Hand und stemmte die gewaltigen Fäuste in die Hüften.
Er sprach nur drei Worte: »Wo ist er?«
»In Dundeys Hotel.«
Holm ging wortlos in die Wohnung, zog seine rußige grüne Schürze aus und stampfte neben dem Sheriff her zur Mainstreet.
Es fiel ihm gar nicht auf, daß sich Walker in der Höhe des Saloons von ihm trennte. Als er die Tür zur Hotelhalle aufstieß, war er allein.
Und der Fremde saß drüben am Fenster und verzehrte sein Steak.
Dundey, der hinter der Rezeption kauerte, warf dem Blacksmith einen verwunderten Blick zu.
Mit dem linken Daumen wies Dave auf den einzigen Gast. »Ist er das?«
Dundey begriff zwar nicht, nickte aber.
Da stampfte der Schmied auf den Fremden zu, blieb vor dessen Tisch stehen und brummte: »Beeilen Sie sich, ich habe heute noch eine Menge Arbeit.«
Break blickte auf. In seinen Augen lag ein fragendes Lauern. »Was willst du?«
»Ich habe gesagt, du sollst dich beeilen. Ich warte draußen auf dich. Wenn du in fünf Minuten nicht da bist, komme ich hier herein und hole dich.«
Holm wandte sich um und wollte weg.
Da federte Break hoch und sprang ihn von hinten an.
Von zwei schweren Hieben mit dem Revolverkolben getroffen, wankte der Schmied nach vorn.
Aber Dave Holm hatte den Kampfnerv eines Höhlenbewohners. Er drehte sich um, schleuderte den tückischen Angreifer von sich und stampfte schnaufend auf ihn zu.
So bärenstark der Schmied von Orange City auch war – Break war wendiger, geschmeidiger, wußte seine Schläge besser zu plazieren.
Nach drei Minuten, in denen ein großer Spiegel, mehrere Stühle und zwei Blumenständer völlig zertrümmert wurden, war der Hufschmied geschlagen.
Gordon Break hatte ihn so eindeutig niedergeknüppelt, daß Holm nur noch mit Mühe den Ausgang fand.
*
Break setzte sich an seinen Fenstertisch und verdrückte seelenruhig sein Steak weiter. Dann wischte er sich den Mund ab und ging zur Tür.
Da blieb er stehen und wandte sich zu dem kalkgesichtigen Schotten um. »Das Essen war gut. Ich sehe, du machst dich.«
Danach ging er hinaus.
Aber sein Weg war noch nicht frei. Babe Jenkins stand als gefährliches Hindernis auf der Straße.
Er war ein junger Bursche, knapp einundzwanzig, hatte blondes Haar, ein schmales Gesicht und nervige Hände.
Bis zu dieser Stunde hatte ihn eigentlich niemand in der Stadt so recht leiden mögen. Vielleicht weil er allen Mädchen nachstellte, weil er mit jedem Burschen Streit vom Zaun brach, und vor allem, weil es niemanden im ganzen County gab, der so rasch den Colt in der Hand hatte und so genau treffen konnte.
Babe Jenkins war kein sympathischer Mensch. Aber plötzlich schlugen ihm die Herzen der Leute von Orange City zu, als er da auf der Mainstreet stand. Breitbeinig, mit steifangewinkelten Armen. Sein zitronengelbes Halstuch wehte verwegen im Herbstwind, und seine Stiefel glänzten in der Mittagssonne.
Als Break aus dem Hotel kam, gab sich Babe einen Ruck und straffte seine Gestalt.
»He, Kleiderschrank, ich bin hier!« rief er mit schriller Stimme.
Break war stehengeblieben und musterte den neuen Gegner forschend mit eingekniffenem rechten Auge. Dann ging er weiter in Richtung auf die Schenke zu.
Babe machte einen halben Schritt zur Seite. »Du gehst nicht weiter, Kleiderschrank.«
Break war stehengeblieben. Aus kalten Augen beobachtete er den Burschen. »Weshalb nicht?«
»Weil ich etwas dagegen habe. Komm auf die Straße!«
Break warf den Kopf hoch. »Good, Junge, wie du meinst.«
Langsam kam der Hüne auf die Straßenmitte. Ganz still stand er da, reglos wie ein Baum. Nur seine Augen lebten. Scharf fixierten sie den jungen Jenkins.
»Willst du dich nicht lieber noch schnell von deiner Mutter verabschieden, Kleiner?«
Aus dem Gesicht des Burschen wich alle Farbe. Und mehr als dreißig Augenpaare hingen an der Gestalt von Babe Jenkins.
Und dann geschah das, was die Bürger von Orange City niederschmetterte, was ihnen auch den letzten Funken Mut raubte: Der Schießer Babe Jenkins drehte sich plötzlich mit einer steifen, hölzernen Bewegung um und ging mit staksigen Schritten und aschgrauem Gesicht davon.
Er hatte kapituliert. Und mit seiner Kapitulation gab auch die ganze Stadt endgültig auf.
Der Riese sah mit höhnischen Augen hinter dem Burschen her. Orange City gehörte ihm. In dieser Minute war er der Herrscher der Stadt.
Mit schweren, sporenklirrenden Schritten ging er auf den Utah Saloon zu.
Der Wirt sah ihm mit plinkernden Augen entgegen. »Hallo, Mister Break«, kam es krächzend aus seiner Kehle, wobei er ein Lachen auf sein Gesicht zwang.
Der Riese zog die linke Braue bis unter den Hutrand. Dann stieß er einen Stuhl aus seinem Weg und ließ sich am Spieltisch nieder.
»Eine Flasche! Und zwar von dem Fusel, den du selber trinkst!«
»All right, Mister Break!«
Der Salooner kam eilfertig mit einer Flasche und einem Glas an. Break fegte das Glas mit der linken Handkante vom Tisch. Es flog gegen Mats Bein, aber der Mann rührte sich nicht.
»Ein Spiel!« befahl Break weiter.
Mat sah ihn verständnislos an.
Da brüllte der Mann, der vor einer Dreiviertelstunde einen Menschen erschossen hatte: »Ein Kartenspiel! Ich will mich unterhalten!«
Der unglückliche Salooner ahnte noch nicht, wie sich der Eindringling zu unterhalten gedachte, aber er sollte es im nächsten Augenblick erfahren.
Als Mat die Karten brachte, schnauzte Break ihn an: »Setz dich!«
»Ich?«
»Siehst du sonst noch jemanden hier?«
Mat schluckte. »Aber ich bin –?kein Spieler, Mister Break«, stotterte er hilflos.
»Na und? Dann wirst du eben jetzt ein Spieler. Vorwärts, setz dich hin!«
Zögernd ließ sich der Salooner nieder.
Während Break die Karten mischte, sagte er, ohne den Wirt anzusehen: »Wir setzen hundert Bucks.«
»Hun…« Dem Salooner verschlug es die Sprache.
Endlich entgegnete er: »Was denn? Sie glauben doch nicht im Ernst, daß ich so einfach fünfzig Dollar aufs Spiel setzen kann. Wissen Sie, wie lange ich dafür hier bei den krakeelenden Cow…«
»Wer spricht von fünfzig, Junge? Ich habe hundert gesagt.«
»Hundert? Jeder?«
»Natürlich. Aber da dir das nicht zusagt, werden wir um dreihundert spielen.«
Mat war blaß geworden. Er rutschte an der Stuhllehne hoch. »Drei…«
»Yeah.«
»Aber, Break, das…«
»Ich habe gesagt, dreihundert!« Scharf und schneidend schlugen die Worte an das Ohr des Wirtes. »Vorwärts, hol die Böcke her!«
Mat stand auf und ging torkelnd zur Theke. In seinem Schädel dröhnte und rauschte es.
Dreihundert Dollar! Das war mehr, als er in einem Monat in dieser elenden Schenke einnahm.
Aber er holte das Geld und kam damit an den Tisch zurück. Als er es zu den Scheinen legte, die Break bereits in die Tischmitte geworfen hatte, wußte er, daß er es bereits verloren hatte.
Nach einer Viertelstunde war er neunhundert Dollars los. Dann stand er auf.
»Setz dich!« befahl Break rostig.
»Mister –?ich – ich habe kein Geld mehr.«
Break zog die linke Braue in einer für ihn typischen Manier bis unter den Hutrand.
»Hol Geld, Amigo, sonst beleidigst du mich.«
»Ich habe kein Geld mehr im Haus.«
»Und – wo hast du es?«
»Auf der Bank.«
Break fuhr hoch. Der Revolver lag in seiner Faust.
»Hör genau zu, Schnapspanscher. Den Trick kenne ich. Aber damit betrügst du mich nicht. Bring Papier und Tinte her…«
Sie spielten weiter.
Und Mat verlor fast ununterbrochen.
Wie taub saß der Salooner auf seinem Platz und blickte mit starren gläsernen Augen vor sich hin. Er sah die Karten gar nicht mehr, die er bekam. Er hörte auch nicht mehr, was Break sagte. Er unterschrieb nur nach jedem Spiel den Wisch, den ihm der Hüne hinschob.
Jahrelang hatte Mat um seine Existenz gekämpft. Nur den winzigen Bruchteil eines Tages benötigte er dazu, sie zu verlieren.
Mat sah sich mit glasigen Augen um. Sonst kamen um diese Zeit immer ein paar Gäste. Heute blieb es leer. Die Männer wußten ja, wer im Utah Saloon saß.
Wußten sie auch, daß der Fremde den Salooner Mat gezwungen hatte, mit ihm um einen irrsinnigen Einsatz zu spielen?
Nein, das wußten sie nicht. Aber selbst wenn sie es gewußt hätten, wäre nichts anders gewesen. Es gab niemanden mehr in Orange City, der es gewagt hätte, gegen Gordon Break vorzugehen.
Zwei Tage später verirrte sich Lerry Hoch, der Inhaber des General Store, in den Saloon.
Break fing ihn wie einen Gimpel ein. Der hoch spielte – und verlor.
Mat, der mit dünnem Lächeln hinter der Theke stand und dauernd betrunken zu sein schien, krächzte: »Gib acht, Larry, gleich bist du deinen Laden los.«
Larry Hoch verlor seinen Shop, er verlor sogar sein ganzes Grundstück.
Als der Trader aus der Schenke kam, war er arm wie eine Kirchenmaus.
Orange City schwieg.
Schon nach einer Woche schien es nie anders gewesen zu sein. Break gehörte zur Stadt. Er besaß den Utah Saloon und den General Store und war somit ein wichtiger Bürger Orange Citys.
Dann kam Bill Higgins in die Stadt. Er hatte drei seiner Boys bei sich, machte vor dem Saloon halt, rutschte aus dem Sattel und betrat pfeifend den Schankraum. Seine Leute blieben auf dem Vorbau.
Bill Higgins ließ sich eine Flasche Whisky geben und nahm dann am Spieltisch Platz.
»He, Salooner, wo ist Break?« rief er, und die Männer an der Theke sahen sich erschrocken um. Was war denn mit dem da? War der etwa krank? Er fragte nach Break…
Der Gelbe Jim kam aus dem Nebenraum.
Einen Schritt vor dem Perlenschnürenvorhang blieb er stehen, hatte den Kopf ein wenig gesenkt und kaute an seiner Virginia heran.
»Hallo, Break!« rief ihm Higgins zu. »Ich habe gehört, daß du dich hier breit gemacht hast.«
Break kam langsam näher. Drei Yards vor dem Tisch blieb er stehen.
»Verschwinde.« Er hatte es ganz leise, fast sanft gesagt.
Higgins dachte jedoch nicht daran, aufzustehen.
Da nahm Break die Hände aus den Taschen. »Verschwinde, Tramp!«
Aber Higgins lächelte nur und zeigte sein ungepflegtes Gebiß.
»Du bist ganz schön verrückt, Break. Hab’ in Marmillon davon gehört…«
Da flog der Revolver in die Faust des Riesen. »Verschwinde!«
Higgins erhob sich. Längst waren die anderen Männer zur Seite gewichen.
Als Billy Higgins Linke zum Revolver zuckte, fauchte der Schuß ihn an. Die Kugel traf ihn wie ein Keulenschlag und wirbelte ihn um seine eigene Achse.
Da sprangen die drei Genossen Higgins draußen zur Saloontür.
»Halt!« dröhnte es ihnen da von der Uferböschung entgegen.
Johnny Cardup, Gene Trill und Abe Cranacher fuhren herum. Drüben standen zwei Männer mit Gewehren im Anschlag.
Und jetzt kam links vom Hotel noch einer, der auch ein Gewehr in der Hand hatte.
Links aus Evells Boardinghouse kam ein junger drahtiger Bursche mit strähnigem Blondhaar und kantigen Fäusten. Er hatte den Revolver in der Hand.
»Hört genau zu, Boys. Hier in Orange City herrscht Ordnung.«
»Wer bist du?« knurrte Cardup.
»Ich bin Jimmy Hunter.«
Cardup maß ihn forschend, dann wies er mit dem Daumen auf den Eingang des Saloons. »Drinnen ist geschossen worden.«
Hunter nickte.
»Und jetzt ist es still!« zischte Cardup.
»Und das ist gut so«, fügte Hunter hinzu.
Cardup wischte sich über seinen breiten aufgeworfenen Mund. »Unser Boß ist drinnen.«
»Kann sein«, versetzte Hunter eisig.
Langsam wandten sich die drei ab und gingen zu ihren Pferden.
Oben in der Saloontür erschien Gordon Break. Er trat bis an den Vorbaurand, klemmte die Daumen in die Westenausschnitte und rief den dreien zu: »Verschwindet! Wenn ihr euch in der Stadt noch einmal sehen laßt, geht es euch wie eurem Freund da drin.«
Cardup riskierte dennoch die Frage. »Was ist mit ihm?«
»Nichts – gar nichts.«
»Wer hat denn geschossen?«
»Ich.«
»Auf Bill?«
»Yeah.«
»Und?«
»Was und? Es ist vorbei. Er hat keine Sorgen mehr. Nun vorwärts, seht zu, daß ihr Land zwischen euch und die Stadt bringt, sonst ist euer Trail hier auch zu Ende.«
Cardup wischte sich wieder über den Mund, warf Break einen langen Blick zu und nahm dann die Zügel auf.
Im leichten Trab ritten sie aus der Stadt.
Cranacher fauchte: »Wir hätten Bills Gaul mitnehmen sollen!«
»Bist du verrückt!« gab Cardup zurück. »Wolltest wohl auch eine Kugel zwischen die Rippen haben, he? Hast du dir den Kerl nicht angesehen?«
»Schon, aber…«
»Nichts aber«, schnitt Cardup ihm die Rede ab. »Dieser Mann ist Yellow Jim. Ich kenne ihn. Und Bill kannte ihn auch. Er hätte niemals so unvorsichtig sein sollen, offen gegen ihn anzulaufen.«
Gene Trill mischte sich ein: »Aber er wollte doch…«
»Was er wollte, ist jetzt unwichtig geworden«, schnitt Cardup auch ihm die Rede ab. »Er ist tot. Und jetzt wird getan, was ich sage.«
*
Der zweite Tote lag im Leichenschuppen der Mainstreet von Orange City.
Still wurde er draußen auf dem Graveyard in die Erde gebracht.
Und eine Dreiviertelstunde später kamen von den Hügeln her sieben Reiter durch die kleine Hillsgate in die Mainstreet. Donald Jordan, die beiden Onegans und vier andere Cowboys der Hügelranch.
Sie wußten noch nicht, was die Stadt seit einer Dreiviertelstunde wußte: daß Gordon Jim Break nicht allein gekommen war.
Vier Männer waren plötzlich aufgetaucht. Sie trieben sich schon seit Tagen in der Stadt herum, aber niemand hatte auf sie geachtet, da der gelbe Jim ganz Orange City in Atem hielt.
Der Rancher blieb vor der Schenke stehen. »Break!«
Gordon Break ließ keine volle Minute verstreichen. Er schob sich durch die Pendeltür auf den Vorbau. »Was willst du?«
Der Rancher zog die Brauen zusammen. Er war ein Mann von fünfzig und nicht daran gewöhnt, daß man ihn so ansprach.
»Hören Sie, Break, ich bin Donald Jordan. Ich bin gekommen, um mit Ihnen über den Tod eines meiner Weidereiter zu sprechen.«
»Ich habe keine Zeit, Mister Jordan!« Break wandte sich ab.
Und als Jerry Onegan den Colt ziehen wollte, krachte von der Uferböschung des Indian Creek her ein Schuß.
Der Cowboy schrie auf; die Kugel hatte ihm das Ellbogengelenk zerschmettert.
Jimmy Hunter war ein mörderischer Schütze. Er erhob sich und trat hinter die Hunter-Leute.
Und dann kamen auch die anderen hervor, die zu Break gehörten: der plattnasige Cass Saunders, Eddie North, das Kalkgesicht, und der Zigeuner Zoltan Griffith. Figuren wie aus einem Banditen-Album.
Der Rancher sah sich um und musterte die Männer ruhig. Dann blickte er den Riesen wieder an.
»All right, Break. Ich bin nicht hergekommen, um zu sterben.«
Er stieg langsam wieder in den Sattel.
Und als auch die anderen aufsteigen wollten, brüllte Jerry Onegan: »Ihr verdammten Feiglinge! Zieht doch eure Colts und kämpft. Es sind Banditen, Mörder…«
Weiter kam er nicht. Cass Saunders warf ihn mit einem peitschenden Schuß von den Beinen.
Verkrümmt lag der Cowboy am Boden.
Sein Bruder hob den Schwerverletzten auf und nahm ihn vor sich aufs Pferd.
Und wieder verließ eine geschlagene Crew die Stadt.
*
Die letzten Ereignisse veranlaßten eine Reihe von Familien, wegzuziehen.
Sie luden mitten in der Nacht ihre Habseligkeiten auf ihre Planwagen und rollten westwärts davon.
Die Pest schien in Orange City ihren Einzug gehalten zu haben. Und die Tage krochen in ihrer düsteren Schwere dahin.
Bret Condyke, der alte Schuhmacher, hatte längst bemerkt, daß Breaks Leute seiner sechzehnjährigen, kränklichen, aber sehr hübschen Tochter Peggy nachstellten.
Eines Abends riß Eddie North sie in eines der leerstehenden Häuser.
Da nahm der alte Mann sein Gewehr und ging auf die Straße.
»North!«
Der Bandit stürzte auf die Mainstreet und schoß sofort.
Bret Condyke fiel – und neben ihm lag das ungeladene Gewehr.
Angst breitete ihre schwarzen Schwingen über die Stadt.
Zwei weitere Tage vergingen.
Nur wenige der Bürger hatten den schmucklosen Sarg Condykes hinaus zum Graveyard begleitet. Mit angstvollen Augen schritten auch sie hinter dem Leichnam des ermordeten Schuhmachers her.
Als sie in die Mainstreet zurückkamen, um sich wieder ihrem Tagewerk zuzuwenden, lungerten Breaks Leute vor dem Saloon herum. Die vom Graveyard Heimkehrenden wohnten alle in den Häusern vor dem Saloon und brauchten nicht an den Desperados vorbeizugehen – bis auf den alten Sattler Owen Turner. Er mußte an den Tramps vorbei.
Und Eddie North grölte ihm nach: »He, alter Ziegenbart, hast du dir den Boot Hill genau angesehen? Du wirst nämlich auch bald da liegen!«
Turner beschleungite seinen Schritt.
»He, weshalb hast du solche Eile, du alter Halunke?« brüllte Saunders.
Griffith sah mit unbeweglichem Gesicht zu, und Jimmy Hunter saß mit geschlossenen Augen in einem Schaukelstuhl.
Turner hatte sein Haus fast schon erreicht, als der wilde North über das Vorbaugeländer auf die Straße jumpte und einen Schuß hinter Turner herjagte.
Der Sattler war zu Tode erschrocken und rannte los. Er hatte sein Haus schon fast erreicht, als eine Kugel dicht vor seinem Kopf in die Haustür schlug und das Holz in Fetzen auseinanderriß.
Turner war stehengeblieben.
Langsam wandte er sich um. Aus harten Augen blickte er zu North hinüber. »Was wollen Sie?«
North feixte. »Ich sähe dich gern mal tanzen, Alter!«
Und jetzt jagte ein Kugelhagel den Sattler zurück auf die Straße, ließ ihn umherspringen, in tödlicher Angst davonrennen. Aber die Kugeln des Banditen holten ihn wieder zurück.
Neun Schüsse hatte Ed North schon abgegeben, als plötzlich ein Gewehrschuß über die Mainstreet heulte und ihm den Colt aus der Hand fegte.
Wie angenagelt stand der Bandit und starrte die Straße hinunter.
Etwa fünfundvierzig Yards entfernt hielt ein Reiter. Es war ein großer dunkelhaariger Mann von etwa dreißig Jahren.
Er trug einen schwarzen Hut, eine schwarze Jacke, ein graues Kattunhemd und eine samtene Halsschleife. Seine Hose war grauschwarz gestreift und lief unten über hochhackigen Stiefeln aus. Er trug einen breiten Waffengurt, in dem an beiden Hüften je ein großer fünfundvierziger Revolver steckte. Sein Gesicht war kantig, gutgeschnitten, braungebrannt und sehr ernst.
Der Reiter saß auf einem schwarzen Hengst, der indianischer Abstammung war und einem Pferdekenner auf den ersten Blick den ausdauernden Läufer verriet.
Eddie North starrte immer noch auf den Reiter und senkte jetzt erst den Blick auf die eigene Hand, die auf dem Rücken eine Blutspur zeigte.
Cass Saunders und Zoltan Griffith standen ebenfalls wie festgewachsen auf dem Vorbau. Nur Jimmy Hunter war aufgestanden und kam auf die Straße.
Der Fremde hatte die Winchester noch im Anschlag. Sieben Yards vor ihm stand der Sattler auf zitternden Beinen.
Der Fremde gab ihm einen Wink, ohne die Break-Männer aus den Augen zu lassen. »Gehen Sie nach Hause!«
Turner wandte sich langsam um und sah zu North und den anderen hinüber, dann ging er torkelnd auf sein Haus zu.
Eddie North wischte das Blut an seinem gelben Halstuch ab und sah, daß es nur eine unbedeutende Wunde war, die ihm die Kugel des Fremden da beigebracht hatte.
Ganz und gar nicht unbedeutend jedoch war die Tatsache, daß der Reiter ihm den Colt aus der Hand geschossen hatte.
Jimmy Hunter hatte die Augen zu schmalen Spalten zusammengekniffen.
Da bückte sich North, nahm den Colt wieder auf und lud ihn bedächtig. Auch den anderen Colt, dessen Kammern völlig leergeschossen waren, lud er auf.
»Geh nur, Jimmy«, sagte er halblaut zu Hunter, »den Jungen bezahle ich allein!«
Hunter ging rückwärts auf die Vorbautreppe zu.
Der Fremde rutschte so aus dem Sattel, daß der Rappe zwischen ihm und den Desperados war. Dann führte er das Pferd an den Vorbau von Jeffersons Barber Shop.
Ohne Hast kam er auf die Straßenmitte zurück.
Eddie North schätzte ihn ab. Und er verstand etwas von seinen Gegnern.
»War ein guter Schuß, Amigo«, sagte er knarrend.
Der Fremde blieb stehen, ja, er kreuzte sogar die Arme vor der Brust.
Jimmy Hunters Augen wurden immer enger. Heavens, der Mann gefiel ihm ganz und gar nicht.
Saunders kaute an einem Zigarrenstummel herum. Auch ihm gefiel der Fremde nicht.
Griffiths Gesicht war wie immer ausdruckslos.
Breitbeinig stand North da. Seine Arme hingen angewinkelt und steif neben seinem Körper.
Plötzlich schrie er: »Zieh!«
Und hatte auch schon den Colt aus dem Halfter.
Das war nicht fair. Und Eddie North hatte auch kein Glück.
Seine Kugel streifte nur den Hut des Fremden, während sich das glühende Bleistück, das der Fremde auf die Reise geschickt hatte, rechts in die Brust des Desperados bohrte.
North wurde herumgewirbelt, taumelte noch ein paar Schritte zur Seite und fiel dann der Länge nach auf den staubigen Boden der Mainstreet von Orange City.
Dann fiel noch ein Schuß.
Der Fremde hatte ihn abgegeben. Auch diese Kugel traf: Sie riß Cass Saunders den heimlich gezogenen Derringer aus der Faust.
Oben in der Saloontür erschien Gordon Jim Break. Er kam mit schweren Schritten an den Rand der Vorbautreppe.
»He, Jim«, befahl er Hunter, »frag ihn, wer er ist!«
Hunter rieb sich das Kinn. »Das hatte ich eben vor, Boß.«
Der Fremde stand noch da, wo er die beiden Schüsse abgegeben hatte. »Mein Name ist Earp.«
Breaks Gesicht schien sich zu versteinern. »Earp?«
»Yeah, Morgan Earp.«
Der jüngste Bruder des großen Dodger Marshals Wyatt Earp lud die beiden Patronen nach und hielt auf den Utah Saloon zu.
Wer die Szene beobachten konnte, sah gebannt auf die Straße. Da war ein Mann in die Stadt gekommen, der Eddie North von den Beinen geschossen hatte und jetzt auf den Utah Saloon zuging. Dem die Desperados sogar Platz machten.
Als Morgan vor Break angekommen war, tippte er an den Hutrand und meinte: »Und wer sind Sie?«
»Mein Name ist Break.«
Morgan nickte. »Ah – ein hübscher Name. Ich kannte mal einen Break, der war erst Gefangenenaufseher in Fort Worth, stahl dann die Straflagerkasse und wurde von einem Lebenslänglichen am Tor niedergeschlagen. Zufälle gibt es.«
Er lächelte und nickte wieder. »Hoffentlich gibt’s hier einen anständigen Schluck Whisky.«
Break folgte ihm in die Schenke.
Als auch Hunter und Saunders mitkommen wollten, verwies Break sie auf die Straße.
»Kümmert euch um Ed. Er muß zum Doc gebracht werden! Vorwärts!«
*
Morgan Earp war an die Theke getreten.
Mat, der ja jetzt nur als Keeper hier arbeitete, sah ihn aus scheelen Augen an.
»Whisky!« sagte Morgan und schob sich eine helle Zigarre zwischen die Zähne.
Break war ihm gefolgt und lehnte sich neben ihm auf das Thekenbrett.
»Mat, gib ihm einen aus meiner Flasche und auf meine Rechnung.«
Morgan nahm an, da es im Westen eine schwere Kränkung war, einen Drink auszuschlagen. Als aber Break noch einen ausgeben wollte, lehnte der Mann aus Missouri ab.
Break schluckte seinen Ärger hinunter und musterte Morgan aufmerksam von der Seite.
Er kannte ihn genau. Es gab eine Menge Geschichten, die aus Tombstone, Tucson, Santa Fé und anderen Städten über diesen Morgan Earp erzählt wurden.
Er war der jüngste Bruder des im ganzen Westen bekannten Wyatt Earp; schon allein diese Tatsache genügte, Morgan für Gordan Jim Break interessant zu machen.
Der Hüne überlegte: War es Zufall, daß dieser Morgan Earp in die Stadt gekommen war?
Und was hatte er mit seiner Bemerkung über den Kassenräuber Break gemeint?
Diese letzte Bemerkung hatte etwas an sich, das Gordon Break entschieden mißfiel: Sie erinnerte ihn an seinen Bruder Joe. Denn der war es, der erst Gefangenenaufseher war und dann mit der Straflagerkasse hatte flüchten wollen. Der Lebenslängliche Ricardo Gonzales, ein Kreole, der seine Geliebte erstochen hatte, konnte ihn zu Fall bringen. Joe Break saß jetzt oben in Sescattewa im Camp II.
Die Brüder waren nie durch ein besonders festes Verhältnis miteinander verbunden gewesen. Dennoch machte Morgans Bemerkung dem hünenhaften Desperado zu schaffen.
Es war nicht unbedingt auffällig, daß ein Earp von der Geschichte mit Joe wußte. Schließlich gehörten sie einer bekannten Sheriffsfamilie an und befaßten sich ja ständig mit Banditen.
Well, Joe war ein Bandit! Daß er selbst, Gordon Jim Break, ein Verbrecher war, darüber machte er sich keine Gedanken.
Ihn interessierte jetzt dieser junge Earp da. Dieser hartgesichtige, kaltäugige Bursche, der mit zwei blitzartigen Schüssen die Position der Break Crew in der Stadt erheblich erschüttert hatte.
Auslöschen? Nein, diesen Gedanken hatte Break schnell wieder von sich geschoben. Einen Earp löschte man erstens nicht so leicht und zweitens nicht unbemerkt aus. Ganz sicher aber nicht ungestraft.
Break dachte daran, daß hinter diesem Mann schließlich Leute wie Wyatt Earp selbst, wie Doc Holliday, Luke Short, Bat Masterson und Virgil Earp standen. Das waren Namen, an die Break nicht einmal denken mochte. Jeder dieser Männer war ein absolut tödlicher Schütze, beidhändig, mit Colt und Winchester. Und jeder von ihnen war eiskalt und furchtlos.
Nein, Break war nicht dumm genug, diesen Burschen hier abknallen zu lassen. Weshalb auch? Vielleicht ritt er ja gleich weiter, dann war alles in Ordnung.
*
Aber Morgan Earp ritt nicht gleich weiter. Er fragte den Salooner nach einem Quartier.
Mat schluckte schwer. Heavens, er hatte ein heißes Stoßgebet zum Himmel geschickt, daß dieser Mann die Stadt noch nicht verlassen möge. Das war der einzige Mensch, vor dem Break etwas wie Vorsicht und Respekt zu empfinden schien.
»Ein Quartier, Mister Earp? Natürlich. Sie finden ein kleines Stück die Straße hinauf das Boardinghouse…«
Morgan nickte.
»Und am Hotel sind Sie ja schon vorbeigekommen.«
»Das sieht mir zu neu und zu teuer aus«, meinte Morgan lachend.
In Breaks Gehirn arbeitete es fieberhaft. Was will dieser Morgan Earp hier in Orange City? Weshalb will er hier übernachten?
Damned, dieser Morgan Earp machte ihm Sorgen.
Der Missouri-Mann warf ein Geldstück auf das Thekenblech und bestellte einen Drink. »Auch einen für Mister Break.«
Der Riese horchte auf. Er sah auf das Glas, hob dann den Blick und sah Morgan in die Augen.
Nein, er hatte sich nicht getäuscht: Dieser Mann war sein Feind! Er hatte etwas vor!
Wenn es so war, dann mußte allerdings auf dem schnellsten Weg dafür gesorgt werden, daß dieser Earp Brother keine Chance mehr hatte, weiteres ›Unheil‹ anzurichten.
Morgan hatte sein Glas halb ausgetrunken, tippte an den Hutrand und ging zur Tür.
»Earp!« rief Break hinter ihm her.
Morgan ging weiter bis zur Tür und drehte sich erst, als er einen Blick hinausgeworfen hatte, langsam um. »Was gibt’s?«
»Was wollen Sie hier in der Stadt?«
Um den Mund des Missouri-Mannes huschte ein Lächeln. »Sie sind ziemlich neugierig, Break.« Damit schlugen die beiden Schwingarme der Pendeltür hinter seinem Rücken zusammen.
*
Morgan war auf die Straße getreten.
Durch dunkle Wolken blitzte die Sonne und warf ihr gleißendes Licht auf den hochgewachsenen Mann, der jetzt vom Vorbau herunter auf die Straße ging.
Ein eisgrauer Mann trat auf ihn zu und nahm seinen Hut ab. »Mein Name ist Jefferson, Mister Earp. Ich habe da drüben den kleinen Barber Shop.«
Morgan reichte dem Greis die Hand.
»Mister Earp, ich danke Ihnen im Namen dieser ganzen Stadt. Sie haben Owen Turner vor einer wahren Bestie gerettet. Und nicht nur ihn. Uns alle. Ich möchte Ihnen danken.«
»Keine Ursache«, wehrte Morgan ab und wollte sich in den Sattel seines Rappen ziehen.
Da preßte der Alte seine Hände um die Rechte Morgans. »Mister Earp, ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen. Ich bin der Major von Orange City. Auch wenn das die Leute vergessen zu haben scheinen. Sie leben in Angst. Wir alle leben in Angst. Gordon Jim Break hat die Stadt einfach gelähmt. Und was das schlimmste ist: Unser Sheriff hat das Weite gesucht. Jetzt gibt es hier niemanden, der für Ordnung sorgt. Um es ehrlich zu sagen: der es wagt, für Ordnung zu sorgen.«
Morgan nickte und zertrat den Rest seiner Zigarre. Den linken Fuß hatte er schon im Steigbügel.
Da sagte der allte Jefferson: »Morgan Earp, ich möchte Sie bitten, in Orange City den Sheriffstern zu tragen. Wir…«
Morgan nahm den Fuß aus dem Bügel und schob sich den Hut aus der Stirn. »Was soll ich?«
Der alte Barbier wiederholte seine Bitte.
Die Straße war leer. Nur oben neben der Tür lungerte Hunter herum.
Plötzlich erschien Break oben auf dem Vorbau.
»Jefferson, was tratschen Sie da herum? Ich habe Sie gestern vormittag aufgefordert, mir eine Liste des Bürgerrats zu bringen!«
Jefferson wandte den Kopf. »Sie müssen sich schon gedulden, Mister Break. Ich bin eben bei einer wichtigen Amtshandlung.«
»Wichtige Amtshandlung?« Break schluckte. Was hatte der Major mit diesem Earp denn für eine wichtige Amtshandlung zu besprechen?
Und als Jefferson weiter auf Morgan einsprach, sprengte der Jähzorn des Hünen alle Riegel, unbeherrscht schrie er: »Was fällt dir ein, alter Schaumschläger! Scher dich an deine Arbeit, sonst raucht es!«
Als Jefferson sich auf diesen Anwurf hin umwenden wollte, packte Morgan ihn am Ärmel und zog ihn ganz sanft zu sich herum.
»All right, Mister Jefferson«, sagte er leise, »ich nehme an.«
Break brüllte. »Jefferson, was fällt Ihnen ein? Ich spreche mit Ihnen!« Heavens, das durfte er nicht einreißen lassen, daß der Major eigene Wege ging; in sinnloser Wut belferte er weiter: »Und Sie, Earp, sehen zu, daß Sie weiterkommen! Wir brauchen hier in unserer Stadt Ruhe und Ord…«
»Break!« Es war der alte Jefferson, der den Desperado unterbrochen hatte.
»Sie sprechen mit dem neuen Sheriff von Orange City.«
»Was hast du da eben gesagt, Schaumschläger?« krächze Yellow Jim.
Morgan ging langsam auf den Vorbau zu.
»Ich fände es gut, Mister Break, wenn Sie sich dem Major gegenüber einen anderen Ton zulegen würden.«
Flammende Zornesröte überflutete das gelbliche Gesicht des Banditen. Aber Morgan Earp ließ ihm keine Zeit zu einer Antwort. Er wandte sich an Hunter und die beiden anderen Tramps, die sich inzwischen wieder vor der Schenke eingefunden hatten.
»Und ihr laßt die Leute auf der Straße in Ruhe. Wenn ich noch einmal so etwas erlebe wie vorhin, dann gibt’s Dampf!«
Mit einem Ruck wandte er sich um nach Jefferson. »Wo ist das Office?«
»Drüben, Sheriff!«
Mit hartem, sporenklirrendem Schritt ging der junge Morgan Earp auf das Office zu, das sein letzter Bewohner fluchtartig verlassen hatte.
*
Break war so verdutzt, daß er noch kein Wort der Entgegnung gefunden hatte. Vornübergebeugt starrte er dem Mann aus Missouri mit weit offenen Augen nach.
Auch Hunter, Saunders und Griffith hatten Mund und Augen aufgerissen.
Da riß Hunter den Colt aus dem Halfter.
Aber Gordon Break schlug ihm die Waffe aus der Hand.
Im gleichen Moment wandte sich Morgan, der die Officetür fast erreicht hatte, um. Er hatte einen seiner schweren Revolver in der Rechten.
»Nicht doch, Break, verärgern Sie Ihre Leute nicht. Hätten Sie den Jungen doch gelassen. Ich bin es gewohnt, daß von hinten auf mich geschossen wird.«
Break, Hunter und die beiden anderen sahen ihn mit verständnislosen Blicken an. Und als der lange Break etwas rufen wollte, war Morgan schon im Office verschwunden.
Jefferson stand noch immer mitten auf der Straße, genau auf der Stelle, wo er den neuen Sheriff für seine Stadt angeworben hatte.
Hunter ging auf ihn zu. Er krampfte die Hände zusammen. »Weißt du, was ich jetzt mit dir machen sollte, Alter? Ich…«
»He, Sonny!« kam es schneidend vom Office her. »Ich sagte: die Leute in Ruhe lassen!«
Hunter fuhr herum. Seine Hand zuckte zum Waffengurt. Da jedoch schien sie zu erstarren.
In der rechten Hand von Morgan Earp lag wieder einer der großen Revolver.
Der neue Sheriff trat auf den Vorbau hinaus, ließ den Revolver zurück ins Halfter fliegen und stemmte die Hände in die Hüften.
»Anscheinend hört ihr schlecht, Freunde. Das ist bedauerlich.« Und im völlig anderen, schneidend scharfen Ton fuhr er fort: »Ich warte genau dreißig Sekunden, wenn ich dann noch einen von euch sehe, gibt’s Ärger!«
Die Tramps hatten offenbar ein feines Gefühl dafür, festzustellen, wann es wirklich ernst wurde. Sie zogen die Köpfe in die Schultern und zockelten davon.
Nur Gordon Break blieb stehen. Mit immer noch verständnislosem Blick beobachtete er den Mann aus Missouri, der da in die Stadt gekommen war und alles bedrohte, was er sich hier ›aufgebaut‹ hatte.
Jetzt setzte er sich langsam in Bewegung und kam auf Morgan zu. Zwei Yards vor ihm blieb er stehen.
»Das ist doch nicht Ihr Ernst, Earp?«
»Was?« Morgan riß ein Zündholz am Türrahmen an und schob sich eine neue Zigarre zwischen die Zähne.
»Daß Sie hier in diesem Nest den Sheriff spielen wollen.«
»Hätten Sie etwas dagegen, Break?« fragte Morgan über das brennende Streichholz hinweg.
»Dagegen? Nein, ich verstehe Sie nicht. Das ist doch keine Stadt, die einen Posten für einen Earp zu vergeben hat!«
Schlauer Fuchs! dachte Morgan. Aber so fängst du mich nicht.
»Es gibt doch hundert andere Städte, die fünfmal so groß sind und für einen Sheriff Earp fünfmal so viel Bucks springen lassen können als ausgerechnet dieses elende Orange City, he?«
Morgan sog an seiner Zigarre. »Kann sein, Break. Aber es gefällt mir hier ganz gut.«
Der faunisch-freundliche Zug, den der Riese auf sein pergamentenes Gesicht gezaubert hatte, verschwand urplötzlich. Er ist also gerufen worden! zuckte es ihm durch den Schädel.
Aber wie ist das möglich? Ausgerechnet einen Earp! Wer will den denn hier bezahlen? Die haben doch selbst alle nichts.
Einen Augenblick dachte er daran, daß er hier doch schon eine Menge geholt hatte. Er besaß die einzige Schenke im Umkreis von vielen Meilen. Er würde sie ausbauen, Tanzgirls würde er kommen lassen, und ein Orchestrion würde er auch herschaffen lassen. Den Store, den wollte er nur so nebenher halten.
Dieses Orange City war genau das Nest gewesen, das er gesucht hatte. Er war das rauhe, gefährliche Leben draußen in der freien Prärie leid. Bei Postkutschenüberfällen und Bankeinbrüchen riskierte man doch immer eine ganze Menge. Hier war das ganz anders. Hier wußte man, mit wem man es zu tun hatte, und nachdem er die schweren Brocken gleich bei seiner Ankunft mit brutaler Härte aus dem Weg geräumt hatte, konnte hier alles in Ordnung sein.
Und dann kam da plötzlich dieser Morgan Earp in die Stadt. Ein Bursche, dessen Bruder der berühmteste Sternträger des ganzen Westens war, der selbst einen Namen hatte, den jeder Mann in den Middleweststaaten kannte.
Zounds, wie rasch er schoß! Und wie genau!
Gordon Break ließ seinen Blick an der Gestalt Morgans niedergleiten und erneuerte in dieser Minute seinen Vorsatz, diesen Mann auslöschen zu lassen.
Und zwar so rasch wie möglich.
Da kam der Sattler aus seinem Haus.
»Mister Earp! Ich möchte mich bei Ihnen bedanken. Entschuldigen Sie bitte, daß ich es nicht schon vorhin getan habe, aber ich war einfach zu fertig.« Er kümmerte sich nicht im mindesten um Break auf dem Vorbau und reichte Morgan die Hand. »Und dann möchte ich Ihnen zu Ihrem neuen Amt gratulieren. Ich habe gehört, was der Major gesagt hat, Mister Earp. Sie können sich auf uns verlassen. Orange City wird hinter Ihnen stehen. Vor allem, wenn es darum geht, hier Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Es sind in letzter Zeit eine Menge verdammt dreckiger Dinge passiert…«
*
Am nächsten Morgen fanden sie ihn tot.
Er lag vorn auf der Mainstreet, direkt vor dem Fenster seiner Sattlerwerkstatt.
Wieder schrumpfte die Stadt vor Angst zusammen.
Morgan Earp ging hinüber in den Saloon.
Ernie Mat zwinkerte dem Sheriff entgegen. »Suchen Sie den Boß?« fragte er mit kläglicher Stimme.
»Ich suche Break!« versetzte Morgan rauh.
Der Bandit erschien in dem Perlenschnürvorhang, behielt einen Streifen der Schnüre in der Linken und musterte den Sheriff mit einem höhnischen Blick.
»Na, Sternträger, gut geschlafen, die erste Nacht in unserer schönen Stadt?«
»Ich habe das Gefühl, Break, daß Sie diese Frage nicht mehr sehr oft stellen können«, entgegnete der Sheriff kühl.
Er stand mitten im Raum. Oben führte die Treppe auf eine Balustrade, die um die ganze Länge des Schankraumes herumlief und zu den oberen Zimmern führte.
Morgan hatte das Gesicht des Desperados durchforscht. Plötzlich sagte er laut: »Break, sagen Sie dem Mann da oben, daß er das Gewehr fallen lassen soll!«
Gordon Break zog die Brauen zusammen. Er konnte es nicht verhindern, daß ein flammendes Rot sein sonst go quittengelbes Gesicht überspülte. »Was wollen Sie?«
»Sagen Sie es ihm!« schrie Morgan plötzlich.
Dann flog er herum.
Und Cass Saunders ließ die Winchester los. Polternd schlug die schwere Waffe auf der Platte des Spieltisches auf und verletzte den grünen Bezug.
Ernie Mat stöhnte auf, obgleich ihm ja hier absolut nichts mehr gehörte.
Morgan hatte in jeder Hand einen Revolver. Langsam ging er in die Türnische zurück.
»Passen Sie jetzt genau auf, was ich sage, Break. Schaffen Sie sich Ihre Heckenschützen baldmöglichst vom Hals, sonst schaffen Ihnen diese Freunde etwas anderes um den Hals, nämlich einen ziemlich rauhen, hanfenen Strick!«
»Sie sehen Gespenster, Morgan!« zischte Break.
»Gespenster?« Morgan ließ die Colts zurück in die Halfter gleiten. »Yeah, Gespenster sind es schon. Nur daß sie ein sonderbares Verlangen nach heißem Blei haben. Und was den Tod des Sattlers betrifft, Break, wir sprechen noch darüber.«
Break geiferte los: »Das verbitte ich mir! Wie kommen Sie dazu, mich in eine Mordgeschichte hineinzuziehen? Ich habe nicht das mindeste damit zu tun. Wer weiß, wer den Alten umgelegt hat! Möglicherweise hatte er eine Menge Kunden auf den Ranches, die Sättel bei ihm bestellt hatten, die sie nun nicht bezahlen wollten. So was hat es alles schon gegeben, das wäre doch nichts Besonderes…«
»Ein Mord ist etwas Besonderes, nämlich etwas besonders Scheußliches, Break. Und vor allem ist es etwas, was mit dem Tod gesühnt wird.«
Er wandte sich um und ging hinaus.
Hunter kam hinter Break aus dem Nebenzimmer, warf den Kopf hoch und fauchte Saunders an: »Idiot!«
»Laß ihn!« knurrte der Riese.
»Wenn sich dieser Hammel nicht so albern benommen hätte, wäre der Bursche jetzt erledigt gewesen. Es war eine so gute Gelegenheit…«
»Du sollst das Maul halten!« fuhr der Bandenboß Jimmy Hunter an. »Cass hatte sich gut hinter der Vitrine postiert. Weiß der Teufel, wie der Bursche ihn gesehen hat!«
»Er hat ihn überhaupt nicht gesehen. Es war alles Bluff!« begehrte Hunter auf.
Griffith, der sich ebenfalls an seinem Boß vorbei in den Schankraum quetschte, bemerkte weise: »Bluff? Aber gefährlich, bei diesem Mann auf Bluff zu tippen!«
*
Es zeigte sich bald, daß Orange City keineswegs hinter seinem neuen Sheriff stand. Die Menschen hatten Angst vor Break. Zu hart war er vorgegangen. Ein Mann, der den offenen Mord nicht scheute, den machte man sich nicht zum Feind.
Und was hatte dieser Morgan Earp denn schon zu bestellen? Er war allein gegen eine Crew rücksichtsloser und gewissenloser Verbrecher, die ganz sicher keine Gelegenheit ungenutzt ließen, ihn auszublasen.
Well, er war ein fabelhafter Schütze, dieser jüngere Earp, und irgendwie hatte er etwas von der Luft mitgebracht, die seinen Bruder Wyatt zu umwehen schien. Aber er war allein. Er stand einem Verbrecherquartett übelster Sorge gegenüber.
Und schon am nächsten Tag kamen drei Männer in die Stadt, die vor dem Saloon lautstark von Break und Hunter begrüßt wurden.
Jetzt wußte Morgan auch, wohin Saunders so eilig reiten mußte in der vergangenen Nacht. Er hatte offenbar den Rest der Crew, der sich aus irgendwelchen Gründen in den Hills aufgehalten hatte, zur Verstärkung geholt.
Als Orange City das wahrgenommen hatte, nahm es direkt Abstand von seinem neuen Sheriff.
Eddie North war von Saunders und dem Zigeuner zu dem alten Doc Collins gebracht worden, der in dem kleinen windschiefen Haus hinter der presbyterianischen Kirche wohnte.
Hunter hatte den Arzt schon entdeckt. Zwar behandelte Collins nicht mehr, weil er schon fast achtzig Jahre war, aber als die beiden Tramps ihm den schwerverletzten Kumpan brachten, vermochte er doch nicht, ihnen die Tür zu weisen.
Als der Major sich bei dem Doc nach dem Befinden des Desperados erkundigte, meinte Collins: »Dieses Pack hat ein Katzenleben. Der Kerl ist durch. Ich glaube, daß er in drei Tagen hier wegkann. Break kann ihn dann ja in seiner Schenke unterbringen.«
Der Major strich sich sorgenvoll über die Stirn. Er war längst nicht mehr glücklich über das, was er getan hatte.
»Was glauben Sie, Doc, wird Break bleiben?«
»Es sieht nicht so aus, als wolle er weiterreiten. Im Gegenteil, der Halunke scheint offensichtlich durch die Verstärkung Oberwasser bekommen zu haben. Der Teufel soll diesen Schurken holen! Todsicher hat er auch Owen Turner auf dem Gewissen.«
Der Major nickte. Bekümmert wandte er sich zur Tür.
Da packte Collins ihn am Arm. »Major, Sie haben auch eine Chance. Sie kratzten den Schuften schließlich die Bärte…«
Jefferson wich zurück. »Was soll das heißen? Glauben Sie etwa, daß ich fähig wäre, Break oder Hunter oder sonsteinen von ihnen die Kehle…«
Collins lächelte dünn.
»Nein, Major, dazu sind Sie sicher nicht fähig. Sie hatten Ihre größte Stunde, als Sie Morgan Earp dazu brachten, den Stern zu nehmen. Diese Sternstunde ist leider verblaßt, Jefferson.«
»Was soll das heißen?«
Doc Collins zog die Schultern hoch. »Sie sind mir plötzlich wieder so leise geworden, Major.«
Da wandte sich ihm der Barbier voll zu. Auf seiner zerfurchten Stirn standen zahllose Schweißperlen. »Was wollen Sie, Doc? Ich bin ein alter Mann, und…«
»Ich auch.«
»Yeah, aber von Ihnen verlangt keiner, daß Sie hinter dem Sheriff stehen, daß Sie ihm helfen werden…«
»Nein, ich bin auch nicht der Major, Mister Jefferson«, versetzte der Arzt schroff. »Aber ich werde ihm beistehen. Ich werde diese meine alte Kentucky Rifle nach Jahr und Tag von der Wand holen, Jefferson, und werde auf die Straße gehen. Neben ihm werde ich gehen, Jefferson.«
»Aber das ist doch Wahnsinn, Doc! Weshalb wollen Sie das denn tun?«
»Das will ich Ihnen sagen: weil Break ein Mörder ist. Weil seine Leute ebenfalls Mörder sind. Und weil dieser Morgan Earp der einzige Mann ist, der uns helfen kann.«
»Aber er wird gegen die Bande fallen!«
»Wenn er fällt, ist Orange City untergegangen, Major…«
Gordon Break hatte seine Männer um sich versammelt.
Der kalte Hunter stand an der Tür. Zoltan Griffith, der verschlagen dreinblickende Zigeuner, lehnte am Fenster. Saunders hockte auf der Tischkante.
Und die drei anderen standen vor ihrem Boß.
Es waren der krummbeinige Ike Troub, der lange, bucklige Patrik Folgerson und der zwergenhafte Ingo Seld. Galgenvögel, von denen jeder einzelne den Strick mehrfach verdient hatte.
Der riesige Break stand mitten im Raum und reinigte mit einem Bowiemesser geräuschvoll seine Nägel.
»Also, Boys, die Sache liegt klar: Wir dürfen keine Zeit verlieren. Morgan Earp ist von dem Pack hier in der Stadt gerufen worden. Vielleicht war er irgendwo in der Nähe. Vielleicht hat Sheriff Walker ihn alarmiert.«
»Aber die Leute haben doch nicht das Geld, einen so bekannten Mann herzuholen!« rief der geschwätzige kleine Seld, der unter dem Wahn litt, seine figürliche Kleinheit durch Angeberei ausgleichen zu müssen. »Ich kenne Wyatt Earp«, log er prompt, »und weiß, daß ihn eine Stadt wie Orange City nie bezahlen könnte. Morgan ist sein Bruder. Auch er ist ein bekannter Mann. Nie und nimmer kann dieses Kaff ihn bezahlen.«
Break machte eine wegwischende Handbewegung. »Halt deinen großen Rand, Seld. Du kennst die Earps eben nicht. Das sind Büffel, treue Gesetzesmänner. Die bringen es fertig und kommen umsonst.«
Seld warf den Kopf hoch; es sollte eindurcksvoll wirken, erinnerte aber peinlich an einen Sperling, der sich mit seinem Tschilpen wichtig machen wollte. »Umsonst? Glaubst du das tatsächlich, Boß? Meinst du, daß er sein Leben für nichts in die Schanze schlägt?«
»Yeah, Boy, das glaube ich. Es gibt eben Männer, die nicht immer den großen Beuteanteil haben wollen.«
Seld meinte naserümpfend: »Das geht auf mich! Well, verstehe. Aber ich will mich nächstens auch nicht mehr bei dir aufdrängen, wenn es darum geht, eine Stadt auszukundschaften.«
Der Zwerg war es nämlich gewesen, der vor einer Woche in die Stadt gekommen war und Recherchen für Breaks Vorhaben angestellt hatte.
»Schluß jetzt!« gebot Break. »Wir haben andere Sorgen. Morgan Earp muß auf schnellstem Wege verschwinden. Je länger der Bursche in der Stadt ist, desto gefährlicher wird es für uns.«
»Das sehe ich nicht ein«, stieß der mickrige Seld dagegen.
»Wenn du mehr Verstand hättest, Kleiner, dann würdest du es einsehen«, belehrte ihn Griffith. »Er ist der Bruder von Wyatt Earp.«
»Na und?«
Griffith griff sich an die Stirn. »Reicht dir das nicht? Ich dachte, du kennst den Marshal? Dann solltest du auch wissen, daß er der härteste Brocken ist, mit dem unsereiner es in diesem schönen Land zu tu haben kann. Und ferner solltest du wissen, daß Doc Holliday sein Freund ist. Und Luke Short ebenfalls!«
Seld bekam plötzlich ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Er wandte sich um und ging zu Hunter an die Tür.
Dennoch konnte der widerliche Bursche es sich nicht verkneifen, zu näseln: »Sorgen haben die! Als ob Morgan seinen Bruder und Doc Holliday herzaubern könnte. Dodge City ist weit. Ganz Colorado und halb Kansas liegt dazwischen.«
Hunter, der zwar ein kaltschnäuziger Verbrecher, aber ein Mann mit einem Spatzenhirn war, nickte. »Yeah, Boß, ich finde, Ing hat recht.«
Break fauchte. »Jetzt rede ich. Was Ing meint oder nicht, ist ohnehin Käse. Der Sheriff muß verschwinden. Und zwar heute nacht noch. Er darf keine Chance mehr haben, gegen uns aufzutreten.«
»Yeah, er muß weg wie der Sattler«, schnarrte der breitnäsige Saunders.
Hunter zog die Stirn in Falten. »Kommt nicht in Frage. Diesmal übernimmt das ein anderer.«
Break lächelte diabolisch und blickte den gnomenhaften Seld an. »Yeah, Kleiner, das wirst du übernehmen.«
Seld wurde plötzlich aschgrau. »Das ist doch nicht dein Ernst?« stammelte er.
»Weshalb nicht?«
»Du wirst mich doch nicht gegen diesen gefährlichen Kerl einsetzen! Das ist doch Wahnsinn!« Und plötzlich schrie der Bandit los: »Du willst mich umbringen, mich und nicht ihn. Ich begreife! Ich bin dir im Wege. Du fürchtest, ich könne scharf auf deinen Posten in der Crew sein.«
Break stieß eine röhrende Lache aus, dann warf er sich nach vorn und hieb dem Kleinen eine klatschende Ohrfeige gegen die linke Kinnlade.
Seld wurde herumgewirbelt und sank in der Zimmerecke benommen in sich zusammen.
Die andern lachten roh auf.
»Jim, mach ihn frisch!« befahl der Boß.
Hunter nickte, spie einen Priem aus, nahm die Blumen aus der Vase und kippte das Wasser über den krausen Schädel des Zwerges.
Seld schüttelte sich und erhob sich prustend.
Break sah ihn an. »Du weißt also Bescheid.«
Der Gnom zitterte am ganzen Körper.
»Ich habe keine Chance gegen ihn, Boß. Das ist so sicher wie nur etwas. In Landola habe ich den Burschen kämpfen sehen. Und auch unten in Santa Fé.«
»Du standest nicht vor seinem Colt!« höhnte Saunders.
»Nein«, zischte der Zwerg, »sonst lebte ich nicht mehr. Aber ich habe gesehen, wie er schoß, Männer! Es ist Wahnsinn. Ich bin verloren, und euch ist damit nicht gedient!«
Hunter sah den Boß an. »Ich glaube, er hat recht, Boß«, meinte er nicht allzu sicher.
»Er tut, was ich befohlen habe!« polterte Break.
Und als Seld zur Tür wollte, stand ihm plötzlich der Zigeuner im Weg. Er hatte ein Klappmesser in der Hand, das er aufspringen ließ. Ölig lächelnd blickte er den Kameraden an.
Seld bebte am ganzen Leib. »Griffith, was hast du vor? Bist du verrückt?«
»Er tut nur seine Pflicht«, meldete sich Break.
Seld schluckte, dann nickte er und kam in die Raummitte zurück.
»All right«, stieß er mit belegter Stimme hervor, »ich tue es. Aber mein Blut wird über euch kommen.« Er wurde sofort wieder theatralisch. »Es wird euch…«
»Maul halten!« befahl Gordon Break. »Du wirst nur der Schütze sein. Wir anderen sind mit von der Partie…«
Und dann entwickelte Gordon Jim Break seinen Plan.
*
Sie warteten nicht die Nacht ab.
Gegen sechs Uhr verließen sie den Saloon und traten auf die Straße. Break, Hunter, Griffith, Saunders, der krumme Folgerson und Troub. Nur der zwergenhafte Seld fehlte.
In breiter Front gingen sie vorwärts. Zwanzig Schritt weit, dann blieben sie stehen.
Break brüllte: »Earp, komm raus! Wir haben mit dir zu reden!«
Morgan Earp erschien. Aber nicht in der Tür des Office, sondern unten auf der Uferböschung, die den jenseitigen Rand der Straße bildete.
»Was gibt’s, Break?«
Die Banditen standen steif vor Schreck da.
Break, Hunter und Griffith fuhren zuerst herum. Die andern folgten nach, als sie die Schrecksekunde überwunden hatten.
Morgan stand auf der Böschung. Er hatte seine Revolver in den Händen.
»Du hast mich gerufen, Break, was gibt’s?«
Der Riese starrte betroffen vor sich nieder. Dann sah er sich um und schrie mit sich überschlagender Stimme: »Ing! Dreckskerl, wo bleibst du?«
Morgan Earp kniff ein Auge zu und plinkerte zum Sheriff Office hinüber.
»Falls du den Kurzen meinst, Break, der vorhin über die Außentreppe an der City Hall hochwollte, der ließ sein Gewehr fallen, als er mich plötzlich vor sich sah. Und weil er dann nachsehen wollte, ob sein Revolver auch blank poliert war, machte ich mir Sorgen um seinen Geisteszustand und brachte ihn einstweilen zu seinem eigenen Wohl in einer Zelle unter.«
Break fletschte die Zähne. Dann wandte er sich mit einem Ruck um und stampfte zum Saloon hinüber.
Die andern folgten ihm. Nur Hunter und Griffith blieben stehen.
Morgan sah Hunter an. »Na, Sonny, noch Wünsche?«
»Yeah, ich möchte wissen, wie Sie dahinkommen, Earp.«
»Hierhin? Oh, ich habe das Wasser gern. Besonders der Indian Creek hat so ein wohltuendes Rauschen.«
Hunter spie wieder einmal einen Priem aus und zerquetschte einen Fluch zwischen den Zähnen. Dann folgte er den anderen.
Als sich auch der Zigeuner abwenden wollte, rief Morgan ihm nach: »Ich habe in Santa Fé einen Mörder gesehen, der Griffith hieß und ein schmutziges Gesicht hatte. Mein Bruder fing ihn ein. Aber weil er eine Schwäche für Zigans hat, sorgte er dafür, daß er nicht an den Strick, sondern ins Straflager kam. Das ist sieben Jahre her. In dieser Zeit wachsen die Haare um jedes Kinn herum.«
Das dunkle Gesicht des Verbrechers wurde um einen Schein bleicher. Er spie in Richtung des Sheriffs verächtlich aus und ging hinter den anderen her.
Und wieder hockte die Bande zusammen und brütete über einen besseren Plan.
*
Gegen sieben Uhr drangen Griffith, Saunders, Troub und der lange Folgerson vom Hof her in das Haus des Schneiders Hofman ein.
Hofman, dessen Eltern aus dem fernen Germany gekommen waren, betrieb seit sieben Jahren eine Schneiderwerkstatt in Orange City. Er war neununddreißig Jahre alt und von zierlicher Gestalt.
Mit zitterndem Herzen, äußerlich aber völlig furchtlos, saß der kleine Mann auf seinem Arbeitstisch mit übereinandergeschlagenen Beinen, scheinbar emsig in eine Näharbeit vertieft.
Die Bande schob sich, ohne sich um ihn zu kümmern, ans Fenster.
Saunders blickte durch die Gardinen auf die Straße.
»Alles klar. Jim ist auf dem Posten.«
Der Hosenschneider wußte plötzlich, was da gespielt wurde. Die Bande hatte irgendeinen Plan, um den Sheriff vor das Haus zu locken.
Er hatte sich nicht geirrt. Drüben von der Böschung her brüllte plötzlich ein Schuß über die Straße.
Der fahläugige Jimmy Hunter grölte: »Earp! Komm raus aus dem Käfig! Ich habe zur Abwechslung jetzt mal deinen Platz eingenommen.«
In der Schneiderwerkstatt herrschte atemloste Stille.
Da griff der kleine Taylor, der sich weder vorher noch nachher jemals eine solche Tat zugetraut hätte, zu dem schweren, heißglühenden Bügeleisen und stellte es auf die Gazetten, aus denen er Hosenmuster schnitt.
In Windeseile war die Stube von stickigem blauem Qualm erfüllt.
Prustend stoben die Tramps nach draußen.
Der Zigeuner, der mit dem Messer nach dem Schneider stach, stach ins Leere.
Der pfiffige Schneider hatte den Platz oben auf dem Tisch mit dem Platz unterm Tisch vertauscht.
Ganz tief über dem Boden vermochte er sogar noch gut und hustenfrei zu atmen.
Und die Tramps standen draußen im Korridor und konnten nicht begreifen, wie der Mann es da drinnen auszuhalten vermochte.
Schließlich, als er da unten auch in Atemnot geriet, sprang der Schneider auf, nahm das Eisen von den qualmenden Gazetten, stopfte beides in einen großen Wasserbottich und rannte zum Fenster, riß es auf und hüpfte hinaus.
Er stieß fast mit dem Sheriff zusammen.
»Kommen Sie, Mister Earp, ich habe Ihnen etwas zu sagen. Der Schinder da drüben kann warten!«
So schlug auch dieser Angriff fehl.
Die Tatsache, daß die Straße nur eine Häuserzeile hatte, machte den Tramps einen Angriff auf das Office schwer.
Break saß fluchend in seinem Kontor, hinten im Saloon.
»Was war los, verdammt noch mal!« empfing er Saunders und Folgerson, die als erste ankamen.
»Weiß der Teufel, jedenfalls räucherte uns dieser verdammte Skunk von einem Schneider da regelrecht aus…«
Es wurde Abend.
Und dann kam die Nacht.
Mit ihr kamen zwei Männer durch den Hof des Sheriff Office und klopften an die Tür.
»Wer ist da?« fragte Morgan.
Doc Collins war seit einer halben Stunde bei ihm, nahm sein Gewehr auf und postierte sich hinter dem Munitionsschrank.
»But Flanagan ist hier, Sheriff. Mein Bruder Billy ist bei mir.«
»Was wollt ihr?«
»Wir müssen mit Ihnen sprechen.«
Doc Collins nickte dem Sheriff zu. »Lassen Sie die beiden herein. Es sind brave Burschen. Ihr Vater arbeitet auf der Liston Ranch, und sie haben eine kleine Tischlerei hinten in der Hillsgate.«
Morgan öffnete die Tür, hatte aber seinen Colt in der Hand.
Die beiden traten ein. Es waren mittelgroße stämmige Figuren, mit offenen, frischen Gesichtern und vierkantigen Fäusten.
»Wir wollen Ihnen helfen, Sheriff.«
Morgan winkte ab. »Nicht nötig, ihr macht euch nur Ärger, Männer.«
Billy, der Jüngere, schüttelte den Kopf. »No, Sheriff, den Ärger haben wir schon. Jeder hat ihn. Sie können uns bestimmt gebrauchen. Wir haben allerdings nur unsere Revolver bei uns. Aber Sie können uns ein Gewehr ausleihen.«
Die Mannschaft des Sheriffs hatte also Verstärkung bekommen. Morgan Earp, Doc Collins und die beiden Flanagans, das war schon etwas. Der Taylor hatte seine weitere Hilfe ebenfalls angeboten.
Morgan wäre ohnehin nicht im Office geblieben. Er mußte hinaus auf die Straße. Am besten gleich hinüber zu Break.
Und das tat er auch.
Mit sporenklirrenden Schritten ging er auf den Vorbau hinaus und hielt direkt auf die Schenke zu.
But Flanagan folgte ihm und ergriff seinen Arm. »Mister Earp, was haben Sie vor?« stieß er keuchend vor Erregung über die Lippen.
»Ich gehe in den Utah Saloon.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst?«
»Doch.«
»Aber die Bande hat heute dreimal versucht, Sie niederzuknallen, am Tage! Und da wollen Sie sich jetzt in der Nacht in diese Höhle da wagen?«
»Ich muß es, But. Sonst kommen sie zu mir.«
Und Morgan Earp ging weiter. Besorgt blickten die drei Freunde hinter ihm her.
Als die Pendeltüren hinter dem Rücken des Sheriffs zuschlugen, lud Doc Williams sein Gewehr durch und ging vorwärts.
»Doc!« zischte But. »Sind Sie des Teufels! Er kann das vielleicht noch riskieren, aber wir doch nicht!«
Der Arzt blickte sich um. »Was willst du, But? Soll ich hier stehenbleiben und warten, bis sie ihn fertiggemacht haben? Ich bin neunundsiebzig Jahre alt, Junge. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Aber wenn der Sheriff da drinnen fallen soll, dann werde ich dafür sorgen, daß sein Mörder keine Minute länger lebt!«
*
Morgan war in den Saloon getreten.
Sofort brachen alle Gespräche ab. Schwer lastete die Tabakswolke zwischen den drei großen Kerosinlampen.
Die Männer aus der Stadt, die sich wieder in ihrer Schenke eingefunden hatten, schämten sich plötzlich, als sie den Sheriff da an der Tür stehen sahen. Einige legten ihre Zeche auf den Tisch und gingen hinaus.
Vorn an der Theke lehnten Hunter, Saunders und die anderen. Morgan suchte nur Break selbst und den Zigeuner.
Dann entdeckte er den Gelben; er stand in dem Perlschnürenvorhang und schoß einen triumphierenden Blick zur Tür.
Augenblicklich bildete sich eine breite Gasse zum Eingang. Morgan ging langsam vorwärts und blieb in der Mitte des Raumes stehen.
Der Bandenführer senkte den Kopf etwas und sah sich um. Morgan konnte nicht erkennen, mit wem er einen Blick wechselte.
»Was wollen Sie hier?« fragte Break endlich frostig.
»Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich wegen Turner mit Ihnen reden müßte, Break!«
»Und!«
»Jetzt werde ich das tun! Ich habe entdeckt, daß…«
Dann geschah es. Blitzschnell und mit solchem Furioso, daß es kaum nachzuerzählen ist.
Der Schuß röhrte durch den Schankraum.
Schwer in den Rücken getroffen, wirbelte Morgan herum und schoß nur einen Sekundenbruchteil später.
Der vierfache Mörder Zoltan Griffith, der im Hinterhalt gestanden hatte, fing die Kugel direkt mit der Brust auf. Er stieß einen gurgelnden Schrei aus und taumelte ein paar Schritte nach vorn, um dann auf die schmutzigen Schankhausdielen zu stürzen.
Morgan kniete am Boden. Dann kippte er langsam zur Seite.
Doc Collins stürzte herein, gefolgt von den beiden Flanagans. Die drei schleppten den Sheriff durch die schweigende Gasse der Männer hinaus.
Niemand folgte ihnen.
Der alte Arzt keuchte: »Rasch zu mir mit ihm!«
»Er ist tot!« ächzte Billy Flanagan.
»Zu mir!« beharrte der Arzt.
Im Eilschritt schleppten sie den schweren Körper des Sheriffs zu dem kleinen Haus des Arztes. Hastig wurde er auf den Behandlungstisch gebettet.
Collins hatte ihm die Kleider geöffnet und betrachtete die Rückenwunde. Sein Gesicht hatte sich in bedenkliche Falten verzogen.
Die beiden Flanagans sahen gebannt auf seine Lippen. »He, Doc!« platzte der Jüngere schließlich los, »wie steht’s?«
»Schwer zu sagen. Das Ding ist ihm hinten links in den Körper gedrungen.«
Die beiden Flanagas wußten, was das bedeutete. Wenn der Mann auch noch nicht tot war, er würde nicht mehr lange leben.
»Je nachdem, wie nahe die Kugel dem Herzen sitzt«, sagte der alte Arzt heiser in die Stille.
»Hat er also keine Chance mehr?« fragte But mit bebendem Unterkiefer.
Doc Collins zog die Schultern hoch. »Das kann ich dir nicht sagen, Junge. Ich kann den Schußkanal nur ahnen, aber nicht sehen. Es besteht eine ganz winzige Möglickeit, daß das Geschoß keine lebenswichtigen Adern durchschlagen hat. Aber auch dann bleibt der Sheriff in Lebensgefahr. Ich jedenfalls habe noch keinen Mann mit einer solchen Wunde in derart gefährlicher Herznähe wieder aufstehen sehen. Und ich war fünf Jahre in dem verdammten Krieg…«
But Flanagan kratzte sich den Schädel. »Doc, und wenn er auch nur die winzigste Chance hat, dann müssen wir ihn retten. Retten, indem wir ihn hier wegbringen.«
»Wegbringen?« Der Arzt blinzelte über den Rand seiner goldgeränderten Brille. »Und wohin, he?«
»Auf die Liston Ranch hinaus. Wo unser Vater ist. Da ist er sicher.«
Collins blickte nachdenklich auf den Verletzten, dem er einen festen Verband angelegt hatte, nachdem er die Wunde gereinigt hatte.
»Ob er den Transport aushält?« wollte Billy besorgt wissen.
Collins mußte erneut die Schultern hochziehen. »Du fragst zuviel, Bill. Wenn er diese Wunde übersteht, übersteht er auch den Transport. Ich habe gehört, daß die Earps drei Leben haben sollen…«
»Vorwärts!« sagte But entschlossen zu seinem Bruder.
Ein paar Minuten später rollte der leichte Buggy des Doktors nach Südosten aus der Stadt.
Die beiden Flanagans hatten den vielleicht tödlich verletzten Sheriff aus der Stadt gebracht.
Die Fahrt hinaus auf die ferne Ranch war mehr als eine Strapaze für den Verletzten.
Morgan kam trotz des starken Betäubungsmittels, das der Arzt ihm eingeflößt hatte, auf dem holperigen Weg zu sich.
Aus glasigen Augen starrte der Unglückliche Billy Flanagan an, der ihn fest an sich gepreßt hielt. Er wollte die Lippen öffnen, vermochte es aber nicht.
Bill hielt ihm den Mund zu. »Kein Wort, Sheriff. Sie sind verwundet. Wir bringen Sie aus der Stadt!«
Bald lagen die letzten Häuser der düsteren Orange City hinter ihnen.
Morgan fiel von einer Ohnmacht in die andere. Aber immer wieder riß ihn sein Lebenswille in die Wirklichkeit zurück. Er mußte trotz der schweren Tropfen, die Collins ihm gegeben hatte, fürchterliche Schmerzen ausstehen.
Aber kein Laut kam über seine Lippen.
Als sie endlich nach schier endloser Fahrt die Ranch erreicht hatten, atmete But, der die beiden Füchse lenkte, auf.
»Wir haben es gleich geschafft, Bill. He, was ist los? Wie sieht’s aus?«
»Weiß nicht. Er rührt sich nicht.«
Bill riß an den Zügeln. »Vorwärts, heia! Vorwärts, ihr lahmen Schinder! Das sage ich dir, Bill, wenn er tot ist, reite ich zurück und knalle Gordon Break nieder!«
*
Die Herrschaft Gordon Breaks über Orange City lebte wieder auf; und sie wurde gnadenloser als zuvor.
Der neue Sheriff war für die Bürger tot, und Doc Collins hatte am anderen Tag einen mit Holz und Steinen beschwerten Sarg draußen auf dem Graveyard einkarren lassen.
So schnell der Stern des Morgan Earp über Orange City aufgegangen war, so schnell war er auch verloschen. Die Menschen dachten schon nach wenigen Tagen kaum noch an ihn.
Break führte ein rigoroses Regiment. Er hatte als erstes den Major abgesetzt und dafür gesorgt, daß sein Paladin Jimmy Hunter diesen Posten bekam.
An dem grauen Morgen, als der Sarg, in dem die Bürger ihren Sheriff glaubten, zum Graveyard hinausbegleitet wurde, stand der kleine schmächtige Joe Bliff vor seinem Post Office und sah dem einzigen Mann nach, der dem Sarg folgte, dem alten Dr. Collins.
Nebenan vor dem Saloon lungerten wieder Breaks Leute herum. Sie redeten laut, und der gnomenhafte Seld, der natürlich sehr rasch aus dem Jail geholt worden war, lachte laut und schrill, als sich der Zug vorüberbewegte.
Da kniff der Postmaster beide Augen zusammen und blinzelte auf seine staubigen Schuhe hinunter. Der kleine Joe Bliff hatte plötzlich eine Idee…
Elf Tage waren ins Land gegangen. Elf Tage, in denen der Gelbe Orange City gedemütigt und geknechtet hatte.
Es war an einem sonnigen Vormittag, als sich plötzlich mit einem Donnerschlag alles änderte.
Von Osten her ritt ein Mann in die Stadt, bei dessen Anblick Cass Saunders, der ihn zuerst sah, glaubte, der Schlag müsse ihn treffen.
Der Mann war groß, breitschultrig, hatte ein ernstes wetterbraunes Gesicht und seltsam helle Augen. Er trug einen schwarzen Anzug, ein graues Kattunhemd und eine schwarze Samtschleife.
Morgan Earp!
Saunders wischte sich durchs Gesicht, kniff die Augen zu, riß sie wieder auf und starrte den Reiter entgeistert an.
Dann rannte der Bandit los, stolperte, raffte sich wieder auf und flüchtete in den Utah Saloon.
»Bo…, er kommt!«
Break stand an der Theke neben Hunter und Seld. »Wer?« fragte er.
»Der Sheriff!«
»Welcher Sheriff? Mensch, mach die Zähne auseinander!«
»Earp!«
Die Desperados, die in der Schenke herumlungerten, boten direkt eine Studie der Verblüffung dar.
Endlich quetschte der Riese hervor: »Hast du Earp gesagt?«
»Yeah… Earp. Er kommt. Sitzt auf dem Gaul, wie damals! Er… er ist nicht tot! Ich schwöre es euch! Ich habe ihn genau erkannt!«
Break, Hunter, Seld, Folgerson und die anderen rannten zur Tür. Da blieben sie stehen und starrten auf den Reiter, der eben am Office vorüberritt.
Ein dünner Pfiff zog durch die Zahnlücke der beiden oberen Schneidezähne des Hünen. »Damned, er ist es wirklich.«
Hunter rieb sich mit dem Unterarm durch die Augen. »Zounds! Er ist es tatsächlich.«
»Yeah«, quäkte Seld, »er hat nur einen anderen Gaul.«
»Was du nicht sagst«, zischte Break.
Hunter nahm den Kopf herum und sah seinen Boß an. »Wie… wie ist denn das möglich? Griffith hat ihn doch genau erwischt!«
Break sog die Luft tief in seine mächtige Brust. »Offenbar nicht. Sicher ist nur, daß der Kerl Griffith genau erwischt hat.«
»Wen hat der Doc denn dann begraben?«
Hunter fluchte. »Yeah, Teufel, das möchte ich auch wissen.«
Break stampfte mit dem Fuß auf. »Das werden wir auch gleich wissen, Boys. Vorwärts! Saunders, Folgerson und Seld, ihr scharrt den Sarg aus dem Loch!«
Folgerson spie seinen Priem aus. »Was hast du gesagt, Boß?«
Breaks Kopf flog herum. »Ich habe gesagt, daß ihr den Sarg ausbuddeln sollt. Und zwar schnell!«
»Aber…«
Da klatschte ihm die breite Hand des Riesen ins Gesicht. »Ich habe gesagt: schnell!«
Die drei trollten sich davon.
Hunter stand steif auf dem Vorbau neben Break. »Ich will von einer Ratte gebissen sein, wenn ich das kapiere…«
Der Reiter war vom Pferd gestiegen und im Office verschwunden, kam aber sofort wieder heraus und hielt auf die Banditen zu.
Selbst Break hatte plötzlich einen gewaltigen Kloß im Hals und spürte, daß in seinen Knien auf einmal Pudding saß.
Mit harten, schweren Schritten kam der Mann heran.
Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Break: He, ist er nicht größer und breiter und auch älter? Sieht er nicht überhaupt etwas anders aus als neulich? Noch ernster? Ist in seinen Augen nicht ein Licht, das vorher nicht darin zu sehen war?
Mit einem verdammt unguten Gefühl im Magen blickten die Desperados dem Mann entgegen. Das Singen seiner großen Sternradsporen drang ihnen bis in die Nerven.
Was hätten die Verbrecher wohl gesagt oder getan, wenn sie gewußt hätten, wer der Mann wirklich war, der da vor ihnen stand? Daß er der Mann war, dessen Name jeder Cowboy, jeder Rancher, jeder Bandit und jeder Richter zwischen Montana und Texas, zwischen California und Missouri kannte.
Es war Wyatt Earp, der Marshal von Dodge.
Auf diesen Gedanken kam allerdings keiner der Desperados.
Der Missourier blickte Break in die Augen, verschränkte die Arme vor der Brust und sagte mit dunkler Stimme: »How du you do?«
Break erwiderte hart und schnarrend. »Good, Sheriff. Und wie geht’s Ihnen?«
»Good, wie Sie sehen.«
In den Augenwinkeln des Marshals blitzte es für den Bruchteil einer Sekunde auf. Dann senkte er den Kopf und sah Hunter forschend unter dem Hutrand hervor an.
Der Blick dieser Augen drang dem Verbrecher bis ins Mark.
Wyatt wandte sich abrupt ab und ging an den Tramps vorbei in die Schenke.
Ernie Mat hatte an der Tür gestanden, stolperte jetzt aber zurück. »Hallo, Sheriff!« preßte er mit belegter Stimme hervor.
»Hallo!«
Langsam und mit singenden Sporen durchmaß der Missourier den Raum.
Da kam Leben in die Gestalt des Keepers. Er hetzte zur Theke, nahm den Whisky und schenkte ein. »Es ist noch die gleiche Flasche, Sheriff!«
Wyatt beachtete das Glas nicht.
Mat plinkerte unsicher. »Damned, ich dachte, Doc Collins hätte Sie tatsächlich auf dem Graveyard eingebuddelt. Die Kugel mußte Sie doch höllisch im Kreuz erwischt haben…«
Wyatt hatte sich umgewandt, und Mat starrte auf seinen breiten Rücken.
Auch ihn überkam in diesem Moment für einen Herzschlag das Gefühl, daß sich dieser Morgan Earp verändert hatte. Der Keeper wußte es sich nicht zu erklären.
Wyatt ging zum Eingang und stieß die Pendeltür so hart auseinander, daß Hunter an der Schulter getroffen wurde.
Der Bandit reagierte sofort, ballte die Faust und schleuderte sie dem vermeintlichen Morgan Earp, den er ja für schwerverletzt halten mußte, entgegen.
Wyatt duckte gedankenschnell ab und wuchtete dem Desperado eine krachende Linke an die Kinnlade.
Der kaltschnäuzige Jimmy Hunter flog zurück und stürzte der Länge nach auf die Vorbaubretter.
Wyatt sah sich gar nicht erst nach ihm um. Sein Blick war in die Augen Breaks gesenkt.
Der Bandenführer war wie paralysiert. Nie in seinem Leben hatte er einen solchen Schlag gesehen. Das war ein Hieb gewesen, der wie der Huftritt eines Pferdes gekommen war.
Reglos lag Hunter am Boden.
Wyatt sah jetzt an Break vorbei in den Himmel: »Scheint ein Gewitter in der Luft zu liegen.«
Langsam stieg er die Vorbaustufen hinunter.
Der Gelbe Jim stierte mit brennenden Augen auf seinen breiten Rücken.
»Sheriff!« Heiser rissen sich die beiden Laute von seinen Lippen.
Wyatt ging weiter zu seinem Pferd.
Und Gordon Jim Break wagte es nicht, seine Hand zum Revolver zu schicken – so breit und lockend auch der Rücken des anderen war.
Es waren die Augen des Missouriers, die ihn bannten. Auch jetzt noch, als er gar nicht mehr ihrem Blick ausgesetzt war.
Wyatt machte seinen Falben vom Zügelholm los und zog sich in den Sattel. Dann ritt er in die Richtung davon, in welcher Saunders, Folgerson und Seld davongetrottet waren.
Die drei Verbrecher standen auf dem Graveyard. Seld hatte seine Schaufel in das lockere Erdreich über dem Grab gestoßen.
»Der Satan soll den Boß holen! Ich denke nicht daran, das Loch hier freizuschaufeln. Ich habe keine Lust, nach Gespenstern zu scharren…«
Der krumme Folgerson blickte zu seiner ellenlangen, schlaksigen Gestalt hinunter. Und Saunders spürte zu seinem Ärger, daß sein Unterkiefer zitterte, daß die Zähne leise aufeinanderschlugen.
So standen sie eine Weile stumm nebeneinander. Vom Indian Creek her kam ein leichter Wind und strich über ihre glühenden Gesichter.
»Das ist ein ganz verdammter Spuk!« knurrte Saunders. »Yeah, ein Spuk, sage ich. Ich habe doch ganz genau gesehen, daß die Kugel hinten seine Jacke aufriß. Mit einem so placierten fünfundvierziger Geschoß reitet man doch nicht durch die Landschaft!«
»Halt’s Maul!« krächzte Folgerson.
Seld schluckte und rieb sich die rötliche Bartstoppeln. »Vorwärts, wir fangen an.«
Die Angst vor Yellow Jim überwog alles andere. Die drei Verbrecher machten sich an die Arbeit.
In dem Augenblick, in dem Cass Saunders’ Spaten mit einem dumpfen Geräusch auf etwas Hartes stieß, zuckten sie alle drei zusammen.
Es war Seld, der sich zuerst wieder faßte. »Vorwärts, schaufelt den Kasten frei.«
Als auch das getan war, hielten die drei Outlaws wieder inne und starrten auf den vernagelten Sargdeckel.
»Aufmachen!« kommandierte Saunders.
Seld warf den Kopf zu ihm herum. »Hast du hier auch schon etwas zu sagen, he?«
»Nun tut schon, was er sagt!« drang da eine metallische Stimme an die Ohren der drei Verbrecher.
Stocksteif standen sie da. Keiner von ihnen wagte sich umzudrehen. Dann hörten sie das Knacken eines Revolverhahns.
»Umdrehen!« befahl der Missourier.
Ganz langsam wandten die drei sich um.
Der Marshal stand nur etwa sechs Yards vor ihnen zwischen den Gräberreihen. In seiner linken Hand lag ein großer Revolver mit einem überlangen sechskantigen Lauf.
Seld spürte, daß sein Herz bis in den Hals hinauf hämmerte.
»Wie kommen Sie… Sie hierher, Sheriff?«
Wyatt wies mit der Rechten auf den Sarg. »Ich hatte noch keine Lust, da drinnen zu liegen; ich stehe hier besser.«
Fassungslos stierten die Banditen ihn an. Niemand sprach ein Wort.
Da sprangen die Lippen des Marshals auf. »Verschwindet!«
Seld machte einen zögernden Schritt zur Seite. Saunders folgte ihm nach. Dann erst setzte sich der Schlaks Folgerson in Bewegung. Und dann liefen sie los, als wenn der Teufel hinter ihnen her wäre. Sie warfen ihre Schaufeln und Hacken von sich, sprangen über Grabhügel und Pfade und hetzten zum Ausgang des Graveyard.
Wyatt blickte hinter ihnen her und schob seinen Reolver ins Halfter zurück.
Als er eine Viertelstunde später wieder in die Mainstreet ritt, machte er vor dem Post Office halt.
Der kleine Joe Bliff war langsam aufgestanden. »Mister…, ich…, wer sind Sie…?«
»Haben Sie mir die Nachricht geschickt?«
Eine Glutwelle flog über das faltenreiche blasse Gesicht des Postmasters. »Ich? Yeah…, sind Sie…, sind Sie wirklich…, damned, ich wage es gar nicht auszusprechen…«
»Ich bin Wyatt Earp!«
»Wyatt Earp! All thousand devils! Wyatt Earp, der Marshal von Dodge!« Mit einem Satz jumpte der betagte Bursche über das Schalterbrett und rannte auf den Missourier zu. Er streckte ihm die Hand hin.
»Ich bin Joe Bliff!«
Wyatt drückte die Hand des wackeren Mannes.
»Wo ist mein Bruder?«
Bliff flüsterte, als könne er sogar hier in seinen vier Wänden belauscht werden: »Draußen auf der Liston Ranch. Die beiden Flanagans haben ihn nach der Schießerei hinausgebracht.«
»Wissen Sie, wie es ihm geht?«
»Nicht genau. Ich habe Doc Collins heute morgen gefragt, der wußte nichts. Aber But Flanagan war eben hier, er sagte, daß es ihm schon etwas besserginge. Er soll über den Berg sein. Heavens, dieser Zigan hat ihn hinten links in den Rücken geschossen. Aus dem Hinterhalt, dieser feige Halunke.«
»Wie heißt der Mann?«
»Griffith. Zoltan Griffith.«
»Wo finde ich ihn?«
»Da, wo Morgan ihn hingeschickt hat. Auf dem Graveyard.«
»Er ist tot?«
»Yeah!« Bliff rieb sich die Hände. »Er ist tot. Der Sheriff hat ihn im allerletzten Augenblick noch abgefangen und ausgelöscht. Und das war das einzige, was uns hier hochgehalten hat. Aber leider macht ein Mann mehr oder weniger bei der Bande nichts aus. Well, jetzt sind Sie ja da. Heiliger Himmel, Wyatt Earp in Orange City!«
Bliff hielt inne und sah den Marshal an. »Damned, Sie sind ihm zum Verwechseln ähnlich!«
»Ich weiß. Break und die andern halten auch mich für Morgan. Und ich möchte sie zunächst in diesem Glauben lassen.«
»All right, Marshal. Sie können sich auf mich verlassen!« versicherte der alte Bliff.
»Wer weiß noch von Ihrer Nachricht an mich?«
»Niemand, Mister Earp«, versetzte der Postmaster stolz. »Ich arbeite seit drei Jahrzehnten für die Post und kann meinen Schnabel halten.«
»Das ist gut. Ich danke Ihnen, Mister Bliff.«
Der Marshal reichte dem Kleinen noch einmal die Hand. Dann wollte er zur Tür.
Bliff hielt ihn auf. »Aber Marshal, was wollen Sie allein gegen diese Horde unternehmen? Ich glaube, es sind ihrer immer noch sechs oder gar sieben. Genau weiß das niemand hier. Sie haben Verstärkung bekommen.«
Wyatt winkte ab. »Lassen Sie das nur meine Sorge sein, Mister Bliff. Und halten Sie weiterhin ihren Mund!«
»Rechnen Sie auf mich, Marshal. Aber vielleicht wäre es gut, wenn wir die wenigen Leute, die zu Ihrem Bruder gestanden haben, noch einweihen würden.«
»Und wer wäre das?«
»Zunächst Doc Collins.«
»Wie alt ist er?«
»Yeah, er ist zwar fast achtzig, aber winken Sie nicht ab. Der lederne Bursche ist mit seiner Flinte gleich hinter Morgan auf die Schenke zugegangen. Ich habe es selbst von hier aus beobachtet. Er ist Feldarzt gewesen, obgleich er auch damals schon wie Methusalem gewesen sein muß. Und dann sind da noch die beiden Flanagans. Zwei prächtige Jungens, sie haben hier eine Tischlerei in der Stadt. Die können Ihnen bestimmt von Nutzen sein.«
Wyatt überlegte einen Augenblick. Dann nickte er. »Well, verständigen Sie die drei Männer, aber nehmen Sie ihnen bitte das Versprechen ab, Stillschweigen zu bewahren.«
»Wird gemacht, Marshal!«
Joe Bliff sah in die Augen des Missouriers. »Das wird ein schweres Stück Arbeit werden, Mister Earp. Break ist ein mit allen Hunden gehetzter Kerl. Und Jimmy Hunter steht ihm nicht viel nach. Saunders, Folgerson und Seld sind auch nicht zu unterschätzen. Und dann die anderen, die ich nur ein-, zweimal gesehen habe. Alles Brüder, die todsicher vor einer Reihe von Steckbriefen herlaufen.«
Wyatt nickte und ging hinaus.
Der Postmaster blickte gedankenvoll hinter ihm her. In seinem Gesicht stand deutlich die sorgenvolle Frage geschrieben: Wie will er das schaffen?
Wyatt suchte das Office auf und brachte sein Pferd in den Stall. Nachdem er es versorgt hatte, sah er sich im Office um.
Ja, es war ganz sicher ein schweres Stück Arbeit, das hier vor ihm lag. Daran konnte es keinen Zweifel geben.
Gordon Jim Break war ihm kein Unbekannter. Der Mann war oben in Montana unter dem Namen Yellow Jim bekannt und gefürchtet. Mochte der Teufel wissen, was ihn hierhergebracht hatte.
Als Doc Collins informiert war, kam er sofort ins Office. In der Tür blieb er stehen. Seine alten Augen leuchteten. »Wyatt Earp? Ist es wirklich wahr? Ich kann das einfach nicht glauben, was der alte Bliff mir da ins Ohr getuschelt hat.«
Mit raschen Schritten kam er auf den Marshal zu und bot ihm die Hand. »Ich bin Doc Collins.«
Wyatt nahm die faltige Hand des Alten und drückte sie. »Und Sie sollen fast achtzig Jahre sein? Ich würde Ihnen vielleicht zwei- oder dreiundsechzig geben.«
Der Arzt lächelte, und in sein Gesicht trat ein wehmütiger Zug.
»Ach, das sind ja fast zwanzig Jahre her. Damals fing dieser verdammte Krieg an, und ich war noch ein Bursche, der Bäume ausreißen konnte. Aber Sie können sich auch jetzt noch auf mich verlassen, Marshal. Geben Sie mir ein anständiges Gewehr, und Sie werden mich an Ihrer Seite finden, wenn es losgeht. – Wann geht’s übrigens los?«
Der Missourier lachte leise in sich hinein. Der alte Haudegen bereitete ihm sichtlichen Spaß.
»Das werden Sie schon noch früh genug erfahren. Ich muß jetzt vor allem mit dem Major sprechen.«
Collins winkte ab. »Der ist abgesetzt worden.«
»Von Break etwa?«
»Yeah.«
Wyatt rieb sich das Kinn. »Well, dann muß das zu allererst wieder in Ordnung gebracht werden. Wo wohnt der Major?«
»Der alte?«
»Einen anderen gibt es für mich nicht.«
»Den neuen könnten Sie wahrscheinlich jetzt auch gar nicht sprechen. Ich fürchte, daß er noch vernehmungsunfähig ist. Er wurde vorhin vorm Utah Saloon derart verprügelt – ich möchte bloß wissen, wie das passiert ist. Die Brüder halten sonst zusammen wie Pech und Schwefel. Dieser Hunter kam vor einer Viertelstunde zu mir. Er hatte direkt eine Art Maulsperre.«
»War es ein blonder Bursche?«
»Yeah.« Dem Arzt dämmerte es plötzlich. »He, haben Sie sich ihm etwa bereits vorgestellt?«
»Scheint so. Und jetzt sagen Sie mir, wo ich den Major finde.«
Der Doc berichtete Wyatt in Kürze, was sich in der Stadt ereignet hatte, und beschrieb ihm dann Jeffersons Haus. »Es ist ja fast gleich nebenan. Sie können durch den Hof sogar ungesehen hinkommen.«
»Das fehlte noch. Thanks, Doc!« Der Missourier schob seine beiden Revolver weit nach vorn über die Oberschenkel und ging hinaus.
Collins schickte ihm einen tiefen Seufzer nach. Dann flüsterte er. »Hell and devils, mit diesem Burschen stampfe ich alter Kerl noch durch die Höl-
le!«
Er ging zum Gewehrschrank und musterte die drei Winchesterbüchsen, die da nebeneinander standen. Dann nahm er eine an sich, lud sie durch und ging auf den Vorbau hinaus.
Es war ganz sicher keine Ehre für Orange City, daß ein neunundsiebzigjähriger Mann der einzige war, der wirklich Mut genug besaß, gegen die Verbrecher anzutreten.
Yeah, da waren noch die beiden Flanagans. Sie hatten sich ihre Schürzen abgebunden, als Bliff ihnen die Neuigkeit mitgeteilt hatte, und waren dann ins Wohnhaus gegangen, wo sie ihre Waffengurte hatten.
But stand auf der Türschwelle. »Was jetzt?«
Billy wischte sich die Nase. »Wir müssen doch zu ihm.«
But nickte.
Die beiden Burschen gingen die Gasse hinauf zur Mainstreet. Sie kamen gerade in dem Augenblick an, als ein hochgewachsener Mann die Gassenmündung passierte und den Vorbau des Utah Saloons bestieg.
Verblüfft blieben die beiden stehen.
»Das war doch… Morgan«, entfuhr es Billy.
»Ja, ich hätte auch darauf geschworen«, antwortete sein Bruder. »Wenn ich nicht genau wüßte, daß das ausgeschlossen ist, weil er drüben auf der Ranch totenblaß in der kleinen Kammer liegt, dann…«
Der Marshal hatte die Pendeltüren der Schenke aufgestoßen und blieb dann rechts neben der Tür stehen.
Jim Hunter hockte an einem der leeren Tische und starrte ihn aus glasigen, blutunterlaufenen Augen an.
Wyatt ließ den Blick durch den Schankraum schweifen und heftete ihn dann auf Hunter. »He, du holst mir den Major her, Boy!«
Hunters Gesicht war wie aus Stein gehauen. Fassungslos hockte er da und war keines Wortes fähig.
Zwischen den schwarzen Brauen des Missouriers stand plötzlich eine steile Falte. »Bist du taub, Hunter? Ich habe dir gesagt, daß du mir den Major holen sollst!«
Es war ausgerechnet der hasenfüßige Seld, der sich zur Antwort meldete. »Er braucht ihn nicht zu holen, Sheriff, weil er selbst der neue Major ist.«
Da machte der Marshal drei schwere dröhnende Schritte durch den Raum auf Hunter zu. »Ich sage es dir nicht noch einmal, Junge!«
Jim Break war drüben in der Tür zum Nebenraum erschienen und hatte den Perlschnürenvorhang auseinandergeschoben.
»Das geht klar, Sheriff. Jim, du hast gehört, was er gesagt hat!«
Langsam setzte sich der hartgesichtige Bandit, dem der Faustschlag deutlich anzusehen war, in Bewegung und verließ die Schenke.
In vier Minuten war er mit Jefferson zurück.
Wyatt blickte den Barbier an. »Major, wer hat den Mann aus dem Jail gelassen, der da eingesperrt war?«
Jefferson schluckte. Und Ingo Seld wurde aschfahl.
»Wer?« krächzte der Barbier, der niemals unglücklicher über seinen Posten gewesen sein mochte als in dieser Minute.
Break kam langsam bis an die Theke. »Ich habe den Mann herausgeholt.«
Wyatt sah Break nicht an. »Major, ich habe Sie etwas gefragt!«
Jefferson schluckte wieder. »Mister… Break… Er sagte, es ja schon, Sheriff…«, stammelte er.
Da wandte Wyatt sich zur Seite. »Ich habe wohl nicht richtig gehört, Break. Sie waren im Jail und haben einen Gefangenen rausgeholt?«
Der Riese hätte sich ohrfeigen können, aber es war nicht zu ändern: In seiner Kehle saß wieder dieser verdammte Kloß.
Wyatt stand hochaufgerichtet und unbeweglich da.
»Über diese Geschichte sprechen wir später, Break. Und der Gefangene ist in drei Minuten drüben im Jail, sonst hole ich ihn!«
Er wandte sich um, gab dem Major einen Wink und ging hinaus.
Draußen stand Jim Hunter. Er stierte den Missourier an wie einen Geist.
*
Im Schankraum herrschte eine Luft, die mit Sprengstoff geladen schien. Break stand immer noch an der Theke. Und Seld sah auf die Tür, durch die der vermeintliche Morgan Earp hinausgegangen war.
Da flog der Kopf des Bandenführers herum. »Hatte ich dir nicht befohlen, ihn auszulöschen, Ing?«
»Aber…«
»Kein Aber. Jetzt ist das vertan. Du gehst zurück ins Jail!«
Seld starrte seinen Chef verdutzt an. »Das kann doch nicht dein Ernst sein?«
»Es ist mein Ernst. Vorwärts. Im Augenblick haben wir keine andere Wahl.«
»Aber ihr könnt mich doch nicht…«
»Das hast du Ochse dir selbst zuzuschreiben. Verschwinde!«
Saunders reckte den Kopf hoch. »He, Jim, ich finde, daß das verrückt ist. Wir brauchen jeden Mann.«
»Gegen wen?« kam es schroff von Breaks Lippen.
»Gegen ihn…«
»Gegen den einzelnen Mann, der dazu noch schwer verwundet ist?«
Saunders schob seine schweren Fäuste in die Taschen. »Den Eindruck machte er mir gar nicht.«
Da stand Jim Hunter in der Tür.
»Boß, ich habe eine Menge Schläge ausgeteilt und auch einige kassiert; aber was der Halunke mir da vorhin an den Schädel geworfen hat, das war ein Schmiedehammer. Dem Kerl macht die Verwundung nicht mehr das mindeste zu schaffen. Griffith hatte recht: Die Earps sind aus Eisen!«
Break rieb sich das Kinn und sah ratlos von einem zum andern.
»Jedenfalls ist es jetzt ernst geworden. Der Mann ist gefährlich. Dreimal so gefährlich wie neulich. Das steht fest. Seld geht jetzt ins Jail. Wir holen ihn schon wieder raus!«
Folgerson krächzte: »Wir fordern ihn, Boß. Larry ist ein Coltman, der es mit ihm aufnehmen kann.«
Der vierschrötige Larry federte von seinem Platz hoch. »Bist du verrückt? Du glaubst doch nicht im Ernst, daß ich mich diesem Maschinenmenschen offen stelle?«
»Wer spricht von offen?« meinte Break.
Und wieder schmiedeten die Desperados einen Plan, wie sie den anscheinend unverwundbaren Sheriff Earp ausräuchern könnten…
*
Die beiden Flanagans standen im Office, als Wyatt eintrat. Doc Collins stellte sie dem Marshal vor.
Der reichte ihnen die Hand.
»Well, Boys, es ist schön, daß ihr gekommen seid. Aber im Augenblick brauche ich euch nicht. Ihr könnt wieder an eure Arbeit gehen.«
Doc Collins brummte: »Aber das ist doch… Wir brauchen sie doch auf jeden Fall, Mister Earp. Machen Sie nie den Fehler, Break und seine Leute zu unterschätzen. Die sind jetzt im Augenblick vielleicht etwas deprimiert von Ihrem plötzlichen Auftauchen, aber…«
»Sie sollen gehen«, sagte Wyatt nur. Er wollte niemanden in Gefahr bringen. Und das sagte er auch.
Aber da kam er bei den Flanagan-Brothers schlecht an. »In Gefahr, Marshal? Die Stadt ist in Gefahr. Es ist unsere Pflicht, Ihnen beizustehen.«
Da wurde die Tür vorsichtig geöffnet. Der krausköpfige Tramp Ingo Seld lugte in den Raum.
Wyatt sah ihn mit einem scharfen Blick an und wies mit dem linken Daumen auf die offene Zelle. »Geh in deinen Bau, Kleiner!«
Trippelnd näherte sich der Bandit der Zellentür.
Da packte ihn Billy Flanagan plötzlich, riß ihm den Colt aus dem Halfter und stieß ihn in die Zelle.
»So, Amigo, der Käfig ist zu. Und ich verspreche dir, daß du ihn nur verlassen wirst, wenn du zum Galgen geführt wirst.«
Der Desperado stand mit zitternden Beinen in der Zellenmitte und starrte auf den Boden. Er hatte plötzlich das sichere Gefühl, daß die Worte, die der Bursche da gesagt hatte, nicht nur so dahingesprochen waren.
Wyatt nahm keine weitere Notiz von dem Banditen Seld. Er zündete sich eine große schwarze Zigarre an und ließ sie zwischen seinen kräftigen weißen Zähnen hin und her wandern. Dann stand er auf, ging ans Fenster und sah auf die Straße.
Drüben auf der Uferböschung stand ein Mann. Er war vierschrötig, hatte ein breites Gesicht, das wie aus Holz geschnitten wirkte, und gelbe geschlitzte Augen. Sein Hemd stand vorn auf der Brust weit offen, und seine Weste war kurz und abgetragen. Das blaue Hemd stand in seltsamem Kontrast zu dem grünen Halstuch. Die graue abgewetzte Hose steckte unten in halbhohen Stiefeln. Der Mann trug einen patronengespickten Kreuzgurt. Ganz still stand er da und sah zum Office hinüber.
Doc Collins, der den Missourier beobachtet hatte, fragte mit gerunzelter Stirn: »Geht’s los?«
»Sieht so aus«, entgegnete der Marshal. »Das heißt, nicht für Sie.«
Wyatt schob seine beiden Revolver wieder nach vorn und ging zur Tür. Über die linke Schulter sagte er: »Ich komme gleich zurück!«
Collins lief ihm nach. »Mister Earp, was haben Sie vor?«
Aber der Marshal gab ihm keine Antwort. Er ging über den Vorbau auf den Saloon zu. Collins trat hinaus. Die beiden Flanagans folgten ihm. Drüben vor der Schenke standen Break, Hunter und die übrigen Spießgesellen.
Yellow Jim stand breitbeinig mitten auf den Stepwalks und hatte die Daumen nach seiner Manier, in die Westenausschnitte geklemmt.
Hunter lehnte an der Wand und tat, als gäbe es drüben auf dem Creek etwas Interessantes zu sehen.
Die anderen hatten sich über das Vorbaugeländer gebeugt und sahen auf die Straße. Und drüben, neun Yards entfernt, stand Gordon Breaks Scharfschütze Larry Hayes.
Wyatt ging direkt auf Break zu.
Der Bandenführer hatte sich inzwischen gefangen, und sein altes Selbstbewußtsein stand wieder in seinem unangenehmen Gesicht. Er war jetzt überzeugt, daß die letzte Minute dieses lästigen Sheriffs angebrochen war.
»Wohin so eilig, Earp?«
»Eilig?« Der Marshal war fünf Schritte vor dem Bandenführer stehengeblieben. »Ich habe es absolut nicht eilig, Break. Da ich Ihnen jedoch versprach, noch über zwei Dinge mit Ihnen zu reden, will ich das lieber jetzt gleich erledigen.«
Hunter wandte den Kopf. Auch Saunders und Troub blickten auf.
In Breaks Augen lag ein böses Feuer. »Und was wären das für zwei Dinge?«
»Zunächst ist da die Sache mit dem Sattler Turner noch ungeklärt. Er ist ermordet worden.«
»Was geht das mich an?« fragte Break frech.
»Eine ganze Menge.«
Da wandte der Hüne den Kopf und sah zu Hayes hinüber. Der Scharfschütze riß den Colt blitzschnell hoch und…
… der Schuß, der über die Straße fauchte, kam jedoch nicht aus seinem Revolver.
Wyatt Earp hatte geschossen. Von der linken Hüfte her. Der rauchende Colt lag noch in seiner Hand.
Break war nur für den Bruchteil einer Sekunde verdutzt, als er sah, daß sein Mann drüben in die Knie ging. Er wußte, daß er jetzt selbst an der Reihe war, daß er handeln mußte.
Und das tat er auch. Er warf sich dem Missourier entgegen. Und das war so ungefähr das Dümmste, was er tun konnte. Der pfeifende Schwinger zischte über den abgeduckten Kopf des Marshals. Dafür riß der eine Rechte nach vorn, die krachend am Jochbein des Verbrechers detonierte.
Break stand jedoch, wenn er auch groggy war.
»Ich sagte, daß ich mit Ihnen sprechen müsse, Break«, versetzte der Missourier so, als sei nichts geschehen. »Von Schlagen war keine Rede.«
Der Bandit hatte sich erholt und stürmte auf Wyatt zu. Der rechte Haken war zielgenau auf das Ohr des Marshals gerichtet, traf aber nicht, sondern ging ins Leere.
Gordon Jim Break hatte das Glück, auf den härtesten Fighter getroffen zu sein, den der alte Westen kannte. Wyatt stieß ihn mit einer langen Linken zurück.
»Sie scheinen taub zu sein, Break.«
Der Verbrecher schnaufte und röhrte heiser: »Jetzt wird es ernst, Morgan. Jetzt nehme ich dich auseinander. Was du jetzt erlebst, hat noch kein Mann lebend verdaut.«
Er ballte seine riesigen Fäuste und drängte in den Infight.
Mitten in seinen Schlaghagel hinein feuerte der Marshal eine kurze Rechte, die mitten im Gesicht Breaks explodierte.
Der Bandenchief war schwer getroffen, blieb aber auf den Beinen.
Wyatt stand ruhig da. »Offenbar wollen Sie sich anders mit mir unterhalten.«
»Yeah!« schrie der Bandit und schoß vorwärts.
Da geschah es.
Der Schlag war im Ansatz nicht zu sehen. Tief aus der Hüfte heraus riß der Marshal einen linken Uppercut. Es war sein Spezialhieb, und er war unverdaulich. Auch der herkulisch gebaute Desperado Gordon Break fraß ihn nicht.
Wie ein Vorschlaghammer knallte die knorrige Faust Wyatt Earps in die Kinnspitze des Verbrechers.
Break flog zurück, als ob er angehoben würde. Für den Bruchteil eines Augenblicks stand er auf den Absatzspitzen, dann kippte er seltsam langsam nach hinten und schlug mit polterndem Geräusch auf die schweren Planken.
Gordon Jim Break, der große unschlagbare Yellow Jim, war besiegt. Langausgestreckt lag er da und hatte alle viere von sich gestreckt.
Wyatt sah auf ihn nieder.
»Schade, ich wollte mit ihm sprechen.«
Hunters Rechte zuckte zum Revolver.
Aber da blinkten in beiden Fäusten der menschlichen Kampfmaschine aus Dodge City die Revolver.
»Wir bleiben ganz ruhig, Gentleman. Ist das klar?«
Saunders schluckte einen Fluch hinunter. Hunter rieb die Daumen an den Zeigefingern.
»Das überleben Sie nicht, Earp!« keuchte er.
Wyatt legte den Kopf auf die Seite und fixierte den blonden Banditen scharf. »Das war eine Drohung, Hunter.«
»Yeah, es sollte auch nichts anderes sein. Du kannst dich darauf verlassen, daß Break das nicht so hinnimmt.«
»Seine Sache, Boy. Und jetzt hört genau zu, Freunde. Der Spaß ist jetzt endgültig vorbei. Hier ist ein Mann ermordet worden. Ich werde seinen Mörder an den Galgen bringen.«
Hunter erbleichte.
Wyatt richtete den Buntline Special auf ihn. »Du hast ihn auf dem Gewissen, Hunter.«
»Ich?« stotterte der Bandit. »Wie können Sie das behaupten, Earp! Das ist eine glatte Verleumdung. Ich werde bei Richter Gennan gegen Sie…«
Klatsch. Die flache Hand des Missouriers saß brennend auf dem Ohr des Desperados.
Hunter stieß einen Fluch aus und riß den Colt aus dem Halfter.
Wyatts Stiefelspitze traf die Waffe genau und schleuderte sie weit auf die Straße.
Er redete in Fraktur, der Dodger Marshal.
Aber die Banditen begriffen es nicht. Immer noch nicht.
»Komm mit, Hunter!«
Der Tramp sah sich nach Saunders um. Der senkte den Kopf.
»Vorwärts!« gebot der Missourier.
Und als Hunter sich immer noch nicht rührte, packte Wyatt ihn am Arm und zerrte ihn mit sich zum Office.
Er schloß die Zelle auf und stieß ihn mit einem derben Stoß hinein. Der zweite Mann saß im Jail.
Und Gordon Jim Breaks Crew hatte eine schwere Niederlage einstecken müssen.
Dennoch gaben die Verbrecher nicht auf.
Break war von den anderen in den Saloon geschleppt und mit Wasser wieder zu sich gebracht worden. Benommen hing der Bandenführer auf einem Stuhl und stierte vor sich hin.
»Was war los?« lallte er.
Saunders schob die Fäuste in die Taschen. »Er hat dich niedergeschlagen.«
Break riß den Kopf hoch. »Sag so etwas nicht noch einmal, Halunke, sonst knalle ich dich nieder.«
Saunders wich zur Seite.
Und Troub stand im Schußfeld des Bandenchiefs. Der sah ihn an. »Was los war, habe ich gefragt.«
Der einfältige Troub begriff die Gefahr nicht. »Er hat es doch gesagt, Boß. Der Sheriff hat dich niedergeschlagen.«
Da riß Break den Colt hoch, und der Schuß peitschte durch den Raum.
Troub schrie auf und packte sich an die linke Schulter.
»Noch so ein Wort, Bursche, und du brauchst einen Sarg!« schnaufte der Riese, während er sich erhob und zur Theke taumelte.
Die anderen sahen zu, daß sie aus dem gefährlichen Kreis herauskamen, und zogen die Köpfe ein.
Break polterte: »Ich will jetzt wissen, was los war.«
Folgerson krächzte: »Es hat doch keinen Sinn, Boß, daß wir dir irgend etwas vormachen. Du mußt es doch wissen: Earp hat dich mit einem höllischen Uppercut von den Beinen geholt.«
Der ›unschlagbare Jim‹, wie er sich gern bei seinen Leuten nennen ließ, hatte auf einmal ein völlig verändertes Gesicht. Er sagte heiser: »Wiederhole mir das noch einmal, Krummer.«
Der Schlaks wiederholte seine Worte, wobei ihm nicht eben wohl war.
Break fiel auf seinen Stuhl zurück. »Du willst also allen Ernstes behaupten, daß er mich niedergeschlagen hat?«
»Yeah, und das mit einem einzigen Schlag«, konnte sich Troub nicht enthalten, einzuwerfen.
Da schoß Breaks Hand mit dem Revolver vor. Der Lauf traf Troub an der Stirn und ließ eine blutige Schramme zurück.
Und dann tobte der Riese los. Niemand war mehr vor ihm sicher. Die Männer flüchteten aus dem Schankraum. Sogar der Keeper hatte sich davongemacht.
Break stand allein mitten im Raum. Breitbeinig und schwankend. Immer noch nicht hatte er den furchtbaren Schlag, mit dem der Marshal ihn niedergestreckt hatte, völlig überwunden. Es rauschte und dröhnte in seinem Schädel.
Langsam wandte er den Kopf und sah zur Theke hinüber. Da stand eine halbvolle Whiskyflasche. Der Bandit ging darauf zu, packte sie und setzte sie an den Mund. Er sog das brennende braune Naß in gierigen Zügen in sich hinein.
Die Flasche setzte er erst ab, als sie leer war. Mit einem heiseren Wutschrei schleuderte er sie in den großen Thekenspiegel über dem Flaschenbord.
*
Wyatt Earp ging während der Dunkelheit durch die Straßen. Es war alles still.
Von Break und seinen Leuten war absolut nichts zu sehen. Die Lektion, die der Marshal dem Bandenführer erteilt hatte, war nicht wirkungslos verpufft. Vorerst war den Outlaws der Mut zu weiteren Taten vergangen.
Larry Hayes lag mit einer gefährlichen Halsverletzung bei Doc Wilcox auf einer Pritsche. Aber bald stellte sich heraus, daß sein Leben nicht in Gefahr war.
Wyatt Earp fand sich gegen Mitternacht noch einmal an seinem Lager ein und meinte trocken: »Tur mir leid, Brother, aber ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn jemand hinter meinem Rücken oder in der Flanke plötzlich Sehnsucht bekommt, seinen Colt zu lüften…«
Gegen zwei Uhr war Wyatt wieder im Office. Er schloß die Luken, verriegelte die schwere Bohlentür und legte sich angekleidet auf die Pritsche nieder. Die Nacht blieb still.
Gordon Jim Break, der die erste schwere Niederlage seines Lebens hatte hinnehmen müssen, lag sinnlos betrunken im Nebenraum der Bar auf einem verblichenen grünen Sofa und schnarchte, daß man es bis hinaus auf die Straße hören konnte. Draußen über die Vorbauten streunte ein zottiger Hund. Irgendwo weinte ein Kind im Schlaf. Die Stadt war erschöpft von den nervenaufreibenden Ereignissen des vergangenen Tages.
Als der Morgen mit seinem ersten fahlen Grau über den Horizont kroch, stand Wyatt Earp auf. Er kochte sich auf dem kleinen Kanonenofen einen Kaffee und verzehrte von dem Proviant, den er sich in den Satteltaschen mitgebracht hatte.
Es sah alles ganz ruhig und friedlich aus in Orange City. Der Trader Jeremias Fenner, der gegen halb sechs auf dem Kutschbock seines schweren Prärieschoners durch die Mainstreet schaukelte, ahnte nicht, durch welch einen Höllenort er da fuhr.
Der Missourier stand am Fenster und sah ihn vorbeifahren. Er erinnerte sich plötzlich, daß er dem Händler unterwegs begegnet war und ein paar Worte mit ihm gewechselt hatte. Der Mann wollte hinüber nach Nevada, wo er sich bei den Wildpferdjägern oben im Gregory-B ein großes Geschäft versprach.
Es war ein rauhes, hartes Dasein, das man in diesem Land führen mußte.
Auch der alte Barbier Jefferson lag wach auf seinem Lager. Mit Grauen dachte er an den Tag, der da über der Stadt heraufbrach. Was mochte er Orange City, was sich selbst, dem Major bringen? Es war doch ausgeschlossen, daß der Sheriff allein gegen diese Horde aufkam.
Auch die beiden Flanagans lagen mit müden, offenen Augen auf ihren Betten.
Billy war in der Nacht mehrmals aufgewacht und hatte sich ans Fenster gestellt, um zur Mainstreet hinüberzulauschen.
But hatte ihn mehrmals aufgefordert, ins Bett zu gehen. »Schlaf doch endlich, Bill. Er wird es schon machen…«
Billy nickte. »Yeah, ich glaube es auch.«
Aber er glaubte es absolut nicht. Im Gegenteil, er war fest davon überzeugt, daß auch dieser große Kämpfer keine echte Chance gegen die Break-Bande haben könnte.
Zu groß war die Übermacht der anderen. Gab es denn keinen anderen Weg, dieser Horde beizukommen?
Bill hatte oft gehört, daß die bedrängten Bürger anderer Städte Militär angefordert hatten.
Dieser stolze Wyatt Earp würde das ganz gewiß nicht tun. Lieber würde er im Kampf untergehen. Davon war Bill überzeugt.
Es war gegen sechs Uhr, als er sein Pferd sattelte und es aus dem Hof führte. Er würde nach Glereny reiten, um dort im Fort um Hilfe zu bitten.
So sehr er diesen Wyatt Earp verehrte, es war unvorstellbar für ihn, wie dieser Mann allein mit einer solchen Schar von Verbrechern fertig werden sollte.
*
Der kahlköpfige Jonny Fuller, der früher bei Hochbetrieb oft im Utah Saloon ausgeholfen hatte, sah die Stunde seines Lebens gekommen.
Im Laufe mehrerer Jahre hatte er einige hundert Flaschen und Gläser zusammengetragen, die er vorn in seiner großen Stube auf Borden und Tischen aufgebaut hatte.
Es war nur eine winzige Theke, die er sich selbst zurechtgezimmert hatte. Der Wohnraum war schlauchartig und verhältnismäßig groß. Fuller hatte ein paar Tische und Stühle hineingestellt und sogar einen der Tische grün gestrichen.
Seit Tagen hatte er beobachtet, daß die Männer den gefährlichen Utah Saloon mieden, der sonst immer überfüllt war. Das würde seine Stunde werden.
Als es tagte, schloß er die Tür auf und nahm ein Holzschild, auf das er mit ungelenker Schrift und schmieriger roter Farbe geschrieben hatte: Fullers-Bar.
Schon gegen acht nahte der erste Gast.
Es war der Holzarbeiter Ferguson, der auf dem Wege zu seiner Arbeit war. Als er das Schild sah, das Fuller an einen Vorbaupfosten genagelt hatte, blieb er stehen und kraulte sich den wolligen Schädel.
»He, was war das denn? Hat der vielleicht wirklich eine Bar aufgemacht?«
Ferguson stieg auf den Vorbau und blickte in das hochgeschobene Fenster. »Tatsächlich!« Und weil er den neuen Salooner hinter der ›Theke‹ stehen sah, sagte der Holzarbeiter: »He, das ist ein Ding! Schenk ein. Fuller, ich bin schon unterwegs.«
Um neun Uhr hatten sich schon sieben Männer in der neuen Schenke eingefunden.
Aber der kahlköpfige Jonny Fuller hatte doch nicht den richtigen Zeitpunkt zur Eröffnung seiner Schenke gewählt.
Saunders hatte es zuerst gesehen. Er stieß die Tür auf und blickte in den schlauchartigen Raum, stieß die Männer auseinander und ging nach vorn an die Theke.
»Wer bist du?« schnauzte er.
Fuller, der sich sein bestes weißes Hemd und seine neue rote, mit gelben Stickereien besetzte Weste angezogen hatte, nannte seinen Namen.
»Und wie kommst du dazu, hier den Laden aufzumachen, he? Hast du vielleicht bei Mister Break die Erlaubnis dazu eingeholt?«
»Was geht Break das an?« knurrte Fuller.
Der Bandit schoß ihm einen wütenden Blick zu, wandte sich um und ging mit raschen Schritten hinaus.
Drei Minuten später wußte Break von der Sache. Und sie kam ihm wie gerufen, seine Wut über den Sheriff an irgend jemand auszulassen.
Er stülpte seinen Hut auf und gebot seinen Männer, ihm zu folgen.
Mit stampfenden Schritten näherte sich der Riese der Konkurrenz.
Fuller sah dem Desperado und seinen Kumpanen mit bangen Augen entgegen. Er war zwar ein gerissener, listiger Bursche, aber allzu mutig war er nicht.
Break baute sich mitten in der inzwischen völlig leeren Schenke auf. »Was soll das? Wie kommst du dazu, einfach eine Bar aufzumachen?«
»Weshalb sollte ich es nicht tun, Mister Break?« versetzte der neue Wirt mit unsicherer Stimme. »Schließlich war es seit langem geplant und vorbereitet. Ich habe jahrelang dafür gedarbt, daß ich die Bar aufmachen kann. Und jetzt ist es eben soweit.«
»Aha, es ist jetzt also soweit. Schade!«
Der Riese nahm einen Stuhl und zertrümmerte ihn auf einer Tischplatte. Dann gab er seinen Boys einen Wink.
Innerhalb von wenigen Minuten sah die neue Bar des Jonny Fuller aus, als habe ein Hurrikan in ihr getobt.
Break hatte dem Vernichtungswerk seiner Männer mit ausdrucksloser Miene zugesehen.
Jetzt, als die Arbeit getan war, kam er auf den wie versteinert dastehenden Fuller zu und sagte herrisch: »Was hier in der Stadt getan und nicht getan wird, bestimme ich. Ich nehme an, daß du das von jetzt an weißt!«
Damit wollte er zur Tür.
Die aber war versperrt. Der Sheriff stand in ihrem Rahmen.
Break war stehengeblieben. Aus schmalen, bösen Augen fixierte er den Marshal. »Was wollen Sie hier, Earp?«
»Das wollte ich Sie gerade fragen.«
»Lassen Sie diesen Unsinn. Aus dem Weg jetzt!«
Wyatt blieb stehen. Und während die Banditen von dem grellen Sonnenlicht, das an ihm vorbei in den Raum drang, fast geblendet wurden, sah er scharf und deutlich.
»Sie sollen den Weg freigeben, Earp!« knurrte der riesige Bandenführer gefährlich.
Aber damit machte er nicht den mindesten Eindruck auf den kaltnervigen Mann in der Tür.
»Sagen Sie dem plattnäsigen Jungen da, der links neben Ihnen steht, daß er seine Hände ganz ruhig halten soll. Es kann sein, daß er zittert, aber das kann ihm übel bekommen.«
»Sie bedrohen uns also, Earp!« belferte Break.
»Bedrohen?« Wyatt lachte plötzlich hellauf. »Sie haben eine merkwürdige Art, die Dinge aufzufassen, Gordon Jim Break. Als Sie in Montana Falls den Trader Bigg niederschossen, hatte er Sie geschlagen. Und als Sie in Sioux Falls den Bankier Lonegan niederknallten, war er es, der Sie gekränkt hatte. Und der Sattler Turner hier aus Orange City mußte sterben…«
»Kein Wort mehr!« bellte der Hüne.
»Sie haben das Pech, daß ich meine Sätze zu Ende führe, Break«, kam es drohend von den Lippen des Marshals. »Turner mußte sterben, weil er Ihnen im Wege war.«
»Das ist eine ganz ge…«
»Vorsicht, Break, ich warne Sie!« mahnte der Marshal.
»Warnen? Yeah, Sie können mich warnen. Aber ich denke nicht daran, mich von Ihnen des Mordes verdächtigen zu lassen.«
In fast freundlichem Ton antwortete Wyatt: »Verdächtigen zu lassen? Davon kann keine Rede sein, Break. Ich beschuldige Sie des Mordes an dem Sattler Turner.«
Der Desperado wich einen Schritt zurück. Es dauerte mehrere Sekunden, ehe er zu einer Entgegnung fand.
»Sie wagen zuviel, Earp. Erst haben Sie Hunter niedergeschlagen, und Sie haben es sogar gewagt, mich anzugreifen…«
»Ich habe Sie niedergeschlagen, Break. Und Sie können sich darauf verlassen, daß ich es sofort wieder tun werde, wenn es notwendig ist. Well, ehe wir jetzt über Turner weitersprechen, wollen wir das hier regeln. Salooner, wie hoch schätzen Sie den Schaden, den Ihnen diese Gentlemen verursacht haben?«
Break schoß dem kahlhäuptigen Mann einen warnenden Blick zu. Aber das half nichts.
Fuller war auf seinen Gewinn aus, und er hatte ein feines Gefühl dafür, daß der Sheriff im Augenblick die Oberhand hatte.
»Das kann ich Ihnen genau sagen, Sheriff. Ich habe mehr als dreihundert Dollar in die Stühle und Tische gesteckt. Und dann haben sie mir auch Flaschen und Gläser zerschlagen. Es kommen rund vierhundert Dollar dabei raus.«
»Dreckskerl!« fauchte Saunders. »Dafür nehme ich dich noch persönlich vor.«
»Halten Sie den Rand, Saunders«, schnitt Wyatts Stimme durch den Raum. »Und nun vorwärts, Break. Kassieren Sie die Summe von Ihren Genossen.«
Break stemmte die Fäuste in die Hüften und warf den Kopf in den Nacken. »Sie müssen verrückt sein, Earp…«
In beiden Händen des Marshals lagen plötzlich die Revolver. Die Tramps hatten gar nicht gesehen, wie das passiert war.
»Vierhundert Dollar auf den Tisch da!«
Break knirschte mit den Zähnen. »Nein!«
Da knackten die Revolverhähne des Missouriers.
Break zerquetschte einen Fluch zwischen den Lippen.
»All right, Männer, wir werden das Geld auf den Tisch legen.«
Als das geschehen war, nickte Wyatt. »So, das wäre erledigt. Und was nun die Sache mit Turners Ermordung angeht…«
»Ich habe ihn nicht ermordet!« brüllte Break.
»Nein, aber Sie haben Jim Hunter dazu angestiftet. Ich muß Sie festnehmen, Gordon Break.«
»Das wagen Sie nur!«
Wyatt ging auf ihn zu. Break sah ihm mit flimmernden Augen entgegen.
Da warf sich Saunders rechts zur Seite, und Troub tat das gleiche nach links.
»Nicht doch, Gentlemen, wozu denn diese Verrenkungen?« kam da eine klirrende Stimme vom Eingang her.
Die Desperados schraken zusammen und starrten zur Tür.
Da stand ein schlanker, hochgewachsener Mann. Er trug einen eleganten dunklen Anzug, ein weißes Rüschenhemd, einen schwarzen, breitrandigen Californiahut und eine weinrote Seidenschleife.
In jeder seiner vorgestreckten Hände hielt er einen vernickelten, elfenbeinbeschlagenen fünfundvierziger Revolver.
Break suchte das Gesicht des Fremden zu durchforschen. Es war gutgeschnitten, hager, über der Oberlippe saß ein saubergetrimmter Bart. Ein eisblaues Augenpaar beherrschte dieses Antlitz.
»Was will der denn?« krächzte Saunders.
»Schießen, Amigo«, versetzte der Fremde, »das siehst du doch.«
Break hatte den Unterkiefer vorgeschoben. Eine düstere Ahnung stieg in ihm auf, aber er begriff immer noch nicht, was die Uhr geschlagen hatte.
»He, Earp, was will denn der Kerl da?«
Wyatt überhörte die Frage des Desperados. Er zog Break mit schnellen Griffen die Waffen aus dem Gurt, packte ihn am Arm und schob ihn zur Tür.
Der Fremde machte Platz.
Das glaubten Saunders und Troub zu einem raschen Angriff benutzen zu können.
Sie hatten ihre Revolver hochgerissen, und als sie sie vorstießen, fauchten ihnen aus den Händen des Fremden die Schüsse entgegen.
Die beiden Verbrecher schrien nicht, obgleich sie von scharfen Streifschüssen getroffen worden waren. Mit verbissenen Gesichtern standen sie da und starrten auf die Colts, die der unheimliche Fremde ihnen aus der Hand geschossen hatte.
»Hat noch jemand einen Wunsch?« erkundigte sich der Mann mit den vernickelten Frontierrevolvern.
Nein, es hatte niemand mehr einen Wunsch in dieser Richtung.
Da ließ der Fremde die Colts mit taschenspielerischen Handsaltos in die Halfter fliegen.
Damit ging er auch hinaus.
Und im Jail saß der dritte Gefangene. Gordon Jim Break selbst.
Der Riese war wie benommen vor dem Marshal hergegangen. Erst als die Gittertür mit einem harten Geräusch hinter ihm zuschlug, kam er zu sich und warf sich dagegen. Er spannte seine gewaltigen Fäuste um die Traljen und riß daran, daß das Gitterwerk in seinen Halterungen ächzte.
»Ich bringe dich um, Earp. Und wenn du zehn Brüder hättest, die Wyatt hießen…!«
Draußen ging in diesem Augenblick der Fremde vorbei, hinüber zum Hotel.
Gordon Jim Break und seine Leute mußten mit Blindheit geschlagen sein, daß sie immer noch nicht begriffen, was los war. Hätte der Zorn ihre Köpfe nicht so vernebelt, so müßten sie längst dahintergekommen sein, daß der Sheriff keineswegs Morgan Earp war.
Und ferner hätten sie darauf kommen müssen, daß der elegante Fremde, der so unheimlich schnell und genau mit seinen vernickelten Revolvern umzugehen verstand, niemand anders als Doc Holliday war.
Der berühmte Gambler war schon am Vortage zusammen mit Wyatt Earp nach Orange City gekommen. Aber nach bewährter Methode hatten sich die beiden vor der Stadt getrennt, um nicht so rasch aufzufallen.
Es gab überhaupt nur einen Mann, der den ganzen Vorgang begriffen hatte. Joe Bliff, der kleine Postmaster von Orange City. Er stand zusammen mit Doc Collins vor Fullers Saloon, als es da Krach gab.
Collins rieb sich das Kinn. »Damned«, meinte der Arzt, als Doc Holliday die Schenke verließ und vorüberging, »wer war denn das?«
Bliff zwinkerte. »Dreimal dürfen Sie raten, Doc!«
Aber Collins schüttelte den Kopf. »Ich bin doch kein Hellseher«, meinte er.
»Sie sind doch sonst so klug. Überlegen Sie mal, wer ist der Mann im Office?«
»Wyatt Earp.«
»Nicht so laut«, mahnte Bliff. »Und jetzt fragen Sie noch, wer der Gent da mit den beiden höllischen Revolvern ist?«
»Doc Holliday!« entfuhr es dem Arzt. Er hieb sich mit der flachen Hand aufs Knie und stieß einen leisen Pfiff aus. »Hell and devils, ich bin wirklich ein Büffel, daß ich nicht selbst darauf gekommen bin. Doc Holliday!« Plötzlich hielt er inne und machte ein sorgenvolles Gesicht. »He, Bliff, kneifen Sie mich einmal ordentlich in den Arm, damit ich weiß, daß ich nicht zufällig daheim auf meinem Sofa liege und penne!«
Der Postmaster tat ihm lächelnd diesen Gefallen.
Da schüttelte der alte Arzt den Kopf. »Ich kapiere es trotzdem immer noch nicht: Wyatt Earp und Doc Holliday in Orange City. In unserem gottverlassenen kleinen Nest! Damned, wenn das nicht eine Sensation ist, die mich direkt dazu zwingt, eine Weihnachtszigarre anzustecken, dann will ich nicht der alte Feldarzt John Fenimore Collins sein. Heavens, haben Sie den Georgier etwa auch gerufen?«
Bliff schüttelte den Kopf und grinste. »No, Doc, das war nicht nötig. Eine Nachricht nach Dodge wirkt wie eine gutgezielte Billardkugel. Da klickert’s dann gleich an mehreren Stellen.«
»Rollen etwa noch mehr Berühmtheiten an?« wollte der Arzt wissen.
»Keine Ahnung. Glaube ich aber nicht. Die beiden schaffen das allein.«
Collins kratzte sich den Schädel. »Es sieht im Augenblick ganz so aus. Gordon Break sitzt im Jail und zwei seiner Halunken mit ihm. Aber ich traue ihm nicht über den Weg. Dieser Kerl hat todsicher noch mehr auf Lager.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich vermute, daß seine Leute noch längst nicht alle in der Stadt sind. Das denke ich deshalb, weil er sich so widerstandlos hat abführen lassen. Das paßt nicht zu ihm.«
Bliff wiegte nachdenklich den Kopf. »Ich weiß nicht. Wenn ich Wyatt Earp und Doc Holliday gegen mich hätte, würde ich auch keinen Widerstand leisten.«
»Richtig. Aber er weiß ja schon gar nicht, mit wem er es eigentlich zu tun hat…«
Die Vermutung des Doktors John Fenimore Collins war richtig.
Yellow Jim hatte noch längst nicht alle Karten aufgedeckt. Draußen in den Hügeln warteten noch vier seiner Leute. Und jetzt war er froh, daß er sie noch im Hinterhalt gelassen hatte.
Ben Lupton hatte immer saubere Arbeit geleistet mit seinen drei Freunden. Die vier waren schon seit einem Jahr bei Break, und er hatte sie immer nur dann eingesetzt, wenn es wirklich hart auf hart ging.
Und daß Saunders und die andern dafür sorgen würden, daß Lupton mit seinen Männern erfuhr, was sich in der Stadt ereignet hatte, davon konnte Break überzeugt sein.
Der Bandenführer hatte seiner Crew versprochen: »Dieses Orange City wird unser sein! Wir werden es wie die Belwoods machen, die ganz Atlantic City an sich gebracht haben. Wo Jonny Belwood heute Major ist, wo sein Bruder Ed den Stern trägt, wo Phin, der jüngste der Brüder, die Bank führt und wo die anderen Mitglieder der Bande alle Schenken, Stores und Mietställe besitzen…«
Der Gelbe Jim hatte dabei offensichtlich vergessen, daß die Tage weit zurücklagen, in denen Männer wie die Belwoods zu ihrem Reichtum gekommen waren. Fünfzehn Jahre waren seit dem historischen Raubzug der Belwoods vergangen. Allerdings war es niemandem gelungen, sie aus ihren Nestern zu vertreiben. Zu schwach war die Stadt gewesen, zu lahm ihr Widerstand, zu viele Bürger waren zu den Belwoods übergelaufen.
Aber wie gesagt, fünfzehn lange Jahre lagen dazwischen und das Gesetz hatte seitdem seinen Vormarsch weit in den Westen hinein angetreten.
Wenn auch diese Ecke des Staates Utah noch sehr abgelegen und einsam geblieben war, sie lag doch nicht weit genug vom Arm des Gesetzes entfernt, als daß es einem Mann wie Gordon Break hätte gelingen können, den großen Belwood-Coup nach so langer Zeit hier noch einmal zu wiederholen.
Vor vierzehn Tagen hatte er seiner Crew oben in den Hills mit theatralischen Gesten erklärt: »Wir werden die Stadt beherrschen. Was die Belwoods konnten, können wir lange. Ich bin sogar sicher, daß wir mehr leisten. Orange City bedeutet mehr als die Stadt, die die Belwoods damals eroberten. Ich habe die Pläne in der Satteltasche, und heute will ich euch auch sagen, was mich hierhergetrieben hat. Es gibt Gold in Orange City. Ich kenne die Grundstücke genau. Die Pläne haben mich eine Menge Geld gekostet. Und ganz sicher habe ich es nicht umsonst investiert. Irgendwie werde ich mich in den Besitz dieser Grundstücke bringen. Wenn es sein muß, mit Gewalt…«
Eines der Grundstücke gehörte Larry Hoch, das andere dem Salooner Mat. Das Wichtigste aber war der Streifen, auf dem heute das Sheriff Office stand.
Seine Männer rätselten lange darüber, wem Yellow Jim diese Pläne abgekauft haben könnte. Sie würden es nie herausbringen.
Break hatte die Pläne nämllich nicht gekauft. Er hatte sie gestohlen, von dem er sicher sein konnte, daß er schwieg. Er hatte diesen Mann ermordet.
Es war der alte presbyterianische Pater Joel Roover.
Vor einigen Tagen hatte sich der greise Geistliche dazu entschlossen, eine irdische Pilgerfahrt drüben im Osten zu beschließen, von dort war er vor mehr als einem halben Jahrhundert hierher in dieses wilde junge Land gezogen.
Roover hatte sich gegen die Indianer, die einstigen Herren dieses Landes, verteidigen müssen, gegen weiße Banden und später gegen den Unverstand der Bürger in der eigenen Stadt.
Eigentlich hatte Pater Roover Orange City gegründet.
Er selbst hatte hier die kleine Kirche, ein Blockhaus und einen Stall gebaut. Später waren dann die Siedlertrecks am Indian Creek entlang westwärts gezogen, und immer wieder war einer der Planwagen an der Kirche stehengeblieben.
Orange City war gegründet worden. Es war gar nicht einmal allzulange her.
Pater Roover hatte vorher lange Zeit in anderen Ecken dieses Landes gelebt und sich mit heiligem Eifer darum bemüht, das Wort Gottes zu den Menschen zu bringen.
Und dann war er müde geworden. Er hatte sich von den Bürgern verabschiedet, hatte dem jungen Geistlichen, der schon seit einer Weile hier lebte, alles übertragen und sich in die Overland gesetzt, die hinüber nach Colorado fahren sollte.
Etwa neun Meilen hinter Bowlingtown, an den Steilhängen der Windriver Hills, wurde die Overland-Postkutsche überfallen. Von einem einzelnen Reiter.
Die beiden Männer auf dem Kutschbock waren sofort tot. Und der Pater, der der einzige Fahrgast war, wurde von dem Banditen brutal aus dem Fond des Wagens gezerrt, auf den Weg geschleppt und niedergeknüppelt.
Der Verbrecher war Gordon Jim Break.
Er fand nur sehr wenig Geld bei dem Geistlichen. Dafür aber den Plan. Es war eine Bodenskizze von der Stadt Orange City.
Und ganz klar und deutlich stand quer über drei Grundstücksrechtecken das Wort Gold. Es waren sogar Kreuze auf diesen Feldern.
Der Desperado Yellow Jim, der kaltblütige Mörder, hatte auch den Pater getötet und das Weite gesucht. In seiner Satteltasche steckte der Plan von Orange City und die Kreuze, die die Goldlager verrieten.
Das Sheriff Office und ein Teil von Hellmers Mietstall hatten die größten Kreuze. Break wußte, daß viele Geistliche von Goldfunden wußten, sie aber geheimhielten. Er war überzeugt, den Fang seines Lebens getan zu haben.
Diese Tatsache wog schwerer als das Bewußtsein, daß Lupton in der Nähe war. Das war es, was ihn so widerstandslos mit dem Sheriff ins Jail hatte gehen lassen.
Er befand sich ja direkt über seinem Gold! Yeah, Gordon Break hielt es schon für sein Gold.
Der Plan des alten Paters trug die Jahreszahl 1870. Hätten die Menschen in der Stadt etwas von diesem Plan und also von dem Gold gewußt, das der Pater gefunden haben mußte, so würden sie sich ganz sicher nicht so hart durchs Leben geschlagen haben, wie Break das in den wenigen Tagen, die er in Orange City weilte, hatte beobachten können.
Wer auf den Goldadern saß, der schaffte sich nicht die Hände mit anderer Arbeit rissig. Das stand für Break fest.
Und deshalb hatte er dieses Orange City gesucht. Es war gar nicht so ganz einfach gewesen, es zu finden. Schließlich gab es mehrere Ansiedlungen im Westen, die diesen Namen trugen.
Das Herz des Verbrechers hatte wild geschlagen, als er die kleine Stadt an dem Creek fand. Als er von seinem Späher eine Skizze der Straßen und der Hofanwesen erhielt.
»Das ist es!« hatte er ausgerufen. »Das muß es sein! So, Männer, jetzt beginnt der große Kampf um unsere Zukunft. Wir müssen und werden dieses Orange City erobern.«
Um aber die Männer tatsächlich zu einem entschlossenen Kampf anzufeuern, hatte er sein Geheimnis so weit gelüftet, wie er es für erforderlich hielt. Er hatte sich jedoch gehütet, Einzelheiten bekanntzugeben.
»Wir müssen kämpfen, als ginge es um unser Leben. Ihr werdet es nicht bereuen, Boys!« –
Yeah, so war es gewesen. Aber das wußte außer dem Mörder Break selbst niemand.
Yellow Jim war gekommen, um den Belwood Coup hier am Indian Creek noch zu übertreffen. Im ganzen Westen würden sie von ihm sprechen. Der Name der Belwoods würde völlig von seinem Ruhm verdunkelt sein.
Yellow Jim hat am Indian Creek Goldlager gefunden!
Die Tatsache allein würde genügen, ihm ein Ansehen zu geben, das auch durch seine dunkle Vergangenheit kaum noch getrübt werden konnte. Wer reich war, der war auch mächtig.
Das Gesetz?
Gordon Break dachte nicht gern an das Gesetz. Was hatte er damit zu schaffen? Er machte seine eigenen Gesetze, mit Pulver und Blei.
Das war es, was der Gelbe Jim auch im Jail noch dachte.
*
Der Bandit Troub wurde von Saunders, der sich jetzt eine Art Führerrolle anmaßte, dazu bestimmt, Lupton aufzusuchen und zu informieren.
»Du weißt, wo du ihn findest. Sag ihm, daß der Boß und die beiden anderen im Jail stecken. Und berichte ihm alles, was sich in der Stadt ereignet hat. Er wird höchstwahrscheinlich lachen, wenn er erfährt, daß wir alle vor einem einzelnen Mann die Köpfe einziehen, aber du mußt ihm sagen, wie es sich verhält!«
Troub war von dem Job nicht begeistert. Der Umgang mit Lupton war alles andere als angenehm. Der Kreole war ein widerlicher Bursche, der selbst von seinen Kameraden gleichermaßen gehaßt und gefürchtet wurde. Es gab niemanden, der gern mit dem einäugigen pockennarbigen Texaner umging.
Luptons Freund, der schwarze Tino, hatte ein olivfarbenes Gesicht und schimmernde Kohlenaugen. Er war ein Messerwerfer, wie es wohl gefährlicher kaum einen zweiten gab.
Dann war da noch Jube Pegger, der untersetzte bullige Muskelklotz aus Tennessee, der sich hüten mußte, an einem Sheriff Office vorbeizureiten, denn von ihm gab es mehr Steckbriefe als von sonst irgendeinem der Crew.
Pete Lestinov war ein Balte, ein fahler, verschlagener Bursche, der niemandem in die Augen sehen konnte.
Lupton, Pegger, der Mexikaner Tino, von dem niemand den Nachnamen kannte, und der fahlgesichtige Lestinov – das war Gordon Breaks Elite. Es waren die gefährlichsten Burschen seiner Bande. Well, Jim Hunter und Cass Saunders standen ihnen in nichts nach, aber die Burschen, die Lupton mitgebracht hatte, hielten zusammen. Sie waren immer zu viert…
Troub hatte sich auf den Weg gemacht. Nach einer knappen Stunde war er so weit oben in den Hills, daß der Posten Luptons ihn sehen mußte.
Troub ritt langsam durch eine Niederung, hielt auf eine Buschgruppe zu, und plötzlich schwirrte ein Lasso durch die Luft, dessen Schlinge sich blitzschnell um seinen Oberkörper legte.
Troub wurde vom Pferd gerissen und stürzte hart auf den nur von dünnem, struppigem Präriegras bewachsenen Boden.
Er warf sich herum, brachte sich in sitzende Stellung und starrte aus wütenden Augen zu den Büschen hinüber, wo ein mittelgroßer Mann stand, der breit lachte und das Lassoende noch fest in der Hand hielt.
Welch ein Gesicht! Die linke Hälfte war wie abgetrennt und schien überhaupt keine Ähnlichkeit mehr mit einem menschlichen Antlitz zu haben. Die Augenhöhle war leer und feuerrot. Der Nasenflügel abgeteilt, und der linke Mundwinkel war durch eine scharfe flammendrote Narbe, die sich von dort bis zur Stirn hinaufzog, abgeschnitten.
Die Kleidung dieses Mannes wirkte auf eine seltsam farbige Art komisch. Er trug auf seinem struppigen roten Kopf einen Biberpelz mit langem, abgegriffenem Schwanz. Sein Hemd konnte vor langer Zeit einmal weiß gewesen sein. Es stand am Hals offen. Die Joppe war aus Leder, vielfach zerfetzt und mit zahllosen Flicken besetzt. Die Hose war so breit, daß mühelos zwei Männer darin Platz gefunden hätten. Die Stiefel waren hochschäftig und mußten einem wahren Goliath gehört haben. Über dem Lederrock trug er einen Waffengurt aus schreiend hellem Leder, der drei Revolvergurte hielt. Ein Umstand, der dem ohnehin skurrilen Aussehen des Mannes ein geradezu martialisches Aussehen gab.
Rechts und links an den Hüftseiten steckten je ein achtunddreißiger Single Action Colt. Vorn, fast in der Mitte, trug er noch einen Revolver, dessen Knauf mit Perlmutt beschlagen war. Es war ein Berangia Colt vom Kaliber zweiundzwanzig.
Und dieser Mann war der Banidt Ben Lupton. Er kam aus dem Panhandle, aus einer Gegend in Texas, aus der schon andere berüchtigte Banditen gekommen waren. Dieser Tex war wohl der höllischste Bursche in der Break-Bande.
Wild lachend stand er jetzt da. »He, Troub, war das nicht ein prächtiger Wurf? Du kannst von Glück sagen, daß ich mich an deine Visage erinnerte, andernfalls hätte Tino dir in dem Augenblick, als du auf dem Boden ankamst, eine Ritze ins Fell geworfen. Stimmt’s, Tino?«
Ein mittelgroßer schlanker Mann trat auf der anderen Seite aus den Büschen. Sein Gesicht war olivbraun, seine schrägsitzenden Augen schimmerten wie schwarze Achate. Über seiner Oberlippe saß ein fadendünner, scharf ausrasierter Schnurrbart. Sein Haar war lackschwarz und ölig; es wuchs ihm hinten in den Hemdkragen hinein. Der Mexikaner Tino hatte ein Gesicht, das man hübsch hätte nennen können, wenn nicht der lauernde Zug in seinen Augen gewesen wäre. Er trug ein weißes Hemd mit boleroartigen Ärmeln, im linken Ohr einen goldenen Colt; dafür hatte er zwei Messer im Gurt stecken. Seine Stiefel waren aus weichem Leder und saßen eng an seinen Beinen.
Da kam drüben hinter Lupton ein fahlgesichtiger Mann mit tief in den Höhlen liegenden Augen zum Vorschein: der baltische Auswanderer Peter Lestinov. Ihm folgte der vierkantige Jube Pegger. Beides Gestalten, die durchaus zu der übrigen Break Crew, die in Orange City gastierte, paßten.
Troub raffte sich hoch.
»Laß endlich den Riemen los, Lupton. Du schnürst mir ja die Luft ab!«
Der Einäugige lachte krächzend. »Kleiner Vorgeschmack auf den Galgen, Brother!« Dann endlich lockerte er das geflochtene Seil, und Troub konnte sich aus der Schlinge winden. Lupton und die anderen kamen auf ihn zu.
»Was bringst du denn?« wollte der Texaner wissen.
»Nichts Gutes, leider.«
»Schieß los!«
»Der Boß sitzt im Jail…«
»Was?« kam es entgeistert von vier Lippenpaaren.
»Aber das ist doch ausgeschlossen. Wie kommt er denn da hin? Wer hat ihn eingelocht? Wo sind denn die anderen? Hunter und Saunders?«
»Hunter sitzt auch. Ing Seld ebenfalls!«
Lupton schneuzte sich mit einem gewaltigen blauen Taschentuch und rieb sich durch den Nacken.
»Los, spuck schon aus, Mensch, was ist passiert? Ist Militär in die Stadt gerückt?«
»Nein.«
»Wie kommt Break denn in den Käfig?«
»Der Sheriff hat ihn eingelocht.«
»Der…« Die vier waren sprachlos.
Troub mußte berichten, so schwer es ihm fiel.
Endlich fauchte Lupton: »So sieht das also aus! Dieser verdammte Blechorden-Transporteur ist zurückgekommen und hat sich einen Schießer mitgebracht.«
»Einen Schießer?« Troub überlegte. »Nein, so sah der Mann eigentlich nicht aus.«
»Schießer sehen nie so aus«, belehrte ihn Pegger, »das ist eben ihr Trick.«
»Wir werden ihn in die Horizontale bringen«, warf Lestinov mit einem linkischen Grinsen ein.
»Das sowieso!« erklärte Lupton. »Auf, Boys, wir reiten in die Stadt.«
Troub hob die Hand. »Wartet noch. Saunders sagte…«
Lupton hatte einen hellen Pfiff ausgestoßen; drüben aus den Büschen trabte ein starkknochiger Brauner heran.
Lupton zog sich sofort in den Sattel. »Was Saunders sagt, interessiert mich nicht. Er ist nicht der Boß.«
Schweigend bestiegen auch die anderen ihre Gäule.
Troub blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen. Als er Lupton eingeholt hatte, rief er ihm zu: »Ihr sollt erst nach Einbruch der Dunkelheit kommen!«
Lupton hielt seinen Gaul an und stützte sich auf das Sattelhorn. »Hat Saunders das gesagt?« knurrte er.
»Es hieß, das Break es gesagt haben soll«, suchte Troub einzulenken.
Der starrsinnige Texaner fiel auf den Trick herein.
»Yellow Jim weiß schon, was er will. Es ist richtiger, wenn wir erst im Dunkeln in die Stadt kommen. Die Halunken brauchen uns ja nicht gleich zu sehen.«
Troub grinste still vor sich hin. So konnte er wenigstens auch für ein paar Stunden aus dieser vertrackten Stadt wegbleiben.
*
Als es dunkel geworden war, ritt der Missourier aus der Stadt. Er hielt auf die Hills zu in die Richtung, in der er den Tramp hatte wegreiten sehen.
Wyatt dachte genau das, was auch Doc Collins gedacht hatte: Break hat draußen vor der Stadt noch Verstärkung. Noch weitere Männer, die ihn notfalls aus der Klemme reißen sollen.
Wyatt ritt nicht sehr gern aus der Stadt, aber er wußte Doc Holliday ja in der Nähe des Jails. Es gab keinen Mann, den er lieber in seinem Rücken gehabt hätte. Der Gambler würde Augen und Ohren offenhalten und in Aktion treten, wenn es erforderlich war.
Der Marshal wollte feststellen, wo sich die restlichen Tramps aufhielten.
Nach einer halben Wegstunde drang plötzlich ferner Hufschlag an sein scharfes Ohr. Er entfernte sich vom Fahrweg und verbarg sich hinter einem Gestrüpp.
Der Hufschlag wurde härter, und bald wußte der erfahrene Savannenläufer, daß es sich um fünf Reiter handelte. Breaks Verstärkung war unterwegs!
Wyatt wandte sofort den Falben und preschte in einem Halbkreis vom Fahrweg weg wieder auf die Stadt zu.
Er erreichte sie einige Minuten vor den Banditen.
Als er den Falben untergebracht hatte, verschloß er das Office und ging auf die Straße.
Ein dunkler Schatten drüben vor der Hoteltür überzeugte ihn davon, daß auch der Georgier auf dem Posten war.
Da Doc Holliday vorn auf der Straße wachte, beschloß Wyatt, durch die enge Lücke zwischen den Häusern hinter dem Hof des Sheriff Office zu bleiben. So war es den Desperados nicht so leicht möglich, an das Jail heranzukommen. Denn daß sie das vorhaben würden, stand für ihn fest.
Vorn auf der Straße war alles still.
Doc Holliday lehnte, wie er es immer und überall zu tun pflegte, an einem Vorbaupfeiler und rauchte.
Fast eine Stunde verging.
Dann war es soweit. Rechts vom Utah Saloon her kamen zwei Männer langsam über die Gehsteige und näherten sich dem Sheriff Office.
Holliday sah nicht zu ihnen hinüber.
Sie kamen also von zwei Seiten. Der erste Angriff galt zweifellos ihm selbst, und nicht dem Jail.
Holliday spähte unauffällig an der Häuserfront entlang, und dann sah er es hell aus dem Dunkel schimmern. Die Hemdbrust eines Mannes. Und gleich dahinter noch einen hellen Fleck. Das Gesicht eines zweiten Mannes.
Troub und der fahlgesichtige Lestinov kamen da auf Zehenspitzen heran.
Rechts die beiden Männer waren stehengeblieben. Es waren Saunders und Lupton selbst.
So sehr der Georgier auch seine Augen und seine Ohren anstrengte, er vermochte nur diese vier Männer auszumachen.
Saunders äugte zu dem Fremden hinüber und meinte flüsternd: »Da steht er, der Kerl. Wir müssen vorsichtig sein. Ich sage dir, er schießt schneller als sonst irgend jemand. Ich habe Bill Hickok und Billy the Kid gesehen. Wes Hardin und Colorado Bill, sie sind zu langsam gegen ihn.«
Lupton zündete sich eine Zigarette an. »Macht euch doch nicht in die Hosen, Männer. Den Jungen könnt ihr mir ganz allein überlassen.«
»Das wird dem Boß nicht gefallen«, knurrte Saunders.
Lupton warf den Kopf nach ihm herum. »Dem Boß nicht gefallen? Wenn ich das schön höre! Was will er denn? Er sitzt im Jail. So großartig hat er sich hier gehalten, daß ein einzelner Kerl mit einem Stern ihn packen und einlochen konnte. Den Weg, auf dem ich ihn wieder herausboxen werde, den muß er mir schon überlassen.«
»Wenn Pegger rasch genug ist, kann er es vielleicht schaffen«, suchte Saunders einzulenken.
Lupton bleckte sein Pferdegebiß. »Wenn er schnell ist?« fauchte er. »Pegger ist der schnellste Schütze, den es gibt. Wes Hardin hat einen Bogen um ihn gemacht!«
Doc Holliday lehnte nach wie vor still an dem Pfeiler und schien vor sich hin zu dösen.
Lestinov und Ike Troub hatten sich zwölf Yards weiter unten dicht an die hölzerne Hauswand gepreßt.
Lupton und Saunders standen an der Vorbauecke, etwas über acht Yards von dem Gambler entfernt.
Und so begann es.
Lupton hatte die Zwickmühle raffinierter angesetzt als neulich Hunter. Sein Scharfschütze würde nicht gleich in Aktion treten. Erst hatte Lestinov seine Finte anzubringen.
Und der Balte machte es nicht eben schlecht. Er sprang plötzlich vor und rief. »He, Coltman!«
Dabei schoß er schon.
Und dann erst kam drüben hinter der Böschung Pegger hoch und…
… aber er kam nicht mehr zum Schuß.
Auch Saunders nicht, der mit einem weiten Sprung auf die Straße gekommen war, um den Fremden sicher im Schußfeld zu haben.
In höllischem Stakkato spien die Revolver des Georgiers ihr tödliches Blei durch die Nacht.
Lestinov und Pegger schienen fast gleichzeitig getroffen worden zu sein.
Da knickte Saunders in die Knie.
Der Phantomschütze aus Georgia, der Bostoner Zahnarzt Doktor John Holliday, hatte sich im Flugwirbel herumgeworfen und lehnte jetzt in der Türnische des Hotels.
Ike Troub war für drei Sekunden völlig paralysiert vor Schreck. Dann wandte er sich um und hastete mit polternden Schritten über die Vorbauten davon.
Nur Lupton stand noch auf seinem Platz. Aber er war keiner Bewegung fähig. Er hatte sie fallen sehen, alle drei, Lestinov, Saunders und Pegger.
Pegger! Damned! Es war doch nicht möglich, daß auch er erwischt worden war. Weggefegt wie ein dürrer Ast im Herbststurm. Pegger, der schnelle unschlagbare Pegger, um den selbst Wes Hardin…
Lupton griff sich an die Kehle; sie schien wie ausgedörrt. Die Zunge klebte ihm wie ein Blatt Papier am Gaumen.
Lupton war zum erstenmal in seinem Leben deprimiert. Einen Herzschlag lang dachte er an seinen Boß, der da drüben im Jail saß und den er für einen Dummkopf gehalten hatte. Im geheimen mußte er ihm jetzt eine Menge abbitten. Daß Break vor diesem Mann da kapituliert hatte, begriff Lupton jetzt.
»Hallo«, ertönte es da hinter ihm.
Der Schreck, den der Gunfight ihm in die Glieder gejagt hatte, war noch nicht überwunden. Lupton stand steif da; es dauerte mehrere Sekunden, ehe er sich umwenden konnte.
In der Gassenmündung stand ein Mann. Er war sehr groß und trug einen dunklen Anzug. Links auf der Brust blinkte ein Stern.
»Earp!« schoß es Lupton durch den Kopf. »Der mörderische Earp!«
»Hallo!« gab er heiser zurück.
»Was los?«
Lupton preßte die Zähne aufeinander. »Nein, eigentlich nicht, Sheriff.«
»Riecht so nach Gunsmoke, finden Sie nicht?«
Lupton nickte. »Yeah, kann sein.«
Der Missourier kam näher, betrat den Vorbau und blieb vor dem Desperado stehen. »Ziemlich ungemütliche Stadt hier, finden Sie nicht auch?«
»Kann ich nicht sagen«, entgegnete Lupton mit belegter Stimme. Er wußte zwar, daß Cardup, Trill und Cranacher drüben in der Saloontür standen, aber er war sicher, daß sie sich nach dieser Schießdemonstration nicht sehen lassen würden.
»Yeah«, meinte Wyatt. »Erst war es ein Cowboy, der hier umgebracht wurde, dann ein Schuhflicker, dann ein Sattler. Hier haben sich ein paar unfreundliche Boys eingefunden, die mit Gewalt an den Galgen wollen. Drei von ihnen sitzen im Jail. Einer, ein Zigan, betätigte sich als Heckenschütze und biß ins Gras. Ich werde das Gefühl nicht los, daß viele sich in den Kopf gesetzt haben, ausgerechnet hier in dieser friedlichen kleinen Stadt ins Gras zu beißen.« Wyatt nahm eine Zigarre aus der Tasche und riß ein Zündholz dicht neben Luptons Gesicht am Vorbaupfeiler an. »Menschen gibt’s.«
Der Mörder Ben Lupton spürte, wie es ihm heiß und kalt über den Rücken lief.
»Sie sind Sheriff Earp, nicht wahr?«
»Ich heiße Earp«, antwortete Wyatt, »das stimmt.«
»Und der Mann, der da eben geschossen hat, ist das etwa Ihr Bruder?«
Wyatt wandte den Kopf. »Mein Bruder? Nein, wie kommen Sie denn darauf?«
Lupton wischte sich verwirrt durch sein Gesicht.
»Ich werde jetzt in den Saloon gehen und einen Drink nehmen. Kann ich Sie einladen?«
»Thanks, ich habe noch zu tun.«
*
Dann standen sie im Utah Saloon an der Theke.
Endlich sagte der Mexikaner mit schnarrender Stimme: »Er hat sie alle drei erwischt. Sie sind tot.«
»Wie kannst du so etwas Übles behaupten, Mex!« kam es da klirrend von der Tür her.
John Holliday stand im Eingang. Er hatte die Beine gespreizt und die Hände in den Jackentaschen. Seine hellen Augen glitzerten wie Bergkristall.
Die Tramps waren herumgefahren. Damned, da stand er wirklich, der Phantomschütze!
Das war zuviel für sie. Drei von ihnen stürzten zur Tür des Nebenraumes.
»Halt!« Schneidend hatte der Spieler den Befehl ausgestoßen.
Er stand jetzt neben der Tür. Und in seinen Händen lagen wieder die Revolver. »Ich habe euch noch etwas zu sagen, Boys. Ich bin ein friedlicher Mann und liebe die Nachtruhe. Wenn ich jetzt auch nur noch das geringste höre, wird es heiß in Orange City für euch. Und jetzt sammelt gefälligst eure angeschossenen Kumpane ein. Es gibt zwei Ärzte in der Stadt, die sich allerdings dafür bedanken werden, noch so spät von solchem Pack gestört zu werden.«
Damit wandte er sich ab und ging hinaus.
Die Break-Leute starrten auf die Tür. Dann sahen sie einander an.
Cranacher schob sich den Hut aus der Stirn und stieß die Luft prustend durch die Nase. »Hell and fire! Ich fresse einen Besen, wenn ich noch länger als eine Stunde in diesem Satansnest bleibe.«
»Friß ihn!« fauchte Lupton.
Trill nagte an seiner Unterlippe. »Wer ist denn der Kerl? Ich werde das Gefühl nicht los, daß er uns allen hier noch ein stilles Plätzchen auf dem Boot Hill besorgen wird, wenn wir nicht verschwinden.«
»Wir können nicht verschwinden!« zischte der Mexikaner. »Gordon Break sitzt im Jail!«
Trill knurrte gallig: »Na und, sollen wir uns deswegen hier abknallen lassen wie die Hasen? Das geht doch nicht mehr mit rechten Dingen zu. Benny Vaugham hat mir von den Earps erzählt. Wer sich mit denen einläßt, kann seinen Grabstein bestellen. Die Hunde sind mit allen Wassern gewaschen. Dagegen ist nicht anzukommen. Was wir auch anstellen…«
Die Stimmung der restlichen Break-Mannschaft war unter den Nullpunkt gesunken.
Lupton hatte alle Mühe, die Männer bei der Stange zu halten.
Bei Cranacher wollte ihm das nicht gelingen. Der Tramp schlich sich zur Tür, huschte hinaus und suchte seinen Gaul.
Lupton folgte ihm. Am Mietstalltor erreichte er ihn. »Bleib stehen.«
Cranacher wandte sich um. Es zuckte in seinem Gesicht. »Was willst du? Du kannst doch nicht allen Ernstes verlangen, daß wir uns hier wegen einer hirnverbrannten Idee Breaks der Reihe nach auslöschen lassen. Trill hat recht: Die Earps sind nicht zu schlagen. Weiß der Teufel, wen dieser Morgan noch alles mitgebracht hat!«
»Er hat niemanden mitgebracht…«
»Und der Stadtfrack mit den weißen Revolvern? He, ist das vielleicht der Gouverneur oder ein Seifenhändler? Der Kerl ist doch eine Schießmaschine. Wenn du nur an deinen Colt denkst, hat er seinen schon in der Hand.
Hör zu, Lupton. Ich bin in dieses verdammte Land gekommen, weil ich daheim in Quincy dreihundert Dollar aus der Kasse meines Prinzipals habe mitgehen lassen. Ich habe bei der Overland und bei der Railway gearbeitet. Dann stieß ich auf Gordon Break. Ich bin bis heute mit ihm geritten. Aber ich habe nicht die mindeste Lust, mich seinetwegen in die Hölle befördern zu lassen. Sieh dir den Saunders an und den Burschen mit den schnellen Revolvern. Diesen Leuten sind wir doch nicht gewachsen! Bist du tatsächlich so blind, daß du nicht merkst, was hier los ist?«
Lupton zog seinen Revolver. »Du bleibst hier, Cranacher.«
»Nein!«
Da hob der Texaner die Schußwaffe.
»Nicht doch, Einauge. Wir haben ja gar nicht so viel Särge in der Stadt«, schlug es da metallisch an die Ohren Luptons.
Wyatt Earp stand hinter ihm im Mietstalltor.
»Komm, Tex, laß das Eisen fallen, sonst brauchst du selbst einen Sargtischler.«
Lupton stieß einen Fluch aus und wirbelte herum.
Aber er war nicht schnell genug für den Missouri-Mann.
Der warf sich ihm entgegen und schleuderte ihm einen krachenden Linkshänder an den Schädel. Schwer getroffen brach der Verbrecher in die Knie.
Wyatt nahm ihm die Waffen weg und sah zu Cranacher hinüber.
»Du warst schon auf dem richtigen Weg, Freund. Steig in den Sattel. Und sieh zu, daß du möglichst viel Land zwischen dich und diese Stadt bringst.«
Cranacher starrte den Marshal verblüfft an. »Wer sind Sie?«
»Verschwinde, Junge«, entgegnete Wyatt schroff, »verschwinde, ehe es mich reut, dich gehen gelassen zu haben!«
Da hastete der Bandit davon, holte sein Pferd und preschte aus dem Mietstalltor.
Aber er kam nicht weit. Als er den Utah Saloon passierte, warf ihn ein Gewehrschuß aus dem Sattel.
Ike Troub war der Schütze.
Langsam ging er auf die Straße und bückte sich über den Kameraden, den er aus dem Sattel geholt hatte.
»So, du verdammter Feigling. Das hast du davon. Du kommst nicht weg!«
»Und du kommst mit mir!« Wyatt Earp stand plötzlich hinter ihm, nahm ihm die Waffe weg und schleuderte sie zur Uferböschung hinüber.
Drei Minuten später saßen vier Gefangene im Jail von Orange City.
Cranacher hatte einen Streifschuß am Hinterkopf mitbekommen. Doc Wilcox reinigte die Wunde mit zitternden Händen und legte dem Verletzten einen Verband an.
Die Mannschaft des Bandenführers Gordon Break war stark zusammengeschrumpft.
Wyatt Earp hatte gerade noch einmal nachgesehen, ob die Gefangenen auch gut hinter Schloß und Riegel saßen. Als er zur Tür kam, sah er gegen den hellen Nachthimmel die Silhouette des Spielers.
»Hallo, Doc.«
»Hallo, Marshal.«
»Wie sieht es aus?«
»Good, Sie haben es wieder mal prächtig getroffen hier. Schöne friedliche Stadt, muß ich schon sagen.«
»Tut mir leid, Doc, daß Sie vorn im Feuer standen. Als ich Sie vor dem Hotel stehen sah, habe ich mich natürlich hinter das Jail gelegt, da ja auch dort ein Angriff zu befürchten war.«
Der Spieler winkte ab. »Ich weiß. Wenn einer vorn ist, muß einer hinten sein. Meistens stehen Sie ja vorn. Heute war es mal umgekehrt! Ist mal etwas anderes.«
Doc Holliday wurde plötzlich von einem starken Hustenanfall geschüttelt. Wyatt sah, wie sich seine Gestalt unter heftigen Zuckungen zusammenkrümmte.
Das Leben, das der Georgier führte, war Gift für seine Gesundheit. Schon seit Jahren trug er die nagende, unheilbare Krankheit in seiner Brust. Und Nacht für Nacht saß er in den verräucherten Saloons an den Kartentischen.
»Wenn wir hier wegreiten, Doc, wird es anders. Ich habe einen Brief aus Yampa bekommen. Im nächsten Monat erwarten sie mich dort. Mister Harris hat ein großes neues Lager aufgebaut. Da braucht er einen Boß. Ich habe den Brief noch nicht beantwortet; aber wenn Sie mitkommen, schreibe ich ihm gleich morgen, daß wir kommen.«
Der Spieler hatte den Hustenkrampf überwunden und lachte leise und verbittert in sich hinein. »Sie – ja. Aber was wollen die mit mir anfangen – mit einem Spieler?«
»Sie wissen ganz genau, daß Sie Harris willkommen sind, John. Schließlich haben Sie schon zweimal erheblich dazu beigetragen, ihn aus der Patsche zu reißen.«
Der Gambler winkte ab und holte ein zerknittertes Papier aus der Innentasche seines Jacketts. »Meine Schwester hat geschrieben.«
»Und?«
»Sie ist krank.« Er reichte dem Marshal den Brief.
Der trat ins Office zurück und zündete den Docht einer Petroleumlampe an.
Als er das schon stark zerknitterte Schreiben überflogen hatte, sagte er vorwurfsvoll: »Der Brief ist ja schon drei Monate alt!«
»Na und? Ich zähle die Monate nicht. Es reicht mir zu wissen, daß die meinen gezählt sind.«
Wyatt gab dem Freund den Brief zurück. »Sie werden morgen früh die Overland nehmen, Doc.«
Holliday lachte leise. »Das werde ich ganz sicher nicht.«
»Und weshalb nicht?«
»Weil hier noch nichts entschieden ist. Und weil der lange Break noch längst nicht verspielt hat. Weil ich nicht die mindeste Lust habe, eines Morgens drüben in Valdosta am Kaffeetisch in der Zeitung zu lesen, daß der Marshal Earp in einem lausigen Kaff namens Orange City eine Kugel ins Kreuz bekommen hat. Gute Nacht, Marshal!« Er schob davon.
*
Grau und wolkenverhangen hing der Himmel am Morgen über der kleinen Stadt Orange City, in der es so unruhig geworden war.
Der Bandenführer Gordon Jim Break hatte mehr Unheil über Orange City gebracht als sonst irgendein Ereignis während der letzten zehn Jahre. Vier Tote und mehrere Verletzte kamen auf sein Konto.
Aber all dies schien dem Gelben Jim am wenigsten auszumachen. Er hockte in der Zelle auf der Pritsche, hatte seinen Mitgefangenen und vor allem dem Sheriff den Rücken zugekehrt und stierte mit flimmernden Augen auf ein vergilbtes Stück Papier.
Es war das ›Vermächtnis‹ des Paters Roover – die Mordbeute aus dem Postkutschenüberfall an der Grenze.
Es war eine rätselhafte Laune des Schicksals, die dem Verbrecher den alten handgezeichneten Stadtplan von Orange City in die Hand gespielt hatte. Vielleicht hätte der Outlaw Gordon Jim Break sein wildes Leben jenseits der Gesetze noch viele Jahre weiterführen können, wenn ihn nicht eben jenes Geschick ausgerechnet dem Marshal Earp in die Bahn getrieben hätte, jenem Manne, dem er nicht gewachsen war.
Noch wußte der Gelbe Jim nicht, wer eigentlich hier gegen ihn kämpfte. Er hatte nur einen Gedanken: Ich werde das Gold aus dem Mietstallhof, aus dem Hof des Sheriff-Büros, aus dem Utah Saloon und dem General Store holen. Dieses Gold wird mich reich und unabhängig machen.
An die anderen dachte er nicht, weder an Hunter, Lupton, Saunders, Seld noch an die anderen. Er dachte nur an sich, wie er immer nur an sich gedacht hatte.
Der gnomenhafte Seld hockte in sich zusammengesunken auf einem dreibeinigen Schemel und kaute verzweifelt an den Fingernägeln herum.
Der hartgesichtige Jim Hunter jedoch stand an der Gittertür und blickte zu dem Marshal hinüber.
»He, Earp!« rief er jetzt. »Was versprichst du dir davon, daß du uns hier eingelocht hast? Ich sage dir, daß du kein Glück haben wirst. Austin Fleet ist Distrikts-Richter hier im County. Vielleicht interessiert es dich, daß er mein Onkel ist.«
»Dann wird er Sorge tragen müssen, sich solch blamabler Verwandtschaft auf dem schnellsten Wege zu entledigen«, erwiderte der Marshal unbeeindruckt.
Da stand Break plötzlich auf. »Sheriff, ich möchte mit einem meiner Leute sprechen.«
Wyatt wandte den Kopf zu den Zellen hinüber. »Aha. Und mit wem?«
»Mit Cass Saunders.«
»Das dürfte im Augenblick mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein, denn dieser Gentleman liegt beim Arzt mit einem dicken Kopfverband.«
Break stieß einen Fluch aus. »Was soll das heißen? Sie wollen mich nur bluffen, Earp.«
»Wie käme ich dazu, Break? Ich nehme an, daß Sie die Schießerei in der vergangenen Nacht gehört haben. Ihr Freund Saunders hatte dabei das Pech, eine Kugel mit seinem Schädel aufzufangen.«
»Wie soll ich das verstehen?« fragte Break entgeistert.
»So, wie ich es gesagt habe. Saunders ist verletzt und wird im Augenblick höchstwahrscheinlich froh sein, daß niemand mit ihm spricht.«
Break schob den Unterkiefer vor.
»Sie haben Griffith erschossen, Earp, und…«
Da trat der Marshal hart an das Gitter. In seinen Augen stand ein dunkles Licht.
»Ich habe eine Menge Geduld mit Ihnen gehabt, Break! Wenn Sie jetzt auch nur noch ein Wort sagen, das mir nicht gefällt, hole ich Sie aus der Zelle und stutze Sie so zusammen, daß Ihnen vierzehn Tage kein Hut mehr paßt.«
Das war ein Satz, wie ihn der selbstbewußte, herrische Bandit Gordon Break noch nie gehört hatte. Er bebte vor Zorn am ganzen Leibe.
»Holen Sie mich raus, Sie verdammter Polizeiknecht. Ich werde Ihnen die Nase…«
Wyatt riß die Zelle auf. Breitbeinig stand er da.
Break starrte in sein Gesicht. Sein linkes Augenlid zuckte plötzlich vor Nervosität. Die Erinnerung an den fürchterlichen Hieb, den ihm dieser Mann gegen die Kinnlade gegeben hatte, war auf einmal in deutlicher Erinnerung in ihm.
Er zwang ein grinsendes Lächeln auf sein Gesicht. Nein, er würde sich mit diesem Mann nicht mehr schlagen. Er dachte an seinen Plan, an das Gold, an den Reichtum, den er in dieser Stadt machen würde.
Die ganze Nacht hatte er darüber nachgedacht und war zu dem Entschluß gekommen, kurz zu treten und zurückzustecken. Er würde am Schluß doch über alle triumphieren. Auch über diesen so selbstbewußten und stolzen Sheriff Earp.
Aber dann würde er es ihm heimzahlen, alles, was er von ihm hatte einstecken müssen.
In diesem Lande war Gold Reichtum, und Reichtum war Macht. Der Mächtige regierte und beherrschte diejenigen, die weniger hatten.
Und was hatte dieser kleine Sheriff Earp denn schon? Sechzig Dollar im Monat vielleicht, well, er war bekannt, vielleicht hatte er fünfundsiebzig, dann war er aber schon hochbezahlt. Und das Geld brauchte so ein Mann ja schon für seine Munition.
»All right, Earp. Ich werde mich nicht mehr mit Ihnen schlagen. Sie sind mir zu rauh.« Es kam den Gelben Jim schwer an, diese Worte vor seinen Kumpanen aussprechen zu müssen. Aber nur so entging er den drohenden Schlägen dieses eisenhaften Gesetzesmannes.
Wyatt warf die Zelle zu.
Break blickte ihn durch die Traljenlücken an. »Was haben Sie mit mir vor?«
Nach dem Schicksal seiner Kumpane erkundigte er sich nicht. Er blieb eben der Egoist, der er immer gewesen war.
Da schoß der kleine Seld nach vorn. »Vielleicht fragst du den Sheriff auch, was aus uns wird, Break!«
Der Riese schleuderte den zwergenhaften Mann mit der Rechten zurück gegen die Rückwand der Zelle. »Halt deinen Rand, Gnom! Wer wird sich schon um dich kümmern?«
»Der Richter«, entgegnete der Missourier kühl. »Er wird sich um euch alle kümmern.«
»Und was soll dabei herauskommen?« wollte Break wissen.
»Ich schätze, daß es bei jedem von euch für einen hanfenen Strick reichen wird. Damit könnt ihr zufrieden sein.«
Schweigend begaben sich die Outlaws wieder auf ihre Plätze. Hunter dachte an seinen Onkel, den Richter. Seld nur an seinen Hals.
Und Jim Break nur an das Gold…
*
Der Tag verging ereignislos.
Genau eine Viertelstunde nach sieben Uhr aber wurde vom Hof her der Schuß auf den Georgier, der in der Hotelhalle mit Lester Dundey am Spieltisch saß, abgegeben.
Doc Holliday rutschte zum Entsetzen des Hoteleigners langsam von seinem Stuhl und blieb, mit dem Gesicht nach unten, auf dem Estrich liegen.
Dann stürmten Lupton und der Mexikaner durch die Hoftür in die Halle.
Sie hatten noch nicht drei Schritte in den Raum getan, als der Marshal vorn an der Tür erschien. Er lief den beiden Verbrechern entgegen.
Lupton wollte zum Revolver greifen. Und der schwarze Tino griff nach seinem Messer.
Wyatt hatte seinen sechskantigen Revolver in der Linken. Sein Gesicht war hart wie Stein.
»Gnade euch Gott, wenn er tot ist. Mister Dundey, holen Sie den Arzt!«
Lupton schnarrte: »Worauf warten wir, Tino? Machen wir ihn fertig!«
Aber der Mexikaner hatte seine verschlagenen Augen auf den großen Revolver des Marshals gerichtet. »Nimm ihm den Colt ab, Lupton«, sagte er mit öliger Stimme.
Der Einäugige feixte. »Was will er noch? Wenn er dich niederknallt, erwische ich ihn.«
»Ich werde dich niederknallen!« kam es schroff von den Lippen des Missouriers.
Lupton hatte die Zähne aufeinandergepreßt. Jetzt stand alles auf des Messers Schneide. Der Revolvermann des Sheriffs war ausgeschaltet. Jetzt galt es nur noch, ihn selbst zu beseitigen.
Da kam Dundey mit Doc Collins herein.
»Bleibt mir aus der Schußlinie, Gents!« mahnte Wyatt die beiden. »Doc, sehen Sie bitte nach ihm.«
Collins beugte sich über Holliday und wälzte ihn auf den Rücken.
»Ein Streifschuß an der Schläfe, Sheriff. Es ist nicht sehr schlimm. Er ist nur betäubt.«
Wyatts Gesicht blieb steinhart. Er wußte, daß er jetzt völlig allein stand.
»Nehmen Sie ihn mit, Doc. Ich habe hier zu tun.«
Doc Collins schleppte den Georgier mit Dundey hinaus.
Über Luptons Gesicht kroch ein böses Lächeln. »Die Partie steht jetzt eins zu eins, Sheriff. Nur mit dem Unterschied, daß ich noch ein paar Figuren habe und Sie solo sind.«
Da sprang der Mexikaner hinter seinen Genossen vor und riß aus der Deckung das Messer hoch. Sirrend schoß die lange Klinge durch den Raum und blieb federnd im Holz des Türrahmens stecken.
»Schaffen Sie den Mann aus Ihrem Rücken, Lupton, sonst schieße ich auf Sie!«
Der Einäugige starrte auf den Revolver in der Faust des Marshals. Dann knurrte er: »Geh zur Seite, Tino!«
Wyatt ging langsam vorwärts. Drei Yards vor Lupton ließ er den Colt zurück ins Halfter fliegen.
Der Mexikaner sah den Faustschlag gar nicht kommen, der ihn dann am Jochbein traf, herumwirbelte und gegen eine Vitrine schleuderte, an der er langsam wie eine plötzlich fadenlos gewordene Marionette in sich zusammensank.
Wytt bannte Lupton mit dem Blick auf die Stelle. »So, Zyklop, und nun such dir die Stelle aus, wo du liegen willst.«
Das war der Augenblick, in dem der lange Folgerson vorn in der Tür der Hotelhalle erschien. Wyatt bemerkte ihn nicht.
Auf Zehenspitzen schlich sich der krumme Outlaw in den Rücken des Missouriers.
Und der gerissene Lupton begann laut zu reden. Zu laut.
Der Marshal federte zur Seite.
Genau in dem Moment, in welchem Folgerson auf ihn zuhechtete.
Lupton schoß.
Seine Kugel zerschmetterte eine Fensterscheibe.
Dann traf ihn der Doppelschlag des Marshals und riß ihn von den Beinen.
Groggy saß er auf den Dielen und stierte blöde vor sich hin.
Folgerson, der nie ein guter Schütze gewesen war, dachte auch jetzt nicht daran, seinen Colt zu ziehen.
Blitzschnell entwaffnete der Marshal die beiden, packte auch den Mexikaner und riß ihn hoch.
»Vorwärts, Gents, wir gehen zum Jail!«
Wie im Tran setzten sich die drei Männer in Bewegung.
Die Straße war leer.
Langsam trotteten die drei Männer vorwärts. Lupton ging voran. Hinter ihm kam Folgerson. Der Mexikaner stakste schräg hinter dem Krummen vorwärts.
Da warf sich der gefährliche Texaner urplötzlich herum und versetzte Folgerson einen Stoß.
Der flog gegen den Mexikaner.
Beide stürzten sie hin.
Mit einem federnden Satz war Wyatt vom Vorbau herunter. »Halt!«
Lupton rannte trotzdem weiter.
Und wieder peitschte ein Schuß über die Mainstreet von Orange City.
Die Kugel riß Luptons Stiefel auf.
Er humpelte, hinkte und blieb sechs Yards vor dem Eingang des Sheriff Office stehen.
Wyatt stieß Tino und Folgerson an und schob sie vorwärts.
Widerstandslos ließen sie sich zur Zelle führen. Als aber die Tür geöffnet wurde, hechteten Hunter und Break nach vorn.
Lupton wurde gerempelt und stürzte.
Der katzengewandte Mexikaner floh zur Seite und sprang durch das hochgeschobene Fenster hinaus.
Aber er sollte auch der einzige sein, dem die Flucht gelang.
Der kampferprobte Mann aus Missouri hieb Break den Revolverknauf an den Schädel und fing Hunter mit einem Faustschlag ab.
Folgerson behinderte Lutpon, der sich erheben wollte.
Wyatt wich drei Schritte zurück. Er hatte jetzt beide Revolver in den Fäusten und ließ die Hähne knacken.
»Halt, Männer – oder es geht von hier aus gleich auf den Boot Hill!«
Der Ton, in dem dieser Befehl vorgebracht worden war, ließ keinen Zweifel offen. Selbst der zähledrige Texaner gab auf.
Sie wurden alle wieder eingesperrt.
Der Messerwerfer aus Mexiko war entkommen. Wenn der Marshal gewußt hätte, was ihm gerade dieser Mann noch einbringen sollte, hätte er ihn vielleicht doch mit einem Schuß gestellt.
Wyatt Earp wußte, daß er jetzt allein stand. Die beiden Flanagans hatten sich den ganzen Tag über noch nicht sehen lassen.
Sicher waren sie durch die Übermacht der Tramps schließlich doch entmutigt worden.
Dafür stellte sich ein anderer Mann ein. Es war der presbyterianische Geistliche. Ein dicklicher Mensch mit aufgedunsenem Gesicht, dem man ansah, daß sein Besitzer den Alkohol mehr liebte als ihm guttat.
»Sheriff, ich bin gekommen«, begann er in pastoralem Ton, »um Sie zu bitten, der Schießerei ein Ende zu machen. Die Stadt kommt ja nicht mehr zur Ruhe! Es ist furchtbar! Die Leute leben in ständiger Angst, laufen mir die Schwelle heiß und…«
Wyatt hatte sich eine Zigarre angezündet und maß den Prediger durch eine dicke blaue Tabakswolke hindurch.
»Sprechen Sie nur weiter, Mister.«
»Mister? Ich bin Priester, und es ist meine Pflicht, dahingehend zu wirken, daß Frieden herrscht.«
Wyatt nickte. »Da bin ich ganz Ihrer Ansicht.«
»Sie als Gesetzesmann sollten als erster daran denken, daß endlich Schluß sein muß. Die Bevölkerung…«
Wieder brach er ab. In den Augen des Marshals schien plötzlich Eis zu sein. Der Presbyterianer druckste noch etwas vor sich her und verließ dann das Office.
Um wenige Minuten später mit dem Major zurückzukommen. »Mister Jefferson, ich fordere Sie auf, dem Sheriff den Stern wieder abzunehmen. Seit er in unserer Stadt ist, herrschen nur Mord und Totschlag.«
Der kleine Barbier wand sich wie ein Regenwurm. »Yeah, das ist nicht so leicht. Mister Earp hat den Stern von uns bekommen, weil…«
»Weil…«
Der Priester schob sich vor den Bürgermeister. »Passen Sie genau auf, Mister Jefferson. Die Stadt hat Sie zum Major gewählt, die Stadt kann Sie dieses Amtes genausogut auch wieder entheben. Ich fordere Sie auf, diesem Mann da den Stern abzunehmen. Er bringt ja mehr Unruhe in die Stadt, als es Break getan hat.«
»Richtig!« brüllte der Gelbe Jim. »Nehmt diesem Strolch den Stern ab und jagt ihn in die Savanne! Solchen schießwütigen Kerlen muß man das Handwerk legen!«
Jefferson schluckte.
Da meinte der Priester: »Break sitzt im Jail und die schlimmsten seiner Leute auch.
Das reicht. Nun kann der Sheriff den Stern zurückgeben und weiterreiten. Er hatte ursprünglich ja ohnehin nicht die Absicht hierzubleiben.«
Wyatt hatte die beiden Männer die ganze Zeit über aus kühlen Augen beobachtet. Jetzt ging er zur Tür und riß sie auf. »Raus!«
Jefferson trollte sich davon. Der Presbyterianer aber blieb stehen und schob seinen mächtigen Bauch weit vor.
»Was fällt Ihnen ein, Earp? Wie reden Sie mit mir! Sie haben nicht das geringste Recht, sich hier so aufzuspielen. Die ganze Stadt ist in Aufruhr!«
Wyatt senkte seinen Blick in die Augen des völlig verwirrten Mannes. »Raus, habe ich gesagt!«
Da trottete der Dicke hinaus.
»Feiglinge, Feiglinge!« röhrte Break aus seiner Zelle.
Wyatt riegelte die Tür des Office ab und machte sich auf den Weg zu Doc Collins.
Der Georgier lag auf einem Bett; seine Augen waren geöffnet. Als er den Marshal sah, stahl sich ein mattes Lächeln in sein Gesicht.
»Hallo, Marshal.«
»Hallo, Doc!«
»Ich sagte Ihnen ja, daß es eine prächtige Stadt ist. Eine ganz besonders prächtige sogar.«
Wyatt sah den alten Arzt an. »Wie sieht es aus?«
»Soweit ganz gut. Er hat ein zähes Leben. Ich habe ihm schon zweimal Whisky geben müssen.«
Hollidays Augen suchten das Gesicht des Missouriers. »Lassen Sie mich hier bloß nicht liegen, Wyatt!«
»Keine Sorge. Das werde ich ganz sicher nicht tun.«
»Ich bin in einer Stunde wieder auf den Beinen. Darauf können Sie sich verlassen.«
Collins winkte ab. »Nein, so rasch geht das nun doch nicht, Holliday. Sie müssen heute und morgen hierbleiben. Übermorgen können wir dann mal weitersehen.«
Schüsse und Schreie unterbrachen die Worte des Arztes.
Wyatt rannte hinaus.
Als er nach fünf Minuten zurückkam, brannte eine flammendrote Blutspur auf seiner rechten Wange.
Holliday fuhr hoch und sah ihn mit erschrockenen Augen an. Und da der Marshal schwieg und sich ans Fenster stellte, stieß er hastig hervor: »Break ist frei? Stimmt’s?«
Der Missourier nickte.
»Wie war das möglich?«
»Der Priester hat ihn und die anderen herausgelassen.«
»Nein!« entfuhr es dem Gambler.
»Leider doch. Dafür liegt er jetzt auf dem Vorbau. Einer der Halunken hat ihn mit einem schweren Gegenstand niedergeschlagen.«
Holliday rutschte vom Bett und richtete sich auf. Schwankend stand er da und schob sich seinen Waffengurt zurecht. Mit taumelnden Schritten ging er zur Tür.
»All right. Es ist wirklich eine bezaubernde Stadt. Kommen Sie, Marshal!«
Wyatt hielt ihn zurück. »Nein, Doc, legen Sie sich hin. Im Augenblick ist da ohnehin nichts zu machen. Die Bande ist jetzt wieder vollzählig und hat ganz sicher bereits alles für unseren Empfang vorbereitet.«
Holliday sah den Missourier an. »Und wenn ich jetzt nicht verwundet wäre, gingen wir dann?«
»Auch dann nicht«, entgegnete der Marshal. Es war eine Lüge, aber er sah keine andere Möglichkeit, den Verletzten wieder auf sein Lager zu bringen.
Doc Collins griff sich an den Schädel. »Alles umsonst!« preßte er wütend hervor.
Wyatt schüttelte den Kopf. »Nein, nichts war umsonst. Wenn Break und seine Kumpane auch jetzt im Augenblick frei sind, sie werden sich entschieden anders benehmen als neulich. Weil sie wissen, daß wir nicht mit uns tanzen lassen.«
*
Das Zünglein an der launischen Waage hatte sich also wieder zugunsten der Verbrecher gesenkt. Aber sie krakeelten nicht und gossen den Whisky nicht flaschenweise in sich hinein.
Sie waren gewarnt. Und ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Und sie waren gebrannt. Der Zunder, den Wyatt Earp und Doc Holliday ihnen geboten hatte, war von nachhaltiger Wirkung.
Vielleicht hätten die Tramps die so unerwartet wiedergewonnene Freiheit dazu benutzt, Fersengeld zu geben, sich aus dem Staub zu machen, die Nähe dieses Sheriffs und seines Helfers zu meiden. Aber da war Gordon Jim Break – und da war sein Plan!
Break hatte es sofort verstanden, die Wankelmütigen zu bereden.
»Wir bleiben, Boys! Wir müssen bleiben. Jetzt haben wir so viel hier durchgestanden, und das darf nicht umsonst geschehen sein. Jetzt kommt der Endkampf. Wenn er auch ein teuflischer Bursche ist, dieser Sheriff, wir werden ihn brechen!«
»Wie lange willst du hierbleiben?« wollte Folgerson wissen. »Vielleicht so lange, bis er neue Hilfe bekommt?«
»Nein, ganz sicher nicht. Wir werden nicht darauf warten, daß er seinen Dodger Clan herbestellt. Ich bin doch nicht lebensmüde. – Aber ich werde es sein, der Hilfe bekommt. Ich habe einen Mann herbestellt, der diesen kaltschnäuzigen Morgan Earp in der Luft zerreißen wird.«
»Und?« fragte Hunter mißlaunisch. »Wer sollte das sein?«
»Jake Clay!«
Der Trumpf stach. Stumm und bewundernd blickten die Verbrecher auf ihren Boß.
»Jake Clay?« fragte Hunter. »Das ist doch nicht dein Ernst?«
»Weshalb nicht?«
»Wer soll denn das bezahlen?«
»Ich werde ihn bezahlen, Boys. Ich allein.«
»Und was verlangt er?«
»Tausend.«
Hunter blieb der Mund offenstehen.
»Tausend Bucks? Bist du des Teufels? Wir haben hier ohnehin kaum etwas Nennenswertes an uns bringen können, und da willst du tausend Böcke zum Fenster hinauswerfen?«
»Zum Fenster hinauswerfen?« Break maß Hunter mit einem verächtlichen Blick. »Du bist zwar ein rauher Bursche, Hunter, aber ein Schwachkopf. Jake Clay ist eine Kanone. Das wißt ihr alle. Er ist der kälteste Schießer weit und breit. Er wird uns diesen Morgan Earp aus dem Wege räumen, wie Lupton den anderen Mann weggefegt hat.«
Lupton richtete sich stolz auf und blähte seine Nüstern. »Das war kein Kinderspiel. Der Bursche ist derart reaktionsschnell, daß ich alles auf eine Karte setzten mußte.«
»Mach’ dich nicht zu dick«, verwies ihn Break in seine Schranken, »schließlich hast du ihn aus dem Hinterhalt heraus angegriffen. Clay wird das nicht tun. Er hat es gar nicht nötig. Und unsere Weste ist rein. Ich war ohnehin nicht begeistert von dem Gedanken, daß dieser Earp von uns augelöscht werden sollte. Denn in diesem Falle hätten wir immer damit rechnen müssen, daß seine Brüder eines Tages hier anrücken würden. Stellt euch nur vor, wenn wir eines Tages Wyatt Earp auf dem Hals hätten. Nicht auszudenken! Mit dem ist noch keiner fertig geworden.«
Der Priester hatte von Jefferson den zweiten Schlüssel zum Sheriff Office verlangt und die Tramps unter der Bedingung freigelassen, daß sie sofort verschwinden würden. Sie hatten ihm ihren Dank postwendend und sehr nachdrücklich ausgezahlt.
Und nun hatte der Gelbe Jim also den Revolvermann Jake Clay bestellt. Einen eiskalten Schießer, der für Geld alles tat, wie es hieß. Er sollte den Sheriff im offenen Gunfight beseitigen.
Ein Mann wie Jake Clay würde schon einen Grund finden, den Sheriff zum Revolverkampf zu fordern. Niemand konnte dann kommen und Rechenschaft für den Tod des Besiegten fordern. Das war das irrsinnige Gesetz dieses Landes: ein offener Gunfight galt als faire Sache, die niemand zu stören und niemand zu verfolgen hatte.
Nicht schlecht ausgedacht von Yellow Jim! Der Coltman Jake Clay aus Alabama sollte für Break die Kastanien aus dem Feuer holen. Gegen ein Entgelt von tausend Dollar.
Es war am frühen Nachmittag, als von Osten her ein Reiter in die Stadt ritt.
Jim Hunter lehnte am Fenster des Utah Saloons und hatte auf die Straße gestarrt. Da entdeckte er ihn plötzlich.
Mit einem Satz war er vom Fenster zurück. »Er kommt!«
»Der Sheriff!«
»Bist du verrückt?«
»Komm her und sieh es dir selbst an!«
Break blieb neben der Theke stehen. Wieder saß das würgende Gefühl in seiner Kehle. Damned, war dieser Earp denn geisteskrank! Wie konnte er es wagen, hierherzukommen?
»Wer ist bei ihm?« krächzte Folgerson.
»Niemand. Er kommt allein.«
Da rannten sie an die Fenster, blieben aber in sicherem Abstand stehen.
Tatsächlich! Das Unglaubliche war Wirklichkeit geworden! Da kam er die Straße heruntergeritten.
Break zog seinen Revolver. Die anderen folgten seinem Beispiel. Der krummbeinige Seld holte das Schrotgewehr und prüfte die Ladung. Dann postierte er sich neben der Pendeltür.
»Ruhe!« mahnte Break raunend. »Ihr wartet, bis ich euch das Zeichen gebe!«
Der Reiter kam näher.
Als er auf fünfzehn Yards heran war, ließ Gordon Break seinen Revolver sinken. Ganz eng waren seine Augen geworden. Und das, was jetzt in seinem Kopf vorging, beschäftigte auch die Hirne der anderen:
Wie sah er aus, der Sheriff! Wie ein Gespenst seiner selbst, abgemagert und bleich. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen. Er schien schmaler und sogar kleiner geworden zu sein.
Niemand sprach ein Wort. Stumm starrten die Verbrecher dem Reiter entgegen –?und ließen ihn passieren.
Niemand von ihnen kam auf den Gedanken, daß der Mann, der da vorüberritt, jener Mann war, den der Zigeuner Zoltan Griffith kürzlich hier in der Schenke in den Rücken geschossen hatte!
Morgan hatte es nicht länger auf der Ranch ausgehalten. Seine zähe Natur hatte die Verwundung überstanden, und nun war er gegen den Rat seiner Freunde von der Ranch aufgebrochen.
Er wußte ja nicht, was sich dort inzwischen getan hatte. Die beiden Flanagans hatten sich nicht mehr sehen lassen. Morgan hatte also nicht die mindeste Ahnung davon, daß sein Bruder Wyatt zusammen mit Doc Holliday hier schon ein gewaltiges Feuerwerk losgelassen hatten, und daß ihnen nur durch die Einfalt eines labilen Mannes in letzter Minute die Zügel wieder aus der Hand genommen waren.
Break warf den Kopf herum. Er sah in Hunters demoliertes Gesicht. »He, was sagst du jetzt?«
Hunter krächzte: »Er ist fertig. Ich weiß nicht, weshalb, aber er ist fertig!«
»Vielleicht haben wir ihn gestern im Dunkeln erwischt«, meinte ein anderer, »mit einem Querschläger. Ausgeschlossen ist das ja nicht.«
Lupton hob die Schultern hoch. »No, das kann ich mir nicht denken.«
»Einerlei!« zischte Break. »Hunter hat recht: Er ist am Ende. Irgend etwas hat ihn erledigt. Vielleicht war er draußen auf einer der Ranches und hat um Hilfe gebeten.«
»Vielleicht ist er plötzlich krank geworden?« überlegte der krause Seld.
»Blödsinn!« fand Break. »Außerdem ist das völlig egal. Jedenfalls haben wir jetzt leichtes Spiel mit ihm. Vorwärts, kommt mit!«
Sie gingen hinaus auf die Straße.
Morgan hatte sein Pferd vor dem Office angebunden und betrat mit müden Schritten den Vorbau. Der Ritt hatte ihn doch sehr mitgenommen. Er wollte es sich zwar nicht eingestehen, aber es war so.
Kaum war er im Office, als Break und seine Männer auf die Mainstreet kamen. In breiter Front gingen sie vorwärts.
Zehn Yards vor dem Office hielten sie an.
»Earp!« schrie Yellow Jim.
Morgan, der gerade seinen Hut abgenommen hatte und durchs Schweißband wischte, zuckte zusammen.
»Damned, da sind sie schon!«
Langsam ging er zur Tür – und hielt dann inne.
Die harten, herausfordernden Gesichter der Tramps waren plötzlich zusammengeschrumpft. Wo sahen sie hin?
Morgan ging ans Fenster – und sah fünf Yards neben dem Office einen Mann auf dem Vorbau stehen, den er ganz sicher am allerwenigsten hier vermutet hatte, dessen Anblick sein Herz aber schneller schlagen ließ.
Es war sein Bruder Wyatt.
Zounds! War das ein Spuk? War er es wirklich? Sein Bruder?
Der Missourier war aus der Nebengasse des Office getreten. Die Tramps mußten annehmen, daß er aus dem Hof kam.
Entgeistert sahen sie ihn an. Wie hatte er sich plötzlich verändert! Zwar trug er den gleichen schwarzen Anzug wie vorher, als er im Sattel saß, aber wie anders sah sein Gesicht aus!
Hart wie Diamanten blitzten seine Augen. Sein kantiges Gesicht war tiefbraun. Seine Gestalt wirkte hoch und wuchtig.
Als er jetzt noch zwei Schritte vorwärts auf die Vorbaukante machte, schluckte Break. Dieser Mann hatte immer noch die gleiche katzenhafte Elastizität und den kraftvollen Gang! Der war nicht am Ende. Im Gegenteil.
Wyatt hatte die Arme über der Brust verschränkt. Auch er wußte nicht, was sich inzwischen ereignet hatte. Er war zufällig im Hof des Office gewesen, hatte Morgan nicht kommen sehen –?nur seinen Namen hatte er rufen hören.
Dann sah er plötzlich das Pferd am Zügelholm und wußte alles.
Er ging bis vor die Officetür, um Morgan, den er ja nun im Büro wußte, am Herauskommen zu hindern.
»Was willst du, Break? Du hast mich gerufen.«
Der Gelbe Jim spürte, daß der Aufwind wieder aus seinen Segeln geschwunden war. Er stieß einen grimmigen Fluch aus und sah seine Männer an.
»Was ich will? Hm, das werde ich dir morgen sagen, Earp. Du mußt dich schon bis dahin gedulden!«
Der Marshal nickte. »Das paßt sich gut, Break, ich mußte sowieso heute das Jail ausmisten lassen. Morgen ist es dann wieder für euch bereit!«
Nach diesen Worten wandte er sich um und ging ohne Hast ins Office.
Morgan sah ihn aus großen rotgeränderten Augen an.
»Big Berry!« sagte er tonlos.
Das war eine Bezeichnung, die die Brüder für ihren großen Wyatt seit zwei Jahrzehnten beibehalten hatten. Berry – weil Wyatts zweiter Name Berry lautet.
Wyatt nahm Morgans Hand. »Wie geht es dir, Morg?«
Der ›kleine Bruder‹ feixte dünn. »Das siehst du ja. Ich bin froh, daß ich keine Krücken brauche.«
»Weshalb bist du zurückgekommen?«
Morgan rieb sich verlegen das Kinn. »Damned, wenn ich gewußt hätte, daß du hier bist, wäre ich schon eher gekommen. Aber ich kam einfach nicht vom Bett hoch. Und als ich das konnte, ließen sie mich nicht weg.«
»Leg dich sofort da auf die Pritsche. Du siehst aus, als wenn du vom Totenbett aufgestanden wärest.«
»Sah auch eine Zeitlang nicht viel anders aus, Wyatt.«
Der Marshal zündete sich eine Zigarre an. »Nette Gegend hast du dir hier ausgesucht.«
»War reiner Zufall. – Wer hat dich gerufen?«
»Der Postmaster.«
»Der kleine Bliff? Hätte ich dem nie zugetraut. Bist du heute gekommen?«
»Nein, ich bin schon länger hier.«
»Und da lebst du noch?«
»Holliday hat mir eine Weile den Rücken freigehalten.«
»Doc Holliday? Der ist auch hier?«
»Yeah!«
»Wo sitzt der denn? Etwa drüben in der Schenke am Spieltisch?«
»Nein, im Augenblick liegt er. Einer von Breaks Leuten hat ihn aus dem Hinterhalt mit einem Streifschuß an der Schläfe vorübergehend außer Gefecht gesetzt.«
»Diese Schwe…«
Wyatt winkte ab. »Wie ich ihn kenne, wird er auf dem Posten sein, wenn es wieder losgeht.«
Und nun berichtete Wyatt dem jüngeren Bruder, was sich inzwischen in der Stadt ereignet hatte.
Morgan schüttelte den Kopf. »Das ist ja ein tolles Ding! Du hattest ja fast den ganzen Verein hinter Schloß und Riegel.«
»Yeah, wenn dieser alkoholsüchtige Prediger nicht gewesen wäre, hätte die Show heute schon zu Ende sein können.«
»Und ganz auf die sanfte Tour, die du ja so bevorzugst.«
»Sanft? So sanft war sie nun auch wieder nicht. Und andererseits konnte ich doch nicht einen nach dem anderen aus den Stiefeln schießen. Weißt du übrigens, daß der Zigeuner draußen auf dem Graveyard liegt?«
»Yeah, das hat mir Billy Flanagan noch erzählt. Anscheinend haben die beiden Burschen jetzt auch die Hosen voll.«
»Ist das ein Wunder? Ich an ihrer Stelle hätte meinen Gaul gesattelt und wäre ausgewandert, wie es so viele andere getan haben.«
»Du an seiner Stelle.« Morgan lachte müde. »Nein, Big Berry, du hättest ganz etwas anderes getan. Du hättest dein Gewehr genommen und dich hinter den Sheriff gestellt – und nichts anderes. Aber in dieser Stadt gibt es eben nur Feiglinge.«
»Hast du schon einmal eine andere Stadt gesehen?« fragte Wyatt mit einem Anflug von Bitterkeit.
Morgan lehnte sich gegen die Wand. »Sind wir nicht eigentlich verrückt, daß wir uns für diesen Haufen von Duckmäusern und Feiglingen ins Feuer setzen?«
»Nein, Morg, du weißt, daß es etwas anderes ist. Hier in dieser Stadt gibt es eine Menge Frauen und Kinder und wehrlose alte Leute, die beschützt werden müssen. Wenn man sie der Willkür dieser Horde preisgibt, sind sie und ihre Stadt verloren.«
*
Die Nacht war ruhig gewesen.
Strahlend zog der neue Tag über den Indian Creek und warf ein rotgoldenes Licht auf die Häuserfront der Mainstreet.
Im Utah Saloon herrschte eine Art gespannter Hochstimmung.
Die Break Crew wartete jede Minute auf den Mann, der das Eisen endgültig für sie aus dem Fenster reißen sollte.
Der Coltman Jake Clay hatte eine Nachricht an den Banden-Boß geschickt, daß er gegen acht Uhr eintreffen würde.
Dann kam die Overland. Polternd und dröhnend rollte sie unter einer Wolke von Staub in die Mainstreet.
Die Break Crew stand auf dem Vorbau der Schenke und sah auf den Wagenschlag. Aber der blieb zu.
Die Banditen sahen einander verblüfft an.
Dann rannte Hunter auf die Straße, riß den Schlag der Postkutsche auf und starrte in den leeren Passagierraum.
Der Coltman Jake Clay war nicht mit der Overland gekommen.
Als die Kutsche nach zehn Minuten die Stadt verließ, herrschte oben in der Schenke eine gedrückte Stimmung.
Eine Stunde verging.
Da drang der Hufschlag eines Pferdes bis in den Schankraum. Hunter rannte zur Tür.
Ein heiserer Jubelschrei entrang sich seiner Kehle. »Er ist es, Männer. Jake Clay!«
Draußen war eben ein Reiter an die Halfterstange geritten und rutschte aus dem Sattel.
Der Mann trug einen grauen Anzug, ein weißes Hemd und eine schwarze Schleife. Eine Waffe war nicht an ihm zu sehen.
Mit ruhigen Bewegungen schnallte er eine schwarze Reisetasche hinten vom Sattel und kam damit auf den Vorbau des Saloons zu.
Gordon Break stand über der obersten Treppenstufe, um seinen ›Mann‹ zu empfangen. Er tat dies mit einem theatralischen Aufzug und sehr gestenreich.
Das Gesicht des bestellten Revolvermannes, der wie ein Handwerker gekommen war, um etwas zu erledigen, blieb ausdruckslos, auch als ihm Hunter und Folgerson die Hand geschüttelt hatten.
»Kommen Sie rein, Clay. Die Schenke gehört mir. Wir werden einen Begrüßungsschluck nehmen. Schätze, daß Sie ihn nach dem scharfen Ritt nötig haben.«
Jake Clay lehnte mit einer kurzen entschiedenen Geste ab. »Nichts da, Break, ich trinke vorher nie.«
Die Gespräche der Männer verstummten.
Der Revolvermann schnippte ein imaginäres Fädchen von seinem linken Jackenärmel und stellte seine Reisetasche neben sich auf die Vorbaubohlen. »Wo?« fragte er nur.
Break hatte sich gerade eine lange Virginia angezündet. »Hier«, ging er auf den knappen Ton des Coltmans ein.
»Und wann?«
»Wann Sie wollen.«
»Am besten gleich. Ich will mich nur noch waschen und rasieren.«
Gordon Break ließ ihn von Folgerson auf eines der Zimmer oben über dem Saloon bringen.
Es dauerte genau eine Viertelstunde, bis Clay wieder erschien. Er war frisch gewaschen und glatt rasiert.
Als er an Hunter vorbeiging, zog der die Nase hoch und sog den Parfümduft, der hinter dem Schießer her wehte, mit säuerlicher Miene ein.
Clay wandte sich an Break. »Jetzt eine Tasse Kaffee!« sagte er befehlsgewohnt.
Break sah die spöttischen Gesichter seiner Leute, zog die Stirn in tiefe Falten und knurrte: »All right. Mat, mach einen starken Kaffee!«
Clay hob leicht die linke Hand an. »Keinen starken Kaffee. Mit Milch und Zucker, wenn ich bitten darf.«
Der Riese preßte die Lippen aufeinander, dann brummte er: »Wie Sie wünschen. Mat, du hast gehört, was Mister Clay gesagt hat.«
Der Coltman setzte sich an einen leeren Tisch und wartete auf das Getränk. Als es kam, trank er es langsam und in kleinen Schlucken aus.
Die Banditen standen im Kreis um ihn herum und starrten ihn an wie ein Wundertier.
Schließlich steckte er sich eine vorgedrehte Zigarette an und erhob sich. »Das Geld!« sagte er schnarrend.
Der Mörder Gordon Jim Break hatte auf diese Frage gewartet. Und er wußte auch die richtige Antwort darauf.
»Fünfhundert vorher, und fünfhundert nachher.«
Ein zynisches Lächeln flog um die dünnen Lippen des Revolvermannes. »Irrtum Break: tausend – sofort!«
»Das ist nicht üblich, Clay.«
»Ich bin auch nicht üblich, Break«, beharrte der Schießer. Dann fuhr er mit schroffem Ton fort: »Tausend, auf der Stelle, hier auf den Tisch!«
Break blieb stur. »Nichts da. Erst die Arbeit, dann der Lohn!«
»Well, Mister Break. Dann wäre hiermit der Fall für mich erledigt. Ich berechne Ihnen für den Ritt dreihundert Bucks, die Sie mir nach Askahol schicken können.«
Er nahm seine lederne Reisetasche auf und ging zur Tür. Break starrte ihm grimmig nach.
Da stieß Hunter den Boß an. »Du wirst ihn doch nicht wirklich laufen lassen!«
»Clay!«
Jim Break hatte es heiser ausgestoßen.
Der Schießer war stehengeblieben und wandte sich langsam um. »Sie halten mich auf, Mister Break!«
Der Riese schnaufte wütend. »All right, neunhundert sofort!«
»Tausend!« kam es eisig zurück.
Break fluchte leise, griff aber in die Jackentasche und nahm ein dickes Geldbündel heraus. Als er es laut auf den Tisch zählte, zählten seine Leute mit den Augen mit.
Jake Clay zählte das Geld sorgfältig nach, glättete mit aufreizendr Ruhe einige verknitterte Scheine und schob das Bündel in seine linke Jackentasche.
Dann stellte er seine Tasche auf den Tisch, öffnete sie und nahm einen Waffengurt heraus, an dem ein Revolverhalfter hing. Erst als er den Gurt über die Jacke geschnallt hatte, griff er wieder in die Tasche.
Neugierig beobachteten ihn die Banditen. Was für einen Colt hatte dieser Mann?
Es war ein leichter achtunddreißiger Revolver mit nußbraunen Schalen und brüniertem Lauf. Clay ließ die Trommel rotieren und schob die Waffe langsam in den Lederschuh.
Ein unbehagliches Gefühl hatte sich der Desperados bemächtigt. Wie faßte dieser Jake Clay denn den Revolver an? So, als ob es etwas Besonderes wäre, etwas Fremdes.
Der grobe Hunter mußte eine Probe haben. »Clay!« schrie er.
Man sah die Bewegung kaum, aber der kleine Revolver lag schußbereit und schon mit gespanntem Hahn in der Rechten des Revolvermannes.
Hunter wurde um einen Schein bleicher.
Und der Coltman sagte leise: »Lassen Sie das lieber, Jim. Ich habe es nicht gern, mit solchen Mätzchen aufgehalten zu werden.«
Break stand abwartend an der Tür. »Gehen wir?«
»Ich rauche meine Zigarette zu Ende«, erklärte der Schießer gelassen.
Und das tat er auch. Mit geradezu unheimlicher Ruhe und sichtlichem Genuß rauchte er seine Zigarette bis auf einen halben Inch herunter. Dann ließ er sie fallen und zertrat die Glut sorgfältig mit der Spitze seines rechten Schuhes.
Langsam wandte er sich um und ging durch die Gasse, die die Männer für ihn bildeten, zur Tür. Die Break-Leute blieben auf dem Vorbau stehen.
Clay ging langsam die Treppe hinunter. Er hatte nicht gefragt, mit wem er sich schießen sollte.
Clay blickte zu Break hinauf. »Kommt er – oder rufen Sie ihn?«
Yellow Jim geriet durch diese Frage in äußerste Verlegenheit.
Aber daraus riß ihn eben der Mann, um den es ging. Drüben aus dem Office kam der Marshal.
Er trug seinen schwarzen Anzug und seinen Hut. Seine Jacke stand vorn offen und ließ die beiden großen Revolver frei. Er blieb vor der Tür stehen und sah nur zu dem Revolvermann hinüber.
In dessen Gesicht war eine merkwürdige Veränderung vor sich gegangen. Es war plötzlich noch länger und schmaler, vor allem aber um einen ganzen Ton fahler geworden. Er starrte den Marshal aus weit aufgerissenen Augen entgeistert an.
Plötzlich wandte er sich um und rannte zurück.
Aus der Gassenmündung hinter der Schenke trat ihm Morgan entgegen.
Clay hielt inne, stutzte, stieß einen Fluch aus und rannte in wilden Sprüngen auf die Uferböschung zu.
Da tauchte wie aus dem Boden geschossen der Georgier vor ihm auf.
Der große Revolvermann Jake Clay blieb wie angenagelt stehen und brauchte diesmal drei Sekunden, um den Schock zu verdauen.
Dann wandte er sich wieder um und hastete zum Mietstall, wo er seinen Gaul wußte.
Die Banditen hatten seine Hasenläufe mit namenloser Verwunderung verfolgt.
Jetzt schrie Break: »Halt, Mensch!«
Lupton kreischte: »Bleib stehen, Clay!«
Aber der Revolvermann war schon im Mietstall verschwunden.
Da rannte Break mit Riesensätzen los.
Als er an Morgan vorbeikam, stutzte er, wandte sich um und sah auf den Vorbau hinüber, wo der Marshal stand, schüttelte den Kopf, begriff nicht und rannte weiter.
Jake Clay saß schon im Sattel.
»Halt!« schrie der Gelbe Jim. »Gib die tausend Böcke zurück!«
Aber der Schießer war schon fast am Tor.
Da riß Break den Revolver hoch und schoß.
Im Fallen feuerte der Revolvermann zurück. Dann lag er vor dem Tor neben seinem Pferd.
Auch Break war getroffen worden. Die Kugel saß in seiner Hüfte. Er schleppte sich zu dem anderen hin.
Jake Elliot Clay lag am Boden; ein dünner Blutfaden rann aus seinem linken Mundwinkel.
»Du Idiot!« ächzte er. »Gegen den – Mann – wäre ich auch für fünftausend – nicht angetreten… Es ist – Wyatt Earp!«
Break stierte den tödlich Verletzten fassungslos an.
»Was – sagst du da?«
Clays Kopf rutschte in den Sand.
Und Gordon Break hatte begriffen.
*
Neben ihm lag der tote Revolvermann.
Break starrte auf ihn nieder – und sah ihn gar nicht. Er dachte nicht einmal daran, ihm die tausend Dollar wieder abzunehmen.
Seine gesprungenen Lippen formten nur zwei Worte: »Wyatt Earp!«
All thousand devils and dogs! Wo hatte er bloß seine Augen und seinen Verstand gehabt! Natürlich, es war Wyatt Earp!
Morgan oder sonst irgend jemand hatte ihn gerufen. Und Morgan selbst war erst gestern wieder zurückgekommen. Daher auch das sonderbar verschiedene Aussehen.
Break rannte los, auf den Stall zu, hielt dann urplötzlich wie angewachsen inne und ballte die Fäuste.
Der andere, der Stadtfrack mit den vernickelten Colts. Der war dann ja… Doc Holliday.
Hell! Hell! Hell! Yeah, es war Doc Holliday, der ihnen da Feuer unter die Füße gejagt hatte. Nur er war imstande, so mit den Revolvern umzugehen.
Und er war keineswegs erledigt, wie Lupton behauptet hatte. Im Gegenteil, wie er da plötzlich hinter der Böschung hochgekommen war, hatte er nicht nur dem flüchtigen Revolverschwinger Jake Clay einen mörderischen Schrecken eingejagt.
Im Sheriff Office war es still.
Doc Holliday lehnte an der Tür. Morgan stand in der Fensternische. Und Wyatt saß hinter dem Schreibtisch.
Anders sah es in der Schenke aus.
Die Desperados redeten alle wild durcheinander, und als Break hereinkam, stürmten sie mit hundert Fragen auf ihn ein.
Break sank auf einen Stuhl nieder.
»Ing, hol den Arzt.«
Der Krauskopf zitterte an allen Gliedern. »Den Arzt, Mensch? Weißt du nicht, was los ist? Wyatt Earp ist in der Stadt! Lupton hat es gesagt. Er hat recht! Wir waren alle blind und taub.«
»Du sollst den Doc holen!«
Seld trollte sich durch den Hinterausgang davon. Unglücklicherweise machte er sich auf den Weg zu Doc Collins.
Der alte Arzt stand in der Diele. »Was wollen Sie?« knurrte er.
»Sie müssen sofort zu Break kommen!«
»Ich muß, Junge? Du bist wohl krank, he?«
Seld nestelte seinen Colt aus dem Halfter.
Da handelte der alte Arzt. Hart und klatschend saß seine knochige Hand im Gesicht des Banditen.
»Hör genau zu, Junge. Ich gebe dir jetzt einen guten Rat: Sieh zu, daß du ungesehen zu deinem Schinder kommst, sattle ihn auf und verschwinde. Einen besseren Rat kann dir kein Mensch auf dieser Erde geben.«
Seld starrte den Arzt forschend an. Er überlegte.
Dann nickte er, schob den Colt weg und rannte hinaus.
Collins wartete einen Augenblick und stampfte dann los.
Die Tramps zuckten zusammen, als vorn die Pendeltür quietschte.
Doc Collins kam herein und sah sich um. »Break, Sie haben mich rufen lassen?«
»Los, komm schon her, Knochenflicker!« ächzte der Bandenführer.
Der Arzt stieß Folgerson beiseite, schob auch die anderen, die ihm im Weg standen, zurück und kam auf Break zu. »Auf einen Tisch mit ihm!« knurrte er.
Break protestierte. »Nichts da, verbinden Sie mich!«
»Auf den Tisch, sage ich! Die Kugel steckt! Sie muß raus. Und zwar sofort, sonst schaffen Sie es nicht mehr bis zum Galgen!«
Der Mörder Break vermochte nichts mehr gegen diesen Spott. Er ließ sich von seinen Männern auf einen Tisch heben.
Dann holte der Arzt ihm die Kugel heraus. Er gab sich wenig Mühe, dem ›Patienten‹ Schmerzen zu ersparen.
Break war einer Ohnmacht nahe.
Als der Alte die Wunde aber mit Alkohol reinigte, schrie der Verbrecher gellend auf.
Es ging seinen Männern bis in die Nerven. Sie traten vom Tisch weg an die Fenster und starrten auf die Mainstreet.
*
Nach einer halben Stunde ging Doc Collins wieder. Break hockte auf seinem Stuhl, von wildem Schmerz geschüttelt.
»So, Männer, und jetzt geht es in den letzten Gang.«
Hunter zog die Brauen zusammen. »In den letzten Gang?« fragte er mißtrauisch.
»Yeah.«
»Und, was soll das werden?« krächzte Lupton.
»Wir müssen fighten!« stöhnte der Riese.
Lupton schüttelte den Kopf. »Du hast anscheinend noch nicht kapiert, Break. Wyatt Earp und Doc Holliday sind in der Stadt.«
»Das wissen wir«, sprang Hunter seinem Boß bei. »Sie sind nicht erst seit heute hier!«
»Yeah!« röhrte Lupton. »Aber wir wußten nicht, wer uns da so einheizte. Ich habe die Nase voll, gegen Wyatt Earp kommt keiner auf! Das habe ich schon einmal gesagt.«
»Wir müssen!« schrie Break. »Wir haben keine andere Wahl – Kampf oder Galgen.«
»Oder Flucht!« zischte Lupton.
Da fuhr Break hoch. Schwankend und mit schmerzverzerrtem Gesicht stand er da. »Flucht! Das wagst du verdammter Kerl mir zu sagen? Du elendes Großmaul, das sich immer so aufgespielt hat…«
Er griff zum Colt.
Aber Hunter packte seinen Unterarm. »Boß, wenn wir kämpfen müssen, brauchen wir ihn!«
Break sank auf seinen Stuhl zurück und lehnte den Kopf stöhnend in den Nacken.
»Wir müssen fighten! Fighten – oder untergehen. Gegen Wyatt Earp gibt es keine Flucht, Lupton. Das solltest du besser wissen als ich! Mein Bruder ist vor ihm geflohen; der Marshal hat ihn gestellt. Er jagt uns so lange, bis wir krepieren. Nein, wir müssen kämpfen. Nur hier haben wir eine Chance. Einer von uns kann ihn erwischen.«
»Kann?«
»Yeah, kann. Daß er nicht so leicht zu erwischen ist, wissen wir ja!«
Lupton wischte sich durch seine leere Augenhöhle. »Und Doc Holliday! Heavens, ihr wart ja nicht dabei. Er hat nach drei Seiten geschossen und getroffen. Goddam, der Kerl sägt uns der Reihe nach um, ehe wir auch nur einen Schuß abgegeben haben!«
»Faselei!« schrie Break unter brennenden Schmerzen. »Vorwärts! Wir müssen auf die Straße, ehe ich nicht mehr kann!«
»Das kannst du jetzt schon nicht mehr!« fauchte Lupton.
Da sprang Break auf und hieb seine gewaltige Faust dem Einäugigen ins Gesicht.
Break war auf seinen Stuhl gesunken. »Macht euch fertig, Männer. Ihr werdet euch von dem Marshal nicht durch die Savanne jagen lassen. Wir haben eine reelle Chance, ihn zu erwischen. Ihn und auch den Spieler! Morgan zählt nicht…«
*
Sie gingen mit ihrem Boß auf die Straße. Yellow Jim wankte in ihrer Mitte vorwärts.
Wieder hielten sie zehn Yards vor dem Office an. »Ruf ihn!« krächzte Break.
Hunter brüllte: »Marshal! Komm raus!«
Es blieb einen Augenblick still. Dann öffnete sich oben die Tür.
Der Missourier kam heraus. Er warf einen schnellen Blick auf die Tramps und kam dann auf die Straße.
Zehn Yards trennten die Gegner. Und niemand sprach ein Wort.
Und alle dachten sie dasselbe: Wo ist der Georgier? Der Mann mit den Teufelsrevolvern?
Eine volle Minute kroch mit unendlicher Langsamkeit über die breite Mainstreet von Orange City. Wie eine Figur aus Erz stand der Dodger Marshal da und behielt die Desperados im Auge.
Dann geschah es.
Ben Lupton bewegte sich, sah seinen Nebenmann, den langen krummen Folgerson an und wandte sich zum bleiernen Entsetzen der anderen um.
»Feigling!« knirschte Break.
Da aber drehte auch der kleine Seld ab. Die anderen folgten.
Der Gelbe Jim stand schließlich noch allein da. Und plötzlich brach er in sich zusammen.
Lupton war wieder stehengeblieben.
Wie aus dem Boden gewachsen stand mitten auf der Straße vor ihm der Mann auf den sie gewartet hatten: Doc Holliday. Er hatte in jeder Hand einen seiner elfenbeinbeschlagenen Revolver.
Die Tramps rührten sich nicht mehr.
Reglos lag ihr einst so gefürchteter Anführer am Boden; ein gefällter Riese.
Da trat aus der Quergasse Morgan Earp heraus.
Er ging auf Lupton zu und riß ihm den Colt aus dem Halfter.
Widerstandlos ließ der Zyklop es geschehen. Auch Folgerson wehrte sich nicht.
Als Hunter an die Reihe kam, stockte Morgan, da der blonde Verbrecher zurückwich.
Das harte Knacken der Revolverhähne des Gamblers brachte auch den starrsinnigen Jimmy Hunter zur Räson.
Damit war die Break Crew geschlagen, der große Coup beendet. Orange City war frei.
Und als Gordon Jim Break später in der Verhandlung von dem Plan erzählte, den er erbeutet und der allein ihn in die Stadt gebracht hatte, lachte der alte Doktor Collins dröhnend auf.
»Gold? He, Bandit, da hat dir der Teufel einen Galgenstreich gespielt. Jonny Gold war einer der ersten Ansiedler hier. Ihm gehörten die Grundstücke, wo heute der Mietstall und das Sheriff Office draufliegen, die Erde unter dem Utah Saloon und dem General Store…«